Ich grüße Sie am heutigen Sonntag, Rogate, mit dem Wort Jesu: Wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstossen.
Zu Beginn des Gottesdienstes wollen wir das Kind Annemarie taufen. Sie ist die Tochter des Vorsitzenden unseres Kirchengemeinderats, Familie Bayer.
Zum Beginn singen wir „Lobe den Herrn, alle, die ihn ehren“ (Lied 347). Dabei singen wir die ersten beiden Verse sowie den sechsten Vers.
Eröffnung und Gebet zum Gottesdienstbeginn
Wir wollen beten: Du großer und starker Gott, unser Vater im Himmel. Du hast uns Mut gemacht zum Beten und uns aufgefordert, alle unsere Nöte vor Dich zu bringen und unsere Sorgen auf Dich zu werfen. Das wollen wir auch heute Morgen tun.
In unserem Leben gibt es so vieles, womit wir nicht mehr fertig werden. Oft steigt uns alles bis zum Hals, und wir haben keine Luft mehr. Dafür danken wir Dir, dass Du für uns sorgst und jetzt als unser Vater da bist. Du willst heute mit uns reden und hast Pläne für unser Leben.
Wie wir jetzt über diesem kleinen Kind Deinen Namen ausrufen dürfen, so möchtest Du auch über unser Leben Herr sein. Wir dürfen vor Dir sein wie Kinder. Herr, halte uns fest, damit uns niemand aus Deiner Hand reißen kann.
Gib, dass auch heute durch diesen Gottesdienst unser Glaube an Dich ganz neu gefestigt wird. Lass alles andere jetzt schweigen, damit wir nur Dich und Dein Wort hören. Amen!
Wir wollen in der Stille weiter beten. Du, Herr, erhörst Gebet, darum kommt alles Fleisch zu Dir. Amen.
Glaubensbekenntnis und Einführung zur Taufe
Wollen miteinander unseren christlichen Glauben bekennen und miteinander sprechen.
Ich glaube an Gott, den Vater, den allmächtigen Schöpfer des Himmels und der Erde. Ich glaube an Jesus Christus, den eingeborenen Sohn Gottes, unseren Herrn, der empfangen wurde durch den Heiligen Geist und geboren wurde von der Jungfrau Maria. Er hat gelitten unter Pontius Pilatus, wurde gekreuzigt, ist gestorben und begraben worden. Er ist hinabgestiegen zur Hölle, am dritten Tag auferstanden von den Toten, aufgefahren in den Himmel. Dort sitzt er zur Rechten Gottes, seines allmächtigen Vaters, von wo er wiederkommen wird, um zu richten die Lebendigen und die Toten.
Ich glaube an den Heiligen Geist, an die heilige christliche Kirche, die Gemeinschaft der Heiligen, an die Vergebung der Sünden, an die Auferstehung des Leibes und an das ewige Leben. Amen.
Einmal hat ein Hörer in unserem Gottesdienst geurteilt und gesagt: „Ich kann Ihrer Predigt nicht mehr zuhören.“ Ich fragte ihn: „Warum nicht mehr?“ Er hätte mir viele Gründe nennen können. Es gibt Geschmacksfragen.
Er sagte: „Sie haben Kinder getauft. Wenn Sie Kinder taufen, dann bedeutet das doch, dass Sie den Glauben nicht ernst nehmen und die Entscheidung eines Menschen nicht respektieren.“
Die Bedeutung der Kindertaufe und Glaubensentscheidung
Ich darf es Ihnen mal so sagen, wie es manche vielleicht sowieso schon gemerkt haben: Sie wissen, dass die Taufe kein Freifahrschein in die Ewigkeit ist.
Sie müssen mit Ihrem Glauben ein Leben lang entscheiden, ob Sie Gott dienen wollen oder nicht.
Ich taufe gern Kinder, weil an ihnen deutlich wird, dass wir einen schenkenden Gott haben. Er interessiert sich schon für kleine Babys und spricht ihnen seine ganze Herrlichkeit zu – ohne Leistung, ohne Frömmigkeit, aus lauter schenkender Barmherzigkeit.
Es ist etwas Schönes für Eltern, wenn sie dieses Bekenntnis öffentlich aussprechen und eine Verpflichtung übernehmen. Sie sagen damit, dass sie ihre Kinder nicht reglementieren und nicht manipulieren können.
Aber solange sie in dieser Welt leben, wollen sie die Sorge um ihre Kinder nie loswerden. Sie wünschen sich, dass ihre Kinder das finden, was sie selbst in Jesus gefunden haben: das ganze Heil, die ganze Freude und die ganze Hingabe für ihn.
So frage ich nun euch, ihr Eltern und Paten: Wollt ihr, dass dieses Kind im Namen Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes getauft werde?
Und wollt ihr dazu beitragen, dass dieses Kind auf diesen Herrn hin erzogen wird?
So antwortet gemeinsam: Ja, und Gott helfe mir.
Dann bringt das Kind alles, was von Gott gewohnt ist, überwindet die Welt, und unser Traum wird der Sieg, der diese Welt überwunden hat.
Amen.
Abraham als Vorbild der Glaubenswanderung
Das Leben Abrahams lässt sich als eine Wanderschaft durch diese Welt zusammenfassen. Diese Wanderung ist zu einem Bild für die Reise der Glaubenden geworden. Krummer, ein Erweckungsprediger, hat ein schönes Lied dazu gedichtet, das leider sehr selten gesungen wird. Die Orgel wird uns einen Vers vorausspielen. Ich liebe dieses Lied sehr und dachte, wir sollten es heute einmal singen.
Der Text beginnt so: „Ja, was uns führt mit sanfter Hand ein Hirte durchs Pilgerland.“ Das Lied hat fünfhundertvierundfünfzig Strophen, alle fünf Verse werden von der Orgel vorausgespielt. Es ist schon etwas Besonderes, wenn Gott einem den Boden unter den Füßen wegzieht – so wie es bei Abraham geschah. Dann bleibt nur noch die Gewissheit, dass man in seinen Armen hängt und kein anderer Beweis unseres Glaubens mehr bleibt.
In 1. Mose 12 heißt es: Da zog Abraham aus, wie der Herr zu ihm gesagt hatte, und Lot zog mit ihm. Abraham war fünfundsiebzig Jahre alt, als er aus Haran zog. So nahm Abraham Sarah, seine Frau, und Lot, den Sohn seines Bruders, mit aller ihrer Habe, die sie gewonnen hatten, und den Leuten, die sie erworben hatten, in Haran, und zogen aus, um ins Land Kanaan zu reisen. Sie kamen in das Land.
Abraham durchzog das Land bis an die Stätte bei Sichem, bis zur Eiche More. Zu der Zeit wohnten die Kanaaniter im Land. Da erschien der Herr dem Abraham und sprach: „Deinen Nachkommen will ich dieses Land geben.“ Bis zu diesem Augenblick wusste Abraham noch nicht, welches Land genau er bekommen würde.
Abraham baute dort einen Altar dem Herrn, der ihm erschienen war. Danach brach er von dort auf ins Gebirge östlich der Stadt Bethel, schlug sein Zelt auf, so dass er Bethel im Westen und Ai im Osten hatte. Dort baute er dem Herrn einen Altar und rief den Namen des Herrn an. Danach zog Abraham weiter ins Südland.
Herr, segne dein Wort an uns. Amen.
Die Herausforderung, das Wort Gottes lebendig zu verkünden
Liebe Gemeinde,
es gibt Prediger, die genau verstehen, wie sie Menschen mit ihren Predigten fesseln können. Man erzählt sich in Württemberg von einem Pfarrer, der in der Nähe von Balingen lebt. Eines Tages brachte er einen Hahn mit auf die Kanzel und klemmt sich dabei den Arm ein. Als die Predigt zu Ende war, sagte er von der Kanzel: „Geldweiber, jetzt guckt doch, warum ich einen Goggel mitgebracht habe. Bloß dass ihr was zum Gucken habt und aufpasst. Es sind ja heute aufregende Sensationen, die uns fesseln.“
Wenn man da mithalten will, denke ich: Wenn heute Morgen wieder die Glocken über unsere schlafende Stadt hinweg hallen, fragt man sich, ob es sich lohnt, dass sie so ein Geschrei machen von dem, was sie hier verkünden. Wenn religiöse Themen heute in der Bild am Sonntag oder woanders erscheinen, dann höchstens in der Art von „Wild gewordener Pfarrer beißt Kindern die Nase ab“ oder Ähnlichem. Das sind Themen, die noch ankommen, sensationell aufgemacht, das interessiert.
Wie will da jemand mithalten können? Man will doch Interessantes, keine abgestandenen Sachen haben. Ich bin so froh, dass wir keine Attraktionen brauchen, sondern dass das Wort Gottes, so wie es dasteht, sensationell aufregend ist. Es gibt nichts so Langweiliges wie normale Christen, und es gibt nichts so aufregend Sensationelles wie das Wort der Bibel.
Ich weiß nicht, ob Sie das so kennen, aber mir ist es bei jeder Predigt neu, wie dieses Wort plötzlich redet. Heute, als wir diesen Text gelesen haben, denke ich daran, was das bedeutet: Ein Mann, der plötzlich ein ausgetauschtes Leben hat, der plötzlich ein ganz nagelneues Leben hat und der sagt: „Ich kann hergeben, was es auch ist, ich bin immer noch der Beschenkte.“ Ein Mann, der Strahlen durch die Welt zieht, der glücklich ist, denn so viele Leute haben Wünsche. Ein Mann, der sagt: „Ich habe es gefunden. Ich bin am Ziel. Ich habe das neue Leben, das sich lohnt.“ Und das ist doch eine Sensation, über die es sich nachzudenken lohnt.
Drei Merkmale des Lebens Abrahams
Ich möchte drei Dinge aus dem Leben Abrahams und seinem ausgetauschten Leben besonders hervorheben. Was ist daran sensationell? Erstens:
1. Abraham als Visionär seiner Zeit
Er ist seiner Zeit weit voraus. Es gibt viele fromme Leute, die immer von der schönen Vergangenheit träumen und sich erzählen, wie es früher war. Früher war es wunderbar. Da gab es noch viele Menschen, die bereit waren, in den Diakonissendienst zu gehen. Früher herrschte noch Zucht in den Jugendgruppen, früher hatte man noch Ehrfurcht. Früher waren die Kirchen noch voll. Diese Lieder kennen sie nicht mehr, die man früher sang. Damals war es wunderbar – mit Wehmut und Erinnerung.
Es ist schlimm, wenn jemand ständig rückwärtsblickt. Dass die Menschen früher nicht von Pappe waren, das wissen wir. Denn die Generation, die uns geboren hat, wollen wir nie in Frage stellen. Aber der Rückblick ist so traurig, so wehtun und so bedrückend.
Sehen Sie, das ist die Sprache des Rückzugs. So haben die amerikanischen Militärs in Südvietnam gesprochen, wenn sie täglich ihre Kommunikation machen mussten: „Wir halten noch die Stellung.“ Am nächsten Tag sind zwar wieder drei Posten überrannt worden, aber sie halten immer noch die Festung. Das hat mit der Sache Jesu nichts zu tun – jene Leute auf dem Rückzug, die die Stellungen halten.
Wissen Sie, wenn man Organisationen verteidigt, wenn man Traditionen verteidigt, dann muss man die Strategie des Rückzugs anwenden. Dann muss man wehmütig rückwärtsblicken. Das ist die Sprache der Funktionäre, aber nicht die Sprache der Bibel. Die findet man dort überhaupt nie.
Ich hatte einen Großonkel, der war Rektor in Hülden, ein Pietist, ein Stundenmann. Er war Schulmann und fuhr die Woche über mit seinen Kühen aufs Feld. Er hat uns Kindern als Pietist eingebläut: Das sind die langweiligen Christen, die immer rückwärtsblicken, sagte der alte Rektor Kulm. Echte Christen schauen nur in die Zukunft. So war auch Abraham.
Abraham redet überhaupt nie von dem, was er verloren hat, von dem, was er vergessen hat, von dem, was er zurücklassen musste, von dem, was geopfert wurde, von dem, was so schwer ist. Er hat ein Thema, und von dem redet er: dass Gott einmal eine Stadt bauen wird, dass Gott da eine große Sache machen wird in diesem Land und dass seine Nachkommen an diesem großen Gotteswerk beteiligt sind. Das hat ihn ganz erfüllt und beschlagnahmt. Er hatte keine Zeit, von anderen Themen zu reden.
Das war die Spannung in seinem Leben. So steht es im Hebräerbrief: Er wartete auf eine Stadt, deren Baumeister Gott ist. Er hat ein Ziel, auf das es sich zu leben lohnt.
Vor ein paar Tagen saß ich im Café Schappmann in der Königstraße mit einem Journalisten, und wir sprachen über die Lage der Kirche. Dann sagte er: „Ja, also jetzt muss ich mal dumm fragen, Sie sind doch auch so ein reaktionärer Pietist.“ Was Sie da so sagen, verstehe ich gar nicht. Ich antwortete: „Sie müssen umlernen. Die Leute, die sich in der Kirche ganz progressiv geben, sind immer noch reaktionär im Vergleich zu dem, was die Bibel sagt.“
Wir stehen immer in Gefahr, unser Kirchenleben, unser Gemeindeleben zu verteidigen. Wir sind so beschäftigt mit dem, was wir heute haben: unsere Familien, unsere Häuser und alles, was wir sind. Und dann bricht Gott plötzlich ein und gibt uns ein Ziel. Das ist aufregend. Dann merken wir, dass Gott nie das Ziel hatte, unsere Organisationen zu erhalten.
Ich liebe meine Kirche und gehöre ihr mit meinem ganzen Dienst an. Aber das, was Gott will, geht doch nicht darin auf. Gott will neue schaffen, neue Formen geben und neue Organisationen entstehen lassen. Man kann nicht einfach stehenbleiben.
Abraham hätte ja in Ur, in Chaldäa, in Haran ein ganz nettes Glaubensleben führen können. Aber er hätte damit die großen Pläne Gottes blockiert. Das Aufregende, wenn man die Bibel aufschlägt, ist immer wieder, dass Gott in seinem Wort neue Horizonte der Zukunft aufbrechen lässt – wahrhaft progressiv.
Wenn es Kritik an der Kirche gibt und wenn es kritische Kirche gibt, dann geschieht das durch die Bibel. Nehmen Sie mir das nicht übel, wenn ich kritische Worte sage. Wir wollen sie nur daraufhin prüfen, ob sie von der Bibel her legitimiert sind.
Als an der Himmelfahrt unser erhöhter Herr vor seinen Jüngern stand und ihnen sagte – diesen kleinen Häuflein Männern –, dass er ein Ziel für sie hat, dass die ganze Welt ihre Parochie ist und sie hinausgehen sollen, um das Evangelium weiterzutragen, da erschrecke ich darüber, dass wir manchmal ein Gemeindeleben führen, das nur an unsere kleine, enge Parochie denkt und gar nicht mehr diese große Zukunftssendung Jesu hören.
Die ganze Parochie ist eure Sache – die ganze Welt. Ja, die ganze Weltmission ist eure Aufgabe, die ihr mitzutragen habt. Alles, was hier geschieht, war es immer wieder in der Geschichte der Christenheit groß, dass Außenseiter in die Kirche traten und plötzlich diese große Sendung Gottes wieder begriffen und neue Arbeitsfelder erschlossen haben.
So wie Abraham, der auszog und wusste: Gott begnügt sich nicht mit dem, was ist. Es kommt nicht darauf an, ob wir ein bisschen lieber und ein bisschen frommer werden, sondern darauf, ob die Segenspläne Gottes mit der Welt in unserer Generation verwirklicht werden können.
Dafür braucht Gott Leute, die sich herausreißen lassen, die eine klare Scheidung vollziehen, die sich trennen lassen und hinausziehen. Das ist ein Schritt, den Abraham vollzog. Das ist das wahrhaft Progressive: in die Zukunft gewandte Menschen, die den Ruf Gottes hören, mit der Bibel im Ohr leben und sich senden lassen hinaus in die Welt.
2. Abraham lebt in grenzenloser Freiheit
Was an Abraham wichtig ist, ist, dass er seiner Zeit weit voraus war – progressiv lebte er in einer grenzenlosen Freiheit.
Mit dem Wort Freiheit wird heute viel Schindluder getrieben. Über die Freiheit wird viel gesprochen, jeder will sie für sich beanspruchen. Das ist der Traum unserer jungen Leute: „Ich möchte doch endlich ich selbst sein, mein Leben selbst gestalten können, mich ausleben dürfen, selbst bestimmen, was recht und gut ist.“ Die ganzen Freiheitsträume der Welt – keine Ideologie kommt ohne das Wort Freiheit aus. Dieses oft geschmähte und geschlagene Wort Freiheit.
Es gibt so wenig Erkenntnis darüber, dass Freiheit am meisten leidet und vom Menschen tyrannisiert wird. Wer ist es denn immer, der die Freiheit beschneidet? Wer ist es, der uns einengt? Wer raubt dem anderen die Freiheit? Der Mensch selbst. Wer sein Leben ein wenig nachspürt, entdeckt, dass er gar nicht wirklich leben kann, was er will. Er ist versklavt von sich selbst.
Wenn wir anfangen wollen, Gott zu dienen und hochherzige Entschlüsse fassen, dann kommt dieser große Rückschlag – vor dem ich Sie nicht genug warnen kann. Dieser Rückschlag zeigt sich darin, dass wir so sehr an primitiven und lächerlichen Dingen hängen. Wenn es um den Dienst für Gott geht, wenn Gott uns in die Zukunft senden will und uns progressiv machen will, dann kommt plötzlich die Zeit nicht mehr mit. Wir hängen an ein bisschen Bequemlichkeit. Kaum können wir auf eine Mahlzeit verzichten, und schon sind wir gereizt, wenn uns ein anderer nicht die nötige Ehre gibt.
Wir hängen an den gemeinen Dingen dieser Welt, kleben daran, sind gar nicht frei. Was mir an Abraham gefällt, ist, dass er sich von Gott losreißen lässt. Es war ja nicht böse oder sündig, dass er in Haran lebte, aber er wusste: Das hindert mich, wenn ich Gottes Ruf folgen will. Ich muss alles auf die Waagschale legen, wenn ich Gott dienen will.
Eine Bekehrung zu Gott hat nur dann Sinn, wenn ich vor Gott alles hinlege und sage: „Gott, ich nehme es neu aus deiner Hand, aber ich bin bereit, alles vor dir einmal durchzurechnen.“ Man kann Gott nicht anders dienen. Sonst werden wir laufend blockiert von Dingen, die uns hindern.
Als ich noch in Schramberg-Sulgen war, kam Heinrich Giessen einmal zu Besuch. Er wollte, dass ich seine Nachfolge in der Berliner Stadtmission übernehme. Während wir gerade über dieses Thema sprachen, kam eine Frau herein. Da sagte er: „Die Frau frage ich gar nicht.“ Wenn es in eurer Ehe stimmt, dann heißt das bei euch: Sarah zog mit.
Wissen Sie, was das bedeutet? Es heißt nicht, dass die Frau kadavergehorsam ist. Es bedeutet, dass in eurer Ehe klargestellt ist, dass alle persönlichen Wünsche untergeordnet werden. Und Sarah zog mit.
Sehen Sie, was die Freiheit der Kinder Gottes ist? Menschen, die ihre persönlichen Dinge in großer Freude leben. Aber wenn es um den Ruf Gottes geht, dann wissen sie: Diese Dinge haben kein Eigengewicht mehr. Sie müssen alle mithelfen, dass Gottes Pläne ausgeführt werden und dass ihm gehorcht werden kann.
Dass Abraham all das so leicht zurücklässt, glaube ich nicht. Es ist ihm nicht leicht gefallen. Wir sollten keine frommen Sprüche darüber machen. So eine Entscheidung, dieses Losreißen, dieses Verlassen seiner vertrauten Heimat, war eine Entscheidung, die geschmerzt hat und wehgetan hat.
Man kann das nur tun, indem man seinen Blick dorthin richtet, wo dieser schenkende Gott steht. Und so zieht er los.
Ich glaube, noch etwas hat Abraham dabei geholfen, frei zu werden und frei zu sein.
3. Abraham als Pilger und Reisender in der Welt
Als ich zum ersten Mal in den Osten reiste, war ich ganz überrascht. Die ersten Leute, zu denen wir kamen, sagten, wir dürften das Auto nicht vor unserer Haustür parken. Warum nicht? Das sei gefährlich, weil die Geheimpolizei es sehen könnte, wenn ein Westbesuch da ist. Also parkten wir das Auto zwei Straßen weiter. Das regte einen nicht besonders auf.
Dann sah man an einem Laden, einem Metzgersladen, wie die Leute Schlange standen. Man möchte das fotografieren, aber man darf das nicht in Rumänien. Eine Schlange vor dem Laden – die Leute warten seit drei Wochen auf Fleisch. Heute gibt es welches, deshalb stehen alle Schlange. Das ist ja interessant. Die Leute sagen: Für euch ist das interessant, für uns ist es hart. Das ist der Unterschied zwischen dem Reisenden und dem, der dort wohnt.
An diesem Beispiel kann ich Ihnen klar machen, warum es Abraham leichtfällt, etwas loszulassen. Abraham sagt: „Sind doch nur 14 Tage, ich bin ja nur Reisender.“ Er betrachtet sein Leben nur auf eine kurze Distanz. Setzen Sie ein, wie viel Sie noch an Lebenserwartung haben: 50 Jahre, 40 Jahre, 20 Jahre. Setzen Sie das mal ein. Abraham meint, es ist eine kurze Zeit, dann ist sie vorüber. Er sagt: „Ich bin ja nur Reisender.“
Unsere Vorfahren gebrauchten gern das Wort von der Pilgerschaft. Das ist uns ganz abhandengekommen. Es ist so ein Wort aus der Sprache „Keiner eins“ – aber die Sache müssen wir begreifen. Das hat ihnen geholfen, ihre Freiheit zu gewinnen, ihre Distanz zu den Dingen dieser Welt. Sie lebten noch ganz darin, so wie ein Reisender auch dort in diesen Ländern lebt. Er erlebt alles mit und hält sich daran. Er tut auch das, was notwendig ist, aber er sagt: „In 14 Tagen ist das ja vorbei.“ Es ist nur ein ganz kurzer Abschnitt.
Ich weiß nicht, wie Sie Ihre Lebensziele geordnet haben. Es gibt viele Christen, die als leuchtendes Ziel haben, in ihren Gebeten von Gott heiß erflehen, ein ganz toll ausgebautes irdisches Leben in dieser Welt. Das hat Gott ihnen nie versprochen, auch Abraham nicht. Gott hat Abraham die Zukunft geöffnet und ihm gesagt, dass er sein Leben in seinen großen Plänen gebrauchen will. Für uns ist nur wichtig, ob wir dafür tauglich sind und eingebaut werden können in diesen großen, langen Plan Gottes.
Dann fällt es ihm leicht, die Dinge zu gebrauchen. So nimmt man die Dinge, die geschehen, leichter an. Ich möchte jetzt mit denen sprechen, die Schweres haben, die eine schwere Krankheit tragen müssen, die menschlich nicht rechnen können, dass sie wieder ganz gesund werden. Vielleicht hat Gott ihnen ganz wunderschöne Pläne gestrichen, weil sie das lernen müssen. Weil das das ausgetauschte Leben ist, das frei macht von den Dingen dieser Welt.
Wir leben darin, wir freuen uns daran, wir geben Geld aus, wir gehen unserem Beruf nach. Aber wir sehen die kurze Zeit. Wir sind Reisende auf einem großen Zug unterwegs und haben ein Ziel vor uns.
Ich möchte das noch einmal mit einem anderen Bild verdeutlichen.
Aufruf zur geistlichen Freiheit und Verantwortung
Ich habe mich gefreut, dass Kardinal Döpfner und Landesbischof Dietz Felbinger den großen Mut gehabt haben, Herrn Leonid Preschnew anlässlich seines Besuches einen offenen Brief zu schreiben. Sie rufen ihn ganz konkret dazu auf, Entspannung nur dort und nur dann zuzulassen, wo Menschen leiden. Dabei nennen sie ganz konkret das Leiden der Christen.
In diesen Tagen haben wir einen Brief von Herrn Rütikow erhalten, einem christlichen Prediger, der seit Jahren im Straflager ist. Seine Frau betreut den Rat der Angehörigen der Gefangenen. In dem Brief schreibt dieser Mann hinter dem Eisernen Vorhang. Er schreibt: „Wir grüßen euch, Frauen! Stacheldraht, eiserne Gitter, hohe Zäune, Soldaten mit Hunden trennen uns von euch und allen Freunden, die den Herrn lieben.“ Den Brief konnte er illegal herausschmuggeln. Oben drüber steht das Wort an die Frauen: „Du Ärmste, über die alle Wetter gehen.“ Dieses Wort stammt aus Jesaja 54, es heißt „du Trostlose“.
Dann schreiben sie weiter: „Ihr Frauen, wir möchten euch einsagen: Nur das ist wichtig, dass ihr die Kinder zu Jesus führt. Und das ist unsere Sorge.“ Sie erinnern an Mose, der die Distanz zu den Gütern dieser Welt hatte. Mose wollte kein großer Mann in dieser Welt werden, sondern nur eins: ein Diener Gottes.
„Denkt an Samuels Mutter“, schreiben sie, „denkt an die Mutter, die ihr Todeskind zu Elisa brachte, denkt an die Mutter des Timotheus. Folgt dem Beispiel dieser Mütter!“ Dann schreiben sie weiter: „Oft sorgen die Eltern zu sehr materiell für ihre Kinder und übersehen dabei, wie diese geistlich verkümmern und sich der Sünde dieser Welt hingeben. Solche Eltern haben es sehr schwer mit ihren Kindern. Denkt daran: Wenn Gott Kinder schenkt, dann sorgt er auch aus einer unerschöpflichen Fülle für sie, wenn es um das geistliche Wachstum eurer Kinder geht. Dann scheut weder Zeit noch Mittel.“
Das ist schon eine Sache, wenn ein Vater weiß, dass für die Kinder drei Jahre lang kein Gehalt mehr da ist. Und wenn man dann den Müttern sagt: „Eins ist nur noch wichtig, nicht ob eure Kinder die richtigen Kleider anhaben, ob sie gut ausgestattet sind oder welche Schulbildung sie erhalten, sondern ob sie diese Distanz zu den materiellen Dingen unserer Welt gewinnen. Ob wir sie dort hineinstellen können in dieses große Leben, in dieses ausgetauschte neue Leben bei Abraham.“
Das ist eine Sensation, dass es das heute gibt: glaubende Christen, die in dieser Freiheit leben, weil sie mehr gefunden haben. Wir sind Gäste und Fremdlinge. Wir freuen uns an der Welt, wir bedienen sie, wir bedienen uns der Welt und genießen sie mit all dem, was sie uns bietet. Aber sie darf uns nicht das große Ziel verdecken, den großen Ruf Gottes. Denn das macht mein Leben so groß.
Abraham als Segen für andere
Und noch ein Letztes: Abraham hat anderen viel zu bieten. Drei Dinge waren mir wichtig.
Einmal: Er ist seiner Zeit weit voraus, dieser Abraham. Ich habe Angst, wir lassen uns so oft verklammern, auch gerade als Christen, in dem, was eben gerade in unserer Zeit an Kampf und Streit drin ist. Ich kann Ihnen ganz offen sagen: Ich will gar nicht mehr über die Weltmissionskonferenz in Bangkok streiten. Der Aufbruch in die neue Weltmission muss viel umfassender geschehen, sodass der Ruf Gottes wieder in unsere Generation einbricht.
Dann werden Hunderte von jungen Leuten wieder in den Missionsdienst gehen und den Ruf Gottes in der Welt hören. Sie werden genug Stellen in der Welt finden, wo auch weiße Männer gefragt sind. Wir müssen uns aus der Umklammerung von der Zeit freimachen. Der Ruf Gottes ist progressiver. Das, was Gott Menschen auflegt, ist größer. Wo sind Glaubende, die sich loslösen lassen und in dieses große Leben einsteigen, das zweite, diese grenzenlose Freiheit?
Der Mann, der nicht an den kleinen Dingen dieser Welt klebt.
Und das Dritte: Er hat anderen viel zu bieten. Da zieht er durch diese Welt, und es heißt, es wurden Kanaaniter da. Ich möchte es Ihnen ersparen, etwas über die kanonische Religion zu erzählen. Diese Kulte der Menschen sind ja immer unheimliche Kulte, in denen der Mensch versucht, mit dem Geheimnis Gottes fertigzuwerden. Da mischen sich alle Teufelsmächte hinein.
Abraham lebt in einer Welt, mit Abstand von der Welt und doch in der Welt drin. Man muss genau dieses Gewicht immer verstehen: Abraham flieht nicht, er geht nicht in den Glaskasten. Er ist mittendrin und geht dort in den Hain More. Das war doch eine heidnische Tempelstätte, ein schreckliches Stück dort. Und da geht er auch noch hin. Er ist mitten an diesen Plätzen dieser Welt und predigt das Evangelium von Gott.
Er predigt. Er gibt keine großen Weisheiten von sich, sondern er erzählt ihnen, dass Gott lebt, dass Gott Menschen persönlich führt und dass dieses Geheimnis auch über dem Leben dieser Kanaaniter stehen kann. Ich verstehe nicht viel von Religion. Uns bleiben viele theologische Probleme offen. Wir wollen mitten in unserer Zeit stehen als Menschen, die etwas zu bieten haben. Die nicht lange herumstreiten, ob das oder jenes lebenswert ist oder nicht.
Er predigte den Namen des Herrn, er redet von ihm und sagt, dass der Herr groß ist, und er rief den Namen des Herrn an. Er hat Erlebnisse gemacht mit Gott. Der Herr erschien ihm. Es kam aus einer ganz quellfrischen Begegnung mit Gott heraus.
Das ist etwas Großes, wenn Menschen in dieser Welt stehen, die anderen vom Herrn sagen können, weil sie ihm begegnet sind und weil sie ihn kennen.
Ich habe eine Weile nachgedacht in der Vorbereitung zu der Predigt: Was wäre eigentlich gewesen, wenn Abraham nicht ausgezogen wäre, wenn er in Haran ein frommer Mann geblieben wäre? Es ist nicht auszudenken, wie die ganze Segensgeschichte des Volkes Israel blockiert gewesen wäre.
Warum sind Sie eigentlich so kleingläubig, wenn Sie nicht das ganze Leben packen, das Gott Ihnen anbietet? Wenn Sie nicht zu einer ganzen Scheidung kommen, zur ganzen Freiheit? Wissen Sie eigentlich, was Sie blockieren und was ungetan bleibt?
Beim Abraham war es die ganze Geschichte des Volkes Israel, die daran hängt. Ich weiß nicht, ob Ihr Leben so viel weniger Segen in sich schließt, so klein und unscheinbar unser Leben auch aussieht. Wenn Gott uns ruft, wenn Gott sagt: Ich will was draus machen, dann will er ganze Konsequenzen haben.
Amen!
Schlusslied und Gebet
Nun singen wir dieses Lied von Gerhard Tirstegen: Kommt, Kinder, lasst uns gehen! Das Lied dieser Pilgerschaft wird sehr eindrücklich, wenn Sie es zuhause noch ganz durchlesen. Wir singen es nach der Melodie, die ich Ihnen zu deinen Toren, Nummer 272, zeige – die Verse vier, sechs und sieben.
Man muss wie Pilger wandeln wollen und beten. Du, Herr, unser Gott, du hast so große Pläne für unser Leben, und doch kleben wir so oft an ganz geringen Dingen. Da sind wir ganz erfüllt mit den Sorgen unseres Berufes, mit den Sorgen der Erziehung unserer Kinder. Menschen machen uns so viele Schwierigkeiten.
Ach Herr, gib doch, dass wir den großen Ruf begreifen, dass du durch uns in diese Welt hineinwirken willst und einen großen Segen schaffen möchtest. Verhindere doch, dass wir das blockieren. Mach uns ganz frei und drücke es uns auf, auch im Gespräch untereinander, wo wir zu sehr an den Dingen dieser Welt kleben.
Wo wir in einer unguten Weise verhaftet sind an Dingen, die uns hindern, dir ganz zu dienen. Und mach uns auch davon frei, dass wir immer nur kämpfen und streiten und nicht vom Fleck kommen. Sondern dass wir ausziehen dorthin, wo du uns hinstellst. Das musst du uns immer wieder deutlich machen, ganz konkret, damit wir es begreifen können.
Zeige uns, wo die Aufgaben heute für uns sind, wo wir deinen Namen in dieser Welt predigen müssen, wo wir nicht schweigen dürfen, damit du verherrlicht wirst und dein Reich gebaut wird.
Wir bitten dich jetzt für alle, die in deinem Namen ausgezogen sind. Du kennst sie: die irgendwo einen Jugendkreis oder einen Bibelkreis leiten, die ganz in der Stille Besuche machen, bei Kranken sitzen, die in den Dienst der Diakonie gegangen sind, die draußen in der Mission stehen, einsam und verlassen. Herr, du kannst sie stärken und aufrichten und ihnen immer wieder Geduld geben, indem du sagst: Deine Kraft ist in Schwachen mächtig.
Herr, lass uns darin auch zusammenwachsen – in dieser Gemeinschaft für dich, in dieser Gemeinschaft des Ausziehens auf deinen großen Ruf hin. Wir danken dir für all das, was du uns auch an irdischen Gütern schenkst und anvertraust. Wir wollen es gebrauchen zu deiner Ehre.
Vater unser im Himmel, geheiligt werde dein Name, dein Reich komme, dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden. Unser tägliches Brot gib uns heute und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.
Drauf wollen wir zum Lied Nummer 272 noch den letzten Vers singen.