Ja, die Predigt habe ich zu Hause überschrieben mit dem Titel „Feststehen im Glauben an Jesus“. Eigentlich kann ich dem Ganzen nur diese Überschrift geben: Feststehen im Glauben an Jesus. Denn ich habe den Glauben nicht alleine gelernt und bin nicht alleine zum Glauben gekommen. Es hat mit Menschen zu tun, die in meinem Leben einen Unterschied gemacht haben. Menschen, die sich in mich investiert haben und meinen Glauben geprägt haben.
Ich denke dabei neben meinen Eltern vor allem an eine Taufpatin. Ich bin als Säugling getauft worden, und meine Eltern hatten für mich Taufpaten ausgesucht. Unter ihnen war eine Frau aus der Gemeinde, die sich sehr um mich gekümmert hat. Sie hat unaufhörlich für mich gebetet.
Ich durfte auch öfter zu ihrer Familie kommen, manchmal über das Wochenende. Ich erinnere mich, das sind wirklich Erinnerungen, die weit zurückliegen, dass ich mit einem kleinen Rucksack auf dem Rücken zu ihr ging und dort Zeit verbringen konnte. Ich durfte sogar auf Reisen mitkommen.
Wenn man viel Zeit mit einem anderen Menschen verbringt, lernt man ihn wirklich kennen. Durch diesen Umgang habe ich gemerkt, dass sie ein herzlicher Mensch ist, fröhlich, großzügig und gastfreundlich. Ihr Haus war offen für mich.
Wenn sie betete, begannen diese Gebete immer mit dem Satz: „Herr Jesus Christus, habe du Dank.“ Das war bei ihr keine leere Floskel, sondern drückte aus, dass sie wirklich aus dem lebte, was sie Jesus verdankte. Das zog sich wie ein roter Faden durch ihr Leben. Das war die Spur, in die ich mich dann auch gerne stellen durfte.
Der Text, den wir heute als Grundlage der Predigt haben, spricht auch von Vorbildern. Er spricht von Jesus und von fremden Lehren. Diese drei Punkte möchte ich heute mit euch näher betrachten.
Mein erster Punkt lautet: Sich prägen lassen – die Kraft von Vorbildern.
Überlegt doch mal kurz in der Stille: Wer sind die Menschen oder wer ist die Person, die euch in eurem Glauben am meisten geprägt hat? Vielleicht fällt euch jetzt jemand ein. Denkt dann darüber nach, was genau euch geprägt hat. Wie ist es passiert, dass diese Person euch beeinflusst hat?
Ich glaube, dass Menschen eine prägende Wirkung entfalten können, wenn sie Zeit mit jemandem verbringen. Denn es braucht Zeit, damit Beziehungen entstehen. Es braucht Zeit, damit Vertrauen wächst. Und es braucht Zeit, damit Beziehungen in die Tiefe wachsen können.
Dort, wo Menschen uns prägen, wird nicht nur unser Verstand bewegt, sondern unser Herz geformt. Das ist das, was Prägung auszeichnet. Das ist es auch, was Glauben ausmacht.
Der Text aus dem Hebräerbrief lenkt unsere Gedanken auf die Vorsteher der Gemeinde, auf die Lehrer, wie es in der Lutherübersetzung heißt, die euch das Wort Gottes gesagt haben. Ihr Ende sollt ihr anschauen und ihrem Glauben nachfolgen.
Hier geht es also um Menschen, in denen der Glaube an Jesus Christus Gestalt gewonnen hat. Es sind Menschen, die nicht nur reden, die nicht einfach nur das Wort Gottes weitergeben, ohne dass es mit ihrem Leben verbunden ist. Vielmehr hat dieses Wort, das sie uns sagen, selbst Gestalt in ihrem Leben gewonnen.
Gedacht ist hier an Menschen, die offensichtlich schon verstorben sind. Denn der Schreiber fordert dazu auf, sich ihr Leben im Ganzen anzuschauen – also bis hin zum Ende, bis zum Tod. Im Fall dieser ersten Gemeindeleiter kann es sich durchaus um einen Märtyrertod gehandelt haben, einen Tod, den sie gestorben sind, um ihres Bekenntnisses zu Jesus willen.
Es braucht also diese Vorbilder – und es braucht Zeit.
Und ich frage mich, warum der Glaube bei uns hier im Westen verblasst. Warum ist es so schwierig geworden, Glauben weiterzugeben?
In Deutschland wurde gerade eine große Kirchenmitgliedschaftsstudie veröffentlicht. Sie untersucht die evangelischen Landeskirchen und die römisch-katholischen Kirchen. Diese Studie berichtet von einem dramatischen Rückgang der Glaubenspraxis, des Gottesdienstbesuchs und allgemein der persönlichen Glaubensüberzeugung.
Ich frage mich, warum das so ist. Ich denke, es gibt viele Gründe, und viele davon sind sehr komplex. Doch ich möchte nur auf einen Punkt hinweisen, der mit dem zusammenhängt, was ich eben sagte: Prägung braucht Zeit. Aber wir haben keine Zeit mehr.
Wir leben in einer unfassbar beschleunigten Gesellschaft. Wir sind ständig am Laufen, Rennen, Termine einhalten, Projekte abarbeiten. Wir kommen kaum noch zur Ruhe. Wenn ich unterwegs bin – und ich bin viel unterwegs – nehme ich mir manchmal die Zeit, einfach Menschen zu beobachten. Zum Beispiel, wenn ich im Restaurant oder im Zug sitze und sehe, wie sie miteinander interagieren.
Dann fällt mir auf, dass selbst dort, wo Menschen miteinander im Gespräch sind, das Handy immer in Reichweite ist, vielleicht sogar in der Hand. Zwischendurch wird etwas angeschaut oder gelesen. Das heißt, immer wieder wird der Augenkontakt und die direkte Kommunikation unterbrochen, weil der Blick vom Gegenüber weggeht.
Wenn ich mich selbst frage, wie viel Zeit ich an einem Arbeitstag im Gespräch mit jemandem verbringe und wie viel Zeit ich im Vergleich dazu vor einem Bildschirm verbringe, fällt mir auf, wie sehr wir auf Bildschirme angewiesen sind und wie viel wir ihnen zutrauen.
Aber Prägung geschieht nicht dadurch, dass wir Menschen folgen, die wir nur zu kennen meinen und die sich vielleicht gar nicht wirklich für uns interessieren. Prägung entsteht dort, wo wir in einer Beziehung zu einem Menschen stehen, der sich Zeit für uns nimmt und für den wir Zeit haben.
Ein Reichtum an Information, so hat mal ein Nobelpreisträger gesagt, schafft eine Armut an Aufmerksamkeit. Ein Reichtum an Information schafft eine Armut an Aufmerksamkeit. Ich glaube, wir leben in einer informationsreichen Gesellschaft. Information ist etwas, wofür es keine Grenze gibt – eine grenzenlose Informationsflut.
Doch wir haben einen Mangel an Aufmerksamkeit füreinander, einen Mangel an Achtsamkeit. Genau diese brauchen wir aber in einer wahnsinnig beschleunigten Zeit. Denn Glaube braucht Zeit. Nur wenn er Zeit hat, kann er Wurzeln schlagen.
Stellt euch vor, ihr pflanzt etwas in den Garten oder vielleicht auch nur auf dem Balkon. Was braucht es, damit diese Pflanze gedeihen und wachsen kann? Sie braucht Zeit und Pflege, damit sie Wurzeln schlagen kann.
Ich glaube, das Grundübel unserer Zeit und die Wurzel unserer Glaubenskrise ist, dass Glaube keine Wurzeln mehr schlagen kann und deshalb umhergetrieben wird von jedem Wind. Aber wir brauchen diese Wurzeln.
Mein erster Punkt lautet also: Sich prägen lassen – die Kraft von Vorbildern.
Sich prägen lassen – die Kraft von Vorbildern. Ein zweiter Punkt ist: Sicher ankern – Jesus für Zeit und Ewigkeit, derselbe.
Ich habe gerade auf die Vorbilder verwiesen, die in unserem Text offensichtlich eine sehr starke Bedeutung haben. Es wird gesagt: Vorbildlernen ist die nachhaltigste Form des Lernens überhaupt. So kann der Glaube Wurzeln schlagen, auch in eurem Leben, wenn ihr Menschen habt, in denen der Glaube bereits Gestalt gewonnen hat.
Nun müssen wir genau lesen, was hier steht. Es heißt nicht: Schaut euch die Vorsteher an, hört euch die Lehre an, die durch das Wort Gottes verkündigt wurde, und ahmt sie nach. Das steht dort nicht. Wir sollen nicht Menschen nachahmen, sondern hier steht: „Und ahmt ihren Glauben nach.“ Warum?
Es gibt kein menschliches Vorbild, an dem alles Licht ist, ohne jeden Schatten. Wahrscheinlich gibt es bei jedem Menschen, den wir verehren und dem wir vertrauen, einen Bereich im Leben, der nicht gut ausgeleuchtet ist, der im Dunkeln liegt und den wir vielleicht auch nicht kennen. Deshalb geht es nicht darum, die Vorbilder des Glaubens hier auf der Erde in allem nachzuahmen, sondern ihren Glauben nachzuahmen – das heißt, das, worin sie Jesus treu sind, selbst treu zu sein.
Ich denke, die Vertrauenskrise, von der häufig gesprochen wird, hängt auch damit zusammen, dass in den letzten Jahren – so war es jedenfalls in Deutschland – quer durch die Gesellschaft, aber eben auch in den Kirchen und Freikirchen Missbrauchsfälle ans Licht gekommen sind. Missbrauch von Schutzbefohlenen, Missbrauch durch Vertrauenspersonen, durch geistliche Autoritäten.
So frage ich mich: Wem kann ich eigentlich noch trauen? Mit wem darf ich allein in einem Zimmer sitzen? Es ist eine echte Krise, wenn Vertrauen verloren geht.
Der Hebräerbrief erinnert uns daran: Glorifiziert keinen Menschen, setzt nie einen Menschen an die Stelle Gottes. Habt Vorbilder und folgt ihrem Glauben nach, aber nicht allem, was sie tun. Denn der Ankerpunkt unseres Glaubens sind nicht Menschen. Der Ankerpunkt unseres Glaubens ist allein Jesus Christus.
Von ihm sagt der Schreiber des Hebräerbriefes, wie in einer Bekenntnisformel, die aus ihm herausbricht: Jesus Christus gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit.
Ich weiß nicht, welche Assoziationen ihr habt, wenn es um „immer dasselbe“ geht. Stellt euch vor, ihr geht in eurer Alltagssituation in eine Mensa oder Kantine. Ihr bekommt euer Mittagessen und am Montag steht nur ein Gericht auf der Karte. Es ist euer Lieblingsgericht, und ihr freut euch im Herzen.
Am Dienstag kommt ihr wieder, und es steht erneut nur ein Gericht auf der Karte – wieder euer Lieblingsgericht. Ihr denkt: Lieblingsgericht kann man auch zweimal hintereinander essen. Am Mittwoch werdet ihr schon skeptisch: Wieder nur dieses eine Gericht auf der Karte. So zieht es sich bis Freitag hin. Dann beschleichen euch langsam Zweifel an der Fähigkeit der Küche, und ihr denkt: Boah, immer das Gleiche.
Wenn hier im Text aber steht: Jesus Christus gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit, dann ist das nicht gemeint, um Langeweile aufkommen zu lassen. Hier ist die Rede von dem treuen Gott. Hier ist die Rede davon, dass Gott treu ist.
Was bedeutet es, dass Gott treu ist? Schauen wir im Hebräerbrief selbst nach, Kapitel 10, Vers 23: „Lasst uns festhalten an dem Bekenntnis der Hoffnung und nicht wanken, denn er ist treu, der sie verheissen hat.“
Die Treue, von der der Hebräerbrief spricht, ist die Treue Gottes zu seinen Verheißungen. Gott steht zu seinem Wort.
In den Schriften des Alten Bundes ist angekündigt, dass der Erlöser kommen wird, dass ein Messias kommen wird. In Jesus erfüllt sich dieses Wort Gottes.
Jesus ist der Grund unseres Glaubens, denn in ihm ist Gott in die Zeit eingegangen. Jesus hat sich selbst dem Willen des Vaters hingegeben, und Jesus wird sein Werk vollenden.
Weil das so ist, ist auf ihn Verlass im Wandel der Zeit. Mögen wir es Zeitenwende nennen, mögen wir es Zeit des Umbruchs nennen, mögen wir es stürmische Zeiten nennen – Jesus ist auf ihn Verlass. Jesus wankt nicht. Jesus gibt unserem Glauben festen Grund.
Als wir nach Gießen zogen, zogen wir in eine Wohnung ein, die auch eine Terrasse hat. Diese Terrasse ist fast eine Dachterrasse, liegt also etwas exponiert. Wenn ein Sturm durch Gießen zieht, müssen wir vorher die Balkonmöbel befestigen oder vielleicht sogar in die Wohnung reinnehmen.
Es braucht auf jeden Fall etwas, woran wir die Balkonmöbel befestigen können. Denn die Möbel selbst sind so leicht, dass sie sonst wegfliegen würden. Es ist natürlich gut, wenn man etwas hat, an dem man sie befestigen kann.
Gehen wir noch einmal eine Stufe weiter: Stellt euch vor, es gibt nichts, woran wir die Möbel befestigen können.
Wir haben als Familie in verschiedenen Teilen Deutschlands gewohnt, unter anderem auch einige Jahre in Baden-Württemberg. In Baden-Württemberg gibt es den Rheingraben. Dort kommt es gelegentlich auch zu Erdbeben. Das haben wir in unserer Zeit in Baden-Württemberg zweimal erlebt.
Ich habe noch vor Augen, wie ich an einem Tag in meinem Arbeitszimmer stand und plötzlich alles bebte. Es war kein schweres Erdbeben, aber für mich war es eine neue, überraschende und irgendwie auch beängstigende Erfahrung. Bei einem Erdbeben hast du plötzlich nichts, woran du dich festhalten kannst – alles wankt.
Ich dachte in diesem Moment, während ich zwischen meinen Bücherregalen stand, für einen Bruchteil der Sekunde: „Was für ein schöner Tod für einen Theologen, unter seinen Büchern begraben zu werden.“ Doch das Erdbeben war schnell vorbei.
Wir merken: Hier auf der Erde kann alles ins Wanken kommen. Die Bibel spricht auch davon, dass einmal alles ins Wanken kommen und die Elemente der Erde vergehen werden. Deshalb brauchen wir in dieser Zeit und für die Ewigkeit jemanden, der uns festen Halt gibt.
Von diesem Halt spricht der Hebräerbrief: Jesus Christus ist gestern und heute derselbe und auch in Ewigkeit. Er ist der Sohn der Ewigkeit, der Abglanz der Herrlichkeit Gottes. Er ist den Weg in die Niedrigkeit gegangen, hat den Tod besiegt und ist zur Rechten des Vaters gesetzt, wo er für uns eintritt.
Fragst du dich manchmal, ob das Anliegen, das du vor Gott bringen willst, zu klein für diesen großen Gott ist? Dann sprich es aus, denn Jesus wird dich vor dem Vater vertreten.
Überlegst du manchmal, ob das, was dir auf dem Herzen liegt, zu groß sein könnte für Gott? Dann sprich es aus, denn dein Gebet bringt Jesus vor den Vater.
Kommst du dir manchmal unwürdig vor und denkst, so wie du bist, kannst du nicht vor den Thron des Vaters treten? Dann erinnere dich: Jesus tritt für dich vor den Vater ein.
Und Jesus tut das jeden Tag unseres Lebens aufs Neue. Er wird nicht müde darin, uns vor dem Vater zu vertreten. Jesus ist der Anker in der Zeit, weil er beim Vater ist.
Wenn wir uns den Vers 8 aus dem Hebräerbrief anschauen, wirkt er für mich, als sei das das Evangelium in einer Nussschale: „Jesus Christus ist gestern und heute derselbe und auch in Ewigkeit.“
Wenn dich jemand fragt: „Was glaubst du?“, dann sag nicht einfach: „Ich glaube an Gott.“ Das tun viele Leute auf ganz unterschiedliche Weise, und sie verbinden sehr Verschiedenes mit dem Wort „Gott“.
Sage lieber: „Ich glaube, dass Jesus Christus gestern, heute und in Ewigkeit derselbe ist.“ Ich glaube, dass Gott treu ist – und ich habe das in meinem Leben erfahren.
Deshalb ist es so wichtig, dass wir sicher in Jesus verankert sind – für Zeit und Ewigkeit derselbe.
Ein dritter Gedanke: Achtsam bleiben, Gefährdung des Glaubens und das feste Herz.
Unser Text geht weiter. Nachdem Jesus bekannt wird, heißt es: Lasst euch nicht durch mancherlei fremde Lehre umtreiben. Wir haben in Vers 8 verstanden, dass wir uns um die Treue Gottes keine Sorgen machen müssen. Gott ist treu, auch wenn wir untreu sind, denn er kann sich selbst nicht verleugnen.
Um Gott müssen wir uns keine Gedanken machen, aber wir sollen achtsam sein im Blick auf unser Herz. Wir sollen darauf achten, dass unser Herz nicht irre wird durch das, was in dieser Zeit auf uns einströmt.
Der Schreiber führt nicht genauer aus, an welche Lehren er hier denkt. Er spricht jedoch davon, dass Speisegebote keinen Nutzen für die Jesusnachfolger haben. Offensichtlich sind hier bestimmte Gebote gemeint, die im Zusammenhang mit dem Opferkult Bedeutung hatten und an die die Gemeinde erinnert wird. Diese Ordnungen des Kults haben für euch, die ihr Jesus nachfolgt, der ein für allemal sein Leben als Opfer am Kreuz gegeben hat, keine Bedeutung mehr.
Der Ausdruck „fremde Lehre“ ist interessant. Ich hätte wahrscheinlich „falsche Lehre“ oder „Irrlehre“ geschrieben. Aber wie ist die Rede von „fremder Lehre“ zu verstehen? Inwieweit kann uns das helfen, zu verstehen, worum es hier geht?
Stellt euch euren eigenen Körper als Organismus vor. Ich weiß nicht genau, was man sich darunter vorstellen muss, aber ihr seid ja ein Organismus. Nun tritt ein Fremdkörper in euren Organismus ein. Was muss jetzt passieren? Das Alarmsystem eures Organismus muss anspringen, die Abwehrmechanismen müssen hochfahren, und der Fremdkörper muss abgewehrt werden.
Denn was passiert, wenn euer Organismus den Fremdkörper nicht erkennt oder ihn nicht zurückweist, obwohl er ihn erkennt? Das bedeutet, dass wir krank werden. Dort, wo ein Fremdkörper in unseren Organismus eintritt, bleiben wir nicht gesund, sondern werden krank.
Deshalb ist es wichtig, dass wir als Gemeinde immer wieder aufmerksam und wachsam sind im Blick auf fremde Lehre. Im Hebräerbrief selbst ist davon immer wieder die Rede.
Wir müssen uns klar machen, worum es hier geht. Vielleicht erwartet man jetzt von mir, eine bestimmte Irrlehre der Gegenwart zu identifizieren und zu brandmarken. Das werde ich nicht tun, weil ich glaube, dass die Frage, was uns als Gemeinde gerade herausfordert und was uns als Kirche vor Herausforderungen stellt, sich durch die Zeiten verändert. Außerdem kann das im Kontext einer einzelnen Gemeinde sehr unterschiedlich sein.
Ich möchte euch trotzdem einen Eindruck weitergeben, der sich an dem festmacht, was hier gesagt wird: Die Empfänger sollen sich nicht irre machen lassen durch Speisegebote, die keinen Nutzen haben.
Beim Essen geht es um etwas sehr Alltägliches, oft auch um etwas, worüber wir nicht weiter nachdenken. Das heißt, ich suche im Text eher nach etwas, worüber wir gerade nicht nachdenken, was uns vielleicht gar nicht als problematisch auffällt, weil es so selbstverständlich geworden ist.
Mir ist eine Entwicklung aufgefallen, die sich daran für mich festmacht, und zwar Folgendes:
Der Hebräerbrief spricht davon, dass das Wort Gottes eins ist wie ein zweischneidiges Schwert, ein lebendiges, schärferes und kräftiges Schwert, ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens.
Mein Eindruck ist, dass wir diese Aufgabe des Wortes Gottes, Richter unserer Gedanken zu sein, über die letzten Jahrzehnte immer mehr an andere Wissenschaften delegiert haben.
Wir sind sozial aufgestiegen und haben einen hohen Bildungsstatus in unseren Gemeinden. Es gibt so viel Gutes und Wertvolles zu lesen. Um die Menschen unserer Zeit zu verstehen, bieten uns Psychologen, Soziologen und Mediziner ein reiches Buffet, an dem wir uns bedienen können. Und das tun wir.
Aber immer wieder merke ich, dass es dabei oft stehen bleibt. Wir nehmen das, was in den säkularen Wissenschaften gesagt wird, auf und lassen es dann das Urteil darüber sein, was wir vom Evangelium noch weitergeben dürfen und was besser nicht.
Der Schreiber des Hebräerbriefs spricht jedoch davon, dass das Wort Gottes ein lebendiges und scharfes Schwert ist und dass es Richter unserer Gedanken ist.
Das ist keine Verurteilung weltlichen Wissens. Es bedeutet nicht, dass wir uns nicht auch mit den Fragen unserer Zeit auseinandersetzen können, mit dem, was wir gelernt und studiert haben – sei es Soziologie, Psychologie oder etwas anderes.
Aber mit diesem Wissen müssen wir umgehen wie die Weisen oder Magier aus der Weihnachtsgeschichte, die ihre Gaben zur Krippe von Jesus bringen. Sie legen all das, was sie ausmacht – Status, Wissen, Macht – Jesus zu Füßen.
Ich glaube, das müssen wir in unserer Bildungsgesellschaft neu lernen: nicht Bildung zu verurteilen, das ist nicht der Weg, sondern zu verstehen, dass das, was Gott uns auch in den säkularen Wissenschaften an Bildungsgütern schenkt, seinen Ort zu Füßen von Jesus hat. Jesus selbst soll das Urteil sprechen.
Ein zweiter wichtiger Punkt in diesem Abschnitt lautet: Lasst euch nicht durch mancherlei fremde Lehre umtreiben. Denn – so hatten wir es in der Schriftlesung gehört – es ist wichtig, dass wir innerlich befestigt werden, dass wir innerlich gestärkt werden.
Der griechische Text spricht hier vom Herzen. Und ich liebe die Übersetzung dieses Verses nach Martin Luther, wie ich sie schon als Kind gelernt habe: Es ist ein köstlich Ding, dass das Herz fest werde, welches geschieht durch Gnade.
Wie können wir unseren Organismus gesund erhalten? Nicht dadurch, dass keine fremden Körper eindringen. Wir leben in dieser Welt, und es wird immer wieder fremde Körper geben, die in unseren Organismus eindringen.
Nicht auf die Weise, dass wir uns aus der Welt zurückziehen, sondern indem wir innerlich gestärkt werden in unserem Herzen, dass unser Herz fest wird.
Ein festes Herz ist kein hartes Herz. Die Bibel spricht von der Hartherzigkeit der Menschen, aber das ist etwas anderes als ein festes Herz.
Ein Herz ist ein Herz, das von Jesus gehalten wird. Ein festes Herz ist ein Herz, das Jesus festhalten darf.
So wird ein Herz fest. So stehen wir fest. So stehen wir im Glauben.
Liebe Freunde, lasst uns neu darum bitten, dass wir uns in die tragende und bergende Hand Gottes hineinbegeben. Dass wir uns von Jesus ganz festhalten lassen. Dann muss uns nichts in dieser Welt scheuen oder ängstigen.
So können wir mutig durch Zeitenwenden gehen, durch Umbruchszeiten und durch die Stürme der Zeit. Ein Herz, das von Jesus festgehalten wird, ist ein Herz, das auf Jesus achtsam ist. Es ist ein Herz, dem die Anerkennung von anderen Menschen nicht gleichgültig ist, aber von der wir nicht mehr leben und zehren müssen. Denn wir wissen: Du, Gott, bist ein Gott, der mich sieht. Dein Blick auf mein Leben ist das, was zählt, was mich leitet und was mich korrigiert.
Das verlockende Angebot, das uns immer wieder gemacht wird, lautet: Liebe Gemeinde, ihr müsst mit der Zeit gehen, sonst werdet ihr abgehängt. Ihr werdet niemanden mehr erreichen. Geht mit der Zeit, passt euch an, sorgt dafür, dass ihr relevant und anschlussfähig seid.
Aber unser Text lädt uns nicht dazu ein, mit der Zeit zu gehen. Denn wer mit der Zeit geht, ist ganz schnell wieder allein. Stattdessen sind wir eingeladen, in der Zeit weiterzugehen – mit Jesus, der uns führt, mit Jesus, der uns leitet, mit Jesus, der uns stärkt.
Für die Woche, die vor uns liegt, möchte ich euch ein Wort von Pfarrer Ernst Modersohn mitgeben. Er bringt für mich sehr schön zum Ausdruck, was wir für unser tägliches Leben aus dem Text lernen können, in dem steht, dass Jesus Christus gestern und heute derselbe ist und in Ewigkeit bleibt.
Modersohn sagt: Gott kennt dein Gestern, gib ihm dein Heute, er sorgt für dein Morgen.
Gott kennt dein Gestern, gib ihm dein Heute, er sorgt für dein Morgen.
Lasst uns beten. Lebendiger Gott und Vater, ich danke dir, dass du uns in Jesus Christus so nahe gekommen bist. Du bist in diese Welt gekommen, und durch Jesus dürfen wir erleben und erfahren, was es bedeutet, dem Willen des Vaters gehorsam zu sein und das eigene Leben dir hinzugeben.
Hab Dank dafür, dass wir durch Jesus Christus vor dich treten dürfen – mit allem, was uns beschäftigt, mit dem, was uns zerstören will, und mit dem, was uns an Leib und Seele krank macht. Wir legen all das vor dich hin.
Heute vertrauen wir aufs Neue darauf, dass du der feste, unverrückbare Grund unseres Glaubens bist. Dafür preisen und loben wir dich. Halleluja, Amen.