Psalm 84, wer hat besser besprochen: Wie lieblich sind deine Wohnungen, Herr Zebaoth!
Und jetzt kommt der heutige Text: Meine Seele verlangt und sehnt sich nach den Vorhöfen des Herrn. Mein Leib und meine Seele freuen sich im lebendigen Gott.
Denn der Vogel hat ein Haus gefunden und die Schwalbe ihr Nest, wo sie ihre Jungen hat, nämlich bei deinen Altären, Herr Zebaoth, mein König und mein Gott!
Die Freude des ganzen Menschen im lebendigen Gott
Ich möchte zuerst den Vers 3b besprechen: „Mein Leib und meine Seele freuen sich in dem lebendigen Gott.“
Das ist wunderlich, nicht wahr? Wenn da steht, die Seele freut sich, verstehen wir das noch. Aber wenn es heißt „Leib“, will der Psalmist sagen: der ganze Mensch, nicht nur von der Haarspitze bis zur Fußspitze, freut sich im lebendigen Gott. Dieses Wort spricht von der Vitalität eines echten Christen.
Ich wurde einmal aufgefordert, in der Staatsbauschule, als ich noch Studentenpfarrer dort war, einen Vortrag zum Thema „Warum sind die Menschen so langweilig?“ zu halten. Da habe ich gesagt, darüber möchte ich gern sprechen. Ich wäre beinahe an der Frage hängen geblieben, dass die Menschen tatsächlich unsagbar langweilig sind. Ist die Menschheit nicht ein trantütliches Geschlecht?
Dann habe ich gesagt: Erst wenn ich tatsächlich eine Wiedergeburt erlebe, durch den Eingriff Gottes in mein Leben, dass ich ein Kind Gottes werde, dann hört die Langeweile auf. Es gibt eine geistliche Vitalität, und es gibt eine natürliche Vitalität.
In Maleachi 3 zum Beispiel heißt es: „Ihr werdet aus- und eingehen und hüpfen wie die Mastkälber.“ Ich denke an David, der vor der Bundeslade her gesprungen und getanzt hat, so dass seine Frau Michal ihn verachtete. Da spürt man etwas davon.
Oder wenn Paulus im Gefängnis schreibt: „Freut euch im Herrn allewege, und abermals sage ich: freut euch!“ Er beginnt mit Silas, obwohl sie geschlagen und gegeißelt im untersten Kerker sind, um Mitternacht Lobgesänge zu singen. Da spürt man etwas vom explosiven Wesen eines wiedergeborenen Christen.
Das meint der Psalmist, wenn er sagt: „Mein Leib und meine Seele, der ganze Mensch freut sich im lebendigen Gott.“ Ich hoffe, dass Sie sich bei jedem Satz, den ich dazu sage, fragen: Habe ich das auch? Ist das bei mir der Fall?
Wenn ich diesen Satz lese, den ich unendlich liebe – „Mein Leib und meine Seele freuen sich im lebendigen Gott“ –, dann kommt es mir vor, als spüre ich etwas von dem Glanz der ersten Schöpfungstage vor dem Sündenfall. Wie die ganze Schöpfung, die aus der Hand Gottes hervorgegangen ist, ihm zujauchzt. Und dann der erste Mensch, der die Augen aufschlägt, als Gott ihm seinen Odem einbläst – der war sicher: „Mein Leib und meine Seele freuen sich im lebendigen Gott.“
Inzwischen ist der Sündenfall geschehen, und wir leben in einer Welt, in der der Teufel regiert und die Menschheit sich vom lebendigen Gott entfernt hat. Da gibt es keine Freude mehr. Die brauchen Karneval mit Suff und Nacher, sonst können sie es gar nicht aushalten. Gönnen Sie es ihnen, aber machen Sie bitte nicht mit.
Aber es gibt in dieser gefallenen Welt eine Gemeinde Jesu Christi, eine wiedergeborene Gemeinde. Bei ihr bleibt dieses Lob, das vor dem Sündenfall da war, bestehen: „Mein Leib und meine Seele freuen sich im lebendigen Gott.“
Das zieht sich durch die ganze Bibel. Das wäre eine eigene Bibelarbeit wert. Es geht weiter bis zur Offenbarung in der Neuen Welt. Lesen Sie mal die letzten Kapitel der Offenbarung, wo von der Neuen Welt die Rede ist, in der es keine Sünde, keinen Tod und kein Leid mehr gibt. Dort heißt es ebenso: „Mein Leib und meine Seele freuen sich im lebendigen Gott.“
Darf ich das Wörtchen „lebendiger Gott“ dabei besonders unterstreichen? Ob das alles ankommt? Lebendiger Gott!
Die Bedeutung des lebendigen Gottes im Glauben
Die Welt kann viel von Gott reden, aber meistens ist dabei nicht vom lebendigen Gott die Rede. Die Propheten sprechen oft über die Götzen. Sie sagen, diese Götzen haben Augen und sehen nicht, sie haben Ohren und hören nicht. Sie sind aus Holz und Stein und können nichts tun. Die Propheten machen sich darüber lustig, dass die Heiden tote, selbstgemachte Götter haben.
Auch die moderne Welt hat ihre selbstgemachten Götter, ebenso wie die christliche Welt. Vor zwei Jahren ist zum Beispiel ein Buch von einem englischen Bischof namens Robinson erschienen. Es trägt den Titel „Gott ist anders“ und ist in deutscher Sprache erhältlich. Dieser Bischof sagt, die Vorstellung eines jenseitigen Gottes, der außerhalb der Welt steht, sei natürlich und ein Mythos. Er definiert Gott als „die Tiefe des Daseins“. Können Sie sich darunter etwas vorstellen? Ich auch nicht.
Das ist doch Geschwätz, kein lebendiger Gott. Ich habe oft den Eindruck, dass man hier unter uns von Gott reden kann, ohne dass es um die echte Begegnung mit dem lebendigen Gott geht. Es fehlt der Schrecken und die Freude darüber, dass Gott wirklich da ist und lebt. Es ist unheimlich, dass man das Wort „Gott“ und den Begriff „Gott“ benutzen kann, ohne dass dahinter die Begegnung mit dem lebendigen Gott steht.
Ich kann mich nicht an einem Gottesbegriff freuen, der „die Tiefe des Daseins“ nennt. Mein Leib und meine Seele freuen sich am lebendigen Gott. Der große Geist, der Mathematiker Pascal, hat das wunderbar ausgedrückt. Er hat in seinen Rock eine Art Bekenntnis eingenäht, das man bei seinem Tod fand. Darin steht, dass Gott nicht der Gott der Philosophen und Gelehrten ist, sondern der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs. Das ist wundervoll ausgedrückt.
Dieser Gott hat gehandelt, gesprochen, gerufen und in Menschenleben hineingewirkt. Das ist der Gott, der gemeint ist. Fragen Sie sich einmal, ob Sie den lebendigen Gott kennen.
In diesem Jahr wird mir besonders bewusst, wie sehr gerade das im Alten Testament die Gelehrten ärgert: dass Gott so menschlich ist und zornig sein kann. Gerade das ist das Großartige daran, dass er ein lebendiger Gott ist. Ein Gott, der mich zerschlagen kann, der böse auf mich sein kann, der sich aber auch umdreht, wenn ich ihn anrufe, und mich in seine Arme nimmt.
Verstehen Sie, dieser Gott ist ein Du, dem ich gegenüberstehe. Manchmal, wenn ich morgens aufwache, bin ich glücklich, dass ich mich nicht mit Religion belasten muss. Ein lebendiger Gott ist ein Du, dem ich mit dem ersten Atemzug guten Morgen sagen kann. So kann ich sagen: Herr, ich danke dir, dass ich aufwachen darf und dass immer noch gilt, dass ich dein Kind bin.
Man ärgert sich an den Geschichten der Bibel nur, wenn man einen Gottesbegriff hat, der ein Dogma oder eine Lehre ist – einen ausgehöhlten, selbstgemachten Gott. Dann ärgert man sich an der Lebendigkeit Gottes, die uns in der Bibel gezeigt wird.
Mir fällt dazu wieder Gottfried Krummacher ein, der Erweckungsprediger aus Wuppertal, von dem Professor Toluk sagte, er sei ein Liebhaber der Torheit Gottes. Was den Menschen in der Bibel ärgert und töricht erscheint, das ist gerade das Schönste. Denn hier wird deutlich, dass wir es mit einem lebendigen Gott zu tun haben, der handelt.
Ich möchte nicht vierzig Jahre Pfarrer sein, wenn ich nicht mit einem lebendigen Gott rechnen dürfte. Viele von Ihnen sind doch ein Beweis dafür, dass Gott in Menschenleben eingreifen kann, sie herausholt und an ihnen wirkt.
Verstehen Sie, ich möchte so gern betonen, dass es sich um einen lebendigen Gott handelt. Nur im lebendigen Gott kann man sich wirklich freuen.
Die Heimat der Seele in Gottes Altären
Jetzt kommt der zweite Teil. In Vers 4 wird der Grund genannt, warum man sich im lebendigen Gott freuen kann. Der Vogel hat ein Haus gefunden und die Schwalbe ihr Nest, da sie Junge hecken, nämlich deine Altäre, Herr Zebaut, mein König und mein Gott.
Ist Ihnen aufgefallen, dass der Vers, den wir eben besprochen haben, nach unserem Gefühl so heißen müsste: „Mein Leib und meine Seele freuen sich am lebendigen Gott“? Ich freue mich an meiner Frau, ich freue mich an dem guten Essen – nicht „ich freue mich an“. Aber hier heißt es: „Ich freue mich nicht an Gott, sondern mein Leib und meine Seele freuen sich im lebendigen Gott.“ Das heißt, diese Freude kennt man erst, wenn man völlig eins geworden ist mit Gott, wenn man völlig in Frieden mit ihm ist.
Ein unbekehrtes, unwiedergeborenes Herz kennt den Frieden mit Gott nicht. Darum hat es immer im Grunde Angst vor Gott. Wenn Atheisten bestreiten, es gäbe gar keinen Gott, dann sage ich: Ihr habt bloß Angst vor ihm, darum darf es ihn nicht geben. Ich kann mich im lebendigen Gott nur freuen, wenn ich völlig in Frieden mit Gott bin.
Hier in Vers 4 wird nun gesagt, wie ich zum Frieden mit Gott komme – also der zweite Teil: Der Vogel hat ein Haus gefunden, die Schwalbe ihr Nest, da sie Junge hecken kann. Das ist wundervoll, der Vergleich des Psalmisten, seine Seele oder sein Herz mit einer unruhigen Schwalbe.
Ich weiß nicht, ob Sie das mal schon erlebt haben, so auf dem Land. Als Kinder haben wir das immer gesehen, wenn wir in den Ferien waren, wie in der Scheune meines Großvaters die Schwalben hereinschossen, den Jungen etwas brachten und wieder rausschossen. Das war eine ewige Unruhe. Oder wenn Sie mal an so einem schönen Abend die Schwalben fliegen sehen, da kann man gar nicht mehr mit den Augen folgen. Das geht rascher als Tischtennisbälle, nicht? Es ist eine merkwürdige Unruhe über den Schwalben.
Nun vergleicht der Psalmist sein Herz mit so einer Schwalbe. Es ist voll Unruhe. So ist es doch, oder? Was bringen wir heute Abend an innerer Unruhe hier mit rein? Gedanken, Sorgen, Nöte, Anfechtungen, Sünden, Schuld – eine Herzensunruhe. Wir sind von Natur friedelos wie eine herumfliegende Schwalbe.
Dann sagt der Psalmist: Mein unruhiges Herz ist zur Ruhe gekommen, hat eine Heimat gefunden. Die Schwalbe hat ihr Nest gefunden, wo sie Junge hecken kann. Verstehen Sie das Gleichnis jetzt? So hat meine Seele, meine unruhige Schwalbenseele, eine Ruhestätte gefunden an den Altären Gottes.
Nun muss ich die Altäre Gottes erklären. Sehen Sie, das ist ja ein alttestamentlicher Psalm, den spricht ein Mann im Blick auf den Tempel. Aber alles im Alten Testament ist Weissagung und Vorbild auf den Herrn Jesus hin, aufs Neue Testament. Darum sind die Altäre im Tempel, an denen der Psalmist zur Ruhe kam, Vorbild auf neutestamentliche Dinge.
Im Tempel gab es zwei Altäre. Der eine stand im Vorhof, das war der große Ehrenaltar, auf dem die Schuldopfer dargebracht wurden. Wenn sich einer in Israel versündigt hatte, dann brachte er ein Lamm, das geschlachtet und auf diesem Altar verbrannt wurde. Hier findet die Versöhnung statt.
Wenn es nicht so außerordentliche Opfer waren, dann brannte immerzu ein Opfer auf diesem Altar, nämlich ein Lamm. Es wurde nur gewissermaßen abgeräumt für besondere Schuld- und Sündopfer. Aber wenn sonst kein Opfer war, brannte hier bei kleinem Feuer ein Lamm.
Das Opfer wurde morgens gerichtet und abends gerichtet. Diese Rauchsäule von dem Opfer stieg Tag und Nacht auf – das Lamm, auf das gleichsam die Sünde und Schuld Israels gelegt war und das nun stellvertretend starb.
Wenn in Israel jemand Angst hatte und dachte: Wie stehe ich mit Gott? – dann schaute er sich um und sah die Rauchsäule und wusste, dass das Versöhnungsopfer brennt. Da ist Vergebung. Das Lamm ist an meiner Stadt gestorben.
Nun wissen wir hoffentlich, dass Johannes der Täufer auf Jesus zeigte und sagte: „Siehe, da Gottes Lamm, welches der Welt Sünde trägt.“ So ist dieser Opferaltar im Vorhof des Tempels ein Abbild unseres Altars, nämlich das Kreuz von Golgatha.
Wir reden verkehrt, wenn wir das Ding da drüben Altar nennen. Sie haben ja auch nicht viel Respekt davor. Es ist auch nicht als Garderobe verwendet. Ein richtiger lutherischer Pfarrer würde wahrscheinlich einen kleinen Schlaganfall kriegen, aber es ist ganz in Ordnung.
Unser Altar ist Golgatha, und das Opferland, das hier geopfert wird, ist der Sohn Gottes. Es ist für die Seele allein friedenbringend, wenn ich weiß, der hat die Weltschuld weggetragen – also auch meine.
Hier ist wirklich Vergebung der Sünden. Dieses Kreuz gibt wirklich Versöhnung mit Gott. Das Opferlamm gilt.
Sehen Sie, hier kommt unsere unruhige Seele zur Ruhe am Kreuz Jesu. Ich kann Ihnen sagen: Wenn ich das nicht wüsste, dass der Sohn Gottes wirklich die Weltsünde weggetragen hat, dass sein Blut wirklich der Kaufpreis ist, völlig bezahlt, dass ich für Gott erkauft bin und ich nur noch annehmen brauche, dass der Blick auf dieses Kreuz wirklich die Annahme des Friedens mit Gott bedeutet, dann könnte ich nicht leben.
Hier kommt unsere unruhige Seele wirklich zufrieden zur Ruhe. Das Vaterhaus ist immer da, wie wechselnd auch die Lose sind. Das Kreuz von Golgatha ist Heimat für Heimatlose. Und wir sind alle solche Heimatlosen, nicht wahr?
Sehen Sie, in meinem Leben hat dieser Vers eine ganz besondere Rolle gespielt: „Der Vogel hat ein Haus gefunden und die Schwalbe ihr Nest, deine Altäre, Herr Zebaut, mein König und mein Gott.“ Das war am 5. März 1943, als über Essen der erste große, schreckliche Fliegerangriff ging und da brannte mein Haus in der Weigelstraße ab.
Am Morgen dieses Tages saßen wir – meine Frau und meine Kinder, die damals noch klein waren, und ich völlig abgebrannt, verrußt, dreckig, mit dem einzigen Anzug, den man hatte – bei meinem Vikar Schauen. Wir wussten nicht, wohin. So ist es ja vielen von uns ergangen, nicht?
Es erschütterte mich: Nun bin ich also wirklich richtig heimatlos, arm und heimatlos. Dann haben wir bei meinem Vikar Schauen – manche kennen ihn noch – gefrühstückt. Und dann sagt er: „Nun wollen wir die Losung lesen.“
Die Losung an diesem Tag hieß: „Der Vogel hat ein Haus gefunden und die Schwalbe ihr Nest, deine Altäre, Herr Zebaut, mein König und mein Gott.“ Und da konnten wir sagen, Kinder, wir sind nicht heimatlos.
Und wenn die Welt unter uns zusammenbricht, so ist es das Kreuz von Golgatha, Heimat für Heimatlose. Da sind wir immer zu Hause.
Die Bedeutung des zweiten Altars und des Gebets
Warum sind viele von Ihnen im Grunde genommen noch heimatlose Menschen, mit einer unruhigen und friedelosen Seele? Das Kreuz Jesu, dieser Altar Gottes, wartet doch auf uns alle, nicht wahr? Von dort strömt Friede herab wie ein Strom und Gerechtigkeit, die Gott uns schenkt wie Meereswellen. Ich hoffe, wir haben das verstanden.
Nun steht da von dir: Altäre, im Plural. Es gab im Tempel tatsächlich mehr als einen Altar. Schauen Sie einmal: Im Tempel gab es drei Bereiche. Zuerst den äußeren Vorhof, in dem sich der große Versöhnungsaltar befand. Danach kam ein Raum, das Heilige, in das nur die Priester eintreten durften. Und schließlich das Allerheiligste, ein ganz dunkler Raum, in dem die Bundeslade stand, der Gnadenstuhl.
In diesem zweiten Raum, dem Heiligtum, in das nur die Priester eintreten durften, stand unter anderem der siebenarmige Leuchter. Er ist ein Bild der Gemeinde Jesu Christi, die leuchten soll. Unter diesem Leuchter befand sich ein kleiner goldener Altar. Auf diesem Altar wurde morgens, mittags und abends ein Rauchopfer dargebracht.
Als Zacharias im Tempel war und der Engel des Herrn ihm erschien, um ihm zu verkünden, dass er einen Sohn haben würde, stand er an diesem goldenen Räucheraltar. Dieses Räucheropfer bestand nicht aus Blut, sondern aus Weihrauch. Es symbolisierte gewissermaßen die Gebete der Gemeinde.
Dieser goldene Altar war also ein Symbol für das Gebet, das vor Gott wie ein Rauchopfer aufsteigt. Ach, meine Freunde, dieses Rauchwerk war ein edler Duft, nicht wahr? Man könnte meinen, die Gebete der Kinder Gottes seien oft gar nicht schön. Im Psalm heißt es: „Ich schreie zu dir“, und „Ich bin zermalmt, ich liege im Staube“ – das klingt nicht ästhetisch schön. Doch vor Gott ist es köstlicher Weihrauch.
Wenn unser Herz seufzt und schreit, wirst du bald erweicht, heißt es in einem Lied. Wenn unser Herz seufzt und schreit, ist das köstlicher Weihrauch vor Gott.
Sehen Sie, der zweite Altar zeigt uns, dass wir beten dürfen. Darum kann sich ein Herz am lebendigen Gott freuen, denn ich kann mit diesem lebendigen Gott reden. Man hat gesündigt und hat keinen Mut, vor Gott zu treten – wie dumm ist das! Er ist ein lebendiger Gott. Ich kann ihm sagen: Herr, du weißt, was für ein elendes Kind ich bin, aber ich gehöre dir, denn du hast mich erkauft. Herr, siehst du, wie trostlos alles in meinem Leben ist? Ich kann ihm alles sagen.
Darum kann ich mich am lebendigen Gott freuen, weil ich ihm mein Herz ausschütten kann. Tun Sie das eigentlich? Dazu braucht man allerdings Stille.
Es ist merkwürdig: Wenn ich anfangen will zu beten, dann klingelt das Telefon. Wenn ich hingehe, ist die Leitung falsch verbunden oder ähnliches. Ich wollte eine andere Nummer wählen. Der Teufel ist darauf aus, uns diese Stille nicht finden zu lassen. Darum muss man ein wenig darum kämpfen.
Die Paradoxie des Christenstandes zwischen Gewissheit und Sehnsucht
Und ich muss noch kurz ein Drittes sagen. Es ist furchtbar, aber sehen Sie, ich bin so selten dran, dass ich es ein bisschen ausnutzen muss und darum fünf Minuten länger dauern darf. Wer einschlafen will, darf es tun, aber ich muss noch ein Drittes sagen.
Alles, was ich bisher gesagt habe, klingt doch: „Ich hab’s, ich hab’s! Meine Seele freut sich im lebendigen Gott, mein König und mein Gott!“ Ha, Sie wissen, anders als tief im Dasein, da fahren alle Theologen sofort auf. Seit ich sie kenne, seit meiner Studienzeit, sagen sie: „Hast du es aber nicht in der Tasche, hast du es aber nicht in der Tasche!“ Doch hier steht: „Mein Gott!“ Ich fliege dann immer zu sagen: Darauf kommt es auch gar nicht an, sondern darauf, dass er mich in seiner Tasche hat, nicht, dass ich ihn in meiner Tasche habe – und das hat er!
Ja, aber es gibt eine falsche Sicherheit. Da sei hier. Da ist alles Gewissheit in diesen Versen, nicht? Der Vogel hat ein Haus gefunden, einen Ruheort, deine Altäre. Ich bin versöhnt am Kreuz Jesu, ich kann ihm mein Herz ausschütten, habe ich. Es gibt gar keine Hemmungen: „Mein König, mein Gott!“ – lauter Gewissheit.
Und darum ist es geradezu verblüffend, dass dieser Vers mit dieser strahlenden Gewissheit anfängt: „Meine Seele verlangt“ – und es heißt wörtlich: „verzehrt sich nur nach den Vorhöfen des Herrn.“ Das spricht doch jemand, der ganz fern ist, nicht? „Wenn ich nur die Vorhöfe sehen könnte, danach verzehre ich mich!“ Und auf einmal ist alles voll strahlender Gewissheit: „Ich hab’s!“
Nun, die Ausleger sagen natürlich mit Recht, das dichtet ein Mann aus Israel, der in der Ferne ist und sich nach dem Tempel sehnt. Aber das klappt dann doch nicht ganz, denn dann könnte er nämlich nicht gleich wieder sagen: „Ich freue mich so an den Altären da.“ Nicht? Na, meine Freunde, hier sind wir an einem Geheimnis des Christenstandes.
Ein richtiger, wiedergeborener Christ ist ein Mensch, der alles ganz gewiss hat. Er kann sagen: „Mein König und mein Gott, er hat mich erkauft, sein Blut ist für mich geflossen, ich bin versöhnt, meine Sünden sind vergeben, er hat es mit dem Heiligen Geist versiegelt, dass ich ihm gehören darf. Ich darf mein Herz ausschütten.“ Das ist ein richtiger Christ.
Und zugleich weiß ein richtiger Christ: „Ich habe es eigentlich noch gar nicht. Das Beste kommt noch.“ Darum bin ich froh, dass ich 68 bin. Ich bin nicht mehr weit davon entfernt. Wenn ich sterbe, dann will ich in dem Augenblick, wo ich sterbe, meine Augen aufschlagen an ihm, der wirklich mein König und mein Gott ist.
Das ist die Paradoxie des Christenstandes: Ich habe alles, alles in dir, Herr Jesus Christus, aber ich verzehre mich danach, dass ich es richtig hätte. „Ach Herr, wenn ich doch dich sehen könnte! Ach Herr, wenn ich doch richtig geheiligt wäre! Ach Herr, meine Sünde ist noch so mächtig! Ach Herr, ich bin oft so traurig! Ich bin oft so ungläubig! Ich bin oft so draußen vor der Tür!“
Verstehen Sie, das gehört beides zusammen. Da sagt ein Weltmensch: „Das klappt doch nicht! Du kannst doch nicht sagen, ich habe das Portemonnaie voll Geld und ich bin ein armer Kerl.“ So, so spricht ein Christ. Es ist doch so die praktische Erfahrung: Ich könnte manchmal an meinem ganzen Christenstand verzweifeln. Und dann schlage ich die Bibel auf und dann kann ich singen: „Mein Leib und Seele freuen sich am lebendigen Gott!“ Und das ist doch wahr.
Lassen Sie mich ein Beispiel brauchen: Eines der großen Erlebnisse meiner Amerika-Reise war für mich der Rückflug. Wir flogen abends weg, und dann hatten wir bloß zwei Stunden Nacht, weil mir die Sonne immer überrundet. Das ist ja furchtbar komisch: Auf einmal haben wir Abendbrot gegessen, und dann ist es auf einmal dunkel, und sie löschen all die Lichter. Ich war der Einzige, der noch gelesen hat, und auf einmal sehe ich, um mich herum schläft alles.
Da habe ich mir nicht ausgemalt, sondern mal gedacht: Also zwölf Kilometer leere Luft unter mir sind, und dann kommen etwa acht Kilometer tiefe Wasser. Das ist ein grauenvoller Abgrund, und von dem trennt mich also nur so ein Stückchen Boden. Es ist ja unheimlich, die Situation; es wurde mir ganz schwindelig im Gedanken daran, wie man hier im Nichts hängt eigentlich.
Und dann habe ich gedacht: So geht es einem Christen hier. Ich bin geborgen, weil mich Jesus erkauft hat. Ich kann sagen: „Mein König, mein Gott!“ Aber ich bin in diesem Flugzeug über Entsetzen abgerundet hier. Unser Leben ist angefochten, unser Glaube ist so klein, der Herr ist oft so fern. Wir sind so einsam, was weiß ich, alles nicht – das ist die Tiefe des Daseins, diese Abgründe.
Aber darüber schweben wir, in dem Sitzen die hier stehen: „Mein Leib und Seele freuen sich am lebendigen Gott, mein König und mein Gott.“ Aber als ich mir das klar machte, wie ich da über dem Abgrund schwebe, habe ich gedacht: Ich bin dann doch froh, wenn wir landen.
Und da will ich mal sagen: Als Christ bin ich hier geboren im Flugzeug, aber ich freue mich, wenn ich lande, wenn ich in der anderen Welt lande, wo ich ganz anders noch da bin. Ich bin ja derselbe Mensch wie in dem Flugzeug da, nicht? Aber jetzt habe ich festen Boden unter den Füßen, jetzt sind die Abgründe zu Ende, jetzt komme ich wirklich nach Hause.
Diese Paradoxie des Christenstandes, dass wir haben und doch in der Erwartung stehen – verstehen Sie, was ich meine? Dass wir haben und doch in Erwartung stehen, kommt durch die ganze Bibel.
Ich will Ihnen nur ein Beispiel sagen, weil wirklich die Zeit vorbei ist: Da steht im ersten Johannesbrief: „Wer den Sohn Gottes hat, der hat das Leben.“ Wer hat, der hat. Und im selben Brief steht: „Es ist noch nicht erschienen, was wir sein werden. Wir wissen aber, wenn es erscheinen wird, dass wir ihm gleich sein werden, denn wir werden ihn sehen, wie er ist.“
Im selben Brief: „Wer hat, der hat; wer den Sohn Gottes hat, der hat das Leben.“ Und doch ist noch nicht erschienen. Christen sind Leute, die sich auf die zukünftige Welt freuen.
Und ich möchte mich nicht dumm machen lassen von Leuten, die sagen: „Ja, das kommt erst mit der Auferstehung.“ Ich bin überzeugt, dass im Augenblick, wo ich hier die Augen schließe, diese andere Welt sich schon für mich auftut, nicht? „Wir werden ihn sehen, wie er ist.“ Und darauf freue ich mich dann. Das ist die Landung, nicht?