Einführung und Kontext der Predigt
Die nächsten vier Wochen sind rappelvoll, deshalb gibt es wieder klein gehackte Vorträge. Theologie, die dich im Glauben wachsen lässt, Nachfolge praktisch – dein geistlicher Impuls für den Tag.
Mein Name ist Jürgen Fischer, und ihr hört die Vorträge zum Titusbrief von der Jugendpfingstfreizeit der Allgäuer Gemeinden.
Nehmen wir uns die nächste Gruppe vor, und die ist wieder spannend, nämlich die Sklaven. Die Sklaven sind deshalb interessant, weil man sich die Frage stellen kann, weshalb Paulus die Sklaverei nicht deutlicher verurteilt.
Das ist manchmal ein Vorwurf an uns Christen: „Ja, ihr seid ja für Sklaverei.“ Die Antwort darauf lautet: Nein, sind wir nicht – und zwar aus verschiedenen Gründen.
Historische Einordnung der Sklaverei in der Antike
Punkt eins: Sklaverei in der Antike ist etwas ganz anderes, als wir Sklaverei vielleicht verstehen, wenn wir das Bild der Sklaverei in Amerika vor Augen haben. Dort wurden Menschen aus Afrika entführt, was übrigens ein todeswürdiges Vergehen ist. Menschenraub steht unter Todesstrafe in der Bibel. Diese Menschen wurden nach Amerika deportiert und dort wirklich versklavt. Sie waren nicht nur für eine begrenzte Zeit Sklaven, wie es im Alten Testament zum Beispiel bei Schuldknechten für sieben Jahre der Fall war, sondern dienten als billige Arbeitskraft.
Dieses Bild lässt sich nicht eins zu eins auf die Antike übertragen, aus verschiedenen Gründen. Zum einen gab es viel mehr Sklaven, als man sich das vorstellen kann. In einer Stadt wie Korinth oder Rom waren etwa ein Drittel der Bevölkerung Sklaven.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass Sklaven nicht komplett rechtlos waren. Sie galten zwar rechtlich als „Dinge auf zwei Beinen“, doch sie durften oft Eigentum besitzen, Verträge abschließen, Geld ansparen und sich selbst freikaufen. Die allerwenigsten Sklaven blieben ein ganzes Leben lang Sklaven.
Es gab verschiedene Gründe dafür. Die zwei wichtigsten waren: Erstens war es für einen Herrn eine Sache der persönlichen Ehre, einen Sklaven, wenn er älter wurde, zu entlassen. Zweitens waren alte Sklaven einfach teuer in der Unterhaltung. Deshalb gab man ihnen oft die Möglichkeit, sich freizukaufen, um diese Last zumindest teilweise loszuwerden.
Die Realität der Sklaverei und die Gemeinde
Jetzt habe ich hier das Thema Sklaven, und die Bibel sagt an keiner Stelle, dass es gut ist, Sklave zu sein. Im Gegenteil, in 1. Korinther 7 wird gesagt: Werdet nicht Sklaven von Menschen.
Gleichzeitig stellt sich Paulus aber einer bestimmten Realität. Diese Realität ist, dass es Sklaven gibt. Und dass Sklaven sich bekehren und Teil der Gemeinde werden – übrigens gleichwertig in der Gemeinde. Das ist beeindruckend! Du bist Sklave, also ein Mensch, der in der Gesellschaft wenig Wert zu haben scheint. Du bekehrst dich und bist in der Gemeinde auf Augenhöhe mit deinem bekehrten Herrn.
So sehr auf Augenhöhe, dass Paulus an anderer Stelle sagen muss: Ihr bekehrten Sklaven, fangt nicht an, von euren bekehrten Herren schlecht zu denken, nur weil ihr euch jetzt auch in der Gemeinde begegnet. Es kann sogar passieren, dass ein Sklave zum Ältesten wird, während der Herr noch Gemeindemitglied bleibt.
In der Gemeinde kann sich die gesellschaftliche Ordnung also schnell umdrehen. Hier haben wir tatsächlich eine Gemeinschaft, in der es kein Über- und Unterordnungs-Konzept mehr gibt. Wir sind eins in Christus. Und genau das ist es, was durch die Gemeinde in die Gesellschaft hineinwirkt.
Paulus’ Haltung zur Sklaverei und praktische Ermahnungen
Gleichzeitig ist Paulus nicht der Revoluzzer, der sagt: Lasst uns die Sklaverei abschaffen – schlicht und ergreifend deshalb, weil es nicht funktioniert hätte.
Nun richtet sich hier ein Wort an die Sklaven: Sie sollen ihre eigenen Herren in allem achten, sich ihnen unterordnen, sich wohlgefällig machen und nicht widersprechen.
Das Spannende daran ist: Obwohl ich in der Gesellschaft ganz unten stehe, kann ich durch mein Verhalten ein Zeugnis für Gott sein. Egal, wo du im Leben stehst, wenn du dich richtig verhältst, so wie Gott es möchte, kannst du ein Aushängeschild für das Evangelium sein. Darum geht es hier.
Für Sklaven bedeutet das einfach, sich zu unterordnen. Das heißt nicht nur, widerwillig Gehorsam zu leisten, sondern sich wohlgefällig zu machen. Das ist so viel wie den Job gut zu machen und nicht zu widersprechen – also nicht aufzubegehren.
Dann geht es weiter: Nicht zu unterschlagen. Damit sind diese kleinen Diebstähle gemeint. Du kannst dir vorstellen, jemand wohnt mit dir im Haus und nimmt immer ein bisschen was mit. Das kriegt man gar nicht mit. Er hat so einen kleinen Nebenverdienst, nimmt sich immer eine halbe Amphore Wein mit und verschiebt sie irgendwo. Das merkt niemand.
Und jetzt kommt die Ansage an die Sklaven: Nichts unterschlagen! Das geht nicht mehr. Keine kleinen Diebstähle, keine Veruntreuung. Stattdessen sollen sie alle gute Treue erweisen – eine echte, unverstellte Treue. Wirklich treu sein.
Zeugnis durch treues Verhalten trotz gesellschaftlicher Grenzen
Warum sollen Sklaven an ihrem Platz als Sklaven so eine vorbildliche Arbeit leisten? Ganz einfach: Damit sie die Lehre unseres Heilandgottes in allem zieren.
Ich befinde mich am unteren Rand der Gesellschaft. Eigentlich sagt man mir: „Du bist ein Nichts.“ Und ich denke: „Ja, das mag stimmen, aber ich bin Botschafter des Schöpfergottes. Ich zeige dir, wie ein Leben aussehen könnte, das sich Gott unterstellt.“ Ich zeige dir, wie ein Leben aussehen könnte, das von Gott geliebt wird.
Wenn dann Leute kommen und fragen: „Sag mal, du bist hier so ein netter, fröhlicher Typ. Du klaust nicht, du widersprichst nicht. Vielleicht machst du auch gute Vorschläge, wenn ich gerade Fehler mache. Du bringst dich in dieser Hausgemeinschaft nach bestem Wissen und Gewissen mit deiner Kraft ein. Sag mal, warum machst du das?“
All die anderen Sklaven hier muss man ständig antreiben. Sie arbeiten nur, wenn man hinschaut. Sonst klauen sie wie die Raben und reden überall schlecht über uns. Warum bist du so anders?
Dann kann ich sagen: „Ach, das hat damit zu tun, dass ich Christ bin. Deswegen bin ich anders. Ich habe einen Gott, einen Rettergott, der mich gerettet hat. Er möchte übrigens auch dich retten, wenn du das möchtest.“
Früher war ich ein Lügner, ein Betrüger. Ich habe geklaut, hinter meinem Rücken schlecht über meinen Arbeitgeber geredet und nur gearbeitet, wenn jemand hinsah. Aber heute diene ich Gott. Heute habe ich damit aufgehört, weil ich das einfach nicht mehr will.
Ich bin von meiner Schuld befreit und erlöst. Könnt ihr euch vorstellen, was die Leute dachten, wenn sie so etwas mitbekamen? Und dann erlebt man mich jeden Tag in meiner Fröhlichkeit, wie ich einfach meine Rolle annehme und sage: „Ich habe Gott, der mich hier durchträgt.“
Und weißt du was? Wenn ich hier durch bin, dann kommt das Beste noch. Ja, das Allerbeste kommt noch. Ich arbeite nämlich gar nicht für dich, sondern ich sehe hinter dir den Herrn Jesus. Für den arbeite ich.
Ist es nicht cool, zur Arbeit zu gehen und zu sagen: „Chef, du bist gar nicht mein Chef.“ Formal darfst du weiterhin meinen Gehaltsscheck unterschreiben, aber ich sehe hinter dir den Herrn Jesus. Und ich möchte, dass der Herr Jesus sich über mich freut.
Für Sklaven bedeutet das genau das – weil wir Menschen sind.
Die Bedeutung gesunder Lehre und Lebensführung trotz Grenzen
Und nun kommen wir zur Begründung, warum gesunde Lehre etwas Wichtiges ist.
Das ist etwas, das wir ganz natürlich weitergeben – als alte Männer, alte Frauen, junge Frauen, junge Männer. Als Menschen, die sich in Situationen wiederfinden, in denen sie zunächst sagen: „Das macht mir eigentlich keinen Spaß, so drin zu sein.“
Es gibt gesellschaftliche Begrenzungen, bei denen du denkst: „Muss das wirklich sein?“ Aber du kannst weitermachen, du kannst dich weiterentwickeln. Dasselbe gilt für biografische Grenzen und emotionale Grenzen. Es kann auch vorkommen, dass du feststellst: „Mein Leben schmeckt mir eigentlich nicht.“
Was machst du dann? Nun, du tust einfach das, was Gott sagt. Das ist relativ einfach: Du lebst einfach dein Leben.
Warum das so ist, lesen wir jetzt weiter.
Die Begründung: Gnade als Grundlage guten Handelns
Vers 11, und das ist jetzt die Begründung. Die Begründung erstreckt sich von Vers 11 bis Vers 15.
Gott hat uns gerettet, aber er hat uns mit einem bestimmten Ziel gerettet: nämlich mit dem Ziel, gute Werke zu tun. Hört euch das mal an: Die Gnade Gottes ist erschienen, heilbringend allen Menschen.
Bis dahin klingt das irgendwie ganz einfach. Die Gnade Gottes erscheint in der Person von Jesus und bringt Heil für alle Menschen. Das ist der Fokus, den Gott auf alle Menschen legt. Es wird ein Opfer zur Sühnung für die Schuld der Welt gebracht. Es wird ein Angebot gemacht, bei dem Gott sagt, dass jeder, der Glauben haben möchte, gerettet werden kann.
Und weil wir das erlebt haben, sind wir Teil derer, die durch den Glauben an diese Gnade Anteil genommen haben. Jetzt ist Gnade in meinem Leben.
Hier müsst ihr eine Sache ganz genau verstehen: Wir sind Kinder der Reformation. In der Reformation erhält der Begriff „Gnade“ eine etwas einseitige Färbung. Luther kommt aus dem Katholizismus. Im Katholizismus wird man durch Gnade, gute Werke und Sakramente gerettet. Man muss also viel tun, um gerettet zu werden.
Weil er so viel tun muss, kommt Luther an den Punkt, wo er sagt: Das schaffe ich doch nie. Dann liest er den Römerbrief und erkennt, dass Errettung aus Gnade geschieht, durch Glauben – und Glauben ist gerade das Gegenteil von guten Werken.
Stellt euch vor: Hier versucht jemand, Gott aus eigener Kraft und mit eigenen guten Werken zu gefallen. Er schafft es nicht und ist restlos frustriert. Plötzlich lernt er die Errettung aus Gnade kennen. Nun schwingt das Pendel einmal durch, und wir landen hier oben: Gnade ist jetzt alles, alles nur noch Geschenk, ohne dass ich etwas tun muss – irgendwie ganz einfach.
Natürlich liegt die Wahrheit, wie so oft, irgendwo in der Mitte. Wenn man die Bibel liest, stellt man fest, dass der Herr Jesus Dinge sagt wie: „Tut Buße und glaubt an das Evangelium.“ Das sind zwei Seiten, nicht nur „Glaub einfach ans Evangelium.“ Buße tun und glauben gehören zusammen.
Das bedeutet: Wenn Gnade richtig verstanden wird und in mein Leben eintritt, dann ist das nicht einfach nur so ein „So, ich schenke dir jetzt was, bitte schön, fertig.“ So verstehen manche Leute Gnade.
Gnade ist etwas, das ich... Gnade ist etwas, ich sage Gott: „Rette mich!“ und dann – Achtung – zack, Gott rettet mich, fertig. Das stimmt nicht.
Der Begriff Gnade kann auf zwei Weisen übersetzt werden. Einmal bedeutet dieser Begriff „charis“ tatsächlich: Gott beschenkt mich. Aber das gleiche Wort bedeutet auch Dank oder Loyalität – ich beschenke Gott.
Es entsteht also ein Kreislauf. Deshalb hatten wir das am Anfang: Wir werden jeden Tag neu von Gott mit Gnade beschenkt, weil wir jeden Tag vor dem Thron der Gnade erscheinen. Aber wir beschenken Gott übrigens auch jeden Tag mit Gnade, indem wir ihm danken.
Es ist ein Kreislauf, der entsteht.
Gnade im sozialen Kontext der antiken Gesellschaft
Das Konzept der Gnade stammt aus der antiken Gesellschaft, in der es oben den Patron und unten das sogenannte Klientel gab. Wenn jemand ein Problem hatte, wandte er sich an den Patron und bat ihn um Hilfe. Der Patron unterstützte ihn, und der Hilfesuchende wurde Teil seiner Familie. Dafür bedankte er sich bei ihm.
Um die antike Gesellschaft besser zu verstehen, kann man sich die ersten 15 Minuten von „Der Pate Teil 1“ anschauen. Dort sieht man, wie eine solche Gesellschaft funktioniert: Ein Mafiaboss wird um Hilfe gebeten, wenn jemand ein Problem hat. Wenn der Boss hilft, erhält der Hilfesuchende Gnade – ein Geschenk. Doch damit entsteht auch eine Verpflichtung. Wenn der Patron später selbst Hilfe braucht, steht derjenige, der Gnade empfangen hat, in seiner Schuld.
Ähnlich stehen wir in Gottes Schuld. Wir erhalten die Gnade nicht einfach nur, um sie als Geschenk anzunehmen und dann wieder zu verschwinden. Gnade zu bekommen bedeutet, in eine Beziehung einzutreten, die gelebt werden will. Mein Anteil dabei ist, die empfangene Gnade in ein Leben voller Loyalität umzusetzen.
Deshalb ist Gnade in der Bibel viel mehr als nur ein Geschenk. Im Römerbrief Kapitel 5 wird sie als eine Macht beschrieben. Diese Macht tritt an die Stelle der vorherigen Macht der Sünde. Vor meiner Bekehrung beherrschte mich die Sünde. Nach meiner Bekehrung tritt an die Stelle der Sünde die Gnade – als beherrschende Kraft in meinem Leben. Sie ist die Größe, die darüber entscheidet, wie ich lebe.
Abschluss und Ausblick
Das war es für heute. Mein Tipp: Lies das Kapitel im Titusbrief, das heute dran war, noch einmal in Ruhe durch. Lass dich von Gottes Geist inspirieren.
In der nächsten Episode geht es mit dem Titusbrief weiter. Der Herr segne dich, schenke dir seine Gnade und lasse dich in seinem Frieden leben. Amen.