Herzlich willkommen zum Podcast der Eva aus Stuttgart mit Jörg Lackmann und Thomas Povileit.
Unser Podcast möchte zum praktischen Christsein herausfordern und zugleich zum theologischen Denken anregen.
Das Wort Seelsorge kommt in der Bibel gar nicht vor. Und doch sollte Seelsorge die Kernkompetenz einer Gemeinde sein. Allerdings ist lange nicht alles, was unter dem Begriff Seelsorge verstanden wird, auch biblische Seelsorge. Deshalb stellen wir uns die Frage: Wann kann man ein seelsorgerliches Gespräch als biblische Seelsorge beschreiben?
Thomas, ist das nicht ein Problem, dass wir über ein Thema reden, das in der Bibel gar nicht begrifflich vorkommt? Das Wort Seelsorge steht ja nicht drin.
Das stimmt, aber Seelsorge – du hast schon begrifflich gesagt – kommt in der Bibel doch immer wieder vor. Zum Beispiel begegnet Gott nach dem Sündenfall den Menschen und stellt ihnen seelsorgerliche Fragen. Er fragt: „Wo bist du? Wer hat dir gesagt? Was hast du getan?“ Das sind die ersten Fragen, die er stellt. Das ist eine ganz hervorragende Gesprächsgrundlage auch für uns: Wo bist du? Wo stehst du jetzt? Was ist dein Problem? Dann: Was hast du gemacht? Wer hat dich dazu motiviert? Welcher Lüge hast du geglaubt? Und zum Schluss: Was hast du getan? Also, was ist deine Verantwortung? Was musst du bekennen? Das sollte ich mir als Predigtkonzept aufschreiben.
Guter Tipp.
Gut, ja, den ziehe ich mir raus. Nur weil ein Begriff in der Bibel nicht vorkommt, heißt das lange nicht, dass die Sache nicht in der Bibel vorkommt. Paulus sagt in 1. Korinther 5,14: „Weist die Unordentlichen zurecht, tröstet die Kleinmütigen, nehmt euch der Schwachen an, seid langmütig gegen alle.“ Das sind ganz klare Hinweise, wie wir mit verschiedenen Menschen in Seelsorgegesprächen umgehen sollen.
Das heißt aber auch, wenn du von verschiedenen Menschen sprichst und da schon drei Kategorien genannt hast, dass es kein Standardgespräch in der Seelsorge geben kann. Wir haben hier die Unordentlichen, die Kleinmütigen und die Schwachen, und die unterscheiden sich deutlich in der Art. Das macht Paulus ja auch deutlich. Er sagt, den Kleinmütigen kannst du nicht streng zurechtweisen, denn das bringt ihn nur noch mehr in die Depression. Da kann man vielleicht ein paar Pillen geben oder so, weil da wenig Mut vorhanden ist – man würde heute sagen, depressionsartig.
Genau, in der Richtung.
Und wenn du jetzt mit einem Unordentlichen redest und versuchst, ihm diplomatische Hinweise zu geben, dann bestärkst du ihn wahrscheinlich auf seinem Weg, weil er meint, du hast ja nichts Kritisches gesagt. Er hat es überhört. Ich habe es wohl gesagt, aber er hat es nicht wahrgenommen. Der kann wahrscheinlich auch sehr gut Sachen überhören, nehme ich mal an.
Deswegen das „Zurechtweisen“. Jedes Seelsorgegespräch ist anders. Ich persönlich finde ein Seelsorgegespräch immer herausfordernder als eine Predigt. Bei einer Predigt weiß ich, was ich sagen will, und normalerweise reden die Leute mir auch nicht dazwischen.
Wir sind keine schwarze Gemeinde.
Oh, ich würde mich so wünschen, wenn du dir… Oh Bruder, danke, egal.
Das war’s ja.
Ja, aber beim Seelsorgegespräch weiß ich entweder gar nicht, was kommt, oder ich habe mich vorbereitet. Dann sage ich am Anfang oft: „Was bewegt dich?“ Und da kann manchmal etwas völlig anderes kommen, als worauf ich mich vorbereitet habe. Deswegen sind Seelsorgegespräche immer anders, und deshalb finde ich es schwierig, ein Schema anzulegen. Nach dem Motto: Seelsorge muss immer nach diesem Schema ablaufen, man muss immer diese Fragen stellen, man muss immer bei diesem Ziel ankommen, zum Beispiel: Du musst die Wohlfühlzone erreichen oder deinen Götzen erkennen. Menschen sind auch verschieden belastbar, das heißt, sie stecken in ganz unterschiedlichen Lebenssituationen, und darauf muss man verschieden reagieren.
Manchmal – oder ich glaube meistens – muss man erst mal gut zuhören, um zu verstehen: Wo ist überhaupt das Problem? Das mal zu erfassen. Ein Schema kann es also nicht geben, weil die Situationen zu unterschiedlich und zu anspruchsvoll sind. Man hat ja mit ganz verschiedenen Menschen zu tun.
Aber du hast ja trotzdem ein Seelsorgeverständnis, wie du an das Ganze rangehst. Du gehst ja nicht einfach so rein: „Och, schauen wir mal, was passiert.“ Sondern du weißt schon, es wird unterschiedlich, aber in eine gewisse Richtung willst du gehen. Was ist denn da dein Verständnis dahinter?
Das ist eine gute Frage. Zum Beispiel in einer ganz normalen Beratung im kirchlichen Kontext wird oft von Seelsorge gesprochen, aber das sind meistens lebenspraktische Ratschläge. Das ist für mich noch keine Seelsorge, etwa: Wie gehe ich mit meinem bockigen Teenager um? Es kann hilfreich sein, dass jemand mir seinen Rat dazu gibt, aber das muss keine Seelsorge sein. Oder: Wie schaffe ich es bei der Arbeit, dass die Kollegen ihre Arbeit nicht immer auf meinem Schreibtisch abladen? Wie gehe ich damit um? Es kann manchmal echt hilfreich sein, darüber zu reden. Oder: Wie binde ich meinen Mann stärker in den Haushalt ein? Da kann ich gute Ratschläge geben, aber ich bin zurückhaltend zu sagen, das allein sei Seelsorge.
Für mich sind das eher verhaltenstherapeutische Ratschläge. Sie haben ihren Platz, aber das ist nicht alles. Das ist die eine Seite.
Dann gibt es natürlich auch die andere Seite, dass Leute zu jeder Situation sagen: „Schau auf Jesus!“ Das ist ein guter Rat, aber man sagt nicht, was das konkret in dieser Situation bedeutet. Ich helfe dem Ratsuchenden auch nicht, das umzusetzen. Wobei ja gerade die Umsetzung der Knackpunkt ist, denn das andere ist schnell gesagt.
Genau, und das sind dann verschiedene Seelsorgeansätze, über die wir uns hier unterhalten. Ich glaube, wichtig ist, die Motivation des Anderen ein Stück weit herauszufinden, um zu begreifen – oder auch meine eigene: Warum handle ich so? Wenn ich jetzt in einem Seelsorgegespräch wäre und mir ein Seelsorger gegenüber säße, wäre es ein Aha-Effekt zu erkennen: „Ah, das ist das, was mich antreibt.“ Dabei darf ich aber nicht stehenbleiben, dass ich nur verstehe, was mich antreibt.
Kannst du das noch etwas konkreter machen? Ich weiß schon ungefähr die Richtung, aber es gibt verschiedene Ansätze. Du hast Lebensberatung hervorgehoben und dann die stärkere Seelsorge. Sind das Dinge, die du nebeneinander hast, oder mal so, mal so?
Ich glaube, Lebensberatung gehört schon dazu in einem Seelsorgegespräch. Aber für mich ist das ganz wichtige Kriterium biblischer Seelsorge, ob ich Gott wirklich zentral in dieses Gespräch mit hineinnehme. Erwarte ich von ihm meine Hilfe? Glaube ich, dass er eingreifen kann? Ich habe da gern Psalm 42 vor Augen. Dort heißt es: „Was bist du so aufgelöst, meine Seele? Was stöhnst du in mir?“ Und dann die Antwort: „Harre auf Gott! Ich werde ihn auch preisen, das Heil meines Angesichts und meinen Gott.“
Der Beter redet hier über seine Emotionen, und das ist gut so. Er macht sich seine Emotionen bewusst, seine Trauer. Aber das Entscheidende ist, dass er sich von den Emotionen nicht blockieren lässt. Die Emotionen dürfen ihn nicht herumkommandieren. Das wird hier deutlich: Er redet zu seiner Seele und weist auf Gott hin. Er sagt: „Ich bleibe nicht bei mir alleine, sondern Gott kann in die Situation eingreifen.“ Das heißt, er holt Gott wirklich in sein Leben und in die Situation hinein.
Ich glaube, das ist immer das, was mich herausfordert: eben nicht bei meinen Schwierigkeiten hängen zu bleiben, sondern zu sagen: „Herr, keine Ahnung, warum du das zugelassen hast, aber ich gehe auch sehr konkrete Schritte.“ Das lerne ich von Jesus, der ja auch sagt: „Vater, lass diesen Kelch an mir vorübergehen, aber nicht mein Wille, sondern dein Wille geschehe.“ Auch hier stellt er Gottes Willen über seinen eigenen Willen.
Ich glaube, das ist das Besondere an biblischer Seelsorge: Es geht nicht in erster Linie um den Menschen und sein Wohlfühlen, sondern darum, dass Gott in meinem Leben zum Zug kommt. Darum geht es am Ende. Natürlich geht es auch darum, mir in meiner Situation zu helfen, mir beizustehen und so weiter. Aber die lange Sicht oder die weite Sicht ist, dass ich auf Gott konzentriert bin. Der Mensch dreht sich nicht nur um sich selbst und seine Probleme, sondern als Christen sind wir auf Gott ausgerichtet.
Das praktisch zu machen, ist das Entscheidende. Geredet ist es schnell so fromm, aber es geht darum, Gott in die Situation hineinzubringen.
Genau, ich versuche als Seelsorger zu schauen: Wo ist die Haltung, das Wesen des Herrn Jesus im Anderen? Wie kann man das ein Stück weit fördern? Es geht nicht nur darum, was ich schon sagte: Es geht nicht nur um mich.
Meine Frau hat ein Bibelwort, das Seelsorge sehr gut zusammenfasst. Ich finde es auch ein sehr gutes Bibelwort: Kolosser 1,28. Dort heißt es: „Ihn verkündigen wir, indem wir jeden Menschen ermahnen und jeden Menschen in aller Weisheit lehren, um jeden Menschen vollkommen in Christus darzustellen.“ Paulus sagt: „Worum ich mich bemühe und kämpfend ringe, gemäß seiner Wirksamkeit, die in mir wirkt, in Kraft.“
Das ist, was Gott dann im anderen wirklich schafft. Ich kann natürlich auch mein Problem überwunden haben, aber nichts daraus gelernt haben. Für mich ist das dann keine biblische Seelsorge. Ich sollte wirklich daraus lernen: Wie habe ich Gott jetzt kennengelernt durch dieses Problem? Was ist die Hilfe, die ich bekommen habe? Und wie kann ich das auf andere Lebensbereiche anwenden?
Der Kolosserbrief gefällt mir auch ausgesprochen gut. Das Ermahnen heißt ja auch ermutigen oder trösten im Griechischen und wird von manchen Seelsorgerichtungen auch im Titel verwendet. Dieses griechische Wort hat aber auch schon fast die Nähe zur Jüngerschaft, manchmal. Denn das ist in manchen Bereichen nur ein gradueller Unterschied, wie man Jesus nachfolgt.
Ja, ich glaube, da hast du völlig Recht, dass viele seelsorgerliche Gespräche sich auch um Themen drehen, wo man sagen könnte: Das ist wie Jüngerschaft. Aber in einem Seelsorgegespräch hast du natürlich zusätzlich noch eine spezielle oder ganz stark lebenseinschränkende Schwierigkeit, so nenne ich es mal. Da redest du darüber. Das ist in der Jüngerschaft vielleicht nicht so stark der Fall. Also ein anderer Ausgangspunkt, dasselbe Ziel, vielleicht auch dieselbe Art des Weges, aber man hat einfach bergigeres Gelände.
Ja, vielleicht könnte man sagen, von dort kommt man, und dann muss ich auch lernen, mit dem Herrn diese Berge zu besteigen.
Ich kann mich erinnern, ich war vor einigen Jahren mal in Ludwigsburg bei einem Vortrag in der Kirche. Ein Professor, der eine bestimmte Seelsorgerichtung vertrat, wurde nach ihm benannt. Das fand ich sehr interessant. Er hat eigentlich nur normale Psychologie oder Psychotherapie gebracht und ein paar Bibelverse darübergelegt. Viele haben das als biblische Seelsorge angesehen. Das war vor 30, 40 Jahren die große Auseinandersetzung: Psychotherapie oder Seelsorge? Ich habe auch noch ein Buch zu Hause mit diesem Titel. Ich weiß nicht, ob da noch ein Ausrufezeichen oder Fragezeichen dabei war.
Wie würdest du das sehen? Schließt sich Hilfe von Psychiatern oder Psychotherapeuten mit biblischer Seelsorge aus? Wenn nein, wo ergänzt sie sich? Welche Bereiche darf er betreten, wo nicht? Wo sind Gefahren?
Ich finde es immer schwierig, wenn ich meine Hilfe allein von Menschen erwarte. Da ist vorprogrammiert, dass ich enttäuscht werde. Ich erinnere an Psalm 42: „Harre auf Gott!“ Das muss meine Grundlage sein. Egal, wie ich unterwegs bin, ich erwarte von Gott meine Hilfe. Natürlich kann Gott auch Menschen benutzen. Das macht er in der Regel auch, um mir zu helfen. Dazu müssen die Menschen gar keine Christen sein. Mein Arzt, mit dem ich normalerweise unterwegs bin, ist kein Christ. Psychiater sind ja Ärzte.
Kann man Psychiater und Psychotherapeut mal definieren? Das wird gern verwechselt, habe ich gemerkt.
Ein Psychiater ist auf jeden Fall ein Arzt. Ein Psychologe ist kein Arzt. Wenn ich eine Zusatzausbildung mache, dann bin ich Psychotherapeut. Das kann ich als Psychiater sein, aber auch als Psychologe.
In der Ausbildung wurde einiges umgestellt, dass man gleich in die therapeutische Richtung geht. Ein Psychologe oder Psychotherapeut kann keine Medikamente verschreiben, keine Diagnosen stellen und keine Untersuchungen anordnen. Das kann nur der Psychiater. Also Arzt ist ein Mediziner mit zusätzlicher Psychotherapie-Ausbildung. Psychotherapeut ist eine Tätigkeit, aber Psychologe würde ich persönlich weglassen, weil es auch Arbeitspsychologen und andere gibt. Die haben nicht unbedingt mit Schulpsychologie zu tun.
Der Psychotherapeut arbeitet seelsorglich, aber er darf keine Medikamente verschreiben. Das ist bei Spielsucht oder anderen Dingen vielleicht nicht notwendig. Bei Depressionen ist es relevant, dass ich es schaffe, von der dunklen Brille, mit der ich durch die Gegend laufe, eine hellere Brille zu bekommen.
Deine Frage war ja: Darf man überhaupt zum Psychiater gehen, wenn man christlich ist oder nicht? Das würde ich gleich noch nachschieben, aber ich lasse dich erst mal ausreden.
Ich würde auf jeden Fall sagen: Ja, das darf ich. Es gibt natürlich Psychiater, die sehr stark indisch angehaucht sind oder anderes. Bei einem Gespräch mit einem Psychiater gibt es erst mal zwei Gespräche, um zu prüfen, ob die Chemie stimmt. Wenn ich merke, dass er den Glauben in meinem Leben eher als Hindernis sieht, habe ich keine Grundlage, mit ihm zu reden.
Heute sehen viele Psychiater, auch wenn sie nicht gläubig sind, den Glauben eher als Ressource. Sie sagen: „Sie glauben? Super, dann nehmen Sie Zuflucht darin.“ Die starke Auseinandersetzung, wie sie früher war, haben wir heute nicht mehr so.
Manchmal brauche ich vielleicht auch einen Psychotherapeuten, wenn es sehr komplizierte Dinge sind. Er kann mir in meinem Verhalten aufgrund seiner Erfahrungen hilfreiche Hinweise geben. Biblische Seelsorge heißt aber, dass ich als biblischer Seelsorger die ganze Zeit dabei bleibe. Diese beiden – Psychotherapeut und Psychiater, sofern er nur Medikamente verschreibt – sind eine Ergänzung.
Es geht darum, dass ich dem Notleidenden, was immer er hat, den Blick auf Jesus immer wieder stärke. Manchmal stehe ich einfach nur an seiner Seite. Bei Depressionen dauert es seine Zeit, das kann ich nicht beschleunigen. Aber ich darf da sein, Mut machen und Gottes Wort sagen. Das ist, was ich als Seelsorger tun kann.
Ich sehe das als ergänzende Sache. Sie sind nicht meine Feinde. Ich habe aber eine Verantwortung als Gemeinde, jemanden zu begleiten. Das machen wir auch sehr gerne.
Ich verstehe das zum Beispiel bei Alkoholproblemen: Der, der ihn betreut, muss nicht unbedingt Christ sein. Wobei man da auch diskutieren könnte.
Formuliere es andersherum: Wo würdest du Grenzen und Gefahren sehen? Wenn man zu viel auslagert, gibt es Bereiche, die du genannt hast, wo es in eine falsche Richtung gehen kann. Wo sagst du: Hier ist ein Stoppunkt? Hier ist es nicht mehr neutral, keine Ergänzung mehr, sondern es schadet und führt weg vom Glauben?
Jeder Psychiater hat ein weltanschauliches Bild, ob gläubig oder nicht. Wenn dieses Bild in Konflikt mit dem Glauben kommt, und das wird relativ schnell klar, habe ich dort keine Basis mehr. Es geht um Zusammenarbeit. Jeder macht seinen Bereich. Wir reden hier von komplexeren Themen, nicht nur Liebeskummer.
Wenn die anderen beginnen, gegeneinander zu arbeiten, würde ich demjenigen aus der Gemeinde sagen: Du musst wechseln. Es ist gar nicht so leicht, einen Psychotherapeuten zu bekommen. Das ist richtig schwierig.
Dann muss man vielleicht in der Gemeinde ein sogenanntes Care-Team aufbauen, also mehrere Leute, die sich um eine Person kümmern. Sie geben Basics mit an die Hand und sagen: Das solltest du tun, das ist deine Aufgabe. Manchmal ist für eine Person viel zu viel.
Das wäre eine Möglichkeit, manches abzufedern. In amerikanischen Gemeinden gibt es manchmal die Tendenz, dass die Hälfte der Gemeinde zum Psychotherapeuten geht. Das ist kein Scherz, das habe ich von einer konkreten Gemeinde gelesen.
Bei uns ist die Tendenz eher in die andere Richtung. Die Frage ist dann: Wann brauche ich eigentlich Seelsorge? Gibt es das noch, dass es weggedrückt wird und man sie nicht in Anspruch nimmt?
Ich glaube, dieser Trend ist vorhanden, aber nicht mehr so stark wie früher. Es schwächt sich ab. Es ist auch eine Generationenfrage. Die Kriegsgeneration hat viel durchlebt und sagt: Wozu brauche ich Seelsorge? Ich habe doch meine Bibel.
Trotzdem habe ich mit dieser Generation zu tun und merke, dass viele Dinge aus der Kindheit im Alter wieder aufploppen. Da merkt man, es ist doch nicht wirklich verarbeitet worden.
Aber ich würde Seelsorge nicht immer so hoch ansetzen, dass es sehr viel komplexe Probleme sind. Ich glaube, die meisten Seelsorgegespräche, die ich als solche bezeichnen würde, werden in Kleingruppen oder Hauskreisen unter dem Dach der Gemeinde geführt. Oft sind es einzelne Gespräche zu bestimmten Themen. Ich hole mir Rat bei Christen, ihre geistliche Sicht hilft mir, mich nicht zu verlaufen.
In der Bibel gibt es solche Stellen: „Habt einander lieb, ermutigt einander, ermahnt einander.“ Das ist im Grunde genommen Seelsorge.
Wenn du fragst: Wer braucht Seelsorge? Ich glaube, es ist gut, wenn wir uns angewöhnen, in seelsorgerlichen Kontakten zu anderen zu sein. Mein inneres Leben mitzuteilen, einen bestimmten Kreis zu haben und von anderen mitzubekommen, was sie in ihrem geistlichen Leben bewegt. So helfen wir uns gegenseitig auf dem Weg mit dem Herrn Jesus.
Wenn man über Seelsorge redet, unterscheidet man drei Bereiche. Einmal das, was ich gerade gesagt habe. Dann gibt es Gespräche, in denen man immer wieder über dasselbe Thema redet, zum Beispiel Magersucht oder Ähnliches. Da braucht es jemanden mit Erfahrung, der jemanden begleitet. Das kann schon ein Punkt sein, wo ein Psychiater mit dabei sein sollte.
Und dann gibt es psychische Krankheiten oder Lebenskrisen, wo jemand dabei sein muss, der Ahnung hat. Das ist eine Frage der Erfahrung.
Ich mache Mut, diese Dinge nicht aus der Gemeinde auszulagern, sondern andere ergänzend hineinzunehmen.
Bei deiner Frage, wer Seelsorge braucht: Diese Fälle sind nicht die Masse in der Gemeinde. Man denkt nicht bei Seelsorge gleich an Schizophrenie, Depression und so weiter, sondern einfach an: Ich brauche Ermutigung auf meinem Weg mit Jesus.
Du hast schon gesagt, das ähnelt der Jüngerschaft. Aber wenn andere Komponenten hinzukommen, etwa Ängste oder Zwang, dann bin ich schon in einem seelsorgerlichen Gespräch.
Ich lerne viel dazu, indem ich mit diesen Dingen konfrontiert werde und mich damit auseinandersetze. Ich versuche immer wieder deutlich zu machen: Schau auf Jesus! Das ist wirklich entscheidend. Aber nicht nur als Aussage, sondern was heißt das konkret, in dieser Situation auf Jesus zu schauen, von ihm Hilfe zu erwarten und zu beten, dass er mir Kraft gibt, die Situation durchzustehen.
Ja, da haben wir einiges grundlegend abgedeckt. Im Detail könnte man vieles machen, und in Zukunft wird es bestimmt den einen oder anderen Podcast zu bestimmten Detailthemen geben.
Seelsorge ist letztlich ein Gespräch über unser Leben mit Jesus. Sie kann eine notwendige Hilfe sein, auch bei Lebenskrisen. Manchmal mit Hilfe aus Verhaltenstherapie oder psychiatrischer Hilfe. Wir haben die Grenzen und Chancen zumindest ein bisschen diskutiert.
Ich glaube, der Kern, den du am Anfang herausgestellt hast, ist vor allem, dass wir Jesus ähnlicher werden und mit Gott durch die Krise gehen – und nach Psalm 42 auf ihn harren.
Egal, welche menschlichen Hilfen man noch hat: Letztendlich verändert Gott Leben. Der Mensch kann das aus sich heraus nicht schaffen, nicht in dieser sündigen Welt, in der Probleme die Folge der Sünde sind.
Ich glaube, das ist auch der Punkt: In psychiatrischen Ansätzen rechnet man damit, was der Mensch kann und macht. Im seelsorgerlichen Ansatz rechne ich mit Gott. Natürlich habe ich Verantwortung, aber ich rechne vor allem mit ihm.
Das war der Podcast der evangelischen Freikirche Evangelium für alle in Stuttgart. Wir hoffen, ihr konntet einen Impuls mitnehmen. Dieser Podcast soll euch helfen, bewusst seelsorgerliche Gespräche zu suchen – auch, wenn ihr gerade keine Krise habt. Vor allem die Älteren betrifft das eher, das ist eher ein Problem unserer Generation.
Wenn ihr weitere Fragen habt oder Anmerkungen zum Podcast, schreibt uns unter podcast@efa-stuttgart.de.
Wir wünschen euch Gottes Segen bis zum nächsten Mal, wenn ihr mögt.
Weil man ja mit einigen Menschen zu tun hat, hast du trotzdem ein Seelsorgeverständnis, wie du an das Ganze herangehst. Du gehst ja nicht einfach so rein und sagst: „Och, schauen wir mal, was passiert.“ Du weißt ja schon, es wird unterschiedlich, aber in eine gewisse Richtung möchtest du gehen. Was ist denn da dein Verständnis dahinter?
Das ist eine gute Frage. Zum Beispiel bei einer ganz normalen Beratung in einem kirchlichen Kontext sagt man oft schon Seelsorge dazu, aber das sind meistens lebenspraktische Ratschläge. Für mich ist das noch keine Seelsorge. Zum Beispiel: Wie gehe ich mit meinem bockigen Teenager um? Es kann hilfreich sein, dass jemand mir seinen Rat dazu gibt, aber das muss keine Seelsorge sein.
Oder: Wie schaffe ich es bei der Arbeit, dass die Kollegen nicht ihre Arbeit immer auf meinem Schreibtisch abladen und ich dann dummerweise die Arbeit mache? Wie gehe ich damit um? Es kann manchmal echt hilfreich sein, auch darüber zu reden. Oder: Wie binde ich meinen Mann stärker in den Haushalt ein oder Ähnliches? Da kann ich gute Ratschläge geben, aber ich bin zurückhaltend zu sagen, dass das allein Seelsorge ist.
Für mich sind das eher verhaltenstherapeutische Ratschläge. Sie haben ihren Platz, aber das ist nicht alles. Das ist die eine Seite.
Dann gibt es natürlich auch die andere Seite, dass Leute in jeder Situation sagen: „Schau auf Jesus.“ Das ist ein guter Rat, aber man sagt eben nicht, was das konkret in dieser Situation bedeutet. Ich helfe dem Ratsuchenden auch nicht, das umzusetzen. Wobei ja gerade die Umsetzung das Interessante ist, der Knackpunkt, denn das andere ist schnell gesagt.
Genau, und das sind dann verschiedene Seelsorgeansätze, über die wir uns ja hier unterhalten. Ich glaube, wichtig ist einfach auch, die Motivation des Anderen ein Stück weit herauszufinden, um zu begreifen – oder auch meine eigene: Warum handle ich so? Wenn ich jetzt in einem Seelsorgegespräch wäre und mir ein Seelsorger gegenüber säße, wäre es ein Aha-Effekt zu sagen: „Ah, das ist das, was mich antreibt.“ Dabei darf ich aber nicht stehenbleiben, nur zu verstehen, was mich antreibt.
Kannst du das noch ein bisschen konkreter machen? Ich weiß schon ein bisschen die Richtung, aber es gibt verschiedene Ansätze, also Lebensberatung mehr, das hast du ja hervorgehoben, und dann stärker die Seelsorge. Sind das Dinge, die du nebeneinander hast? Oder mal so, mal so?
Ich glaube, Lebensberatung gehört auf jeden Fall zu einem Seelsorgegespräch dazu. Für mich ist aber das ganz entscheidende Kriterium biblischer Seelsorge, ob ich Gott wirklich zentral in dieses Gespräch mit hineinnehme. Erwarte ich von ihm meine Hilfe? Glaube ich daran, dass er eingreifen kann?
Ich habe dabei gern Psalm 42 vor Augen. Dort heißt es: „Was bist du so aufgelöst, meine Seele, was stöhnst du in mir?“ Und die Antwort lautet: „Harre auf Gott, ich werde ihn auch preisen, das Heil meines Angesichts und meinen Gott.“
Der Beter spricht hier offen über seine Emotionen. Das ist auch gut so, denn es ist wichtig, sich seiner Gefühle bewusst zu werden, seiner Trauer etwa. Entscheidend ist aber, dass er sich von den Emotionen nicht blockieren lässt. Die Emotionen dürfen ihn nicht herumkommandieren. Das wird hier deutlich: Er redet zu seiner Seele und weist auf Gott hin.
Er sagt also: Ich bleibe nicht bei mir alleine, sondern Gott kann in die Situation eingreifen. Er holt Gott wirklich in sein Leben und in die konkrete Situation hinein.
Ich glaube, das ist immer das, was mich herausfordert: Nicht bei meinen Schwierigkeiten hängen zu bleiben, sondern zu sagen: Herr, ich weiß nicht, warum du das zugelassen hast, aber ich will auch sehr konkrete Schritte gehen. Dabei kann ich von Jesus lernen, der sagt: „Vater, lass diesen Kelch an mir vorübergehen, aber nicht mein Wille, sondern dein Wille geschehe.“ Auch hier stellt er Gottes Willen über seinen eigenen.
Das ist für mich das Besondere an biblischer Seelsorge: Es geht nicht in erster Linie um den Menschen und sein Wohlfühlen. Vielmehr soll Gott in meinem Leben zum Zug kommen. Darum geht es letztlich.
Natürlich geht es auch darum, mir in meiner Situation zu helfen, mir beizustehen und so weiter. Aber die langfristige, die weite Perspektive ist wirklich, dass ich auf Gott konzentriert bin. Der Mensch soll sich nicht nur um sich selbst und seine Probleme drehen. Als Christen sind wir auf Gott ausgerichtet.
Und das praktisch umzusetzen – das ist die Herausforderung. Denn fromm zu reden ist schnell getan, aber es geht darum, Gott in die konkrete Situation hineinzubringen.
Genau, ich versuche als Seelsorger zu schauen: Wo zeigt sich die Haltung des Wesens, des Herrn Jesus im anderen Menschen? Wie kann man das ein Stück weit fördern? Es geht dabei nicht nur um mich selbst, wie ich bereits sagte.
Meine Frau hat ein Bibelwort, das Seelsorge sehr gut zusammenfasst. Ich finde es auch ein sehr gutes Bibelwort. Es ist Kolosser 1,28. Dort heißt es: „Ihn verkündigen wir, indem wir jeden Menschen ermahnen und jeden Menschen in aller Weisheit lehren.“ Man könnte auch sagen: „in einem Seelsorgegespräch lehren, um jeden Menschen vollkommen in Christus darzustellen.“
Paulus sagt, worum er sich bemüht und wofür er kämpfend ringt – gemäß seiner Wirksamkeit, die in ihm in Kraft wirkt. Das ist das, was Gott dann im anderen wirklich schafft. Ich kann natürlich mein Problem überwunden haben, aber nichts daraus gelernt haben. Das wäre für mich keine biblische Seelsorge. Ich sollte wirklich daraus lernen: Wie habe ich Gott durch dieses Problem kennengelernt? Was ist die Hilfe, die ich bekommen habe? Und wie kann ich das auf andere Lebensbereiche anwenden?
Der Kolosserbrief gefällt mir auch ausgesprochen gut. Das Wort „ermahnen“ heißt im Griechischen auch „ermutigen“ oder „trösten“. Es wird von manchen Seelsorger-Richtungen sogar im Titel verwendet. Dieses griechische Wort hat aber auch fast schon wieder die Nähe zur Jüngerschaft, oder?
Denn in manchen Bereichen ist das nur ein gradueller Unterschied, wie man Jesus nachfolgt. Ich glaube, da hast du völlig Recht: Viele seelsorgerliche Gespräche drehen sich um Themen, bei denen man sagen könnte, das ist so wie Jüngerschaft. In einem Seelsorgegespräch hast du aber zusätzlich noch eine spezielle oder ganz stark lebensengrenzende Schwierigkeit – so nenne ich es mal. Darüber redet man dann. Das ist in der Jüngerschaft vielleicht nicht so stark der Fall.
Also ein anderer Ausgangspunkt, aber dasselbe Ziel, vielleicht auch dieselbe Art des Weges. Man hat einfach bergigeres Gelände. Vielleicht könnte man sagen, man kommt von dort, und dann muss ich auch lernen, ein Stück weit auf diese Berge mit dem Herrn zu steigen.
Ich kann mich erinnern, dass ich vor einigen Jahren einmal in Ludwigsburg bei einem Vortrag in einer Kirche war. Der Vortragende war ein Professor, der eine bestimmte Seelsorgerichtung vertrat, die später sogar nach ihm benannt wurde. Das fand ich sehr interessant.
Er hat im Grunde genommen nur die normale Psychologie oder Psychotherapie dargestellt und einige Bibelverse darübergelegt. Viele haben das dann als biblische Seelsorge angesehen. Das war vor 30, 40 Jahren eine große Auseinandersetzung: Psychotherapie oder Seelsorge? Ich habe auch noch ein Buch zu Hause mit genau diesem Titel. Ich weiß nicht mehr, ob da ein Ausrufezeichen oder ein Fragezeichen dahinter stand.
Wie sieht man das heute? Schließt sich die Hilfe von Psychiatern oder Psychotherapeuten mit biblischer Seelsorge aus? Wenn nicht, wo ergänzen sie sich? In welchen Bereichen dürfen sie helfen, wo nicht? Wo liegen Gefahren?
Ich finde es immer schwierig, wenn ich meine Hilfe nur von Menschen erwarte. Ich glaube, da ist schon vorprogrammiert, dass ich enttäuscht werde. Ich erinnere dann an Psalm 42, wo es heißt: „Harre auf Gott!“ Das muss meine Grundlage sein. Egal, wie ich unterwegs bin, ich erwarte meine Hilfe von Gott. Natürlich kann Gott auch Menschen benutzen, und das tut er in der Regel auch, um mir zu helfen. Dabei müssen diese Menschen gar keine Christen sein. Mein Arzt, mit dem ich normalerweise zu tun habe, ist zum Beispiel kein Christ. Psychiater sind ja Ärzte.
Vielleicht sollte man Psychiater und Psychotherapeuten einmal definieren, weil das oft verwechselt wird. Ein Psychiater ist auf jeden Fall ein Arzt. Ein Psychologe ist kein Arzt. Wenn jemand eine Zusatzausbildung macht, dann ist er Psychotherapeut. Das kann ein Psychiater sein, aber auch ein Psychologe.
In der Ausbildung hat sich einiges geändert. Man geht jetzt oft gleich in die therapeutische Richtung. Aber ein Psychologe oder Psychotherapeut kann keine Medikamente verschreiben, keine Diagnosen stellen und keine Untersuchungen anordnen. Das kann nur der Psychiater.
Der Psychiater ist also Mediziner mit zusätzlicher psychotherapeutischer Ausbildung. Den Begriff Psychologe würde ich persönlich weglassen, weil es auch Arbeitspsychologen und andere gibt, die nicht unbedingt therapeutisch arbeiten, wie Schulpsychologen zum Beispiel.
Psychotherapeuten arbeiten therapeutisch, dürfen aber keine Medikamente verschreiben. Das ist bei Spielsucht oder anderen Problemen vielleicht nicht notwendig. Bei Depressionen ist es allerdings wichtig, dass ich es schaffe, von einer tiefschwarzen Brille, mit der ich durchs Leben gehe, eine hellere Brille zu bekommen.
Deine Frage war ja, ob man überhaupt zum Psychiater gehen darf, und ob das mit dem christlichen Glauben vereinbar ist. Ich würde sagen: Ja, das darf man.
Es gibt natürlich Psychiater, die stark indisch angehauchte Methoden oder Ähnliches anwenden. Bei einem Gespräch mit einem Psychiater gibt es meistens erst zwei Gespräche, um zu schauen, ob die Chemie stimmt. Wenn du merkst, dass er den Glauben in deinem Leben als Hindernis oder Problem sieht, hast du keine Grundlage, mit ihm zu sprechen.
Heute sehen viele Psychiater, auch wenn sie nicht gläubig sind, den Glauben eher als Ressource. Sie sagen: „Sie glauben? Super, dann nehmen Sie doch Zuflucht darin!“ Die starke Auseinandersetzung, wie sie vor 30, 40 Jahren war, gibt es heute nicht mehr so stark.
Manchmal braucht man vielleicht sogar einen Psychotherapeuten, wenn die Probleme sehr kompliziert sind. Er kann einem aufgrund seiner Erfahrung hilfreiche Hinweise geben, wie man sein Verhalten ändern kann.
Biblische Seelsorge bedeutet aber, dass ich als Seelsorger die ganze Zeit dabei bleibe. Psychotherapeut und Psychiater, sofern sie nur Medikamente verschreiben, sind eine Ergänzung. Es geht darum, dem Notleidenden, was immer er hat, den Blick auf Jesus immer wieder zu stärken. Manchmal steht man einfach nur an seiner Seite.
Bei Depressionen dauert die Heilung seine Zeit, das kann man nicht beschleunigen. Aber ich darf da sein, Mut machen und Gottes Wort sagen. Das ist das, was ich als Seelsorger tun kann.
Ich sehe das also eher als Ergänzung. Psychiater und Psychotherapeuten sind nicht meine Feinde. Ich habe aber als Gemeinde die Verantwortung, jemanden zu begleiten – und das machen wir auch sehr gerne.
Ja, ich verstehe das zum Beispiel so, dass jemand, der noch ein Alkoholproblem hat, nicht unbedingt von einem Christen betreut werden muss. Bei solchen Fällen könnte man zwar diskutieren, aber formulieren wir es andersherum: Wo würdest du denn Grenzen und Gefahren sehen?
Denn wenn man die Betreuung zu sehr auslagert, gibt es Bereiche – du hast es ja schon genannt –, in denen es in eine falsche Richtung gehen kann, besonders wenn die Betreuer einen ganz anderen Geist oder eine andere Haltung haben. Wo würdest du sagen, ist ein Stoppunkt erreicht? Wann ist es nicht mehr neutral, sondern keine Ergänzung mehr, sondern schadet wirklich und führt am Ende sogar weg vom Glauben?
Jeder Psychiater – egal ob gläubig oder nicht – hat ein bestimmtes weltanschauliches Bild. Wenn dieses Bild aber in Konflikt mit dem Glauben gerät, und ich glaube, das würde relativ schnell klar werden, dann habe ich für mich dort keine Basis mehr. Es geht darum, zusammenzuarbeiten, wobei jeder seinen Bereich macht. Wir sprechen hier von komplexeren Themen, nicht nur von „Liebeskummer“ oder Ähnlichem.
Wenn die verschiedenen Beteiligten aber gegeneinander arbeiten, würde ich der Person, die in Behandlung ist und aus der Gemeinde kommt, sagen: Du musst wechseln. Es ist allerdings nicht so leicht, einen Psychotherapeuten zu finden. Das ist wirklich schwierig. Deshalb müsste man vielleicht in der Gemeinde ein sogenanntes Care-Team aufbauen. Dort kümmern sich mehrere Leute um eine Person und geben ihr vielleicht auch grundlegende Hilfestellungen. Sie sagen dann ganz klar, was die Person tun sollte oder was ihre Aufgabe ist. Denn manchmal ist es für eine einzelne Person einfach zu viel.
Das wäre eine Möglichkeit, manches abzufedern. In amerikanischen Gemeinden gibt es ja manchmal die Tendenz, dass die Hälfte der Gemeinde zum Psychotherapeuten geht. Das ist keine Übertreibung, sondern tatsächlich so. Ich habe das von einer konkreten Gemeinde gelesen.
Bei uns ist die Tendenz eher in die andere Richtung. Die Frage ist dann: Wann braucht man eigentlich Seelsorge? Gibt es das heute noch? Oder wird das eher weggedrückt, sodass man sagt: Nein, das nehme ich nicht in Anspruch?
Ich glaube, dieser Trend ist zwar vorhanden, aber nicht mehr so stark wie früher. Er schwächt sich ab. Es ist auch eine Generationenfrage. Die Kriegsgeneration hat so viel durchlebt und sagt oft: „Wozu brauche ich denn Seelsorge? Ich habe doch meine Bibel.“
Trotzdem habe ich auch mit dieser Generation zu tun und merke, dass viele Dinge, die in ihrer Kindheit da waren, im Alter wieder aufploppen. Man merkt, dass sie doch nicht wirklich verarbeitet wurden.
Ich würde Seelsorge aber nicht immer so hoch ansetzen, als wären es sehr komplexe Probleme. Ich glaube, die meisten Seelsorgegespräche, die ich als solche bezeichnen würde, finden in Kleingruppen oder in Hauskreisen unter dem Dach der Gemeinde statt. Es sind oft einzelne Gespräche zu bestimmten Themen. Man holt sich Rat bei Christen, deren geistliche Sicht hilft, sich zum Beispiel nicht zu verlaufen.
In der Bibel gibt es solche Stellen wie „habt einander lieb“, „ermutigt einander“ oder „ermahnt einander“. Das ist im Grunde genommen Seelsorge.
Deshalb, wenn die Frage lautet, wer Seelsorge braucht, glaube ich, dass es gut ist, wenn wir uns angewöhnen, in seelsorgerlichen Kontakten zu anderen zu sein. Das heißt, mein inneres Leben mitzuteilen, einen bestimmten Kreis zu haben und von anderen mitzubekommen, was sie in ihrem geistlichen Leben bewegt. So können wir uns gegenseitig auf dem Weg mit dem Herrn Jesus helfen.
Wenn man über Seelsorge spricht, merkt man, dass man in der Seelsorge drei Bereiche unterscheidet. Zum einen gibt es das, was ich gerade erwähnt habe. Zum anderen gibt es Bereiche, in denen Gespräche immer wieder über dasselbe Thema geführt werden, zum Beispiel bei Magersucht oder ähnlichen Problemen.
In solchen Fällen braucht es jemanden, der vielleicht auch ein wenig Erfahrung darin hat, wie man jemanden begleitet. Das kann schon ein Punkt sein, an dem man sagt: Hier brauche ich punktuell auch einen Psychiater mit dabei.
Dann gibt es auch psychische Krankheiten oder richtige Lebenskrisen, bei denen man sagt: Ja, da muss jemand sein, der Ahnung hat und weiß, was er rät. Das ist dann eine Frage der Erfahrung.
Ich möchte ermutigen, diese Dinge nicht aus der Gemeinde auszulagern, sondern eher andere ergänzend miteinzubeziehen. Man sollte bei der Frage, wer Seelsorge braucht, nicht übersehen, dass diese Fälle – ich setze das mal in Anführungszeichen – nicht die Masse in der Gemeinde ausmachen. Es geht also nicht bei Seelsorge gleich um Schizophrenie, Depression oder Ähnliches, sondern einfach darum, dass jemand Ermutigung auf seinem Weg mit Jesus braucht.
Du hast schon gesagt, dass das natürlich der Jüngerschaft ähnelt. Wenn aber andere Komponenten hinzukommen – zum Beispiel Ängste oder gewisse Dinge, die man einfach nicht tun kann, weil sich Zwänge auf einen legen – dann ist man schon in einem seelsorgerlichen Gespräch.
Ich glaube, ich lerne ganz viel dazu, indem ich mit solchen Situationen konfrontiert werde und mich dann mit der Sache auseinandersetze. Dabei lerne ich immer wieder dazu und versuche deutlich zu machen: Was ich vorhin vielleicht etwas leichtfertig gesagt habe, nämlich „Schau auf Jesus“, ist wirklich etwas ganz Entscheidendes.
Aber es geht nicht nur um diese Aussage, sondern darum, was es in der jeweiligen Situation bedeutet, auf Jesus zu schauen, von ihm Hilfe zu erwarten und auch zu beten, dass er Kraft gibt, um die Situation jetzt durchzustehen.
Ja, da haben wir jetzt doch einiges grundlegend abgedeckt. Im Detail könnte man vieles vertiefen, und in Zukunft wird bestimmt der eine oder andere Podcast zu bestimmten Detailthemen noch dazukommen.
Seelsorge ist letztendlich ein Gespräch über unser Leben mit Jesus. Sie kann aber auch eine notwendige Hilfe sein, wenn Lebenskrisen auftreten. Das habe ich jetzt gelernt. Manchmal ist dabei vielleicht auch Unterstützung aus der Verhaltenstherapie oder psychiatrischer Hilfe hilfreich. So haben wir die Grenzen und Chancen dieser Ansätze zumindest ein bisschen diskutiert.
Ich glaube aber, der Kern, den du am Anfang herausgestellt hast, ist vor allem, dass wir Jesus ähnlicher werden und mit Gott durch die Krise gehen. Dabei können wir uns an Psalm 42 orientieren und auf ihn harren. Egal, welche menschlichen Hilfen wir noch in Anspruch nehmen, letztendlich verändert Gott Leben. Der Mensch kann das aus sich heraus nicht schaffen, nicht auf dieser sündigen Erde, auf der Probleme einfach die Folge davon sind.
Ich denke, das ist auch der Punkt: In psychiatrischen Ansätzen wird oft danach gefragt, was der Mensch kann und tut. Im seelsorgerlichen Ansatz rechne ich mit Gott. Natürlich habe ich auch eine Verantwortung, aber ich rechne vor allem mit ihm.
Ja, das war der Podcast der evangelischen Freikirche Evangelium für alle in Stuttgart. Wir hoffen, ihr konntet einen Impuls für euch mitnehmen und dass dieser Podcast euch hilft, bewusst seelsorgerliche Gespräche zu suchen – auch vielleicht dann, wenn ihr gerade in keiner Krise steckt. Besonders für die Älteren ist das wichtig. Das ist eher ein Problem unserer Generation, das wir etwas abschwächen sollten.
Wenn ihr weitere Fragen habt, über die wir sprechen können, oder Anmerkungen zum Podcast, schreibt uns gerne unter podcast@efa-stuttgart.de. Wir wünschen euch Gottes Segen bis zum nächsten Mal, wenn ihr mögt.