Viele von Ihnen sind auch von einer Liebe zu Israel bewegt. Es ist eine Tradition, dass man am heutigen zehnten Sonntag nach dem Dreieinigkeitsfest gerade des Volkes Gottes Israel gedenkt.
Es ist jedoch nicht immer so, dass diese Erinnerung für uns ohne jegliche Trübung bleibt. Oft sind damit auch viele persönliche Erinnerungen verbunden, insbesondere an die jüngste Geschichte.
Deshalb wollen wir Gottes Wort hören, wie es uns nach der Ordnung der Kirche für den heutigen Sonntag, den zehnten Sonntag nach dem Dreieinigkeitsfest, in der fünften Reihe gegeben ist: Matthäus 21,33-46.
Das Gleichnis vom Weinberg und seine Bedeutung
Jesus sprach: Hört ein weiteres Gleichnis. Es war ein Hausvater, der pflanzte einen Weinberg, zog einen Zaun darum, grub eine Kelter und baute einen Turm. Dann gab er den Weinberg an Weingärtner in Pacht und zog ins Ausland.
Als die Zeit der Früchte kam, sandte er seine Knechte zu den Weingärtnern, damit sie ihm die Früchte brachten. Doch die Weingärtner nahmen seine Knechte, schlugen einen, töteten den anderen und steinigten den dritten.
Er sandte wieder andere Knechte, mehr als zuvor, und sie behandelten sie genauso. Schließlich sandte er ihnen seinen Sohn und sagte: „Sie werden sich vor meinem Sohn scheuen.“
Als die Weingärtner den Sohn sahen, sprachen sie untereinander: „Das ist der Erbe! Kommt, lasst uns ihn töten und sein Erbe an uns bringen!“ Sie nahmen ihn, stießen ihn aus dem Weinberg hinaus und töteten ihn.
Jesus fragte: „Wenn nun der Herr des Weinbergs kommt, was wird er mit diesen Weingärtnern tun?“ Sie antworteten: „Er wird die Bösewichte übel bestrafen und den Weinberg anderen Weingärtnern geben, die ihm die Früchte zur rechten Zeit bringen.“
Jesus sagte zu ihnen: „Habt ihr nie gelesen in der Schrift?“ Dann zitierte er aus Psalm 118:
„Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der ist zum Eckstein geworden. Vom Herrn ist das geschehen, und es ist ein Wunder vor unseren Augen.“
Er fuhr fort: „Darum sage ich euch, das Reich Gottes wird von euch genommen und einem Volk gegeben, das seine Früchte bringt. Wer auf diesen Stein fällt, der wird zerschellen; auf wen er aber fällt, den wird er zermalmen.“
Als die hohen Priester und Pharisäer seine Gleichnisse hörten, verstanden sie, dass er von ihnen sprach. Sie trachteten danach, wie sie ihn ergreifen könnten, fürchteten sich jedoch vor dem Volk, denn das hielt ihn für einen Propheten.
Sie baten: „Herr, erkläre uns deine Gleichnisse, damit wir sie hören und verstehen.“ Amen.
Historische Bezüge und die Herausforderung der Liebe zu Israel
Im Februar 1738 bestieg der Prediger Georg Conrad Rieger in der Leonhardskirche die Kanzel. Als er mit einem aktuellen Bezug begann, hörten die zahlreich versammelten Zuhörer noch aufmerksamer zu. Er sprach von einem Ereignis, das damals alle Menschen bewegte. Wenige Tage später sollte draußen auf der Prag, dem Hinrichtungsplatz, einer der einflussreichsten Männer Württembergs gehängt werden: Suess Oppenheimer. Die Menschen waren sehr glücklich, dass nach Jahren des Leidens, der Unterdrückung und Ausbeutung endlich an dieser Stelle Gerechtigkeit geübt werden sollte.
Georg Conrad Rieger, bekannt für seine Kanzelreden, sagte: „Es ist nur recht und billig, dass man heute von dem spricht, was euch alle bewegt.“ Und die Zuhörer stimmten ihm zu: „Es ist gut, dass einer seinen gerechten Lohn bekommt.“ Dann sprach er weiter, und die Leute nickten zustimmend. Anschließend fragte er: „Wer von euch hat denn schon einmal in seinem Leben für diesen Mann gebetet?“
Er stellte die Frage in den Raum, ob es sein könne, dass eine Christengemeinde an solchen Tagen nur dasitze und zuschaue. „Hat euch das je bewegt, dass unser Herr will, dass keiner verloren geht?“ fragte er weiter. „Geht euch das nicht nach, dass das einer aus dem Volk Israel ist?“
Diese Worte waren damals völlig überraschend und ungewohnt. Rieger unterbrach seine Predigt mit einem großen Fürbittegebet für den, der wenig später hingerichtet werden sollte.
Wir fragen uns heute, wie es dazu kommen konnte, dass Christen über Jahrhunderte hinweg ein so gebrochenes Verhältnis zum Volk Israel entwickelten und sich damit beruhigten. Viele würden sagen: „Das steht doch hier in diesem Gleichnis: Das Reich Gottes wird von ihnen genommen, und jetzt ist es eben weggenommen. Die Juden haben verloren, was sie einst hatten, und wir sind an ihre Stelle getreten.“ Als ob man so ruhig darüber reden könnte, dass Gott seine Pläne ändert und seine Verheißungen doch nicht wahr macht.
Doch das sind ganz andere Fragen. Heute haben wir ein ganz neues Verständnis gewonnen. Wenn wir nun zurückblicken in die Geschichte, merken wir, dass hier und da die Väter, die ihre Bibel studierten, genau das Gleiche in ihrer Bibel erkannt haben wie die Gründer der Brüdergemeinde in Korntal vor Hunderten von Jahren. Sie hatten keinen Sonntag im Gebet die Fürbitte für Israel vergessen. Sie verstanden plötzlich, dass es in der Bibel steht.
Bei Paulus im Römerbrief heißt es, dass Israel zwar Blindheit zum Teil widerfahren ist, bis zur Fülle der Heiden, aber dann wird ganz Israel selig werden (Römer 11,25-26). In unseren Tagen hören wir solche Worte mit ganz neuen Ohren. Uns erscheinen sogar die Landverheißungen der Propheten buchstäblich erfüllt vor unseren Augen: „Ich will sie zurückholen aus den Heiden, ich will sie wieder sammeln. Zuletzt wird der Berg Zion, Jerusalem, höher sein als alle Berge, und die Völker werden nach Jerusalem eilen“ (Jesaja 27,13; 2. Mose 19,6; Micha 4,1-2).
Sehen Sie, so verstehen wir das Gleichnis falsch, wenn wir sagen, es sei von Israel weggenommen worden und die Weingärtner sind an die Stelle getreten. Vielleicht verstehen wir das Gleichnis besser als Generationen von Christen vor uns, die sich damit beruhigt haben, in Israel das Gericht Gottes zu sehen und sagten: „Die haben es verdient, und jetzt sind wir an ihre Stelle getreten und wir sind eben die gottestreuen Weingärtner.“
Drei Gedanken zur Auslegung des Gleichnisses
Ich möchte dazu drei Gedanken anführen, um zu prüfen, ob wir es besser verstehen.
Das Erste, was mir wichtig ist: Die Personen sind austauschbar. Wenn man sich die Gleichnisse der Bibel anschaut, fällt auf, dass immer ein großer Frieden herrscht, wenn von Naturdingen gesprochen wird. Wenn Jesus von den Blumen auf dem Feld erzählt, von den Vögeln unter dem Himmel oder von den Schafen, entsteht ein Idyll.
Sobald aber der Mensch in den Gleichnissen auftaucht, kommt es zum Konflikt, zum Zusammenprall, zur Auseinandersetzung. Da wird deutlich: In den Gleichnissen Jesu ist der Mensch das große Problem. Denn im Menschen kommt es zu dieser verhängnisvollen Kollision, wenn Gottes Wille und der Wille des Menschen zusammenstoßen.
Wenn wir sagen, da ist vom Juden gesprochen, ist da vom Juden gesprochen, da ist von mir gesprochen, auch von meinen Brüdern in Israel, aber von mir. Da spricht doch Jesus von meiner Lebensgeschichte, in dem großen Bild: Der Herr baut einen Weinberg, macht einen Zaun darum, bewässert den Weingarten und pflanzt die Pflanzen ein. Wer macht das in unserem Leben? Wer hat mir die Lebenskraft gegeben, damit ich heute in der Fülle meiner Kraft meine Aufgaben angehen kann? Wer hat mir meine Familie gegeben? Woher kommen meine Berufsaufgaben, in denen ich jetzt stehe? Das ist doch der Herr, der uns den Weinberg zubereitet. Wir sind die Weingärtner.
Wie könnte eine Christenheit dieses Gleichnis nehmen und nur zum Fenster hinaus predigen? Es wird uns doch erzählt: Der Herr baute einen Weinberg und setzte Weingärtner hinein. Gott sagt uns: Nimm dein Leben! Du hast in dieser steinigen, unfruchtbaren Welt einen Lebensraum. Und diesen hat er auch Ihnen gegeben, wie ich so oft sehen darf.
Es ist schön, sagen Sie, und ich habe viele Aufgaben, wir haben Erfolg, ich habe den Eindruck, dass Ihre Kunden Frucht tragen, und Sie dürfen sich daran freuen. Sie brauchen kein schlechtes Gewissen zu haben. Es sind Früchte Gottes, die Sie in großer und reicher Zahl ernten. Ihr Tisch ist heute Mittag schön gedeckt, Ihre Speisekammer ist voll, Sie haben Dinge, Sie dürfen sich an Ihren Kindern freuen und Sie haben viel Frucht.
Dann aber kommt es darin zum Aufruhr, zur Revolution, die ganz still vor sich geht. Es wird kein Auto in Brand gesetzt, kein Polizist erschlagen, es gibt keine gewalttätigen Demonstrationen. Es geschieht alles viel feiner. Es ist im Grunde eine stille Revolution.
Denn diese Weingärtner, denen alles anvertraut wurde, sagen ohne viel Nachdenken so selbstverständlich: Das ist meine Sache, das gehört mir, das geht mich allein an. Sie haben sich nicht lange damit auseinandergesetzt, sondern stillschweigend angenommen, dass es so ist. Vielleicht war es mehr Gewohnheit, vielleicht mehr Trott.
Nun reden wir von der kommenden Woche und den Aufgaben, die vor uns stehen. Wenn das Gedränge der kommenden Tage auf uns zukommt, das Telefon klingelt und wir in unseren Berufsaufgaben stecken, dann passiert es ohne Nachdenken, dass wir sagen: Das ist meine Arbeit, und was ich da bekomme, habe ich verdient.
Wer kann da überhaupt noch daran denken, dass er mit seinem Tun Frucht bringen soll für den Herrn des Weinbergs? Da würde man sagen: Ja, sagen wir das auch noch! Was soll ich dann noch schaffen? Ich komme doch gar nicht zur Besinnung, ich bin doch schon so eingespannt.
Aber genau dorthin zielt dieses Gleichnis. Dort liegt die Revolution, der Aufruhr, das Unheimliche, an dem letztlich diese Weingärtner mit ihrem Leben scheitern. Wenn Sie fragen, warum ein Fluch auf Ihrem und meinem Leben liegt, warum unsere Berufsarbeit keine Frucht trägt, dann ist es, weil wir uns in die Lebensaufgaben stürzen, als sei das unsere Sache. Als ob das nicht alles nur seinen Sinn auf diesen großen Herrn bekommt, der uns hier hineingestellt hat.
Wir haben eine merkwürdige Eigenschaft entwickelt, gerade in all den Gaben unseres Lebens, das irgendwie anders zu deuten. Wir haben in dem Lied gesungen: Es ist ja Herr, dein Geschenk und Gab. Wenn uns jemand dabei kritisiert und sagt: Was du da machst, war unrecht, dann sagen wir: Nein! Das ist eine Veranlagung an mir, das habe ich von meinen Eltern, eine Charakterschwäche. Oder wenn uns jemand packt, sagen wir: Das war das Milieu, in das ich geraten bin, nur die Zeit prägt einen so.
Bei allen negativen Eigenschaften haften wir nicht. Wir haben die Eigenart, das von uns loszulösen und zu sagen: Das geht mich ja eigentlich nicht an, das ist nur so auf mich gekommen.
Und wenn dann jemand sagt: Du hast aber Gaben, dann werden wir rot. Und meinen, wir hätten Gaben und seien stolz. Dabei müssten wir gar nicht rot werden, wir dürften offen davon sprechen: Ja, ich habe Gaben, sie sind mir anvertraut. Umso mehr schulde ich Rechenschaft für diese Gaben.
Welch ein gebrochenes Verhältnis! Jesus rührt genau in die Wunde und sagt: Da, in deiner ganzen Lebensfülle, da, wo du deinen Körper gebraucht, deine Lebenskraft, wo du Urlaub machst, dich am Essen freust, mittendrin in der Arbeit deines Berufs stehst und große Verantwortung trägst, da werde dir bewusst: Der größte Sinn deines Lebens ist, dass du in der Verantwortung eingesetzt bist für den großen Herrn, der dir den Weinberg anvertraut hat.
Dort sehe ich die große Aussage, die Jesus uns mit dem Gleichnis machen will.
Ich darf noch einen kleinen Satz anfügen in diesem ersten Teil. Ich will auch wahrnehmen, dass das einen gewissen geistlichen Sinn hat für alle, die im Reich Gottes ein Amt übernommen haben, wie ich. Es trifft genauso für einen kleinen Jungscharleiter zu. Es ist eine herrliche Aufgabe, wie viel Liebe man im Amt bekommt.
Am Weinberg Gottes hat das auch einen geistlichen Sinn. Und wie leicht passiert es da, dass man sagen darf, ich präge eine Gemeinde nach meiner menschlichen Art. Es ist ja mein Weinberg.
Wie wäre es, wenn jeder von den Dienern Gottes wieder lernen würde: Es ist allein Gottes Weinberg. Und ich will Menschen und Weinstöcke allein zurechtmachen, damit sie ihm Frucht bringen. Und dass die Menschen austauschbar werden.
Das ist doch das letzte Ziel, ob man es im weltlichen oder im geistlichen Sinn in seinen Aufgaben versteht.
Die Frage nach den Früchten des Lebens
Das ist das Erste: Die Personen sind austauschbar, Jesus will uns treffen.
Wir kommen zum Zweiten: Wo bleiben die Früchte? Das fragt uns Jesus. Es war ja eine gute Ernte gewesen, und die Weingärtner haben viel, viel eingesammelt.
Wie Sie da an dem heißen Tag mitten im Weinberg stehen und die Trauben abschneiden, da kommt einer den Weinbergweg hoch und sagt, der Chef wartet auf die Ablieferung der Früchte. Da bleibt der Weingärtner stehen und sagt: „Ja, das jetzt auch noch! Sieht er nicht, wie wir schwitzen? Wir sind doch ganz am Ende der Kraft.“ Schließlich braust er auf und sagt: „Wir müssen ja schließlich auch mal zu uns selber kommen.“
In diesem Bild ist hineingezeichnet, wie die überarbeiteten Menschen unserer Tage auf das Wort Gottes reagieren, das ihnen seinen Boden bringt. „Jetzt das auch noch! Haben Sie doch mal Verständnis! Mein Mann ist doch wirklich überarbeitet. Meinen Sie, der könnte jetzt auch noch? Und sonntags muss er sowieso noch ausschlafen.“ Sie müssen doch verstehen, dass alles viel zu viel ist, und zur stillen Zeit komme ich ja sowieso nicht.
Sie merken gar nicht, dass der ganze Sinn des Weingärtners und des Weinbergs überhaupt nur zur Erfüllung kommt, wenn sie die Stimme dieser Boten hören. So schieben sie das einfach von sich weg.
Jetzt kommt es erst zum Aufruhr, jetzt erst zur offenen Revolte. Jetzt erst schlagen sie die Boten tot. Und sie haben sicher noch keinen Boden des Evangeliums totgeschlagen. Das geht bei uns viel eleganter.
Wir sollten hier auf Israel nicht mit Steinen werfen und sagen: „Aber die, wir können das ja viel leichter machen.“ Die Bibel bleibt bei uns im Schrank verschlossen. Wir gehen in die Tagesarbeit hinein, so wie diese Weingärtner. Wir haben so viel zu tun, bis wir die Früchte für uns eingesammelt haben.
Und wir merken gar nicht, dass der Chef uns viel mehr bietet, dass unser Leben etwas ausrichten kann für ihn und sein Reich. Wir können einfach den Boden auf die Seite schieben und sagen: „Wir wollen Sie doch gar nicht mehr hören, wir haben Ihre Stimme doch gar nicht mehr nötig, wir wollen Sie doch gar nicht bei uns haben.“
Jetzt fragen Sie nur noch: Wo sind denn eigentlich die Früchte meines Lebens, die er sucht? Sagen Sie mir das doch konkret! Was will er denn? Soll ich mehr von meinem Gehalt opfern? Soll ich eine Stunde mehr von meiner Arbeitszeit abzweigen zum Dienst für ihn? Könnte sein, aber das ist nicht die Frucht allein.
Die Frucht ist, dass jede Arbeit unseres Lebens, was wir auch anfangen – ob wir Urlaub machen, ob wir ins Geschäft gehen, ob wir mit Menschen reden – Sinn bekommt für die Ewigkeit.
Dann sagen Sie: Wie soll das gehen? Ich schaffe im Büro, ich muss da Zettel sortieren. Meinen Sie doch nicht, ich würde Ihnen eine Patentantwort geben. Der Heilige Geist wird es Ihnen zeigen, dass Ihr ganzes Wesen, Ihr ganzes Dasein in dieser Welt einen ewigen göttlichen Glanz bekommt.
Dass der Gottesdienst nicht heute zwischen halb neun, halb zehn und halb elf vollzogen wird, sondern von Sonntag bis Sonntag die ganze Woche über.
Dass Ihre Ehe ein einziger Gottesdienst wird, Ihr Gespräch mit den Kindern – lassen Sie mich da weitermachen – dass das Verhältnis der Kinder zu den Eltern nicht bloß von menschlichem Anstand bestimmt ist, sondern dass Kinder auf einmal merken: Da hat mir Gott Gaben anvertraut, und ich darf meinen Eltern dienen und sie ehren.
Ich sage Ihnen, das kann Ihnen nur der heiße Geist überhaupt erhellen und erleuchten.
Ich hatte gestern wieder eine Trauung hier, und da muss ich dem Brautpaar beim Traugespräch sagen und frage sie, ob sie einander als Gabe Gottes erkennen. Wenn mein Pfarrer erzählt hat, dass ein Brautpaar beim Traugespräch, wo er das vorher sagte, hell hinausgelacht hat: „Die Gabe Gottes.“ Das ist richtig.
Ob es möglich ist, einander so ganz neu zu erkennen und selbst die schwierigen Menschen in unserer Umgebung, die uns so zu schaffen machen, als eine Gabe Gottes zu sehen, an denen ich Gottes Liebe sichtbar machen kann.
Und dann ist ja die Frucht meines Lebens, auf die Gott wartet, das, was der Heilige Geist dann bewirkt: die Liebe, die da hinausströmt, die sich gerade dann in den knisternden Spannungen bewährt.
Die Freude in einer Welt der Traurigkeit und Resignation, Friede, Geduld – das, was unsere geprüften Kranken jetzt durchmachen müssen – diese Geduld an den Tag zu legen.
Freundlichkeit, Gütigkeit, Glaube, Sanftmut und Keuschheit: Hier liegt die Frucht meines Lebens in diesen alltäglichen Dingen.
Der Paulus sagt nicht, Frucht ist, wenn du jetzt auch noch Prediger wirst. Paulus sagt nicht, dass du auch noch Kindergottesdiensthelfer wirst. Nein, bleibe dort, wo du stehst, in deinem Stand.
Dort ist die Arbeitswelt, dort geschieht das Große für Gottes Reich in deinen ganz weltlichen Aufgaben: Frucht zu bringen für ihn.
Wie furchtbar, wenn wir dann das Wort Gottes von uns wegschieben, wenn wir in einen Tag hineingehen und die ganze Aufgabe verlieren.
Umsonst kann man nur sagen, eine Woche geschuftet und doch umsonst.
Und Sie sagen: Ich habe doch alles gemacht, ich war doch ein treuer Mensch. Sie sagen es dann noch beim Gespräch vor der Beerdigung. Sagen Sie das auch am Grab: „Er hat immer gearbeitet.“ Als ob das der Plan war.
Der Herr fragt die Weingärtner nicht, ob sie immer gearbeitet haben. Die haben immer gearbeitet. Er fragt, ob es Frucht für ihn gegeben hat.
„Ja, aber er hat auch immer gespart.“ Oh, die schöne Sparideologie der Schwaben steht auch nicht im Neuen Testament. So duldsam sie ist, man weiß nicht, ob der Bankpräsident mal dafür, mal dagegen ist, dass die Schwaben mehr sparen. Aber es ist keine Tugend vor Gott.
Der Herr fragt, ob es Frucht gegeben hat.
Da stehen die Weingärtner und sagen: „Ich habe mich doch immer so bemüht und immer so angestrengt.“ Ohne den Ruf der Propheten, die mir immer wieder das zeigen: Er wartet auf Frucht. Erwartet auf Frucht.
Die Herausforderung, das Gleichnis wirklich zu verstehen
Noch das Letzte, ob wir begreifen. Ich wollte Ihnen drei Dinge zeigen. Die Personen sind austauschbar – aber wo bleiben die Früchte?
Nun das Letzte, ob wir begreifen. Es war so nett: Am letzten Sonntag sagten Leute, es sei so früh fertig geworden, weil ich keinen dritten Teil hatte. Es war umgekehrt. Ich hatte zwei so gefüllte Teile und dachte dann: Mach nur nicht zu lang. So wurde es ganz kurz. Aber jetzt haben wir einen dritten Teil, ob wir begreifen.
Wir schimpfen ja so gern auf die Pharisäer und sagen, das waren Leute, die nicht begriffen haben. Das stimmt gar nicht. Die haben damals sehr wohl begriffen – das steht ja da. Die Hohenpriester und Pharisäer hörten seine Gleichnisse und verstanden, dass er von ihnen redete. Ich bewundere die Pharisäer und habe Achtung vor ihnen. Sie wussten Bescheid und ließen sich vom Wort treffen.
Es gab eine Christenheit, die dieses Wort oft sich predigen ließ. Und immer meinte Jesus, er rede nur von den Juden. Er redet auch von Juden. Wir sind mit diesem Volk Israel zusammengebunden, aber er redet auch von uns. Die Frage ist, ob wir jetzt begreifen, dass er mit uns redet und heute uns fragt, ob wir ihm Frucht bringen können.
Und dann sendet er immer wieder neue Boten und erinnert immer wieder daran. Da hat Jesus am Ende des Gleichnisses die Leute gefragt: Was meint ihr, was soll denn der Weingärtner, der Chef, noch tun mit seinem Weinberg? Und dann sagten die Leute – damals die Zuhörer – ja, die muss er rausschmeißen. Das hat ja nicht Jesus gesagt, merkwürdigerweise. Das haben die umstehenden Zuhörer gesagt: Er wird ihnen den Weinberg wegnehmen und anderen geben.
Ob es Jesus auch so gesagt hätte? Jesus hat es so über Israel nicht gesagt. Ihr findet kein Wort von Israel, wo Jesus das sagt. Das war das Urteil der Umstehenden. Und das ist ja wieder etwas, was uns treffen muss.
Noch vor Jahren, noch vor einem halben Jahr – noch in der Missionsliste draußen – suchten wir Mitarbeiter, Missionare, die nach Äthiopien gehen. Die Grenzen sind verschlossen. Dieses Land hat lange das Evangelium gehabt. Gott lässt das in unseren Tagen geschehen.
Vor einigen Jahren sind noch Missionare hinausgegangen nach Kambodscha und Vietnam, verschlossene Länder. Mosambik ist uns unerreichbar geworden. Wir wissen ja schon lange, wie in China eine Mission unmöglich ist und unter welchem Druck die Christen dort leben, in den Ostblockstaaten.
In wie vielen Ländern ist es überhaupt noch möglich, dass Boten Menschen an ihre höchste Aufgabe erinnern: Frucht zu bringen für ihn? Und dann beten wir manchmal: Ach, lieber Gott, wir sind ja so glücklich, dass wir noch Zeit haben. Ob wir es begreifen?
Vielleicht geht es Ihnen dann auch so wie mir, dass wir bewegt sind, dass wir das noch können: diese Schilder an die Straßen stellen und uns in Stuttgart einmal nach vielen Jahren in dieser lauten Weise zurufen: Jesus gibt neues Leben. Und es kann kein gläubiger Christ hier in unserer Kirche sein, der nicht sagt: Ich will da mitkämpfen und will da mitarbeiten, dass das noch einmal Menschen unserer Zeit hört, zu was sie leben und was der Sinn ihres Arbeitens ist.
Ja, aber dann wird es eben doch so sein: Wenn einer keine Frucht bringt, der steht nicht da.
Da steht jetzt ein Vers, und über den habe ich nicht gepredigt, und an den möchte ich Sie noch hinführen. Da steht plötzlich ein Vers, der passt gar nicht hinein. Den wollte man rausstreichen. Das ist so eine Masche bei den Theologen, dass sie sagen: Sicher hat jemand verkehrt hereingesetzt, er passt nicht hinein.
Oder vielleicht ist das gerade ein Zeichen, dass das Jesus wirklich so gesagt hat, weil das nämlich am Ende gar nicht aufgeht. Da könnte das Gleichnis ja schließen: Gut, Jesus sagt, wer es nicht verdient hat, den schmeißt man raus. Der wird umgebracht, und dann ist alles hin und so hat Israel seine Berufung verloren.
Da steht etwas drin von einem Baustein, um den die anderen Bogen machen, und der verworfen ist. Da sagen die Baumeister immer: Mit dem fangen wir nichts an. Und wer ist denn dieser verachtete Baustein? Dieser verachtete Baustein ist Jesus allein.
Es ist eine Tragik ohnegleichen, dass man vierzig Jahre in einer Kirche sitzen kann und predigen hört und nichts mit dem Kreuz Jesu anfangen kann. Man kann nicht sagen: Er ist mein Herr, mein Erlöser, mein Erretter, er hat mir meine Schuld vergeben, er hat mich angenommen.
Der verworfene Baustein – es ist doch die Not der Christen rundum, ja, bis hinein in unsere Kirchenmitgliedschaft hinein, in die engsten Kreise hinein – dass der Glaube auf allen möglichen Stützen ruht: auf Treue zur Kirche, auf Liebe zum Pfarrer. Und das ist schön.
Aber der Glaube allein heißt doch: Jesus starb für mich und hat mir meine Schuld vergeben. Und wenn das geschieht, dass der verworfene Stein zum Eckstein wird, dass Menschen hier das Fundament ihres Lebens entdecken, dann entsteht ein neuer Bau.
Es vollzieht sich in unseren Tagen dieses grausame Geschehen, dass Gott sein Evangelium wegnehmen kann, dass Kirchen zerbrechen. Gott lässt es geschehen. Die alte äthiopische Kirche wird in diesen Tagen zerbrochen, und ich habe Angst um uns, um unsere Organisationen, Gruppen, Vereinigungen und Werke.
Und dann baut in unseren Tagen der Herr etwas Neues, wo er der Eckstein ist. Und da geschieht es, dass er Menschen brauchbar und willig macht, dass sie Frucht für ihn bringen.
Sie leben im Gedränge unserer Tage, sie sehen aus wie die anderen, und der Herr sagt: Doch, es war für mich getan, und es ist etwas herausgekommen für mich. Und in der Ewigkeit sagen sie: Herr, das haben wir gar nicht gemerkt. Was haben wir denn Besonderes gemacht? Er sagt: Es waren ganz alltägliche Dinge, aber für mich habt ihr es getan.
Und das ist der Adel unserer Arbeit, dass unser Leben da gebraucht wird für ihn.
Wir wollen ihn bitten: Mach in mir deinen Geisterraum, dass ich dir wert ein guter Baum bin, und lass mich Wurzel treiben. Verleihe das zu deinem Ruhm, ich deines Gattens schöne Blumen, und Pflanze möge bleiben.
Amen.
Gebet und Fürbitte
Wollen begehen. Herr Jesus Christus, du kannst uns plötzlich die Klarheit geben, dass wir solche bösen Weingärtner sind und dass die ganzen Zielrichtungen unseres Lebens verkehrt laufen. Wir sehen immer nur uns selbst und nicht dich, den Geber aller Güter.
Wir wollen das jetzt vor dir aussprechen: In all den äußeren Dingen, auch in unserer Kraft, in unserer Gesundheit, im Geld, das auf unseren Konten liegt, und in den Häusern und Wohnungen, in denen wir wohnen – all das sind von dir anvertraute Gaben. Auch die Ehegatten, die Kinder, die Eltern, die Freunde und die Verwandten, all die Menschen, die du uns gegeben hast, sind anvertraute Güter. Du wartest auf Frucht.
Wir danken dir, dass das auch jetzt für uns gilt, dass du uns ganz neu umformen kannst und dass du auch hier in unserem Leben der Grund und Eckstein werden willst. Es soll durch dich allein gehen, dass wir Frucht bringen und dein Heiliger Geist diese Frucht treiben kann. Dann wird unser ganzes Arbeiten und Wirken in dieser Welt nicht vergeblich sein.
Herr, dir bringen wir jetzt all die Aufgaben, in denen wir stehen, und bitten dich um Wegweisung aus deinem Wort. Gib uns auch eine ganz neue Liebe zu deinem Wort, damit wir es verstehen und begreifen. Möge es uns ein Wegweiser jeden Tag sein, um deine Wege zu erkennen.
Wir wollen auch für Israel, das Volk der Juden, beten. Wir danken dir, dass du in diesen Tagen deine Verheißungen wahrmachst und dass wir dessen Zeugen sein dürfen. Dein Wort ist gültig. Wir bitten dich, dass auch dein Volk heute, wenn es dein Wort liest, dich erkennt. Du kannst die Decke wegnehmen, damit ihm die Augen aufgetan werden und es erkennt, dass du der Messias bist.
Wir wollen dich auch in den Spannungen und Auseinandersetzungen im Nahen Osten bitten: Du kannst hier klären und helfen. Was nach deinem Plan geschehen muss an Trübsal und Drangsal, Herr, verkürze du die Tage um deiner Auserwählten willen.
Lasst uns gemeinsam beten:
Vater unser im Himmel,
geheiligt werde dein Name,
dein Reich komme,
dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute,
und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern,
und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.
Amen.