Gnade sei mit uns und Friede von dem, der da ist, der da war und der da kommt. Amen.
Wir hatten uns vorgenommen, in der Zeit zwischen Ostern und Pfingsten einige Bilder aus dem Leben des Apostels Philippus zu besprechen. Heute hören wir ein Wort aus Apostelgeschichte 1, das sich an die Himmelfahrt anschließt.
Als sie hineinkamen, stiegen sie auf den Söller. Dort versammelten sich Petrus, Jakobus, Johannes, Andreas, Philippus – da kommt er vor – Thomas, Bartholomäus, Matthäus, Jakobus, Simon Zelotes und Judas, Jakobus Sohn.
Diese alle waren stets beieinander, einmütig, mit Beten und Flehen. Auch die Frauen, Maria, die Mutter Jesu, und seine Brüder waren dabei.
Herr, heilige unser Verständnis Deiner Wahrheit! Dein Wort ist die Wahrheit! Amen!
Begegnung und das Bild des Gartens
Kürzlich gehe ich über die Straße, da kommt ein Bekannter auf dem Fahrrad vorbei. Ein Fahrrad sieht man ja heutzutage schon seltener, nicht wahr? Übrigens, hier ist noch ein Stuhl frei. Das ist unerträglich anzusehen, rutschen Sie doch bitte durch, ja? Kommen Sie nach vorne, hier ist noch ein Stuhl frei. Verzeihen Sie, aber so etwas ist barbarisch, nicht wahr? Barbarisch.
Dieser Mann hatte auf seinem Fahrrad, auf dem Gepäckträger quer befestigt, einen Spankorb mit Stiefmütterchenpflanzen. Das sah sehr nett aus. Als er mich sah, hielt er an und stieg ab. Ich sagte zu ihm: „Mann, Sie haben Ihr Fahrrad aber hübsch dekoriert. Blühende Gärten, die hängen wie in Semiramis’ Garten am Fahrrad.“
Ach, sagte er, das sei dummes Zeug. Die Pflanzen habe er gerade beim Gärtner gekauft, und die wolle er jetzt in seinen Garten einpflanzen. Ja, sagte ich, das ist gut. Die armen Pflänzchen würden kaputtgehen, wenn sie so blieben. Sie müssen in den Garten eingepflanzt werden.
Nun werden Sie natürlich denken, das sei kein allzu geistreiches Gespräch. Aber, meine Freunde, es fiel mir wieder ein, als ich unseren Text las. Er handelt ja noch einmal von Philippus. In diesem Text wird erzählt, wie Gott mit Philippus wie ein guter Gärtner umgeht.
Dieser Mann war zu einem schönen Glaubensleben erblüht. Es war schön, dass Jesus ihn rufen konnte, und er folgte ihm und vertraute ihm sein Leben an. Wir haben gehört, wie er an der Schule Jesu rechnen lernte. Nun stand er im Glauben fest zu ihm.
Jetzt nimmt der himmlische Vater ihn und pflanzt ihn in seinen Garten, in seine Gemeinde ein. Da sich nun viele versammelten, hören wir nicht mehr nur von Philippus, sondern von Frauen und Männern, Brüdern Jesu und anderen Aposteln. Es wird eine ganze Schar Menschen aufgezählt. Philippus ist vom himmlischen Gärtner, diesem Stiefmütterchen des Glaubens, in den Garten Gottes eingepflanzt worden.
Das ist eine wichtige und gute Entwicklung. Es gibt so ein schönes Sommerlied von Paul Gerhard. Da heißt es: „Verleihe das zu deinem Ruhm, mich deines Gartens schöne Blumen, und Pflanze möge bleiben.“
Es sind so viele, die hier am Anfang mitgemacht haben, und dann sind sie wieder erstorben. Sie können nur verdorren und weggeworfen werden, weil sie nicht im Garten Gottes eingepflanzt waren.
„Verleihe das zu deinem Ruhm, mich deines Gartens schöne Blumen, und Pflanze möge bleiben.“ Ich möchte es als Überschrift über den Text schreiben: „Deines Gartens schöne Blumen“.
Ich lese noch einmal den Text: „Als sie hineinkamen, stiegen sie auf den Söller, da sich aufhielten Petrus und Jakobus, Johannes, Andreas, Philippus und viele andere. Diese alle waren stets beieinander einmütig, mit Beten und Flehen samt den Frauen.“
Deines Gartens schöne Blumen.
Die Bedeutung des Gartens Gottes: Die Gemeinde
Ich habe drei Teile. Erstens: Was ist der Garten Gottes in dieser Welt? Das ist seine Gemeinde.
Sehen Sie, bisher haben wir Philippus als einen einzelnen Mann betrachtet. Als Jesus ihn rief, rief er ihn als Einzelnen mit Namen: „Folge mir nach.“ Wir haben gesehen, wie Philippus hier zu einer geistlichen Entscheidung kam, die sehr groß war: alles hinter sich zu lassen und sein Leben dem Sohne Gottes anzuvertrauen.
Das ist eine Entscheidung, die uns in große Einsamkeit führt. Da nimmt uns keiner etwas ab. So steht am Anfang eines wirklichen Christenstandes eine persönliche Berufung, eine einsame Entscheidung, ganz eigene Erfahrungen mit Jesus im Herzen, wo man sein Leben erkennt.
Hier ist das Problem – darf ich es mal in Klammern sagen – der großen Evangelisation, die ich in den beiden vorigen Wochen hatte: Wir können nicht so reden, wie Goebbels eine Massenpsychose schafft. Wir möchten, dass der Einzelne von Jesus gerufen wird, der Einzelne in Buße kommt, der Einzelne sein verlorenes Leben erkennt und so Umkehr erfährt.
Aber nun sehen wir Philippus auf einmal nicht mehr als Einzelnen, sondern hineingestellt in eine große Schar von Menschen. Es wird uns gesagt, es wären etwa einhundertzwanzig Leute gewesen – eine Schar von Menschen, die alle ebenso ihre eigene Bekehrung, ihre eigene Buße, ihre eigene Umkehr ganz individuell erlebt hatten. Aber nun sind sie zusammengeführt.
In diesem Kreis ist Philippus drin. Gott hat diese Blume in den Garten seiner Gemeinde eingepflanzt. Sie waren stets beieinander mit Beten und Flehen. Gott will also, wenn er durch seinen Geist Menschen zum Glauben an den Sohn Gottes erweckt, nicht, dass hier und da in der Wüste dieser Welt einzelne Blümlein blühen. Es geht ihm um eine Gemeinde, um seinen Garten.
Seine Gemeinde – lesen Sie mal – er hat eben da unten vom Abendmahlstisch so ein Wort über die Gemeinde gehört: „Seine Gemeinde will doch der Herr segnen.“ Sie liebt er, seiner Gemeinde gibt er den Schatz seiner Gnade. Über diesen Garten lässt er es tauen, über diesen Garten wacht er. Da reißt er selbst Unkraut aus, indem er die Seinigen läutert. Da lässt er Regen und Sonnenschein darüber kommen, damit alles zu seiner Ehre blühe.
Sehen Sie, meine Freunde, es ist ein Zeichen für die ungeheure Verrottung des ganzen christlichen Lebens in unserer Zeit, dass man überhaupt nicht mehr weiß, was Gemeinde ist. Das fängt damit an, dass das biblische Wort „Gemeinde“ einfach im säkularen Bereich geklaut wird. Es gibt eine Kommunalgemeinde, dann hat jeder Dichter seine Gemeinde: Gustav König hat seine Gemeinde, Manfred Hausmann hat seine Gemeinde, Karajan hat seine Gemeinde, Menuhin hat seine Gemeinde, Thomas Mann hat seine Gemeinde. Bedenken Sie, es ist alles Gemeinde.
Und dann geht das so los: die Gemeinde doch, der Mazdasnan doch, Artentechnik – es ist auf einmal alles Gemeinde. Aber das ist noch gar nicht das Schlimmste. Das kann ja schließlich auch ein Kind kapieren, dass das mit der Gemeinde des lebendigen Gottes nichts zu tun hat.
Viel schlimmer ist die riesenhafte volkskirchliche Verwirrung, die eine unendliche Not bringt. Da zeigt ein Pfarrer auf ein Dorf oder auf einen Bezirk, wo fünf Menschen wohnen, und sagt: „Das ist meine Gemeinde.“ Und so erleben wir etwas, wovon das Neue Testament nichts weiß, dass es eine Gemeinde Rüttenscheid gibt und das heißt Bredeney, nicht wahr? Die Bibel kennt nur eine Gemeinde Jesu Christi.
Lieber Freund, wenn ein Pfarrer sagt: „Das ist meine Gemeinde“, dann ist das nicht wahr. Das ist seine Parochie, sein Missionsfeld, sein Arbeitsbereich, aber niemals Gemeinde.
Wie groß die Verwirrung ist, das ging mir auf, als mir neulich einer sagte: „In unserer Gemeinde ist alles geistlich tot.“ Da habe ich gelacht und gesagt: „Dann reden Sie bitte nicht von Gemeinde, denn tote Gemeinde gibt es überhaupt nicht.“ Das Kennzeichen der Gemeinde Jesu Christi ist, dass sie durch den Geist Gottes lebendig gemacht ist. Und wenn alles tot ist, dann mag es Volkskirche sein, aber im Leben ist es nicht Gemeinde Jesu Christi. Tote Gemeinde gibt es nicht.
„Ich lebe, und ihr sollt auch leben“, sagt der Herr. Und das sagt er seiner Gemeinde. In ihr lebt er und macht sie durch seinen Geist lebendig.
Es ist schlimm, diese Tatsache, dass man heute überhaupt nicht mehr weiß, was Gemeinde ist. Gemeinde ist nicht das, was sich um einen Pastor sammelt. „Die Gläubigen gehören zur Gemeinde von Pastor Bus“ – das ist schlimm. Das Neue Testament kennt keine Pastorengemeinde, nur die Gemeinde Jesu Christi, die sich um ihn sammelt.
Gemeinde ist auch keine Organisation. Herrschaft in seiner Gemeinde, viele Ämter – er hat etliche Gesetze zu Evangelisten, etliche zu Lehrern, etliche zu Kassierern, etliche zu Liederbuchausteilern, etliche zu Leitern und Helfern, Herrschaft in seiner Gemeinde, Ämter – aber eine Organisation ist das nicht.
Wie soll ich Ihnen erklären, was Gemeinde Jesu Christi ist? Siegen die damals zur Zeit des Philippus war das so klar. Da war eine Welt, die nichts wusste oder wissen wollte vom Kreuz Jesu Christi. Die Heiden wollten es nicht, weil sie andere Götter hatten. Die Juden brauchten das Kreuz Jesu nicht, weil sie selbstgerecht waren. „Ich tue Recht und scheue niemand“, es ist nie ein jüdischerer Satz gesagt worden als der.
Der Selbstgerechte braucht keinen Sünderheiland. So lehnte die jüdische und heidnische Welt das Kreuz Jesu Christi ab. Und die kleine Schar derer, die geglaubt und erkannt hatten, dass er der Sohn Gottes und ihr Heiland ist, die standen in dieser heidnischen und selbstgerechten Welt wie in einem Wunder.
Sie schlossen sich zusammen, sie waren einmütig zusammen mit Beten und Flehen, samt den Frauen.
Und nun frage ich Sie: Ist die Welt, auch die abendländisch so genannte christliche Welt, anders als die Welt damals? Ist sie nicht völlig heidnisch? Jeder ist ein eigener Gott geworden, zu den Göttern, die er sich selbst gemacht hat. Und sind wir nicht selbstgerecht?
Wenn ich hundert Besuche mache, höre ich neunundneunzigmal: „Es geht mir gut.“ Wir leben in einer Welt, die genau so das Kreuz Jesu ablehnt.
Soll in dieser Welt nicht die Gemeinde Jesu wieder zusammenkommen und sich bilden? Es wird nicht wahr. In der DDR wird es heute schon viel deutlicher: Die Gemeinde Jesu wird auf einmal zusammenkommen und sich fröhlich anschicken, Gott zu loben, weil sie geglaubt und erkannt haben, dass in Jesus alles heil ist.
Es wird Zeit, dass unter uns wieder Gemeinde Jesu Christi sichtbar wird, dass sie zusammenkommen mit Beten und Flehen, die wissen, dass er sie erkauft hat mit seinem Blut.
Die zweite Bekehrung: Die Hinwendung zur Gemeinde
Das ist der Garten Gottes in dieser Welt, seine Gemeinde, in die Philippus eingepflanzt wurde.
Ich möchte als zweiten Punkt sagen, dass ich glaube, es gibt so etwas wie eine zweite Bekehrung. Ich spreche von der Bekehrung zur Gemeinde, also zweitens die Bekehrung zur Gemeinde.
Es wird immer wieder gesagt, dass mit dem ganzen Christenstand nichts wird, wenn man nicht eines Tages eine gründliche Bekehrung erlebt. Wer mit christlichem Interesse nur als Kirchensteuerzahler lebt, steht nach wie vor unter Gottes Zorn und geht ewig verloren. Der Sohn Gottes steht in der Welt und ruft: „Sendet euch zu mir, alle Weltenden, so wird ihr errettet.“ Da ist ein Schritt nötig, eine Entscheidung.
Ich möchte nicht müde werden, Ihnen deutlich zu sagen, dass all Ihr christliches Interesse am Ende verloren ist, wenn es nicht zu einer Stunde kommt, in der Sie sagen: „Wem anders sollte ich mich ergeben, o König, der am Kreuz verblieb? Hier opfere ich Dir mein Gut und Leben, mein ganzes Herz ergießt sich, Dir schwöre ich zur Kreuzesfahne, als Streiter und als Undukter.“
Ich habe jedoch den Eindruck, dass, wenn ein Mensch diese Bekehrung, diesen Entschluss hinter sich hat – was kein Kinderspiel ist –, irgendwann eine zweite Bekehrung nötig wird. Die Bibel nennt es nicht so, aber ich möchte es so ausdrücken: die Bekehrung zur Gemeinde.
Solange diese nicht geschieht, meine Freunde, kümmern alle Anfänge wie Stiefmütterchen, wenn sie im Korb bleiben. Erinnern Sie sich an den Anfang: Wenn die Stiefmütterchen im Korb bleiben, verkümmern sie doch wieder. Sie müssen in den Garten gepflanzt werden. Unser geistliches Leben verkümmert, wenn wir nicht eingepflanzt werden in die Gemeinde der Erlösten, der erkauften Kinder Gottes.
Ich möchte Ihnen ein Beispiel sagen, das ich während meiner Evangelisation auf einer Industriemesse erlebt habe. Es hat mich sehr bewegt, wie die Kirche das Evangelium verstanden hat und wie schwer es ist, diesen gehetzten Leuten überhaupt nahezukommen.
Nach einem der Vorträge kam ein älterer Herr auf mich zu, ein typischer Messegast, und fragte: „Kennst du mich nicht mehr?“ Diese Frage höre ich oft. Da erlebt man tolle Dinge. Einmal sagte jemand zu mir: „Kennen Sie mich nicht mehr?“ Ich antwortete: „Ich kann mich nicht erinnern.“ Da sagte er: „Sie haben mich doch getauft, nicht?“ Seitdem bin ich etwas skeptisch, wenn ich so gefragt werde, und hier war es beinahe genauso.
Es stellte sich heraus, dass ich vor etwa 33 Jahren einmal eine Freizeit für junge Kaufleute, Holländer und Deutsche in Holland, in der Nähe von Utrecht, geleitet hatte. Damals schenkte Gott eine Erweckung in diesem Kreis. Es war unheimlich, wie Menschen ihre Sünde erkannten. Junge Kerle klopften nachts an meinem Zimmer und fragten: „Was soll ich tun, dass ich selig werde?“
In dieser Freizeit kam mein Bruder Johannes zum Glauben, und er war dabei, als er erfasst wurde. Wir hatten Dutzende, und jetzt erkannte ich ihn wieder. Er sagte: „Komm, wir gehen noch ein bisschen zusammen.“ Dann bummelten wir durch die nächtlichen Straßen von Hannover. Er erzählte, wie es ihm ergangen sei. „Ich habe dich seit dreißig Jahren nicht mehr gesehen. Da liegt ein Leben dazwischen.“
Er begann zu erzählen, zuerst von herrlichen Erfahrungen mit seinem Herrn, vom Aufblühen des CVM in Rotterdam, wie er dann in den Kriegszeiten Flügel erfahren hat und von athletischen Christen. Doch dann kam ein Tiefpunkt: „Seit drei Jahren ist alles so tot. Ich habe keine Lust mehr, die Bibel zu lesen, ich kann nicht mehr beten, alles ist so tot.“
Ich fragte: „Da lebst du doch in der und der Stadt, wie du mir sagst?“ Er antwortete: „Ja, seitdem ist innerlich alles tot. Ich habe keine Freude an Gottes Wort, keine Freude am Bibellesen. Gottesdienste langweilen mich.“
Ich sagte: „Erzähl mir mal, hast du Gemeinschaft mit den Leuten in deiner Stadt, die dem Herrn Jesus gehören, die um sein Wort zusammenkommen und ihn lieben? Da gibt es ja so einen Kreis.“ Er antwortete: „Ja, ja, aber weißt du, die liegen mir nicht. Die liegen mir nicht.“ Und dann sprach er von einem etwas engeren Kreis und dem mörderischen Tempo im Geschäftsleben: „Ich bin ja immer unterwegs, dieses mörderische Leben.“
Ich sagte: „Hör mir zu, ich bin gerade an meiner Predigt für den Sonntag und erzähle von dem Garten Gottes, von seiner Gemeinde, in die Gott seine Blumen, seine Stiefmütterchen, seine Kinder einpflanzen will. Ich erzähle, wie interessant das ist. Von Philippus wissen wir gar nicht viel, wie das so ganz individuell anfängt: ‚Folge mir nach‘. Und das Letzte, was wir hören, ist Philippus in der Gemeinde Jesu Christi unter Brüdern und Schwestern.“
„Darum kommt es bei Philippus zu einem lebendigen und blühenden Glaubensleben, weil er da drinsteht. Und darum gehst du kaputt ohne diese Gemeinschaft.“
Ich sagte ihm das Wort von Zinzendorf: „Ich statuiere kein Christentum ohne Gemeinschaft.“ Weiß man in unserer Christenheit davon etwas?
Vielleicht muss ich noch deutlicher sagen: Wir stehen ja alle irgendwie in Sozietäten drin – in unserem Gesellschaftskreis, mit dem wir verkehren, im Berufskollegenkreis, in der Familie, bei Tanten und Onkeln. Es sind so tausend Sozietäten, an die wir gebunden sind. Wenn die Leute im Gottesdienst zusammenkommen, bleibt aber jeder in seinem Kreis. Der Gottesdienst ist bloß ein Sandhaufen, der nachher wieder auseinanderfällt.
Ich empfinde das immer wieder. Dann kommt noch hinzu, dass man vorher möglichst ganz still sein soll und hinterher noch stiller, sodass man gar nicht weiß, wer überhaupt neben einem sitzt.
Finden Sie nicht, dass unsere Gottesdienstgemeinden oft Sandhaufen sind, bei denen nichts zusammenhält? Mit trockenem Sand konnten wir als Kinder keine Kuchen backen, da hielt nichts.
Deshalb freue ich mich, wenn es hier im Gottesdienst gar nicht still ist, sondern wenn Sie nach rechts und links sagen: „Guten Tag, ich kenne Sie nicht, ich heiße Schulze.“ „Ach, Frau Meier, wie schön, sind Sie regelmäßig hier?“ Sie sollen immer Guten Tag sagen, immer Kontakt aufnehmen, nach rechts und links. Tun Sie es bitte, tun Sie es!
Fallen Sie nicht auf all die Dogmen herein, die sagen: „Hier war vorher Krach.“ Das ist mir ganz egal, aber lassen Sie uns doch mal ein bisschen zusammenkommen.
Gott fängt an und schafft Gemeinde irgendwo, wo zwei oder drei in seinem Namen zusammen sind. Und, meine Freunde, wenn wirklich Gemeinde entsteht und ein gläubig gewordenes Herz dort eingepflanzt wird, dann geschieht das Merkwürdige: Viele der alten, schädlichen Gewohnheiten sterben einfach ab.
Ich erlebe das, wenn ein junger Bursche Leiter wird und plötzlich ist es aus mit seinem Fußballverein, weil er fühlt: „Ich komme in eine neue Gemeinschaft, in eine neue Sozietät.“ Das ist Gemeinde Jesu Christi.
Es ist doch interessant, dass wir von den früheren Freunden Philippus kein Wort hören. Aber er steht drin in der Gemeinde Jesu Christi.
Gemeinschaft als Lebensquelle
Darf ich Ihnen eine ganz tolle Geschichte erzählen?
Es ist einige Zeit her, da rief mich ein Geschäftsmann an und sagte, er wolle mich einmal besuchen. Ich sagte zu, dass ich kommen würde. Er erzählte mir dann Folgendes: Früher hatten sie mit einem Herrn einen Stammtisch. Dort trafen sie sich regelmäßig und tranken dabei auch ordentlich. Nun hatten sie diesen Herrn eingeladen, zu Neujahrsnacht zu kommen. Ich gebe zu, es wurde dabei ordentlich gesoffen, aber das gehörte einfach dazu. Doch der Herr wollte nicht mehr mitmachen.
Der Geschäftsmann sagte zu mir: „Herr Pfarrer, Sie müssen mit Herrn Rehn sprechen, der wird ein bisschen verrückt.“ Sie glauben gar nicht, wozu ein Pfarrer überall gebraucht wird. Sogar zur Förderung des Wirtschaftslebens!
Ich musste einfach lachen. Ich vermutete, dass der Mann hier saß, weil mir klar geworden war: Er war zum Glauben gekommen, er gehörte Jesus. Nun war er in die Gemeinde eingepflanzt worden. Dort hatte er Aufgaben, sein Herz war dabei, und er fand Brüder und Schwestern. Über den alten Becherverein war er abgestorben. Er war wirklich abgestorben.
„Philippus, wo sind deine alten Freunde?“ fragte man. Philippus antwortete: „Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, dass ich unter meinen Brüdern und Schwestern bin, einmütig zusammen mit ihnen bete und flehe.“
Verstehen Sie, mir ist diese Predigt nicht leicht gefallen. Denn ich wollte zunächst meine Notlage gegenüber dem ganzen christlichen Betrieb ausdrücken, der unter uns üblich geworden ist. Es ist eine Bekehrung zur Gemeinde nötig. Dabei bitte ich Sie noch einmal: Verstehen Sie unter Gemeinde nicht den Küster, den Pastor oder den Kirchturm, sondern die Schar derer, die es ernst meinen mit der Nachfolge Jesu.
Hören Sie auf mit der Spielerei! Es gibt eine Schar, die zum Himmel wandern will. Es gibt ein Lied, das wir in meinem Elternhaus gern gesungen haben. Dort heißt es:
„Himmel an Wald neben dir,
alles Volk des Herrn trägt im Himmelsvorschmack hier seine Lasten gern.
Oh, schließ dich an, kämpfe drauf, wie es gebührt,
denn nur durch Leiden führt die Himmelsbahn.“
Ich muss noch kurz etwas Letztes sagen: Der Gartengott deines Gartens sorgt für schöne Blumen. Wir wissen, wer der Gartengott ist: Es ist seine Gemeinde in dieser Welt.
Wir müssen uns also auch zur Gemeinde Jesu Christi bekehren, nachdem wir uns zu ihm bekehrt haben.
Vielfalt und Einheit im Garten Gottes
Und drittens: Es blühen viele Blumen im Garten Gottes. Es sieht jetzt beinahe so aus wie bei der Maus der Zunge – tausend Blumen. Es blühen tausend Blumen im Garten Gottes.
Ich las neulich eine Lebensbeschreibung von Graf Zinzendorf. Sie wissen, wer das ist – er starb 1760. Zu Beginn stand dort der Satz: „Der junge Graf ist durch die Hauptstädte Europas gegangen und suchte die Gemeinde Jesu Christi und fand sie nicht.“
Ich glaube, man kann heute im christlichen Abendland durch viele Städte reisen und hat Mühe, die Gemeinde Jesu zu finden. Man findet Pastoren, man findet Küster, man findet alles Mögliche – Kirchtürme, Glocken, Orgeln. Aber Gemeinde? So wurde es durch Zinzendorf formuliert. Der Satz führte weiter dahin, dass er die Brüdergemeinde ins Leben rufen durfte. Gott brauchte ihn dazu. Diese Brüdergemeinde wurde zum Urbild für Gemeindebildung.
Wenn wir die Berichte aus den ersten Jahrzehnten der Brüdergemeinde lesen, also dieses Urbild von Gemeinde Jesu Christi, dann ist es so interessant zu sehen, welch ein buntes Schader zusammenkam. Da war hoher, alter schlesischer Adel und schlichte Handwerker, Flüchtlinge aus Böhmen und Mähren, die um des Glaubens willen geflohen waren – Brüder, Schwestern.
Da waren Männer und Frauen, Alte und Junge. Die Gemeinde, die in die Philippus kam, sieht genau so aus. Da ist der Petrus. Ich vermute, dass Petrus manchen Leuten auf den Wecker fallen konnte mit seinem etwas ungezügelten Temperament, nicht? Denn sie werden ihn auch mal zurechtgestaucht haben, so wie meine Brüder mich zurechtstauchen, wenn ich hier aus der Kantine kippe, nicht?
Der Physier, manche noch im Nerven, da war der junge Johannes. Petel war sicher schon alt. Da ist die Mutter Jesu, die reine Magd Maria, und neben ihr die Magdalena, die Frau mit dem trüben Vorleben, mit dunklen Dingen in ihrem Leben, bis Jesus in ihr Leben kam. Es gab keinen größeren Unterschied! Maria Magdalena und Maria, die Mutter Jesu, einmütig zusammen mit Beten und Flehen.
Wer immer nur mit seinesgleichen verkehren will – mit Standesgenossen, Berufsgenossen, Allesgenossen –, der wird niemals die Gemeinde Jesu Christi in ihrer Herrlichkeit erleben können.
Persönliche Erfahrung und Ermutigung zur Gemeinschaft
Ich muss jetzt schließen. Lassen Sie mich zum Schluss noch eine kleine Sache erzählen, die für mein Leben wichtig wurde, als mein Vater mit 53 Jahren im Sterben lag.
Ich habe nachts bei ihm gewacht, und er hat mir vieles mitgegeben, das für mein Leben entscheidend war. Ich vergesse nicht, wie er mir in einer Nacht sagte:
Ich war ein junger Theologe, hochmütig, wie junge Theologen sein müssen, eingebildet auf meine Wissenschaft. Da sagte er zu mir: „Mein Junge, halte dich in deinem Leben immer zu denen, die Jesus nachfolgen wollen, die um sein Wort zusammenkommen, zu denen, die Gemeinschaft haben.“
„Es sind auch wunderliche Leute“, sagte er, „denn sie kriegen von allen Seiten Prügel. Von den Weltleuten kriegen sie Prügel, weil sie zu fromm sind. Von Pastoren kriegen sie Prügel, weil sie unaufrichtig sind, wenn sie ohne Pastoren Gottes Wort zusammenkommen. Und da sind sie auch wunderlich geworden. Aber halte dich zu ihnen!“
Dieser Rat ging tief in mein Herz. Wenn ich nun daran denke, wie viele solcher Brüder und Schwestern ich aus der Gemeinde Jesu Christi im Siegerland, in württembergischen Gemeinschaftsstunden und in norwegischen Städten gefunden habe, wird mir das herzweit.
Ich möchte raten: Bekehrt euch zu der Gemeinde derer, die es ernst meinen. Und wenn ihr keine findet, dann fangt in eurem eigenen Haus eine an.
Wir wollen beten: Herr Jesus, unser Herr, du sehnst dich danach, dass auch unter uns wieder offenbar werde, was du eigentlich willst – deine Gemeinde, an der du dich herrlich zeigst, die du liebst, die dir nachfolgt, die dich Schmach mit Freuden trägt. Schaffe du unter uns eine solche Gemeinde, wie wir sie um den Philippus hier sehen. Amen.
