Einführung in das Buch Jona und die dramatische Wendung
Nun kommen wir zum zweiten Kapitel des Buches Jona, das in den ausgelegten Bibeln auf Seite 847 im Alten Testament zu finden ist: Jona 2.
Aber der Herr ließ einen großen Fisch kommen, der Jona verschlang. Jona war im Leib des Fisches drei Tage und drei Nächte.
Im Leib des Fisches betete Jona zu dem Herrn, seinem Gott, und sprach:
„Ich rief zu dem Herrn in meiner Angst, und er antwortete mir. Ich schrie aus dem Rachen des Todes, und du hörtest meine Stimme.
Du warfst mich in die Tiefe, mitten ins Meer, sodass die Fluten mich umgaben. Alle deine Wogen und Wellen gingen über mich, sodass ich dachte, ich wäre von deinen Augen verstoßen und würde deinen heiligen Tempel nicht mehr sehen.
Wasser umgab mich und ging mir ans Leben, die Tiefe umringte mich, Schilf bedeckte mein Haupt. Ich sank hinunter zu den Bergengründen, die Erderiegel schlossen sich hinter mir ewiglich.
Aber du hast mein Leben aus dem Verderben geführt, Herr, mein Gott!
Als meine Seele in mir verzagte, gedachte ich an den Herrn, und mein Gebet kam zu dir in deinen heiligen Tempel.
Die sich an das Nichtige halten, verlassen ihre Gnade. Ich aber will dir mit Dank Opfer bringen, meine Gelübde will ich erfüllen dem Herrn, der mir geholfen hat.“
Und der Herr sprach zu dem Fisch, und der Spionah spuckte Jona ans Land.
Herr, mach uns deine Gnade groß! Amen!
Die Herausforderung, Gottes Wort zu hören
Ich kann mich nur wundern und staunen, dass sonntags so viele Menschen den Mut finden, das Wort Gottes zu hören. Das ist keine leichte Sache: Gottes Wort anzuhören.
Ich glaube, dass das nur etwas für sehr kühne und mutige Frauen ist, für harte Männer und vielleicht für etwas vorwitzige junge Leute. Denn mir kommt das manchmal beim Wort Gottes so vor, als würde ein Zahnarzt fortwährend auf einem hohlen Zahn, auf dem Nerv, herumbohren. Er bohrt immer wieder hinein, und das bringt schließlich selbst den stärksten Mann zum Nachgeben.
Es wäre ja viel schöner, wenn man heute Morgen etwas Lebensermutigung geben könnte. Wenn man sie alle etwas loben könnte, denn sie machen ja so viel so gut. Sie kämpfen sich durchs Leben durch und strampeln sich ab. Wir alle stehen ja auch in einem schweren Existenzkampf, und der Mensch braucht etwas Lob, etwas Bestätigung.
Man ist ja selbst froh, dass man trotz seiner Komplexe es schließlich in seinem Leben mit Hängen und Würgen so weit gebracht hat, dass man die Schule hinter sich hat und ein paar Prüfungen bestanden hat. Jetzt braucht man noch ein wenig Selbstbestätigung.
Es ist doch nicht böse, wenn man mit Dank – vielleicht auch, warum nicht, mit Stolz – auf das Erreichte seines Lebens zurückblickt und sagt: Du hast doch manche Schwierigkeiten gemeistert. Du hast die Erwartungen, die in dich gesetzt wurden, erfüllt.
Die Konfrontation mit Jona: Gescheiterte Existenz trotz Frömmigkeit
Und das wäre doch für jeden von uns heute Morgen ein ermutigendes Wort Gottes, wenn wir es bekämen.
Dann hören wir die Geschichte von Jona, einem Mann, der vor dem Auftrag Gottes davonläuft und die von Gott in ihn gesetzten Erwartungen nicht erfüllen kann.
Man könnte darüber sprechen, dass Jona sein Leben verwirkt hat. Ist das wirklich so wichtig? Ist das nicht nur die religiöse Seite meines Lebens? Kann das so schwer wiegen?
Jona war ein frommer Mann. Er hat sicher viele gute Dinge getan, er hat sicher sozial gehandelt und für seine Nächsten gelebt. Kann es denn so schlimm sein, dass er in diesem einen Augenblick eine Sache nicht tun wollte?
Die Bibel, das Wort Gottes, ist so hart. Das meine ich: Es ist heute Morgen schwer anzuhören, es ist wie das Bohren eines Zahnarztes am Nerv.
Diese eine Sache vor Gott wiegt so schwer, dass ich bei Jona nur noch von einer gescheiterten Existenz sprechen kann. Ein Mann, der lebt, aber alles, was er lebt, ist eigentlich umsonst und hat keinen Sinn mehr.
Das Thema der gescheiterten Existenz kommt ja immer wieder in der Bibel vor, wenn Menschen Gott begegnen. Jedes Mal bricht dieser Schrecken hervor, den Menschen empfinden – das ist wahr.
Und das macht den Gottesdienstbesuch zu einem so schwierigen Abenteuer. Glauben Sie nicht, dass es nur zeitliche Gründe sind, die es uns manchmal schwer machen, einen Gottesdienst zu besuchen oder in der Bibel zu lesen.
Vielmehr spüren wir, dass dieses unheimlich harte Urteil Gottes berechtigt und wahr ist.
Die Relativierung menschlicher Leistungen vor Gottes Urteil
Man könnte die Welt auch ganz anders darstellen, man müsste nur von der Kunst sprechen.
Was hat der Mensch doch Wunderbares in der Kunst geschaffen, wenn wir das in Musikstücken hören. Wenn wir daran denken, was der Mensch in der Wissenschaft geleistet hat, kann man doch nicht von einer gescheiterten Existenz sprechen.
Und wenn wir an die gigantischen Leistungen in der Technik denken, dann schiebt das Wort Gottes all das immer wieder beiseite.
Das wird hier in diesem Buch gar nicht erörtert: Ob Jonah vielleicht ein Genie in Mathematik war, ob er die Lehrsätze Euklids selbständig herleiten konnte oder ob er virtuos Flöte spielte – es wäre ja alles möglich.
Jonah wird nur nach einer einzigen Sache gefragt: ob er den Befehl Gottes in seinem Leben ausgeführt hat.
Und da bin ich jetzt so froh, dass Sie heute Morgen gekommen sind, damit wir das heute einmal gemeinsam erörtern können. Die eine Frage Ihres Lebens ist: ob Sie vor Gott die in Sie gesetzten Erwartungen erfüllen können, ob Sie den Auftrag, den Gott auf Ihr Leben legt, tun können.
Das Allerschlimmste, was man in dieser Welt versäumen kann, ist, den Auftrag Gottes zu versäumen und vor Gott ungehorsam zu werden.
Die Einladung zur Umkehr und Gottes Eingreifen
Aber nun sind wir heute Morgen alle so beieinander, wie auch Jona von Gott geholt wurde, und das ist gut.
Ich denke, dass vielleicht sogar heute manche zum ersten Mal unter uns sind oder andere, die sich lange überlegt haben, ob sie heute herkommen sollen. Und dann nehmen sie es jetzt einfach so an. Dann soll es so sein. Dann soll es ihnen gehen wie Jona, dass Gott sie einmal an dieser Stelle haben will und mit uns besprechen möchte, wie das in unserem Leben wieder in Ordnung kommen kann.
Wenn wir spüren, dass wir eigentlich unser Leben verwirkt haben, dann ist das das gleiche Geschehen. Wir sind gescheiterte Existenzen, weil wir die Linie Gottes verloren haben, die er uns vorgezeichnet hat. Und dann geschieht es ganz groß, dass Gott uns auf die Seite nehmen will, so wie er Jona auf die Seite genommen hat und dann mit ihm gesprochen hat.
Wenn Sie von mir jetzt Details erwarten, wie das mit dem Wunder geschehen ist, dann können wir vielleicht einmal in der Ewigkeit Jona fragen, wie das genau war. Ich bin kein Biologe und verstehe mich hier nicht darauf. Ich weiß nur, dass Gott in seiner Macht ungeheure Dinge tut, um Menschen auf die Seite zu nehmen und mit ihnen noch einmal zu reden.
Diese Menschen haben ihr Leben verwirkt und sind gescheiterte Existenzen. Doch es gibt noch einmal wunderbare Augenblicke, in denen plötzlich ein Licht aufleuchtet und sie noch einmal umkehren können.
Gottes Macht und das Wunder der Rettung
Da heißt es im hebräischen Urtext eigentlich, dass Gott einem Fisch kommandiert. Der Herr verfügt über seine Kreatur, die ihm zu Füßen steht.
Oder wie Luther es genial übersetzt hat: „Und Gott der Herr schuf einen Fisch.“ Das entzieht sich unserer gesamten Nachprüfung – wie Gott das tut, wie Gott Menschen holt.
Aber dieses Enorme muss ich Ihnen sagen: Gott lässt Menschen auch dann nicht fallen, wenn sie vor ihm gescheitert sind.
Und hier kommen die eigentlichen Wunder des Propheten Jona ins Spiel. Ich möchte Ihnen drei dieser Wunder zeigen und erläutern, wo genau die richtigen Jona-Wunder liegen.
Das erste Wunder: Jona findet zu sich selbst
Da kommt Jonah zu sich – das ist das erste Wunder. Ja, Jonah war doch immer hellwach, er lebte nicht etwa im Traum. Aber wenn man die Geschichte von Jonah liest, hat man den Eindruck, er lebt irgendwie unwirklich. Er stellt sich sein Leben so zurecht, als ob es ein Leben ohne Gott geben könnte. Die größte Narrheit!
Wie primitiv ist sein Denken, als ob er Gott entfliehen könnte – und dass sich solch ein verrücktes Denken sogar im Kopf eines Propheten Gottes bilden kann. Er lebt völlig falsch. Er lebt in großer Ruhe, zumindest wenn man nach seinen Gefühlen geht. Das hatten wir beim letzten Mal gründlich analysiert. Nach seinen Gefühlen hätte er sagen müssen: Ich habe ein großes Gottvertrauen. Er lässt sich ins Meer werfen, als wäre es Abrahams Schoß.
Man kann sich in eine Frömmigkeit hineinbetrügen und sagen: Mein Leben ist in Ordnung, ich habe vor Gott nichts zu befürchten. Ich weiß zwar, dass ich Fehler habe, aber das ist alles mit Gott geregelt. Und dann verschlingt ihn plötzlich dieses für uns unvorstellbare Untier.
Ich will an dieser Stelle meine Phantasie nicht spielen lassen, wie es im Magen eines solchen Meeresungeheuers aussehen mag und was dort alles noch mitverschlungen gewesen sein mag. Sie haben ganz recht, ein Mensch kann ja unter solchen Bedingungen überhaupt nicht existieren. Er müsste in kürzester Zeit im Magen dieses Fisches ersticken.
Was hier mit Jonah geschieht, ist, dass Gott ihn am Ende seiner Wege holt und festsetzt. Was er hier in seinem Gebet ausspricht, ist Selbsterkenntnis. Er kommt zu sich, er weiß, wohin ein Leben ohne Gott führt. Er spricht von der Tiefe der Abgründe, die ihn plötzlich umgeben.
Eben noch war er ein Mensch in größter Ruhe: „Mein Leben ist doch gut gelebt“, deckt das ab mit religiösen Floskeln. Und dann bricht das plötzlich in ihm auf, weil Gott ihn zur Seite nimmt. Er sieht plötzlich, wo sein Leben ohne Gott endet. Er ahnt etwas von Höllennot, von Verzweiflung, von Abgründen. Er spricht davon: „Meine Wege sind verriegelt zur Erde zurück, es gibt keinen Ausweg mehr, ich kann nirgendwo mehr hin.“
Wenn man sich heute in unserer modernen Welt des zwanzigsten Jahrhunderts umhört, dann schreit es einem bis hin aus den Zeugnissen der modernen Literatur entgegen – der Schrei verzweifelter Menschen. Wir sind Jonah ganz nah. Eigentlich ist da eine Selbsterkenntnis da. Das andere wäre schlimm: fröhlich dahinleben und meinen, es wäre alles in Ordnung.
Dieses Spüren: „Da, es geht gar kein Weg mehr weiter, wo will ich denn weitergehen?“ Das Schlimmste an der Depression, in die Jonah gerät, ist ja, dass er sagt: Gott hat mich hierhin gestoßen, Gott hat mich von seinem Angesicht weggestoßen. „Du warfst mich in die Tiefe, mitten ins Meer, dass die Fluten mich umgaben, alle deine Wogen gingen über mich.“
Und jetzt merkt er plötzlich: Das ist nicht bloß ein Sturm, sondern das sind deine Wellen, das sind deine Wogen. Der Tod, den ich sterben muss, das ist dein Gericht über mich. Das Schwere, das ich durchleiden muss, das lässt du geschehen über mich. Das habe ich verdient in meinem Leben.
Er bezieht das alles plötzlich auf sein eigenes Leben und spürt, wie er nirgendwo mehr ausweichen kann. Wenn ich Ihnen das sage, dann möchte ich Ihnen dieses Wunder bezeugen: Wie Gott das tut, ist jedes Mal sein ganz eigenes Geheimnis. Wie er einen Jonah in der Tiefe des Meeres holt, dort festhält und ihm zeigt, wer er ist.
Sie können das ganze Bibelbuch durchblättern, Sie werden immer wieder darauf stoßen, dass es nirgendwo Menschen gibt, die zum Glauben kamen, ohne durch diese Selbsterkenntnis zu gehen. Ohne schonungslos vor Gott zu erkennen: Ich bin ein Verlorener, ich bin ein Verdammter, ich bin einer, der wegen seiner Irrwege und seines Ungehorsams vor Gott verstoßen ist. Gott hat mich abgeschrieben, ich kann nicht mehr.
Und da bricht dieser Schrei aus dem Gebet des Jonah hervor. Es gibt sehr viele Menschen, die sagen: Man kann doch in seinem Leben nicht so korrekt leben. Wir wollen eine ganz große Angst bekommen, dass wir nur an einer Stelle Gott ungehorsam werden, dass wir nur an einer Stelle Gottes Gebot übertreten.
Wie furchtbar ist das! In welche bodenlosen Tiefen sinkt man! Und wenn das wahr wäre, dass da kein Ausweg mehr ist, dass nichts mehr korrigiert werden kann – so wie viele Menschen um uns herum keine Hoffnung mehr haben, außer sich noch in den Tod zu stürzen – das ist furchtbar: die abgrundtiefe Erkenntnis im Leben zu sehen und zu wissen, es gibt keinen Ausweg mehr.
Es ist ein Wunder, wenn uns Gott da hinführt. Das ist der Anfang vom Glauben. Ich sagte Ihnen zu Beginn, dass es Mut erfordert, sich dem Wort Gottes auszusetzen, wie ein Bohren auf dem Nerv.
Aber es ist ein Wunder, wenn der Mensch endlich herauskommt aus seinen Träumen und auf einmal sieht: Da ist mein Leben verspielt und ausgelebt, wo ich an Gott vorbeigelebt bin.
Das zweite Wunder: Jona findet zu Gott
Und nun folgt das zweite Wunder. Jona findet nicht nur zu sich selbst, sondern auch zu Gott. Das ist wiederum ein Wunder. So wie plötzlich ein Mensch seine eigene Person, seine Existenz vor Gott sieht, so erkennt er auch plötzlich Gott.
Man fragt sich oft: Wie kann ich das? Wie kann ich Gott erkennen, wenn ich in meinem Leben Gott noch nie erkannt habe? Vielleicht meint man, dass dies nach einem bestimmten Muster ablaufen muss, weil man irgendwo einen frommen Menschen reden gehört hat, wie er Gott gefunden hat.
Wie findet Jona zu Gott? In diesem trostlosesten aller Verlies, im Magen dieses Fisches, dieses Seeungeheuers, in einem für uns undefinierbaren, grauenhaften Zustand. Jesus vergleicht es zu Recht mit den Pforten der Hölle, mit seinem Hinabsteigen in die Tiefe des Todes.
Dort steht er einfach da und sagt: „Ich rief zu dem Herrn in meiner Angst.“ Doch man könnte sagen: Jona, du kannst doch nicht einfach beten. Du kannst nicht so tun, als wäre deine Schuld plötzlich weg. Du bist doch Gott ungehorsam gewesen. Du musst das doch zuerst in deinem Leben korrigieren, du musst das in Ordnung bringen.
Doch Buße fängt damit an, dass ich Gottes freundliches Angesicht wieder suche – mitten in meiner Verzweiflung. Wenn Sie lernen wollen zu glauben, dann geschieht Glauben nach der Bibel meist nicht mit großartigen Visionen. Das ist eine sehr seltene Ausnahme.
Vielmehr geschieht es so, dass ein Mensch einfach ruft, den Namen Gottes anruft und vertraut, obwohl er nichts fühlt. Was soll er im Magen dieses Fisches von der Nähe Gottes fühlen? Es ist Verzweiflung um und um. Er kann nicht seinen eigenen Puls spüren und meinen, er hätte irgendwo an sich noch einen Halt oder seine Gläubigkeit bewundern. Er kann nur schreien: „Du bist Gott, Du bist da!“ Er stürzt sich auf Gott wie auf den einzigen Felsen, an den man sich klammern kann.
Das ist eine kühne Sprache, die Jona da anwendet. Er sagt: „Ich dachte, ich wäre verstoßen.“ Woher weißt du denn, dass du nicht verstoßen bist? Jona, vielleicht bist du doch verstoßen von Gott.
Das ist eine Frage, die in der Anfechtung sehr belasten kann. „Ich dachte, ich wäre verstoßen“, aber Jona sagt: „Das ist ein Hirngespinst meines Kopfes. Ich bin nicht verstoßen, so wahr der Herr lebt. Und wenn ich in die tiefste Tiefe falle und wenn die Folgen meiner größten Lebensschuld über mir zusammenschlagen wie riesengroße Wellen und Wogen – ich bin nicht verstoßen, weil du da bist, Herr.“
Jetzt könnte ich Ihnen nur noch den Glauben beschreiben, wie wunderbar der Glaube ist, dass er einfach durchbricht durch die Anfechtung und die Schrecken seines Lebens und Gott vertraut und an Gott glaubt. Wie wunderbar ist das Beten! Man müsste das jetzt einmal gesondert an der Gestalt Jonas untersuchen.
Er hat nicht gebetet, als er das Ticket nach Tarsis löste. Am Fahrkartenschalter, bei der Schiffsagentur, gibt es Kennzeichen für Dinge, die wir nicht in die Hand Gottes legen können. Diese sind meist nicht in Ordnung, obwohl sie an sich nicht böse sind.
Er hat nicht gebetet, als die Heiden schon beteten und das Schiff im Sturm wankte. Es stimmt nämlich nicht, dass man betet, wenn man Zeit hat. Das hängt überhaupt nicht vom Zeit haben ab. Das ist dummes Gerede: „Ich habe morgens keine Zeit zum Beten, bevor ich in den Tag gehe.“ Das hängt gar nicht damit zusammen.
In Zeiten, in denen wir viel Zeit haben, beten wir fast nicht. Aber dort, in der Tiefe der Not, darfst du beten, du darfst rufen, und Gott hört. Seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende, wie sie heute Morgen am Anfang des Gottesdienstes begrüßt wurde.
Seine Barmherzigkeit ist noch nicht zu Ende, sodass wir heute die Möglichkeit haben, aus den Schwierigkeiten und Bedrängnissen, in denen wir stehen, einfach umzukehren und zu sagen: Herr, ich weiß keinen Schritt mehr weiter, aber du bist da. Ich weiß, dass ich von dir nicht losgelassen bin, obwohl es äußerlich so aussieht, als wäre ich verstoßen.
Der Magen dieses Fisches ist nichts anderes als ein Sarg, in dem Jona liegt – ein Mensch, der dem Tode geweiht ist. Es gibt keinen Gedanken daran, je aus diesem schrecklichen Gefängnis befreit zu werden.
Es mag Augenblicke geben, in denen wir uns in unserem Leben eingeengt und eingeschnürt fühlen und sagen: Ich weiß nicht mehr, wie das weitergehen soll. Machen Sie es wie Jona: „Ich rief den Namen des Herrn an.“
Beten ist ein Kennzeichen des Glaubens, wie ein Baby nach der Geburt schreit und damit beweist, dass es lebt. So ist das Gebet das erste Kennzeichen des Glaubens. Das eigene Gebet, das Gebet mit seinen ganzen Urlauten, so wie ein Kind, das noch nicht einmal richtig reden kann.
So ruft ein Mensch aus seiner Not in persönlichem Glauben heraus: „Ich weiß, du hast mein Leben in der Hand.“ Das ist Glauben. Und dann heißt es, er betete zu dem Herrn, seinem Gott.
Das ist ganz wichtig für uns: Nicht irgendwo davon Erfolg zu versprechen, dass wir sagen: „Ich glaube ja auch an Gott.“ Das ist zwar sehr nett, wenn Sie an Gott glauben, so wie Sie allerhand Tatsachen glauben, etwa dass Helmut Schmidt Bundeskanzler war. Das ist sehr interessant, aber bei Jona heißt es: Er rief zu dem Herrn, seinem Gott.
Das ist ein großer Unterschied. Ob eine Mutter da ist oder meine Mutter, ob draußen auf der Straße ein Auto parkt oder mein Auto – in mein Auto setze ich mich hinein, es gehört mir. Ob draußen ein Kind steht oder mein Kind.
Glauben beginnt erst, wo ich zu Gott sagen kann: Mein Gott. Er rief zu dem Herrn, seinem Gott. Mitten in der Not, mitten in der aussichtslosen Lage ruft er zu Gott. Das ist das zweite Wunder, das hier geschieht. Er bringt es einfach vor Gott und sagt: Da ist meine Not, und du musst sie lösen können.
Die Bedeutung der Psalmen und das Erbe des Glaubens
Nun haben Bibeltheologen an dieser Stelle das Gebet Jonas herangezogen, um ihre historische Kritik zu üben. Ich möchte das hier einmal erörtern. Für manche mag es bestürzend sein, dass Wissenschaftler vor nichts Halt machen. Dabei gilt keine Pietät, alles wird in Einzelteile zerlegt.
Viele Forscher sagen, es handele sich um Zitate aus den Psalmen – sieben Psalmzitate. Vermutlich sei das Buch Jonah von einem Mann zusammengestellt worden, der diese Psalmtexte verwendet hat. Man sieht also, dass das Buch Jonah eine Dichtung ist.
Trotz dieses Urteils, das Jesus so getroffen hat, und auch trotz der Notiz über den Propheten Jonah in den Königsbüchern, halte ich solche Gedanken für müßig. Im Gegenteil: Für mich ist das gerade ein Beweis der ungeheuren Historizität.
Meinen Sie, Jonah hätte im Bauch des Fisches noch poetische Stunden gehabt, in denen er neue Bibelverse und Lieder gedichtet hätte? In diesem Augenblick konnte er nur Worte rufen, die er einmal gelernt hatte. Diese Worte wachten in ihm noch einmal auf, sie waren ihm geläufig.
Wir kennen das doch aus schweren Stunden: Wenn jemand im Sterbebett liegt und dann sagen kann, „Wenn ich einmal soll scheiden, so scheide nicht von mir“, wenn er den 23. Psalm noch einmal ruft und an den Worten Gottes Kraft schöpft. Da verdichtet sich der Glaube auf ganz wenige Worte.
Und Sie wissen genau, was in solchen Stunden bei Ihnen lebendig war. Schreiben Sie solche Worte hinten in Ihre Bibel, damit Sie sie für diese Stunden parat haben. Diese wenigen Worte sind Gottes Rede, die zur eisernen Ration des Glaubens werden.
Das ist das Wunderbarste: Es sind nur ein paar Worte der Erfahrung, die andere Menschen unter Gott gemacht haben. Jonah stellt sich in den Glauben seiner Vorväter. Es ist nicht so, als könnten wir alle Glauben selbst produzieren.
Manche denken immer wieder, jemand müsse ja einen schönen Glauben haben, oder Christen müssten ja glauben können. Doch es geht allen so wie ihnen: Manchmal kann man einfach nicht mehr glauben.
Wie Jonah vor Gott völlig zerbrochen als gescheiterte Existenz dasteht, kommen ihm die großen Worte Davids wieder in den Sinn. David war doch auch in diese Tiefen gefallen, war in totaler Verzweiflung, da rief er den Namen des Herrn an:
„Ich gedachte an den Herrn, und mein Gebet kam in deinen heiligen Tempel.“
„Ich will mich halten an deine Gnade, ich will von den Vätern lernen und mich dreinbergen.“
Das ist ganz gewiss der Glaube, der sagt: „Ich werde nicht sterben, sondern ich werde leben.“ Das ist das Kühne des Glaubens: Er setzt sich durch und sagt: Nein, ich nehme nicht das, was ich mit meinen Augen sehe. Ich setze mich dagegen, ich glaube, ich traue meinem Gott – und darum bin ich fröhlich.
So einen Glauben will Gott Ihnen schenken, so einen Glauben will er in Ihnen wecken. Das ist das zweite Wunder. Und das dürfen Sie erleben: den Namen des Herrn anrufen und ihm trauen.
Das dritte Wunder: Das Zeichen Jonas als Gottesbeweis
Und auch das dritte Wunder – damit wir hier nicht nur vom Fisch sprechen – ist der Gottesbeweis des Alten Testaments.
Ich habe Ihnen zuvor in der Schriftlesung vorgelesen, was Jesus zum Thema Jona sagte. Damals verlangten die Pharisäer von Jesus einen Gottesbeweis. Das ist hier sehr frei übersetzt, denn eigentlich steht dort „Zeichen“. Mit „Zeichen“ meint der jüdische Mensch einen schlagenden Beweis für die Existenz Gottes. Sie sagten: „Jesus, gib uns ein Zeichen und einen Beweis, damit wir wissen, dass du der Sohn Gottes bist.“
Jesus antwortete, dass es keinen Gottesbeweis gibt, sondern nur einen einzigen Gottesbeweis – das ist das Zeichen Jonas.
Dann sagen wir: „Ja, Herr, damit können wir nichts anfangen. Bei uns wird jeder, der auch nur ein bisschen von Biologie gehört hat, sofort abschalten, wenn die Jona-Geschichte kommt. An dieser Stelle werden wir geradezu verlacht.“
Jesus aber wird ganz ernst und sagt: „Das bleibt das Zeichen des Jona, und ihr habt keinen anderen Gottesbeweis.“ Es gibt nichts, was zum Glauben zwingt, das heißt, nichts, was unseren Verstand zwingt, so als müsste jeder zwangsläufig Gott vertrauen.
Jesus weist darauf hin, dass er dies alles auch prophetisch versteht – auf sein eigenes Leiden und Sterben. So wie sie ihn ins Grab im Garten Josephs von Arimathäa gelegt und bestattet haben, der gestorben war und von Gott aus dem Tode auferweckt wurde.
Andere sagen dann: „Das verstärkt gerade meinen Zweifel. Das kann ich nicht verstehen, wie das geschehen soll, wie das wahr sein kann.“
Jesus kann nichts Weiteres hinzufügen als: „Verstehst du nicht, dass die Auferstehungskraft in deinem Leben erfahren werden kann?“
Wenn das wahr ist, dann kannst auch du die Wiederholung der Jona-Geschichte auf ganz andere Weise erleben. Du kannst in deiner gescheiterten Existenz zum Herrn schreien, glauben, vertrauen und kommen. Und plötzlich erlebst du: Da ist er da, und er gibt mir mein Leben noch einmal ganz neu. Ich darf es aus der Vergebung Gottes leben.
Die Bedeutung der Jonah-Geschichte für Missionare und Christen
Die ganze Geschichte von Jona ist eine Erzählung darüber, wie Gott Missionare vorbereitet und schult. Wenn jemand sagt, er sei nicht geeignet, Missionar zu sein, dann irrt er sich. Gott kann nur diejenigen nicht gebrauchen, die auf dem hohen Ross sitzen und sich ihrer Frömmigkeit rühmen.
Heute gibt es viele Menschen, die von ihrer christlichen Lebensweise sprechen und wunderbare Erfahrungen mit Gott teilen. Sie erzählen, wie sie seit ihrer Bekehrung sehr heilige Menschen geworden sind. Das freut mich für diese Menschen, und ich bewundere sie. Doch ich traue dem nicht uneingeschränkt.
Erlauben Sie mir, daran zu kratzen: Ich fürchte, dass vieles von dem, was gesagt wird, nichts weiter als Seifenblasen sind. In christlichen Kreisen geht oft ein ehrfurchtsvolles Schaudern durch die Herzen, wenn man hört, was Menschen Großes und Heiliges getan haben. Dabei muss es nicht einmal nur um meine Konfession gehen.
Ich hoffe, dass Sie es in Ihrem Leben genauso erfahren: Unsere Frömmigkeit kehrt immer wieder an den Punkt zurück, an dem Jona im Bauch des Fisches lag – an der Stelle, wo man eine gescheiterte Existenz ist. Das ist in meinem Leben nicht nur meine Bekehrung, sondern etwas, das sich sehr oft, manchmal sogar täglich, vielfach wiederholt. Und davon wollen wir sprechen.
Wenn wir Missionare sein wollen, dann müssen wir darüber reden. Das bleibt das Thema der Christen: Sie sagen nicht, dass sie irgendwo eine fromme Leiter hinaufgeklettert sind. Vielmehr sagt der Herr, dass er uns an der Tiefe unseres Zusammenbruchs geholt und uns in großer Geduld immer wieder erholt hat.
Wir können nichts rühmen außer dem unbegreiflichen Erbarmen Gottes. Ich lebe täglich von seiner großen Gabe der Vergebung. Jeden Morgen neu bietet er mir seine Gnade an. Ohne ihn wäre ich ein verlorener Mensch. Er holt mich täglich neu aus der Tiefe meiner Verlorenheit heraus.
Wir wünschen uns alle, dass die Sünde, die Gottlosigkeit und der Ungehorsam der Vergangenheit angehören. Doch wir spüren, wie die Versuchung immer wieder in unser Leben einbricht. Das ganze christliche Leben ist ein Kampf, ein Glaubenskampf.
Dabei wird mir immer deutlicher: Wir müssen nicht von schönen Seifenblasen reden. Vielmehr dürfen wir der Welt sagen: Ihr könnt in der tiefsten Verzweiflung sein, doch Gott ist nahe. Ihr dürft ihn anrufen und ihm glauben.
Er hat seinen Sohn Jesus gesandt. Dieser Jesus Christus gehört euch. Er will euch seine ganze Liebe schenken. Wir dürfen von dieser Liebe leben. Seine starke Hand hält uns fest. Ich kann gar nicht fallen, ich kann gar nicht verzweifeln.
Abschluss: Die Kraft der Vergebung und das neue Leben in Christus
Wenn jetzt Menschen sagen, sie seien in ihrem Leben sehr resigniert und fragen, wie sie dem Unglauben so viel Raum geben können, dann hat Jonah für sie diese Erfahrung gemacht. Er hat erlebt, dass Gott Wunder wirkt, indem er Menschen herausholt. Das ist der Gottesbeweis im Alten Testament und zugleich auch im Neuen Testament.
Wer diese Erfahrung macht, ist in Christus eine neue Schöpfung. Dieses neue Leben, das Christus in uns wirkt, ist es wert, darüber zu sprechen. Darum wollen wir allein davon reden und es täglich neu im Glauben ergreifen. Amen.