Einführung in die Reihe und den Kontext der Fragen
Die Reihe heißt „Wirf deinen Glauben weg! Vier verstörende Fragen eines Ex-Pastors“ und der Titel ist Programm: Gründe, warum der christliche Glaube nichts taugt.
Ich habe diese vier Gründe aus dem Buch von Tim Sledge entnommen. Es heißt „Four verstörende Fragen mit einer einfachen Antwort“. Die vier verstörenden Fragen haben eine simple Antwort: Dein Glaube ist Unsinn, es gibt Gott gar nicht, schmeiß das weg! Tim Sledge ist Ex-Pastor, aktuell Humanist, und findet es sehr wichtig, Christen ihren Glauben madig zu machen.
Wir hatten Grund Nummer eins bereits vor einigen Wochen angeschaut. Der erste Grund lautete: Wirf deinen Glauben weg, weil der Glaube nicht funktioniert. Schau dir einfach nur die Leute in der Gemeinde an, okay? Das war die erste Predigt, die es auf dem Podcast und auf YouTube gibt. Jetzt machen wir an dieser Stelle weiter.
Vorab: Warum ist mir so eine Reihe wichtig? Zwei Dinge.
Erstens: Mir ist es total wichtig, dass jeder hier im Raum versteht, dass du in dieser Gemeinde jede Frage stellen darfst. Alle Fragen sind erlaubt. Bitte sitzt nicht zuhause und denkst: Wenn ich jetzt an der Stelle mit der Frage komme, werde ich bestimmt die Geschwister in der Gemeinde überfordern. Was werden die dann von mir denken? Vergiss das! Du darfst jede Frage hier stellen, alles ist erlaubt. Je schräger und je wilder, umso besser. Her damit!
Zweitens: Ich möchte das, was man „neuen Atheismus“ nennt, ein wenig entmystifizieren. Die Antwort, die er hat, lautet ja: Wirf deinen Glauben weg, weil ihr euch das mit Gott nur einbildet, den gibt es gar nicht. Dann lese ich dieses Buch und denke mir: Vier verstörende Fragen – das klingt ja dramatisch. Ganz ehrlich, ich habe mir diese vier verstörenden Fragen schon lange gestellt.
Manchmal frage ich mich, wie bescheuert Atheisten mich wohl halten. So nach dem Motto: Das ist halt so ein Gläubiger, der hat es nicht ganz richtig im Kopf, der ist ein bisschen engstirnig und denkt eigentlich nicht nach. Und dann denke ich mir: Hey Mann, ich setze mein ganzes Leben auf eine Karte, nämlich auf Jesus. Glaubst du wirklich, dass ich nicht ab und zu darüber nachdenke, was ich da tue? Dass ich nicht der größte Kritiker in meinem Leben bin? Glaubst du wirklich, dass du mit vier banalen Fragen mich da irgendwie zum Nachdenken bringst, so nach dem Motto: Oh ja, stimmt, muss ich mal drüber nachdenken, habe ich ja noch nie gedacht?
Manchmal steht man wirklich davor und denkt sich: Ich weiß wirklich nicht, was Leute denken, wie Christen drauf sind. Mir geht es genau anders herum. Mein Denken hat angefangen, als ich Christ wurde. Da habe ich überhaupt erst einen Denkrahmen bekommen, in dem ich die wirklich kritischen Fragen stellen konnte, um diese Welt und ihre Ideologien überhaupt zu durchdenken.
Okay, aber lange Rede, kurzer Sinn: Wir schauen uns heute einfach die zweite Frage an. Frage Nummer zwei lautet: Wie kann ein liebender Gott, der das Universum erschaffen hat, ein so lausiger Kommunikator sein, wenn es darum geht, der Menschheit zu vermitteln, wer er ist und was er will?
Das ist die zweite verstörende Frage.
Die Herausforderung der göttlichen Kommunikation
Was meint Fletch damit? Lass es mich so formulieren: Wenn Gott alle Menschen retten will, weil sie alle verloren sind, warum handelt er dann genau so, wie er es tut? Warum wartet er erst ein paar tausend Jahre, bevor er Jesus schickt? Warum hinterlässt er uns ein Buch, nämlich die Bibel, das alles andere als einfach zu verstehen ist? Dieses Buch wird zudem, wenn man sich ein wenig mit der Kirchengeschichte beschäftigt, von vielen Menschen sehr unterschiedlich interpretiert.
Warum vertraut er bitteschön die wertvollste und beste Botschaft, das Evangelium, einer so kleinen und scheinbar unbedeutenden Gruppe von Menschen an? Warum offenbart er sich nicht einfach auf übernatürliche Weise jedem Menschen persönlich? In diese Richtung gehen diese Fragen.
Wenn Gott Menschen liebt und sie retten will, hätte er dann nicht als Schöpfergott – ich meine, er hat ja das Universum ins Dasein gesprochen – eine viel effektivere Strategie wählen können, um sich den Menschen zu offenbaren? Das ist die Frage.
Wie antworten wir darauf, wenn uns diese Frage gestellt wird? Es gibt eine kurze Antwort und eine lange. Ich fange mal mit der kurzen an. Die kurze Antwort geht etwa so:
Im Römerbrief, Kapitel 9, Vers 20 heißt es: „Ja, freilich, Mensch, wer bist du, der du das Wort nimmst gegen Gott?“ Und im Jesaja 45,9 steht: „Weh dem, der mit seinem Bildner rechtet! Eine Scherbe unter irdenen Scherben, sagt etwa der Ton zu seinem Bildner: Was machst du?“
Wenn Gott wirklich Gott ist und wir nur sein Geschöpf, wer bist du dann, dass du es wagst, aus der Perspektive eines Wurms die Weisheit des Schöpfers in Frage zu stellen? Was erlaubst du dir als Mensch, der du zurückblickst auf eine Kulturgeschichte voller Dummheit und Grausamkeit, darüber zu urteilen, was für den Schöpfer des Universums richtig ist, um dich zu retten? Woher nimmst du den Mut – oder besser gesagt den Übermut – aus einer menschlichen Perspektive, die nichts erreicht hat, Gott in Frage zu stellen?
Du überblickst nicht einmal das nächste Jahr, und du wagst es, den zu beurteilen, der die Ewigkeit kennt? Das ist absurd, völlig absurd. Du bist ein Witz! Das ist die kurze Antwort.
Ich halte diese kurze Antwort für absolut logisch und ziemlich gut. Eigentlich würde sie auch reichen. Aber ich dachte mir, ich mache doch eine längere Predigt. Deshalb dröseln wir die Frage von Sledge, warum Gott so ein lausiger Kommunikator ist, noch ein bisschen auf.
Wir schauen uns einfach mal drei Unterpunkte an, wie man diese Frage unterteilen könnte. Diese drei Aussagen lauten:
- Warum redet Gott nicht zu jedem Menschen einfach auf eine übernatürliche Weise?
- Warum haben wir von der Bibel nicht das Original? Das wäre doch total cool.
- Warum ist die Bibel so kompliziert?
Diese drei Fragen möchte ich jetzt im Detail mit euch noch ein bisschen anschauen.
Gottes Kommunikationsweise und die Freiheit des Menschen
Wir fangen mit Aussage Nummer eins an. Ich habe sie hier etwas ausführlicher dargestellt.
Gott möchte Menschen von seiner Existenz überzeugen und will, dass sie das Evangelium verstehen. Wenn er das wirklich will, warum setzt er dann nicht auf Engel oder übernatürliche Erfahrungen? Warum sorgt er nicht dafür, dass jeder eindeutig erkennen kann, dass es Gott ist, der zu ihm spricht?
Ich hoffe, diese Frage habt ihr euch schon einmal gestellt. Sie ist absolut naheliegend. Ich glaube, dass hier zwei Denkfehler vorliegen. Wir müssen uns zunächst vorstellen, was hier eigentlich von Gott gefordert wird.
Was wäre, wenn sich jeden Abend die Eselin von Bileam in deinem Wohnzimmer manifestieren und mit dir reden würde? Stell dir vor, aus dem Nichts kommt jeden Abend die Eselin, singt erst einen Psalm, erklärt dir dann das Evangelium und steht dir anschließend ein bis zwei Stunden für Bibelfragen zur Verfügung. Und das passiert heute, morgen, übermorgen und für den Rest deines Lebens – egal, ob dir das passt oder nicht.
Das ist das, was Sledge sich eigentlich wünscht: himmlische Kommunikation, der man nicht entkommen kann, bei der man definitiv weiß, dass das mega schräg ist. Wäre das nicht klasse? Die Antwort lautet: nein.
Nicht, dass ihr mich falsch versteht – ich hätte die Eselin gerne mal für ein paar Abende zu Besuch, um ein paar Fragen zu klären. Aber wenn es darum geht, dass Menschen sich bekehren, ist dieses Zeichen- und Wunder-Ding einfach nicht effektiv. Woher weiß ich das?
Nun, es steht in der Bibel, Johannes 12,37. Dort geht es um den Herrn Jesus, und ihr müsst euch vorstellen: Eine Zeit, in der zwanzigtausend Leute übernatürlich satt werden, ein ganzes Dorf von allen Krankheiten und Dämonen geheilt wird. Dann wieder etwas anderes Wildes, zum Beispiel mal kurz über den See laufen – also solche Dinge, bei denen man denkt, dichter geht es nicht.
Und dann heißt es in Johannes 12,37: „Obwohl er so viele Zeichen vor ihnen getan hatte, glaubten sie nicht an ihn.“ Das ist die Antwort auf die Eselin.
Es ist leider nicht so einfach, dass man nur Zeichen und Wunder braucht, um Menschen zum rettenden Glauben zu führen. Wisst ihr was? Dann hätten sich die Israeliten in der Wüste in Scharen bekehrt. Sie sind jeden Morgen losgezogen und haben Manna gesammelt. Du konntest beim Frühstück sagen: „Wunder, ja super!“ Haben sie sich bekehrt? Nein, haben sie nicht.
Der Grund dafür – und das müssen wir gut verstehen – ist, dass Bekehrung fast keine Frage des Wissens ist. Oder anders gesagt: Du kannst alles wissen, ohne bekehrt zu sein oder ohne rettenden Glauben zu haben.
Darf ich euch jemanden vorstellen, auf den das zutrifft? Jakobus 2,19: „Du glaubst, dass nur einer Gott ist? Du tust recht, auch die Dämonen glauben das und zittern.“ Versteht ihr? Die Dämonen sind ein gutes Beispiel dafür, dass man von Gott wissen kann, dass es ihn gibt und dass es nur einen Gott gibt. Macht das, dass sie deshalb näher an eine Beziehung mit Gott herankommen, weil sie das wissen? Sie wissen es vielleicht sogar besser als wir, weil sie ihn gesehen haben – im Gegensatz zu uns. Nein.
Wenn Gott dir jeden Abend eine sprechende Eselin schicken würde, dann würde er dich nötigen. Er würde dich intellektuell überzeugen, keine Frage. Aber jetzt kommt der Clou.
Der erste Fehler, den Sledge macht, ist zu sagen, wenn es nur eine himmlische Kommunikation gäbe, dann wären die Leute schlau genug, um zu verstehen, dass es Gott gibt, und würden sich bekehren. Nein, tun sie nicht, wie wir bei Jesus sehen.
Der zweite Fehler ist, dass Gott keine Menschen sucht, die gegen ihren Willen dazu genötigt wurden, die Ewigkeit mit ihm zu verbringen. Das müssen wir gut verstehen: Gott sucht keine Menschen, die gegen ihren Willen gezwungen werden, mit ihm die Ewigkeit zu verbringen.
Deshalb spricht Jesus in Gleichnissen. Er möchte, dass nicht alle verstehen, was er predigt. Lass dir das bitte auf der Zunge zergehen – das ist eine sehr wichtige Botschaft.
Gott will nicht, dass Menschen zu einem Leben mit ihm auf Erde 2.0 gezwungen werden. Solche Leute will Gott nicht. Wenn es Gott nur darum ginge, dich intellektuell zu überwältigen, dich so lange tot zu argumentieren, bis du nichts mehr zu sagen hast, dich mundtot zu machen und dich zu deinem Glück zu zwingen, dann könnte er das schaffen. Das wäre ein leichtes Problem für ihn. Aber das will er nicht. Das ist nicht sein Ziel.
Was sucht Gott?
Gott sucht – jetzt kommt meine romantische Ecke durch – als Liebhaber eine Braut für seinen Sohn. Gott sucht Menschen, die ihn lieben. Gott sucht Menschen, die aus der Wahrheit sind.
In Johannes 18,37 sagt der Herr Jesus: „Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, dass ich für die Wahrheit Zeugnis gebe. Und jeder, der aus der Wahrheit ist, hört meine Stimme.“
Es gibt Menschen, die tragen in sich eine tiefe Liebe zur Wahrheit. Deshalb fühlen sie sich instinktiv verbunden mit dem, der sagt: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben.“ Solche Leute, die irgendwo in sich diese tiefe Bindung haben, sind diejenigen, die, wenn sie das Evangelium hören oder von Gott hören, etwas in sich mitschwingen spüren. Sie sagen: „Ja, da ist etwas. Das ist die Stimme des guten Hirten, dem möchte ich folgen.“
Gott sucht solche Menschen. Er will dich da drin, versteht ihr? Er will dein Herz. Ich weiß, das klingt abgedroschen, aber es stimmt: Er will den existenziellen Kern in dir, da, wo du bist.
Er will nicht nur dein Hirn, nicht nur ein Nicken, sondern er will den innersten Kern, den Ort, an dem deine Persönlichkeit ist. Und da lassen wir kaum jemanden ran – das ist schon in Ehe und Freundschaft schwierig, da jemanden wirklich heranzulassen.
Und jetzt sagt Gott: Ich möchte dich auf dieser Ebene erreichen.
Wenn du so jemand bist, der in seinem Inneren eine tiefe Sehnsucht nach Gott hat, darf ich dir eine Verheißung schenken?
5. Mose 4,29: „Dann wirst du von dort aus den Herrn, deinen Gott, suchen und ihn finden, wenn du mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele nach ihm fragst.“
Gott sucht Menschen, die aus der Wahrheit sind. Deshalb müssen Wahrheit und Anbetung eine Herzensangelegenheit sein. Ich muss Gott wollen, um ihn zu finden.
Wenn diese Sehnsucht nach Gott, nach Beziehung, nach Herzensverbundenheit nicht da ist, fehlt das Entscheidende. Versteht ihr? Da hilft auch keine Eselin.
Übrigens ist das bei Bileam im Alten Testament nicht anders: Da kommt die Eselin und warnt ihn, und der Typ, wirklich geil auf Geld, verkorzt trotzdem sein ganzes Leben. Stehst du da und denkst: Wie kann das sein?
Ganz einfach: Wenn das Herz am Geld oder an etwas anderem hängt und du nicht von ganzem Herzen Gott suchst, wirst du ihn nicht finden. Da kann Gott machen, was er will.
Deshalb stimmt das nicht, was Sledge sagt.
Noch einmal: Es geht Gott nicht darum, Menschen, die kein Interesse an ihm haben, in irgendeiner Weise zu nötigen. Gott sucht auch nicht Leute, die mit ihm einen Deal eingehen wollen. Was Gott sucht, sind Liebhaber.
Das müssen wir tief verstehen.
Auf der anderen Seite spricht Gott auf vielfältige Weise zu den Menschen. Ja, Gott muss doch übernatürlich sprechen, oder? Warum?
Gott tut das durch das Gewissen der Menschen. Du hast ein schlechtes Gewissen – ja, wer redet da zu dir? Du schaust in die Schöpfung – wessen Werk betrachtest du da? Du schaust in die Geschichte und liest von dem, was passiert ist – auf wem triffst du da? Wer ist der Leiter und Lenker der Geschichte?
Du hörst Christen, die hier vorne stehen und sagen: „Hey, ich bin Gott begegnet. Er hat mich freigemacht, und ich führe jetzt ein Leben, das nichts mehr zu tun hat mit dem, was ich früher gemacht habe. Da ist plötzlich Sinn, Hoffnung und Leben.“
Dann gibt es diese vielen kleinen Zufälle, von denen wir alle wissen, dass wir nur leben, weil es diese vielen kleinen Zufälle gab, die statistisch keinen Sinn ergeben. Ganz abgesehen davon, dass wir die Bibel haben und sie lesen können.
Gott ist ein Gott, der jedem Menschen genug Licht in sein Leben hineinschenkt, damit er eine bewusste Entscheidung für oder gegen die Wahrheit treffen kann.
Wenn man so will, gibt Gott jedem Menschen genug Licht, um etwas von sich zu erfassen.
Und noch einmal: Dort, wo Gott ein Herz sieht, das ihn sucht, wird er sich finden lassen.
Eine weitere Stelle, die ich schön finde – die hatten wir früher immer auf unseren Liebeszetteln – ist Jeremia 29,13-14: „Ihr werdet mich suchen und finden, wenn ihr mich von ganzem Herzen sucht. Ich werde mich von euch finden lassen, spricht der Herr.“
Gott lässt sich finden von denen, die ihn suchen.
Also zu sagen, du brauchst nur eine Eselin, ist falsch. Wenn du Gott nicht in deinem Leben haben willst, dann kann dir noch so viel übernatürliches Wunder nicht helfen. Das Problem liegt an einer ganz anderen Stelle.
Und wenn du in deinem Herzen nur so eine kleine Flamme der Gottsuche hast, so einen glimmenden Docht, etwas, von dem du denkst, er sei gleich aus, dann wird Gott derjenige sein, der pustet und dafür sorgt, dass aus diesem kleinen glimmenden Docht wieder eine richtig helle Fackel wird.
Das macht Gott.
Das war Aussage Nummer eins.
Die Bibel als Kommunikationsmittel und die Frage nach dem Original
Aussage Nummer zwei: Wenn ich der Welt schon ein Buch hinterlasse, wäre es dann nicht cool, wenn wir wenigstens das Original hätten? Und wenn sich wenigstens die Christen von Anfang an einig gewesen wären, welche Bücher zur Bibel gehören? Oh, kann man ja mal die Frage stellen.
Also, ich hoffe, ihr habt euch alle schon die Frage gestellt, warum die Bibel so ist, wie sie ist. Es wäre gut, wenn wir das Original hätten. Die Antwort ist ganz klar: Nein, das wäre es nicht. Und das, obwohl die Bibel absolut einzigartig ist.
Die Bibel hat wie kein anderes Buch der Weltgeschichte diese Welt zum Guten geprägt. Es gibt in keinem religiösen Buch so viele Prophezeiungen, so viel Realismus und so viel Hoffnung wie in der Bibel. Ich persönlich studiere die Bibel jetzt knapp vierzig Jahre und bin immer noch begeistert. Sie bleibt großartig, herausfordernd und bereichernd.
Aber – und das ist jetzt wieder wichtig, damit wir das gut verstehen – ich glaube nicht an die Bibel. Ich glaube nicht an die Bibel. Nein, ich glaube nicht an die Bibel. Die Bibel selbst ist nur ein Kommunikationsmittel. Sie ist dazu da, eine Botschaft zu transportieren. Bitte vergesst das nie! Sie ist dazu da, eine Botschaft zu transportieren, weil ich meine Sündhaftigkeit erkennen muss, weil ich verstehen muss, was das Evangelium ist, und weil ich wissen muss, wie man mit Gott lebt.
Aber die Bibel selbst bleibt nur ein Kommunikationsmittel. Sie ist nicht heilig. Ich meine, das Buch ist nicht heilig.
Aber wäre dann das Original nicht trotzdem super? Ich glaube nicht. Warum glaube ich das nicht? Erinnert ihr euch an die bronzene Schlange? Ich weiß nicht, ob ihr die Geschichte kennt: Im Alten Testament kommen giftige Schlangen ins Lager der Israeliten, beißen die Leute, und die Leute sterben an dem Gift dieser Giftschlangen. Sie schreien: Mose, rette uns! Mose redet mit Gott, und Gott sagt: Kein Problem, macht eine Schlange aus Bronze, packt sie auf einen Stab, und jeder, der gebissen ist und kurz davor steht zu sterben, der schaut einfach nur die Schlange an – und dann wird er wieder gesund.
Jesus wird später auf diese Episode in 4. Mose 21 Bezug nehmen und sagen: So wie die Schlange erhöht werden muss, und jeder, der an die Schlange glaubt, wird gerettet werden, so muss ich erhöht werden am Kreuz, und jeder, der an mich glaubt, wird gerettet werden. Die einen werden von dem Gift der Giftschlange gerettet und müssen nicht sterben, und die anderen werden vom Gift der Sünde gerettet und gehen nicht ewig verloren. Da ist eine Parallelität.
Frage: Was ist eigentlich aus dieser Schlange geworden, die Mose da auf diesen Stab gepackt hat? Ganz genau: Ein Götze ist daraus geworden. Wir lesen das mal in 2. Könige 18,4. Das ist zur Zeit von König Hiskia, der Reformen durchführt. Im Rahmen dieser Reformen muss er ein paar Götzen beseitigen.
2. Könige 18,4: Er beseitigte die Höhen, zertrümmerte die Gedenksteine, rottete die Aschere aus und schlug – Achtung – die ehrwürdige Schlange, die Mose gemacht hatte, in Stücke.
Ui, denkst du dir, hm, geht einer so erst, haut das Ding einfach in Stücke? Warum? Denn bis zu jenen Tagen hatten die Söhne Israels ihr Rauchopfer dargebracht, und man nannte sie Nehuschtan.
Könnt ihr euch vorstellen, was das wäre, wenn wir ein Originalblatt vom Matthäusevangelium hätten? Könnt ihr euch vorstellen, was für ein Auflauf das wäre? So ein Stück Originalbibel – das wäre die Reliquie schlechthin!
Ihr müsst mal an Orte gehen, wo man wirklich Reliquien anbetet, also wo so ein paar Knochen von irgendeinem Heiligen liegen oder Splitter vom Kreuz oder sonst irgendwas. Das ist der Hammer! Stellt euch das von der Bibel vor – das wäre die oberste Reliquie!
Und deswegen können wir nur von ganzem Herzen froh sein, dass wir kein Stück Originalbibel haben.
Die Entstehung des neutestamentlichen Kanons und die Wirkung der Schrift
Nächste Frage: Ja, okay, Jürgen, das habe ich verstanden. Aber warum kommt dann nicht wenigstens eine Stimme aus dem Himmel, die in etwa so sagt: „Hallo, ich bin Gabriel, und übrigens, damit ihr wisst, welche Bücher zum Neuen Testament dazugehören, mache ich euch jetzt mal eine Liste.“ Das wäre doch nett gewesen. Ich meine nett, weil ihr habt euch doch bestimmt auch schon gefragt: Warum dauert es 200 Jahre, bis sich die Christenheit einig darüber ist, welche 27 Bücher zum Neuen Testament gehören? Das klingt ja förmlich nach Wildwuchs, oder?
Man muss sich die Kriterien mal anschauen. Es gibt drei Kriterien, nach denen ein Buch sich für das Neue Testament qualifiziert hat.
Punkt eins: Autorenschaft. Das mussten Apostel sein oder ihre Schüler.
Punkt zwei: Es geht um gute Theologie. Das Buch, das sich für das Neue Testament qualifizieren wollte, musste das lehren, was von Anfang an gelehrt wurde.
Dann gibt es ein drittes Kriterium, und das finde ich ganz genial. Ich habe es früher das Tupperware-Prinzip genannt, aber heute ist Tupperware nicht mehr so verbreitet. Deswegen sage ich einfach mal: Das Erste ist Autorenschaft, das Zweite Inhalt, und das Dritte, es musste funktionieren.
Also das Wort Gottes wurde in der frühen Kirche daran erkannt, dass es wirkt. Paulus kann dasselbe Argument im Blick auf seine Predigten in 1. Thessalonicher 2 formulieren. Da habe ich das Argument dann auch in der Bibel am besten gefunden. Da sagt Paulus: „Und darum danken auch wir Gott unablässig, dass, als ihr von uns das Wort der Kunde von Gott – das ist nichts anderes als das Evangelium – empfangen habt, ihr es nicht als Menschenwort aufnahmt, sondern wie es wahrhaftig ist als Gotteswort, das in euch, den Glaubenden, auch wirkt.“
Also das Wort Gottes ist, steht im Hebräerbrief, lebendig. Wenn es also um die Frage geht, welche Schriften vom Heiligen Geist inspiriert worden sind, dann haben die frühen Christen einfach mal gesagt: Okay, wenn Gott drin ist, dann muss da auch Power drin sein. Da muss in den Schriften selbst das Potenzial stecken, dass sie mich berühren, mich von Sünde überführen und ich von Neuem geboren werde, indem ich das tue, was da drinsteht.
Petrus formuliert das sogar so, in 1. Petrus 1,23: „Denn ihr seid wiedergeboren, nicht aus vergänglichem Samen, sondern aus unvergänglichem, durch das lebendige und bleibende Wort Gottes.“ Merkt ihr, es ist wieder dieser kommunikative Aspekt.
Gott schickt keinen Engel. Ja, warum nicht? Weil wir ihn nicht brauchen. Gott möchte, dass seine Gemeinde entdeckt, welche Texte – und ich nehme jetzt mal dieses Wort aus 2. Timotheus 3,16 – gottgehaucht sind, also vom Heiligen Geist inspiriert. Das kannst du nämlich merken, wenn du die Bibel gut kennst.
Ich habe ungefähr 25 Jahre die Bibel studiert und dann habe ich Texte gelesen, die auch im ersten und zweiten Jahrhundert entstanden sind, die quasi mit den biblischen Büchern hätten auf einem fiktiven Büchertisch in der Gemeinde liegen können. Du merkst den Unterschied. Du merkst, wenn du die Bibel und die Kraft der neutestamentlichen Bücher erlebt hast, wenn du merkst, wie der Geist Gottes diese Bücher benutzt.
Dann merkst du, dass der Hirte des Hermas und die Didache oder der erste Clemensbrief – alle im ersten Jahrhundert ungefähr entstanden – auch irgendwie nett sind, ja, aber irgendwie halt auch nur nett. Und die Unterscheidung zwischen „nett“ und „irgendwie ein bisschen brauchbar“, so wie hoffentlich diese Predigt, und auf der anderen Seite „gottgehaucht“, also inspiriert und demzufolge von Gott dir gegeben als Kommunikationsmittel, das braucht halt einfach ein bisschen Zeit.
Und das Schöne ist, dass Gott die Zeit hat. Aber es macht allein durch die Art und Weise, wie Gott es auflegt, dass wir die Bibel kriegen, schon mal deutlich, was die Bibel ist und sein will. Nämlich nicht als ein Buch, das irgendwie vom Himmel gefallen heilig ist, sondern es will ein Kommunikationsmittel sein.
Das Wunder der Bibel besteht in dem Wunder, das Menschen erleben, wenn sie auf ein lebendig machendes Wort stoßen. Das ist das Wunder der Bibel. Und deswegen kannst du auch mit jeder halbwegs vernünftigen Übersetzung zuhause arbeiten, um jemandem das Evangelium zu erklären.
Ich habe überlegt, ob ich die Volksbibel mitbringe. Das ist so eine sehr, sehr moderne Übertragung. Aber schüttel den Kopf. Du kannst die Volksbibel nehmen, und jemand kann sich mit der Volksbibel in der Hand bekehren. Warum? Weil einfach die Kommunikation zählt. Es geht um den kommunikativen Aspekt: Gott sagt dir dadurch, mach das! Und dann macht derjenige das, und dann findet wirklich Wiedergeburt statt.
Ja, warum denn nicht?
Und damit wir das verstehen: Deswegen haben wir kein Original. Oder noch mal: Das Wunder der Bibel steckt in dem, was der Heilige Geist damit tut, nicht in dem Buch selber, nicht in den Seiten.
Das unterscheidet uns übrigens ganz stark vom Islam.
Die Komplexität der Bibel und die Vielfalt der Auslegungen
Ganz kurz zur dritten Aussage: Wenn ich durch ein Buch kommuniziere, warum verstehen selbst Christen die Botschaft dieses Buches so unterschiedlich? Hätte Gott die Bibel nicht so schreiben können, dass alle Christen und Nichtchristen sie auf die gleiche Weise verstehen?
Drei Dinge dazu:
Erstens: Die Bibel ist bestimmt kein einfaches Buch. Was wir begreifen müssen, ist, dass die Bibel wie eine Zwiebel funktioniert. Eine Zwiebel hat Schalen und einen Kern. Diesen Kern nennen wir das Evangelium.
Beim Evangelium geht es darum, dass wir Menschen verloren sind. Weil Gott uns eines Tages richten wird, müssen wir uns um unsere Sünden kümmern. Wichtig ist: Du kannst dich selbst nicht retten. Aber Gott kam auf die Welt, um dich zu retten. Er ist für deine bösen Taten gestorben. Das Opfer, das er am Kreuz für dich gebracht hat, kannst du annehmen. Es gibt für dich eine Chance auf einen Neuanfang.
Was musst du tun? Du musst anfangen, ihm zu vertrauen, ihm zu folgen und für ihn zu leben. Das ist das Evangelium: Du bist verloren, Gott kam, um dich zu retten. Hier ist ein Angebot. Du brauchst nicht mehr als Jesus zu vertrauen und dein Leben ihm anzuvertrauen.
Das ist der Kern. Und das Spannende ist: Dieser Kern ist so klar, dass er durch die Kirchengeschichte hindurch nie in Frage gestellt wurde. Deshalb gibt es Glaubensbekenntnisse. Im Kern, also innen in der Zwiebel, sind sich die echten Christen einig.
Ja, die Bibel ist schwer zu verstehen, aber wie großartig ist das, dass für die Rettung eigentlich alles da ist? Das zeigt auch, dass Gott ein Interesse daran hat, dir die Basics mitzugeben. Ist das nicht schön? Und dann gibt es noch viele weitere Dinge rundherum, die auch schön sind.
Zweitens: Warum wird die Bibel so unterschiedlich verstanden? Punkt eins: Es gibt genug Stellen, die wir alle gleich verstehen.
Ich bin Prediger und gebe mir wirklich Mühe, meine Predigten so zu halten, dass jeder sie versteht. Trotzdem ist es mir noch nie gelungen, dass alle sie gleich hören. Wie oft stehe ich draußen und denke: Das habe ich nicht gesagt! Das habe ich nicht gesagt! Aber genau so wurde es gehört. Ich kenne mein Skript und könnte zeigen, dass ich es nicht gesagt habe. Trotzdem wurde es anders verstanden.
Das Zentrum ist klar. Die Sache mit der Zwiebel geht weiter: Je weiter du dich nach außen arbeitest, desto komplizierter wird es – aber auch weniger wichtig. Wenn man dann auf Themen stößt, bei denen man wirklich sagt, da verstehen wir es halt unterschiedlich, dann ist das einfach so.
Drittens: Und das ist etwas, wozu ich gerne noch eine Stunde hätte, die wir aber nicht haben. Ich mache es kurz: Der Mensch, den Gott retten will, ist viel kaputter, als er sich eingesteht.
Hinter dem Vorwurf von Sledge steht eigentlich folgende Idee: Ein Menschenbild, das sagt, wenn man dem Menschen nur ein paar mehr Informationen geben würde, würde er sich einfach bekehren. Das wird er nicht tun.
Der ungläubige Mensch ist nicht nur ein bisschen uninformiert, er ist tatsächlich hoffnungslos verloren. Paulus beschreibt den Heiden als verfinstert im Verstand, entfremdet von Gott, unwissend, verstockt, abgestumpft und nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht.
Er ist nicht allein, sondern Teil einer Gesellschaft. Jesus beschreibt die Gesellschaft seiner Zeit als böse und ehebrecherisch. Ich würde heute dasselbe über unsere Gesellschaft sagen.
Das heißt: Der normale Heide lebt Selbstbetrug, hält sich für schlau, ist in Wirklichkeit aber ein Spielball des Bösen. Um ihn zu retten, braucht es nicht nur ein paar Informationen.
Um diese marode, kaputte Gesellschaft zu retten, braucht es ein Himmelfahrtskommando von ganz oben. Das ist eigentlich ein aussichtsloses Unterfangen, irgendwen zu retten. Und trotzdem macht sich Gott auf.
Mein bester Freund hat mal bei einer Zigarre Folgendes gesagt und damit gut auf den Punkt gebracht: „Wir sind nie Teil der Lösung.“ Und es stimmt, wir Menschen bleiben immer das Problem. Und daran ändert sich auch nichts.
Zusammenfassung und abschließende Gedanken
So fassen wir noch einmal zusammen. Am Anfang steht die Frage: Warum kommuniziert Gott so, wie er es tut? Wir müssen drei Dinge verstehen.
Erstens: Gott sucht Menschen, die ihn lieben. Nicht solche, die sich zähneknirschend ihm irgendwie unterwerfen, weil ihnen die Argumente ausgehen oder weil sie einen Deal für die Ewigkeit eingehen wollen. Das will er nicht. Sein Programm – man könnte sagen, die ganze Schöpfung – ist darauf ausgelegt, Menschen zu entdecken und Menschen zu retten, die Gott lieben. Das ist die Idee.
Zweitens: Gott hinterlässt uns ein Buch, die Bibel, weil er um unsere Vergesslichkeit weiß. Aber dieses Buch will keine Reliquie sein. Wir dürfen das Buch nicht anbeten. Es ist ein durch den Heiligen Geist bezeugtes Kommunikationsmittel für die Gemeinde. Gott will durch die Bibel hindurch jeden Tag in dein Leben hineinreden. Und ich kann das nur für mich sagen: Ich finde es immer wieder erstaunlich, es gelingt einfach. Es gelingt ihm ziemlich gut, wenn wir zuhören und wenn wir den Geist nicht dämpfen.
Drittens: Die Rettung des Menschen ist, wenn wir uns mal mit der Verkorkstheit des Menschen beschäftigen – und du kannst übrigens bei dir persönlich anfangen, das reicht völlig –, viel komplizierter, als wir uns das vorstellen. Wir sind viel verlorener, als wir uns das eingestehen. Wenn Gott sich aus unserer Perspektive also komisch anstellt, um die Welt zu retten, dann liegt das vor allem daran, dass wir selber als Menschen komisch sind. Wenn wir ihn für ein bisschen dumm halten, dann nur deshalb, weil wir nicht im Ansatz verstanden haben, wie tief wir als Menschheit im Dreck sitzen.
Wisst ihr, allein die Tatsache, dass wir uns für so schlau halten, die Methoden Gottes beurteilen zu wollen, zeigt doch schon, wie hoffnungslos unser Ego in der Selbstüberschätzung feststeckt. Wir sind, wie die Bibel sagt, Kinder des Zorns, dazu verdammt, das Böse zu säen und zu ernten. Es ist schwer, fast unmöglich, uns noch zu retten. Wir können es nicht. Und seien wir von Herzen dankbar dafür, dass Gott uns sieht und dass Gott einen Weg geschaffen hat, das, was bei den Menschen unmöglich ist, zu erreichen.
Und auch wenn ich jetzt mit den Teenies rausgehe: Ihr dürft das beim Abendmahl feiern. Amen.