Das Fest

Hochzeit zu Kana
Konrad Eißler

Wie auf der Hochzeit in Kana aus einer peinlichen eine herrliche Situation wird. Aber die 420 Liter Wein sind erst eine Kostprobe sind für das, was Gott einmal bei der letzten großen Hoch­zeit tun wird. - Predigt aus der Stiftskirche Stuttgart


[Predigtmanuskript, nicht wortidentisch mit der Aufnahme]

In Kana war was los, liebe Gemeinde. In Kana, 13 km nördlich von Nazareth, ging’s hoch her. In Kana, dem heutigen Ruinenfeld Khirbet Qana, wurde ein Fest gefeiert. Zwei junge Leute hatten füreinander Feuer gefangen. Man sah sie immer öfters zusammen, bei der Dämmerung sogar händchenhaltend unterm Feigenbaum. Ihre flam­mende Liebe war kein süßes Geheimnis mehr. Aber er sagte nicht zu ihr: “Du, ich habe ein Zimmer gemietet. Pack deine Koffer und zieh zu mir. Auch wenn deine Eltern dumm dreinschauen, weil sie von vorgestern sind, heute ist das ‘in’. Als Partner können wir unsere Liebe testen. Von Ehestand reden wir dann, wenn wir ge­standen sind.” Diese jungen Leute probierten nicht, weil sich Ehe nicht ausprobieren lässt. Diese jungen Menschen spielten nicht ein bisschen, weil sich Ehe als Spielwiese wahrlich nicht eignet. Dieses junge Paar setzte einen Anfang und machte ein Fest. Das ganze Dorf war auf den Beinen. Die ganze Sippe war von weither angereist. Alles, was Rang und Namen hatte, gab sich ein Stelldichein, vom Bürgermeister bis zum Rabbi, vom Doktor bis zum Straßenhändler. Auch Maria, die Frau aus dem nazarenischen Zimmermannsgeschäft und Mutter des berühmten Sohnes, tauchte unter den Frohgestimmten auf. Sogar der Herr selbst, der Wanderprediger und Wunderheiler, war mit von der Partie. Nein, Jesus ist kein finsterer Asket, der sich nur durch Steinwüsten und Sandsteppen treibt. Ihm ist unser Leben und Treiben ein Anliegen. Er lässt sich einladen. Jesus ist kein grämlicher Spielverderber, der nur andern die Freude vergällen will. “Freuet euch mit den Fröhlichen.” Er kommt zum Fest. Jesus ist kein hochnäsiger Gentleman, der sich nur in gehobenen Kreisen bewegt. Kittel und Titel spiel­en bei ihm keine Rolle. Er fühlt sich bei allen wohl. Deshalb darf es kein Haus geben, das ihm den Zutritt verwehrt. Deshalb darf es keine Tafel geben, die ihm den Stuhl verweigert. Deshalb darf es keine Fete geben, die ohne ihn abläuft. Vor allen Ein­ladungen - komm lieber Opa, komm liebe Tante, komm lieber Freund, komm lieber Kollege, komm lieber Chef -, vor all diesen Einladungen muss doch die dringende Bitte stehen: Komm, Herr Jesu, sei du unser Gast! Wo Jesus ist, wird’s fröhlich. Wo Jesus ist, wird’s festlich. Erst Jesus macht ein Fest zum Fest, so wie in Kana. Kellner eilten durch die Reihen, um das Beste aus Küche und Keller auf­zutischen. Musiker zupften sich die Finger wund, um eine würdige Tafelmusik zu bieten. Blumenkinder überbrachten ihre Körbe, um die Braut zu erfreuen. Amateurdichter deklamierten ihre Holper­reime, um den Bräutigam aufzuziehen. Tischredner entfalteten ihre Manuskripte, um mit viel schönen Reden den Tag zu preisen. Alle erhöhen ihre Gläser, um das strahlende Paar dreimal hochleb­en zu lassen. Festlich war es, einfach festlich. Aber hinter den Kulissen hörte man einen ganz anderen Klang, nämlich:

1. O wie peinlich!

Der Wein ging zur Neige. Man befand sich erst bei der Ouvertüre und freute sieh auf viele Akte, aber die Wein­gläser wurden nicht nachgeschenkt. Man hatte erst richtig angefangen und hoffte auf viele Höhepunkte, aber die Weinkannen wurd­nn nicht nachgefüllt. Man war erst gerade warm geworden und rechnete mit vielen schönen Stunden, aber die Weinkrüge klangen hohl. Eine große Verlegenheit machte sich breit. Eine mittlere Katastrophe bahnte sich an. Ein Beben erfasste die Verantwortlich­en. Der Wein, der nach Psalm 104 des Menschen Herz erfreut, der Wein, der nach alter Sitte auf jeden Tisch gehört, der Wein, der den täglichen Durst löscht, war alle. O wie peinlich! Natürlich hätte man auch bei Apfelsaft und Sprudel oder bei Kaffee und Tee fröhlich sein können, aber der hintergründige und tiefsinnige Evangelist Johannes macht darauf aufmerksam, dass all unsere Durstlöscher zur Neige gehen. Auch die größten Vorräte sind schnell ausgeschenkt. Jedes Angebot verbraucht sich. Wir mögen nach der Flasche greifen und uns im Alkohol vergessen, wir mögen nach der Tablette greifen und uns mit Medikamenten vollstopfen, wir mögen nach der Zigarette greifen und uns mit Narkotika benebeln, Trinken, Essen, Rauchen, Eros, Narkotika, Sensationen, alles verbraucht sich oder verbraucht uns. Unserem Durst ist nicht beizukommen. All unsere Krüge sind bald leer. O wie peinlich! Maria erspürte die Misere. Sie erspähte die betroffenen Mienen. Mit hauswirtschaftlichem Scharfblick erkannte sie: Das ist kein Sturm im Wasserglas, sondern Ebbe im Weinglas! So darf man die Leute nicht hängen lassen. Hier muss geholfen werden und zwar sofort. Deshalb nahm die Mutter den Sohn zur Brust und flüsterte ihm ins Ohr: “Sie haben keinen Wein.” Mütterliches Kommandieren war drin: Du, ja Du! Mütterliches Dirigieren war hörbar: Jetzt, ja jetzt! Auch mütterlicher Stolz schwang mit: Meiner, ja meiner! Darum wandte sich der Sohn barsch ab: “Was geht’s dich an, Frau, was ich tue? Meine Stunde ist noch nicht gekommen!” Jesus lässt sich nicht kommandieren. Jesus lässt sich nicht dirigieren. Jesus lässt sich nicht einmal von seiner eigenen Mutter vereinnahmen. Sicher kann er aus jeder Patsche helfen. Sicher will er aus jedem Malheur ret­ten. Nie ist er mit seinem Latein am Ende. Aber nach unseren Wünschen zaubert er nicht und nach unserer Pfeife tanzt er nicht. Jesus ist doch kein zweiter Dionysos, der nach Pausanias im Tempel zu Elis leere Kessel entgegengenommen hat und sie über Nacht mit Rebensaft volllaufen ließ. Jesus ist doch kein zweiter Mephisto, der nach Goethe in Auerbachs Keller zu Leipzig die Tischkanten angebohrt hat und den Zechern jeden Wein aus den Bohrlöchern herausfließen ließ. Jesus ist doch der Sohn Gottes, der sich seinen Stundenplan nicht von uns, sondern von seinem Vater geben lässt. Er weiß allein den rechten Augenblick, wann und wie Hilfe zu greifen hat. Gott timt immer richtig. Merken wir das, wenn wir für unsere Dürstenden bitten: Sie haben keinen Wein mehr! Hören wir das, wenn wir für unsere Hungernden bitten: Sie haben kein Brot mehr! Wissen wir das, wenn wir für unsere Jungen bitten: Sie haben keinen Glauben mehr! Lernen wir das, wenn wir für unsere Alten bitten: Sie haben keine Kraft mehr! Buchstabieren wir das, wenn wir für unsere Kaputten bitten: Sie haben keine Hoffnung mehr. Er lässt sich von uns nicht festnageln, aber seit ihn sein Vater festnageln ließ, seit der Nagelung am Kreuz, wissen wir es ganz genau: Wenn die Stunden sich gefunden, bricht die Hilf mit Macht herein, um dein Grämen zu beschämen wird es unversehens sein. So, wie in Kana. Das Kulissengeflüster “o wie peinlich” schlug in “o wie reichlich” um. Das ist das Zweite.

2. O wie reichlich!

Am Saalausgang waren sechs gewaltige Wasser­behälter postiert. Jeder fasste runde 70 Liter. Nach altjüdischem Reinigungsritual musste sich jeder Ankommende eine Schale Wasser über die Hände gießen. Nur so war er rein und würdig für das Fest. Und dieses Reservoir war leer, ein Zeichen für die große Zahl der Gäste. “Füllt sie mit Wasser!” befahl jetzt Jesus den verdutzt dreinschauenden Kellnern. Hatten sie nichts Besseres zu tun? Sollten sie nicht mit leckeren Speisen die Feiernden bei Laune halten? Mussten sie nicht für Nachschub aus der Küche sorgen, anstatt die Wasserträger am Brunnen zu spielen? Von ihren Fragen und Zweifeln, von ihrem Meckern und Maulen wird uns nichts erzählt. Aber davon ist berichtet, dass sie liefen und schöpften, schleppten und gossen. Dann waren die Fässer gestrichen voll, 420 Liter Flüssigkeit, ein Wasserbach zum Baden, nein, ein Weinsee zum Trinken! O wie reichlich! So wie später am See Genezareth. 5000 Menschen lagerten im Gras und hörten Jesus zu. Aber nicht nur die Schatten, auch die Mägen wurden immer länger. Woher sollen wir etwas zwischen die Zähne bekommen? Da nahm Jesus 5 Brote und 2 Fische, schickte die Jünger los und ließ es unter die hungernde Menge verteilen. Und 12 Körbe voll blieben übrig. O wie reichlich! So wie in Jerusalem. Mit seinen Jüngern feierte er Passah. Dunkle Vorahnungen lasteten auf der Tischgesellschaft. Dann brach er das Brot: Nehmet hin und esset. Dann ließ er den Becher kreisen: Nehmet hin und trinket. Dann war ihr Lebensdurst gestillt und ihr Lebenshunger auch. Jesus machte sie an Leib und Seele satt. O wie reichlich. Jesus spart nicht. Jesus kleckert nicht. Er gibt nicht nur ein paar homöopathische Tropfen. Er bietet nicht nur ein mickriges Probiergläschen. Er zeigt nicht nur einen Schuss des köst­lichen Nass. Jesus greift in die Vollen. Jesus schenkt die Fülle. Jesus schöpft aus seinem ganzen Überfluss. Die Vorräte unseres Herrn Jesus Christus sind unerschöpflich. Kein Wunder jubelt David: “Vor dir ist Freude die Fülle und Wonne zu deiner Rechten ewiglich.” Und wenn dies schon für irdene Krüge gilt, diese Be­hälter von Lebensmittel, wieviel mehr gilt dies für alle mensch­lichen Herzen, diesen Behältern des Lebens. Oft sind wir ausge­schöpft. Oft sind wir ausgeschüttet. Oft sind wir ausgepumpt. Man ist einfach wie ausgebrannt, ausgehöhlt, leer. Dann laufen andere Dinge ein, Tränen, Trauer, Schmerz, Sorgen und füllen uns bis zum Rand. Beten wir doch mit Martin Luther: “Herr, ich bin ein armes Gefäß, das deiner Fülle bedarf. Mein Herr, fülle es, ich bin schwach im Glauben, stärke mich, ich bin kalt in der Liebe, wärme mich und mache mich heiß, dass meine Liebe herausfließe auf meinen Nächsten.” Jeder kann die johanneische Erfahrung wieder machen: “Von seiner Fülle haben alle genommen, Gnade um Gnade.” 0 wie reichlich! Und noch einmal bekommt das Kulissengetuschel in Kana einen neuen Klang.

3. O wie herrlich!

Der Speisemeister waltete seines Amtes. Alles, was auf den Tisch kam, hatte er zu prüfen. So musste auch der neue Wein von ihm gekostet werden. Schließlich war er ein Mann vom Fach, der schon manche Weinprobe hinter sich gebracht hatte. So nahm er ein Schlückchen, schmatzte mit den Lippen, schnalzte mit der Zunge, schmeckte mit dem Mund. Die Blume war umwerfend! Das Tröpfchen war einfach himmlisch! Qualitätswein mit Prädikat, Spät­lese. O wie herrlich! schwärmte er und rannte los. Er hatte alles geprüft, Farbe, Blume, Oechslegrad. Nur die Frage nach der Quelle hat er auf sich beruhen lassen. Man kann Kenner sein, ohne dass man das Wichtigste kennt. Man kann Fachmann sein, ohne dass das Ent­scheidende aufgeht. Man kann Experte sein, ohne die Dinge voll zu durchschauen. Der Speisemeister, die Kellner, der Bräutigam, die Braut, die ganze Gesellschaft sah nur den herrlichen Wein und übersah die Herrlichkeit des Herrn. Dabei sollte es doch ein Zeichen sein, ein Wegzeiger, ein Hinweisschild auf den Gott, der unser Bestes will und uns das Beste gibt. Allein ein paar Jünger erkannten und glaubten, dass diese 420 Liter erst eine Kostprobe sind für das, was dieser Gott einmal bei der letzten großen Hoch­zeit tun wird. Dann wird er nicht nur Wasser in Wein, dann wird er Leid in Freude, Krieg in Frieden, Weinen in Lachen verwandeln, ja das ganze Meer von Tränen wird zu einem Strom des Jubels an­schwellen. All unsere Pannen, Miseren, Malheure, die uns heute zu schaffen machen, werden von der umwandelnden Kraft Gottes vergessen gemacht und überstrahlt vom Glanz des großen Abendmahls. Kein Aug hat je gespürt, kein Ohr hat je gehört solche Freude, des jauchzen wir und singen dir, das Halleluja für und für. O wie herrlich! Wollen wir es auch übersehen? Wollen wir es auch überhören? Wollen wir die einmalige Chance verpassen, über aller Traurigkeit oder Fröhlichkeit die Herrlichkeit des Herrn zu er­kennen? Von ihm kommt alles und auf ihn kommt alles an.

Amen