Wir wollten die Jakobsgeschichte heute Abend abschließen, obwohl sie ja noch weitergeht. Dennoch wollten wir ein Stück weit die Jakobsgeschichte lesen.
Wenn wir später die Josefsgeschichte angehen, ist es dann wieder schöner, die Teile hinzuzunehmen, in denen etwa Rachel stirbt oder die Geschichte bei Bethlehem erzählt wird.
Heute wollen wir den Kampf Jakobs am Jabbok lesen, und zwar ab 1. Mose 32, Vers 23.
Falls Sie Bibeln brauchen: Es gibt immer wieder welche unter dem Schrank. Wenn Sie am Schrank vorbeigehen, können Sie eine Bibel herausnehmen und später wieder zurücklegen. Im Flurschrank eine Etage tiefer gibt es ebenfalls Bibeln.
Ich bin auch immer wieder froh, wenn Sie im Gottesdienst Ihre handliche Bibel dabei haben. Es ist schön, wenn man in seiner eigenen Bibel Bemerkungen machen kann.
Jakobs nächtlicher Kampf am Jabok
Jakob stand in der Nacht auf, nahm seine beiden Frauen, die beiden Mägde und seine elf Söhne und zog an die Furt des Jabok. Dort führte er sie über das Wasser, sodass alles, was er hatte, hinüberkam. Er selbst blieb allein zurück.
Da rang ein Mann mit ihm, bis die Morgenröte anbrach. Als der Mann sah, dass er Jakob nicht überwältigen konnte, schlug er ihn auf das Gelenk seiner Hüfte. Dabei wurde das Gelenk der Hüfte Jakobs verrenkt. Der Mann sprach: „Lass mich gehen, denn die Morgenröte bricht an.“ Doch Jakob antwortete: „Ich lasse dich nicht los, bis du mich segnest.“
Der Mann fragte: „Wie heißt du?“ Jakob antwortete: „Jakob.“ Daraufhin sagte der Mann: „Du sollst nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel, denn du hast mit Gott und mit Menschen gekämpft und gewonnen.“ Jakob fragte weiter: „Sag doch, wie heißt du?“ Der Mann erwiderte: „Warum fragst du nach meinem Namen?“ Und er segnete ihn dort.
Jakob nannte die Stätte Peniel oder Pnuel. Diese Namen sind, wie Sie sicherlich bemerkt haben, im Hebräischen besser erhalten geblieben. Durch das Lateinische sind sie bei uns oft verfälscht worden. Das ist natürlich ungewohnt, besonders wenn im neuen Luthertext andere Namen verwendet werden. Für uns war es immer Peniel, denn Jakob sagte: „Ich habe Gott von Angesicht gesehen, und doch wurde mein Leben gerettet.“
Als Jakob an Peniel vorbeikam, ging ihm die Sonne auf, und er hinkte an seiner Hüfte. Deshalb essen die Israeliten bis auf den heutigen Tag nicht das Muskelstück am Gelenk der Hüfte. Dieses Muskelstück war bei Jakob verletzt worden, als der Mann ihn schlug.
Die Versöhnung mit Esau
Es lesen wir doch noch weiter: Die Versöhnung gehört ebenfalls dazu, auch wenn wir beim letzten Mal schon viel darüber gesagt haben.
Jakob hob seine Augen auf und sah seinen Bruder Esau kommen, begleitet von vierhundert Mann. Er verteilte seine Kinder auf Lea, Rahel und die beiden Mägde. Die Mägde stellte er mit ihren Kindern vorne an, Lea mit ihren Kindern dahinter und Rahel mit Josef zuletzt. Dann ging er vor ihnen her und neigte sich siebenmal zur Erde, bis er zu seinem Bruder kam.
Esau aber lief ihm entgegen, umarmte ihn, fiel ihm um den Hals, küsste ihn und sie weinten. Danach hob Esau seine Augen auf, sah die Frauen mit den Kindern und fragte: „Wer sind diese bei dir?“ Jakob antwortete: „Es sind die Kinder, die Gott deinem Knecht geschenkt hat.“
Die Mägde traten mit ihren Kindern herzu und neigten sich vor Esau. Auch Lea trat mit ihren Kindern herzu, und sie neigten sich vor ihm. Danach kamen Josef und Rahel herzu und neigten sich ebenfalls vor ihm.
Esau sprach: „Was willst du mit all den Herden, denen ich begegnet bin?“ Jakob antwortete, dass er Gnade vor seinem Herrn suche. Esau entgegnete: „Ich habe genug, mein Bruder, behalte, was du hast.“
Jakob erwiderte: „Ach nein, wenn ich Gnade vor dir gefunden habe, so nimm mein Geschenk von meiner Hand. Denn ich sah dein Angesicht, als sähe ich Gottes Angesicht, und du hast mich freundlich angesehen. Nimm doch diese Gabe von mir an, die ich dir zugebracht habe, denn Gott hat sie mir beschert, und ich habe von allem genug.“ So nötigte er ihn, die Gabe anzunehmen.
Esau sagte daraufhin: „Lasst uns aufbrechen und fortziehen, ich will mit dir ziehen.“ Jakob aber sprach zu ihm: „Mein Herr weiß, dass ich zarte Kinder habe sowie säugende Schafe und Kühe. Wenn sie auch nur einen Tag übertrieben würden, würde mir die ganze Herde sterben.“
Die Bedeutung von Ruhe und Maß im Glaubensleben
Ich weiß nicht mehr genau, was mir an diesem Wort besonders wichtig geblieben ist. Wir hatten ja einmal eine Bibelstunde, und mir blieb vor allem in Erinnerung, dass ich damals sagte: Es braucht sehr große Sorgfalt, damit man nicht ein Tempo vorlegt, bei dem Menschen – auch in der Gemeinde – überfordert werden.
Die Gemeinde ist auch ein Rastplatz. Dort darf man nicht übertreiben und kein Tempo vorgeben, das ständig einer Jagd gleicht. Es muss auch Ruhe herrschen. Die Gemeinde soll ein Ort sein, an dem man sagt: Hier ruhten sie vor dem Herrn.
Dienst ja, aber Gott will uns nie im Hast sein. Nie in der Eile, nicht im Dienst und nie im Stress. Nie mit Schaum vor dem Mund, sondern in Sammlung und Ruhe, trotz der vielen Aufgaben, die zu tun sind.
Die erste Tat, als ich vor 22 Jahren in die Hofackelgemeinde kam, war, die Veranstaltungen drastisch zu reduzieren. Denn lange Zeit gab es keine Chöre, und darauf kann man verzichten – auch wenn es schade ist. Am Bibelwort kann man nicht rütteln.
Wenn eine Gemeinde wächst und Freunde dazukommen, steht man nicht unter Druck. Nicht alles muss freiwillig kommen. Dieses Bild, das Jakob benutzt, ist sehr treffend: Er bittet darum, die säugenden Tiere nicht zu überfordern. Es soll nicht ständig Neues geben, sondern alles ganz gemächlich geschehen.
Das ist ein wunderschönes Bild aus der Landwirtschaft, das aber große Bedeutung für uns hat. Mein Herr ziehe vor seinem Knecht her, ich will gemächlich hinten nachtreiben, so wie das Vieh und die Kinder gehen können, bis ich zu meinem Herrn nach Seir komme.
Esau sprach: „So will ich doch bei dir lassen etliche von meinen Leuten.“ Eine Antwort darauf war: „Ist das denn nötig? Lass mich nur Gnade vor meinem Herrn finden.“ So zog Esau an jenem Tag wieder seines Weges nach Seir.
Leistung und Reife im Glauben
Jetzt, zu dieser Stunde, spielt der VfB im Gottlieb-Daimler-Stadion. Warum ich Ihnen das sage: In unserer Welt zählt Leistung. Wenn der VfB heute Abend nicht gewinnt, muss der Trainer seinen Koffer packen. Dann gilt er als Versager, obwohl er den VfB im letzten Jahr zur Meisterschaft geführt hat.
So ist es in unserer Welt: Leistung zählt. Und dann ruft jemand vom A-Rang herunter: „So blöd könnte ich das doch besser!“ Ein Halbstarker schreit das heraus. In dieser Welt zählt nur das Beste.
Wenn jemand an der Universität ist oder heute um einen Arbeitsplatz kämpft, dann sagt man: „Wir wollen einen jungen Menschen, der ein gutes Examen hat, der menschlich umgänglich ist und alle Fremdsprachen spricht.“ In der Welt zählt immer nur das Allerbeste.
Doch das kann man kaum begreifen: Gott hat ein anderes Prinzip.
Es gibt immer wieder Leute, die sagen: „Wenn du zu Christus kommst, dann wirst du vorwärtskommen und groß werden.“ Das wäre auch schön. Ich hätte das gern bei meinen Konfirmanden gehabt, gerade bei den sportlichen Typen, die sagen: „Guck, Christ, das sind die Besten.“ Die Gläubigen sind die Besten, immer die Topleute.
Doch es ist oft anders: Die Gemeinde ist müde, ein müder Verein. Nicht, dass man das entschuldigen will, aber es ist merkwürdig, dass Gott mit seinen Leuten auf einen Punkt der Reife zusteuert.
Auch im Leben der Gläubigen geht es so: Vielleicht sind sie in ihrer Jugend im Glauben flott losmarschiert, haben wunderbare Dinge erlebt und viel gemacht. Die Reife des Glaubens bei Jakob zeigt sich an einem Punkt, an einem Fluss namens Jabok – interessant, wie man das mit den Buchstaben tauschen kann, aber so heißt er wirklich.
Was Jakob erlebt, ist ihm nicht allein begegnet. Es ist ganz ähnlich wie bei Abraham. Auch Abraham hatte es schwer, als Gott ihn auf einen Punkt führte, an dem er falsch gehandelt hatte. Er wollte doch Gott Ehre machen.
Wir verdrängen das gerne in unserem Leben. Wenn ich Sie frage, würden Sie im Gottesdienst gern von tollen Erfolgserlebnissen erzählen. Aber leider verschweigen wir oft das, was für die Gemeinde am hilfreichsten wäre: unsere Niederlagen.
Wir haben doch einen Herrn, der selbst zu seinem größten Triumph die Niederlage am Kreuz gemacht hat – den Tod am Kreuz. Das war Gottes größte Tat.
In unserem Leben sind die größten Gottesstunden oft jene, die vor der Welt und vor dem kritischen Urteil der Menschen eigentlich schwache Stunden waren. Es ist interessant, dass auch die Stunden der Krankheit oft geistliche Höhepunkte werden können – nicht die Erfolgszeiten.
Oft werden wir nach bestandenen Prüfungen im Glaubensleben ganz lasch. Aber die schwierigen Stunden sind es, die uns prägen.
Wenn wir weiter in der Bibel lesen: Bei David war die Zeit, als er in der Wüste gejagt wurde, die große Zeit. Wahrscheinlich hat er in dieser Zeit die meisten seiner Lieder gedichtet. Als er im Schloss war, schaute er nur dem Batseba ins Badezimmer.
Wir können das bei vielen Gestalten der Bibel verfolgen: Es gibt Merkwürdiges. Gott bringt seine Leute nicht immer so zum Leuchten, wie wir es uns wünschen.
Gott muss uns nicht zum Leuchten bringen, damit wir Demonstrationsobjekte sind. Viele Christen sagen: „Ich möchte doch gern vor den Ungläubigen beweisen, dass das Christsein gut ist.“
Vorhin habe ich eine Stunde einfach aus meinem Leben erzählt, besonders schön war dabei der Tipp meiner Frau: Zum Schluss einfach erzählen, wie es war – wie man seine Ehefrau gefunden hat, wie man als Kind Schulprobleme gemeistert hat, wo die Lebenskrisen waren, wo Gott gesprochen hat und wo man zum Glauben gefunden hat.
Das sind immer wieder wichtige Punkte. Sie sind hilfreich, gerade wenn wir mit unseren Möglichkeiten am Ende sind, wenn Menschen uns sagen: „Du bist ein Versager, du wirst doch nichts.“
Gerade junge Leute müssen das hören: Da hat Gott gesprochen. Da hat man entdeckt, dass Gott ganz andere Chancen für einen hat, als Menschen denken.
Das ist wichtig. Das sind die großen Augenblicke: Unsere Niederlagen sind Gottes große Chancen.
Die Begegnung Jakobs mit Gott in der Nacht
Gott hat es immer wieder mit den frommen Menschen zu tun, die so voll beschäftigt sind. Nun beginnt die Geschichte erneut bei Jakob am Jabok. Er hat Angst, ganz einfach Angst. Er bringt noch einmal seine Frauen und Kinder hinüber. Jakob hat einen ausgeklügelten Plan gemacht, wie er Esau versöhnen will. Dieser Plan war wirklich gut durchdacht und beeindruckend. Doch bei ihm bleibt der letzte Rest Unsicherheit, das sogenannte Restrisiko. Heute spricht man in der Technik oft von einem großen Restrisiko, das man einfach nicht berechnen kann.
Jakob bleibt allein zurück. Was mag in diesem Moment in seinem Kopf vorgegangen sein? War es die schlimmste Nacht seines Lebens? Er fühlt Hass. Wer Hass kennt, weiß, wie mächtig dieser sein kann. Der Hass von Esau war gewaltig. Die Nachkommen Esaus sind heute die Palästinenser. Wenn dort in den Augen noch nach hundert oder zweihundert Jahren ein Funkeln des Hasses zu sehen ist, ist es für mich ein Rätsel, wie es im Balkan jemals wieder zum Verstummen gebracht werden kann.
Hass ist etwas, das Großeltern ihren Enkeln weitergeben. Sie sagen: „Du musst noch einmal Rache nehmen.“ So tief schlummert dieser Hass manchmal in einem Menschen. Jakob weiß, dass er Esau betrogen hat. Esau war ein Kämpfer. Wenn er kämpft, weiß man nie, wie es ausgeht. Wie soll Jakob ihm denn nahekommen? Selbst die vielen Geschenke wirken durchsichtig – ein klarer Bestechungsversuch. Eine Begegnung mit Esau ist wie der Gang einem gefährlichen Gegner entgegen. Wie soll das gut ausgehen? Und so blieb Jakob allein zurück.
Es gibt Stunden im Leben, da weiß man, dass man diese Stunde nicht mehr ändern kann. Das Letzte, was man spürt, ist, wenn man bewusst dem eigenen Tod ins Auge sehen muss und sich fragt, wohin es jetzt geht. In solchen Stunden lassen wir unsere Angehörigen oft sehr allein. Wir können sie oft nicht begleiten, weil Krankenhäuser keinen Raum dafür bieten. Doch es ist schwer für einen Menschen, in dieser Stunde ganz allein zu stehen, wenn das große Unbekannte naht und man nicht weiß, wie es ausgeht.
Da ringt Jakob mit einem Mann bis zum Morgengrauen. Die Bibel ist ein keusches Buch und erzählt keine Märchen. In Märchen würde alles genau beschrieben werden, vielleicht so wie in den Göttersagen, wo es Gott oder Christus gibt. Aber die Bibel lässt einen Schleier darüber. Vor der Offenbarung Jesu ist das für uns einfach nicht fassbar.
Gott tritt Jakob in den Weg. Bevor Christus kam, tat Gott das hier und da. Als Christus kam, sprach er auch direkt zu Menschen. Das ist seitdem nicht mehr nötig, da wir sein Wort haben. Gott spricht hier mit Jakob und gibt ihm eine Offenbarung, die für uns alle von großer Bedeutung ist. Jakob ringt mit Gott. Vom ersten Augenblick an weiß er, dass es Gott ist, und er will Gott festhalten.
Die Bibel gibt uns wichtige Informationen über Gott: Gott ist heilig, und wir können ihn niemals ganz halten. Keiner von uns kann sich Gott wirklich nähern. Unsere Übertretungen trennen uns von Gott. In dieser Not ist die Situation anders als in allen Religionen und Märchen. Dort gibt es oft Schleichwege, auf denen die Menschen glauben, zu Gott zu kommen. Das stimmt nicht. Sie kommen nicht zu Gott.
Man weiß auch, dass es im Sterben keinen anderen Weg zu Gott gibt als den einen, den Gott selbst gegeben hat. Jakob spürt das und sagt: „Ich muss Gott festhalten.“ Und er tut es, trotz aller Verzweiflung.
Der Glaubenskampf im Alten und Neuen Testament
Im Neuen Testament gibt es ein Beispiel, das ein ähnliches Thema aufgreift. Sie kennen doch alle die Geschichte von der Libanesin, der Syrophönizierin, aus Matthäus 15. Früher sagte man dazu „kanonäisches Weiblein“. Ich habe diesen Ausdruck immer ein wenig despektierlich empfunden, denn „Weiblein“ ist ein alter Luther-Text.
Es handelt sich um eine Libanesin, eine Frau, die zu Jesus kommt und sagt: „Meine Tochter wird vom Teufel übel geplagt.“ Jesus gibt ihr zunächst eine schroffe Antwort und sagt, er sei nur für die Israeliten da. Die Wege Gottes sind oft nicht verständlich. Diese Frau, eine Heidin, kämpft mit Gott aus Liebe zu ihrer Tochter. Sie antwortet Jesus: „Ich verstehe, dass man den Kindern das Brot geben muss und nicht den Hunden.“ Aber sie fügt hinzu: „Wir sind Hunde, aber gib mir doch nur die Brotkrumen von dir.“
Sie hat Jesus gepackt. Diese Frau hat genau das erkannt, was genügt: Ein kleines Stück, ein „Brotkorn“ vom Herrn, und dann hat sie alles, was sie braucht. Sie betet so, und die Bibel sagt, dass dadurch Gottes ganze Heilspläne auf den Kopf gestellt werden können. Jesus lässt sich bitten, und wer etwas will, darf große Dinge mit Gott erleben. Diese Frau hat das erlebt. Jesus sagt zu ihr: „Geh nach Hause, deine Tochter ist gesund.“
Das war kein Wunder-Glaube, sondern das letzte Ausgeliefertsein – genau wie bei Jakob, der sagte: „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.“ Diese Glaubenshaltung wird im Alten und im Neuen Testament beschrieben. Es ist kein verkopfter Glaube, kein Problemglaube, der an Zweifeln nagt und fragt: „Kann ich Gott vielleicht glauben?“ In dieser Woche habe ich viele Gespräche geführt, und es hat mich wieder tief bewegt, wie verbreitet der Unglaube heute auch in unseren Nachbarschaften ist.
Ein alter Mensch, der vor den Toren der Ewigkeit steht, sagte mir: „Meine Mutter war eine fromme Frau, aber ich halte es mit Lessing, ich halte es mit Goethe. Ein so großer Geist kann auch in Äonen nicht verloren sein.“ Ich kann nur sagen: Da unterscheiden Sie sich von der Bibel. „Ja, das weiß ich. In der Bibel habe ich auch nie viel gehalten, aber für mich ist sie die einzige Wahrheit.“
„Wahrheit will ich nicht“, sagte er, „wie Lessing. Ich will die Wahrheit gar nicht, mir genügt es nur, dass ich einen Drang nach Wahrheit habe.“ Erkennen Sie das? Blaise Pascal hat es so formuliert: Nur auf den Wegen, die das Evangelium lehrt, kann man Gott finden. Es gibt keinen anderen Weg. Pascal war einer der genialsten Geistesdenker und Philosophen. Trotz der furchtbaren Kopfkrankheit und der rasenden Kopfschmerzen seines Lebens hat er sich in die Arme Gottes gefunden – Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs.
„Da bin ich, so will ich Gott packen wie sie und anders nie.“ Das ist der Anfang. In anderen Gesprächen diese Woche habe ich wieder gesagt: Es wird die Stunde kommen in Ihrem Leben, wo Sie an sich selbst zweifeln. Und wenn dieser Punkt erreicht ist, dann können Sie erst zum Glauben kommen.
Viele Menschen sind so überzeugt von sich selbst: „Ich bin so groß, kann ich überhaupt diesen zweifelnden Gott an mich heranlassen?“ Das ist eine ganz falsche Denkweise. Darauf müssen wir achten. Wenn Menschen an sich selbst verzweifeln – und das passiert heute sehr schnell, durch Depressionen, Fehler, Katastrophen oder Krankheiten –, dann dürfen sie sich diesem Gott in die Arme werfen.
Sie brauchen dann gar nichts anderes, als einfach zu sagen: „Er ist doch da, und er liebt dich. Er ist der gute Hirte.“ Und dann kann es plötzlich geschehen: Man erkennt, dass man nicht mehr als ein verlorenes Schäflein ist, das vom guten Hirten auf dem Arm getragen wird. Und das war auch Jakob.
Die neue Identität Jakobs und der Segen Gottes
Deshalb brauchen Sie nicht viel zu fragen, warum Gott kam und warum er plötzlich da war, als Lot aus Sodom gerettet wurde. Das ist sein Geheimnis. Aber nun ist er uns in Christus ganz nahe. Er ist zugänglich und will, dass alle gerettet werden.
Ich darf mit Christus ringen und sagen: „Ich lasse dich nicht los, ich kann ohne dich nichts.“ Das ist ganz anders, als er bisher war. Bisher war er es nicht so. Deshalb verstehen Sie vielleicht meine Einleitung: Der stolze Erfolgsmensch ist das Symbol unserer Welt. Das ist ein Unterschied, das ist nicht die Glaubenshaltung.
Im Dritten Reich hat man versucht, uns einen heldischen Christus darzustellen. Man wollte nicht den jüdischen Christus zeigen. Heute habe ich manchmal Angst, dass uns in der modernen Welt wieder so ein heldischer Christus vorgeführt wird – so ein toller Christus. Er bleibt aber der barmherzige Hirte seiner kleinen Gemeinde. Und das sind die, die mit sich selbst nicht mehr fertig werden und sich in die Arme Jesu werfen.
Also gut, machen wir mal weiter. Das Ringen oder Kämpfen, das hier steht, ist wichtig. Es gibt ein paar Stellen, wo man einen Kommentar braucht, wenn man die Bibel tiefer verstehen will. Sonst brauchen Sie das gar nicht. Aber eine Erklärungsbibel hilft manchmal schon etwas.
Ich weiß nicht, was hier genau steht, aber interessant ist zum Beispiel dieses Wort, das hier für „Ringen“ benutzt wird. Es kommt nur an dieser Stelle vor. Sonst steht in der Bibel immer ein anderes Wort für Ringen. Es geht also nicht um einen Ringkampf. Sonst geht es um ein Sich-Hineinverstricken. Das sind zwei, die miteinander kämpfen. Im Grunde ist es so, wie wenn Sie sagen: „Ich habe eine Wachenacht gehabt.“ In dieser Wachenacht habe ich mit Gott im Gebet geschrien. Da habe ich festgemacht: „Ich lasse dich nicht los.“
Dann wissen Sie, was gemeint ist. Das Wort „Ringen“ meint nicht einen Kampf mit Fäusten. Es geht um ein Ringen, bei dem zwei miteinander kämpfen. Sicher, sie fassen einander, er will ihn fassen und spürt genau: „Ich kann das nicht.“ Und er wird zum Krüppel geschlagen.
Viele hier sitzen, die solche Wunden in ihrem Leben haben, wo Gott ihnen eines draufgehauen hat. Paulus war übrigens zeitlebens ein solcher Mensch, ähnlich wie unser Ludwig Hofacker. Vor vielen Jahren haben wir mal ein Buch verbilligt vertrieben, in dem Hans Bruns Erlebnisse von leidenden Zeugen Jesu geschildert hat. Ich nehme das ganz ernst. Vielleicht steht es in Ihrem Bücherschrank.
Dort sind alle beschrieben, wie Terstegen krank war, der Mono und all die großen Zeugen des Glaubens. Gott hat sie durch diese Tiefen geholt. Wenn sie das nicht gehabt hätten, hätten sie einen oberflächlichen Glauben gehabt. Luther und andere hatten oft auch Nöte in der Familie.
Es war so schön, wie Emanuel Reisse von seinem geisteskranken Bruder beim Hochfach erzählt hat. Man muss wissen, dass er das Elend des Menschen vor Augen hatte und die Hilflosigkeit. Er bekam Schmerzen am Ischiasnerv, und das tut weh und man humpelt. Das macht aber gar nichts aus.
Die Kinder Gottes sind nicht die, die vor der Welt leuchten. Es war mir am Anfang meiner Dienstzeit wirklich ein Heiligtum in meiner ersten Gemeinde. Ich habe oft schweigend da gesessen und bei den alten Frauen zugehört. Es waren Flüchtlingsfrauen, die ihr Kopftuch nicht abnahmen.
Was der Herr an Wunden in ihr Leben hineingelegt hat, das haben sie mit der Herrlichkeit Jesu darüber entdeckt. Auf der Flucht, bei diesen furchtbaren Erlebnissen – diese Soldatenstiefel, die vor ihren Augen einen Mann getötet haben, Kinder gefoltert wurden und Kinder erfroren sind – da ist das Wort Jesu mir groß geworden. Seitdem weiß ich: Ich bin bei ihm geborgen.
Ganz entgegen ist es, dass wir begreifen, dass Gott durch diese grauenhaften Umstände mit Menschen reden kann. Das ist gar nicht mehr das bloße Glauben. Verstehen Sie, dass man das einem Menschen nicht einfach demonstrieren kann? Das habe ich gemerkt: Gott muss offenbaren, er muss einen Riegel wegnehmen. Er muss es Menschen zeigen. Dann verstehen Sie das Wort.
Jakob lässt diesen lebendigen Herrn nicht los. Es ist Jesus, dem er dort begegnet, so meine ich. Der Herr wird auch Engel genannt, je nachdem, wie man es sehen will. Jakob sagt: „Du bist der Herr. Ich lasse dich nicht los, du segnest mich.“
Denn es war für Jakob ganz wichtig. Er hatte schon von Gott die Zusage bekommen: „Zieh wieder in dein Land, ich will dir Gutes tun.“ (1. Mose 32,10). „Ich will dir Gutes tun, wenn du mir wohltun willst. Dann will ich dich, sonst nichts mehr. Ich will nicht Frieden und Freiheit und nicht Gaben und nicht Herden und nicht Geld. Ich will dich.“
Wie lange brauchen wir oft, bis wir bei Gott nicht die Gaben suchen, sondern ihn? Das ist die Reife des Glaubens. Die Bibel sagt auch etwas über Reife: Die Reife liegt dort, wo ich nur noch ihn will, sonst nichts mehr. „Ich lasse dich nicht los, ich lasse dich nicht aus der Hand. Du musst bei mir sein.“
Es war ja nur ein schwarzer Schatten, den Jakob da sah. Er wusste in der Nacht noch nicht, was es war. Und Gott tritt auf ihn zu. Ich weiß nicht, was es in Ihrem Leben sein kann, aber wissen Sie: Gott steht hinter so vielem, was Ihnen schwerfällt. In dunklen Stunden ist Gott da. Er kann auf merkwürdige Weise zu Ihnen reden. Er wird Ihnen Klarheit schenken. Aber bleiben Sie dran.
Sie kennen auch die schweren Gedanken, die einem in der Nacht liegen, wenn man keinen Frieden mehr findet. Wenn Ängste einen umtreiben, wie alles werden wird. Dann ruft man sich vielleicht einen Liedvers oder ein Bibelwort ins Gedächtnis, betet einen Psalm und sieht wieder den Boden unter den Füßen. Dann sagt man: „Herr, ich lege das jetzt wieder in deine Hand und will froh und getrost sein.“
Die Bedeutung des Namens und der neuen Identität
Und jetzt fragt Gott, in Vers 28: „Wie heißt du?“
Da gibt es auch noch eine schöne Sache, die Ihnen beim Bibellesen helfen kann. Martin Buber, ein großer jüdischer Philosoph, hat eine Übersetzung der fünf Bücher Mose geschrieben. Das ist ebenfalls sehr schön. Was einem beim Bibellesen hilft, ist einfach mal eine gute Übersetzung. Martin Buber, als Jude und deutscher Germanist, hat das sehr gekonnt, die Bibel zu übersetzen.
Er hat bereits darauf hingewiesen, dass hier eigentlich nicht „Wie heißt du?“ gemeint ist, sondern „Wer bist du?“. Für Juden ist der Name immer das Sein. Der Name ist nicht bloß Schall und Rauch, sondern etwas, das ich immer wieder merke, wenn ein anderer einen Namen erhält. Der Name deckt etwas ab.
Gott sagt: „Ich bin der, der ich bin.“ Ich bin etwas. Das ist nicht einfach so, wie wenn ich komische Vornamen habe. Weiß jemand, warum ich so heiße? Winrich – wie kann man so heißen? Weiß ich auch nicht, wie das passieren konnte. Aber warum heiße ich Chefbuch? Das hat überhaupt keinen Sinn, das ist doch blöd. Aber alle haben Namen.
Und diese namhafte Verheißung – so wie wir hinter dem Namen den Sinn suchen – ist wichtig. Gott fragt: „Wer bist du?“ Und er sagt: „Ich bin der Kurvendreher, ich bin der Betrüger, ich bin der Trickkünstler.“ Wir wollen das gar nicht negativ sehen. Er muss noch einmal sagen: „Ich bin der, der immer lavieren will.“ Und dann sagt er: „Nein, jetzt bist du ein anderer. Jetzt bist du ein Gottesstreiter.“
Und das war fortan Jakob. In dem Augenblick, in dem jemand Gott nimmt und ihm allein gehören will und sich mit all seinen Fehlern und Mängeln Gott in die Arme wirft, ist er ein Gesegneter oder ein Werkzeug Gottes. Deshalb ist es so schön, dass hinter dem Namen steht: „Wer bist du?“ Und nun bist du ein Gottesstreiter. Nicht: „Das will ich mal werden“, sondern: „Bist du.“
Das habe ich Ihnen doch mit der Geschichte von Ikitus erzählt. Wo dieser Junge, Mayako, sagte: „Ich will bloß noch stinkender Fisch heißen.“ Und wie der Tschurenbär, der sagte: „Jetzt will ich Tschuren heißen, ich will so einer sein wie der.“ Schön, wenn das ein Traum als Vorbild ist. Aber wenn es dann Gott sagt: „Ich mache dich dazu, ja, du bist mein, und ich will in deinem Leben wirken.“
Und das ist das Schöne: Es ist nicht unser Können und Machen. Also, liebe Leute, die meisten missverstehen den christlichen Glauben als irgendein Machen, als ein Produzieren, als „Ich will mich mühen.“ Wie oft höre ich das? „Wissen Sie, ich bemühe mich auch, ein guter Mensch zu sein.“ Da muss ich mir sagen: Wahrscheinlich sind Sie mir haushoch überlegen.
Ich lebe nur von der – jetzt kann man es kaum noch sagen, mit anderem Anspruch – von der Gnade her, dem Wunder der Vergebung. Und dass Gott es einfach so nimmt und mich so nimmt und gebraucht. Dann verweigert Gott den Namen, das braucht er nicht wissen, aber er segnet ihn. Und der Segen heißt, dass Gott uns groß macht. Und das ist eine Wirklichkeit.
Wer unter dem Segen Gottes steht, kann nicht mehr einfach wie früher weiterleben. Das sind Realitäten. Ich habe keine Dämonenfurcht, obwohl das ja jetzt im Fernsehen auch in letzter Zeit mit den Satanisten wieder groß kam und viel darüber geredet wurde.
Mir ist es wichtig, dass Sie unter dem Segen Christi stehen. Das möchte ich ganz bewusst sagen. Und was geschieht, muss zum Guten dienen, weil es unter dem Segen geschieht. Auch wenn Unangenehmes passiert, stehe ich unter seinem Segen.
Jakob erlebt trotzdem, dass seine Frau Rachel später stirbt. Aber sie ist unter dem Segen, und es wird Frucht tragen. Es sind alles Segenswege, auch wenn es traurige Wege sind, schwierige Wege – Segenswege.
Machen Sie bitte aus dem Segen kein Erfolgsdenken. Auch das ist ein materielles Erfolgsdenken. Wir haben doch neulich gesagt, dass wir heute alle so materiell missverstehen. Segenswege sind auch schwere Wege.
Das war eben bei Billy Germund von uns allen überwältigend. Das kann man ja gar nicht mehr machen, die Journalisten beeinflussen. Er sagte, er sei selten einem Menschen so begegnet. Das sagte er unserem Stephan Fett, der gerade wieder nach Burma und Vietnam aufgebrochen ist und eine sehr schwere Reise hat.
Unser Stephan Fett hat noch mit ihm in Johannesburg telefoniert. Da sagte der Willi Germund, ein bekannter Journalist: „Wissen Sie, alle wollen weg, und ich sage, das ist mein Platz.“ Das versteht so ein Weltmensch gar nicht. Was ist das?
Was ist das, dass irgendwo ein Mensch unter dem Segen steht und sagt: „Es wird alles schön.“ Und da sieht er, was positiv ist. Oder: „Das sind doch alle schwache Menschen, die auch so sind.“ Aber das ist ihr Leben. Sie dürfen das einfach so leben: „Ich bin unter dem Segen, ich lebe fröhlich, und was soll denn auch passieren können? Der Herr lebt, und er ist stärker als alles, was mich bedrohen mag.“
So geht Jakob in die dunkle Nacht. Jetzt geht die Sonne auf.
Begegnung und Versöhnung mit Esau
Sicherlich gibt es manchmal Symbole, wie zum Beispiel einen Regenbogen. Solche Zeichen sind Gottes Botschaften. Die äußeren Dinge sind symbolisch und doch ganz wunderbar.
Du stehst im Licht und kannst jetzt auch in diese ganz schwierige Aufgabe hineingehen. Du kannst deinem Karatschitz begegnen, da kann dir nichts passieren, denn der Herr ist bei dir. Der Glaube sieht oft so aus, als wäre er ein waghalsiges Manöver. Doch tatsächlich ist es ein ganz sicheres Gehen. Ganz ruhig geht der Gläubige seinen Weg. Er hebt seine Augen auf, und da kommt schon der Esel. Ganz ruhig geht er weiter.
Dann kommen noch einmal Ängste auf, und der Unglaube meldet sich erneut. Schnell wird noch einmal verteilt und organisiert, damit wenigstens ein Teil seines Besitzes gerettet wird. Ja, wie albern ist das manchmal! Wie kann ich mein Vermächtnis so gestalten, dass ich möglichst wenig Erbschaftssteuer für meine Angehörigen hinterlasse? Das sind alles kleine Dinge, die gar nicht so wichtig sind. Was ich weiterzugeben habe, ist viel mehr als das – es ist mein Leben.
Dann kommt der Esau ihm entgegen, er „herzte ihn, fiel ihm um den Hals“. Ein jüdischer Ausleger hat einmal gesagt, man könne das Wort auch anders übersetzen, nämlich „biss ihn“. Doch gerade nicht! Er küsste ihn. Das ist gewaltig! Wie war das möglich? Gott kann Herzen bekehren.
In letzter Zeit haben wir öfter darüber gesprochen. Ich weiß nicht mehr genau, wann – in der Predigt oder Bibelstunde. Im Grunde kann man Menschen nicht verändern. Sie können angeschimpft oder überredet werden, es hilft nichts, sie bleiben stur. Es wäre so einfach, so zu handeln. Unsere deutschen Pädagogen meinten, am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts würde die Welt Frieden haben, weil alle es verstanden hätten. Doch wo ist die Friedensbewegung? Sie ist nicht triumphierend. Das ist tragisch.
Man kann Menschen nicht erziehen, denn das Böse kommt immer wieder hervor, weltweit und auch bei uns. Ich kann alles wissen und trotzdem töricht handeln. Aber Gott kann Herzen bekehren, auch bei einem Mann wie Esau. Das kann nur er, und er tut es, wo und wann er will.
Plötzlich fällt Esau ihm um den Hals und küsst ihn. Nicht wegen der Geschenke, gerade nicht. Jakob dachte bis zum Schluss, er müsse mit Geschenken überzeugen, nicht mit materiellen Dingen.
Was sind wir für Feiglinge, wenn wir immer meinen, wir müssten Menschen mit unserer Propaganda überzeugen! Wir haben immer wieder bemerkt: Die größten Wunder des Glaubens geschehen oft wie nebenbei. Gott zeigt sich uns auf diese Weise.
In unserem christlichen Fachkräftedienst haben wir gemerkt, dass wir die wichtigsten Berufungen nicht selbst gefunden haben. Gott hat sie uns zufällig ins Haus geführt. Man spürt direkt, wie Gott es möglich gemacht hat. Es geht nicht über Werbemaßnahmen, sondern über das Gebet.
Bei Ihnen ist es ganz genauso, wenn Sie etwas bei Nachbarn oder anderswo erleben wollen. Wir dürfen trotzdem alles andere tun, und das tun wir gern, weil unser Herz voll ist. Aber die entscheidenden Dinge macht Gott so, dass er sagt: „Das war mein Handabdruck.“ Sonst würden wir uns noch etwas darauf einbilden.
Es sind nicht meine sanften Worte oder meine hohle Erscheinung. Wir meinen immer wieder, weil ich so nett wirke, dass das alles richtig ist. Doch Gott kann den Esau so zubereiten.
Die Herausforderung der Versöhnung
Es ist wichtig, auch ein paar Worte zur Versöhnung zu sagen. Versöhnung ist unmöglich. Versöhnung – wie soll das überhaupt funktionieren? Wir haben neulich darüber gesprochen, dass Gutmachung Worte sind, die man erfunden hat. Heute sagen wir, das ist geschmacklos. Versöhnung ist genauso unmöglich.
Dann sagen Leute: „Aber jetzt, nach 50 Jahren, müssen wir doch wirklich mal sagen, wir können doch dauernd Holocaust-Museen eröffnen.“ Es gibt eben keine Versöhnung im Ernst. Ich kann nur sagen: Daran denken, Wunden offenhalten.
Es gibt nur im Glauben eine Versöhnung über das Kreuz Jesu, vergeben und vergessen. Und das, was Gott stiftet, ist eine Versöhnung, die im Grunde unzumutbar ist für unsere ganzen weltlichen Dinge. Denn das ist unzumutbar: Da ist so viel Leid geschehen in dieser Welt. Aber bei Gott gibt es eine Versöhnung, die er stiftet, die so total und so vollständig ist, dass das mit Rumpf und Stumpf rausgezogen wird und kein Putzen mehr nötig ist, weil auch die Wunden weg sind. Das wird weggeschafft und ist durch das Opfer Jesu da.
Das ist ja auch interessant: Jakob braucht Versöhnung. Er hat ja immer wieder gemeint – es war sicher auch der Rat seiner Mutter Rebekka –, geh in ein fernes Land, und später kommst du mal zurück, da hast du es vergessen, da hast du es verjährt. Das ist falsch. Die Bibel sagt, es verjährt nichts in unserem Leben. Wir müssen bereinigen, und zwar Versöhnung, volle Versöhnung Gottes muss darüber sein. Das, was er mit Esau hat, das muss über unserem Leben stehen, über allem, was uns beschäftigt.
Ich habe mal eine Predigtreihe im Jahr 1976 über die ganze Jakobsgeschichte gehalten. Dabei war mir die Haltung bei der Versöhnung so wichtig, wie Jakob demütig hintritt. Das ist die einzige Haltung. Man kann sich so lange rechtfertigen und sagen, das waren die Umstände. So schwätzt man und sagt, er sei entschuldigt. „Ich konnte damals nicht anders, ich bin halt so von Natur.“ Aber einfach dem anderen sagen: Das ist Ehetherapie. Wissen Sie das? Ehetherapie. Die Bibel ist ein tolles Ehebuch. Es gibt überhaupt nur so Aussöhnung.
Nicht, dass der andere sagt: „Schade, dass mein Mann da ist, ich hätte ja mal hören müssen, dass er so ist.“ Sondern dass ich sage: So ist der einzige Weg, wo der Stolz zerbrochen ist und wo die Hilflosigkeit rauskommt. Und wo man es nur wagen kann zu sagen: Gott lässt mich nicht in bodenlose Tiefen stürzen.
Es war doch ein Augenblick, wo man wirklich meint, dass man dem anderen um den Hals fällt. Jetzt würde ich gerade einen Film drehen, und er holt sein Schwert raus und sagt: „Zack, jetzt krieg ich einen Satz.“ Genau, und das passiert. Das Risiko war bis zum Schluss drin. Muss er nicht den Colt in der Tasche halten, für alle Fälle, noch muss ich ja Rückversicherung haben? Ich lasse mich fallen.
Das ist eine Situation, die oft in Ehen so schwierig ist. Ja, wenn ich das meinem Mann so sage, dann kann der mich doch ausnutzen. Nein, wenn ich es im Glauben wage, nicht. Ich kann es bloß nicht predigen, dass es Glaubenswahrheit ist. Ich kann es nicht leichter machen, obwohl es im Grunde irrsinnig ist: glaubendes Vertrauen ist. Er vertraut auf den lebendigen Gott und demütigt sich.
Zeugnisse von Versöhnung und Friedensdienst
Im sechsten Jahr habe ich ein altes Manuskript herausgeholt, in dem ich nur über die Versöhnung gepredigt habe. Darin erzählte ich Ihnen, wer damals dabei war, wie Gottfried Osaimensa, der Theologe aus Nairobi, immer wieder die Besucher auf dem Friedhof führte. In den 1950er Jahren fand dort der große Mau-Mau-Aufstand statt. Dabei kamen unzählige Christen ums Leben, die zwischen den Fronten standen und versöhnend wirkten.
Heute ist es bei uns oft kurzsichtig, wenn man meint, man müsse nur ein Plakat an die Hauswand hängen mit der Aufschrift „atomwaffenfreie Zone“, um einen politischen Beitrag zu leisten. Der Beitrag, den die Christen damals immer wieder geleistet haben, war das Opfer ihres Lebens. Sie sagten den Menschen, dass sie nicht mitmachen im Terrorkampf und im Hass. Dieses Opfer hat letztlich den ganzen Mau-Mau-Aufstand ausgehebelt und geschwächt.
Ich denke auch daran, wie schwer es für die Menschen war, dieses Lebensopfer zu bringen. Viele sind daran gestorben oder wurden ermordet. Und heute ist es nicht leichter für diejenigen, die versöhnend wirken, zum Beispiel in Israel. Palästinenser, die vielleicht noch versuchen, geistlich die Brücken der Liebe zur Gemeinde Jesu in Israel zu halten, gehen dabei jedes Mal ein großes Risiko ein.
Ein erschütterndes Beispiel erzählt Korritin Boom: Nach einem Vortrag in Deutschland kam ein Mann zu ihr und sagte, er sei damals KZ-Aufseher gewesen. Dann kamen alle Erinnerungen wieder hoch – wie ihre Schwester gemartert wurde und schließlich starb, Betsy. Der Mann streckte die Hand aus und fragte: „Können Sie vergeben?“ Sie antwortete: „Das kann man nicht. Um Jesus’ willen. So etwas kann man gar nicht vergeben, was da angetan wurde.“ Ihre Beschreibung ist so echt wie bei Jakob.
Diese Geschichte hängt zusammen mit der anderen, und ich hoffe, dass gerade die Verbindung der beiden Ihnen geholfen hat. Dann will ich meinen Weg mit Trost gehen. Es ist nicht nur der Ringkampf mit Gott und der Segen, sondern der Segen, damit ich es erlebe. Ich gehe hinein in diese ganze Hasswelt, lebe meine Geborgenheit und weiß, es kann mir nichts geschehen, weil der Herr mit mir ist.