Eine aussichtslose Lage (historischer Hintergrund)
Die Juden befinden sich einer sehr schwierigen, unerfreulichen Lage. Wie sie in diese Situation gerieten, wollen wir nun zuerst anschauen. Das ganze Volk Israel wurde aus seinem Heimatland deportiert. Zuerst unter der Führung des assyrische König Salmanasser, 722 v. Chr., das Nordreich mit seinen 10 Stämmen. 136 Jahre später, wurde Juda unter der Führung des babylonischen Königs Nebukadnezar, 586 v. Chr., nach Babylon verschleppt. Das waren alles Gerichte Gottes über seinem Volk, weil sie seine Gebote nicht befolgten und vor allem, weil sie andere Götter verehrten, obwohl sie Gott durch die Propheten immer wieder warnte. Sie wussten alles, bereits Mose lehrte das Volk: »Ich habe euch klar und deutlich gesagt, dass Gehorsam euch Segen bringt, Ungehorsam aber Verderben. Wenn ihr und eure Nachkommen nun trotzdem die Gebote des HERRN missachtet und zur Strafe vom HERRN, eurem Gott, unter fremde Völker zerstreut werdet, kommt ihr vielleicht dort zur Besinnung, (5. Mose 30,1) Die Verschleppung des Volkes hatte ein Ziel: Gott wollte sein Volk zur Besinnung bringen. Er wollte sie, wenn es auf die sanfte Weise nicht ging, wenigsten auf die harte Weise zur Besinnung bringen, damit er sie retten kann. Sie wählten den harten Weg, indem sie die Warnungen in den Wind schlugen, so wurden sie aus ihrer Heimat vertrieben und mussten unter fremder Herrschaft leben. Jeremias sagte: Euer Land wird in Trümmern liegen. Siebzig Jahre lang werdet ihr und eure Nachbarvölker dem König von Babylonien unterworfen sein. (Jeremia 25, 11)
Nun, lebten die Juden im babylonischen Reich, weit weg von Ihrer Heimat und es gab keinen Weg zurück, wenigsten für die nächsten 70 Jahre nicht. Sie mussten warten, bis sich die Herrschaftsverhältnisse änderten, denn Gott sagte: Ich sage euch: Die Zeit des Babylonischen Reiches ist noch nicht abgelaufen. Es besteht noch siebzig Jahre. Erst wenn die vorüber sind, werde ich euch helfen. Dann werde ich mein Versprechen erfüllen und euch heimführen. (Jeremia 29, 10) So geschah es auch. Die Perser besiegten die Babylonier und übernahmen die Herrschaft. Unter dem Perserkönig Kyros durfte ca. 538 v. Chr. die erste Gruppe von Juden nach Jerusalem zurück, um dort den Tempel aufzubauen.
538: 1. Rückkehr nach Juda
537-516: Wiederaufbau des Tempels
525: 2. Rückkehr nach Juda
458: Esra kehrt nach Jerusalem zurück
445-433:Wiederaufbau Jerusalems durch Nehemia
Als Nehemia von der Not in Jerusalem hörte, waren es schon gut 90 Jahre her, seit die erste Gruppe zurückging und der Tempelbau war seit ca. 70 abgeschlossen. Die Zustände in Jerusalem und den umliegenden Orten waren verheerend für die Juden! Nehemia erkundigte sich bei den Leuten, die von Jerusalem nach Susa kamen, wie es um die Juden dort stünde. Er hörte nichts schönes: »Die Menschen in der Provinz Juda, die der Verschleppung entgangen sind, leben in grosser Not und Schande. Die Stadtmauer Jerusalems liegt in Trümmern, die Tore sind durch Feuer zerstört.« (Nehemia 1,3) Die Stadt war völlig schutzlos jedem Angriff und jeder Ausbeutung ausgeliefert. Flavius Josephus berichtet folgendes über die damaligen Zustände: Die Völker, die um die Juden herum wohnen, setzen ihnen hart zu. Bei Tage fielen sie in das Land ein, raubten und verwüsteten, bei Nacht aber schlichen sie sich heran und führten viele aus der Umgebung und selbst aus Jerusalem gefangen weg, und gar oft finde man Leichen auf den Wegen liegen. (Josephus Flavius: Jüdische Altertümer, XI, 5, 6) Nehemia war erschüttert, als er das hörte. Eine aussichtslose Situation. Es schien unmöglich, dass sich etwas ändern könnte. Wenn sich in den vergangenen 90 Jahren die Situation nicht verbesserte, wie sollte sie sich in nächster Zeit verbessern können. Klar, wenn man die Stadt befestigen könnte, wenn man die Stadtmauern aufrichten könnte, um die Einwohner zu schützen. Ja, wenn… Wir werden aufgrund der Geschichte von Nehemia sehen, dass nichts unmöglich ist. Das erkennen wir immer bei Ereignissen, die Gottes Handschrift tragen. Gott fragte schon Abraham: Ist für den HERRN irgend etwas unmöglich?" (1. Mose 18, 14) Nein – Gott ist nichts unmöglich!
Bibelstellen zum Nachschlagen:1.Mose 18, 14; 5. Mose 30,1; Esra 1, 1ff; Jeremia 25, 11-12; Jeremia 29, 10
I. Warum Gott nicht direkt eingreift
Die Juden sassen in einem selbstverschuldeten Schlamassel, trotzdem hatte Gott grundsätzlich gute Absichten mit dem Volk. Durch Jeremia liess er ihnen sagen: Mein Plan mit euch steht fest: Ich will euer Glück und nicht euer Unglück. Ich habe im Sinn, euch eine Zukunft zu schenken, wie ihr sie erhofft. (Jeremia 29, 11) Nur, stellt sich die Frage: Warum macht es Gott nicht einfacher? Warum spricht er nicht einfach ein Machtwort, um eine bessere Situation herzustellen? Die Zeit dafür war überreif, denn nach 70 Jahren Exil, sollte die Unterdrückung vorbei sein, aber nun waren weitere 90 Jahre vergangen. Warum muss das Volk, dass er so liebt, dessen Glück er will, so lang leiden? Warum wendet Gott nicht so eine Art Zauber an: Simselabim und alles ist anders, vor allem besser? IHM ist doch alle Macht gegeben. Er hatte die Welt erschaffen und aus seiner Kraft steht die Welt heute noch. Es wäre so einfach! Aber Gott wählte offensichtlich einen anderen und für uns beschwerlicheren Weg. Gott meinte es mit der Partnerschaft zwischen uns und ihm sehr ernst. Gott will mit uns zusammenarbeiten. Man könnte sogar sagen: Gott arbeitet und wirkt im Team. Die wichtigste Aufgabe in dieser Welt, will er mit uns zusammen durchführen, eigentlich hat er den Auftrag der Mission sogar uns übergeben. Gott verlässt sich auf uns Menschen! Wir unterschätzen oft wie wichtig und ernst Gott uns nimmt. Wir unterschätzen unseren Einfluss, den wir auf Gott ausüben können. Wie Gott auf Menschen reagiert, wie ernst er sie nimmt, sehen wir in ganz heiklen Situationen, z.B. als Gott das Volk Israel strafen wollte, da kämpfte Mose vor Gott für sein Volk: Gott plante, sie alle umzubringen; doch Mose, sein Erwählter, trat dazwischen, er warf sich für sie in die Bresche und wandte den Zorn Gottes von ihnen ab, so dass sie nicht ausgerottet wurden. (Psalm 106, 23) Mose bestürmte Gott und erreichte, dass er von seinem Vorhaben abliess. Gott wurde sogar selber Mensch in Jesus Christus. Was Mose hier für sein Volk tat, nämlich den Zorn Gottes und somit das Gericht Gottes abwandte, das tat Jesus für alle Menschen: Er trat zwischen Gott und uns. Er ging ans Kreuz und wandte den gerechten Zorn Gottes von uns ab. Paulus schrieb: Es kann jetzt, nachdem wir aufgrund seines Blutes für gerecht erklärt worden sind, keine Frage mehr sein, dass wir durch ihn vor dem kommenden Zorn Gottes gerettet werden. Römer 5, 9. Gott sucht gerade solche Menschen, die sich für seine Sache ins Zeug legen. Durch Hesekiel liess Gott sagen: Ich suchte überall nach einem, der in die Bresche springen und die Mauer um mein Volk vor dem Einsturz bewahren würde, damit ich es nicht vernichten müsste; aber ich fand keinen. (Hesekiel 22, 30) Gott greift nicht direkt ein, weil er mit und durch uns wirken will. Das ist offensichtlich seine Entscheidung. Es ist seine Art in dieser Welt zu wirken. Wir sind eben bedeutungsvoller und einflussreicher als wir meinen. Gott ist geradezu auf der Suche nach Menschen, die ihn ernst nehmen und die sich für seine Sache einsetzen und kämpfen. Gehören wir zu diesen Menschen?
Bibelstellen zum Nachschlagen:5. Mose 4, 7; 5- Mose 30, 2-3; Psalm 34, 19; Psalm 106, 23; Psalm 145, 18; Hesekiel 22, 31; Jeremia 29, 11; 1. Thessalonicher 1, 10
II. Wie werden wir zu Menschen, die Gott ernst nehmen?
In Nehemia fand Gott einen solchen Menschen. Nehemia war tief erschüttert über das, was er hörte. Es schmerzte ihn, dass Gottes Volk in einer so hoffnungslosen und aussichtslosen Lage war. Ihm ging es gut. Er hätte sich sagen können: Was geht mich das an? Sie sind ja selber schuld, dass sie nach Jerusalem gingen. Sie sind selber schuld, wenn sie es nicht fertig bringen, die Mauer zu bauen. Er hätte sich wie die Mutter verhalten können, die in der Wirtschaftsflaute der frühen dreissiger Jahre mit ihrer vierjährigen Töchter einkaufen ging. Sie trafen einen dürftig gekleideten Mann, der seine Kappe hinhielt und um "ein paar Pfennige" bat. "Ach, Mama", sagte die Kleine und zog ihre Mutter am Mantel, "wir wollen ihm helfen!" Die Mutter langte nach der Hand ihrer Tochter, zog sie zu sich und sagte: "Komm, Liebling, das ist nicht unsere Angelegenheit." Am Abend, als das Mädchen zu Bett ging und ihr Gebet gesprochen hatte, hielt sie einen Augenblick inne und fügte in kindlicher Unschuld hinzu: "Und bitte, lieber Gott, segne den armen Mann an der Ecke." Im gleichen Augenblick trafen sich ihre Augen mit denen ihrer Mutter, und sie dachte daran, was die Mutter am Nachmittag gesagt hatte, und ergänzte schnell: "Ach nein, lieber Gott, das ist ja nicht unsere Angelegenheit." (Hermann Gockel) Nehemia liess sich bewegen und wie! Als ich das hörte, setzte ich mich nieder und weinte. Tagelang trauerte ich, fastete und flehte den Gott des Himmels an. (Nehemia 1, 4) Aufgrund des Gebets von Nehemia, können wir erkennen, worauf es ankommt, wenn wir Menschen sein wollen, die Gott ernst nehmen. 4 Punkte möchte ich aufzeigen.
Wir werden zu Menschen, die Gott ernst nehmen, indem wir uns mit den Anliegen Gottes identifizieren. Nehemia identifiziert sich ganz und gar mit den Anliegen Gottes. Dieses Verhalten kann man bei vielen Menschen feststellen, die Gott dienen. So auch Daniel, er betete: Darum, unser Gott, höre mein Gebet, höre mein demütiges Bitten! Blicke wieder freundlich auf dein verwüstetes Heiligtum, tu es um deiner eigenen Ehre willen! (Daniel 9, 17) Es ging Daniel hier um die Ehre Gottes. Genauso wie es Nehemia um die Ehre Gottes ging. Hudson Talor schrieb einmal in einem seiner Briefe: Vielleicht würden wir öfter den gewünschten Erfolg sehen, wenn ein tiefes Empfinden für Seelen uns weinen liesse. Während wir vielleicht die Härte der Herzen beklagen, deren Wohl wir suchen, mag die eigene Herzenshärtigkeit und unser schwaches Verständnis der ernsten Wirklichkeit ewiger Dinge der wahre Grund des Versagens sein.[1]
Wir werden zu Menschen, die Gott ernst nehmen, indem wir Gott beim Wort nehmen. Das wird im Gebet des Nehemia ganz deutlich. Nehemia erinnert Gott an alle Versprechen, die er den Juden machte. Aber denk doch daran, dass du ausdrücklich zu deinem Diener Mose gesagt hast: 'Wenn ihr mir untreu werdet, will ich euch unter die fremden Völker zerstreuen. (Nehemia 1, 8) Wenn ihr aber zu mir zurückkehrt, auf meine Gebote achtet und sie befolgt, werde ich sogar die, die ich bis ans äusserste Ende der Erde verstossen habe, von dort zurückholen. Ich will sie heimbringen an den Ort, den ich erwählt und zum Wohnsitz meines Namens bestimmt habe.' So hast du gesagt. (Nehemia 1, 9) Auch in einem Psalm wird Gott an seine Versprechen erinnert: Vergiss nicht, was du mir versprochen hast; du hast mich Grosses hoffen lassen, HERR! (Psalm 119, 49) Um Gott an seine Versprechen erinnern zu können, müssen wir wissen, was er uns versprochen hat. Das erfahren wir durch ein aufmerksames Bibelstudium. Hätte Nehemia 150 Jahre vorher dafür gebetet: Was wäre dann geschehen?
Wir werden zu Menschen, die Gott ernst nehmen, indem wir Schuld zugeben. Nehemia beschönigt nichts. Er versuchte weder sich, noch sein Volk zu entschuldigen. Er suchte keine Ausreden. Er gab die Schuld zu: Ich bekenne dir die Sünden, die wir Israeliten gegen dich begangen haben. Wir haben Unrecht getan; auch ich und meine Verwandten haben sich verfehlt. (Nehemia 1, 6) Wir haben grosse Schuld auf uns geladen: Wir haben die Gebote und Gesetze missachtet, die du uns durch Mose, deinen Diener und Bevollmächtigten, gegeben hast. (Nehemia 1, 7) Er sagte Gott damit, dass seine Strafe für sein Volk voll und ganz gerechtfertigt war. Gott hatte keinen Fehler gemacht. Er traf keine falsche Entscheidung. Das Volk Gottes handelte ganz und gar verkehrt. Was er und sein Volk erleiden mussten ist gerechtfertigt, das haben sie verdient. Das gilt bis heute. Wenn wir unser Leben Jesus anvertrauen, dann gestehen wir ein, dass wir bis zu diesem Tag Gott durch unser Verhalten beleidigt haben. So schrieb Johannes: Wenn wir unsere Sünden bekennen, erweist Gott sich als treu und gerecht: Er vergibt uns unsere Sünden und reinigt uns von allem Unrecht, das wir begangen haben. 1. Johannes 1, 9.
Bibelstellen zum Nachschlagen:Esra 9, 6; 1. Johannes 1, 9
Wir werden zu Menschen, die Gott ernst nehmen, indem wir uns Gott zur Verfügung stellen. Nehemia hatte über das Elend seines Volkes nicht einfach gejammert, er war bereit, sich einzusetzen. Er wollte dafür sogar Opfer bringen. Man kann nämlich auch einfach jammern und betroffen sein, aber nichts tun. Wie in einer vornehmen Gesellschaft, deren angeregte Gespräch plötzlich durch die Nachricht von einem schweren Unfall unterbrochen wurde. Die verunfallte Familie war schon durch andere Vorkommnisse in einer schwierigen Lage und jetzt noch das. Jedermann äusserte spontan sein Bedauern. Nur ein Gast, der obenan sass, blieb trocken und still. Allgemein dachte man, das sei offenbar einer von jenen vielen hartherzigen Menschen, die nichts von Idealen und humanen Interessen wüssten. Nun, während sie mit vielen rührenden Worten ihr "Mitleid" bezeugten, nahm jener merkwürdige Gast eine Banknote aus seiner Brieftasche, legte sie auf einen Teller, den er seinen Nachbarn herumzugeben bat, brach sein Schweigen und erklärte: "Ich bedaure diese arme Familie mit 100 Dollar; mit wieviel bedauern Sie dieselbe?" (Joel Pretre) Nehemia wollte die schlimme Situation nicht einfach beklagen. Er war bereit sich einsetzen zu lassen: Ach Herr, erhöre mein Flehen und das Flehen aller, die dir bereitwillig und voll Ehrfurcht dienen! Lass mich doch heute Erfolg haben und hilf, dass der König mir gnädig ist!« (Nehemia 1, 11) Wie bereit bin ich, für Gottes Anliegen Opfer zu bringen? Oder überlasse ich diesen Teil lieber den anderen Christen?
Schlussgedanke
Wenn Gott uns seine Aufmerksamkeit schenkt, wird alles möglich. Nichts ist unmöglich, wenn wir Menschen sind, die Gott ernst nehmen, denn Gott achtet auf diese Menschen. In der Bibel steht: Gott hält sich fern von denen, die ihn missachten; aber er achtet auf die Bitten derer, die ihm gehorchen. (Sprüche 15, 29) Bibelstellen zum Nachschlagen: Psalm 34, 18; Sprüche 10, 24
Amen
[1] H.u.G.Taylor: Hudson Taylor, Ein Mann der Gott vertraute (Giessen: Brunnen, 19813), S. 52.