Der fröhliche Geber

Konrad Eißler
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Berechnende Geber haben wir genug und mürrische Geber gibt es die Fülle, aber einen fröhlichen Geber hat Gott lieb. Paulus vergleicht ihn mit einem Bauern, der sieht, der sät und der sammelt. - Predigt zum Erntedankfest aus der Stiftskirche Stuttgart


Der fröhliche Geber ist gefragt. Der fröhliche Geber ist gesucht. Der fröhliche Geber ist gerufen. Paulus will fröhliche Geber, liebe Gemeinde.

Deshalb winkt er nicht mit dem Ablass, so wie zum Beispiel der Dominikanermönch Johann Tetzel. Der ging mit der Vergebung hausieren und verkaufte Gnade ums Geld.”Wenn die Münze im Beutel klingt, die Seele aus dem Feuer springt.” Der Ablass jedoch macht nur berechnende Geber, Paulus will aber fröhliche Geber.

Deshalb schwingt er keine Kollektenreden, so wie zum Beispiel der Barfüßer Abraham a Sancta Clara. Der erfand immer neue Taschenzieher und erleichterte die Brieftaschen der Messebesucher: “Geben Sie das Doppelte von dem was Sie vorhatten, dann ist es genau die Hälfte von dem, was Sie geben sollten.” Die Kollektenrede je­doch macht nur gezwungene Geber, Paulus will aber fröhliche Geber.

Deshalb lässt er keinen Hut durch die Reihen gehen, so wie zum Beispiel Friedrich von Bodelschwingh. Der wollte für seine Anstalt Geld und bekam seine Kopfbedeckung fast leer zurück. “Ich danke Ihnen meine Herrn, dass Sie mir wenigstens meinen Hut wieder zurüokgegeben haben”, sagte er. Das Hütekreisen macht nur mürrische Geber, Paulus will aber fröhliche Geber.

Deshalb schenkt er keinen Alkohol aus, so wie zum Beispiel der Festwirt im Bierzelt. Der Gast spendiert Runde um Runde und hält den ganzen Stammtisch frei. “Ein Prosit der Gemütlichkeit”. Der Alkohol jedoch macht nur lustige Geber, Paulus aber will fröhliche Geber.

Deshalb schreibt er einen Brief, so wie er schon viele Briefe geschrieben hat. Dieser zweite Korintherbrief ist aber kein Bettel­brief geworden, so mit herzangreifender Notlagenschilderung und beigelegter Zahlkarte. In einem sehr persönlich und seelsorgerlich gehaltenen Schreiben fügt der Apostel zwei Kapitel über eine Geldsammlung für Jerusalem ein. Die korinthischen Christen sollen begreifen: Berechnende Geber haben wir genug. Gezwungene Geber sind in der Mehrzahl. Mürrische Geber gibt es die Fülle, aber nur einen fröhlichen Geber hat Gott im Auge, nur einen fröhlichen Geber hat Gott gerne, nur einen fröhlichen Geber hat Gott lieb.

Wie der aussieht? Vielleicht so wie der Kaiser in Rom. Der besitzt eine randvolle Goldkammer, die den Reichtum des Riesenreiches wiederspiegelt. Die Finanzierung von Brot und Spielen für das Volk ist ihm ein Kinderspiel. Ist dieser Geber kaiserähnlich? Oder sieht er aus wie der Krösus in Sardes? Der verfügt über einen sagenhaften Königsschatz, den die Adelsfamilie zusammengetragen hat. Die Unterstützung in Katastrophenfällen macht ihm keinerlei Probleme. Ist dieser Geber krösusähnlich? Oder sieht er aus wie der Reeder in Korinth? Der dirigiert eine ganze Flotte, die über die Weltmeere kreuzt. Der Griff in seine Schatulle macht ihn wahrlich nicht zum armen Schlucker. Ist der Geber reederähnlich?

Paulus jedoch vergleicht ihn mit einem Bauern, einem kleinen, einfachen, schlichten Bauern. Schon damals war die Gebefreudigkeit nicht die auffallende Charaktereigenschaft der Betuchten. Je mehr man hat, je mehr man will. Viel Geld macht Fassmenschen, die immer mehr fassen, nicht Quellmenschen, die immer weniger für sich behalten. Der fröhliche Geber aber ist wie ein kleiner Bauer, ein bescheid­ener Landwirt, ein fröhlicher Ackermann. Und von ihm sagt Paulus dies dreifache: Er sieht, er sät und er sammelt.

1. Er sieht

Der Bauer geht durch sein Haus. Im Keller lagern die Kartoffeln und die Rüben; auch die Äpfel und Birnen sind auf den Holzrösten gut aufbewahrt. In der Kammer stehen die Gläser mit eingemachten Johannesbeeren und Pfirsichen; die gedörrten Zwetschgen hängen in einem Sack an der Wand. In der Scheune ist das Heu bis unters Dach geschichtet, das Stroh lagert in dicken Ballen in der Ecke. Und auf dem Speicher ist Korn ausgeschüttet, Weizen und Gerste und Roggen und Hafer. Der Bauer sieht das alles. Er sieht nicht zurück und schimpft, dass in diesem Jahr die Kirschen überhaupt nicht geraten sind und die Apfelernte auch schon besser war. Er sieht auch nicht hinüber und schielt, dass der Nachbar zwanzig Sack mehr und fünfzig Butten weiter in den Hof einfahren konnte. Er sieht erst recht nicht vorwärts und überschlägt, ob denn der Vorrat angesichts der Preissteigerungsraten zum Lebensunterhalt überhaupt ausreicht. Nein, der Bauer sieht die Gaben, er faltet die Hände und dankt. “Ich habe in allen Dingen allezeit volle Genüge.”

Sicher haben die meisten von uns keine Landwirt­schaft. Aber um uns herum, in Kühltruhen und Gefrierschränken, in Lagerhallen und Geschäftsbetrieben, in Schaufenstern und Ladenregalen, ist alles randvoll. Das Beste vom Besten aus aller Herren Länder ist feilgeboten. Sonderangebote überschlagen sich. Sehen wir das noch? Oder sehen wir nur zurück und schimpfen, dass in diesem Jahr der Salat untergepflügt und die Pilze verstrahlt worden sind? Oder sehen wir nur hinüber und schielen, dass der Kollege 80 Mark mehr verdient und den schnelleren Wagen fährt? Oder sehen wir nur voraus und überschlagen, ob denn unser Sparbüchlein als finanzielles Polster ausreicht? Sehen wir doch endlich wieder das an, was dieser gute Gott an guten Gaben bereitgestellt hat! Der Erntealtar will uns bei dieser Sehübung behilflich sein. Dann entdecken wir nämlich, dass zwischen allen herzerfrischenden Erntegaben noch eine unaussprechliche Gottesgabe liegt, nämlich sein Sohn Jesus Christus. Er ist das Lebensmittel schlechthin, das Mittel zum Leben. Wir leben eben nicht nur von Kalorien allein,sondern von den Wärmeeinheiten dieses Herrn, die von dem Kreuz auf Golgatha ausgehen. Kraft ist da, die gerade in den Schwachen und Elenden ihre Energie entwickelt. Liebe ist vorhanden, die sich des Ungeliebten und Weggestoßenen besonders annimmt. Freude ist spürbar, die auch in allem Leid und Unglück nicht wegzudiskutieren ist. Friede ist geschlossen, der einen Zu­gang zum Vater ermöglicht. Hoffnung ist da, die dem Tod das letzte Wort streitig macht. Alles ist bereitgestellt, was zum Leben und Sterben nötig ist.

Wer das sieht, wird gar nichts anders können, als die Hände zu falten und zu danken: Gott sei Dank für seine Essensgaben. Gott sei Dank für seine Lebensgaben. Gott sei Dank für seine unaussprechliche Gabe in Jesus. “Ich habe in allen Dingen allezeit volle Genüge.”

Er sieht, das ist das Erste, und das Zweite: Er sät.

2. Er sät

Der Bauer geht aus dem Haus. Ein schwerer Sack liegt auf seinen Schultern. Das Saatgut wird auf den Wagen gewuchtet. Schon im Herbst hat er es gleich auf die Seite getan. Diese Körner sind kein minderwertiges Übrigbleibsel vom letzten Dreschtag, wo man es auf der Tenne zusammengefegt hat. Qualitätsgetreide ist das vom besten Acker. Am liebsten hätte die Bäurin davon ge­nommen und ihr knuspriges Holzofenbrot daraus gebacken. Aber jed­er im Hof wusste: Das ist nicht für den Hausgebrauch. Das ist nicht zum eigenen Verzehr bestimmt. Das ist Saatgut für das Frühjahr. Dann marschiert der Landwirt übers Feld, wahrscheinlich nicht so romantisch wie in Haydns Jahreszeiten, wo er in langen Furchen schreitet und dem Pfluge flötend nachgeht, aber doch gelöst und frohgemut. Mit vollen Händen wird hier ausgestreut, denr wer beim Aussäen spart, spart bestimmt an der falschen Stelle. Das Korn ist ja nicht weg, sondern geht auf, zwanzigfältig, sechzigfältig, hundertfältig.

Aussäen, verteilen, hergeben ist ein fröhliches Geschäft - warum haben wir ein Trauerspiel daraus gemacht? Sicher tun wir auch etwas auf die Seite. Wir legen es sogar auf die hohe Kante oder zahlen alles auf das Konto ein. Der kluge Mensch baut vor. Aber dass wir davon etwas weggeben sollten, passt uns überhaupt nicht in den Strumpf. Ein Übrigbleibsel schon, alte Kleider vom Vater und abgetragene Schuhe von den Kindern, ein Trinkgeld, ein Almosen, eine Spende, gewiss, schließlich sind wir keine Knigger, aber Qualität, vom Besten, Wertsachen? Wahrscheinlich sind wir nirgends so gebunden, wie wenn es um Geld und Gut geht. Kleb ist dran, viel stärker als Pattex und Uhu-hart, der uns an allem kleben lässt. Paulus fragt nach dem Spendensack, auf dem steht: Nicht für den Hausgebrauch. Paulus fragt nach dem Geldscheck, auf dem verfügt ist: Nicht zum eigenen Verzehr. Paulus fragt nach der Zeit, der Liebe, Zuwendung, die wir als Saatgut für andere bereits teilen. Gott hat sogar seinen einzigen Sohn als Weizenkorn in den Acker dieser Welt gelegt. Wie der Bauer sollen wir mit vollen Händen ausstreuen, denn wer da kärglich sät, der wird auch kärglich ernten. Die Gabe geht ja nicht unter, sondern geht auf.

Normalerweise ist eins minus eins gleich null. Aber hier geht es nicht nach Adam Riese, sondern nach dem lebendigen Gott. Und bei ihm kann aus eins minus eins zwei, vier, acht, sechzehn oder gar zweiunddreißig werden. Das ist die himmlische Mengenlehre, die wir im Rechenbuch der Natur lernen müssen. Aus einer Kartoffel werden 10 Kartoffeln, aus einem Korn werden fünfzig Körner, aus einem Kern ein ganzer Baum. Geben ist kein Geld-zum-Fenster-hinausschmeißen. Geben ist kein Wegwerfen auf Nimmerwiedersehen. Geben ist kein Geben á fonds perdu, ins Nichts hinein. Geben ist Säen und zur Saat gibt Gott immer genug. Wer zum Weitergeben bereit ist, der wird auch immer die Möglichkeit dazu haben. Man kann es auf diesen Gott riskieren, eine offene Hand zu haben. Er sät, und das letzte:

3. Er sammelt

Der Bauer geht in das Haus. Draußen sind die Felder abgeerntet und die Herbstnebel ziehen über das Land. Die Früchte werden gesammelt und gelagert. Der Großvater hatte zu Lebzeiten immer noch den Psalter aufgeschlagen und laut vorgelesen: “Es warten alle auf dich, dass du ihnen Speise gebest zur rechten Zeit. Wenn du ihnen gibst, so sammeln sie, wenn du deine Hand auftust, so werden sie mit Gutem gesättigt.” Die Jungen auf dem Hof haben diesen schönen Brauch aufgegeben, aber das wissen sie auch noch. Die Arbeit war nicht umsonst. Das Säen hat sich gelohnt. Eine reiche Ernte wurde uns geschenkt.

Liebe Gemeinde, die Arbeit ist nie umsonst. Das Weggeben lohnt sich immer. Eine reiche Ernte wird geschenkt, wenn auch nicht zuerst beim Geber, sondern beim Empfänger. Die Frucht der Dankbarkeit wird dort in die Scheunen eingefahren. Wie war es denn genau vor vierzig Jahren? In der französischen Besatzungszone hatten wir Hunger, Bärenhunger. Mit dem Handkarren zogen wir hinaus auf die Dörfer, um ein paar Lebens­mittel zu erbetteln. Die Mutter weinte, als sie uns Buben die Kartoffelscheiben rationieren musste. Und dann kam die Post. Ein Carepaket wurde abgegeben. Wie die Wölfe stürzten wir uns auf dieses Geschenk und rissen die Papiere auf: Kaffee, Kakao, Kaugummi, richtige Himmelsgaben. Aber sie waren ja gar nicht vom Himmel gefallen, sondern von Amerika geschickt. Unbekannte Christen mit ihren offenen Händen bewirkten bei uns dankende Hände, denn meine Mutter betete über diesen Herrlichkeiten: “Danket dem Herrn, denn er ist freundlich.”

Was tun wir heute, damit andere auch so danken können? In diesem Land fehlt der Reis und in jenem das Wasser, in diesem Gebiet mangelt es an Freiheit und in jenem an Gerechtigkeit. In diesem Haus fehlt es an Liebe und in jenem an Frieden. Diese Mängel sollen behoben werden, das heißt, sie sollen von uns angegangen werden, damit viele Schwarze und Weiße, Alte und Junge, sogar Kranke und Schwache Gott wieder danken, dass sie frei und fröhlich werden, dass sie mit Gott nicht mehr hadern oder rechten müssen, sondern ihm dankbar gegenübertreten können. Danksagung ist das Ziel des Erntedankfestes.

Und einmal, liebe Freunde, werden alle Mängel behoben sein. Einmal werden alle Nöte beseitigt sein. Einmal werden alle Schrecken nicht mehr sein. Das ist dann das letzte Erntedankfest, auf das wir alle zugehen. Fröhliche Geber wissen darum und beten deshalb: “Am End nimm, Jesu, in die Himmelsscheuern auch unsre Seelen, Ruhtag dort zu feiern. Die hier mit Tränen streuen edlen Samen, werden mit Freuden droben ernten. Amen.”

[Predigtmanuskript; nicht wortidentisch mit der Aufnahme]