Einführung: Die Herausforderung der Jugend und Gemeinde
Im Blick auf die Frage, ob ihr eure kämpferische Seite am Buffet abgegeben habt: Ich soll noch etwas zum Thema Jugend und Gemeinde sagen. Ich glaube, dass dieses Thema zu den schwierigsten, empfindlichsten und kontroversesten überhaupt gehört.
Warum ist das so? Immer dann, wenn man heilige Kühe schlachtet, schreit jemand auf. Das, was in einer Bewegung nie stirbt, ist die heilige Kuh, über die man sich definiert. Nimm einem Pfingstler seine Zungenrede weg, und er wird dir nicht glauben.
Geh in die Bibel hinein und schau dir 1. Korinther 12,30 an. Dort steht, dass nicht jeder in Zungen redet. Diese Frage ist im Griechischen so gestellt, dass man sie mit Nein beantworten muss. Dort heißt es: Ist jeder Apostel? Nein. Ist jeder Evangelist? Nein. Spricht jeder in Zungen? Nein.
Kannst du einem Pfingstler das zeigen, wird er nicht davon abweichen. Es ist einfach so: Wenn du in eine Bewegung hineinschaust und die heilige Kuh nimmst, ist sie einfach nicht totzubringen. Da reicht kein Bibelvers.
Das ist leider so. Ich könnte euch das für jede einzelne geistliche Bewegung in der Christenheit zeigen, wenn sie nur lange genug existiert. Es gibt immer Bereiche, über die man sich definiert. Und bevor man diese preisgibt, gibt man vieles andere preis – vielleicht sogar die eigene Jugend. Aber an diesen Dingen rüttelt man nicht.
Das wollte ich vorneweg sagen.
Die Symbiose von Inhalt und Form in Glaubenserfahrungen
Zweiter Punkt
Wir haben ein Denkproblem, wenn es darum geht, heilige Kühe zu hinterfragen und Inhalt und Form sauber voneinander zu trennen. Woran liegt das?
Das liegt daran, dass wir, wenn wir gläubig werden, bestimmte Inhalte nicht losgelöst von bestimmten Formen erleben. Das geht auch gar nicht anders, weil wir ja nicht abstrakt leben, sondern wir leben und erleben Inhalte immer mit bestimmten Formen. Diese Formen, die wir zu den Inhalten dazubekommen, bilden eine Symbiose.
Manche Dinge werden für uns erst dadurch richtig fassbar, dass der abstrakte Inhalt sich mit einer sehr konkreten Form verbindet. Ich mache ein Beispiel, das zwar aufgezeichnet wird, aber nie nach außen gelangt.
Ein Bruder beschreibt in einem Vortrag vor leitenden Brüdern, die ebenfalls zu Brüdergemeinden gehören, wie schön er die Mahlfeier findet. Er erzählt, wie er aus einem Hintergrund kommt, der wenig Wert auf das Brotbrechen legt, und zum ersten Mal an einem brüdergemeindlichen Brotbrechen teilnimmt.
Er tritt ein und sieht die Zeichen Brot und Kelch auf dem Tisch stehen. Er nimmt die große Ernsthaftigkeit wahr, mit der die Menschen sich Gott nähern. Das entspricht total seinem Wesen und seiner Sehnsucht. An dieser Stelle kommt er in der Brüdergemeinde an und ist gefangen von diesem Erleben.
Es ist klar, dass so jemand – und das ist kein Vorwurf, sondern nur eine Beschreibung – den Rest seines Lebens sagen wird: Abendmahl, wenn mich das nach Herz und Sinn packen soll, wenn das meinen Intellekt und meine Sehnsucht nach emotionaler Erfahrung anspricht – ich bin ja mehr als nur Hirn – dann läuft das genau so ab.
Um neun Uhr betrete ich den Raum, ich weiß, wo ich mich hinsetze. Ich weiß, dass in der Mitte ein Tisch steht, der Tisch des Herrn, und auf diesem Tisch gibt es Brot und einen Kelch. Später, wenn wir größer werden, gibt es noch mehrere Kelche. Das ist meins, das ist meine Form, und diese Form, das bin ich.
Wenn dann jemand kommt und fragt: „Sag mal, kann man das auch anders feiern? Geht das ganz grundsätzlich anders?“, dann würde er nie sagen: „Nein, das geht nicht anders.“ Er würde zugeben, dass man es schon anders machen kann. Aber in dem Moment, in dem er darüber nachdenkt, an einer anderen Form von Abendmahl oder Brotbrechen teilzunehmen, findet er sich in der anderen Form nicht mehr wieder.
Oft genug passiert uns so etwas, und wir realisieren nicht, dass das „Ich finde mich nicht wieder in dieser anderen Form“ noch gar nichts über den Inhalt und die Qualität der Veranstaltung aussagt.
Ich kann mich sehr unwohl fühlen in einer Form, und das ist total richtig. Der richtige Inhalt kann auf eine Weise weitergegeben werden, bei der ich persönlich sage: „Boah, das berührt mich jetzt gerade gar nicht. Damit komme ich überhaupt nicht klar.“
Also, sorry, das geht einfach an mir vorbei. Das ist schon korrekt. Die Worte sind richtig, und was sie bewirken, ist richtig – aber eben nicht für mich in dieser Form.
Kulturelle Dynamik und ihre Auswirkungen auf Gemeindeerfahrungen
Jetzt gehen wir einen Schritt weiter. Bis etwa in die sechziger, siebziger Jahre hat sich Kultur sehr langsam verändert. Kulturelle Sprünge? Das waren zweihundert Jahre – das ist ja logisch. Man ist mit Pferd und Wagen groß geworden und ist auch mit Pferd und Wagen gestorben. Vielleicht hat man noch erlebt, dass neben dem Pferd ein anderes Gefährt fuhr, das sich anders bewegte, mit einem Schornstein darauf – also vielleicht eine Eisenbahn. Die hat man noch miterlebt, aber dann ist man auch wieder gestorben. Das ist gut.
Die Kultur war statisch, zumindest im Blick auf das Leben eines Menschen. Damit waren die Erfahrungshorizonte sehr ähnlich. Mein Vater beispielsweise – wir springen einfach mal 150 Jahre zurück: Wenn wir von 2014 ausgehen, sind wir bei 1850. Mein Vater hat damals in etwa das erlebt, was ich erlebt habe. Selbst wenn ich mich 1848 an der Revolution beteiligt hätte, als Frau oder als Student – das war eine Lebenswirklichkeit. Es fing zwar schon an, dass sich Dinge trennten: Jung und Alt, die Jungen lasen vielleicht Zeitung, gingen ins Theater, die Alten waren konservativer. Aber man hatte noch so ein Konglomerat. Aus dieser Zeit, aus diesem Denken und aus diesen Wünschen kommen wir.
Jetzt haben wir plötzlich die Siebziger, die Achtziger, und richtig wild wird es in den Neunzigern. Wie lange gibt es YouTube? Seit 2003. Das heißt, wir feiern immerhin schon elfjähriges Bestehen von YouTube. Wie lange gibt es Google? Weiß das jemand? Zwanzig Jahre? Gibt es Google schon zwanzig Jahre? Ich weiß es nicht, aber ich glaube nicht. Das heißt: Im Moment leben wir in einer Zeit, in der sich Kultur mit einer Geschwindigkeit verändert, dass wir nicht mehr hinterherkommen. Das ist meine Behauptung – und das ist ein Problem.
Die Idee, es gäbe ein gemeinsames Erleben von Form, ist vorbei. Und es ist noch schlimmer: Wir haben nicht nur eine schnelle Entwicklung, wir haben eine Schichtung. Es gibt nämlich in dieser Entwicklung – weil es zu viel ist – nicht nur eine Kultur, die sich schnell ändert und der wir alle folgen, sondern es gibt übereinander geschichtete Kulturen.
Es kann sein, dass jemand sich in einer Schichtung befindet, zu der ich gar keinen Zugang mehr habe. Ich mache viel Jugendarbeit und versuche, in der Jugendkultur ein bisschen drin zu sein. Wenn Elektroswing angesagt ist, dann versuche ich wenigstens mal reinzuhören, um eine Idee zu haben, was das ist. Aber ich habe keine Chance, von der Geschwindigkeit her hinterherzukommen. Und das reicht noch nicht mal. Ich kann nur den Jugendkultur-Mainstream mitnehmen.
Da gibt es Seitenarme – das ist irre. Es gibt Leute, die ihre Zeit nur damit verbringen, kleine Plastikfiguren anzumalen, Alienarmeen daraus zu machen und ganze Tage, Nächte, Wochen lang damit zu spielen. Ich komme da nicht hin. Dann gibt es Leute, die sich aus Latex Schwerter machen, um LARPs – Live Action Rollenspiele – zu spielen. Die gehen zu Hunderten oder Tausenden auf eine Burg und spielen dort. Ich komme da nicht rein, in diese Szene kommst du nie, ich komme nicht vorbei.
Ich sehe dann mal so einen Bericht und denke mir: Boah, was es nicht alles gibt. Und ich bin noch lange nicht in der Partyszene, die auch nochmal geschichtet ist. Das heißt: Wir leben in einer Kultur, in der alles Statische innerhalb von einer Generation oder anderthalb Generationen aufgehoben worden ist.
Aber natürlich sind wir Menschen gleich. Ich will sagen: Ich bin immer noch so, dass ein bestimmter Inhalt für mich nur erlebbar wird im Rahmen meiner Erlebnisfähigkeit, die wiederum von meiner Kultur vorgegeben wird.
Kulturelle Unterschiede am Beispiel einer Gemeindegründung
Ein Beispiel: Ich durfte eine Gemeindegründungsarbeit begleiten. Das heißt, Gott hat uns diese Aufgabe anvertraut, weil ein Hauskreis zu groß wurde und wir eine Gemeinde gründen mussten.
Da ist jemand, der aus der Metalszene zum Glauben gekommen ist. Er hat schon drei Alben mit seinem Bruder veröffentlicht und besitzt eine der größten Metalsammlungen der Welt. Wahrscheinlich hat er alles weggeworfen, was irgendwie satanisch war. Bei tausend CDs hat er einfach alles, was nicht passte, weggeworfen – wertvolle CDs, Sammlerstücke. Wir mussten sogar sein Zeugnis aus dem Netz nehmen, weil es Leute gab, die es nicht gut fanden zu lesen, dass sich jemand irgendwo mit einer Lochzange hinsetzt, bis die Hand nicht mehr funktioniert. Aber es tut weh, wenn man krr krr krr macht.
Er sagt zu mir: „Jürgen, zum Einschlafen höre ich immer noch eine Portion Metal, da kann man so schön einschlafen.“ Ich kann beim Metal nicht einschlafen. Metal macht mich aggressiv. Zehn Minuten Metal und ich schlafe definitiv nicht.
Er sagt: „Boah, ich bin in dieser Szene groß geworden, du musst die Nuancen heraushören, Jürgen. Du musst hören, wie die...“ und ihr lacht, „das sind Profimusiker. Wir reden jetzt nicht über Geschrommel, sondern über Leute, die eigene CDs produziert haben. Die gehen auch ein bisschen in den Symphonic Metal rein. Das sind Musiker, die fünf oder sechs Instrumente spielen können. Das ist ein 1A-Musiker.“ Er sagt: „Boah, du musst da genau reinhören.“ Ich verstehe gar nichts. „Ja, da muss man sich ein bisschen reinhören, dann verstehst du auch, was die sagen.“ Ich habe das nie verstanden.
Da machte es bei mir Klick, und ich merkte: Hier treffen zwei Kulturen aufeinander, die nicht mehr kompatibel sind. Selbst wenn er sagt, mit dieser Musik schlafe ich ein, dann sage ich, ich schlafe nicht ein. Das ist die Realität.
Nur besteht die Realität nicht darin, zu sagen: Hier gibt es die Metaller und hier die Nicht-Metaller. Wahrscheinlich gibt es, basierend auf der Shell-Studie mit ihren zehn großen Bereichen, die Menschen beschreiben, noch viel mehr Unterteilungen. Vielleicht hundert oder zweihundert Kulturen, die sich nicht mehr wirklich überlappen.
Das ist die Realität. Und diese Realität kommt Schritt für Schritt in unseren Gemeinden an – ob uns das passt oder nicht. Eine Realität, in der Menschen nicht unwillig, nicht böse und nicht falsch sind, sondern einfach unglaublich anders und dafür auch nichts können.
Es ist ja keine Sünde, nach 1990 geboren zu sein. Es ist auch keine Sünde, in eine bestimmte Kultur hineingewachsen zu sein und zu sagen: „Das ist das, was mich auszeichnet.“
„Du musst mir deinen Namen nochmal sagen, ich weiß ihn nämlich gar nicht.“ – „Christine.“ Er hat mit Christine gesprochen, und wir haben festgestellt, dass Christine unglaublich gerne Bach hört. Damit kannst du mich jagen, wirklich. Ich komme da nicht ran. Für mich ist das einfach eine Welt, in der ich denke: Mann, ihr seid tot – und das ist gut so.
Ich wusste ja, ich dachte, ich provoziere mal ein bisschen. Für alle, die sagen: „Um siebzehn Uhr sechs geht mein Zug, dann seid ihr mich los“ – nein, es ist ein konfrontatives Thema, und ich will einfach ein bisschen zeigen, wo wir gerade stehen.
Wir haben das Problem, dass biblische Inhalte sich in konkreten Formen in unserem Leben realisieren müssen. Wir haben einen Zugang zu Formen, die für uns passend sind, nur über die Kultur, aus der wir kommen oder in der wir gerade stehen.
Das bedeutet: Wenn jemand für sich, wie dieser Bruder, ein Brotbrechen entdeckt auf eine Weise, die ihm so perfekt entspricht, dass er sagt: „Ich habe mich endlich wiedergefunden“, dann will er das nicht mehr loslassen. Und er möchte das Sonntag für Sonntag erleben.
Weil es die Art ist, wie er Gott begegnet – und zwar nicht nur mit Worten, sondern mit seinem ganzen Sein. Ich bin da, ich.
Unterschiedliche kulturelle Prägungen und ihre Auswirkungen auf Gemeinschaft
Mein Freund, der Mettler, der übrigens jetzt Ältester unserer Gemeinde ist, hat mir vor kurzem eine CD geschenkt: Wolf at the Gate. Die war mir ein bisschen zu heftig, deshalb habe ich sie ihm weitergegeben. Er sagte mir dann, als er mit seinem Jeep angefahren kam: „Ey Jürgen, nochmals vielen Dank für die CD! Wenn ich die höre, läuft mir so der Rücken runter!“
Ich dachte wieder: Mann, wie unterschiedlich kann man sein! Mir lief nichts den Rücken runter, als ich die CD eingelegt habe. Ich fand sie einfach nur furchtbar, deswegen habe ich sie dir auch geschenkt.
Das sind die Vorbemerkungen, das ist das, was uns klar sein muss, wenn wir darüber reden, dass in einer Gemeinde – die ja nicht wir zusammenwürfeln, sondern der Geist Gottes – zusammenwürfelt. Das ist ja klar: Wir sind durch den Geist zu einem Leib getauft. Das ist seine Entscheidung in einer Kultur, die so ist, wie sie ist. Wir müssen überlegen, wie wir das miteinander schaffen, so dass am Ende etwas dabei herauskommt, womit alle auch ein bisschen glücklich sind. Da sind wir, glaube ich, einig.
Ich habe es aufgegeben, davon zu träumen, dass es in dieser Welt, gerade jetzt auch in dieser kulturellen Entwicklung, eine Gemeinderfahrung gibt, die ich gut finde. Mir reicht es, wenn ich eine Gemeinderfahrung habe, bei der Dinge dabei sind, die ich auch gut finde – also ab und zu mal etwas für mich.
Wir haben zum Beispiel eine Klassikband mit großem Bass, Violine, Cello, Klavier und Gesang. Ihr könnt euch vorstellen, wie es mir geht, wenn ich weiß, dass diese Band am Sonntag Musik macht. Ja? Ich singe halt mit. Es ist nicht so, dass ich denke, das ist meine Leib- und Magenspeise. Wenn du mich fragst, ob mich das innerlich berührt, sage ich: Ja, hm, nein – es sei denn, wir spielen „Awesome God“. Das geht gut mit Klassik, ja. Aber ansonsten: Das bin ich nicht. Ich bin anders groß geworden.
Es gibt Musik, die ich mag, die mich emotional berührt und mitnimmt. Aber das ist es nicht. Ist es böse und falsch, dass sie am Sonntag spielen? Wahrscheinlich nicht, weil es Leute in der Gemeinde gibt, die das total schön finden. Die freuen sich immer darauf, dass die Klassikband kommt.
So, die Problematik ist hoffentlich verstanden.
Die Herausforderung einer vielfältigen Kultur in der Gemeinde
Eine Kultur, die eigentlich keine Kultur mehr ist, sondern eine Summe von Kulturen. Wir Menschen werden in unseren Zweig dieser Summe von Kulturen hineingeboren. Dieser Zweig bestimmt, wie wir emotional etwas erfahren.
Nun kommt ein Inhalt, der so gestaltet ist wie das Evangelium. Das Evangelium soll ja bis an die Enden der Erde gelangen. Das bedeutet, es ist total flexibel. Du kannst dieses Evangelium in eine Eskimokultur integrieren, in eine Maori-Kultur oder in eine Großstadtkultur. Das Evangelium passt überall hinein.
Jeder greift auf seinen Schatz an Erfahrungen und Kultur zurück und findet Ausdrucksformen, die diesem Inhalt entsprechen. Der eine, der Eskimo, tut sich vielleicht etwas schwer damit, Brot und Wein zu verwenden, weil es schwer ist, daran heranzukommen. Vielleicht stellt er fest, dass es auch ein Fisch sein kann. Und der andere – ach, was weiß ich – ihr könnt das selbst ausprobieren.
Das ist der große Punkt, den ich vorweg schicken möchte.
Die Gefahr der Übergesetzlichkeit und die richtige Auslegung biblischer Gebote
Jetzt kommt der zweite große Block, der mir bei der Frage Jugendkultur oder Integration von Jugendlichen generell wichtig ist. Es gibt eine Tendenz, die vor allem in christlichen Gemeinden zu beobachten ist, insbesondere wenn sie evangelikal sind und vor allem bei jungen Leuten.
Wenn ich ein Gebot habe, dann halte ich das Gebot – super. Aber wenn ich zu einer Frage kein Gebot habe, dann leite ich mir irgendwo aus der Bibel eins ab. Das kann hilfreich sein, aber es kann auch falsch werden.
Warum kann das falsch werden? Muss es nicht immer richtig sein, so viele Gebote wie möglich aus der Bibel abzuleiten? Ist das nicht so? Je mehr Gebote, desto besser. Und wenn die Bibel schon nichts direkt verbietet, dann muss ich halt über drei oder vier Schlüsse wenigstens ein Gebot finden.
Ich mag ja nun Spurgeon. Eigentlich mag ich ihn nicht, aber an einer Stelle mag ich seine Diskussion. Spurgeon war leidenschaftlicher Zigarrenraucher. Ich hoffe, das wisst ihr. Er hat auch nie damit aufgehört, das sagt man immer, aber das stimmt nicht. Er hat das Zeug persönlich importieren lassen und sich dann eine öffentliche Diskussion mit einem Zigarrenrauchgegner geliefert. Das hat man damals in der Zeitung gemacht, damit alle mitlesen konnten.
Ich fand spannend, wie er an dieser Stelle eine Position verteidigt. Es geht mir jetzt nicht darum, ob du Zigarrenrauchen gut findest, sondern um diese Positionsverteidigung: Er sagt, es gibt kein elftes Gebot „Du darfst nicht rauchen“. Und das stimmt wirklich. Es steht nicht in der Bibel. Und es einfach mal stehen zu lassen, dass etwas nicht in der Bibel steht, ist total wichtig.
Jetzt weiß ich natürlich, dass damit auch bloß keiner auf den Gedanken kommt, dann nehme ich halt irgendein anderes Gebot, zum Beispiel 1. Korinther 6, das wird dann gerne herangezogen: „Der Leib gehört dem Herrn“ – und daraus leite ich das dann ab.
Das ist spannend. Nachdem ich selbst auch gerne Zigarre rauche, kenne ich die Diskussion, die sich daraus entfaltet. Jemand sagt: „Wenn du rauchst, hat dich ja…“ In der Diskussion steht dann jemand auf und sagt, das, was du sagst, kann nicht richtig sein, weil du ab und zu Zigarre rauchst und deinen Leib schädigst.
Ich habe dann zurückgefragt: „Lässt du alles in deinem Leben weg und betrachtest du alles als Sünde, was deinen Leib schädigt?“ Ja, okay, Freund, das ist gefährlich, so etwas zu sagen. Denn ein Body-Mass-Index jenseits von 27 gehört dazu, genauso wie das Würstchen, das du auf den Grill legst. Die Nitrosaminbelastung musst du dir in Ruhe ansehen, wenn du willst, genauso wie Cola-Getränke. Ich mache dir eine ganze Liste an Sachen, über die du nie nachgedacht hast.
Wohnen in der Einflugschneise oder an einer vielbefahrenen Straße – ich gebe dir das alles, und ich gebe dir das mit wissenschaftlichen Begründungen darunter, und es hat dich nie interessiert. Jetzt kannst du wieder sagen: „Ich wusste es ja nicht.“ Ja, aber jetzt weißt du es. Ich habe es aber auf meiner Homepage irgendwo stehen.
Schon merkt man, dass dieses hermeneutische Prinzip, das dahintersteckt – das Prinzip der Auslegung, die Hermeneutik, also die Lehre von der Auslegung – genau für einen Fall herangezogen wird: für das Rauchen.
Dann ist eine Schwester an meine Seite gekommen, das war so süß, das war in der Lausitz irgendwo im Osten. Sie meinte: „Na ja, früher in Hammerbrücke kamen die Brüder, die passenderweise immer zur ersten Stunde kamen, bis in die Fünfziger- oder Sechzigerjahre hinein, mit Zigarre und Pfeife zur ersten Stunde.“
Deswegen gibt es da nämlich so Ablagebretter, auf die man die Stumpen gelegt hat, sogenannte Stumpenbretter. Es war selbstverständlich, dass man zur ersten Stunde seinen Stumpen hinlegte, reinging, zwischen erster und zweiter Stunde rauskam, seinen Stumpen kurz nochmal nachzündete und dann wieder drauflegte zur zweiten Stunde – völlig normal.
Ich dachte mir: Danke, liebe Schwester, das macht so viel klar. Es macht so viel klar. Wir haben irgendwo unser Gebot, das wir gerne hätten, und leiten es mit merkwürdigen Schlüssen aus der Bibel ab. Ich weiß nicht, ob ihr das macht, ich will euch nur zeigen, was passiert.
Das hermeneutische Prinzip, das dahintersteckt, greift nur da, wo es uns wichtig ist. An allen anderen Stellen ignorieren wir es. Papa ist unterwegs, alles ist gut.
Warum sage ich das? Wahrscheinlich hat er Recht, auch noch zu klein dafür. Ich sage das deshalb, weil man in der Ausprägung von Gemeinde auf zwei Seiten vom Pferd fallen kann. Man kann liberal werden, das heißt, man streicht Gebote durch. Aber es gibt auch eine Seite, wo man übergesetzlich werden kann. Man stellt Gesetze auf, die es gar nicht in der Bibel gibt.
Die Erklärungen dafür – verzeiht mir, wenn ich das sage – sind meistens lächerlich. Es werden ganze Bücher geschrieben, warum diese Sachen so sein müssen, wie sie sind, und warum sie doch biblisch sind.
Vergebt mir, wenn ich ein bisschen einfältig bin: Ich suche tatsächlich das biblische Gebot. Und wenn ich kein biblisches Gebot finde, bin ich sehr, sehr zurückhaltend.
Ab und an muss ich Dinge erklären, dann sage ich, nach welchen hermeneutischen Prinzipien ich vorgehe. Ich habe aber auch meinen Salomo so ein bisschen im Ohr, der sagt: Pass auf! Und das ist jetzt ein Vers, den man vielleicht selten von der Kanzel hört. Er sagt tatsächlich: „Sei nicht allzu gerecht.“
Da denkt man sich: Hallo, umso gerechter, umso besser, oder? Da kann man nicht sagen: „Sei nicht allzu gerecht“ – falsch. Es gibt eine Form von Gerechtigkeit, die läuft über die Übergerechtigkeit direkt hinein in die Selbstgerechtigkeit.
Und das ist der Weg, den die Pharisäer gegangen sind. Ich habe ein Gebot, das möchte ich nicht übertreten. Also baue ich um das Gebot einen Zaun. Der Zaun ist nicht mehr biblisch, aber sehr hilfreich.
Wenn ich erst mal einen Zaun habe, dann kann ich um den Zaun noch einen Zaun bauen. Und irgendwann geht es um die Interpretation des Zauns und es geht schon lange nicht mehr um das Gebot.
Irgendwann lande ich an einer Stelle, an der ich mich selber danach beurteile, wie sehr ich die Zäune einhalte, und das Gebot ist weit weg.
Und das Verrückte ist: Irgendwann werden diese selbstgemachten Gebote Konflikte auslösen mit den Geboten, die Gott geboten hat. Und ich werde mich im Zweifelsfall für mein selbst gebasteltes Gebot entscheiden.
Stichwort Korban. Korban? „Du sollst deine Eltern ehren“ ist das Gebot. Die Pharisäer sagen: Wenn du das Geld, das eigentlich deinen Eltern zukommt, dem Tempel gibst, einen Korban, brauchst du deine Eltern nicht zu ehren.
Das gebastelte Gebot erschlägt das echte Gebot. Eine Tendenz, die man immer im Bereich der Übergerechtigkeit finden kann.
Die Folgen der Übergerechtigkeit für die Beziehung zu Gott und den Mitmenschen
Nächstes Problem: Die Übergerechten verlieren ihre Beziehung zum Herrn.
Wenn du Gebote hältst, die Gott nicht geboten hat, und diese auf die gleiche Stufe stellst wie die Gebote der Bibel, dann sagt Kolosser 2, dass du in einen Bereich vordringst, in dem du den Kontakt zum Haupt verlierst.
Das bedeutet, dass die Übergerechten, die sich gerne als die Heiligen sehen, weil sie strenger leben und mehr tun, in Gottes Augen oft nicht wirklich heilig sind. Man erkennt das daran, dass sie zwar bei vielen Geboten wissen, warum und dass man sie halten soll. Doch wenn man sich die Frucht des Geistes im Leben solcher Menschen anschaut, fehlt manchmal zum Beispiel die Liebe oder die Barmherzigkeit.
Sie werden dadurch sehr ähnlich wie die Pharisäer, die ebenfalls sehr streng waren. Doch wenn es um die wesentlichen Dinge geht, sieht es anders aus. In Matthäus 23, Vers 23 steht, dass es bei Gerechtigkeit, Liebe und Barmherzigkeit oft an ausreichender Ausübung fehlt.
Die Balance zwischen Freiheit und Gesetzlichkeit in der Gemeinde
Zweite Vorbemerkung
Es gibt ein Links- und ein Rechts-Runterfallen. Wenn wir Gemeinde bauen, müssen wir genau hinschauen, ob das, was wir an Geboten umsetzen, wirklich biblisch ist. Die Tendenz, besonders unter jungen Christen und in neu gegründeten Gemeinden, geht oft in Richtung Übergerechtigkeit. Das ist logisch, denn gerade junge Christen sind oft Extremisten und wollen es besonders richtig machen.
Wir waren Teil einer Gemeindegründungsbewegung und dachten, wir wären die erste bibeltreue Gemeinde in Deutschland. Wir glaubten, die ersten zu sein, die die Bibel aufschlagen und alles richtig machen. Das war unser ernster Anspruch. Wir waren alle etwa 24 oder 25 Jahre alt und waren überzeugt, zu wissen, was alle anderen falsch machten – wir wollten es jetzt richtig machen.
Es hat fünf Jahre gedauert, bis wir an uns selbst gescheitert sind. Wir haben unseren Hochmut erkannt und dann kam es zu einer weiteren Spaltung. Das war wichtig, wirklich wichtig.
Die erste Sache betrifft Form und Inhalt. Die zweite Sache ist, dass wir lernen müssen, die Spannung auszuhalten, wenn an bestimmten Stellen keine Gebote stehen. Dass dort nichts steht, ist biblisch gesehen besser, als entweder nach links oder nach rechts abzudriften. Der Vers geht übrigens weiter: „Sei nicht allzu sündig.“ Das bedeutet, es geht in beide Richtungen.
Die zentrale Bedeutung der Liebe als Fundament der Gemeinde
Der dritte Gedanke, der mir ganz wichtig ist, betrifft eine Hierarchie in der Bibel – eine Hierarchie der Schutzziele. Da sind wir wieder bei den Schutzzielen. Was steht ganz oben? Was darf niemals auf der Strecke bleiben? Nie.
Ganz oben steht die Beziehung zu Gott. Und auch die Beziehung zu deinem Nächsten, wie zu dir selbst. Ich wollte jetzt „Liebe“ hören, aber das ist in Ordnung, so wie es sich hier ausdrückt. Also, ganz oben steht in der Bibel die Liebe.
Der Clou ist: Ich glaube, ihr alle nickt, wenn ich sage, dass Liebe das Wichtigste ist. Ja. Es gibt in der Bibel, glaube ich, keinen Text, der mich mehr frustriert als 1. Korinther 13. Warum? Weil 1. Korinther 13 leider nicht so geschrieben ist, wie ich ihn mir wünschen würde.
Ich lese ihn mal vor. Ich weiß nicht, ob ich ihn so vorlese, wie ich ihn mir wünschen sollte:
„Wenn ich in den Sprachen der Menschen und der Engel rede“ – also wenn ich die ultimative Begabung habe, die in unserer Gemeindeszene gilt. Bei Brüdergemeinden oder so ist das immer Predigen. Also: „Wenn ich in den Sprachen der Menschen und der Engel rede, aber keine Liebe habe, so bin ich ein tönendes Erz geworden oder eine schallende Zimbel.“
Schallende Zimbel, ja. Ich rede zwar, aber das klingt nur wie „klang klang klang klang klang“. Ich bin völlig unbrauchbar. Völlig.
Nochmal weiter: Das ist ein bisschen weit weg mit den Sprachen.
„Und wenn ich Weissagung habe“, das heißt, wenn Gott zu dir redet und du auf andere Leute zugehen kannst und sagen kannst: „Du hast in deinem Leben das angestellt, stimmt’s? Oh, stimmt das recht.“
„Wenn ich Weissagung habe und alle Geheimnisse und alle Erkenntnisse weiß“ – du musst dir nie wieder einen Kommentar kaufen. Ja, das ist nicht der Hammer: nie wieder einen Kommentar, nie wieder ein Buch lesen, weil du sagst: „Weiß ich schon, habe ich schon durchdacht.“ Jeder kann mit einer beliebigen Frage kommen und du schnipp, das ist die Antwort. Und der andere: „Boah, wie machst du das? Ich weiß einfach alles.“
„Wenn ich alle Geheimnisse und alle Erkenntnisse weiß und wenn ich allen Glauben habe, so dass ich Berge versetze.“ Stell dir mal vor, dein Lebensunterhalt besteht darin, Berge zu versetzen. Du gehst irgendwo hin und sagst: „Was machen wir heute? Ich bin so der ultimative Baggerfahrer: Berg von A nach B, bups.“ Das hört sich lustig an, aber dann geht es weiter:
„Aber keine Liebe habe.“
So, jetzt an der Stelle wird es heikel. Was würden wir denken? „Ich habe keine Liebe, ich habe das mit der Liebe irgendwie nie richtig verstanden, aber ich habe mich in Kommentare reingefressen, ich habe Glauben gelebt, ich habe eine Begabung abgegriffen und versucht, sie zu leben. Ich bin irgendwie bis ans Extreme gegangen, ich habe mein ganzes Leben…“ Das geht ja noch weiter hier.
„Und wenn ich alle meine Habe zur Speisung der Armen austeile“ – also sozialdiakonisch alles gebe. Und „wenn ich meinen Leib hingebe, damit ich verbrannt werde“ – nehmen wir mal die Übersetzung, die nicht die beste ist, aber an der Stelle reicht sie. Also investiere ich alles, was ich habe.
Und wisst ihr, was ich denke, wenn das jemand sagt und jemand fragt dich, was das wert ist, wenn du auch keine Liebe hast? Alles in mir schreit danach zu sagen: Na, irgendwas wird schon wert sein.
Ja, das mit der Liebe ist irgendwie blöd gelaufen, das hätte ich auch gern anders gehabt. Aber schau mal, Gott, wie viel ich mich eingesetzt habe, wie viel Leistung ich investiert habe. Irgendwas muss es doch wert sein. Ich meine, ich habe eine Gemeinde gegründet, ich habe zig Kommentare gelesen, zwei alte Sprachen gelernt, drei alte Sprachen gelernt, wir haben versucht, eine vernünftige Ehe zu führen. Gott, das muss doch irgendwas bedeuten. Tut mir auch leid, dass ich das mit der Liebe nicht so verstanden habe.
So bin ich nichts, so nützt es mir nichts. Kannst du das glauben? Kannst du glauben, dass das Allerwichtigste in deinem Leben – das, was nicht nur ganz oben steht theoretisch, sondern praktisch in deinem Leben – letztlich der Multiplikator deines Lebens ist? Mal dann kommt eine Zahl. Das ist das, womit Gott dein Leben multipliziert. Wenn du keine Liebe hast, wird es mit null multipliziert.
Und sag nicht: „Ja, aber ich mache doch was für Leute.“ Dass du gütig bist, ist kein Beweis dafür, dass du Liebe übst. Güte ist eine Ausdrucksform von Liebe, aber du kannst gütig sein, ohne zu lieben.
Die Irrlehre der Trennung von Gottes- und Nächstenliebe
Und jetzt wird es heikel. Wenn wir als Gemeinschaft zusammenleben wollen, gibt es meiner Meinung nach unter Brüdergemeinden eine Irrlehre. Diese Irrlehre besagt: Ich kann Gott lieben, und ich zeige ihm meine Liebe, indem ich bestimmte Dinge tue. Zum Beispiel besuche ich die erste Stunde. Wenn ich das tue, dann liebe ich Gott.
Leider klappt das mit den Geschwistern nicht so gut. Ich komme nicht mit allen aus, ich mag auch nicht alle und verstehe sie nicht. Aber ich liebe Gott, weil ich in der ersten Stunde bin, die Lieder mitsinge und dabei etwas Positives empfinde. Das ist jetzt brüdergemeindlich formuliert. Ich könnte es auch „pingslerisch“ ausdrücken: Ich habe meine ordentliche Portion an Zungenrede jeden Tag, und das baut mich innerlich auf. Vielleicht weiß ich nicht genau, was ich da tue, aber es ist eine coole Erfahrung.
Leider denke ich im Gottesdienst oft schlecht über meine Nachbarn. Das läuft irgendwie nicht so gut. Ihr könnt das für jede Gemeinderichtung durchspielen.
Der Punkt ist: Ich habe einen Vers studiert und mich gefragt: Gott, was ist Liebe? Solange ich diese Frage nicht für mich beantwortet habe, wusste ich nicht, was ich tun soll. Dann steht da: Die Liebe ist langmütig, gütig, neidet nicht, tut nicht groß, bläht sich nicht auf, benimmt sich nicht unanständig und all das.
Das sagt aber nicht, was Liebe ist, sondern wie Liebe ist. Wenn du nicht beantworten kannst, was Liebe ist, hast du ein massives Problem in deinem Leben. Denn es ist völlig egal, was du tust, wenn es nicht aus Liebe geschieht. Du kannst die richtigen Dinge aus einer falschen Motivation heraus tun.
Es werden Leute vor dem Himmelstor stehen und zu Jesus sagen: „Lass uns rein!“ Und dann würde Jesus fragen: „Sag mal, warum eigentlich?“ Sie antworten: „Wir haben in deinem Namen geweissagt, große Wunder getan, in deinem Namen…“ Und Jesus würde sagen: „Ich kenne euch nicht. Tut mir leid, wirklich leid, aber nein. Ich kenne euch nicht.“
Das sage ich deshalb, weil, wenn das stimmt, dann ist die erste Verpflichtung, die wir im Umgang mit Gemeinde, Gemeindebau und auch mit Jugendlichen lernen müssen, diese: Wir müssen lernen, zu lieben. Das heißt, wir müssen Liebe definieren.
Ich definiere sie gerne für euch, weil ich nicht die ganze Zeit habe, mit euch das Hohe Lied zu studieren. Das ist nämlich das Buch, das uns zeigt, was Liebe bedeutet.
Liebe bedeutet uneigennützige Sehnsucht nach Beziehung. Liebe ist das, was ich tue, weil ich zu einem anderen entweder eine Beziehung aufbauen will – so hat Gott die Welt geliebt – oder diese Beziehung erhalte oder im Idealfall vertiefe. Das ist Liebe.
Und das ist eins: ganz oben steht die Liebe zu Gott und die Liebe zum Nächsten, dieses Doppelgebot.
Konkrete Schritte zur Integration von Jugendlichen in die Gemeinde
Aus diesen drei Vorbemerkungen heraus ergibt sich die Frage: Wie integriere ich Jugendliche in die Gemeinde? Konkrete Schritte sind schwierig zu nennen. Ich gebe euch ein paar Tipps. Ihr seid alle Älteste oder zumindest Leiter, oder? Ihr müsst Jugendliche als Menschen sehen, die nicht defizitär sind, nur weil sie einer anderen Kultur und damit einer anderen Erfahrungslage angehören.
Nur weil jemand sagt – und ich hatte das bei Christine erlebt, was aber nicht wahr war – darf Christine nicht behaupten, Jürgen lebe ein Christsein zweiter Klasse, nur weil er gerne christliche Rockmusik hört. Wirklich! Ich bin in dieser Szene groß geworden. Das ist das, was mein Herz berührt. Musik ist dazu da, mich zu berühren, davon bin ich überzeugt. Deshalb ist es ja Musik und keine Predigt.
Ich möchte einen guten Inhalt haben, aber ich möchte auch berührt werden. Ich darf nicht sagen: „Wach auf, der ist tot, den brauchen wir nicht mehr.“ Das geht nicht, denn sie ist sie, und ich bin ich. Wenn wir beide in Gemeinde leben wollen, was müssen wir tun? Was muss Liebe tun, um das zu ermöglichen?
Wenn es eine Sehnsucht nach Beziehung gibt, was muss Liebe tun, damit sich in ein und derselben Gemeinde Christine und Jürgen wohlfühlen? Was muss ich tun? Ihr merkt, ich kann euch von hier vorne nicht einfach sagen, das ist das Modell, auf das es hinausläuft. Aber es ist klar: Wir müssen schauen, wie wir eine Gemeinde schaffen, in der dieses Maß an Heterogenität aufgefangen wird.
Statt uns über Dinge zu streiten, die nicht klar in der Bibel stehen, sollten wir sagen: Wir beide sind herausgefordert, Liebe zu lernen. Irgendwie hat Gott das so eingerichtet, dass die Gemeinde der Ort ist, an dem ich Liebeskompetenz erwerbe. Ich muss mich dabei auch ein Stück zurückstellen.
Es ist nämlich bei der Liebe nicht so, dass ich Gott lieben kann, aber nicht die Geschwister. Es ist genau andersherum (1. Johannes 4,20): Wer seinen Bruder nicht liebt, kann Gott nicht lieben. Warum? Das könnt ihr auch in 2. Petrus 1,3 nachlesen. Liebe ist etwas, das ich lernen muss. Und selbst wenn ich sie gelernt habe, muss ich immer noch dazulernen (1. Thessalonicher 4,9).
Liebe lerne ich in Beziehungen. Die engste Beziehung, die mich dazu zwingt, Liebe zu lernen, ist diese hier. Dann gibt es meine kleinen Kinder, die das noch ein bisschen komplexer machen. Irgendwann bin ich auf dem Niveau Gemeinde. Da suche ich mir noch jemanden aus, das ist noch relativ einfach. Aber dann treffe ich in der Gemeinde Leute, die hätte ich mir nie ausgesucht. Und Gott sagt: Ja, wir gehen so einen Schritt weiter, lass mal sehen.
Die Bruderliebe, die Liebe unter den Geschwistern, ist die Vorstufe zur Liebe. Ich lerne in der Bruderliebe die Kompetenz, mich mit anderen Menschen auseinanderzusetzen. Ich lerne, Inhalt und Form voneinander zu trennen. Ich lerne, Menschen in ihrer Andersartigkeit stehen zu lassen.
Ich lerne nicht, jeden in eine Schublade zu stecken, also „richtig“ oder „falsch“. Ich bin als junger Christ groß geworden mit dem Denken in zwei Schubladen: Entweder machst du es richtig oder falsch. Aber ich glaube das nicht mehr. Es gibt Dinge, die gehen mich in deinem Leben einfach nichts an. Dann mache ich die Schublade zu und sage: Nein, das bist du, Punkt. Das muss ich nicht beurteilen, ich verstehe es nicht mal. Und das bleibt so.
Wir müssen es schaffen – und das ist die Herausforderung – nicht einander zu verurteilen, sondern zu lernen, wie ich kompetent in Sachen Liebe werde. Ich möchte lieber in einer Gemeinde leben, in der wir Dinge falsch machen, aber starke Liebhaber sind. In der wir gut miteinander klarkommen und gelernt haben, aufeinander einzugehen.
Das ist mir lieber als eine Gemeinde, die formal alles richtig macht und gut erklären kann, warum sie es so macht, aber in der es Streit und Knatsch gibt. Denn die Bibel sagt in Römer 14, dass, wenn man Gemeinde von außen betrachtet, man sehen soll: Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, sondern Gerechtigkeit, Friede und Freude im Heiligen Geist.
Dorthin will ich. Ich will eine Gemeinde, in der die Gebote, die da stehen, wirklich stehen bleiben – nur die, die da stehen. Das reicht schon, das ist genug Arbeit. Glaubt mir, es gibt mehr Gebote, als man so kennt. Ich will Friede. Ich will, dass wir lernen, Streit zu vermeiden.
Und wisst ihr was? Ich habe sogar den hohen Anspruch, dass es Spaß macht. Ich weiß, das klingt vielleicht komisch, aber ich habe den Anspruch: Ich möchte gerne in die Gemeinde gehen. Ich möchte das lernen, das ist mein erstes Ziel. Und alles andere ordne ich diesem Ziel unter.
Perspektivenwechsel: Liebe als Kompetenz für Gemeinschaft
Jetzt darfst du deine Frage stellen. Ich nehme an, jetzt wird es langsam kontrovers. Andersherum: Liebe ist die Kompetenz, die uns Gemeinschaft ermöglicht. Gemeinschaft ist gesetzt.
Ja, wunderbar, da bin ich voll auf deiner Seite, weil ich finde deinen Ansatz genau richtig. Wir fangen oft an, das Zusammenleben in Teile zu zerlegen. Wir versuchen oft zu definieren, was wir alles ändern müssten. Und ich gebe dir Recht: In dem Moment, wo ich nicht mehr über den anderen rede, sondern mit dem anderen rede, wo ich plötzlich merke, mein Bruder, der seine Metalmusik hört und dabei ernsthaft Schauer über den Rücken bekommt, ist einer der begabtesten Teenievangelisten, die ich persönlich kenne. Er hat sich ein Haus gebaut, nur mit dem Ziel, Teenie-Evangelisation zu machen. Ich hätte mir dieses Haus nie so hingestellt – das ist ein unmögliches Ding mit einem riesigen Wohnzimmer. Drei Viertel des Hauses sind Wohnzimmer, weil er sagt, er braucht Platz für seine Teenies. Ich bewundere ihn, nicht für seine Musik – da werden wir uns im Himmel eher in eine andere Ecke zurückziehen –, aber du hast völlig Recht bei diesem Punkt. Da müssen wir hinkommen.
Weil wir dann nicht mehr anfangen, uns Gedanken zu machen über die Frage, wie die richtige Gemeinde aussieht, wie die richtige Form aussieht, sondern weil wir uns die Frage stellen, wie ich dahin komme, dass wir eine Form finden, die uns als Gemeinschaft entspricht. Das bedeutet ganz konkret natürlich auch, dass bestimmte heilige Kühe irgendwo geschlachtet werden müssen. Das werden wir nicht tun, keine Sorge.
Ich bin mir völlig darüber im Klaren, dass das, was ich jetzt sage, selbst wenn ich es biblisch untermauern könnte und mehr Zeit hätte, und ihr am Ende sagen müsstet: „Ja, eigentlich hat er biblisch Recht, das stimmt irgendwie“, ich bin fest davon überzeugt, wenn ich den nächsten Schritt gehe und sage: Das heißt für Brüdergemeinden deutschlandweit Folgendes: Wir streichen die erste Stunde und überlegen als gesamte Gemeinde, wie man heute eine Stunde ausrichten müsste – eine Bibelstunde, also wie man heute ein Liebesmahl ausrichten müsste, das durch die Art der Feier zum Ausdruck bringt, dass wir eine Gemeinschaft sind.
Denn es ist ja absurd, eine Veranstaltung, eine Form – ihr dürft mich steinigen, aber ich will euch wirklich nicht wehtun, ich will einfach nur sagen, was ich denke – es ist ein Stück weit absurd für mich, eine Veranstaltung wie die erste Stunde beizubehalten, von der ich weiß, dass sie allein durch die Art des Ablaufs emotional Leute ausschließt. In der ich aber jedes Mal vor Gott bekenne, dass wir ja ach so eine tolle Einheit sind.
In Korinth, 1. Korinther 11, heißt es: Viele sind schwach und krank, und ein Gutteil sind entschlossen. Leute sterben, weil Gott sie richtet. Und du denkst dir: Was ist das Problem in der Gemeinde? Und du glaubst ja gar nicht, dass das das Problem ist. Ihr kennt die Geschichte alle, oder? 1. Korinther 11: Sie haben nicht aufeinander gewartet. Hallo, was ist denn das für ein Problem? Die waren noch zusammen, und die einen waren ein bisschen reicher, die Immobilienbesitzer. Die kamen ein bisschen früher, brachten ihr Lunchpaket mit. Das Abendmahl, das Brotbrechen, war eingebunden in ein riesiges Abendessen. Die haben auch gegessen und getrunken. Und als die Letzten kamen, kurz bevor das Brotbrechen eigentlich starten sollte, war nichts mehr übrig für die Letzten. Die Ersten hatten gut gegessen, sie hatten sogar einen Tick zu viel getrunken. Und dann kommen die Letzten rein und kriegen nichts mehr ab.
Und dann nehme ich ein Brot und lasse es durch die Reihen gehen, um zu zeigen, dass wir ... Ja, das ist das Zeichen dafür, dass wir so unglaublich eins sind, dass uns dieser Glaube so verbindet, dass er die Grenzen des Sozialen und der Unterschiede in der Gesellschaft überwindet. Schmarren! Schmarren! Das ist eine einzige Lüge. Wir haben Zeichen der Einheit, die wir in unserem Leben durchstreichen. Das ist in Korinth. Und in wie vielen Gemeinden ist es genau so? Wir tun so, als wären wir eins und gehorsam, weil wir Brot und Wein brechen.
Ich bin doch nicht gehorsam, wenn ich ein Zeichen nehme. Ich bin gehorsam, wenn ich das lebe, wofür das Zeichen steht. Und das Zeichen ist ein Leib, ein Brot. Warum? Weil wir eine Gemeinschaft, ein Team sind. Und deswegen ist das mit der Liebe so ein Problem, weil ich die Liebe brauche, um mir immer wieder die Frage zu stellen: Wie kriege ich diesen Huddelmuddel an Leuten unter einen Hut?
Ich muss den jungen Leuten Liebe beibringen, damit sie sich achten. Und ich muss den alten Schwestern Liebe beibringen, damit sie sich respektieren. Ich muss den jungen Leuten Liebe beibringen, damit sie die Alten besuchen, denn das ist ihr Job als junge Leute. Und ich muss den Alten sagen, dass sie die Hände für die Jungen aufhalten sollen, weil das ihr Job als Witwer und Witwen ist. Wir haben Jobs füreinander, wir sind ein Team, wir gehören zusammen.
Und was passiert ist: Wir haben hier eine Jugendstunde, die hat ihre Form. Auch so ein Blödsinn! Nicht, dass ihr jetzt denkt, ich schieße immer nur gegen die Alten. Ich habe mir vor kurzem ein Lied im Gottesdienst vorgenommen: „More love, more power“ und habe gesagt: So ein Schwachsinn, das stimmt ja nicht. Du kannst ja nicht hinstellen und sagen: „Gott, gib mir mehr Kraft, ich bin so arm und schwach“, wenn in der Bibel steht, dass wir nur erleuchtete Augen brauchen, um zu sehen, wie viel Kraft schon in uns drinsteckt. Das ist ja Unsinn.
Ja, wir dürfen das, wir dürfen, aber bitte in so einem Sinn: Der andere muss wissen, ich habe ihn lieb, selbst wenn er da schon zwanzig Mal in seiner Band gespielt hat. Der muss wissen, ich liebe ihn, und wir machen uns jetzt einfach gemeinsam lustig über den Schwachsinn, den wir da gesungen haben. Und dann schreiben wir das Lied um, weil die Melodie schön ist, die wollen wir gerne behalten. Nicht, dass ihr das so machen müsst.
Was ich euch zeigen will, ist ein Perspektivenwechsel auf die Frage: Wie leben wir gemeinsam Liebe? Was muss ich tun, damit ich wirklich das Team werde, das Gott zusammengestellt hat? Und die Gefahr ist, jetzt gehe ich wieder an den Anfang zurück: Ich habe da eine Form, die ist mir lieb geworden, und diese Form möchte ich nicht loslassen. Und ich bin alt, ich sitze an den Hebeln der Macht, ich sorge dafür, dass die Form, die mir gefällt, bleibt. Warum? Weil ich ein liebloser alter Knacker bin.
Genau deshalb. Denn würde ich Liebe leben, würde ich Liebe verstanden haben, würde ich wissen, dass Gott sich über mich mehr freut, wenn ich mir etwas zumute, um einen anderen hineinzulieben in die Gemeinde, den ich nicht ganz verstehe, wo ich vielleicht nicht mal genau weiß, ob alles, was er so tut, koscher ist. Weil manche Sachen sind schon sehr strange, was so Leute tun. Ganz ehrlich, ja, hab mal drei Heilpraktiker in deiner Gemeinde, und dann fang mal an über so etwas zu reden. Ja, das ist ganz, ganz merkwürdig, aber irgendwie muss man die doch auch reinkriegen. Genauso wie man, was weiß ich, den reinbringt, der sagt: „Oh, das ist ja cool, ja, kann ich hier Schlagzeug spielen?“ Und dann stellst du fest: „Oh ja, das ist doch ein bisschen laut.“
Natürlich gibt es Regeln. Natürlich muss man bei bestimmten Dingen nüchtern sagen: Was brauchen wir jetzt? Und natürlich wird man auch weiterhin Dinge haben, die einfach gesetzt sind. Aber dann lasst uns bitte sagen, sie sind gesetzt. Wir fangen um fünfzehn Uhr Gottesdienst an. Punkt. Bis so. Kannst du dran rütteln, wie du willst, wir fangen um fünfzehn Uhr an. Wir verteilen im Gottesdienst die revidierte Elberfelder Übersetzung. Wenn du eine andere willst, bring sie dir mit, wir haben keine andere und verteilen die revidierte Elberfelder.
Wir haben uns hingesetzt, und das ist für euch Gemeindeleiter eine ganz wichtige Lektion: Bitte aufschlagen Titus Kapitel 3. Wir haben uns hingesetzt und jetzt muss ich meinen Rechner nochmal hochfahren. Und wir haben bestimmte Dinge definiert. Kann einer mit einer revidierten Elberfelder mal gerade Titus 3,9-10 laut und langsam vorlesen?
Hier steht Folgendes, und das ist, glaube ich, etwas, was in Gemeinden selten bedacht wird: Es gibt Themen, die sind es einfach nicht wert, dass man sich mit ihnen beschäftigt. Ich weiß nicht, ob ihr das glauben könnt. Es ist das Gegenstück zu dem, was ich vorhin gesagt habe, dass man immer mehr Gesetze schafft. Hier steht: „Törichte Streitfragen aber und Geschlechtsregister und Zänkereien und gesetzliche Streitigkeiten vermeide.“
Das steht da so. Und es hat uns unheimlich geholfen, im Miteinander Dinge zu definieren, wo wir sagen: Das ist genau das. Darüber streiten wir nicht. Wir haben Dinge, da kämpfen wir bis zum Messer, wirklich, wenn es um die Kernfragen des Evangeliums geht.
Für uns ist es das Prinzip Fischbrötchen. Fischbrötchen heißt: In der Mitte ist der Fisch. Das macht das Fischbrötchen zum Fischbrötchen. Wenn da kein Fisch mehr ist, ist auch kein Fischbrötchen mehr da. Das haben wir aufgeschrieben, was das ist: Evangelium, Trinität, Rettung – ja, da kämpfe ich. Wenn du reinkommst und sagst, da bin ich nicht dafür, dann hast du mich zum Feind. Da lege ich mich mit dir an, bis es brennt.
So, dann gibt es außenrum das Brötchen. Das sind Sachen, die haben wir für uns definiert. Da haben wir gesagt, da haben wir eine Meinung dazu, und da würden wir dich bitten, dass du in gleicher Richtung mitdenkst, einfach nur, weil das muss man irgendwie klären. Und ich wollte das gerade suchen, hier muss das doch schnell noch finden. Und dann gibt es eben auch noch dieses Grünzeug, das immer bei Fischbrötchen dabei ist. Da haben wir gesagt: Es gibt Sachen, die wollen wir, da ist es … Ah wunderbar, wo ist mein Fischbrötchen?
Ja, das ist immer … Wir haben so eine Einführungsveranstaltung, wo wir das dann den Leuten verklickern, weil wir eben so komisch ticken, dass wir sagen: Hier ein paar Grundaussagen, wie man errettet wird, das ist alles Grundlage. Dann gibt es interne Regelungen, zum Beispiel, dass wir im Gottesdienst die Elberfelder Übersetzung nehmen. Das ist eine interne Regelung. Machen wir einfach. Wenn du nicht danach predigen willst, ist es blöd, aber wir verteilen die halt, und wenn alle anderen mitlesen wollen, wäre das schon schön.
Oder das ist, wie wir mit Scheidung und Wiederheirat umgehen. Das sagen wir am Anfang und sagen so: Machen wir das. Wenn du es anders siehst, ist es falsch, tut mir leid, haben wir geregelt. Mann und Frau in der Gemeinde, dass bei uns keine Frauen Ältesten werden dürfen, zum Beispiel. Das sagen wir am Anfang, wissen, dass es andere Gemeinden gibt, die es anders handhaben. Wir machen das so.
Außer Wählung und freier Wille, so ein Ding, ja, auch wo stehen wir in dieser Calvinismus-Arminianismus-Debatte? Ja, wenn du zu uns kommst und du bist ein Vollblut-Calvinist, wirst du unglücklich. Lass das lieber sein. Oder das ist auch ein wichtiger Punkt, ausprobieren. Wir sagen den Leuten: Wir probieren Dinge aus, wir diskutieren nicht. Wir haben als Älteste nicht die Zeit, Dinge zu diskutieren. Wir probieren sie aus. Neuer Gottesdienstablauf: Wenn das halbwegs Sinn macht, probieren wir es einen Monat lang aus. Danach weiß jeder, ob es gut war oder schlecht, und fertig.
So, das sind interne Regelungen: Wie stehen wir zum Thema Teufel und Hölle, Überzug, Gnadengaben und so was? Und dann gibt es Dinge, die nennen wir Streitvermeider. Das sind genau diese Themen, worüber wir nicht streiten. Zum Beispiel: Wir streiten nicht über die Frage, wie das mit der Schöpfung genau gelaufen ist. Es ist uns egal. Gott hat die Sache geschaffen, der Rest ist uns tatsächlich egal. Wir haben in diesem Leben entschieden, wir werden nicht darüber streiten.
Es gibt Leute, die machen dicke Bücher dazu, und es mag okay sein. Wir als Gemeinde streiten darüber nicht. Wir streiten nicht über die Anzahl der Kinder und Verhütung. Du kannst es machen, wie du willst. Es ist uns völlig egal. Wenn du dich auf die Kanzel stellst und da sagst, das muss man so und so machen, hole ich dich runter. Aber wir streiten nicht darüber. Du kannst eine Meinung haben, aber wir streiten nicht darüber.
Anbetungsstile: Du kannst bei uns hinten drinstehen, bitte hinten, weil wenn du vorne stehst, sieht ja keiner was. Also du kannst hinten stehen mit erhobenen Händen. Ich habe kein Problem damit. Wenn dir die Hände nicht abfallen, wunderbar. Du kannst dich auf den Boden werfen und zappeln, das ist mir völlig egal. Also vorneweg, mit Bauch auf Boden. Du kannst sitzen bleiben, du kannst aufstehen, es ist mir Wurst, es spielt für mich keine Rolle, solange du den anderen nicht störst. Wir werden nicht darüber streiten, wir werden nicht mal eine Regelung treffen.
Das Gleiche gilt für andere Sachen. Ein Punkt ist eben Musik. Wir singen jedes Lied, wir erlauben jeden Musikstil. Kleine Einschränkung: Jetzt kommen wir wieder von der Bibel. Was sagt die Bibel über Musik? Musik ist das Thema, wo sich Jung und Alt nicht verstehen. Deswegen bringe ich den Punkt.
Die treffen sich ja nicht bei der Bibelübersetzung oder so. Die Bibel sagt meines Erachtens Folgendes über Musik: Erstens, singt dem Herrn ein neues Lied – das steht fünfmal in der Bibel, das ist ein Gebot. Achte darauf, dass sein Liedgut sich entwickelt, neue Lieder. Übrigens entstehen neue Lieder in der Bibel immer dann, wenn die Gemeinde miteinander etwas erlebt.
Punkt eins: Singt dem Herrn! Ich möchte, dass das Musikteam weiß, sein Job besteht darin, die Geschwister zum Singen anzuregen. Wenn ich nicht mitsingen kann, und das geht zum Beispiel bei Metal nicht, das geht aber auch nicht, wenn ich Dinge habe, die nur Sopranstimmen singen können.
Und die alte Idee von Brüdergemeinden, dann können die Männer doch den Bass singen – vergiss es! Wir machen Stadtevangelisation. Ich bin froh, wenn sie mitbrummen, meine Geschwister. Das ist noch lange kein Singen.
Also ist der Job: Singen beibringen, der Job ist neue Lieder singen. Und dann, glaube ich, hat es auch irgendwie noch Sinn, wenn man das Ganze so macht, dass am Ende des Tages, sprich, wenn der Gottesdienst so in einem halben Jahr gelaufen ist, jeder irgendwie mal auch etwas findet im Gottesdienst, auch in puncto Musik, wo er sagt: „Ach, das war eigentlich ganz nett.“ Das wäre doch schön, dass man so eine gewisse Breite hat.
Das ist unser Lösungsansatz. Es mag da andere Ansätze geben, aber es ist unser Ansatz, wo wir sagen: Wir singen jedes Lied, Irrlehre ausgeschlossen. Könnt ihr euch vorstellen? Beziehungsweise, wenn es ein blöder Text ist, schreiben wir ihn einfach um. Das darf man aber nicht von der GEMA her, das weiß ich. Machen wir es trotzdem.
Man kann der GEMA nicht gerecht werden, das ist wieder so ein Punkt. Ich habe ein Lied geschrieben, mein Freund hat es vertont, und wenn wir unser Lied auf einer Taufe singen, ist das eine öffentliche Aufführung, und wir müssten eigentlich das mit der GEMA absprechen, weil es sein könnte, dass wir aus Versehen in diesem Lied eine Reihenfolge von Tönen gefunden haben, die irgendein anderer schon mal hatte. Mach ich nicht.
Sorry, mache ich nicht! Irgendwann höre ich auf und sage mir: Ich lebe 95 Prozent. Das schaffe ich, das ist für mich lebbar, der Rest nicht. Deswegen erlauben wir uns manche Dinge. Macht das anders, wenn ihr sagt, macht das anders, es ist euer Ding.
Nur damit ihr uns versteht: Dadurch kriege ich alle Kulturen irgendwie mit rein. Das sind meine Streitvermeider. Wir singen jedes Lied. Wir haben jeden Stil, der irgendwie lebbar ist, damit das Musikding im Gottesdienst funktioniert.
Wir reden über fünf Lieder im Gottesdienst, maximal sechs. Mann, das ist eine Viertelstunde die Woche. Das hat ja nichts mit Jüngerschaft zu tun, nichts mit guten Werken, nichts mit Evangelisation. Also muss ich einen Weg finden, den wir gemeinsam gehen können.
Und die Herausforderung besteht darin zu sagen: Welche Themen, wo steht wirklich nichts in der Bibel drin? Wo muss ich etwas nicht klären? Ich muss dem anderen nicht sagen: Hier stand irgendwas zum Thema Hip-Hop, weil ich das in meinem Vortrag erwähnt habe: Hip-Hop-Gemeinde.
Ich muss dem anderen nicht sagen, dass Hip-Hop Sünde ist, weil es gibt kein Gebot: Hip-Hop ist Sünde. Kann man Hip-Hop im Gottesdienst verwenden? Nein. Warum? Weil das nicht singbar ist. Ja, wir wollen doch als Gemeinde singen. Deswegen geht es nicht.
Also, wir starten mit der Liebe. Wir schauen: Was sind wirklich die Gebote, für die wir kämpfen? Und welche Sachen lasse ich außen vor, weil ich einfach keinen Bock habe, in dieser Welt alles zu klären? Ich kann es nicht klären, glaub mir. Versuch es doch mal. Nimm mal einen der Punkte, wo ich von der Sache überzeugt bin, und du siehst es ganz anders.
Wir können uns die nächsten fünf Wochen E-Mails schreiben, niemand wird seinen Standpunkt aufgeben. Und irgendwo trifft sich das auch in Gemeinde. Gemeinde ist auch manchmal so ein Kompromiss.
Und wenn ich die anderen hineinlieben will in meine Gemeinde, dann muss ich einfach schauen: Wie kriege ich das gebacken? Wie schaffe ich das?
Und wenn ihr wissen wollt, ob ich für eine Jugendstunde und für einen Gottesdienst bin, die ganz anders aussehen, sage ich: Nein, ganz ehrlich, nein. Ich glaube, es ist eine der schlimmsten Entwicklungen, die du machen kannst, wenn deine Jugend merkt: Hier habe ich eine Form, die mir entspricht. Und dann gehe ich in den Gottesdienst, und da ist eine Form, die entspricht mir gar nicht mehr.
Die Botschaft ist nämlich aus dem Gottesdienst heraus – die würde nie so gesagt werden, aber es ist die faktisch erlebte Botschaft: Ich will dich nicht. Das ist die Botschaft, die ankommt. Und dann fragen die Leute sich: Warum kommen die nicht in den Gottesdienst? War eine der Fragen.
Das sage ich dir: Es ist nicht ihr Gottesdienst. Und niemand hat sie gefragt: Wie müsste ein Gottesdienst sein, in dem du dich auch ein bisschen wiederfindest? Und zwar als einer, der gibt und der nimmt. Wie könntest du dich einbringen in den Gottesdienst? Wie kann dein Gotteslob mit deinem kulturellen Hintergrund Teil unseres Gottesdienstes werden? Und wie kann ich dich qualifizieren zu verstehen, dass du Liebe lernen musst, indem du mich als Alten mal stehen lässt, du lieber Junge, und dass du auch bei einem Lied aus dem Schwarzenliederbuch mitsingst?
Ich werde dein englisches Lied mitsingen, und ich werde Englisch lernen, um zu verstehen, was ich da singe, oder mir einfach was drunterschreiben, von mir aus. Ich möchte alte Geschwister, die unter den englischen Liedern ihre deutschen Übersetzungen haben und die sich das beibringen lassen.
Ja, aber die verstehen doch gar nicht, was sie da singen. Das ist egal. Es ist Liebe. Liebe lernen sie an der Stelle, und das müssen sie lernen.
Und wenn sie das gelernt haben an der Stelle, dann gibt es noch andere Stellen. Dann gehe ich zu den Jungen und sage: Ihr Freunde, ihr werdet das auch lernen. Ihr werdet von mir aus auch dieses komische Lied mit dem „Herzog der Herrlichkeit“ singen, wo du sagst: Okay, ich verstehe nicht so genau.
Ja, du schreibst hier nicht die englische Übersetzung ein, du schreibst hier über Herzog drüber, was das bedeutet, Synonym für … Da gibt es doch alte Lieder, die verstehst du einfach nicht.
Ja, da muss der Junge ran, weil die alte Schwester, die 1913 geboren ist, ist mit dem Lied groß geworden. Das ist ihr Lied und nicht deins. Und sie singt deins mit, und du singst ihrs mit. Warum? Weil wir es gelernt haben zu lieben.
Da draußen steht jemand und wartet mit einem Kuchen. Ich habe ein ganz schlechtes Gewissen und keinen Überblick, wo wir stehen. Okay, 14:45, vier Minuten.
Versteht ihr meinen Ansatz? Ich kann euch all die Fragen beantworten, wie man theoretisch Jugendliche integrieren kann, aber dahinter steht ein Perspektivwechsel, der mich sieht als jemanden, der Liebe lernen will in einem Kontext, in dem andere Leute sind, die ganz anders ticken. Und ich muss erst mal verstehen: Wo tickt der andere anders? Wo ist das, was er tut, Sünde? Da muss ich vorsichtig sein.
Denn nicht alles, was ich für falsch, merkwürdig oder anstößig halte, ist Sünde. Wenn da richtige Sünde ist, machen wir schon. Was war mein Beispiel vorhin? Wenn jemandem Vorschlag macht, ein Bordell aufzumachen, der immer nicht darauf eingeht. Er wirft bestimmt gute Rendite ab, man kann noch viel evangelistisch vergeben, aber wir machen es trotzdem nicht. Es gibt Grenzen.
Aber bis dahin ist ein weiter Bereich, und wenn wir uns den Freiraum lassen zu denken, es gibt jenseits von gut und richtig auch noch die Ecke „komisch“, von mir aus, die aber noch in Ordnung ist. So wie ich Sünde ja nicht immer richten muss, sondern Kolosser 3 sagt: Wir können sie ertragen.
Es gibt Dinge, da weiß ich nicht, wie ich damit umgehen soll. Und das können charakterliche Defizite sein, das können kulturelle Unterschiede sein, das spielt keine Rolle.
Ich wünsche euch, dass ihr diese Perspektive Liebe einnehmt. Ich weiß nicht, wie ich euch das noch vermitteln soll. Wenn ihr diese Perspektive habt und sagt: Ganz oben, das, was Gott später mich fragen wird, ist nicht: Wie akkurat hast du eine bestimmte Form eingehalten, die du irgendwann im Lauf deines Lebens angenommen und für dich persönlich als richtig empfunden hast?
Das ist nicht die Frage. Die Frage ist: Wie hast du den wesentlichen Inhalt bewahrt? Und der wesentliche Inhalt hat damit zu tun, dass der Geist der Liebe Gottes in mir wohnt, um Menschen mit der Liebe Gottes lieben zu können.
Und das ist schwer. Und wenn du das gelernt hast, dann ist es die Vorstufe dafür, dass deine Anbetung Gottes Qualität gewinnt. Denn erst lernen wir die Brüderliebe, und aus der Brüderliebe (2. Petrus 1,5) kommt die Liebe.
Solange du nicht gecheckt hast, wie das mit den Geschwistern geht, bilde dir nicht ein, dass deine Liebe zu Gott Tiefgang hat. Sie hat vielleicht eine Form, die du gewohnt bist, und wegen der Form auch eine gewisse Emotionalität, die in dir aufkommt. Aber das bedeutet gar nichts.
Auch ein Okkultbelasteter hat eine Emotionalität und ist Gott kein Stück nah.