"Seht, was ich schaffe!", murmelte der alte Mann, wenn er in sein Boot stieg. So jedenfalls erzählt es Ernest Hemingway in seinem oft gelesen und auch schon von mir zitierten Büchlein, das die Bilanz seines eigenen Lebens zieht. "Seht, was ich schaffe!", sagte der alte Mann, wenn er mit seinem Bordmotörchen auf das offene Meer hinausknatterte.
"Seht, was ich schaffe!", rief der alte Mann, wenn er die Leine nach dem großen Fisch auswarf. Und wenn er dann wieder mit leeren Bottichen zurückkehrte und sein Boot am Kai verknotete, spotteten die rauhen Fischer: "He, alter Mann, nichts gefangen?" "Nur langsam", bruddelte er, "nur die Hoffnung nicht aufgeben. Ich schaffe das schon noch." Und eines Tages hing der Fisch an dem Haken, ein Riesentier, ein Mordskaliber, ein Schwergewicht von eineinhalb Zentnern. Der Mann strahlte wie die aufgehende Sonne. Seine schwieligen Hände ließen dieses wild zappelnde Hoffnungsstück nicht mehr los. "Seht, was ich geschafft habe!"
Aber auf der Heimfahrt tauchte ein Haifisch aus dem blauen Wasser, und dann noch einer und noch einer und noch einer. Ein ganzer Schwarm dieser gefährlichen Seeräuber war angelockt und zog den Kreis um die Beute immer enger. Schließlich gingen sie zum Angriff über und rissen dem harpunierten Fisch ein Fleischstück nach dem andern aus dem Leib. Der alte Mann kämpfte, warf, stach, schlug, aber vergebens. Als er sein Boot in den Hafen bugsierte, hatte er nur noch ein kahlgefressenes Skelett an der Leine. Müde, todmüde kletterte er an Land. Die rauhen Fischer standen immer noch dort, aber der Spott blieb ihnen angesichts dieses Menschenwracks im Halse stecken. Der, der so felsenfest behauptet hatte: "Seht, was ich schaffe!", der, der so siegesgewiss behauptet hatte: "Seht, was ich geschafft habe!", genau der musste niedergeschlagen zugeben: "Seht, wie geschafft ich bin".
Wir sind keine Fischer. In unserem Landstrich geht man anderen Berufen nach. Aber die Sehnsucht nach dem großen Fisch ist die gleiche. Jeden Morgen knoten wir unseren Lebenskahn los, treiben ihn mit großer Schaffenskraft hinaus auf die Höhe des Tages und fangen nach Geld und Ehre und Glück: "Seht, was ich schaffe!"
Und eines Tages gelingt der große Wurf. Der eine angelt sich ein Mädchen, einen richtigen Goldfisch. Der andere angelt sich einen Posten, eine richtige Goldgrube. Dem Dritten geht ein Vermögen ins Netz, ein richtiger Goldschatz. Jeder strahlt wie die aufgehende Sonne. Krallende Hände lassen dieses Gold nicht mehr los. "Seht, was ich geschafft habe".
Und dann kommen die Haie, hungrige Bestien, eifersüchtige Tiere und schlagen zu. Wieviel haben im Hafen der Ehe nur noch ein Skelett der Liebe an der Leine? Wieviel haben im Hafen der Familie nur noch ein Skelett des Glücks an der Angel? Wieviel haben nach stürmische Lebensfahrt im Hafen des Alters nur noch ein Skelett der Hoffnung am Haken? "Seht, wie geschafft ich bin!", sagt der Enttäuschte. "Seht, wie geschafft ich bin!", sagt der Traurige. "Seht, wie geschafft ich bin!", sagt der des Lebens Müde und steht in der ganz großen Gefahr, sich wie Ernest Hemingway, obwohl Erfolgsautor, Millionär, Nobelpreisträger, sich das Leben zu nehmen.
Der Prophet weiß das, und deshalb sagt er uns, seelsorgerlich und geschwisterlich: "Heult und weint nicht über das, was euch geschafft hat. Freuet euch und seid fröhlich über das, was Gott schafft." Nicht weniger als sechsmal wird in diesen Versen der Aufruf zur Freude unterstrichen.
Geschaffte Schaffer können wieder fröhlich werden, wenn sie die Augen aufmachen und den in den Blick bekommen, der "Neues im Lande" (Jer.31, 22) schafft. Auf drei Schöpfungsakte, die noch ausstehen, weist er hin.
1. Seht, ich schaffe den Tod ab
Daran leiden wir doch, dass wir es mit Menschen zu tun haben, die alle gehen müssen. Bittere Erfahrungen liegen hinter uns. Der Eine geht hinaus auf den Friedhof, um ein paar Blumen auf das Kindergrab zu legen. Der Bub war der Sonnenschein der Familie und füllte das Haus mit Wonne. Dann war er auf dem Schulweg tödlich verunglückt. Mit dem weißen Sarg hat man viele Hoffnungen mitbegraben. Der andere steht am Grab des Freundes. Er war noch keine dreißig und schaute hoffnungsvoll in die Zukunft. Dann erlag er schnell einer heimtückischen Krankheit. Der Schmerz ist furchtbar. Der Dritte denkt an seine Mutter, die mit ihrer Wärme das Haus erfüllte. Seit sie draußen liegt, ist alles viel kälter geworden.
Wir können niemand festhalten. Wir können niemand am Leben halten. Wir können den Tod nicht besiegen. Einmal werden wir alle abgemeldet, aber dieser Gott meldet sich an.
Wohl war er der ferne Gott, an dem die Menschen litten. "Ach dass du den Himmel zerrissest und führest herab", schreit der Prophet. Und er stellte sich nicht taub. In Jesus Christus ist er herabgefahren und wurde der nahe Gott, der sich in diese Todeswelt einmischte. Er ging zu der Frau, die ihren Sohn sterben sah. Er ging zu den Schwestern, die ihren Bruder hergeben mussten. Er ging zu den Trauernden, die mit ihrem Schmerz nicht fertigwerden konnten. "Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden". Am Kreuz hat er am eigenen Leib verspürt, wie grausam der Tod sein kann. Aber er ist auferstanden und zeigte seine durchstanzten Hände: "Ich lebe, und ihr sollt auch leben." Dieser nahegekommene Gott hat an Himmel fahrt nicht seine Abmeldung, sondern seine Anmeldung bekanntgegeben: "Ich will wiederkommen und einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen, in der der Tod das Büttelrecht verwirkt".
Liebe Gemeinde, es ist schon manches abgeschafft worden: zum Beispiel die Sklaverei in Amerika im Jahre 1863 durch Abraham Lincoln, zum Beispiel die Todesstrafe in Deutschland im Jahre 1949 durch die verfassungsgebende Versammlung, zum Beispiel die Apartheid in Südafrika im Jahre 1992 durch die Regierenden. Die Macht des Todes jedoch kann nur der abschaffen, der stärker ist als der Tod, und das ist dieser Herr, der sagt: "Ich schaffe den Tod ab".
Das heißt im Klartext: Särge werden nicht mehr gezimmert. Gräber werden nicht mehr ausgehoben. Beerdigungen finden nicht mehr statt. Einen Waldfriedhof wird es nicht mehr geben. Und einen Pragfriedhof wird es nicht mehr geben. Und einen Fangelsbachfriedhof wird es nicht mehr geben. Die Stimme des Weinens und Klagens ist dann endgültig verstummt. Die neue Welt ist eine Welt ohne Friedhöfe.
Das ist christliche Hoffnung: "Seht, ich schaffe den Tod ab".
2. Seht, ich schaffe die Schuld weg
Daran leiden wir doch, dass wir es mit Verhältnissen zu tun haben, die immer enger werden und uns die Luft nehmen. Bittere Erinnerungen stehen vor uns.
Der Eine hatte ein offenes Verhältnis zu seinem Sohn. Es gab kein Thema, das nicht gemeinsam diskutiert wurde. Auch wenn man nicht einer Meinung war, eines Sinnes war man allemal. Aber dann kamen die vielen Missverständnisse. Unterstellungen, Verletzungen, die sich wie Steine ineinanderfügten und zu einer Wand aufbauten. Und nun ist zwischen Vater und Sohn eine unüberwindbare Mauer der Schuld.
Der andere hatte eine ungestörte Beziehung zu seinem Chef. Kein Problem wurde unter den Teppich gekehrt, sondern offen auf den Tisch gelegt. Gemeinsam wurden Lösungen erarbeitet. Und dann kamen die vielen Sticheleien, Fußtritte, Gemeinheiten, die sich wie Steine ineinanderfügten und zu meiner Wand aufbauten. Und nun ist zwischen Mitarbeiter und Chef eine unüberwindbare Mauer der Schuld.
Der Dritte hatte eine gute Nachbarschaft mit dem Mitbewohner. Jeder ging dem andern zur Hand. Gemeinsam wurden Abende verbracht. Und dann kamen die Verdächtigungen, Überheblichkeiten, Bosheiten, die sich wiederum zu einer Wand aufbauten. Und nun ist zwischen Nachbar und Nachbar eine unüberwindliche Mauer der Schuld.
Und alle miteinander hatten wir ein offenes Verhältnis, eine ungestörte Beziehung, eine gute Nachbarschaft zu unserem Gott. Nichts, aber auch gar nichts konnte den Schöpfer von seinen Geschöpfen trennen. Und dann kamen die Sünden, Schulden, Ungerechtigkeiten, die sich wie Steine ineinanderfügten und zu einer Wand aufbauten. Nun ist zwischen uns und Gott eine unüberwindbare Mauer der Schuld, vor der wir stehen und rufen: "Herr, warum bist du so verborgen?" Aber dieser verborgene Gott wird erscheinen und sagen: "Ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen, in der es keine Mauer mehr gibt, weil ich unter euch zelte".
Als ich einmal einen passionierten Camper fragte, warum er für das teure Geld einer Campingausrüstung nicht im Hotel Urlaub mache, antwortete er mir: "Auf dem Campingplatz lebt man endlich ohne Mauern." Wenn Gott bei uns zeltet, lebt man endlich ohne Mauern, ohne Grenzen, ohne die Betonwand der Sünde. Jenes unheimlich Trennende ist nicht verdrängt, nicht wegdiskutiert, nicht weggeschoben, sondern aufgehoben, demontiert, geschleift. Er bei uns und wir bei ihm, sodass dies Textwort wahr wird: "Ehe sie rufen, will ich antworten, und ehe sie reden, will ich hören". Dann wird das Leid nicht mehr sein. Dann werden die Tränen nicht mehr sein. Dann wird das uralte Zeichen dieser Welt nicht mehr sein: der Schmerz in den Krankenhäusern, in den Anstalten, auf den Kriegsschauplätzen. Die neue Welt ist eine Welt ohne Mauern.
Das ist christliche Hoffnung: "Seht, ich schaffe die Schuld weg".
3. Seht, ich schaffe die Welt neu
Daran leiden wir doch, dass wir es mit einer Welt zu tun haben, die Stück um Stück verschleißt und die wir nicht erneuern können. In Sachen Welterneuerung sind wir ganz schwache Figuren.
Wir können allenfalls runderneuern, so wie die Spezialisten einer Autoreifenfabrik. Auf die abgefahrenen Reifen wird Gummi aufgespritzt und ein neues Profil eingedrückt. Aber nach einiger Zeit blitzt die alte Decke wieder durch, die so aalglatt und gefährlich ist wie eh und je.
Weltverbesserer aller Art sind Runderneuerer. Revolutionäre jeder Couleur sind Runderneuerer. Ideologen mit großen Ideen sind Runderneuerer. Sie alle kommen mit den besten Vorsätzen übers Runderneuern nicht hinaus. Wir können vielleicht etwas Moral aufspritzen. Das ist nicht schlecht. Wir können Nahrungsmittel über das Erdenrund gleichmäßiger verteilen. Das ist bitter notwendig. Wir können hie und da ein neues Profil geben. Das ist lobenswert. Aber was wir auch tun, nach kurzer Zeit blitzt die alte Erde wieder durch, die so aalglatt und gefährlich ist wie eh und jeh.
Was wir benötigen ist keine Runderneuerung, sondern Totalerneuerung. Und genau das verspricht dieser Herr. Die neue Welt ist eine Welt ohne Verschleißerscheinungen und Brüche.
Das ist christliche Hoffnung: "Siehe, ich schaffe die Welt neu".
Aber liebe Gemeinde, habe ich mich nicht heiß geredet? Bin ich nicht ins Schwärmen geraten? Ist das nicht nur ein Trip, eine Illusion, eine Fatamorgana? Hatte Goethe nicht recht: "Nach drüben ist die Aussicht uns verrannt"? Hatte Nietzsche nicht recht: "Glaubt denen nicht, die von überirdischen Hoffnungen reden"? Hatte Feuerbach nicht recht: "Das Jenseits ist die Spiegelung unserer Wünsche"? Hatte Brecht nicht recht: "Das ist Warten auf den Sankt Nimmerleinstag"? Hatten viele nicht recht, die warnten: "Das ist Flucht nach vorne, Ausbruch ins Leere, Vorstoß ins Nichts"?
Aber Blumhardt hielt dagegen: "Wer Jesus sagt, sagt neu". Als die Jünger Jesus entdeckten, dann entdeckten sie schon einen Brückenkopf der neuen Welt. Seit dem Jahr 0 ist die Totalerneuerung im Gang. Sie wird nicht stillstehen, sondern zu Ende kommen.
Deshalb marschieren wir nicht in Nacht und Nebel hinein, sondern wandern dem anbrechenden Morgen entgegen. Deshalb sehen wir in keine ungewisse Zukunft hinein, sondern blicken durch bis zum letzten Tag. Deshalb vegetieren wir in keiner gähnenden Leere, sondern leben bewusst diesem Herrn entgegen, der sagt: "Seht, was ich schaffe".
Amen