Wie lebe ich mit meiner Schuld?

Jürg Birnstiel
Serie | 4 Teile

Versöhnung mit meiner Vergangenheit

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Reihe: Versöhnung mit meiner Vergangenheit (2/4)

Einleitende Gedanken

Letzten Sonntag erklärte ich, dass wir durch den Glauben an Jesus mit Gott total versöhnt sind. Gott versteht die Erlösung als etwas umfassendes, deshalb kann Paulus den Korinthern sagen: „Wenn jemand zu Christus gehört, ist er eine neue Schöpfung. Das Alte ist vergangen; etwas ganz Neues hat begonnen!“ (2. Korinther 5, 17) Wir haben allen Grund, uns darüber zu freuen! Wir dürfen diese Tatsache nicht durch irgendwelche Vorbehalte einschränken. Damit ist aber nicht gesagt, dass mit einer Bekehrung alle Probleme unseres Lebens gelöst werden. Selbstverständlich werden Krankheiten, die erblich sind, nicht einfach beseitigt. Prägungen, die ich durch meine Familie und Erziehung mitbekommen habe, werden nicht einfach ausradiert. Die Familie und auch das Land in dem ich lebe, behalten einen gewissen Einfluss auf mein Leben. Doch bei all diesen Tatsachen dürfen wir eines nie übersehen. Wenn wir zu Christus gehören, dann regeln wir alle diese Dinge auf der Grundlage der totalen Versöhnung mit Gott. Wie wir als Christen mit den Einflüssen umgehen sollen, die uns immer noch Schwierigkeiten bereiten, weil wir eben noch nicht im Himmel sind, darüber möchte ich mich in den nächsten drei Predigten beschäftigen. Heute machen wir uns genauer Gedanken über Schuld. Schuld, die ich selber zu verantworten habe: Wie leben ich mit meiner Schuld? Das ist nämlich nicht immer so einfach. Selbst wenn die Schuld von Gott vergeben ist, so ist das, was ich dadurch verursacht habe nicht ungeschehen. Besonders schwierig wird es, wenn durch meine Schuld andere Menschen in Mitleidenschaft gezogen werden. Wenn ich z.B. durch meine Schuld meine Familie zerstört habe. Oder, wenn durch meine Schuld ein Mensch stirbt oder für den Rest seines Lebens behindert ist. Oder, wenn jemand durch meine Schuld wirtschaftlich ruiniert wurde. Wie lebe ich damit?

Ich unterscheide grundsätzlich zwei Arten von Schuld, mit der jeder von uns konfrontiert wird: 1. Schaden, den mir jemand zugefügt hat (Opfer) Missbrauch, Betrug, Mord, Verachtung usw. 2. Schaden, den ich jemandem zugefügt habe (Täter) Ehebruch, Lüge, Betrug usw.

Heute beschäftigen wir uns mit der zweiten Art von Schuld, nämlich die Schuld, die ich selber zu verantworten haben, da wo ich der Täter bin. Nächsten Sonntag beschäftigen wir uns mit der Schuld, bei der ich das Opfer bin. Dort mit der Frage: Muss ich immer vergeben?

Bibelstellen zum Nachschlagen: 2.Korinther 5,17

I. Erkennen

Zunächst geht es einmal darum, dass ich meine Schuld erkenne. Das ist gar nicht so selbstverständlich, denn wir sind sehr geübt unangenehme Dinge zu verdrängen. Der König David versuchte seine Schuld, die er durch den Ehebruch mit Batseba und den Mord an ihrem Mann auf sich geladen hatte, zu verdrängen. Er konnte damit leben, aber diese Verdrängung hinterliess Spuren. Rückblickend sagt er: „Herr, erst wollte ich meine Schuld verschweigen; doch davon wurde ich so krank, dass ich von früh bis spät nur stöhnen konnte.“ Psalm 32, 3 Wenn wir das tun, dann werden wir mit unserer Vergangenheit keine Versöhungung finden. Unser Leben, wird wie bei David, belastet sein. Sogar als Christen können wir mit Sünde leben, ohne dabei ein wirklich schlechtes Gewissen zu haben. Paulus schreibt den Christen in Korinth etwas ganz Erstaunliches: „Ich fürchte, dass mein Gott mich – was meine Beziehung zu euch betrifft – bei meinem Kommen ein weiteres Mal demütigt und dass ich beschämt und traurig sein werde, weil so viele bis heute nicht mit ihren alten Sünden gebrochen und sich nicht von ihrer schamlosen, unmoralischen und ausschweifenden Lebensführung abgekehrt haben.“ (2. Korinther 12, 21) Offensichtlich war nicht allen Christen in Korinth klar, dass sie aufgrund der Versöhnung ihr Leben ändern sollten. Offensichtlich gibt es Christen, die leben mehr oder weniger so weiter wie bisher. Entweder ist es ihnen völlig egal, oder sie realisieren nicht, dass sie sündigen. Leider ist es oft so, dass die Sünde uns erst dann stört, wenn sie uns offensichtlichen Schaden zufügt. So kann z.B. jemand stehlen und dabei kein besonders schlechtes Gewissen haben, aber wenn er dann erwischt wird und sich zu verantworten hat, dann bricht er zusammen. Plötzlich ist er zermürbt über seine Sünde. So war es im Volk Israel. Sie fragten nicht nach Gott, lebten so, wie sie es für richtig hielten, doch als es ihnen schlecht ging, riefen sie zu Gott. Erst dann waren sie bereit zu erkennen, dass sie gesündigt haben. Da schrien die Leute von Israel zum Herrn um Hilfe. »Wir haben uns gegen dich vergangen«, sagten sie. »Es war nicht recht, dass wir dir, unserem Gott, den Rücken gekehrt und die Baale verehrt haben.« Richter 10, 10 Bei diesem Verhalten ist doch die Frage berechtigt, ob sie wirklich die Sünde bereuten, oder ob sie nicht viel mehr darüber frustriert waren, dass sie nun in eine schwierige Situation gekommen sind. Das wäre keine wirkliche Sündenerkenntnis. Im Grunde tut es ihnen leid, dass es ihnen jetzt so schlecht geht. Sie sind über die Auswirkung ihrer Sünde erschrocken. Ob sie wirklich begriffen haben, dass die Sünde zuerst einmal etwas mit Gott und ihnen zu tun, ist nicht so klar. Gott beklagte diese oberflächliche Erkenntnis. „Und nach all dem ist Juda, nicht wieder zu mir zurückgekehrt – mit dem Herzen nicht, nur mit leeren Worten.“ Jeremia 3, 10 Sünde ist immer etwas zwischen Gott und dem Menschen. Nur wenn etwas zwischen Gott und mir nicht stimmt, kann man von Sünde sprechen. Sind wir uns dessen bewusst, wenn wir sündigen, dass wir zunächst einmal Gott beleidigt haben? Wenn ich stehle, die Ehe breche, lüge und betrüge, dann versündige ich mich zuerst gegenüber Gott. Sind wir uns dessen bewusst, dass das wirklich Tragische an der Sünde nicht die negativen Auswirkungen auf mein Leben hier sind, sondern dass das Tragische an meiner Sünde ist, dass ich Gott beleidigt habe, dass ich Gott enttäuscht habe. König David wurde das klar, als er seine Schuld in der ganzen Tragweite erkannte. Als er Busse tat, sagte er: „Nicht nur an Menschen bin ich schuldig geworden, gegen dich selbst habe ich gesündigt; ich habe getan, was du verabscheust.“ Psalm 51, 6 Wenn ich Sünde wirklich beseitigen will, so, dass sie tatsächlich in Ordnung kommt, muss ich begreifen, dass mein grösstes Problem darin besteht, dass ich Gott beleidigt habe.

Bibelstellen zum Nachschlagen: Richter 10, 10; Psalm 32, 3; Psalm 51, 5-6; Jesaja 59, 2; Jeremia 3, 10; Klagelieder 3,39-40; Johannes 3,20-21; 2.Korinther 12,20-21; 1.Timotheus 5,24; 1.Johannes 1,6

II. Bekennen

Wenn ich meine Sünde erkannt habe, dann gibt es – Gott sei Dank! – die Möglichkeit, meine Sünde loszuwerden - Vergebung zu erfahren. Das geschieht dadurch, dass ich meine Sünde bekenne. Bekennen meint in diesem Zusammenhang nichts anderes, als dazu zu stehe, was ich getan haben. Was Johannes diesbezüglich sagt, ist den meisten von uns geläufig: „Wenn wir unsere Sünden bekennen, erweist Gott sich als treu und gerecht: Er vergibt uns unsere Sünden und reinigt uns von allem Unrecht, das wir begangen haben.“ (1. Johannes 1, 9) Wenn wir Gott ohne Umschweife sagen, was wir falsch gemacht haben, dann wird uns Gott vergeben. Es ist eigentlich so einfach, wenn uns da unser Stolz nicht in die Quere kommen würde. Ich sage Gott: Herr ich habe in der Migros seit Monaten gestohlen, ich weiss, dass ich Dich dadurch beleidigt habe und ein schlechtes Zeugnis für Dich war – es tut mir leid. Oder: Herr ich bin mit einer Frau ein Verhältnis eingegangen, dass Dir nicht gefallen kann – es tut mir leid. Es braucht keine Detailbeschreibungen der einzelnen Sünde. Gott sieht schon ob wir es ernst meinen. Er will aber von uns hören, dass wir erkannt haben, dass wir gesündigt haben. Wenn wir nun unsere Schuld bekennen. „ Vergibt er uns unsere Sünden und reinigt uns von allem Unrecht, das wir begangen haben.“ (1.Johannes 1, 9) Damit ist das Verhältnis zwischen Gott und mir geklärt. Er hat mir meine Schuld vergeben. Das bedeutet jedoch nicht, dass er damit auch alle unangenehmen Folgen für mich beseitigt. Eine zerstörte Familie wird dadurch nicht einfach repariert. Doch das Wichtigste hat Gott getan: Er hat mir vergeben und ich werde für diese Sünde von ihm nicht mehr belangt werden. David sagt nachdem ihm Gott seine riesige Schuld vergeben hat: Freuen dürfen sich alle, denen der Herr die Schuld nicht anrechnet und deren Gewissen nicht mehr belastet ist! Psalm 32,2

Bibelstellen zum Nachschlagen: 2. Mose 32, 30; Psalm 25,18; Psalm 32,5; Psalm 51,3-4; Psalm 79,9; Jeremia 14,7; Lukas 18,13; Apostelgeschichte 8,22; 1.Johannes 1,9; 1.Johannes 2,1-2

III. Annehmen

Nun kommt ein nicht zu unterschätzender Teil der Versöhnung mit meiner Vergangenheit. Ich muss die Vergebung annehmen können. Das beinhaltet zwei Aspekte:

1. Die Gutmachtung Vergeben bedeutet nicht, dass ich der Verantwortung für das, was ich verursacht habe, enthoben bin. Das wäre ein sehr billiges Verständnis von Vergebung. Wo es mir immer möglich ist, sollte ich ganz praktisch Ordnung schaffen. Wenn ich jemanden um Geld betrogen habe, sollte ich, wenn mir das finanziell möglich ist, das Geld zurückzahlen. Das ist in meinen Augen die praktische Anwendung dessen, was Johannes der Täufer predigte: „Bringt Frucht, die zeigt, dass es euch mit der Umkehr ernst ist.“ (Matthäus 3, 8)

2. Die Dankbarkeit Für manche kann der schwierigste Teil in diesem Prozess sein, die Vergebung anzunehmen. Da sagen Christen manchmal, ja Gott vergibt mir, aber ich kann mir nicht vergeben. Das ist richtig, wir können uns nicht vergeben. Präzieser müssten sie sagen, ich kann die Vergebung nicht annehmen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass mir eine so Schuld vergeben wird. Bis heute kann ich nicht begreifen, dass ich eine solche Sünde begehen konnte. Es ist die unversöhnliche Haltung gegenüber sich selbst. Das führt dazu, dass keine wirkliche Versöhnung geschieht, sondern das ganze Leben von der Last dieser Sünde gezeichnet bleibt. Im Grunde ist das Unglaube. Ich nehme etwas nicht an, was mir Gott geschenkt hat. Ich lehne im tiefsten Herzen die Vergebung ab. Ich traue Gott nicht zu, dass er eine so grosse Sünde vergibt. Das ist wie ein Teufelskreis, denn Unglaube ist eben auch eine Sünde. Durch die Ablehung der Vergebung sündige ich erneut. Es gibt nur eine angemessene Antwort auf die unverdiente Vergebung: Dankbarkeit. Ich könnte sagen: Herr ich kann kaum verstehen, dass Du eine solche Sünde vergibts, aber ich vertraue Deinem Wort und ich danke Dir von ganzen Herzen! Gott sagt es deutlich: „Denn ich werde ihnen alles Unrecht vergeben und werde nie mehr an ihre Sünden denken.“ (Hebräer 8, 12) Unsere Reaktion sollte nicht Unglaube sein, sondern Dankbarkeit. Jedesmal wenn mich die Gedanken an meine schreckliche Sünde quälen, kann ich sagen. Es ist unglaublich, was ich da getan habe und ich kann Dir Gott nicht genug dafür danken, dass Du mir vergeben hast. Möglich gemacht hat das Jesus durch sein Sterben am Kreuz: „Durch Jesus, der sein Blut für uns vergossen hat, sind wir erlöst; durch ihn sind uns unsere Verfehlungen vergeben. Daran wird sichtbar, wie gross Gottes Gnade ist.“ (Epheser 1, 7) Es ist wirklich grossartig, wie Gott uns die Möglichkeit gibt unser Leben von einer neuen Basis aus zu gestalten. Israel hatte er das schon versprochen: „Eure Verbrechen sind rot wie Blut, und doch könnten sie weiss werden wie Schnee. Sie sind rot wie Purpur, und doch könnten sie weiss werden wie reine Wolle. Jesaja 1,18

Bibelstellen zum Nachschlagen: Psalm 32, 1-2; Jesaja 1, 18; Micha 7, 18-19; Matthäus 3, 8; Johannes 8,34-36; Epheser 1,7; Hebräer 8,12

IV. Wachsen

Als Letztes geht es darum, dass ich aus meiner Schuld lerne, dass ich daran wachse und reifer werde. Einerseits wachse ich dadurch, dass ich mein Leben an diesem Punkt ändere. So wie Jesus der Frau sagte, die sie vor ihn schleppten und sie steinigen wollten. Jesus hatte ihr vergeben, aber er sagte: „Ich verurteile dich auch nicht; du darfst gehen. Sündige von jetzt an nicht mehr!“ (Johannes 8, 11) Das ist also das Eine. Wir passen auf, dass wir diese Sünde nicht wiederholen. Andererseits machen uns solche Erfahrung barmherzig. Wir können nicht mehr vom hohen Ross herunterschauen, auf die ohnmächtigen Christen, die ihr Leben nicht im Griff haben. Nein, wir sind selber tief gefallen. Unsere Sünde hat uns dermassen gedemütigt. Nun sind wir auch barmherziger gegenüber den Christen, die in ähnliche Situationen gekommen sind. Wir werden dann nicht überheblich sein, sondern hilfsbereit, so wie es Paulus den Galatern empfiehlt: „Geschwister, wenn sich jemand zu einem Fehltritt verleiten lässt, sollt ihr, die ihr euch von Gottes Geist führen lasst, ihm voll Nachsicht wieder zurechthelfen. Dabei muss aber jeder von euch auf sich selbst achtgeben, damit er nicht auch in Versuchung gerät.“ (Gal 6,1)

Bibelstellen zum Nachschlagen: Psalm 51, 12-14; Jesaja 44, 22; Matthäus 3, 8; 6, 14-15; Lukas 11, 4; Johannes 8, 7-11; 2. Korinther 2, 5-8; Galater 6,1-2, 1.Petrus 2,25

Schlussgedanke

Mit unserer Schuld, die wir zu verantworten haben, können wir leben, wenn wir sie erkennen, bekennen, annehmen und daran wachsen. So geschieht Versöhnung mit meiner Vergangenheit. Eigentlich sollten wir gar nicht sündigen, wie Johannes sagt: „Meine lieben Kinder, ich schreibe euch diese Dinge, damit ihr nicht sündigt. Und wenn jemand doch eine Sünde begeht, haben wir einen Anwalt, der beim Vater für uns eintritt: Jesus Christus, den Gerechten.“ (1.Johannes 2, 1) Je radikaler und konsequenter wir zu Jesus kommen und unsere Schuld bekennen, je befreiter und desto versöhnter werden wir leben. Jesus selbst sagt: „Jeder, der sündigt, ist ein Sklave der Sünde.“ (Johannes 8, 34) „Nur wenn der Sohn euch frei macht, seid ihr wirklich frei.“ (Johannes 8,36)

Bibelstellen zum Nachschlagen: Hos.7,14-15; Sprüche 28,13; 1.Johannes 2,1-2; 1.Petrus 2,25