Einführung und Ausgangssituation der Geschichte
Wir haben heute als Predigttext aus dem ersten Buch Mose Kapitel 50, Verse 15 bis 21, Seite 68 in den ausgelegten Bibeln.
Die Brüder Josef aber fürchteten sich, als ihr Vater gestorben war, und sprachen: „Josef könnte uns gram sein und uns alle Bosheit vergelten, die wir an ihm getan haben.“ Darum ließen sie ihm sagen: „Dein Vater befahl vor seinem Tod und sprach: ‚Sie sollen dir, Josef, sagen: Vergib doch deinen Brüdern die Missetat und ihre Sünde, dass sie so übel an dir getan haben. Nun vergib doch diese Missetat uns, den Dienern des Gottes deines Vaters.‘“
Aber Josef weinte, als sie solches zu ihm sagten. Seine Brüder gingen hin, fielen vor ihm nieder und sprachen: „Siehe, wir sind deine Knechte.“
Josef aber sprach zu ihnen: „Fürchtet euch nicht! Stehe ich denn an Gottes Statt? Ihr habt es böse mit mir zu machen gedacht, aber Gott gedachte es gut zu machen, um zu tun, was jetzt am Tage ist, nämlich am Leben zu erhalten und ein großes Volk.“
„So fürchtet euch nicht! Ich will euch und eure Kinder versorgen.“ Und er tröstete sie und redete freundlich mit ihnen.
Die Angst der Brüder und das menschliche Empfinden von Schuld
Herr, wir schließen dieses Wort an Armin an. Die Brüder Josephs waren sehr mutige Leute. Sie zögerten keinen Moment, ihren kleinen Bruder Josef zu ängstigen und ihn sogar als Sklaven zu verkaufen.
Doch plötzlich bekamen sie Angst. Lange Zeit hatten sie keine Angst. Sie gingen an ihrem Bruder vorüber und konnten nicht mitfühlen mit dem Schrecken, den er erlitt. Aber auch sie hatten Angst. Erst als sie in Gefahr waren, damals, als sie nach Ägypten gezogen waren und dem strengen Superminister Ägyptens begegneten, bekamen sie Angst.
Der Superminister sagte, es seien Spione. Da erschraken sie. Zum ersten Mal kam ihnen der Gedanke, ob das alles, was sie jetzt erleben müssen, nicht Vergeltung sei. Sie wussten ja nicht, dass es ihr Bruder war. Aber sie hatten eine Angst, die sicher jeder Mensch heute hat: die Angst vor einer Art Vergeltung, die Nemesis genannt wird, die irgendwann das Heimzahlt, was man Böses getan hat – und noch viel mehr.
Sie erschraken noch mehr, als sie Benjamin mit hinunternahmen und zum Schluss ausgerechnet in dem Sack mit Getreide bei Benjamin der Silberbecher des Superministers gefunden wurde. Das konnte doch nicht möglich sein! Dann gingen sie miteinander zurück, erschrocken und sagten: Das haben wir an unserem Bruder verschuldet. Gibt es nicht eine ausgleichende Gerechtigkeit in dieser Welt?
Zum dritten Mal erschraken sie, als der Vater tot war und nun Josef vor ihnen stand. Sie sagten: Böses muss abgegolten werden. Sie hatten ein Rechtsempfinden und meinten, Josef könne nicht daran vorbeigehen, dass er mit uns abrechnen müsse.
Die Angst als Ausdruck eines tiefen Schuldgefühls
Interessant ist, wie die Bibel Zustände beschreibt, die Menschen empfinden, insbesondere hinter der Angst. Sehr oft steht hinter der Angst ein berechtigtes Gefühl. Es könnte etwas in unserem Leben geschehen, das wir verdient haben.
Seitdem ich das begriffen habe, kann ich bei Besuchen, etwa im Krankenhaus, gerade bei Menschen, die kaum Bezug zum christlichen Glauben haben, viel freimütiger sprechen. Ich habe den Eindruck gewonnen, dass auch Menschen, die schwere Schläge treffen, ähnlich empfinden wie die Brüder Josefs. Sie sagen: „Dass ich so krank bin, ist sicher die Folge von manchem in meinem Leben, das nicht bereinigt ist.“
Die Menschen unserer Tage haben ein viel feineres Empfinden für ungelöste Fragen. Wir wissen, dass wir manchmal so tun, als ob die Frage der Schuld die Menschen nicht bewegt. Natürlich redet man über Schuld, aber gerade der moderne Mensch spürt ganz deutlich: In meinem Leben ist nicht alles richtig, sondern auch viel unrichtig, falsch und verkehrt.
Und wenn etwas Böses einem widerfährt, ist der erste Gedanke oft: „Ach so, jetzt wird mir heimgezahlt. Ach, das muss ich also mit Recht büßen, das widerfährt mir.“ Das ist kein christlicher Gedanke, sondern ein gesundheitlicher Gedanke.
Mir ist heute Morgen ganz wichtig in diesem Gottesdienst, dass Sie in Ihrem Leben Klarheit darüber haben: Wenn Ihnen Schweres widerfährt, ist dies nicht Gottes Gericht. Sie dürfen das nicht verwechseln. Gottes Gericht kommt am Jüngsten Tag oder wenn Sie heute vor dem gekreuzigten Jesus stehen und Ihre Schuld ihm zu Füßen legen. Wenn Sie heute durch Gericht gehen und Ihr Leben bereinigen.
Dann wissen wir Christen, dass das Schwere, das uns widerfährt, nichts mit unserer Schuld zu tun hat, als ob das verrechnet werden könnte oder als ob wir das tragen könnten. Das ist wieder dieser falsche Gedanke, als ob man die Verfehlungen seines Lebens abbüßen könnte.
Ich möchte Sie bitten, dass Sie in Ihrer Lebensführung hier Klarheit haben. Darum sind Menschen oft so bedrückt und belastet, wenn ihnen Schweres widerfährt, wenn sie Sorgen und Ängste haben, weil sie das nie gelöst haben.
Ich möchte Sie dringend ermutigen, dass Sie als Christ vor Gott Ihr Leben lösen und nicht so wie die Brüder Josefs in der Angst stehen bleiben über die ungelösten Schulden Ihres Lebens.
Josef als Vorbild im Umgang mit Leid und Schuld
Josef war ganz anders als seine Brüder. Obwohl ihm Böses widerfuhr und er schlecht behandelt wurde, dachte er nie wie sie. Er dachte nicht: „Ach, das habe ich ja verdient, und jetzt wird etwas heimgezahlt.“ Im Gegenteil: Er konnte das Böse, das ihm widerfuhr, vor Gott annehmen und einordnen. Selbst in den dunklen Abschnitten seines Lebens wusste er sich unter der Führung Gottes.
Ungläubige Menschen lachen darüber und fragen: „Wo ist denn Gottes Führung? Nehmen wir mal das Beispiel von Josef. Man sieht doch gar nichts von Gott. Man sieht nur, wie Menschen gemein und hinterhältig sein können.“ Kennen Sie das auch? In den vielen Kapiteln sieht man überhaupt nichts von der Nähe Gottes. Es wirkt leer und trostlos – so wie bei vielen von uns, die sich allein gelassen fühlen in einer Welt voller Gemeinheit, Hass, Selbstsucht, Intrigen und Unrecht.
Und doch hat Josef die Ruhe – die Ruhe dessen, der Gott vertraut. Er überlässt sein Leben Gott. Er kann auch die Stöße und das Dunkle aus der Hand Gottes empfangen. Das ist die Glaubenshaltung, nicht die seiner Brüder.
Darum ist die Führung Gottes, von der wir sprechen, kein Hirngespinst, sondern etwas sehr Fassbares.
Die Bedeutung der göttlichen Führung in dunklen Zeiten
Führung Gottes – das wünschen wir uns, wenn wir nicht genau wissen, wohin wir gehen sollen oder welche Entscheidungen wir treffen sollen. Aber Josef zeigt uns, dass Führung Gottes noch viel mehr bedeutet.
Führung Gottes heißt auch, in dunklen Stunden ganz froh und gelassen sein zu können. Denke in deiner Drangsal nicht, dass du von Gott verlassen bist. Auch dann, wenn über dir die Wellen zusammenbrechen und du meinst, jetzt gehe ich unter, kannst du sagen: Mein Schifflein wird von meinem Herrn geführt.
Und wenn ich gar nichts sehe und spüre, bin ich ganz getrost – er ist da. Du musst dir in deinem Leben gewiss sein, ob du von Gott geführt wirst. Sonst findest du keinen Frieden, kannst die Angst nicht überwinden und wirst nicht ruhig.
Ich hoffe, dass dir nicht so viel Schweres widerfährt wie Josef. Er hat auch einen einsamen Rekord aufgestellt. Ich gehe wohl nicht fehl in der Annahme, dass es bei dir etwas besser aussieht. Aber nimm dir ein Beispiel an Josef: Ich will mich der Führung Gottes anvertrauen.
Drei Ratschläge zur Führung Gottes
Ich habe Ihnen drei Ratschläge dazu.
Erstens: Sie dürfen selbst nicht dazwischenfunken. Das ist die größte Gefahr. Wenn man sein Leben von Gott führen lässt, besteht die Versuchung, plötzlich zu meinen, man müsse selbst handeln und selbst Lösungen erzwingen, um das Dunkle zu vermeiden.
Josef hat in der langen Geschichte, die die Bibel mit großer Ausführlichkeit schildert, niemals den Versuch gemacht, dem Schweren zu entfliehen. Es wäre ihm sehr leicht gewesen, doch er wollte nie einen Tag Freiheit haben, ohne dass Gott sie ihm schenkte. Er wollte nie aus dem Gefängnis entkommen, ohne dass es von Gott gewollt war.
Er erwartete die Durchbrüche aus der Hand Gottes. Das mag so aussehen, als sei dies eine sehr passive, duldsame Haltung. In Wirklichkeit ist es jedoch eine sehr aktive Rolle des Glaubens.
Die Stationen von Josefs Leidensweg
Möchte man die Stationen von Josef noch einmal aufzählen, stellt sich die Frage: Was für ein Gefühl hatte Josef, als ihn seine Brüder an Sklavenhändler verkauften? Für ein paar Pfennige wurde er verschoben und schließlich auf dem Sklavenmarkt in Alexandria angeboten. Dort wurde er von den Menschen begutachtet, die seine Muskelkraft und seine Gesundheit prüften. Man behandelte ihn wie ein Tier.
Kann ein Mensch das überhaupt ertragen? Wenn Menschen ihre Würde von der Meinung anderer abhängig machen, halten sie das nicht aus. Sie brauchen Lob und Anerkennung von Menschen. Josef hingegen bezog sein Urteil von Gott, und das machte ihn ruhig.
Er sagte sich: „Lasst die Menschen reden, wie sie wollen. Sie können mich behandeln wie ein Tier.“ Er wusste, dass Gott ihn auch an diesen dunklen Ort gestellt hatte. Wenn man das für sich praktisch nimmt, erkennt man, dass die Würde unseres Lebens uns von Gott geschenkt ist.
Dieses Bewusstsein macht uns gelassen, auch wenn Menschen uns herabsetzen, uns die Ehre abschneiden oder uns beleidigen.
Josefs Vertrauen und Gnade in schwierigen Situationen
Joseph geht seinen Weg und erhält dafür Gnade. So gelingt es ihm, auf diesem untersten aller Wege das Vertrauen der Mächtigen dieser Welt zu gewinnen. Das Vertrauen von Potifar, der damals der Justizminister in Ägypten war, fällt ihm zu. Auch das Vertrauen der Menschen wird ihm zuteil.
Diese Dinge können wir nicht erzwingen und sie sind uns auch nicht von Natur aus gegeben. Die Bibel zeigt uns, dass sie geschenkt werden, wenn man Gott vertraut. Bleibt das nicht im Dunkeln? Nein, denn Gott kann uns unverdient und plötzlich beschenken.
Auch wenn wir noch angeschlossen sind, dürfen wir an die große Fülle des schenkenden Gottes glauben.
Die Versuchung und Josefs moralische Standhaftigkeit
Und dann kam diese dunkle Situation – mit der Frau Potifar. Und wir heute? Wir stehen vor Auseinandersetzungen in Fragen der neuen Moral.
Wir fragen uns immer wieder: Wie kann Josef nur so zielstrebig seinen Weg gehen, obwohl er doch nie in seiner Jugend die 10 Gebote gelernt hatte? Die gab es doch erst ab dem Sinai. Doch die Gebote Gottes entspringen so folgerichtig seiner Liebe, dass er klare Ordnungen gibt. Dadurch müssen wir unser Glück und unsere Befriedigung nicht auf krummen Wegen und auf Kosten anderer suchen.
Josef sagt: „Ich kann so großes Übel nicht tun und meinen Herrn, Potifar, verletzen und ihm das rauben, was ihm gehört – nicht mir.“ Für ihn war das ein klares Nein. Obwohl die Frau ihn drängte: „Schlafe bei mir“, sagt er Nein.
Er hätte denken können: Wenn ich mich mit dieser Frau arrangiere, dann geht es mir gut. Dann bin ich lebenslang ein gemachter Mann. Ich könnte ein blaues Leben spielen und eine große Rolle in Ägypten übernehmen. Doch das will er gar nicht. Es ist ihm zu keinem Zeitpunkt verlockend.
Er will keine Freiheit um jeden Preis. Er will nicht vom Sklavenstand befreit sein, wenn Gottes Führung ihn nicht dorthin treibt. Und er hat Angst, selbst nur irgendwie zu helfen, indem er nachgibt. Lieber flieht er ohne Mantel und ohne Kleidung aus diesem Haus, als seinen Prinzipien untreu zu werden.
Als er diesen menschlichen Strebungen nachgibt, ...
Gefängniszeit und der Umgang mit Enttäuschung
Wenig später, im Leben Josephs, war er also im Gefängnis und sprach dort mit den Mundschenken und dem Bäcker. Der Mundschenk wurde nach drei Tagen freigelassen. Joseph bat ihn: „Vergiss mich nicht.“ Haben Sie auch schon einmal mit Menschen bittere Erfahrungen gemacht? Der Mundschenk vergaß ihn. So wie ein Regenschirm, den man irgendwo liegen lässt.
Ich weiß gar nicht, wo ich meinen Regenschirm gelassen habe. An solche Dinge denkt man nicht immer. Joseph, der ihm doch geholfen hatte, bat ihn, seinen Namen bei Pharao zu erwähnen und auf das schreiende Unrecht hinzuweisen.
Ich spreche jetzt zu denen, die sagen: „Ich könnte von meinem Leben ähnliche Geschichten erzählen. Ich habe einmal alles einem Menschen gegeben, und dann hat er mich weggestoßen, hat mich vergessen.“ Aber Joseph wurde nicht bitter. Wir werden bitter. Das ist diese Empfindlichkeit, die uns selbst schmeicheln will.
Joseph lebte die Führung Gottes. Er wollte Gott nicht dazwischenfunken lassen, sondern bloß treu seinen Weg gehen – auch wenn es jahrelang durch die Nacht ging.
Der Glaube als Grundlage von Josefs Edelmut
Wenn Sie das Geheimnis des Segens Josephs erkennen wollen, müssen Sie verstehen, wie er Gott vertraut. Das steht in Ihrer Bibel.
Oberflächlich betrachtet könnte man sagen, es sei Josephs Edelmut. Doch das ist Unsinn. Es ist nicht einfach nur Edelmut, sondern Josephs Glaube. Es handelt sich dabei nicht um eine bloße Charaktereigenschaft, die man als „nett“ beschreibt. Oft höre ich in Gesprächen, wie manche sagen: „Ich bitte Gott immer, dass er mir Liebe gibt.“ Haben wir alle nicht. Oder: „Ich bitte um Geduld.“ Geduld haben wir alle nicht.
Die entscheidende Frage ist jedoch, ob wir Glauben haben und ob wir aus Glauben Liebe empfangen. Joseph hat seinen Edelmut nicht aus sich selbst heraus getragen, sondern er hat im Glauben gelernt. Dabei wurde ihm klar: Entweder glaube ich, oder ich sinke in ganz andere Tiefen ab, wenn ich die Hand Gottes, die mich führt, ausschlage.
Wir müssen das genau auseinanderhalten. Glaube ist nicht bloß ein Gedanke oder Gefühl, sondern eine Lebenshaltung, die Gott vertraut. In den entscheidenden Krisenpunkten des Lebens nimmt man Gottes Wort voll an.
Josef als Erziehungsideal und Vorbild
Tatsächlich ist es so, dass in Israel die Gestalt Josefs gerne herangezogen wurde, um jungen Menschen ein Erziehungsideal anzubieten. In den Schulen wurde dies gelehrt.
Heute gibt es wahrscheinlich kaum noch solche Erziehungsideale. Wenn man jedoch die Spruchsammlung Salomos liest, diese wunderbare Darstellung eines wirklich menschlichen Wesens, dann spürt man, wie dahinter das Bild Josefs erkennbar wird. Es ist das Bild eines ruhigen Menschen, der dennoch nicht aus sich selbst heraus so ist.
Dieser Mensch ist es nur, weil er glaubt und Gottes Hand ergreift. Er sagt: "Ich will mein Leben nur mit Gott leben." Und dann ist er gesegnet. Eine richtige Antwort ist wie ein Kuss auf die Lippen – so heißt es in den Sprüchen. Das ist Josef: Er wird nicht bitter.
Ein Wort, das zur rechten Zeit gesprochen wird, ist wie goldene Äpfel in silbernen Schalen. Das kann nur derjenige, der im Glauben steht. Weil er nicht aus seiner natürlichen Art heraus zurückschlagen muss und sogar um den Segen Gottes weiß.
Die Unterscheidung von Gottes Wirken und dem Bösen in der Welt
Das zweite: Kein Tiefschlag haut ihn zusammen. Manche haben Schwierigkeiten, die Führung Gottes in ihrem Leben immer wieder richtig einzuordnen. Dann sagen sie: „Ja, dann macht Gott also all das Böse.“
Man muss immer wieder darauf hinweisen: Das Böse, das in der Welt geschieht, wird nicht von Gott gemacht. Gott hat noch nie einen Krieg geführt. Gott hat noch nie aus einer Kanone geschossen. Gott ist noch nie betrunken mit dem Auto auf der Straße gefahren und hat dabei vier Leute getötet. Gott hat noch nie jemandem absichtlich einen Fuß gestellt, damit er fällt. Das sind Menschen, die so etwas tun.
Das Unheimliche, das in der Welt geschieht, wird von Menschen verursacht. In der Josefsgeschichte sind es Menschen, die wir mit dem Finger zeigen können – das waren seine Brüder. Also bitte verwechseln Sie das nicht.
Auch Krankheiten sind nicht von Gott. Krankheiten sind böse Mächte, die stark auf unser Leben einwirken können. Und die Gott wüten lässt? Nur das steht in der Bibel: Gott lässt das geschehen. Gott lässt zu, dass Josef in eine Situation kommt, in der wirklich alle bösen Mächte losgelassen sind und sich über ihn Schlechtes zusammenbraut.
Man muss sagen, dass es unbegreiflich ist, wie Josef hier noch Haltung bewahren und Ruhe haben kann. Wie kann Josef dies tun? Er weiß, dass hinter diesen dunklen Mächten Gott steht. Wenn die Stunden gekommen sind, bricht die Hilfe mit Macht herein. Gott führt die Regie.
Gottes Regie auch in Krankheit und Bedrängnis
Und das müssen Sie wissen: Ich denke jetzt an so viele, die unter uns sind und sich am Ende in der Bedrohung durch Krankheit befinden.
Ich sage Ihnen ganz offen, dass Gott die Regie führt – auch bei der Krankheit. Man müsste jetzt einige aus unserer Mitte zu Wort kommen lassen, die das plötzlich entdeckt haben. Diese Menschen haben seitdem Ruhe, selbst im Leben mit unheilbaren Krankheiten. Sie wissen, dass Gott die Regie führt.
Ich habe ein großes Ziel, auf das ich zulebe. Und das gilt erst recht, wenn man meint, von Menschen verlassen und betrogen zu sein. Wie viele unter uns sind verwundet, weil sie einmal Liebe zu einem Menschen hatten und diese Liebe dann zur schlimmsten Bitterkeit ihres Lebens wurde.
Wenn Sie spüren: Gott führt mein Leben, er ist der Regisseur. Dann wollen Sie ihm jetzt alles überlassen und selbst nicht mehr handeln.
Josef als Beispiel für Gottes Plan und Schutz
Und wieder wird an dieser Stelle deutlich, wie Josef ganz anders denkt als seine Brüder. Nicht so, dass er Schuld abtragen muss im Leben. Sie sollen den Unsinn lassen, denn sie können ihre Schuld nicht abtragen. Ihre Schuld kann nur Jesus abtragen. Dem müssen sie bei ihm beichten. Aber dann dürfen sie ihr dunkles Leben weitergehen – im Wissen, dass Gott hier durch sie seine Pläne vollführt.
Josef sagte seinen Brüdern sehr klar: Ihr hattet die Absicht, Böses mit mir zu tun. Das waren eindeutig böse Absichten. Aber Gott – Gott kann hinter jedem Schachzug, den böse Menschen machen, einen ganz anderen Schachzug setzen. Einen, den niemand erwartet.
Darum sind wir so froh, weil nichts Dunkles geschehen kann, ohne dass Gott es zum Guten wendet. Es ist auch groß, wie Josef seinen Brüdern sagt, dass Gott ihn deshalb bewahrt hat, weil er einen großen Plan mit seinem Leben hat.
Gottes Zweck für das Leben und die Fruchtbarkeit des Lebens
Es ist gut, wenn wir immer daran denken, dass Gott nicht nur an unsere individuellen Gefühle denkt, wenn er uns Erfahrungen seiner Güte schenkt. Er will noch viel mehr: Er möchte, dass unser Leben tragfähig wird für sein Reich.
Warum erhält uns Gott bis heute am Leben? Ist es, damit wir heute Mittag satt werden beim Essen? Oder damit wir einen schönen Urlaub machen? Oder damit wir heute fröhlich sind? Nein, es ist, damit unser Leben Frucht trägt für seine Ewigkeit.
Josef kann das sicher sagen: Gott hat ihn am Leben erhalten, weil sein Leben noch Frucht bringen musste. Sein Leben hatte noch ein Ziel in dieser Welt. Solange dieses Ziel nicht erreicht ist, wird es hier am Leben erhalten.
Bis die Pläne, die Gott in uns gesetzt hat, ausgeführt sind, hält er uns am Leben.
Die Reaktion der Brüder nach dem Tod des Vaters und die Bedeutung von Vergebung
Das dritte Josef reagiert ganz anders. Die Brüder von Josef hatten sich bereits gewundert, wie großmütig ihr Bruder zu ihnen war, als er sich ihnen zu erkennen gab.
Doch als der Vater gestorben war und sie von der Beerdigung heimkamen, wurde dieser einbalsamiert und dann nach Israel zurücktransportiert. Da dachten sie sich: „Aber jetzt kommt...“
Erschütternd ist, wie sie ihr Leben lang die Schuld mit sich herumtragen und sich nie eingestanden haben, warum sie eigentlich nicht öfter mit ihrem Bruder darüber gesprochen haben. Doch über Schuld redet man nicht, und das wäre wirklich trügerisch.
Wir würden nur deshalb, weil die Menschen nicht darüber sprechen, annehmen, sie hätten keine Schuldgefühle. Dabei empfinden sie eine große Schuld. Sie dachten, jetzt wird er sich doch rächen, jetzt muss er doch endlich gegen uns handeln. Warum tut Josef das nicht? Das wäre doch ganz natürlich und verständlich. Schließlich müsste er doch einmal seiner Selbstgeltung wenigstens Raum verschaffen. Er müsste es doch wenigstens die anderen spüren lassen.
Wir sagen immer, wir handeln nicht aus Genugtuung, sondern als Lektion, damit die anderen besser werden – als Erziehungsfaktor. So umschreiben wir meist unsere Rachehandlungen. Warum handelt Josef nicht so?
Die Bergpredigt als Ausdruck des Glaubens und nicht nur als Ethik
Ich möchte Ihnen zum Schluss noch einen wichtigen Gedanken mitgeben. Heute sprechen wir fortwährend über die Bergpredigt. Es ist fast eine Modewelle: Jedes Wort zum Sonntag und jede Morgenandacht im Rundfunk dreht sich zurzeit um die Bergpredigt.
Den Menschen wird gesagt, dass sie eben nicht rächen sollen und ihre Feinde lieben sollten. Doch das erscheint vielen als unbrauchbar. Wer kann das schon? Man legt den Menschen eine Last auf, die sie kaum tragen können.
Können Sie das wirklich? Die Prediger tun oft so, als ob es möglich wäre. Sie meinen, man müsse den Menschen das nur sagen. Aber wir wissen doch: Sobald unser Herz schwer wird, reagieren wir anders. Wir müssen uns wehren, wir fahren aus der Haut. Warum tut Josef das nicht? Er steht vor dem gleichen Problem wie wir.
Darum kann man das Handeln nicht vom Glauben trennen. Wer heute so tut, als könne er dem modernen Menschen ethisches Handeln verkaufen, ohne Glauben, der wird zum Betrüger. Er täuscht die Menschen. Und das ist das Gemeinste, was man im Zeichen des Christentums tun kann: Menschen zu Handlungen zu nötigen, an denen sie zerbrechen müssen, die sie gar nicht erfüllen können.
Das kann nur Josef. Schauen Sie ihn sich einmal an. Er weiß sich unter der Führung Gottes. Es wäre töricht von ihm, sich aufzuspielen, als wolle er rechtschaffen sein oder seine Brüder erziehen. Das ist nicht seine Sache.
Die Liebe zum Feind als Ausdruck des Glaubens
Und dann verstehen Sie, warum Jesus in der Bergpredigt gesagt haben soll, den Feind zu lieben. Doch nicht, weil er eine neue Ethik verkündigt hat, sondern weil das glaubende Christen leben, die etwas erfahren haben von dem Gott, der sie schützt und bewahrt.
Nur wer das weiß, kann ganz gelassen und froh sein. Er weiß: Schuld muss ich nicht heimzahlen, das muss Gott tun. Und Gott muss richten; ich kann das nicht. Er stellt sich aber dem anheim, der da Recht richtet.
Josef als Urbild Jesu und die Hoffnung auf den Frieden Gottes
Wenn sie dies am Ende noch betrachten, wird ihnen deutlich, wie Josef ein natürliches Vorbild und ein Urtyp Jesu ist.
Da zeigt sich das, was später, wenn Jesus wiederkommt, deutlich wird: Er geht durch die Nacht, wird misshandelt, verfolgt und niedergedrückt. Und doch segnet er, wenn man ihm flucht.
Weil auch sein Leben in die Hände des Vaters gegeben ist, meint Jesus wirklich, dass sie dieselbe Geborgenheit in dieser wilden Welt haben sollten. Dass sie den gleichen Frieden brauchen – den Frieden, der höher ist, als die Welt begreifen kann, weil es sein Frieden ist.
Nur diejenigen haben diesen Frieden, die durch die Wirklichkeit hindurch auf den gegenwärtigen Gott schauen. Und das macht uns ruhig, wenn wir uns führen lassen und unser Leben nicht mehr in eigener Regie leben.
Sondern wenn wir uns dem großen Gott anvertrauen und uns ihm verschreiben. Armin.