Gnade sei mit uns und Friede von dem, der da ist, der da war und der da kommt! Amen!
Wir wollten in dieser Sommerzeit einige auffallende und seltsame Psalmstellen besprechen. Heute lese ich ein Wort aus dem 73. Psalm: „Dennoch bleibe ich stets an dir, denn du hältst mich bei meiner rechten Hand.“
Herr, heilige uns in deiner Wahrheit; dein Wort ist die Wahrheit! Amen!
Von bedrückenden Wäldern zu neuen Aussichten
Auf dem Weg von einer Freizeit zur nächsten fuhr ich ein Stück quer durch den Schwarzwald. Die Straße führte viele Kilometer nur durch Tannenwälder, etwa in der Gegend von Freudenstadt-Wesenfeld.
Plötzlich hatte ich das Gefühl, dass das auf die Dauer bedrückend ist: diese schwarzen Tannen rechts und links, endlos dieser dunkle Wald. Doch dann kam eine Kurve, und mit einem Schlag veränderte sich das Bild. Der Wald war weg. Hinter der Kurve lag vor mir im Sonnenglanz ein herrliches Land, ein völlig veränderter Blick, eine ganz neue Aussicht.
Dieses Erlebnis fiel mir ein, als ich wieder einmal den lieben 73. Psalm las und an unserer Textstelle ankam. Auch mitten in diesem kurzen Bibelwort gibt es eine Kurve, eine Wendung, die auf einmal einen ganz neuen Ausblick eröffnet. Das möchte ich Ihnen heute Morgen gern zeigen.
Lachen Sie mich nicht aus, wenn ich als Überschrift über den Text und die Predigt schreibe: „Bibelwort mit Kurve“. Wenn wir das verstehen wollen, müssen wir jetzt einfach mal sozusagen an diesem Bibelwort entlangfahren, um im Bild zu bleiben.
Als Erstes sehen wir dabei einen wundervollen Entschluss: „Dennoch bleibe ich stets an dir.“ Das möchte ich als Erstes zeigen. Ich teile das in drei Teile ein: ein wundervoller Entschluss.
Der feste Entschluss zum Verbleib bei Gott
Dennoch bleibe ich stets an dir. An wem will der Psalmsänger bleiben? An dem geoffenbarten Gott, der uns in Jesus Christus offenbart ist.
Ja, ich bin überzeugt, dass diese Propheten des alten Bundes Jesus so klar sahen und an ihn glaubten wie wir. Deshalb können wir ruhig sagen: Er will an dem geoffenbarten Gott bleiben.
Nun, ich glaube, das wollen die meisten von uns auch. Wenn ich Hausbesuche mache, höre ich oft: „Ja, wissen Sie, Herr Pastor, ich bleibe bei der Religion, die ich von meiner Mutter gelernt habe oder die meine Großmutter hatte.“ Besonders im Dritten Reich, als es viel Druck zum Kirchenaustritt gab, habe ich das oft gehört. „Ich bleibe bei der Religion meiner Eltern.“
Doch bei diesem Herrn bleiben zu können, wirklich bleiben zu können, das muss ich zuerst sagen, setzt voraus, dass man zunächst zu ihm gekommen ist. Mit etwas nebuloser Religiosität oder einer bloßen kirchlichen Standhaftigkeit ist noch nichts erreicht. So nett das auch ist, es ist noch nichts getan.
Wer an ihm bleiben will, muss zuerst zu Jesus gekommen sein. Oh, ich wünschte, ich könnte so sprechen, dass Sie gewissenhaft verunsichert werden und sich fragen: Bin ich eigentlich mal zu ihm gekommen?
Das ist eine große Sache. Es braucht eine gründliche Einsicht in die Verlorenheit unseres Lebens und in die Verkehrtheit unseres bisherigen Lebens. Das erfordert einen radikalen Bruch und eine Umkehr um 180 Grad.
Es muss so sein wie bei dem verlorenen Sohn. Wir kennen die Geschichte: Er saß draußen verloren bei den Schweinen und sagte dann: „Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen.“ Das genügte ihm nicht, er wollte zu ihm sagen: „Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir.“ Und so machte er sich auf.
Ich wünsche Ihnen, dass Sie diesen Schritt bald vollziehen, falls Sie ihn nicht schon getan haben. Es kommt mir wenig darauf an, eine schöne Predigt zu halten. Vielmehr kommt es mir darauf an, Ihnen zu sagen, dass für Ihr Leben, für Zeit und Ewigkeit, alles darauf ankommt, dass Sie zu Jesus kommen.
Der Psalmsänger hat diesen Schritt schon lange getan. Doch nun sind Umstände eingetreten, die einen neuen Entschluss nötig machen. So fasste er einen neuen Entschluss: Jetzt will ich bei dir bleiben.
Als Jugendpastor kenne ich es oft, dass Menschen so auf Jesus zugehen. Aber dieser weitere Entschluss ist groß: „Ich will bei dir bleiben.“ Meinem eigenen Herzen, der Welt, dem Teufel und allem zum Trotz will ich bei dir bleiben.
Nicht bei der Kirche, nicht bei der Religion, nicht beim Pastor, nicht beim Weihrauch, sondern beim Herrn Jesus, bei dem geoffenbarten Gott will ich bleiben!
Die Unmodernheit des festen Festlegens
Meine Freunde, dieser Entschluss ist heute sehr unmodern, sehr unmodern. Ich sitze mal wieder völlig daneben mit meinem Bibelwort hier, denn es ist das Kindzeichen unserer Zeit. Es charakterisiert die geistige Lage unserer Zeit: dass wir uns unter keinen Umständen endgültig festlegen wollen.
Der Mensch von heute ist an vielem interessiert, aber nicht daran, sich festzulegen. Eine Festlegung wird sogar gerügt, das ist ja der „Verkalkungsmann“ und so. Es muss immer alles in der Schwebe bleiben in unserem Leben. Man weiß auch nicht, was noch kommt, nicht wahr, ob wir auch „männlich nach dem Wind hängen müssen“. Und das weiß man alles noch nicht. Um Gottes willen, jetzt nicht festlegen!
Sicher, ich bin für das Christentum und lasse meine Kinder taufen, konfirmieren und alles Mögliche, aber nicht festlegen – so sagt die alte Generation. Und die Jungen sagen: „Wie sollten wir uns festlegen? Wir können ja gar nichts mehr ernst nehmen.“ Das ist gerade das Kennzeichen dieser Generation. Sie machen sich vielleicht selbst nicht klar, dass sie im Grunde gar nichts mehr ernst nehmen können.
Ganz anders unser Psalmsänger, ein unmoderner Mann, der nimmt ernst und legt sich endgültig fest. Er nimmt den geoffenbarten Gott ernst und legt sich fest auf den Herrn Jesus Christus: „Dennoch bleibe ich stets an dir.“ Man passt nicht in unsere Zeit, nicht wahr?
Aber, liebe Freunde, sollten wir bei so einem Wort nicht mal aufhorchen, richtig aufhorchen! Meine Freunde, ist das nicht gerade die Not überall, dass wir uns nicht mehr festlegen wollen? Dass wir gar keine Fundamente für unser Leben haben? Dass die Alten unter uns alles gewesen sind – Liberale und Nazis und Christen und alles? Und nun hat unser Leben überhaupt kein Fundament mehr, und es ist sinnlos.
Ist das nicht die Not, junges Volk, dass man nichts mehr ernst nehmen kann?
Die Antwort des Psalmsängers: Ein Leben an Jesus festmachen
Aber möchte man doch von dieser schrecklich traurigen Situation aus den Psalmsänger fragen: Sage mal, hast du wirklich – Assaf, so heißt der Mann – hast du wirklich etwas gefunden, das so wertvoll ist, dass man sich für sein ganzes Leben darauf festlegt? Das ist ja unerhört. Hast du etwas gefunden, das so wertvoll ist, dass man sich der ganzen Welt zum Trotz für ein ganzes Leben darauf festlegt?
Gott sei Dank, sagt Assaf, Gott sei Dank. Allerdings habe ich nicht etwas gefunden, das ich ernst nehmen kann und worauf ich mich festlege – nicht etwas, sondern jemanden. Jemanden, den Herrn, Jehova, erwarb er hier.
Damit weist er uns darauf hin, dass immer, wo der Herr steht, die Jehova, er uns auf Jesus hinweist. Er weist uns auf Jesus. Die Botschaft des Evangeliums von Jesus, sagt er, ist so herrlich, dass es wert ist, sich endgültig darauf festzulegen und sie ganz ernst zu nehmen.
Liebe Freunde, das kann man von keiner anderen Botschaft der Welt mehr sagen. Es ist ja auch eine Botschaft, dass der lebendige, verborgene Gott, der zu tausend Dingen schweigt, heute auf einmal die Mauern zerschlägt, die ihn von uns trennen, und in Jesus zu uns kommt.
Das ist eine aufregende Botschaft. Man muss schon reichlich unterbelichtet sein, wenn man sie nicht ernst nehmen will und nicht aufhorcht.
Das Kreuz als Zentrum des Glaubens
Und wenn wir von Jesus reden, dann werden wir immer an sein Kreuz geführt. Lassen Sie uns unter Jesu Kreuz gehen, dort nach Golgatha. Sehen Sie den Mann mit der Dornenkrone an, dieses Gesicht, in dem sich die Klarheit Gottes spiegelt, überströmt von Blut, und die mächtigen Hände, die angenagelt sind. Sehen Sie ihn an! Hier können wir unser Leben im Grund in Ordnung bringen. Das ist jene Botschaft.
Ach, was sind wir alle miteinander friedelose Leute, solange wir unsere Schuld nicht Schuld nennen. Solange wir gegen unser Gewissen leben – und wir leben ja dauernd gegen unser Gewissen – solange wir bloß tun, was nützlich ist. Unter Jesu Kreuz können wir unser Leben in Ordnung bringen. Dort dürfen wir unsere Sünde hinlegen, bekennen und ablegen. Wir dürfen einen Tausch machen: Ich darf diesem Gekreuzigten meine Schuld geben, und er gibt mir seine Gotteskindschaft und Gerechtigkeit. Das ist ein Tausch, und Kraft geht aus von diesem Kreuz. Das kann ich Ihnen einfach bezeugen: Kraft geht aus von diesem Kreuz.
Können Sie das verstehen? Ist der Lautsprecher nicht in Ordnung da oben? Oh, gut. Wenn ich so ins Mikrofon spreche, dann schimpfen die im Übertragungssaal, weil es so furchtbar dröhnt, nicht? Ich sage ja: Wie der Einbrecher – breche ich ein, ist das nicht recht; breche ich aus, ist das auch nicht recht. Was soll ich eigentlich machen?
Und dieser Jesus – es ist gut, dass Sie sich melden. Sehen Sie, ich sagte: Unter dem Kreuz Jesu können wir unser Leben in Ordnung bringen. Dort dürfen wir einen seligen Tausch machen. Wir dürfen ihm, diesem Heiland, alle unsere Schuld und Unruhe einfach geben. Sagen Sie ihm das, das muss gesprochen sein mit ihm. Und er gibt mir dafür seine Gerechtigkeit vor Gott und seine Gotteskindschaft.
Ich sagte, Kraft ist in diesem Kreuz Jesu. Das ist die größte Kraftzentrale der Welt, wo Seelen neu aufleben, die zusammengeschlagen waren von Schulden und von den Schicksalsschlägen des Lebens. Und dieser Jesus ist auferstanden von den Toten. Verstehen Sie? Nun, da oben, geht es jetzt besser?
Die Unabdingbarkeit des Verbleibs bei Jesus
Der Psalmist sagt, ich wäre ja ein Narr, wenn ich nicht bei diesem Herrn bleiben wollte, bei dem ich Leben, Frieden, Seligkeit, Freude, Kraft, neues Leben und ewiges Leben finde. Ich wäre ein Narr, wenn ich nicht bei ihm bleiben wollte.
Wir singen gern im Weichlaus ein Lied, in dem es heißt: „Sollt ich dem nicht angehören, der sein Leben für mich gab? Sollt ich ihm nicht Treue schwören, Treue bis in Tod und Grab?“ Das ist ein wundervoller Entschluss, ein wundervoller Entschluss: Herr Jesus, bei dir will ich bleiben!
Nun sind wir ein Stück an der Straße dieses Bibelwortes gefahren. Wenn wir jetzt weiterlesen, dann kommt die Kurve. Diese Kurve tut uns gut, denn wenn wir weiter auslegen, öffnet sie uns eine ganz neue Aussicht, einen völlig neuen Ausblick.
Die neue Perspektive: Festgehalten werden von Gott
Wenn wir jetzt weiterlesen, entdecken wir plötzlich etwas Neues: In diesem Bibelwort handelt es sich gar nicht um einen Entschluss. Vielmehr wird hier eine Tatsache festgestellt. Das ist der zweite Punkt. Ich lese weiter:
Dennoch bleibe ich stets an dir, denn du hältst mich ja fest.
„Herr, du hältst mich fest, darum bleibe ich an dir. Darum kann ich gar nicht anders.“
Das ist ein völlig neuer Ausblick. Es ist nicht mehr ein Entschluss, sondern einfach die Feststellung einer Tatsache: Er hält mich fest. Wie sollte ich von ihm weggehen können?
Sehen Sie, wir hatten den ersten Teil für sich betrachtet: „Dennoch bleibe ich stets an dir.“ Dies konnten wir kaum anders als einen Entschluss verstehen. Nun, allen unseren Entschlüssen, auch den besten, meine Freunde, haftet etwas von Krampf an, von zusammengebissenen Zähnen, nicht wahr? So müssen wir es verstehen.
Nun kommen wir zur Wendung: „Du hältst mich bei meiner rechten Hand.“
Darum kann ich von dir gar nicht weg. Auf einmal ist hier nichts mehr von Kampf und Entschluss zu spüren, sondern es umgibt uns großer Friede. „Du hältst mich ja fest bei meiner rechten Hand, darum bleibe ich an dir.“
Man kann mich fragen: Herr Pastor Busch, haben Sie den ersten Teil falsch ausgelegt? Da sage ich: Nein!
Zu einem Christenstand gehört beides. Es gehört beides dazu: ein Entschluss – „Ich will beim Herrn bleiben“ – und ein ganz fröhlicher Glaube: „Du hältst mich bei meiner rechten Hand.“
Meine Freunde, da muss ich unwillkürlich an eine Szene denken, die ich neulich vor meinem Haus sah. Eine Mutter führte ihr Kind spazieren, das gerade eben die ersten Schritte gelernt hatte und so über seine eigenen Beinchen stolperte. Es war furchtbar anzusehen, wie die Mutter das Kind hielt und das Stolpern nur an ihr abprallte.
Da war nichts von einem Entschluss des Kindes zu spüren: „Ich werde meine Mutter festhalten, sonst geht’s schief.“ Nur die Mutter hielt es, und nun konnte das Kind laufen, sonst wäre es gefallen.
So ist es mit dem, was hier gesagt wird: „Du hältst mich fest, und darum kann ich laufen.“ Darum kann ich fromm sein, und darum kann ich bei dir bleiben, weil du mich festhältst.
Und nun sage ich noch einmal: Zum richtigen Christenstand gehört beides – dass man kindlich von Jesus geführt wird und zugleich ein kämpferischer Entschluss da ist: „Ich werde dem Teufel zum Trotz bei ihm bleiben.“
Aber wir wollen jetzt den zweiten Teil ansehen, diese neue Landschaft: „Du hältst mich bei meiner rechten Hand.“
„Du hältst mich bei meiner rechten Hand, darum bleibe ich bei dir.“
Die Sicherheit des Glaubens trotz Warnungen
Liebe Freunde, in der christlichen Kirche gibt es derzeit eine merkwürdige Mode, bei der man immer und überall vor Sicherheit gewarnt wird. Mir geht das ein bisschen auf die Nerven.
Dieser Psalmist spricht jedoch von einer geradezu für heutige Theologen bedenklichen Sicherheit. Er sagt: „Ich werde bei dir bleiben, weil du mich festhältst.“ Und wenn Verfolgung kommt, werde ich bei ihm bleiben. Wenn schreckliche Nöte, Zweifel und Probleme kommen, werde ich bei ihm bleiben. Warum? Weil er mich festhält.
Der Psalmist spricht von einer strahlenden Sicherheit. Darf man das eigentlich so sagen? Ja, es sei denn, der Herr Jesus wäre ein Lügner. Aber er ist kein Lügner. Er hat nämlich genau dasselbe gesagt. Der Herr Jesus sagte: „Meine Schafe hören meine Stimme, und sie folgen mir, und niemand kann sie mir aus meiner Hand reißen.“ Niemand kann sie mir aus meiner Hand reißen.
Du hältst mich fest, darum bleibe ich bei dir.
Ich vergesse diese Szenen nicht. Ich habe sie wahrscheinlich oft erzählt. Das letzte Mal, als ich mit Pastor Weigel, dem Gründer dieses Hauses, bei einer Leiterfreizeit zusammen war, sprach er über dieses Wort: „Niemand kann sie aus meiner Hand reißen.“
Er wandte es an einen jungen Mann, der Fritz Hänsel aus Essen-West hieß, Abteilung einundzwanzig, und sagte zu ihm: „Fritz, also niemand kann dich aus Jesu Hand reißen, wenn du ihm gehörst, außer …“ Da sagte Fritz: „Außer ich selbst.“
„Falsch“, sagte Weigel, „wenn Jesus sagt, niemand kann dich aus meiner Hand reißen, dann kann dich auch du selbst nicht herausreißen.“ Fritz wurde bleich. So etwas gibt es.
Ich habe ihn aus den Augen verloren, aber ich habe mich gefreut, als ich ihn am Kirchlichen Tag wiedersah. Fritz gilt noch immer als in Jesu Hand.
Die verborgene Hand Gottes im Leben der Gläubigen
Lieben Freunde, wir sind hier beim tiefsten Geheimnis des Christenlebens angekommen, von dem wahrscheinlich viele von Ihnen keine Ahnung haben: Jesusleute spüren immer und überall die heimliche und verborgene Hand ihres Heilands.
Christenleben – also richtige Jesusjünger, Jesusleute – leben völlig anders als andere Menschen. Sie spüren immer, in jeder Not, in jeder Anfechtung, in jedem Fall die Hand, die heimlich verborgene Hand. Diese Geheilten umgeben sich nur recht in Jesu, dann werden sie das erfahren.
Wissen Sie, ich möchte jetzt am liebsten all die biblischen Geschichten erzählen – ach, dass man immer so kurz predigen muss! Am liebsten möchte ich jetzt all die biblischen Geschichten erzählen, die davon sprechen. Nur so ein paar:
Da ist die Geschichte von Joseph in Ägypten. Er wird ungerecht in ein schauerliches Sklavengefängnis geworfen. Ich denke mir, dass Sklavengefängnisse in Ägypten wirklich schrecklich waren. Ein dunkler Abgrund tut sich auf. Wie lange werde ich hier sein? Vielleicht ein Leben lang lebendig vermodern? Die Kerkertüren schließen sich hinter ihm. Und wissen wir, was dann kommt? Dann steht in der Bibel: „Aber der Herr war mit Joseph, dass er ein glückseliger Mann war.“ Auf einmal ist die Hand da und hält ihn über diesem schrecklichen Abgrund.
Das ist unerhört: „Der Herr war mit Joseph, du hältst mich bei meiner rechten Hand, dennoch bleibe ich stets an dir.“ Kurz vorher – ihr kennt die Geschichte – geht Joseph durch eine schwüle und sehr gefährliche Versuchungsstunde, „Cherche la femme“, die Stunde, in der sich seine ganze Charakterbildung entscheidet. Die Frau des Potiphar legt ihre Hand auf ihn, und etwas Eigenartiges geschieht: Joseph geht durch diese Stunde hindurch. Niemals ein großartiger, starker Mann, der fast seufzend sagt: „Wie kann ich sündigen? Er schaut mich an!“ Aber er geht hindurch, unberührt. Die Hand hält ihn fest: „Denn du hältst mich bei meiner rechten Hand.“
Oder ich denke an die Geschichte, die wir eben hier bei der Schriftverlesung hörten, von Petrus, der in den Wogen untergeht. Und dann ist plötzlich die Hand da und hält ihn mitten auf dem Meer.
Und das ist es, was wir der ungläubigen Welt, was wir Jesusleuten der ungläubigen Welt entgegenwerfen wollen: Wir werden nicht untergehen, denn die unsichtbare Hand hält uns fest. Wir können in tausend Kämpfen Niederlagen erleiden, aber die Hand hält uns fest.
Der Hintergrund des Psalms: Leben in einer Welt voller Abgründe
Der Hintergrund des Ganzen – davon muss ich noch sprechen.
Sehen Sie, mein Kurvenerlebnis: Erst durch den Wald und dann plötzlich neue Landschaften in der Kurve. Das war im Schwarzwald. Vielleicht könnte man so etwas hier um Essen herum bei Kraai nicht erleben. Dazu gehört der ganze Hintergrund des Schwarzwaldes.
So hat auch dieses Wort, dieses Bibelwort mit der Kurve, einen ganz bestimmten Hintergrund, den wir eben sehen müssen. Ich kann den Hintergrund am besten zeigen, wenn ich Ihnen ein kleines Erlebnis aus dem Kampf der Bekennenden Kirche im Hitlerreich erzähle.
Eine für mich unvergessliche Szene: In einer Versammlung der Bekennenden Kirche in Wuppertal in der Stadthalle sollte gesprochen werden. Außerdem sollte der alte Pfarrer Niemöller, der Vater von Martin Niemöller, sprechen. Er war Pfarrer in Wuppertal und eine eindrucksvolle Persönlichkeit.
Gerade als wir anfangen wollten, erschien die Geheime Staatspolizei und sagte dem Vater Niemöller, er dürfe hier nicht sprechen. Niemöller fragte daraufhin, ob er wenigstens ein Bibelwort vorlesen dürfe. „Ja“, sagten sie, „ein Bibelwort können Sie vorlesen, aber Sie dürfen nicht sprechen.“
Daraufhin las Niemöller vor – es war die Zeit, als Hitler auf der Höhe seiner Macht war. Viele unserer Brüder lagen ohne Recht und Gesetz in Gefängnissen. Man fing an, Juden umzubringen. Unrecht triumphierte, und niemand wollte etwas dagegen sagen.
Ein Bibelwort durften sie vorlesen, und der alte Niemöller schlug den 37. Psalm auf. Plötzlich hatte dieser Psalm eine ungeheure Aktualität.
Vergessen wir nicht, wie die Staatspolizeibeamten kamen und über seine Schulter schauten, ob das wirklich in der Bibel stünde: „Ihr Frevel muss wohlgetan heißen, sie achten alles für nichts und lästern hoch her. Was sie reden, soll gelten auf Erden, darum fällt ihnen ihr Pöbel zu und laufen ihnen zu in Haufen wie Wasser.“
Wir erschauerten. Das war vor dreitausend Jahren geschrieben. Wir begriffen, dass sich die Welt im Grunde nie sehr ändert, dass Unrecht und List siegen und das Lästern des Menschenhochmuts die stille Stimme des Heiligen Geistes übertönt.
Der Alte las weiter, und dann merkte ich besonders auf ihr Ende: „Ja, sie nehmen ein Ende mit Schrecken, du machst ihr Bild in der Stadt verschmäht.“
Wissen Sie, ich sage: Sie waren auf der Höhe ihrer Macht, aber in dem Augenblick weht uns eine Ahnung von dem schrecklichen Ende zu: „Du machst ihr Bild in der Stadt verschmäht.“
Liebe Freunde, das ist doch der Hintergrund dieses Psalms: Wir leben in einer Welt, die Abgründe hat, in der das Herz manchmal wirklich schreien muss: Wo bleibt dein Gott? Wo die Lüge sich aufbläht? Wo die Propaganda alles verfälscht?
Man kann nichts dagegen tun, dass wir in einer Welt leben, in der Unrecht aufzieht, in der unser Herz oft zertreten wird. Der Hintergrund ist, dass wir in einer Welt leben, in der auch das Festeste zusammenbricht und alles vergänglich wird.
Und in dieser Welt, in der realistisch gesehenen Welt, steht der Psalmist und sagt: Und in dieser Welt bin ich auf Felsengrund, und in so einer Welt bin ich geborgen, in so einer schrecklichen Welt.
Er hält mich bei meiner rechten Hand, und darum ist es keine Frage, dass ich bei Jesus bleibe, der mir Frieden mit Gott schenkt, Seligkeit, Vergebung meiner Sünden, Freude und ewiges Leben.
Unter dem Schatten seiner Flügel verlocke ich in einer solchen Welt. Oh, liebe Freunde, das sollten wir auch haben, ja, das sollten wir auch haben.
So oft ich ein Bibelwort lese, wird mir klar, wie wenig von unserem sogenannten Christentum wirklich Geistes- und Glaubensleben ist. Die Welt sehen, wie sie ist, und das eigene Herz sehen, wie es ist – und darin geborgen sein unter dem Schatten seiner Flügel.
„Du hältst mich bei meiner rechten Hand, Herr Jesus, der du für mich gestorben und auferstanden bist, und darum bleibe ich an dir in Zeit und Ewigkeit. Um keinen Tod, um keine Fürstentümer und Gewalten können mich je von dir trennen.“
Was will mich scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn? Das sollten wir haben.
Wir wollen beten: O Herr, hilf uns aus den Gedanken ins Leben hinein! Ganz ohne Wanken dein Eigen zu sein! Amen!