Herzlich willkommen zum Podcast der EFH Stuttgart mit Thomas Povileit und Jörg Lackmann.
Unser Podcast möchte zum praktischen Christsein herausfordern und gleichzeitig zum theologischen Denken anregen.
Mose ist bekannt als der Führer Israels, der das Gottesvolk durch das Rote Meer geleitet hat. Doch die Jahre, die er nach seiner Flucht aus dem ägyptischen Palast mit dem Hüten von Schafen verbrachte, werden weniger beachtet. Diese lang andauernde Wüstenerfahrung bereitete ihn auf seine Führungsrolle vor.
Ja, nach dem luxuriösen Leben im Palast musste Mose also eine Zeit allein in der Wüste im Ausland verbringen. Das muss ihm sehr schwergefallen sein, oder? Ja, ich denke schon. Es gibt einige Anhaltspunkte, die darauf hindeuten, oder man kann daraus schließen, dass es ihm sehr schwerfiel. Aber er konnte nicht mehr zurück.
Er war aufgewachsen in einer Verfolgungszeit. Man kann sagen, dass Israel vor etwa 400 Jahren nach Ägypten gekommen war. Inzwischen war das alles vergessen worden, und das Volk wurde immer größer. Die ägyptische Politik sah sie als Bedrohung an.
Dann gibt es verschiedene Möglichkeiten, wie man mit Bevölkerungsgruppen umgehen kann: Man kann sie einbinden oder versuchen, sie zu unterdrücken. Die Ägypter entschieden sich für Letzteres und ließen die Israeliten als Sklaven arbeiten. Sie mussten Ziegel unter sehr schlechten Bedingungen brennen. Das Volk litt sehr darunter und wehrte sich, wuchs aber trotzdem weiter.
Schließlich befahl der Pharao, alle neugeborenen Söhne umzubringen. Die Hebammen weigerten sich jedoch, diesem staatlichen Gebot Folge zu leisten. Mose war eines dieser Kinder, die gerade geboren wurden und eigentlich hätten getötet werden sollen, um das Volk kleinzuhalten.
Seine Mutter setzte ihn in einem kleinen Körbchen auf einem Fluss aus. Interessanterweise war es die Tochter des Pharao, eine hochgestellte Persönlichkeit, die ihn aufnahm. Sie wusste, dass es ein hebräisches Kind war, aber sie tat es trotzdem. Denn das eine war die Politik ihres Vaters, das andere ein Baby, das man sah. Das sind zwei verschiedene Welten.
So wuchs Mose im Palast auf, inmitten von Luxus. Er war ein Prinzensohn. Man kann sich vorstellen: Wenn er gebadet wurde, gab es Musikbegleitung. Wenn er auf den Markt ging, waren zwei Soldaten dabei, die den Leuten befahlen, sich vor dem Prinzen niederzuwerfen. Das war ein Leben, in dem es ihm sehr gut ging.
Doch er wusste immer, dass er Hebräer war. Und darin liegt eine Spannung.
Das ist ein bisschen so, als würde man morgens einen Podcast aufnehmen. Man ist noch nicht ganz auf Betriebstemperatur, obwohl es schon relativ spät am Morgen ist.
Also, was hatte ich vor meinen Wortfindungsstörungen? Stephanus wollte ich aus Apostelgeschichte 7 zitieren, weil er die Psychologie dahinter sehr spannend einfängt.
In Apostelgeschichte 7,22 sagt er: „Mose wurde in aller Weisheit der Ägypter gelehrt und war mächtig in Worten und Werken.“ Er war also schon eine Persönlichkeit geworden. Die „Weisheit der Ägypter“ bedeutet, dass er natürlich Schreiben gelernt hatte, also Hieroglyphen. Das war ein bisschen schwieriger als heutzutage. Astronomie gehörte ebenfalls dazu, ebenso Geometrie und viele weitere Fächer. Außerdem zählte auch Traumdeutung dazu, also Religion. Das ging da natürlich schon ein bisschen in die religiöse Richtung. Er hatte eine sehr gründliche Ausbildung genossen und war inzwischen 40 Jahre alt, was im Text ebenfalls erwähnt wird. Er hatte es eigentlich geschafft und war wohl anerkannt. Wenn Stephanus sagt, er sei „mächtig in Worten und Werken“ gewesen, meint er, dass Mose eine bedeutende Persönlichkeit war.
Aber als er 40 Jahre alt wurde, dachte er daran, nach seinen Brüdern, den Kindern Israels, zu sehen. Er wusste eigentlich, dass er in diesem Palast nicht so richtig hingehörte. Er schaute nach seinen Brüdern und als er sah, dass einer Unrecht erlitt, stand er ihm bei und rächte den, dem Leid geschah, indem er den Ägypter erschlug. Er ist also zum Mörder geworden.
Was war seine Motivation dahinter? Er meinte, seine Brüder würden verstehen, dass Gott ihnen durch seine Hand Rettung geben wollte. Aber sie verstanden es nicht. Er hat wirklich mit seinem Volk mitgelitten. Er wusste, dass er privilegiert war, konnte aber die Ungerechtigkeit, dass der Ägypter den Israeliten schlug, nicht ertragen. Er griff zum Mittel der Gewalt und tötete den Ägypter. Seine Motivation war wirklich, dass er nun der Retter sei. Er glaubte, Gott hätte ihn in diesen Palast gebracht, damit er die Israeliten von all dem befreie. Er hatte die Möglichkeit dazu. Das war seine Überzeugung.
Aber, und das finde ich so schön, die Brüder verstanden es nicht. Ich habe letztes Mal einen Prediger gehört, der auf Pastorenkonferenzen zu anderen Pastoren sagt: „Ihr denkt, ihr könnt die Gemeinde umgestalten, aber die Brüder verstehen es nicht.“ So war es auch bei Mose.
Am nächsten Tag gab es wieder einen Streit. Mose wollte schlichten und merkte dann, dass es herausgekommen war. Denn man sagte zu ihm: „Was willst du machen wie gestern, als du den Ägypter erschlugst?“ Das war klar. Den Israeliten wurde es bekannt, denn so etwas verbreitet sich wie ein Lauffeuer. Pharao bekam es ebenfalls mit und verfolgte Mose.
Daraufhin floh Mose nach Midian, was eine ganze Ecke entfernt ist. Ich hatte gedacht, das sei näher, ich habe es immer auf der Sinai-Halbinsel verortet. Aber Midian liegt noch weiter weg. Man muss noch über Elat hinübergehen, Richtung Golf von Aqaba, in das Gebiet, das heute Saudi-Arabien heißt. Östlich vom Toten Meer, unten rechts, in der Wüste – es ist wirklich weit weg.
Dorthin floh er, weil sein Leben nicht mehr sicher war. Er war zwar ein Adoptivkind, aber er hatte sein Leben verwirkt – das war klar.
Und jetzt saß er da in einem Brunnen und war eigentlich obdachlos, im Ausland, ein Verfolgter. Seine ganze Macht war weg, sein ganzes Wissen nützte ihm nichts in der Wüste. Was nützen dir da deine Geometriekenntnisse oder deine Verwaltungstechnik, die du in der höheren Schule gelernt hast? Nichts mehr.
Er wird eine ganze Weile sehr schwere Zeiten haben. Und das sind ja die Wüstenzeiten. Vielleicht kommt auch das Wort daher, das müsste man mal überlegen. Ich denke schon, ja, geistliche Wüstenzeiten. Genau.
Für Mose waren diese Wüstenzeiten sehr wichtig. Er hat dort einige Lektionen gelernt, denn Gott hat ihn in der Wüste geführt. Was sind denn so Lektionen, die Mose in der Wüste gelernt hat?
Ganz am Anfang würde ich sagen, das Erste war, dass er an einem Brunnen saß. Dann kamen ein paar junge Damen vorbei, ähnlich wie bei Rebekka damals, mit dem Diener von Abraham, um ihre Schafe trinken zu lassen. Die Hirten vertrieben sie jedoch. Das schien damals so üblich gewesen zu sein: Am Wasserplatz, am Brunnen setzte sich der Stärkere durch. Wenn nur ein paar Frauen kamen und der Vater keine Söhne hatte, war das schlecht für sie.
Er hat dann die Herden gedrängt und auch die Hirten vertrieben. Wahrscheinlich waren die Hirten zuerst da, aber er hat die Herden gedrängt. Als die Hirten kamen, um die Frauen zu vertreiben, sagte er: „Nein, nicht mit mir.“ Er wusste also schon, wie man auftritt. Das zeigt auch seine Persönlichkeit. Allein gegen ein paar Hirten – das sind ja auch keine einfachen Leute – aber er war schon jemand. Stephanus sagte, er war mächtig in Worten und Werken. Das hat man gemerkt, er war schon damals eine Führungspersönlichkeit.
Dann hat er das Dienen gelernt. Im Palast wurde er mehr bedient, oder zumindest spielte das eine große Rolle. Ich denke, er war auch ein Macher, aber er wurde viel bedient. Jetzt bist du halt in der Wüste, bist du niemand. Er war hier niemand. Und er hat das Dienen begonnen.
Es gab auch private Geschichten: Reguil hat er gefragt, warum sie heute so früh zu Hause waren. Sie sagten zu ihrem Vater, dass er ihnen in Ägypten geholfen habe. Warum habt ihr ihn nicht mitgebracht? Vielleicht hat er schon an seinen neuen Schwiegervater gedacht, oder Schwiegertochter, Vater oder Sohn – die dritte Möglichkeit. Wahrscheinlich war es die Gastfreundschaft. Dann ist er geblieben und hat die Tochter Zipporah geheiratet. Ich spreche jetzt Deutsch aus, ich denke, man betont sie eh auf der letzten Silbe, aber das habe ich nicht nachgeprüft. Er blieb dann sehr lange dort.
Ich finde es interessant: Du bist dieser super ausgebildete Mann, und die intelligenteste Unterhaltung, die du tagsüber bei deinem Job als Hirte führst, ist – nein, er war da jahrelang alleine. Was soll das? Was für eine Vergeudung! Das macht schon etwas mit einem.
Er hat seinen Sohn auch Gershom genannt, was bedeutet: „Ich bin ein Fremder in einem fremden Land.“ Er war entwurzelt, obwohl er geheiratet hatte. Und ich glaube, das macht etwas mit einem, wenn du so begabt bist und so gute Ziele hattest. Er wollte ja der Retter für Israel sein. Die Brüder haben das nicht verstanden. Gut, er hat die falschen Mittel gewählt, er hat jemanden umgebracht – das muss man natürlich auch sehen.
Und dann sitzt du da in der Wüste, Tag ein, Tag aus. Er wusste nicht, dass später mal ein brennender Busch kommen würde. Setzen wir uns mal ins dreißigste Jahr, denn es waren vierzig Jahre Wüste. Und dann sitzt er dreißig Jahre in der Wüste und wird immer noch nicht gebraucht von Gott. Da wird man schon sehr klein und sehr demütig.
Ich glaube, das hat so etwas, dass man eben das macht, was gemacht werden muss, und nicht das, wofür man begabt ist. Wenn mal jemand sagt, er ist überqualifiziert, dann war er es. Manchmal ist es ja auch so: Im Job gibt es Mobbing und Ähnliches, und dann wirst du an eine Stelle versetzt, wo man genau weiß, dass du es dort nicht aushältst, weil das für dich viel zu wenig ist. So wollen sie dich loswerden.
Gott hat hier etwas Ähnliches gemacht, wenn man das so sagen will – aber mit gutem Hintergrund. Ob Mose das immer verstanden hat, weiß ich nicht. Tag für Tag bei dieser Hitze, das ständige Herumsitzen, keine Diskussionen mehr. Was er aber nicht wurde, war bitter. Das kann ja auch eine Reaktion sein. Nein, aber wir werden später noch sehen, dass er schon verletzt war, das sehen wir dann noch.
Aber es hat etwas an ihm bewirkt. Ich glaube, was die Wüste mit dir macht – und das kann der Palast dich nicht lehren – ist, dass dort vieles zerbricht. Aber es zerbricht eigentlich nicht das, was gut ist. Das kann passieren, wenn man bitter wird. Eigentlich bricht das weg, was nicht wirklich Halt gibt.
Ich finde es interessant, auch bei anderen Leuten, die in der Wüste waren, zum Beispiel Johannes der Täufer. Er war ein sehr mutiger Mensch. Warum? Weil er diese ganze Show nicht hatte, dieses ganze auf Menschen achten und anderes. Du bist in der Wüste mit dir und Gott allein. Du machst deine Aufgabe, kein Mensch braucht dich. Du weißt, du bist nicht bedeutend. Dann verzweifelst du entweder oder du hängst dich an Gott und weißt: Ja, du bist nicht bedeutend, aber Gott liebt dich trotzdem und führt dich in dieser Situation. Das verändert dich im Charakter.
Das ist so eine Charakterschule in der Wüste gewesen. Ich glaube, das ist auch ein besseres Konzept als unsere Bibelschulen heute. Ich will nicht allgemein gegen Bibelschulen reden, aber eine Sache finde ich besser.
Wir haben ja das griechische Konzept übernommen: eine Schule, man geht in ein Land, und manche versuchen dem entgegenzuwirken, indem sie Wohngemeinschaften haben und die geistliche Entwicklung fördern. Aber das kommt alles vom griechischen Denken.
Die Juden haben das anders gemacht. Da gab es einen Rabbi, der erst einmal einen Beruf erlernte. Dann folgst du einem Lehrer nach, und der lehrt dich während dem Tun noch die Sachen. Das ist etwas anderes.
Ich habe fast festgestellt, das kann passieren, weil da nicht so auf den Charakterwert gelegt wird. Ich habe ab und zu mal festgestellt, dass bei Bibelschülern – manche, nicht die Mehrheit, aber eine bedeutende Minderheit – eine Phase haben, in der sie abheben. Du merkst, denen steigt das Wissen zu Kopf. Sie haben Ideen, die sie ganz toll finden, und wollen ihren Brüdern alles zeigen. Sie wundern sich, dass die Brüder nicht nachziehen.
Die Brüder haben es nicht verstanden und sind enttäuscht. Ich sage: Vielleicht wäre jetzt meine Wüstenerfahrung nicht dran. Vielleicht hat es seinen Grund, warum die Brüder enttäuscht sind.
Mose war der Retter, aber er hat jemanden erschlagen. Manche übernehmen dann irgendwelche schönen Gedanken von Dekreten oder anderen, die ganz nett sein können, aber vielleicht doch einen Haken haben, den andere sehen. Dann ist man so Feuer und Flamme, hat die Erfahrung aber noch gar nicht. Das ist eine Gefahr, wenn man diesem Modell folgt.
Die meisten kommen dann wieder runter, nicht alle. Aber ich finde es manchmal interessant, dass es in Gefahr ist, ein Modell zu haben, das auf Wissen Wert legt. Im Korintherbrief steht: „Die Erkenntnis bläht auf“, und Gott legt auf die Person Wert.
Er hat Mose einfach zum Schafehüten gebracht, um ihn letztendlich zu formen. Das finde ich schon bedenkenswert.
Das heißt, die Wüste war im Grunde genommen eine Charakterschulung für Mose. Gott hat ihn zur Seite gestellt. Du hast gesagt, dass er gelernt hat, hier auch zu dienen. Du hast gesagt, dass sein Ich, das im Mittelpunkt stand, zerbrochen wurde. Gott hat hier ganz wertvolle Arbeit an ihm geleistet. Mose hat das natürlich ein Stück weit an sich geschehen lassen müssen.
Letztendlich hat ihm diese Wüstenerfahrung einiges gebracht. Er wäre nicht der Leiter geworden, der er schließlich war. Am Ende des Tages muss man ja immer selbst ein Ja zu solchen Situationen finden.
Er war natürlich in der Familie aufgenommen, das war gut. Durch die Heirat hat er zwei Söhne bekommen, das lesen wir später. Er hat eine Familie gegründet, auch im Ausland. Da war schon ein gewisses Darben. Er war immer noch der Fremde im fremden Land.
Man muss damit selbst zurechtkommen, das stimmt. Das Vertrauen in dieser Zeit zu haben, ist schwierig. Jahrelang dieses Gefühl: Gott macht jetzt nichts mit mir. Ich will doch etwas für Gott bewirken, ich will dies und jenes. Du hast den Eindruck: Nein, Gott schweigt jetzt, er braucht mich gar nicht, er interessiert sich vielleicht nicht für mich. Da brauchst du Vertrauen.
Ich glaube, das Vertrauen war bei ihm da, so wie ich das später deute. Er hat sich wirklich an Gott geklammert. Das ist schwer, weil man diese Sehnsüchte hat.
Es gibt ein schönes kleines Gedicht, ich habe es nicht ganz auswendig: von einem amerikanischen Schriftsteller. Es heißt, es gibt Leute, die sterben mit einem Lied der Sehnsucht auf den Lippen. Du wolltest eine gute Beziehung haben, eine gute Ehe, etwas bewirken in der Welt, dies und jenes. Sie singen dieses Lied innerlich, und eigentlich ist nur noch Hoffnungslosigkeit da.
Das ist hier in der Wüste nach vierzig Jahren. Mose wusste nicht, dass es ein Ende gibt. Wir wissen es, er nicht. Trotzdem hatte er Vertrauen und klammerte sich an Gott. Das finde ich bemerkenswert.
Die Wüste ist eine Zeit der Monotonie, muss man sagen. Man meint, da passiert nichts im Leben, es geht nichts vorwärts. Man registriert gar nicht, dass doch einiges passiert, und zwar sehr Wesentliches.
Man hat diese Sehnsucht in sich. Wenn du ein Macher bist, willst du etwas tun, aber du darfst nicht. Wenn du gerne Leuten zuhörst und Seelsorge machen möchtest, ist da ja keiner. Was soll er machen?
Die ganzen Gaben liegen brach, verlassen. Und das soll dann die Ausbildung sein. Es wird sich unmerklich verändern, aber das ist halt innerlich.
Ich finde einen interessanten Vers im 5. Buch Mose über Israel. Israel ist ja auch 40 Jahre durch die Wüste gezogen und später mit Mose gegangen. Er hatte also zweimal 40 Jahre, wenn man es genau betrachtet. Das zeigt, dass eine gründliche Vorbereitung stattfand.
Im 5. Mose 32, ab Vers 10 steht etwas sehr Interessantes über Israel: „Er hat ihn in der Wüste gefunden, der Öde im Geheul der Wildnis. Er umgab ihn, gab acht auf ihn, behütete ihn wie einen Augapfel, wie ein Adler seine Nestbrut aufscheucht, über seinen Jungen schwebt, seine Flügel ausbreitet, sie aufnimmt und auf seinen Schwingen trägt.“ Israel wird also wie die Nestbrut eines Adlers aus dem Nest geschreckt.
Adler bauen ihre Horste normalerweise sehr hoch im Gebirge. Für den Nestbau verwenden sie Steine und Holz, was nicht sehr bequem ist. Um das Nest auszukleiden, nehmen sie alte Federn, die ihnen immer wieder ausfallen. So wird das Nest schön kuschelig gemacht.
Wenn dann zwei Adlerbabys zur Welt kommen, wachsen sie eine Zeit lang heran. Doch irgendwann sollen sie flügge werden. Dann scheucht die Adlermutter das Nest auf, indem sie die Federn herauswirft. Sie macht das Nest ungemütlich, damit die Jungen endlich das Nest verlassen.
Das ist ein kleines Beispiel aus der Natur: Wenn Kinder zu lange zu Hause wohnen, kann es helfen, das Nest etwas ungemütlicher zu machen – die Federn herauszunehmen. Natürlich kann man gut miteinander umgehen, aber so machen es die Tiere.
Gott hat also Israel in der Wüste ähnlich behandelt. Da fragt man sich: Warum macht Gott es so unbequem? Warum ist es nicht mehr kuschelig? Warum muss man plötzlich auf Steinen schlafen? Die Antwort lautet: Weil man fliegen lernen soll.
Wir sehen das oft nicht. Wir sehen nur, dass Gott uns die Federn wegnimmt, und jetzt piekst der Ast oder der Stein ritzt uns blutig. Aber das dient dazu, fliegen zu lernen. Dieses Bild benutzt Gott im 5. Mose 32, und ich finde es sehr spannend.
Ich habe es bis jetzt nie so bewusst gelesen, weil ich den Hintergrund übersehen habe. Früher bin ich zwar durch die Bibel gegangen, aber das habe ich nicht richtig verstanden. Jetzt hat mich jemand darauf hingewiesen, wie es bei den Tieren wirklich ist, und erst dann habe ich es richtig begriffen.
Es ist schwer, Gott in solchen Situationen zu sehen. Aber genau darin liegt der Segen, auch wenn man 40 Jahre lang in der Wüste war. Ich habe mal ausgerechnet: 40 Jahre mal 365 Tage sind 14.600 Tage. Das ist eine lange Zeit.
Man kann sich das vorstellen wie im Gefängnis, wo die Leute Striche an die Wand machen, um die Tage zu zählen. Da könnte man die ganze Wand vollschreiben.
Man könnte sagen, hätten nicht auch zehn Jahre gereicht? Menschlich betrachtet ist das eine spannende Frage.
Bei Abraham waren es 25 Jahre Warten, bei Jakob 20 Jahre. Bei Joseph habe ich mal 13 Jahre im Kopf gehabt, vielleicht waren es auch etwas mehr, vielleicht 17 oder 30. Ich weiß nicht, ob es die genaue Zahl gibt oder ob ich mich täusche.
Bei Hiob denke ich, waren es vielleicht zwei Jahre, aber ich weiß nicht, ob das irgendwo steht. Die Zeit ist also sehr unterschiedlich.
Der Pharao musste natürlich sterben, bevor Mose zurückkehren konnte. Aber das waren nur äußere Faktoren.
Warum es so lange dauert, ist eine gute Frage. Ich glaube, Gott braucht bei manchen Menschen einfach Zeit.
Wir sind oft versucht, schnell wieder etwas zu tun. Ich habe über einen alten Fall nachgedacht: Jemand im geistlichen Dienst hat eine Verfehlung begangen, hat Buße getan, und es gab eine Diskussion, ob er wieder eingesetzt werden soll oder nicht.
Es gab zwei Meinungen: Die eine Fraktion sagte Ja, er hat Vergebung erfahren und Versöhnung, also soll er zurückkommen. Die andere sagte Nein, das ist noch nicht tief genug.
Beim Nachdenken habe ich gemerkt, dass es verschiedene Wertsysteme gibt. Die Frage ist, wie lange so etwas dauern soll.
Die einen wollen jemanden schnell wieder aufnehmen, die anderen sagen, Gott braucht manchmal Zeit. Das ist dann Gottes Führung.
Ich würde sagen: Wenn jemand zurückkehrt, muss Vergebung da sein, wenn er eine Verfehlung begangen hat. Versöhnung wäre auch gut – also die Beziehung ist wiederhergestellt, und die Schuld vergeben.
Als drittes sagen manche: Wenn er Buße getan hat, darf er wieder im Dienst wirken.
Ich würde das aber an die vierte Stelle setzen. Zuerst müsste man prüfen, ob Gott will, dass derjenige noch eine Zeitlang eine andere Erfahrung macht.
Bei Jakob war es so: Er war ein Betrüger und wurde 20 Jahre lang geformt, bevor er zurückkam. Gott ließ ihn zwanzig Jahre lang von seinem Schwiegervater betrügen – der war noch schlimmer als er – mit seiner Ehefrau und seinem Lohn.
Jakob hätte nach drei Jahren sagen können: „Ich habe Buße getan, meine Lektion gelernt.“ Aber Gott wollte ihn noch tiefer zerbrechen.
Man kann darüber diskutieren, ob das für jeden Einzelfall gilt. Das ist schwer zu sagen.
Wenn ich das hier im 5. Mose anschaue, würde ich sagen, man sollte zumindest darüber nachdenken, ob eine längere Zeit ohne Dienst nicht manchmal Gottes Weg ist.
Es gibt Anzeichen dafür. Hier ist es klar: Mose hatte jemanden, der ihn umbringen wollte. Das ist ein eindeutiges Zeichen, da braucht man nicht zu diskutieren.
Der Gedanke dahinter ist, dass die Charakterschule wichtiger ist als ein schnelles Wiederkommen.
Man kann natürlich auch übertreiben – wie bei den Korinthern, die einen, der Buße getan hatte, nicht wieder aufnehmen wollten und meinten, er müsse noch mehr Buße tun.
Aber das war ein Gemeindemitglied. Da sollte man relativ schnell sein.
Hier geht es um einen Führer, der ein Volk herausführt. Da kann man genauer hinschauen.
Auf jeden Fall hat Gott diese Erfahrung genutzt. Das ist, glaube ich, die Hauptbotschaft.
Mose war in dieser Wüstenzeit, und Gott hat ihn geformt. Das haben wir jetzt, glaube ich, gut herausgearbeitet.
Kommen wir jetzt vielleicht mal zum Ende der Wüstenzeit. Es war ja nicht so, dass Mose die ganze Zeit in der Wüste geblieben ist. Schlussendlich hat er das Volk doch herausführen können. Was würdest du zum Ende der Wüstenzeit bei ihm sagen?
Ja, da kam noch einmal eine Herausforderung. Das finde ich oft interessant: Herausforderungen kommen, wenn es dir wieder besser geht. Gott erschien ihm im brennenden Busch. Das ist natürlich schon gewaltig, wenn Gott einem erscheint. Dann hört Mose auf einmal die Aufforderung: „Führe du jetzt mein Volk hinaus!“ Genau das, was er früher wollte. Er wollte ja früher der Retter sein. Und jetzt sagt Gott ihm das.
Was sagt Mose? Nö. Ich glaube, er hat fünf Ausreden. Darauf gehen wir jetzt nicht näher ein. Eine war: „Sie werden nicht auf mich hören.“ Und da denke ich, nach vierzig Jahren sagt er das noch, weil er das früher erlebt hat: „Sie werden nicht auf mich hören.“ Das hatte er damals erlebt, und das hat er in der Wüste nicht überwunden.
Dann wollte er nicht gehen, und Gott fragte: „Was hast du da in der Hand?“ Einen Stab, den Hirtenstab, den aus der Wüste. Damit hat Gott ihm ein Zeichen gegeben – mit der Schlange. Dann gab es noch ein zweites Zeichen: Mit dem Stab konnte er Blut im Nil machen und anderes. Dieser Stab hat ihn die ganze Zeit begleitet.
Praktisch hat Gott das, was Mose in der Wüste gelernt hat, benutzt, um ihm Autorität vor den Israeliten zu geben. Das hatte er vorher gemacht. Dann ging es noch hin und her, und Mose musste Demut lernen. Ja, allein und abgeschieden zu sein, von Gott nicht benutzt zu werden, das nagt an einem. Aber da wird einem entweder zum Verhängnis oder Gott wird einem groß, und man bekommt das richtige Verhältnis.
Dann hat Mose Vertrauen zu Gott gelernt. Jetzt musste er Gehorsam lernen. Er musste sagen: „Okay, ich will das innerlich eigentlich nicht, aber Gott hat mich tatsächlich dazu berufen.“ 40 Jahre lang dachte er, er sei jetzt weg vom Fenster und Gott mache nie wieder etwas mit ihm und seiner Familie. Aber Gott will es doch.
Das hat ihn dann so überwältigt, dass alles hochkam. Er sagte: „Nee, das kann nicht sein.“ Und dann: „Okay, wenn Gott mich jetzt doch benutzen will, dann nehme ich das genauso an – die Verantwortung, die Probleme und den Ärger, den ich haben werde.“ Und er hatte Recht. So wie ich die Wüste angenommen habe, war das auch eine Lektion am Ende.
Ich fand es spannend, wie Gott mit Menschen umgeht. Ich glaube, man kann in der Wüste sehr viel lernen. Man kann Geduld lernen, Liebe lernen, Gott begegnen – das ist das Wichtigste – und viele andere Dinge.
Wir stehen ja jetzt nicht äußerlich in der Wüste, aber wir können innerlich auch Phasen haben, in denen wir etwas dazulernen können, so wie Mose etwas dazugelernt hat.
Nicht alle von uns sind jetzt Führer des Volkes, aber wie können wir das, was Mose dort gelernt hat, auf unser Leben übertragen? Was ziehe ich aus den Lektionen, die er gelernt hat? Ich muss nicht alle Fehler selbst machen. Ich kann schauen, wovon ich profitiere oder wie ich von den Dingen, die berichtet wurden, profitieren kann.
Es lohnt sich, Mose mit diesem Blick noch einmal durchzulesen. Ich beschränke mich dabei bis zu seiner Berufung, obwohl seine Geschichte noch weitergeht. Was ist zum Beispiel daraus geworden?
Zunächst würde ich mich der Warum-Frage stellen und der Aufgabe, die Mose hatte: harte Schafe hüten. Dabei darf ich mich nicht zu fein sein und mich nicht kaputt machen mit Gedanken wie: „Oh Gott, benutze mich jetzt nicht.“ Stattdessen nehme ich die Situation aus Gottes Hand, vertraue auf ihn und bemühe mich, Gott näherzukommen. Das wäre für mich die Hauptlektion in Wüstenzeiten: mich an Gott klammern.
Natürlich gab es auch schlechte Tage. Mose hatte garantiert solche in den 40 Jahren. Manche Probleme blieben bestehen. Ich habe gesehen, dass manches nicht in der Wüste gelöst wurde, sondern Gott es für später aufbewahrt hat. 40 Jahre lang hat er das aufbewahrt. Mose wurde älter. Er war etwa 27 Jahre alt, als er den Ägypter ermordete, und ungefähr 54, wenn man das auf unsere heutige Lebenszeit umrechnet, als er Führer wurde.
Wenn man bedenkt, dass er zwischen 27 und 54, also in der Mitte und Blüte seines Lebens, Schafe hütete und Gott begegnete, ist das bemerkenswert. Wichtig ist auch: Wenn Gott schweigt und dich beiseite setzt, darfst du nicht denken, du wärst ihm gleichgültig. Das können wir hier lernen. Gott hatte ihn von Anfang an als Retter ausersehen. Doch 40 Jahre lang schien es, als würde sich Gott nicht kümmern.
Gott hat natürlich trotzdem mit ihm geredet, wenn auch nicht in Form von Offenbarungen. Mose fühlte sich oft, als würde Gott ihn nicht lieben oder als wäre er Gott gleichgültig. Doch das Schweigen Gottes hat nichts mit Gleichgültigkeit zu tun. Es war vielmehr eine Schule, die ihn nur näher zu Gott führte. In der Bibel steht, dass er der demütigste Mensch der Welt wurde. Das muss man sich mal vorstellen.
Wenn ich das aus einer Ewigkeitsperspektive betrachte, würde ich gerne hören, dass er der demütigste Mensch der Welt war. Das klingt vielleicht hochmütig, aber aus einer anderen Perspektive ist das wirklich beeindruckend. Übrigens ist Mose später trotzdem darüber gestolpert, obwohl er der demütigste Mensch war. Er führte ein Volk, das sehr schwierig war. Die Menschen murrten ständig und widersetzten sich seinen Entscheidungen, auch seiner Ehe, weil Zipporah keine Israelitin war.
Sie beschwerten sich über alles. Gott stellte sich auf ihre Seite, und sie wären alle gestorben, wenn Mose sich nicht für sie eingesetzt hätte. Am Ende durfte er nicht ins verheißene Land. Warum? Weil er unbeherrscht war. Er schlug mit dem Stab, der ihn führen sollte, auf einen Felsen, obwohl er nur zu ihm sprechen sollte. Wie kleinlich das klingt! Aber Gott setzte höhere Maßstäbe an ihn. Dieses alte Wesen, das Zuschlagen und die Gewalt, kam noch einmal zum Vorschein. Er hatte sich nicht mehr im Griff, obwohl er in der Zwischenzeit viel in der Wüste gelernt hatte.
Wir werden also keine Übermenschen durch Wüstenerfahrungen. Das muss man auch so sehen. Wir sind immer noch Sünder, aber Gott wirkt durch diese Erfahrungen. Es hilft, andere Menschen anzuschauen, die so etwas durchlebt haben, und ihre Lieder zu lesen. Ich liebe zum Beispiel das Buch der Psalmen, diese ganzen Lieder, die bis heute überdauert haben. Was die Menschen alles durchlebt haben!
Früher, als ich selbst in einer Wüstenphase war, habe ich diese Lieder gelesen und dachte nur: „Ach, der Arme.“ So konnte ich ein bisschen von mir wegsehen. Manche überlebten diese Zeiten, obwohl sie große Verluste erlitten, etwa ein Pfarrer, der stumm wurde, oder andere, die viele Kinder verloren haben. In der Wüste passiert viel.
Wüstenerfahrung bedeutet nicht, ungeliebt zu sein. Oft benutzt Gott gerade die Wüste sehr. Ich glaube, das ist die Botschaft dahinter. Sie hat mich sehr ermutigt. Vielleicht wirst du am Ende kein Führer eines Volkes. Aber der Hebräerbrief sagt, dass es Menschen gab, die zersägt wurden, verfolgt und vieles durchlitten haben. Sie sahen keinen Erfolg, aber Gott war trotzdem in dieser Situation und wurde letztlich verherrlicht – auch durch all diese Schwierigkeiten.
Gott schaut auf dich, auch wenn du ganz allein im Verborgenen lebst, so wie Mose 40 Jahre lang. Die Quintessenz ist: Nimm deine Wüstenerfahrung an, die Gott dir gibt. Es gibt auch die Reaktion, rebellisch zu werden, aber das bringt dich nicht weiter. Nimm sie an. Gott liebt dich trotzdem und will dich für eine Aufgabe formen, die du vielleicht noch gar nicht siehst.
Es ist auch Gottes Liebe, dich überhaupt in diese Situation zu stellen. Am Ende ist das die Hauptsache: Die Wüste macht alles unbedeutend, was wirklich unbedeutend ist. Jesus wird groß. Das ist das Größte, der Segen der Wüste. Jesus wird letztlich groß, und alles, was nicht Jesus ist – zum Beispiel wenn ich Gottes Ziele mit meinen eigenen vermische, wie bei Mose –, wird weggerissen.
Das war unser Podcast über Wüstenerfahrungen. Das ist nicht einfach, aber sehr nötig und kann uns sehr weiterbringen.
Das war der Podcast der evangelischen Freikirche Evangelium für alle in Stuttgart. Wir hoffen, ihr könnt einen Impuls für euch mitnehmen, besonders wenn ihr gerade in solchen Wüstenzeiten seid. Wenn ihr Fragen habt, über die wir sprechen sollen, oder Anmerkungen zum Podcast, schreibt uns gerne unter podcast@efa-stuttgart.de.
Wir wünschen euch Gottes Segen und dass ihr in eurer Wüste diesem lebendigen Gott begegnet.