Der König

Konrad Eißler
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“Gott handelt wie ein König”: Mit dem Gleichnis von der Einladung zum Fest gibt Jesus einen Einblick in Gottes Machtpolitik, Weltpolitik und Personalpolitik. - Predigt aus der Stiftskirche Stuttgart


“Genug vom Menschen geredet. Es ist Zeit, an Gott zu denken.” So hat der Russe Abram “Terz” Sinjawski in dem Moskauer Schriftstellerprozess gesagt.

“Genug vom Menschen geredet. Es ist Zeit, an Gott zu denken.” So sagen die, die von den Schlagzeilen erschlagen und von den Tagesthemen geschafft sind. “Genug vom Menschen geredet. Es ist Zeit, an Gott zu denken.”

Aber, liebe Gemeinde, an wen sollen wir denken, wenn wir Gott denken?

Wolfgang Borchert beschreibt einen Greis: “Du bist alt Gott, unmodern, du kommst mit unseren langen Listen von Toten und Tränen nicht mehr mit. Du kannst nichts ändern. Wir fürchten dich nicht mehr. Wir lieben dich nicht mehr. Die Theologen haben dich alt werden lassen. Deine Hosen sind zerfranst, deine Sohlen durchlöchert und deine Stimme ist leise geworden, zu leise für den Donner unserer Zeit. Wir kön­nen dich nicht mehr hören.” Also, an einen Greis sollen wir denken, wenn wir Gott denken.

Oder eine Pädagogin beschreibt eine frag­würdige Gestalt: “1. Gott ist wissenschaftlich unhaltbar. 2. Gott ist soziologisch entbehrlich.3. Gott ist moralisch unerträglich. 4. Gott ist theologisch anfechtbar.” Also, an eine fragwürdige Gestalt sollen wir denken, wenn wir Gott denken.

Oder eine Studentenzeitung beschreibt ein lächerliches Phantom: “Was immer auch dieses ‘Gott’ genannte Ding sein soll, ein gasförmiges Wirbeltier oder sonst etwas, wir sind der Meinung, dass es gar keinen Gott gibt.” Also, an ein lächerliches Phantom sollen wir denken, wenn wir Gott denken.

Und wieder andere beschreiben eine verstaubte Sagenfigur, einen himmlischen Feudalherren, einen abendländischen Fahnenträger. An wen sollen wir denken, wenn wir Gott denken?

Jesus gibt uns mit dieser Bildgeschichte eine Denkhilfe. Vergesst den alten Greis und die fragwürdige Gestalt. Übergeht das lächerliche Phantom und die verstaubte Sagenfigur. Lasst den Feldherrn und den Fahnenträger. Das Himmelreich gleicht einem König. Gott handelt wie ein König. Der Herr ist König.

So wird er in der ganzen Bibel bezeugt. Mose singt’s in seinem Lied, nachdem er mit seinen Leuten das Schilfmeer durchschritten hat: “Der Herr wird König sein immer und ewig.” Der Psalmist proklamiert’s in seinem Psalm, nachdem er die Machenschaften weltlicher Herrschaften durchschaut hat: “Der Herr ist König auf dem ganzen Erdboden.” Jesaja prophezeit’s in seiner Predigt, nachdem sein Volk in die Gefangenschaft abtransportiert wurde: “Der Herr ist unser König, der hilft uns.” Sacharja verkündigt’s in seiner Seelsorge, nach­dem die Leute kraftlos am Boden lagen: “Siehe, dein König kommt zu dir.” Paulus schreibt’s in seinem Brief: “Ehre und ewige Macht sei dem König aller Könige und Herr aller Herren.”

Auch wir müssen’s wieder zur Kenntnis nehmen, wenn wir vor Machthabern zittern, wenn wir das Ränkespiel nicht mehr durchschauen, wenn wir Unrecht leiden, wenn wir am Ende sind: Der Herr ist König.

Nun gibt uns dieses Gleichnis heute einen Einblick in seine Politik. Keinen Durch­blick bitte, denn niemand wird zum Staatssekretär ernannt. Aber der aufmerksame Leser erfährt etwas von seiner Machtpolitik, von seiner Weltpolitik und von seiner Personalpolitik.

1. Die Machtpolitik

… des Königs orientiert sich an der Lage seines Volkes.

Und die ist alles andere als beglückend. Anfangs war Königsfurcht im Lande und Ehrfurcht vor dem Herrscher. Treue zählte im Reich und Wahrheit auch. Der Friede war Wirklichkeit. Dann aber muckten sie auf. Die Gesetze wurden immer weniger be­achtet. Die Lügen wurden immer mehr beherrschend. Die Sprache der Liebe erstarb. Jeder wollte sein eigener König sein.

So wie bei uns. Die Gebote verlieren mit Lichtgeschwindigkeit an Terrain. Wer kümmert sich noch um die Richtlinien Gottes? Die Lügen haben nicht kurze, sondern immer längere Beine. Wer schert sich noch um die Wahrheit Gottes? Die Sprache der Liebe, des Verständnisses und der Zuneigung ist am Aussterben. Jeder ist sein eigener King.

Am Hof des Königs wurde diese Lage sehr wohl registriert: Das ist Ungehorsam. Das ist Aufruhr. Das ist Revolution. So kann man die Leute nicht ziehen lassen. So kann man die Dinge nicht treiben lassen. So kann die Wende nicht aussehen. Schließlich ist es sein königliches Volk und kein herrenloses Rudel. Deshalb schickt er Männer los, einmal, zweimal. Sicher werden sie knüppeln, schlagen, strafen, Aufmüpfige dünken, Widerborstige zähmen, Re­voluzzer einbuchten. Aber erstaunlicherweise tragen die Boten keine Schlagstöcke und keine Schlagringe, keine Handschellen und keine Handketten, sondern nur ein Kuvert, einen Brief, eine Mit­teilung: “Herzliche Einladung zur Hochzeit.” Mit den Aufmüpfigen will er tafeln. Mit den Widerborstigen will er festen. Mit den Revoluzzern will er die Hochzeit des Sohnes feiern. Nicht Krach gibt’s, sondern eine Party. Nicht Krieg gibt’s, sondern ein Fest. Nicht Katastrophe gibt’s, sondern eine Hochzeit.

So ist dieser Gott, der durch die Macht der Liebe seine Leute zurückgewinnen will. Ihm ist der Kurszerfall seiner Gebote nicht gleichgültig. Ihm geht die Inflation der Lüge zu Herzen. Ihm macht die Sprache des Hasses zu schaffen. “Da jammert Gott in Ewigkeit mein Elend übermaßen.” So kann man die Leute nicht vor die Hunde gehen lassen. So kann man die Dinge nicht weitertreiben lassen. So kann die letzte Wende nicht aussehen. Schließlich sind wir sein heiliges Volk und keine Zigeuner am Rande des Universums, wie Jacques Monod meinte. Deshalb schickt er Männer los, einmal, zweimal, dreimal, vielmals: ein Elia, ein Jesaja, ein Hesekiel, ein Amos, der Sohn Gottes selbst, dann ein Matthäus, ein Paulus, ein Luther, ein Bengel, ein Hofacker, immer neue Postboten der Liebe, die nur diese hochzeitliche Einladung abgeben wollten: “Kommt, denn es ist alles bereit!”

Was für finstere Gottesbilder sind bei uns im Um­lauf, was für Neuauflagen mittelalterlicher Apokalypsen? Hier riecht es nicht nach Schwefel und Rauchdampf, sondern nach Braten und Kartoffeldampf. Hier hält unser keiner kurz, hier hält uns einer aus. Hier wird nicht vorgeladen, sondern eingeladen. Auch heute steht er an der Tür derer, die Gott abgeschrieben haben, an der Tür derer, die mit sich alleine sind, an der Tür derer, die mit dem Himmel hadern: “Gott lädt uns ein zu seinem Fest.”

Die Machtpolitik des Königs heißt Liebe.

2. Die Weltpolitik

… des Königs orientiert sich an der Reaktion seiner Leute.

Und die ist alles andere als erfreulich. Die Boten fahren kalt ab. Im ersten Haus sagt der Bauer, der sich gerade auf den Acker richtet: “Hochzeit, schön wär’s, aber das Unkraut wächst mir über den Kopf. Hacken muss ich, hacken.” Im zweiten Haus sagt der Schuster, der sich über den Dreifuß beugt: “Hochzeit, prima wär’s, aber die Schuhe müssen raus. Nageln muss ich, nageln.” Im dritten Haus sagt die Hausfrau, die sich am Waschzuber zu schaffen macht: “Hochzeit, herrlich wär’s, aber die Familie braucht was zum Anziehen. Waschen muss ich, waschen.” Im vierten Haus ernten sie nur bitteren Hohn und im fünften Haus beziehen sie sogar Prügel. “Sie kümmerten sich nicht darum”, heißt es im Text. Sie hatten Wichtigeres zu tun. Sie mussten ihrer Pflicht nachkommen.

Immer haben wir andere Dinge, die vom Tisch müssen. Das Ge­schäft, der Beruf, die Familie kosten uns so viel Zeit, dass alles andere zurückstehen muss. Einen frommen Luxus können wir uns nicht leisten. Aber liebe Freunde, dort ist doch Gefahr im Verzug, wenn wir zu allem kommen, aber nicht mehr an seinen Tisch. Dort sind doch die Dinge nicht mehr in Ordnung, wenn wir nach allem sehen, nur ihm das Nachsehen geben. Dort liegt doch der Grundfehler, wo wir zu allem gehen, aber nicht mehr zu ihm hingehen. Bei der immer häufiger werdenden Pflichtenkollision darf doch nicht ausgerechnet unsere vornehmste Pflicht auf der Strecke bleiben. Wenn er sich zu uns setzen will, können wir ihn doch nicht versetzen. Unser Schaffen in allen Ehren, aber Ehre wem Ehre gebührt.

Die Boten kehren nach Hause zurück und erstatten Fehlanzeige: “Herr, die Gäste sind amtlich abgehalten, dienstlich verhindert, geschäftlich unterwegs. Sollen wir abdecken?” Aber dieser Herr, der in der Zwischenzeit das Unrecht der Leute bestraft hat, weil er auch ein Herr des Rechts und der Gerechtigkeit ist, dieser Herr gibt eine neue Order: “Gehet hin und ladet ein. Sagt’s den Armen und Abgestempelten: Kommt! Sagt’s den Krüppeln und Behinderten: Kommt! Sagt’s den Blinden und Kaputten: Kommt! Sagt’s den Randsiedlern und Außenseitern: Kommt alle her zu mir!” Die Boten überschreiten die Stadt­grenzen, die Kreisgrenzen, die Landgrenzen. Bis an das Ende der Welt wird die Einladung hinausgetragen.

Gottes Veranstaltung fällt nicht ins Wasser. Sein Vorhaben gibt er nicht auf. Niemand hat seine Gnade gepachtet. Dieser Herr ist doch nicht auf uns an­gewiesen. Wenn wir nicht kommen, stehen viele bereit. Keine Sorge, sein Tisch wird voll. Das ist die Ausweitung des Heils. Das ist die Ausbreitung seines Reiches.

Das ist die Weltpolitik des Königs.

3. Die Personalpolitik

… des Königs orientiert sich an der Kleid­ung seiner Gäste.

Und die ist zumindest in einem Fall alles andere als befriedigend. Zuerst ist es ein schönes Bild. Wie sie aus den letzten Ecken und Notquartieren herbeistolpern, nicht wissend, ob sie wachen oder träumen. Wie sie sich genieren, der arme Tropf vor dem größeren Lump und alle miteinander vor dem freundlichen Gastgeber. Zuerst ist es ein fröhliches Bild. Wie sie sich nun setzen, nicht dort, wo die Ehrenplätze, sondern wo die vollen Schüsseln sind. Wie sie ohne Tischmanieren zugreifen, weil sie den feinen Benimm noch nicht ‘raushaben. Zuerst ist es ein er­quickendes Bild. Wie sie auftauen und zutraulich werden. Wie sie anfangen zu singen, gewiss keine Sängerknaben, aus rauen Kehlen, mit zitternder Stimme, falsch und ohne Takt, aber von Herzen, das Lob dieses Herrn.

Aber dann ist es doch ein erschreckendes Bild. Wie der Hausherr persönlich den Saal betritt, durch die langen Reihen geht, jeden einzelnen genau mustert und dann vor einem stehenbleibt: “Freund, wie bist du hereingekommen und hast doch hochzeitlich Kleid an!” Am Eingang konnte man seine Kleider wechseln. Die verschmutzten Jacken und Hosen blieben draußen. Ein neuer Anzug war für jeden bereitgelegt. Der aber hatte darauf verzichtet: “Brauch ich nicht. Mein Kittel genügt!” Deshalb der strenge Befehl: Werft ihn hinaus!

Im Saal des Königs geht es festlich zu, liebe Freunde. Man kann kommen, wie man ist, denn dies gilt: “Wie du bist, so darfst du kommen, und wirst herrlich angenommen”, aber man kann nicht bleiben, wie man ist. Unsere Klamotten der Hartherzigkeit und Lieblosigkeit und Selbstgerechtigkeit passen nicht zum Fest. Wir brauchen eine neue Kleidung. Erbarmen sollen wir tragen, das andern nicht die kalte Schulter zeigt, sondern bis ins Körper­liche hinein mitfühlt. Freundlichkeit sollen wir tragen, die sich nicht in Höflichkeiten erschöpft, sondern Warmherzigkeit in eine untertemperierte Welt hineinstrahlt. Demut sollen wir tragen, die nicht mit Katzbuckeln um die Fensterplätze kämpft, sondern bei den Niedrigen mitmischt. Sanftmut sollen wir tragen und Geduld, die nicht die Kontrolle über sich verliert, sondern den langen Atem behält. Und um alles herum gehört der Gürtel der Liebe, der alles zusammenhält und so zum Hochzeitsanzug macht. Diese Kleid­ung hat auch Jesus getragen. An ihm sehen wir, dass sie passt. Die Mode des Reiches Gottes steht uns. Umsonst liegt sie für jeden bereit.

Denken wir daran, an die Festkleidung, an die Festeinladung, an das Festmahl, an den Herrn des Festes, denn es ist Zeit, an Gott zu denken.

Amen


[Predigtmanuskript; nicht wortidentisch mit der Aufnahme]