Einleitung: Das verlorene Staunen im Glauben
Alleine, na ja, wir hatten in den letzten Tagen immer volles Haus. Ich finde es super, dass so viel Interesse an Gott und seinem Wort besteht. Das ist ein großer Segen.
Die Kinder sind heute auch dabei. Ihr könnt zwischendurch ein bisschen miteinander reden und über das, was ihr hört, diskutieren. Das ist kein Problem.
Das Thema heute ist Staunen. Ich möchte Mike Iaconelli zitieren. Er hat ein Buch geschrieben mit dem Titel „Dangerous Wonder“. Er ist inzwischen leider schon gestorben. In seinem Buch spricht er über die Abgestumpftheit der Christen. Dabei hat er ein Zitat geprägt: „Wir haben das Staunen verlernt.“
Die gute Botschaft ist nicht mehr die gute Botschaft, sondern nur noch eine okay Botschaft. Christsein verändert das Leben nicht mehr radikal, sondern höchstens etwas. Jesus verwandelt Menschen nicht mehr in feurige, radikale Christen, sondern höchstens in nette Menschen.
Was ist passiert? Früher gab es eine radikale Christenheit, eine Art von Menschen, die die Welt auf den Kopf gestellt haben. Und dann sagt er: „Ich bin bereit für ein Evangelium, das mein Herz vereinnahmt und mich aufwühlt. Ich möchte mich wieder überraschen lassen. Ich möchte selbst für andere Menschen unberechenbar werden. Ich will als gefährlich gelten in einer langweiligen und abgestumpften Religion. Ich möchte einen Glauben, der als gefährlich eingestuft wird in einer monotonen und berechenbaren Gesellschaft.“
Wir haben das Staunen verlernt.
Kindlicher Glaube als Quelle des Staunens
Wir haben vorhin in der Schriftlesung in Lukas 18 über die Kinder gelesen. Dort sagt Jesus: Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, dann werdet ihr mich nie ganz kapieren. Diese Aussage Jesu ist ein klarer Hinweis darauf, dass wir ein erfülltes Leben nur dann haben werden, wenn wir mit Gott rechnen wie ein Kind.
Kinder haben eine wunderschöne Eigenschaft – auch wenn sie manchmal schwierig sein können, das wissen wir. Aber eine besondere Gabe haben sie: Kinder können über Dinge staunen. Sie sind ständig erstaunt und überrascht von neuen Dingen. Kinder rechnen mit Wundern, und das macht sie so attraktiv und manchmal sogar beneidenswert.
Der große Staatsmann G. K. Chesterton hat einmal gesagt, dass er mehr Erkenntnisse über den Sinn des Lebens gewonnen habe durch das Beobachten von Kindern als durch alle philosophischen Werke, die er in seinem Leben gelesen hat. Kinder zu beobachten ist eine schöne Sache. Vor allem, wenn man älter wird und sie nicht mehr selbst hat, kann man sie einfach beobachten und sich daran erfreuen.
Ich habe selbst drei Kinder, und bei uns ist Eva Maria, die ich schon einmal erwähnt habe, immer ein bisschen anders als die anderen. Sie spielt gerne allein mit ihren Puppen. Zum Beispiel feiert sie gerne Geburtstage, aber bei uns gibt es nur fünf Geburtstage, das ist begrenzt. Wenn also länger niemand Geburtstag hat, dann haben alle Puppen Geburtstag.
Dann bringt Eva morgens ihre Puppe auf den Tisch oder auf den Sessel, backt einen Kuchen für sie, packt Geschenke ein und zündet eine Kerze an – die Puppe hat Geburtstag. Für sie ist das völlig real und ganz normal. Das Dümmste, was ich hätte sagen können, wäre: „Eva, die Puppe ist ja nur ein Stofffetzen, die hat keine Ahnung, was du da machst.“ Hätte ich das gesagt, hätte Eva mich angeschaut und gedacht, ich sei nicht normal. Denn für sie ist die Puppe real, sie freut sich und ist so lebendig wie jeder andere Mensch.
Für Kinder sind Wunder normal. Das ist Teil ihres alltäglichen Lebens. Sie können staunen, und das macht ihr Leben so erfüllt. Darum erzählen wir Kindern Märchen. Für die Kinder sind das keine Märchen, sondern etwas Reales. Nur für Erwachsene sind es Märchen.
Der Unterschied zwischen einem Märchen und dem Evangelium ist folgender: Märchengeschichten sind nur fantastisch, die Bibel hingegen ist eine fantastische Wahrheit – und das ist der entscheidende Unterschied.
Die Herausforderung des Erwachsenwerdens für das Staunen
Ist euch aufgefallen, dass je älter Kinder werden, desto mehr Reiz es braucht, um sie zu begeistern? Für diejenigen, die Kinder haben, ist das sicher bekannt.
Früher war ich lange Zeit Höhlenforscher. Wir haben bei uns viele Höhlen erforscht. Die Erwachsenen durften auch diskutieren, kein Problem – nicht nur die Kinder. Je älter die Kinder wurden, desto mehr Reiz brauchten sie, um begeistert zu sein.
Als Höhlenforscher bin ich oft nach Hause gekommen, meistens nach vier oder fünf Tagen. So lange waren wir in der Höhle unterwegs. Wir haben viele Höhlen bei uns, die längste ist 92 Kilometer lang. Man braucht ganz schön lange, um rein- und rauszukommen.
Damals war Lukas der Älteste, er war neun Jahre alt. Lisa war sieben, Eva drei. Beim Lukas habe ich gesagt: „Lukas, gestern war ich im Dachsteinloch, so heißt unsere Höhle, und bin durch einen ganz engen Gang durchgebrochen. Dort war eine riesige Halle und ein Höhlenskorpion. Die gibt es auch, ganz klein und transparent.“ Dann sagte Lukas: „Wow!“
Bei Lisa sagte ich: „Gestern war ich im Dachsteinloch und bin durch einen ganz engen Gang durch.“ Sie sagte: „Wow!“
Und bei der Dreijährigen sagte ich: „Gestern war ich im Dachsteinloch.“ Sie sagte: „Wow!“
Was ist der Unterschied? Der Neunjährige braucht den Höhlenskorpion, um staunen zu können. Für die Siebenjährige genügt der enge Gang. Und für die Dreijährige genügt das Loch.
Je älter wir werden, desto mehr Reiz brauchen wir, um uns zu begeistern.
Seht ihr, der größte Verlust, den ein Mensch erleben kann, ist der Verlust seines kindlichen Glaubens – nicht kindisch, sondern der Verlust einer gesunden Naivität, der Verlust der ersten Liebe. Wenn wir das verlieren, haben wir eigentlich alles verloren.
Denn wenn ein Mensch diesen kindlichen Glauben verliert, dann verliert er den Geist der Dankbarkeit. Er verliert das Staunen und damit den Sinn seines Lebens.
Seht ihr, ein staunender Mensch ist ein dankbarer Mensch, und ein dankbarer Mensch staunt.
Ich habe kürzlich einen Spruch gelesen, der heißt: „Nicht immer ist der Glückliche dankbar, aber der Dankbare ist immer glücklich.“ Das ist ein Geheimnis.
Und seht ihr, wenn sogar ein Kind dem Weihnachtsmann dankt, haben wir niemanden, dem wir danken können – für unsere Gesundheit, für die Schönheit der Schöpfung, für unsere Lieben zu Hause, für den Geschmack einer guten Mahlzeit oder für das Wunder eines Sonnenuntergangs.
Seht ihr, es ist so verschieden: Für den einen ist die Sonne ein Glutmugel, der heiß ist. Für den anderen ist der Sonnenaufgang ein Wunder Gottes. Kommt drauf an!
Für den einen ist Jesus Christus der allerliebste und begehrenswerteste. Für den anderen ist er ein toter Mann, der mal ganz okay war. Kommt drauf an!
Wege zurück zum Staunen: Die Rolle der Anbetung
Und die Frage ist jetzt: Wie können wir als erwachsene Menschen dieses Staunen erhalten beziehungsweise neu erlernen? Darüber möchte ich jetzt ein bisschen sprechen. Wie lernt man wieder neu zu staunen?
Die Antwort liegt in der Anbetung Gottes. Wenn man das Wort „Anbetung“ erwähnt, gibt es einige unter euch, die sagen: „Das ist ja furchtbar! Anbetung? Ich bin schon froh, wenn ich den Gottesdienst von zehn bis elf überlebe.“ Und wenn man dann sagt: „Im Himmel wirst du eine Ewigkeit anbeten“, denkt man sich: „Das kann ja schön was werden da oben. Da gehe ich lieber sonst wohin.“
Wisst ihr, warum das so ist? Für viele Christen ist Anbetung eine passive Sache. Man setzt sich rein und schaut zu. Wenn die Musikband gut spielt, dann war die Anbetung ganz okay. Wenn die Predigt auch gut war, dann war es halt auch okay. Aber wenn nicht, dann war die Anbetung schlecht.
Für viele Christen ist Anbetung etwas Passives, bei dem sie nur zuschauen. Das ist ein völlig falsches Verständnis. Anbetung ist etwas Aktives. Wenn man lernt, dass die Anbetung Gottes etwas Aktives ist, lernt man in der Anbetung wieder neu zu staunen. So findet man zurück zum Sinn des Lebens.
Im Lukas 5,26 heilt Jesus einen Gelähmten. Danach lesen wir: „Da ergriff Staunen die Menschen, und sie priesen Gott, sie beteten Gott an.“ Staunen und Anbetung gehen oft miteinander.
Die Freude am Erhöhen Gottes
Ich möchte euch etwas vorlesen von Robert J. Morgan. Er hat Folgendes geschrieben: Die Bibel sagt, dass wir den Herrn erhöhen oder groß machen und uns an ihm erfreuen sollen. Was bedeutet das?
Vor einigen Tagen beobachtete ich vom Balkon aus den Vollmond. Er war so hell und schien so nah zu sein wie meine Gartenlampe. Ich holte ein Fernglas, hielt es mit meinen Händen fest und vergrößerte damit den Mond. Mit anderen Worten: Ich machte den Mond für meine Augen größer.
Als ich den Mond so mit dem Fernglas betrachtete, wurde ich zunehmend überwältigt von den bronzefarbenen Ebenen, den Umrissen der Berge und den gigantischen Kratern.
Was geschieht, wenn wir den Herrn erheben oder vergrößern? Genau das: Wir schauen auf den Herrn und machen ihn größer für unsere Augen. Wir studieren ihn, bis wir überwältigt sind von seinem Licht, seiner Liebe, seiner Gnade und seiner Fürsorge.
Während wir das tun, kommt das nächste Eigenschaftswort ins Spiel: Wir erfreuen uns an unserem Gott. Christus groß zu machen, bringt Freude in unser Herz. Dort beginnt das Staunen.
Und wisst ihr, warum wir uns als Christen treffen? Nicht weil es Tradition ist, sondern weil wir gemeinsam Christus groß machen wollen, damit wir zurückfinden zum Staunen. Darum treffen sich Christen.
Staunen in der Natur und im Glauben teilen
Ich weiß nicht, ob es dir schon einmal passiert ist, aber ich bin sicher, dass du schon einen Sonnenuntergang beobachtet hast. Oder du bist durch einen verschneiten Winterwald gegangen, in dem die Schneekristalle funkeln. Vielleicht bist du auch durch eine Blumenwiese gelaufen und warst so überwältigt von der Schönheit dieses Moments. Das sind die größten Momente des Glücks.
Ich weiß nicht, ob du das kennst, aber ich nehme an, jeder erlebt das auf seine eigene Weise. Das sind die Momente, in denen man am liebsten eine Kamera hätte, um alles festzuhalten. Aber das geht sowieso nicht. Vielleicht möchtest du sogar ein Gedicht schreiben. Und das sind diese Momente des Glücks, in denen man sich wünscht, jemanden an seiner Seite zu haben, mit dem man die Freude teilen kann.
In Matthäus 12,34 heißt es: „Wem das Herz voll ist, dem geht der Mund über.“ Das bedeutet, wenn das Herz voller Gefühle ist, will es sich mitteilen. So ist es auch, wenn sich jemand verliebt. Dann muss man es erzählen. Du, du bist verliebt, es ist eine wunderbare Frau oder ein toller Mann – das muss man einfach erzählen.
Manche Männer, vor allem, wenn sie ein Haus bauen, zeigen das besonders. Meine Frau hat sich immer gewundert, dass ich abends zehnmal um den Rohbau gehe. Sie denkt vielleicht, der Rohbau sei nicht so schön. Aber der Mann freut sich an dem Rohbau, an dem er gearbeitet hat. Es bereitet mir Freude, da zu stehen und dieses graue Gebäude anzuschauen.
Wenn ein anderer Mensch zum Glauben an Jesus findet, ist das oft eine riesige Freude. Da gibt es auch einen „Bart im Himmel“ – jedes Mal. Für mich ist es ein besonderes Gefühl, wenn ich auf einem Berggipfel stehe, besonders nachdem ich eine schwierige Kletterwand gemeistert habe. Dieses Gefühl der Freude, es geschafft zu haben, ist einmalig.
Und es tut fast weh, wenn man in solchen Momenten niemanden hat, dem man dafür danken kann.
Der Unterschied zwischen Atheismus und Christentum im Staunen
Und seht, Freunde, hier zeigt sich der Unterschied zwischen einem Atheisten und einem Christen. Ein Atheist kann sich genauso am Sonnenuntergang erfreuen wie jeder Christ. Ein Atheist kann sich ebenso freuen, eine Wand zu erklimmen und auf einem Berggipfel zu stehen, genau wie ich.
Aber es gibt einen Unterschied: Wenn ich am Berggipfel stehe, habe ich jemanden, dem ich dafür danken kann. Das hat ein Atheist nicht. Dadurch wird meine Freude verdoppelt und vervielfacht. Denn wenn man seine Freude teilt, verdoppelt sie sich.
Das ist das Glück, das ist die Anbetung. Anbetung bedeutet, vor Gott zu stehen und ihn wertzuschätzen. Es bedeutet, Gott zu sagen, wie wertvoll er für mich ist. Das ist Anbetung.
Es ist interessant: Vor ein paar Jahren bin ich oft mit meinen Tourenski auf den Berg gestiegen. Ob tagsüber oder nachts, das war egal. Einmal kam ich auf den Berggipfel und sah dort einen Bergführerkollegen von mir sitzen. Er heißt Sepp. Bei uns heißt jeder Depp Sepp; ich bin der Hans. Ich sah ihn dort sitzen und wusste, dass er gläubig geworden war und betete.
Ich hatte ihn vorher getroffen, als er gerade Christ geworden war. Da fragte ich ihn: „Was hast du früher auf dem Berggipfel gemacht, als du Gott noch nicht kanntest? Wie hast du das damals erlebt?“ Er antwortete: „Ich weiß auch nicht genau, aber ich bin einfach da gesessen und habe mir gedacht: Um acht Uhr kommt ein guter Film, dann muss ich wieder runter.“ Das war es ungefähr.
„Was tust du jetzt?“ fragte ich. Er sagte: „Jetzt danke ich Gott für den Moment, und ich kann ihn richtig genießen.“ Siehst du, das ist der Unterschied.
Der bekannte Schriftsteller Oscar Wilde, der eher als Atheist denn als Christ bekannt ist, sagte einmal: „Der Grund, warum wir Sonnenuntergänge nicht wertschätzen, ist, weil wir nicht dafür bezahlen müssen.“ Wisst ihr was? Oscar Wilde hat Unrecht.
Man kann für Sonnenuntergänge bezahlen, indem man dem dankt, der sie geschaffen hat. Gott zu danken und ihn in Liebe wertzuschätzen – das nennt die Bibel Anbetung.
Anbetung als Antwort auf Einsamkeit und Lebenssinn
Und seht ihr, warum ist Anbetung so wichtig? Als Menschen existieren wir ja nicht nur. Jeder von uns hat Gefühle und Emotionen. Du bist heute nicht ohne Emotionen aufgestanden, auch wenn du emotionslos hier sitzt. Du bist aufgestanden und hast irgendetwas gefühlt – so oder so.
Eines der fundamentalsten Gefühle, das der Mensch erlebt, ist das Gefühl der Einsamkeit. Das ist eine der tiefsten und existenziellsten Emotionen. Frauen reden offener darüber als Männer. Junge Menschen drücken ihre Einsamkeit oft mehr aus als Erwachsene. Übrigens enden Männer oft in der Psychiatrie, weil sie nicht darüber reden.
Einmal haben sie Elvis Presley gefragt, er solle sein Leben mit einem Wort beschreiben. Er sagte: lonely – einsam. Du kannst von tausenden Menschen umgeben sein und trotzdem extrem einsam sein. Du kannst im Vereinslokal sitzen und trotzdem einsam sein.
Gibt es bei euch auch Stammtischsitzer? So Stammtische mit Biertischen, die gibt es bei uns in den Alpen. Die Stammtischsitzer nennen wir die inneralpinen Taliban, weil sie ausschließlich männlich sind, immer Recht haben und eine seltsame Kopfbedeckung tragen. Aber du kannst sogar in so einem Kreis sitzen und dich extrem einsam fühlen, weil du dich nicht verstanden fühlst.
Du kannst in einem Bauernhaus mit drei Generationen leben und trotzdem extrem einsam sein. Du kannst hier in Scheideweg mit hundert anderen wohnen und dich dennoch einsam fühlen, weil du dich nicht verstanden fühlst. Das Gefühl der Einsamkeit ist ein Dilemma der Menschen.
Ich möchte euch zeigen, wie Anbetung die Antwort auf dieses Dilemma ist. Denn seht ihr, Leben besteht in erster Linie – und je älter ich werde, desto mehr merke ich das – aus Beziehungen. Nämlich liebenden Beziehungen, die eine zu Gott und die andere zu anderen Menschen. Das befriedigt unsere tiefste Sehnsucht.
Geld verdienen oder Karriere machen kann mal spannend sein – eine Zeit lang. Aber das ist nicht Leben, das kann ich dir leicht beweisen. Du arbeitest vielleicht viele Jahre für dein Auto oder noch mehr Jahre für dein Haus. Aber wenn dein Haus abbrennt, was rettest du zuerst? Dein Kind oder den Kasten? Wen umarmst du öfter? Dein Kind oder dein Auto?
Siehst du, die tragischsten Momente im Leben sind nicht, wenn dein Haus abbrennt oder du deine Anstellung verlierst. Die tragischsten Momente sind jene, in denen Beziehungen zerbrechen. Darum sind Scheidungen so schmerzhaft. Das sind die einschneidendsten Erlebnisse im Menschenleben: wenn Beziehungen zerbrechen.
Denn eine gebrochene Beziehung ist der Tod. Darum lesen wir in der Bibel, dass Gott gesagt hat: „Wenn du dich von mir abwendest, wirst du des Todes sterben.“ Beziehung ist gebrochen. Und Beziehungen zerbrechen immer, entweder durch Tod oder durch Sünde. Das sind die zwei Dinge, die Beziehungen zerbrechen.
Wenn wir verstehen, dass der Mensch in seiner Einsamkeit sich nach Beziehung sehnt, verstehen wir auch, warum wir Gott brauchen. Warum brauchen wir Gott so notwendig? Weil das Gefühl der Einsamkeit so existenziell ist. Wir brauchen Jesus Christus.
Und wenn du mit Jesus lebst, bist du nie alleine. Leider vergessen wir das allzu oft. Aber ich bin nicht alleine, wenn ich jetzt ins Auto steige. Ich fahre nicht allein nach Friedrichshafen, wir fahren nach Friedrichshafen. Ich bin immer zu zweit.
Übrigens, hier ist der Punkt, an dem sich der Glaube an Jesus von allen anderen Religionen absolut und für immer abhebt: Buddha spricht niemals über eine persönliche Beziehung zu ihm oder zu Gott. Du wirst nie hören, dass Allah eine persönliche, liebende Beziehung mit dir eingehen will. Hinduismus spricht niemals über einen persönlichen, liebenden Gott.
Nur Gott, der Vater, wie er sich in Jesus offenbart hat, spricht über eine persönliche Beziehung zu seinen Geschöpfen. Das ist einzigartig und hebt das Christentum für immer von allen anderen Religionen ab. Das ist der Unterschied – neben einigen anderen.
Und auf diese Beziehung zwischen Geschöpf und Schöpfer ist der Mensch hingeschaffen. Die Art und Weise, wie man in dieser Beziehung lebt, ist Anbetung: Wertschätzung, Dank, Bitte und so weiter.
Die Bedeutung der Gemeinschaft mit Christus
Übrigens, im Neuen Testament lesen wir einhundertsechsundneunzig Mal, dass wir in Christus sind und Christus in uns. Ich weiß das genau, weil ein deutscher Theologe seine Doktorarbeit darüber geschrieben hat. Fast zweihundert Mal finden wir diesen Gedanken.
Warum ist das so? Geht es darum, uns Sünde zu vergeben? Nein. Wenn Jesus nur gekommen wäre, um Sünde zu vergeben, könnte er das vom Kreuz aus tun. Dazu müsste er nicht in dir wohnen. Auch um dich in den Himmel zu bringen, müsste er nicht in dir wohnen. Das könnte er vom Thron aus tun.
Warum muss Jesus also in uns wohnen? Weil wir geschaffen sind für eine enge Beziehung. Und es gibt keine engere Beziehung, als wenn jemand in dir ist.
Das ist übrigens ganz interessant. In der deutschen Sprache sagen wir nicht: „Ich bin befreundet in meiner Freundin.“ Sondern: „Ich bin befreundet mit meiner Freundin.“ Ebenso sagen wir nicht: „Ich bin verheiratet in meiner Frau.“ Sondern: „Ich bin verheiratet mit meiner Frau.“
Aber es gibt eine Ausnahme, die mir gefällt: Wenn du verliebt bist, bist du nicht verliebt mit dem Mädchen, sondern verliebt in das Mädchen.
Seht ihr, das ist ein wunderschönes Bild: Wir sind in Christus, vereint mit Christus und verliebt in Christus. Und das ist so, weil wir geschaffen sind für diese Beziehung. Das ist der Sinn unseres Lebens.
Hindernisse auf dem Weg zur Anbetung
Natürlich müssen auf dem Weg zur Anbetung Hindernisse überwunden werden. Ich spreche oft mit Christen darüber und höre immer dasselbe. Ich verstehe das, denn ich bin ja genau im selben Boot – wir sind alle im selben Boot.
Da sagt jemand: „Diese Anbetung, die Wertschätzung und das Reden mit Gott – ich finde einfach keine Zeit dazu.“ Ein anderer meint: „Weißt du, ich bin jetzt zwanzig Jahre Christ und habe festgestellt, dass Beten mir nichts bringt.“ Wieder ein anderer sagt: „Ich habe schon so oft versucht zu beten, aber Gott sagt ja sowieso nichts zu mir.“ Und jemand anderes meint: „Ich finde, Gebet ist im Prinzip Zeitverschwendung für mich.“
Es braucht manchmal eine gewisse Zeit, bis unser Herz und unser Sinn Gott in der Anbetung erleben. Das stimmt. Aber ich möchte euch etwas sagen: Wenn man lernt, in dieser Gemeinschaft mit Jesus zu leben und sie auch pflegt, dann werden alle anderen Dinge leichter. Denn wir leben dann aus seiner Kraft.
Besonders wenn man in einem Werk arbeitet, wie hier oder ich im Dauernhof, merke ich bei mir: Wenn ich diese intime Gemeinschaft mit Jesus vernachlässige, dann funktioniere ich zwar, aber es ist kein Leben da, keine Dynamik, keine Realität – nur noch Worte.
Es gibt keinen Ersatz, Freunde, für die persönliche Zeit der Wertschätzung für Gott, das Hören auf Gott und das Reden mit Gott. Ich gehe oft spazieren, trinke mit Jesus einen Kaffee, rede mit ihm und höre auf ihn. Das ist nicht immer spannend, aber eines muss ich sagen: Es sind die schönsten Momente, die ich in meinem Leben bis jetzt erlebt habe.
Schöner als die schönsten Momente mit meiner Frau, denn diese Momente erfüllt Gott selbst – all deine Sinne und dein ganzes Sein. In dieser Anbetung Gottes bin ich ganz Mensch.
Jesus hat im hohenpriesterlichen Gebet gebetet: „Ich bete, dass sie eins seien, so wie du, Vater, in mir bist und ich in dir, damit auch sie in uns eins seien.“ (Johannes 17,21) Da ist man ganz Mensch in dieser Anbetung Gottes, denn dazu bist du geschaffen.
Die Priorität des Gebets und der persönlichen Beziehung
Dietrich Bonhoeffer hat einmal gesagt, es sei wichtiger, mit Gott über Menschen zu reden, als mit Menschen über Gott zu reden. Das ist ein guter Maßstab.
Denk einmal darüber nach: Gerade für diejenigen, die vielleicht im vollzeitlichen Dienst stehen, stellt sich die Frage, ob es ihnen ein größeres Anliegen ist, mit Menschen über Gott zu reden oder mit Gott über Menschen zu reden.
Prüfe dich auch einmal: Wann betest du? Wenn du feststellst, dass du eigentlich nur betest, wenn du vorne stehst oder im Gebetskreis bist, dann ist dein Gebet eher eine Show.
Deshalb sagt Jesus: Geh in dein Kämmerlein. Das funktioniert bei mir nicht, denn dort schlafe ich dauernd, deshalb gehe ich spazieren. Aber es kommt darauf an, wie wir im Privaten mit Christus leben. Das ist der Maßstab für unsere Beziehung zu ihm, nicht das, was wir öffentlich tun. Denn das kann alles Show sein.
Darum seid nie beeindruckt von dem, was hier gesagt wird. Seid beeindruckt vom Leben der Menschen.
Beispiel einer tiefen Anbetung: Die Frau bei Simon dem Pharisäer
Und ein letzter Bibelabschnitt, und dann bin ich fertig: Lukas 7 – eine der schönsten Geschichten über Anbetung, eine der schönsten Passagen.
Lukas 7,36-50: Es bat ihn aber einer der Pharisäer, mit ihm zu essen. Er ging in das Haus des Pharisäers hinein und setzte sich zu Tisch. Und siehe, eine Frau war in der Stadt, sie war eine Sünderin.
Als sie vernahm, dass er im Haus des Pharisäers zu Tisch war, brachte sie ein Alabasterfläschchen mit Salböl und trat von hinten an seine Füße heran. Sie weinte und begann, seine Füße mit Tränen zu benetzen und mit ihren Haaren zu trocknen. Sie küsste seine Füße und salbte sie mit Salböl.
Als das der Pharisäer sah, der ihn eingeladen hatte, sagte er sich: „Wenn er ein Prophet wäre, dann wüsste er, wer und was für eine Frau das ist, die ihn anrührt, denn sie ist eine Sünderin.“
Jesus antwortete ihm: „Simon, ich habe dir etwas zu sagen.“ Er aber sagte: „Meister, sprich.“
Ein Gläubiger hatte zwei Schuldner. Der eine war fünfhundert Denare schuldig, der andere fünfzig. Weil sie aber nicht bezahlen konnten, schenkte er es beiden. „Sag doch, welche von ihnen wird ihn mehr lieben?“
Simon antwortete: „Ich denke, der dem er mehr geschenkt hat.“
Er aber sagte zu ihm: „Du hast Recht geurteilt.“ Und er wandte sich zu der Frau und sagte zu Simon: „Siehst du diese Frau? Ich bin in dein Haus gekommen, du hast mir kein Wasser für meine Füße gegeben, sie aber hat meine Füße mit Tränen benetzt und mit ihren Haaren getrocknet. Du hast mir keinen Kuss gegeben, sie aber hat, seit ich hereingekommen bin, nicht aufgehört, meine Füße zu küssen. Du hast mir den Kopf nicht mit Öl gesalbt, sie aber hat meine Füße mit Salböl gesalbt.
Deshalb sage ich dir: Ihre vielen Sünden sind ihr vergeben, denn sie hat viel geliebt. Wem aber wenig vergeben ist, der liebt wenig.“
Und er sagte zu ihr: „Deine Sünden sind dir vergeben.“
Das ist eine meiner Lieblingsgeschichten, denn sie erzählt, wie man anbetet. Diese Frau kam völlig uneingeladen und scheinbar unpassend in das Gespräch von zwei Theologen. Sie fiel zu seinen Füßen, benetzte sie mit Tränen und Öl und wischte sie mit ihren Haaren ab.
Diese Geste sprach Bände über ihre unendliche Dankbarkeit und Wertschätzung Jesu gegenüber. Jeder, der das gesehen hat – außer dem Arrogantesten – muss sprachlos geblieben sein.
Und das ist das Herz von Anbetung: Jesus wertschätzen.
Abschluss: Einladung zur erneuten Entdeckung der Anbetung
Darum habe ich eine abschließende Frage an dich: Wann hast du Jesus zum letzten Mal gesagt, wie sehr du ihn schätzt? Wann hast du zum letzten Mal angebetet?
Denn es ist diese Anbetung, die uns wieder staunen lehrt und unserem Leben Sinn gibt. Ich bete noch, lieber Vater. Ich möchte dir einfach danken, dass du uns geschaffen hast für die persönliche, intime Beziehung mit dir selbst.
Vater und Kind, Mutter und Kind, Bruder und Bruder – Herr, du nimmst so viele Vergleiche, um zu zeigen, dass wir für eine persönliche Beziehung geschaffen sind. Ehemann und Ehefrau – all die Vergleiche, die du verwendet hast, um uns zu zeigen, dass du mit uns leben möchtest.
Lieber Vater, ich danke dir, dass wir in der Anbetung, in der Wertschätzung deiner selbst, wieder zurückfinden zum kindlichen Staunen, zu einer gesunden Naivität, zur ersten Liebe.
Mein Gebet ist, dass wir dies immer wieder neu entdecken, immer wieder neu auf unseren Stationen des Lebens. Bis wir da sind, wo wir so sind wie du, wenn wir in deiner Gegenwart sind – ein für allemal und dich so sehen, wie du wirklich bist.
Bis dahin, Vater, wollen wir lernen, dich anzubeten, dich wertzuschätzen, dich zu lieben und damit staunen zu lernen. Danke, Herr, für das, wer du bist, und dass du uns liebst. Amen!