Einleitung: Die Hoffnung auf das Kommen des Herrn
Sein kann nach einem Jahr. Wir merken, die Zeit vergeht sehr schnell, aber es wird tatsächlich immer heller.
Wie in dem Abschnitt geschrieben steht, der gelesen wurde: Bevor der Morgenstern am Himmel erscheint, ist er schon in unserem Herzen da. Und bevor der Sohn Gottes erscheint, ist er in unserem Herzen schon aufgegangen.
Das ist das ganz Wunderbare, das ganz Großartige. Wir warten auf das Kommen unseres Herrn. Das war immer die Trostbotschaft für Menschen, die auf diese Botschaft hörten – all die Jahrhunderte, all die Jahrtausende.
So haben wir uns für diese Tage, heute Morgen und nachher in Schweinfurt, das Buch des Propheten Zacharia vorgenommen.
Zuerst will ich damit beginnen, dass wir uns ein wenig Gedanken darüber machen, was denn das Besondere an den prophetischen Büchern ist. Danach wollen wir uns fragen, wie wir diese prophetischen Bücher lesen und auf uns anwenden können – also wie wir sie zu unserem Nutzen lesen können.
Anschließend werden wir uns dem Propheten Zacharia zuwenden.
Überblick über die prophetischen Bücher und ihre Einordnung
Wir haben sechzehn prophetische Bücher im Alten Testament: vier große Propheten – Jesaja, Jeremia, Hesekiel und Daniel – sowie zwölf kleine Propheten. Man nennt sie kleine Propheten, weil ihre Bücher nicht so umfangreich sind wie die der vier großen Propheten. Die kleinen Propheten reichen von Hosea bis Maleachi. Sacharja ist der zweitletzte unter ihnen und auch in der zeitlichen Abfolge der zweitletzte der kleinen Propheten.
Nun ist Sacharja ein Stück weit entfernt, um ihn auf der Folie darzustellen. Geht das? Ja, das gibt uns einen Eindruck von der langen Zeit, während der Gott Propheten zu seinem Volk sandte.
Ich habe diese Zeit in drei Abschnitte gegliedert, und zwar nach der jeweils vorherrschenden Macht im Vorderen Orient. Es gab eine vorasyrische und eine assyrische Zeit, die im achten Jahrhundert begann und bis ins ausgehende siebte vorchristliche Jahrhundert dauerte. In dieser Zeit haben unter anderem die Propheten Hosea, Joel, Amos, Obadja, Jona, Micha und Nahum geweissagt.
Dann folgt die babylonische Zeit. Während dieser Zeit war Babylon die Herrschaftsmacht im Vorderen Orient. Diese Periode reicht ungefähr von 612 bis 539 vor Christus. In der babylonischen Zeit haben die Propheten Habakuk und Zefanja geweissagt.
Schließlich gibt es die persische Zeit, auch nachexilische Zeit genannt. In dieser Zeit wirkten die drei Propheten Haggai, Sacharja und Maleachi.
Gottes beständiges Reden und die Bedeutung der prophetischen Botschaft
Nun, während Weltreiche aufkamen, ihre Macht ausdehnten und wieder untergingen, entstand ein neues Weltreich. Während dieser ganzen Zeit hat Gott beständig gesprochen. Das ist eine wunderbare Tatsache und Wahrheit: Gott hat diese Welt nicht sich selbst überlassen.
Auch wenn wir Gott den Rücken gekehrt haben, die Sünde gewählt und uns für die Finsternis statt für das Licht entschieden haben, hat Gott die Welt nicht sich selbst überlassen. Er lenkt die Geschicke der Völker und redet zu den Menschen. Er lehrt sie durch sein Wort, und sein Wort ist wie ein Licht, eine Lampe, die an einem dunklen Ort leuchtet.
Wie es in 2. Petrus 1 heißt: Übrigens steht dort das griechische Wort, das für „dunkel“ verwendet wird, nicht das übliche „skoteinos“, sondern „auchmáros“. Das bedeutet eigentlich trüb, düster, unwirtlich – also mit T, nicht mit K. So ist unsere Welt düster, dunkel und ungemütlich geworden, wegen der Sünde. In diese Welt hinein redet Gott durch seine Propheten.
Darum habe ich die Zeitabschnitte nach diesen Weltreichen datiert, um uns das bewusst zu machen. Wenn wir uns einmal fragen, wie man die Botschaft aller Propheten – aller sechzehn Propheten, also auch der zwölf kleinen Propheten – mit einem kurzen Satz zusammenfassen könnte, gibt es verschiedene Wahrheiten, die man herausgreifen könnte.
Ich habe folgenden kurzen Satz gewählt: Der Herr regiert, der Herr regiert.
Der Herr als König und die Berufung Israels
Als Gott zum ersten Mal ein ganzes Volk erlöste und zu sich führte, lehrte er dieses Volk, Israel, dass er sie erlöst hatte, um fortan als König über sie zu herrschen.
Das wird besonders deutlich, wenn wir in 2. Mose 15,18 lesen. In 2. Mose, beim Passahfest, als Gott das Volk aus Ägypten führte, leitete er es durch das Schilfmeer. Damit entwand er das Volk endgültig und für immer der Macht jenes Königs, dem sie vierhundert Jahre dienen mussten.
Jetzt sind sie endgültig frei, befreit von dem sie bedrückenden König, dem Pharao. Fortan stehen sie unter dem Königtum des Herrn, ihres Gottes. So singt das erlöste Volk dieses Lied, und in 2. Mose 15,18 steht als letztes Wort, als zusammenfassendes Ergebnis des ganzen Liedes der Erlösung: „Der Herr ist König immer und ewig, der Herr herrscht, er regiert.“
Dazu hat Gott dieses Volk erlöst. Die Propheten erinnern daran, dass das Volk Israel, dem Gott sich geoffenbart und das er erlöst hatte, verpflichtet ist, ihrem Gott und Erlöser zu dienen, ihm zu gehorchen, ihm zu vertrauen und ihn zu lieben. Denn er ist König, der Herr regiert.
Die Aufrufe der Propheten und Gottes lenkende Hand
Aus der Tatsache, dass der Herr König ist, ergeben sich alle Aufrufe der Propheten. Weil er König ist, gilt alles Leben, das im Eigenwillen und nach eigenen Vorstellungen geführt wird – also dort, wo der Mensch sich selbst an die Stelle Gottes setzt und so lebt, wie es ihm beliebt und behagt – als Götzendienst und Sünde.
Entsprechend decken die Propheten diese Sünde auf und stellen durch ihre Worte das Volk vor Gott. Dadurch soll das Volk erkennen, was seine Bestimmung, seine Aufgabe und seine Berufung wäre und wie weit es davon abgewichen ist.
Der Herr ist König. Die Propheten lehren uns auch, dass er, weil er König ist, die Geschicke und die Wege Israels lenkt. Es ist keineswegs so, dass der Gott Israels, der Erlösergott, dieses Volk nur dann führt, wenn es ihm willig gehorcht. Er führt es auch dann, wenn es ihm nicht gehorcht. Allerdings führt er es dann auf solche Wege und lässt das Volk Erfahrungen machen, die es nicht gern hat und die es sich nicht ausgesucht hätte. Dazu gehören Not, Niederlagen und Bedrückung durch äußere Feinde. Dennoch lenkt der Herr all dies, denn er ist König. Er lenkt die Wege Israels.
Ein Beispiel dafür findet sich in Hosea, dem ersten der kleinen Propheten, in Kapitel 2, Vers 6. Es ist wichtig zu beachten, dass die Verszählung in verschiedenen Bibelausgaben unterschiedlich sein kann. In der unrevidierten Elberfelder Bibel steht dort: „Darum siehe, ich will deinen Weg mit Dornen verzäunen, und ich will ihr eine Mauer errichten, dass sie ihre Pfade nicht finden soll.“
Weiter in Vers 8 heißt es: „Sonst…“ Ja, er lenkt die Wege Israels. In Kapitel 2, Vers 14 (oder je nach Verszählung Vers 16) heißt es: „Darum siehe, ich werde sie locken und in die Wüste führen und ihr zum Herzen reden.“
Er lenkt auch die Wege der Nationen, weil er eben regiert. Ein Beispiel dafür findet sich in Joel Kapitel 3, Vers 2 (in manchen Ausgaben Kapitel 4, Vers 1). Dort steht: „Denn siehe, in jenen Tagen und zu jener Zeit will ich die Gefangenschaft Judas und Jerusalems wenden.“ Und dann in Vers 2 (bzw. Kapitel 4, Vers 2): „Dann werde ich alle Nationen versammeln und sie in das Tal Josaphat hinabführen.“
Ja, der Herr regiert. Er lenkt auch die Wege der Heiden, also derer, die an Gott gar nicht glauben, die ihm nicht gehorchen und ihm nicht dienen wollen. Auch deren Wege und Schritte lenkt er. Er ist es, der Dürre und Regen sendet. Er ist es, der Krieg verhängt und Frieden schafft.
Bleiben wir bei Joel. In Joel 2, Vers 23 heißt es: „Und ihr Kinder, zieht uns verlockt und freut euch in dem Herrn, eurem Gott, denn er gibt euch den Frühregen nach rechtem Maß, und er lässt euch Regen herabkommen.“ Doch er wirkt auch Dürre.
In Joel Kapitel 1, Vers 10 steht: „Das Feld ist verwüstet, es trauert der Erdboden, das Korn ist verwüstet, der Most ist vertrocknet, verwelkt das Öl.“
Er ist es, der Krieg sendet. In Habakuk 1, Vers 6 heißt es: „Denn siehe, ich erwecke die Chaldäa, das grimmige und ungestüme Volk, welches die Breiten der Erde durchzieht.“
Die Propheten haben das gesehen und verstanden. Wir sagen meistens: Da wird eine Macht immer stärker, gibt immer mehr Geld für das Militär aus und entwirft Pläne, diesen oder jenen Krieg zu führen. Die Propheten drücken es so aus: Gott sagt, ich erwecke die Chaldäer, ich mache sie stark und mächtig, ich sende sie gegen euch.
Die Propheten sehen durch Gottes Geist gelehrt die erste Ursache aller Geschehnisse, und das ist immer Gott. Wir sehen meist nur die abgeleiteten, also die sekundären Ursachen. In unserer Blindheit halten wir diese zwar für die ersten Ursachen, doch die erste Ursache ist stets Gott. Das erkennen die Propheten. Deshalb drücken sie sich so aus: „Ich sende die Babylonier gegen euch.“ Nicht einmal: „Ich werde es zulassen, dass die Babylonier kommen.“ Das ist meist das, was wir zu sagen wagen. Die Propheten beziehen alles direkt auf Gott, weil er die erste Ursache ist. Er regiert, er herrscht, ihm ist alles untertan. Ohne ihn und seinen Willen geschieht nichts.
Hier ist es auch, wo der Frieden gegeben wird. Haggai, der drittletzte der kleinen Propheten, direkt vor Sacharja, sagt in Haggai 2, Vers 9: „An diesem Ort will ich Frieden geben, spricht der Herr der Heerscharen.“
Gottes Herrschaft über Heilsgeschichte und Weltgeschichte
Die ganze Heilsgeschichte geschieht in dieser Welt. Dass Gott die gesamte Heilsgeschichte wirkt und lenkt, ist für uns gut verständlich. Da Gott die Heilsgeschichte in und durch diese Welt hindurch wirkt, ist es notwendig, dass er auch die Weltgeschichte lenkt.
Er lenkt die ganze Weltgeschichte so, dass in ihr Heil geschieht und Heilsgeschichte gewirkt wird. So wird Gott trotz allem Unglauben, aller Gottlosigkeit und allem Götzendienst der Menschen, Völker und Nationen seinen Heilsrat verwirklichen.
Der Prophet Jesaja hat dies besonders deutlich in folgenden Worten ausgedrückt: Jesaja 46,9-11. Ich lese die Verse 9 bis 11:
"Gedenkt des Anfänglichen von der Urzeit her, dass ich Gott bin, und sonst ist keiner, dass ich Gott bin und gar keiner wie ich, der ich von Anfang an das Ende verkünde und von all dem, was noch nicht geschehen ist. Ich spreche: Mein Ratschluss soll zustande kommen, und all mein Wohlgefallen werde ich tun. Der ich einen Raubvogel rufe von Osten her aus fernem Land, den Mann meines Ratsschlusses. Ich habe geredet, ich werde es auch kommen lassen, ich habe entworfen, ich werde es auch ausführen."
Bei aller Untreue seines Volkes und bei allem Widerstand der Menschen gegen Gott, bei allem Anrennen der Menschen gegen Gott, werden sie Gottes Heilsrat nicht aufhalten können. Gott verwirklicht seinen Heilsrat.
Paul Gerhard hat dies sehr schön in der fünften Strophe seines Liedes „Befiehl du deine Wege“ ausgedrückt:
"Und obgleich alle Teufel hier wollten widerstehen, so wird doch ohne Zweifel Gott nicht zurückgehen. Was er sich vorgenommen und was er haben will, das muss doch endlich kommen zu seinem Zweck und Ziel."
Ja, der Herr regiert. Er regiert jetzt vom Himmel her und lenkt von seinem Thron aus in der Vorsehung alles nach seinem Rat. Davon sprechen auch die Propheten: Sein Gesalbter wird kommen.
Dann wird Gott direkt auf dieser Erde herrschen und regieren. Er wird unmittelbar seine Regierung üben. Das heißt, dann wird es keine Auflehnung mehr gegen Gott geben, keinen Unglauben mehr, keinen Götzendienst mehr. Stattdessen wird alles seinem Heilswillen untergeordnet sein, seinem Gnadenwillen.
Dann wird Leben sein, Friede sein, unbeschreibliches Glück sein. Auch davon sprechen die Propheten.
Der Thron, auf dem der Herr sitzt und regiert, heißt im Neuen Testament der Thron der Gnade. Die bloße Tatsache, dass Gott Propheten sendet und zu den Menschen redet, ist schon ein Beweis seiner Gnade.
Gott schuldet es uns Menschen nicht, dass er noch zu uns redet. Wir haben uns von ihm abgewandt, die Sünde gewählt und die Finsternis. So könnte Gott uns in der Finsternis, die wir gewählt haben, lassen und fortan schweigen. Aber er redet noch und hat über die Jahrhunderte beständig geredet. Das ist ein Beweis seiner Gnade.
Dass Gott sein Volk erzieht und züchtigt, es auf solchen Wegen führt, dass es trotz aller Untreue zurechtkommt, ist ein weiterer Beweis seiner Gnade. Er überlässt das Volk Gottes, das Volk, zu dem die Propheten kamen, nicht seinem eigenen Willen und Sinn. Stattdessen handelt und wirkt er an ihnen, solange bis sie zur Einsicht und Umkehr kommen.
Dann ist auch das Ziel erreicht, von dem die Propheten gesprochen haben: das Kommen des Messias. Er wird kommen, ihm wird alles untertan sein.
Das wird Leben bedeuten – Leben, Friede, Fülle, Herrlichkeit, Glück, unbeschreibliches Glück, Glück ohne Schatten, Glück ohne Reue, Glück ohne Ende, unvermischtes Glück.
Dieses Ziel, das Gott sich vorgesetzt hat und zu dem er sein Volk führt, ist ebenfalls ein Beweis seiner Gnade.
So können wir sagen: Das ist die Hauptbotschaft der Propheten – der Herr regiert.
Die Bedeutung der Weissagung: Verborgenes aufdecken
Aber sie reden ja auch von den Menschen. So wollen wir uns einmal fragen: Was ist eigentlich Weissagung oder Prophezeien? Was sind Propheten und was bedeutet Prophezeien? Auf Deutsch sagen wir auch Weissagen, das ist dasselbe.
Nun, was ist Weissagung oder Prophezeiung? Die allgemeinste und einfachste Definition, die immer zutrifft, ist folgende: Weissagen bedeutet, Verborgenes aufzudecken. Weissagen oder Prophezeien heißt also, das Verborgene ans Licht zu bringen.
Wir wollen das an einem Beispiel sehen, das uns im Buch Richter gegeben ist. Dort sendet Gott zum ersten Mal einen Propheten, nachdem das Volk Gottes aus Ägypten befreit worden war und ins Land geführt wurde, das Gott ihnen gegeben hatte. Nachdem sie schon eine Zeit in diesem Land gelebt hatten, kam diese Sendung.
Es war Not im Land. Richter 6 beschreibt diese Not. Im Vers 2 heißt es: "Die Hand Midians wurde stark über Israel." Und dann in Vers 3: "Es geschah, wenn Israel gesät hatte, so zogen Midian und Amalek und die Söhne des Ostens herauf. Sie zogen wieder herauf, lagerten sich und verderben den Ertrag des Landes bis nach Gaza hin. Sie ließen keine Lebensmittel in Israel übrig, weder Kleinvieh noch Rind noch Esel." Große Not herrschte.
Natürlich haben alle Israeliten gedacht: Wie können wir bloß diesen Amalekiter oder diese Midianiter loswerden, die uns alles rauben? Sie haben sich sicherlich Möglichkeiten ausgedacht oder darauf gewartet, dass sie irgendwie von anderen daran gehindert werden. Offensichtlich haben sie ihre Not nicht in Beziehung zu Gott und ihrem Verhältnis zu ihm gesetzt.
Jetzt lesen wir weiter, Vers 7: "Und es geschah, als die Kinder Israel wegen Midians zum Herrn schrien." Die Not dauerte eine ganze Weile, und dann begannen sie zum Herrn zu schreien. Was geschieht dann? Da sandte der Herr einen Propheten zu den Kindern Israel.
Und was tut dieser Prophet? Das ist eben Weissagen. So spricht der Herr, der Gott Israels: "Ich habe euch aus Ägypten heraufgeführt und euch herausgeführt aus dem Haus der Knechtschaft. Ich habe euch errettet aus der Hand der Ägypter und aus der Hand aller eurer Bedrücker. Ich habe sie vor euch vertrieben und euch ihr Land gegeben. Und ich sprach zu euch: Ich bin der Herr, euer Gott, ihr sollt nicht die Götter der Amoriter fürchten, in deren Land ihr wohnt. Aber ihr habt meiner Stimme nicht gehorcht."
Er deckt die verborgene Ursache ihrer Misere auf. Darum war Hunger, darum war Mangel, darum haben fremde Völker geherrscht. Das lag nicht an ungünstiger Wetterlage – etwa zu viel Regen in diesem Jahr oder zu viel Dürre – oder an der weltpolitischen Großwetterlage, die gerade ungünstig sei. Nein, das waren nicht die Ursachen. Die Ursache war: Ihr habt nicht auf meine Stimme gehört.
Genau das tut der Prophet: Er deckt das Verborgene auf. Meistens braucht es sehr viel Zeit, auch in Gemeinden, auch heute im Volk Gottes. Es gibt Niedergang in den Gemeinden, kein Wachstum, Streit und Spaltungen. Und es dauert meistens sehr lange, bis uns bewusst wird – oft erst durch den Dienst eines Propheten, also jemandes, der im Auftrag Gottes reden kann –, welches die Ursache für all diesen Niedergang ist.
Meistens erklärt man das mit vielen Gründen: Ja, es ist halt Endzeit, oder es ist harter Boden. Es gibt viele Erklärungen. Ja, die Einflüsse der Welt auf unsere Kinder sind stark. Es gibt hundert Erklärungen. Aber das sind nicht die wirklichen Ursachen.
Die wirklichen Ursachen liegen immer darin, dass wir nicht auf Gottes Stimme gehört haben. Das deckt der Prophet auf: Ihr habt nicht auf meine Stimme gehört. Es liegt immer daran, dass unsere Beziehung zum Herrn angeschlagen ist. Das heißt: Sünde ist die Ursache.
Weissagen heißt also, Verborgenes aufzudecken.
Die prophetische Aufgabe und ihre Bedeutung heute
Die Klagelieder folgen direkt auf die Weissagungen Jeremias. Sie wurden ebenfalls von Jeremia verfasst, und zwar im Anschluss an die Zerstörung Jerusalems. In diesen Klageliedern sagt Jeremia Folgendes:
„Nichtiges und Ungereimtes haben deine Propheten dir geschaut, und sie deckten deine Ungerechtigkeit nicht auf, um deine Gefangenschaft zu wenden.“ (Klagelieder 2,14)
Das wäre genau die Aufgabe der Propheten gewesen: Verborgenes aufzudecken. Sie hätten die verborgene Sünde, die verborgene Schuld, den verborgenen Unglauben und den verborgenen Götzendienst offenbaren müssen. Das wäre ihre Schuld gewesen, die sie hätten aufdecken müssen.
Weissagen bedeutet verborgenes Aufdecken. Dies wird auch im Neuen Testament bestätigt. Paulus bezeichnet das als das Wesentliche am Weissagen: verborgenes Aufdecken. Er schreibt in 1. Korinther 14,24-25: „Wenn aber alle weissagen und irgendein Ungläubiger oder Unkundiger kommt herein, so wird er von allen überführt, von allen beurteilt; das Verborgene seines Herzens wird offenbar. Wieder fällt er auf sein Angesicht, betet Gott an und verkündet, dass Gott wirklich unter euch ist.“
Die Propheten decken also auf, was das natürliche Auge nicht sehen kann. Sie enthüllen auch Zukunftiges, aber das wirklich Entscheidende und Bezeichnende am Weissagen ist das Aufdecken des Verborgenen. Sie beginnen immer damit, gegenwärtig Verborgenes aufzudecken. Ihrem Zweck ist untergeordnet, dass sie auch von der Zukunft sprechen.
Sie decken Sünde auf und rufen zur Umkehr auf. Wenn diese nicht geschieht, sprechen sie von der Zukunft und kündigen furchtbare Gerichte an. Wenn aber Umkehr erfolgt und man auf die Stimme des Herrn hört, wird es einem gut gehen. So reden die Propheten von der Zukunft, weil es ihre Absicht ist, das Volk Gottes jetzt ins rechte Verhältnis zu Gott zu bringen.
Sie öffnen dem Volk Gottes die Augen für die geistliche Wirklichkeit. So lehren uns die Propheten, und das ist der große Wert der prophetischen Bücher für uns heute, alles, was uns widerfährt – unsere Zeit, unser Leben, unsere Umstände – in Beziehung zu Gott zu sehen. Wir sollen alles im Licht Gottes betrachten, auch tagespolitische Ereignisse.
Mit „Licht Gottes“ meine ich nicht ein esoterisches Wissen über irgendeinen Plan oder eine Weltverschwörung. Es gibt Leute, die haben immer ihre Vorstellungen von Endzeitszenarien, wer alles beteiligt ist, wer der Antichrist sei und welche Geheimgesellschaften mitmischen. Das meine ich ausdrücklich nicht. Ich halte das für eher kindisch, und es führt ganz am Sinn des prophetischen Wortes vorbei.
Nein, die Propheten lehren uns zu erkennen, dass alles, was geschieht, nur verstehbar ist, wenn wir es auf Gott beziehen. So dürfen wir auch tagespolitische Ereignisse, die uns beunruhigen, im Licht Gottes sehen. Sie geschehen nicht ohne Gott und haben mit Gottes Heilsabsichten und Heilsrat zu tun.
Dass die ganze islamische Welt seit Jahren schon und jetzt immer mehr in solcher Rage ist, geschieht auch unter Gottes Regierung. Ich brauche dafür keinen Bibelvers, auch nicht für den gegenwärtigen Präsidenten des Iran. Es gibt zwar Leute, die meinen, man müsse immer einen Bibelvers finden. Dann werden Aussagen der Propheten großzügig auf gegenwärtiges Geschehen bezogen, damit es irgendwie passt.
Nein, wir sollen lernen, die Dinge im Licht Gottes zu sehen, so wie die Propheten sie sahen: nichts geschieht ohne ihn. Der Prophet Amos sagt in Kapitel 3, Vers 6: „Geschieht auch ein Unglück in der Stadt, und ich, der Herr, hätte es nicht gewirkt?“ So ist auch das vom Herrn gewirkt.
Das gibt uns große Gewissheit und Frieden im Herzen in dieser unruhigen Zeit, in der man sonst keinen Grund hätte, zuversichtlich zu sein. Ich muss mich nicht über alles Unrecht in der Weltpolitik aufregen. Ich muss mich auch nicht über die Einseitigkeit der Medien aufregen. Natürlich muss ich nicht sagen, dass das, was sie schreiben, richtig oder gut ist, aber ich muss mich nicht innerlich aufreiben.
Auch das geschieht nicht ohne Gott. Oder dass Israel solche Nachbarn hat, solche Unmöglichen – auch die sind ihm von Gott gegeben, um seine Absichten mit diesem Volk zu erfüllen.
So haben die Propheten das Volk Gottes und die Umstände, in denen sie standen, gesehen und die verborgenen Ursachen für alles aufgedeckt: erstens die Ursache, dass Sünde vorliegt, und dann letztlich gezeigt, dass alles von Gott ausgeht. Alles Heil kommt von Gott, alle Gerichte kommen von Gott, alle Geschicke sind von Gott verhängt.
Der vierfache Gesichtskreis der Propheten
Man kann von einem vierfachen Gesichtskreis der Propheten sprechen.
Zunächst sprechen die Propheten von der Zeit, in der sie selbst leben. Das ist die erste Aufgabe, die wir haben, wenn wir ein prophetisches Buch studieren. Wir wollen verstehen, wie die damalige Zeit war, welche Umstände herrschten und was vorher passiert ist. Die Propheten wenden sich an ihre Zeitgenossen und haben eine Botschaft für ihre Gegenwart.
Dann sprechen die Propheten jeweils von einem nahe bevorstehenden Untergang oder von einer nahe bevorstehenden Wiederherstellung. Es geht also um Ereignisse, die in naher Zukunft liegen. Jeremia kündigt zum Beispiel das Ende Judas und Jerusalems durch die Babylonier an, die damals über den gesamten Vorderen Orient herrschten.
Oder sie sprechen von einer nahen Wiederherstellung. Haggai und Sacharja verkünden, dass der Tempel wieder aufgebaut wird und eine Zeit des Friedens und der Fülle kommen wird. Genau das ist auch so in naher Zukunft geschehen.
Als nächstes sprechen die Propheten vom Kommen des Messias – und zwar von seinem ersten und seinem zweiten Kommen. Sacharja spricht sowohl von seinem ersten als auch von seinem zweiten Kommen.
Ein Beispiel dafür finden wir im Propheten Sacharja. In Sacharja 9,9 heißt es: "Jauchze, Tochter Zion! Jauchze, Tochter Jerusalem! Siehe, dein König kommt zu dir, gerecht und ein Retter; demütig reitet er auf einem Esel." Dies beschreibt sein erstes Kommen, das demütige.
In Sacharja 14 ist ebenfalls vom Messias, dem König, die Rede. Diesmal geht es um sein zweites Kommen. Sacharja 14,9 sagt: "Und der Herr wird König sein über die ganze Erde. An jenem Tag wird der Herr einer sein und sein Name einer."
So ergibt sich der vierfache Gesichtskreis der Propheten.
Fragen beim Lesen prophetischer Texte
Beim Lesen prophetischer Bücher stellen wir immer Fragen an den Text. Das ist eine wichtige Methode beim Bibellesen. Insbesondere bei prophetischen Texten stellen wir vier zentrale Fragen.
Zuerst fragen wir: Was war die unmittelbare Bedeutung der Weissagungen für die Zeitgenossen der Propheten? Manche überspringen diesen Schritt, aber das sollten wir nicht tun. Es ist wichtig, diese Bedeutung sorgfältig zu erarbeiten und gut zu verstehen. Denn dieses Verständnis fördert erheblich das Erfassen aller weiteren Fragen, die wir an die Textstellen stellen.
Also: Was war die unmittelbare Bedeutung der Weissagungen für die Zeitgenossen der Propheten? Diese Frage wollen wir uns auch bei Sacharja stellen.
Zweitens fragen wir: Was ist die endzeitliche Bedeutung ihrer Aussprüche? Dabei interessiert uns, wie diese Weissagungen mit der Erfüllung von Gottes heiligem Plan zusammenhängen.
Drittens fragen wir: Was lernen wir über Christus und das von ihm bewirkte Heil? Diese Frage wird uns immer wieder beschäftigen, wenn wir Sacharja studieren.
Viertens schließlich fragen wir: Wie können wir die Weissagungen auf die Gemeindezeit anwenden? Welche Lektionen gibt es für dich, für mich und für uns heute als Volk Gottes, als Gemeinde?
Einführung in das Buch Zacharia
Sacharja lesen wir im ersten Vers, Sacharja Kapitel 1, Vers 1: Im achten Monat, im zweiten Jahr des Darius, geschah das Wort des Herrn zu Sacharja, dem Sohn Bereikias, des Sohnes Iddos, dem Propheten.
Hier wird also sein Name genannt. Der Name Sacharja bedeutet „der Herr gedenkt“. Das heißt, der Herr erinnert sich, er gedenkt seines Bundes mit den Vätern. Er vergisst keine der Verheißungen, die er den Vätern gegeben hat.
Darum sendet er in der Fülle der Zeit seinen Gesalbten, den Messias. Durch ihn werden alle Verheißungen erfüllt. Das bedeutet, dass Gott Israel nicht verstoßen wird. Für die Zeitgenossen Sacharjas war das eine ganz wichtige Botschaft.
Denn es ging ihnen äußerlich nicht gut, als Sacharja und Haggai anfingen zu weissagen. Sie waren abhängig von der Gunst heidnischer Könige, was für sie schlimm war. Auch wirtschaftlich ging es ihnen schlecht, wie uns Haggai zeigt. Sie mussten sehr knapp leben.
Das hatte natürlich seine Gründe, aber es war der Zustand, in dem sie sich befanden. Viele fragten sich damals: Haben wir überhaupt noch eine Zukunft? Sind wir nicht schon die letzte Generation? Wird es mit dem Volk Gottes bald aus sein?
In dieser Situation überbringt Sacharja seinem Volk die Botschaft, die sein Name bereits aussagt: Der Herr gedenkt. Er vergisst keine seiner Verheißungen. Er hat sein Volk nicht verstoßen. Er wird sein Volk bewahren, segnen und zu ihm kommen. Er wird alle den Vätern gegebenen Verheißungen erfüllen.
Ausblick auf die weitere Betrachtung
Zur Zeit des Propheten müssen wir Folgendes beachten: Schlagen wir dazu zuerst 5. Mose 28 auf.
Wie viele Minuten sind noch? Bitte? Eben, da ist die Zeit schon ziemlich um. Dann machen wir jetzt eine Pause.