Einführung in die Vergebungsbitte des Vaterunsers
Wir wollen uns nun in dieser zweiten Einheit der nächsten Bitte im Vaterunser zuwenden: der Vergebungsbitte. Sie lautet: „Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.“
Diese Bitte ist ein zentrales Anliegen im Gebet. Ich habe dazu wieder fünf Punkte notiert, die wir gemeinsam betrachten werden.
Das Wesen der Schuld und ihre Unausweichlichkeit
Schuld als irreparables Wesen
Erstens konfrontiert uns die Vergebungsbitte mit dem Wesen der Schuld. Schuld gehört seit dem Sündenfall zum Menschsein dazu. Sie ist nicht etwas, das einfach an uns klebt, sondern etwas, das sich durch unser Wesen und unser Menschsein hindurchzieht. Schuld kennzeichnet unser Wesen genauso wie der Hunger, um dessen Stillung wir in der Brotbitte gebeten haben.
Schuld hat eine ganze Vielfalt von verschiedenen Dimensionen. Alle diese Dimensionen gehören zusammen und müssen beachtet werden. Nur so kann ich Schuld wirklich verstehen.
Einmal ist Schuld immer irreparabel. Das bedeutet auch, dass ich sie nicht wiedergutmachen kann. Jeder Mensch hat das elementare Bedürfnis, begangene Schuld wiedergutzumachen. Das mag in dem einen oder anderen Fall scheinbar mehr möglich sein als in einem anderen. Doch gleichzeitig, weil Schuld immer vor Gott geschieht, ist Schuld immer etwas Irreparables – etwas, das ich im eigentlichen Sinne nie wiedergutmachen kann.
Keiner von uns kann sich Gott so zurückgeben, wie er sich selbst aus Gottes Händen empfangen hat. Uns allen ist der Weg zurück zum Garten Eden versperrt. Keiner kann mehr in diesen Zustand der Unversehrtheit zurückkehren. Niemand kann mehr in diese paradiesische Wirklichkeit zurückkehren. Wir bekommen die Zerbrochenheit unseres Wesens nicht mehr gekittet.
Das ist die tiefste Dynamik dieser Schuld: Wir haben etwas getan, das wir im allerletzten, im allertiefsten nicht mehr rückgängig machen können. Wir können es im einen oder anderen Fall gegenüber einem Menschen vielleicht abmildern, aber gleichzeitig bleibt die Tat bestehen. Ich kann sie nicht mehr ungeschehen machen, und schon gar nicht gegenüber Gott.
Gott hat uns wunderbar gemacht, und so wunderbar, wie er uns gemacht hat, so wunderbar kann er uns eigentlich auch wieder zurückverlangen. Er hat ein Recht auf die Unversehrtheit, die er uns geschenkt hat, als er uns gemacht hat. Gott wird uns diese Frage einmal stellen:
Ich habe dir Augen gegeben, um meine Herrlichkeit zu sehen – und was hast du alles damit angesehen?
Ich habe dir einen Mund gegeben, um meinen Lob zu verkündigen – um wie viel faules Geschwätz hast du damit geredet?
Ich habe dir Hände gegeben, um deinem Nächsten meine Liebe zu zeigen – und wie viele Mauern hast du damit gebaut zwischen dir und deinem Nächsten?
Ich habe dir den Verstand gegeben, um meine Schöpfung zu gestalten – und du hast sie mit häuflicher Genialität kaputt gemacht.
Wir alle werden einmal vor Gott stehen. Dann wird es so sein, als stünden wir vor einem Menschen, der alles weiß, was wir über ihn je gesagt und gedacht haben. Und wir werden auf tausend seiner Fragen nicht eine Antwort wissen.
Das ist die Problematik der Schuld. Diese Hypothek trägt jeder Mensch immer schon mit sich herum: Schuld ist irreparabel.
Schuld als überindividuelles Verhängnis
Schuld ist immer auch überindividuell. Verzeihen Sie, wenn ich dabei gelegentlich Fremdwörter benutze. Das liegt an der mangelnden Vorbereitungszeit. Manchmal fällt mir das passende deutsche Wort nicht ein, und dann schleicht sich ein bisschen Theologengeblubber ein. Ich bemühe mich jedoch, alles zu erklären. Am Ende des Punktes wissen Sie dann ungefähr, was gemeint ist, und können sich heute Nachmittag noch eine passende Übersetzung überlegen.
Schuld ist überindividuell. Das bedeutet, Schuld kennzeichnet eine Art Verhängnis. Schuld ist immer beides: eine elementare Tat und zugleich ein Verhängnis, etwas, in dem ich gefangen bin und aus dem ich nicht mehr herauskomme.
Schuld als Schuldverhängnis prägt alle unsere Beziehungen. Von Anfang an stehe ich in schuldhaften Beziehungen, ohne dass ich mich bewusst dafür entschieden habe. Ich bin eingebunden in Beziehungen, Strukturen und Verhältnisse, die schuldhaft sind und aus denen ich nicht entkommen kann. Ich lebe in Gesellschaftsstrukturen und Wirtschaftssystemen, die ebenfalls von dieser Schuld geprägt sind.
In den Kriegspredigten war es leicht, diese Schuldverflochtenheit der Situation mitten im Krieg aufzuzeigen. Man befindet sich in einem fürchterlichen Krieg, sieht sich mit Lebensgesetzen konfrontiert, denen man gehorchen muss, aus denen man nicht herauskommt – und die dennoch schuldhaft sind.
Für mich ist das auch heute noch ein aktuelles Phänomen, zum Beispiel die BSE-Krise. In Deutschland diskutieren wir gerade, ob man 400 Rinder einfach – man nennt es nicht mehr „schlachten“ oder „töten“, sondern „vernichten“ – vernichten kann. Das ist eine Krise im Umgang mit dem Leben, auch wenn es sich um tierisches Leben handelt. Leben, das gezeugt wurde und von Gott geschenkt ist, wird nun aus ganz materiellen Erwägungen vernichtet.
Ich kann die Landwirte verstehen – wer könnte sie nicht verstehen? Sie sagen: „Mensch, bevor unser Betrieb zugrunde geht ...“ Hier wird greifbar, wie wir in Strukturen und Systemen gefangen sind, die uns immer schuldig werden lassen oder uns zumindest schuldig erscheinen lassen. Und wir alle sind mittendrin.
Ich kann mich als Verbraucher, als Fleischesser, als Mitglied dieser Gesellschaft nicht einfach daraus herausziehen und sagen: „Das sind die anderen, die Bauern, die Politiker oder die Verhältnisse.“ Wir alle haben die große Gabe, mit dem Zeigefinger auf die anderen zu zeigen. Ebenso groß ist unsere Fähigkeit, uns selbst freizusprechen.
Doch das ist meine Schuld ebenfalls. Wir stehen in Zwängen und Verhältnissen, die wir alle mehr oder weniger aktiv mitgestalten. Das lässt sich an der Umweltproblematik deutlich machen. Wir leben in einem Umweltklima, das von Schuld geprägt ist. Wir alle leiden darunter, und wir alle tragen in unterschiedlichem Ausmaß zur Umweltproblematik bei.
An diesem Beispiel sieht man auch, wie wir alle betroffen sind – allerdings in unterschiedlichem Maße. Wir alle verschmutzen die Umwelt mehr oder weniger, aber wir werden nicht alle im gleichen Maß von den Folgen getroffen, wie es vielleicht gerecht wäre. Kleine Kinder, die relativ unbeteiligt sind, wenn man von aktiver Sünde ausgeht, leiden oft am stärksten. Sie sind beispielsweise besonders anfällig für Neurodermitis und andere Umweltkrankheiten.
Wir alle produzieren mit, und wir alle werden in unterschiedlichem Ausmaß getroffen. Das meine ich mit dieser überindividuellen Schuldverflochtenheit.
Was draußen in den Strukturen dieser Welt geschieht, die uns so verheerend schuldbeladen erscheinen, ist immer nur das makrokosmische Spiegelbild dessen, was sich auch in meinem Herzen abspielt. Die Welt, wie sie ist, ist der Makrokosmos meines eigenen Herzens. Oder anders formuliert: Diese babylonische Welt, die wir wahrnehmen, ist das Spiegelbild meines babylonischen Herzens. Die babylonische Welt kommt immer aus meinem babylonischen Herzen heraus.
Es ist nichts, wovon ich mich absondern, wovon ich mich entziehen oder aussteigen könnte. Ganz gleich, wohin ich auf dieser Welt gehe, es bleibt immer dieses Spiegelbild.
Deshalb: Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, dass das Vaterunser im Plural formuliert ist? Besonders die Bitte im Plural. Es heißt nicht „Und vergib mir meine Schuld“, sondern „Und vergib uns unsere Schuld“. Denn es ist unsere aller Schuld, eine Weltschuld, in die wir mitten hineingewoben sind.
Umgekehrt kann ich mich von den Strukturen dieser Welt nicht pharisäerhaft distanzieren und sagen: „Die sind schuld.“ Ich bin immer mittendrin. Mit der Vergebungsbitte bitte ich automatisch auch für die Schuld der Welt mit: „Vergib uns allen unsere Schuld“, auch denen, die mir vielleicht fremd sind und ebenfalls mitschuldig sind.
Schuld als aktiver Verstoß und passives Schuldigbleiben
Dann gibt es die Schuld, und das ist vielleicht das, was uns immer vor Augen steht und uns am nächsten liegt: Schuld ist der aktive Verstoß gegen das Gebot Gottes, die bewusste Rebellion gegen die Ordnung, die Gott gibt.
Hier muss ich nicht groß ausholen. Es sind die vielen aktiven Dinge, die wir zum Beispiel gegen die zehn Gebote oder gegen die Ordnung, die Jesus gegeben hat, immer wieder tun. Wir übertreten Gebote, missachten sie bewusst.
Aber viel umfassender als das, was uns vielleicht vor Augen steht und wo wir uns in vielen Dingen sagen könnten: „Ich entschuldige mich, weil ich hier nicht betroffen bin, ich halte sehr viele Gebote in meinem Alltag“, ist die viel bedrängendere vierte Dimension dieser Schuld. Diese Schuld wird von Jesus gerade im passiven Unterlassen des Gebotenen angeprangert.
Ganz massiv zeigt sich das in dem Gleichnis vom großen Weltgericht, wo die Frage auftaucht, dass man die Gefangenen nicht besucht hat, die Hungernden nicht zu essen gegeben hat, die Durstigen nicht zu trinken gegeben hat, die Fremden nicht aufgenommen hat. Diese Stelle finden wir in Matthäus 25.
Wir können das mal kurz lesen: Dort sagt der König zu denen zu seiner Rechten: „Kommt her, ihr Gesegneten, denn ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mir zu essen gegeben“ (Matthäus 25,35). „Ich bin durstig gewesen, und ihr habt mir zu trinken gegeben. Ich bin ein Fremder gewesen, und ihr habt mich aufgenommen. Ich bin nackt gewesen, und ihr habt mich gekleidet. Ich bin krank gewesen, und ihr habt mich besucht. Ich bin im Gefängnis gewesen, und ihr seid zu mir gekommen“ (Matthäus 25,35-36).
Dann gibt es die andere Gruppe, die fragt: „Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen und dir zu essen gegeben? Oder durstig und dir zu trinken?“ Und Jesus antwortet: „Was ihr nicht getan habt für einen dieser Geringsten, das habt ihr mir nicht getan“ (Matthäus 25,44-45).
Obwohl es nicht ausdrücklich in der Bibel geboten ist, all diese Dinge zu tun, ist es dennoch ein Gebot, am Nächsten nicht einfach so vorbei zu gehen, an der Not des Nächsten nicht einfach vorbeizusehen.
Und genau an diesem passiven Schuldigbleiben leiden wir immer wieder. Keiner von uns kommt aus diesem passiven Schuldigbleiben heraus, in dem wir anderen schuldig bleiben.
Wir alle stehen in einer vielfältigen Spannung in unserem Leben. Ich muss es immer wieder in meinem persönlichen Leben schmerzlich einsehen: Ich bleibe allen Menschen, die Gott mir vor die Füße stellt, sehr viel schuldig. Allen.
Ich habe das in meiner Predigt zum Ausdruck gebracht: Ohne Jesus hätte ich ein gemütlicheres Leben. Man sagt ja immer: Komm zu Jesus, und bei dir geht alles in Ordnung, deine Familie wird glücklich, mit den Kindern wird alles gut.
Ohne Jesus hätte ich ein gemütlicheres Familienleben. Dann hätte ich kein CVatM und kein Bengelhaus, dann könnte ich vielleicht acht Stunden bei Damer Chryser arbeiten oder eine 35-Stunden-Woche haben. Man käme heim zum Kaffee und hätte den Abend für sich.
Gerade der Einsatz für Jesus, dem ich am allermeisten schuldig bleibe in meinem Leben, führt zu diesen Spannungen. Ich bleibe meiner Frau, meinen Kindern, meinen Studenten, für die ich da bin, viele schuldig. Ich bleibe den Ziffern Ems, deren Vorsitzender ich sein soll, im Land viele schuldig.
Ich bleibe allen Dimensionen, in die mich Gott hineingestellt hat, immer ungenügend. Im Letzten ungenügend. Ich erlebe das gerade sehr schmerzhaft.
Mein Nachbar – wir wohnen in einem Mehrfamilienhaus im vierten Stock – ist krebskrank, in der letzten Phase seines Lebens. Immer wenn ich an seiner Tür vorbeigehe, bitte ich Gott: „Gib mir noch einmal eine Gelegenheit, mit ihm zu reden.“ Ich möchte so gern noch einmal mit ihm sprechen, bevor es zu spät ist.
Ich weiß nicht, wie viele Wochen oder Monate ihm noch gegeben sind. Ich habe immer mal leise an seine Tür angeklopft, im Gespräch im Treppenhaus versucht, einen Zugang zu finden. Aber er hat nie aufgemacht.
Jetzt merke ich, wie mir die Zeit verrinnt, wie ich selbst wenig Zeit habe und so oft nicht dazu komme, zu schauen, ob man noch einmal an ihn herankommt.
Das sind elementare Dinge, bei denen ich Menschen gegenüber schuldig bleibe, ein Zeugnis schuldig bleibe. In vielen, in allen Dimensionen meines Lebens kann ich dem Gebot Gottes nicht genügen.
Uns allen wird es so gehen. Wir merken, dass wir Verwandten, Eltern und Beziehungen nicht genügen. Beziehungen, die wir immer wieder enttäuschen werden.
In der Begrenztheit unseres Lebens – und auch das ist Schuld. Schuld, die uns einmal vor Augen gestellt werden wird, Schuld, die wir nicht von uns weisen können: dieses passive Schuldigbleiben am Anderen.
All das kommt auch in der Bitte zum Ausdruck: Vergib uns die Schuld. Diese Schuld besteht darin, dass wir vielen Beziehungen unseres Lebens, nein, eigentlich allen Beziehungen unseres Lebens immer wieder schuldig bleiben – angefangen bei Jesus selbst.
Schuld nur vor Gott ertragbar
Was in dieser Bitte, in dieser Vergebungsbitte auch zum Ausdruck kommt, ist, dass Schuld immer nur im Angesicht Gottes ertragen werden kann. Schuld ist nur vor Gott erträglich. Deshalb kann ich Schuld auch nur im Gegenüber vor Gott aushalten.
Wenn ein Mensch Gott nicht kennt, muss er Schuld immer verdrängen oder überspielen. Schuld ohne das Angesicht Gottes ist immer unerträglich. Was sollte er sonst tun? Schuld hat eine zerstörerische Dynamik, die nur vor dem heilenden Angesicht Gottes ausgehalten und ertragen werden kann.
Wir erleben in dieser Welt einen riesigen Schuldverschiebebahnhof. Angefangen sieht man es im dritten Kapitel des ersten Buchs Mose, wie Schuld von Adam auf Eva verschoben wird, von Eva auf die Schlange. So wird Schuld von einem zum anderen geschoben. Ähnlich wie diese Dioxinkanister, die lange Zeit durch Europa transportiert wurden und bei denen der Dreck von einem zum anderen weitergegeben wurde, schieben wir Schuld immer weiter – ein riesiger Schuldverschiebebahnhof.
In der Politik kann man das jeden Abend beobachten, wenn Verantwortungen weitergeschoben werden. Die Bitte des Vaterunsers drückt zunächst aus, dass ich vor Gott zu meiner Schuld stehen kann. Ich werde sie nicht nur los, sondern kann vor Gott auch über meine Schuld sprechen.
Deshalb bindet Jesus diese Bitte in das Gebet ein. Nur in diesem Gebet, nur vor Gott kann ich Schuld aushalten. Dabei stellen wir uns nicht vor eine anonyme Allwissenheit Gottes, die alles anonym weiß – eine Art Big-Brother-Phänomen. Stattdessen stellen wir uns vor Gott immer vor die Liebe Gottes, die gerade diese Schuld aushält. Diese Liebe hat selbst, in Jesus, die Schuld ertragen.
Schuld muss gesühnt werden
Und das ist die – das war jetzt E: Schuld ist nur erträglich vor Gott. Und dann F: Schuld muss gesühnt werden. Das ist die nächste Dimension, die hier aufleuchtet – der Zwang, dass Schuld gesühnt werden muss.
Wir würden die Vergebungsbitte gründlich missverstehen, und ich fürchte, sehr viele Menschen verstehen diese Bitte ganz gründlich falsch, wenn wir von einer Art göttlicher Sentimentalität ausgehen. So einer Art Weichkeksmentalität Gottes, Gott als seniler alter Mann mit langem Bart im Himmel, der nicht mehr so genau hinschaut und in seniler Weichlichkeit einfach Schwamm drüber sagt: „Halb so schlimm, drücken wir beide Augen zu.“ Nein, so ist Gott nicht.
Nicht der französische Religionskritiker Voltaire hat es hier mal in einer Art Spott zum Ausdruck gebracht. Er sagte: „Pardonnez ce sans Metier“ – vergeben ist das Metier Gottes, vergeben ist der Job Gottes, was anderes kann er nicht, Gott ist zum Vergeben da. Das war ein grobes Missverständnis. So ist Gott sicher nicht.
Dieses Gebet um die Vergebung der Schuld, das Jesus im Vaterunser unserer Gemeinde, seinen Jüngern, anbefohlen hat, ist nur möglich auf der Grundlage des Kreuzes. Im Grunde kann niemand anders das Vaterunser hätte beibringen können als Jesus selbst, weil niemand anders die Vollmacht gehabt hätte, die Vergebungsbitte einem anderen Menschen zu eröffnen.
Wer könnte so eine Bitte als Mensch einem anderen Menschen anbieten? Nur Jesus ist in der Lage, dieses Gebet zu lehren, weil nur Jesus persönlich dafür einsteht, dass diese Bitte auch erfüllt werden kann, dass diese Bitte überhaupt erhört werden kann. Nur weil Jesus uns das Vaterunser lehrt, können wir es beten. Kein anderer hätte es uns lehren können. Wäre das Vaterunser von irgendjemand anderem gelehrt worden, wäre die Bitte um die Vergebung nichts mehr als eine leere Floskel.
Übrigens: Auch dieses Gleichnis vom verlorenen Sohn ist nur deshalb bedeutsam, weil Jesus es erzählt hat. Die Geschichte vom verlorenen Sohn wäre, wäre sie von irgendjemand anderem erzählt worden, nichts anderes als eine schmalzige Story, wäre nichts anderes als literarischer Käse.
Die Pointe dieser Geschichte ist ja, dass man eigentlich tun und machen kann, was man will. Da hat dieser Sohn alles verbröselt, was ihm am Kapital geschenkt worden ist, alles, was der Vater ihm gegeben hat, hat er in den Kamin gesteckt, in Rauch aufgehen lassen, hat alles kaputt gemacht, kommt heim, und dann schmeißt sich dieser Papa in einer Art sentimentaler Weichlichkeit dem Sohn um den Hals.
Man kann nur sagen: Nicht mehr als ein Groschenroman, nicht mehr als Schundliteratur. Eigentlich kann man diese Geschichte, wäre sie nicht von Jesus erzählt worden, keinem Jugendlichen zumuten, weil die Botschaft ja schlicht und ergreifend wäre: Man kann machen, was man will, Gott macht am Ende eh wieder alles gut.
Diese Geschichte bekommt ihre ganze Bedeutung ausschließlich dadurch, dass Jesus sie erzählt hat und dass er mit seinem eigenen Leben und Sterben dafür eingetreten ist, dass dieses Nachhausekommen nicht scheitert, dass dieser Vater die Arme öffnen kann. Nur weil Jesus am Kreuz die Arme ausgebreitet hat, kann auch der Vater die Arme ausbreiten. Diese Geschichte ist einzig und allein nur deshalb biblisch, weil Jesus sie erzählt hat.
Und in gleicher Weise ist die Vergebungsbitte im Vaterunser nur aus diesem einzigen Grund möglich, weil Jesus selbst in Person dafür garantiert, dass diese Vergebung auch möglich wird, weil er die Sühne geleistet hat, weil er die Schuld getragen hat, weil er sie übernommen hat.
Nur aus diesem Grund können wir um Vergebung bitten. Nur aus diesem Grund, weil Jesus uns dieses Gebet gelehrt hat, können wir das Gebet beten – mit der Verheißung, erhört zu werden.
Das war das Erste: Die Vergebungsbitte konfrontiert uns mit dem Wesen der Schuld.
Das Zweite: Jetzt habe ich einen Fremder, mir ist nichts Besseres eingefallen, aber ich erkläre es wieder: Die Vergebungsbitte spiegelt die doppelte Relationalität meines Wesens wider.
Was heißt das? Das heißt ganz einfach: Die Vergebungsbitte zeigt, dass mein Leben immer in zwei Dimensionen abläuft, dass mein Leben sich immer in zwei Beziehungsfeldern bewegt – in einer Beziehung zum Vater und in einer Beziehung zu meiner Umwelt.
Diese horizontale Beziehung meines Lebens kann man wieder dreifach aufgliedern: eine Beziehung zu mir selbst. Wie auch wir vergeben unseren Schuldigern, bedeutet das auch, wie ich mir selbst vergebe.
Wir sind uns oft selbst die Schuldigen. Wir beschuldigen uns unendlich oft selbst. Und viele psychische Probleme, viele Probleme in der Seelsorge haben ja damit zu tun, dass wir uns selber beschuldigen, dass wir uns selber fertig machen.
Und die Vergebung Gottes hat immer eine direkte Dimension dadurch, dass ich nicht nur den anderen vergebe, sondern immer auch mir selbst vergebe – immer auch eine Selbstheilungsfunktion hat.
Diese horizontale Dimension – eine Dimension gegen eine Beziehung: Ich habe eine Beziehung zu mir selbst, eine Beziehung zu meinen Mitmenschen und eine Beziehung zu den Dingen, zu der Umwelt, zu den Gegenständen meines täglichen Lebens, zu der Welt, in der ich lebe.
Und diese zwei Relationen zu Gott und diese horizontale Dimension, diese dreifache Dimension zu mir selbst, zu den Mitmenschen, zu den Dingen, die kommt in dieser Vaterunser-Bitte in den Blick.
Zum ersten Mal im Vaterunser kommt ausdrücklich der Mitmensch ins Gespräch. Ich weiß nicht, ob es Ihnen schon einmal aufgefallen ist: Zum ersten Mal im Vaterunser taucht hier der Mitmensch auf: „Wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.“
Klar, bei der Bitte um das Kommen des Reiches Gottes, um die Heiligung seines Namens usw. ist natürlich auch ein sozialer Horizont drin. Aber ausdrücklich kommt der Mitmensch zum allerersten Mal hier ins Gespräch, zum allerersten Mal bei der Vergebungsbitte.
Das bedeutet streng genommen, dass ich die Beziehungen meines Lebens immer auch – nicht nur, aber immer auch – unter dem Schuld- und Vergebungsaspekt sehen muss, dass in jeder Beziehung, die ich habe, Schuld und Vergebung eine elementare Schlüsselrolle spielt.
Ich kann keine Beziehung meines Lebens verstehen ohne diese Dimension von Schuld und Vergebung. Und ich kann nun auch beide Beziehungen – die Beziehung zum Vater, zu Gott, und die Beziehung zu mir selbst, meinen Mitmenschen, meiner Umwelt – niemals aufheben.
Ich habe eine Beziehung. Ich kann diese Beziehungen verleugnen. Viele Menschen verleugnen die Beziehung zu Gott, viele Menschen, vielleicht auch wir, verleugnen konkrete Beziehungen zu Mitmenschen. Es gibt Menschen, die Beziehungen zu sich selber verleugnen, die sich selbst verleugnen.
Es gibt konkrete Formen von Arbeitssucht, Workaholics, die eine Beziehung zu sich selbst verleugnen. Ich kann die Beziehung zu meinem Körper verleugnen, dann werde ich krank, dann kriege ich irgendeinen Herzinfarkt oder einen Kollaps oder einen Schlaganfall.
Ich kann sehr viele Beziehungen verleugnen, aber ich kann sie nicht aufheben. Ich habe eine Beziehung, ich habe eine Beziehung zu meinem Vater, ob ich es will oder nicht, zu meinem leiblichen Vater und zu meiner Mutter.
Ich kann die Beziehung zu meinen Eltern verleugnen, ich kann so tun, als gäbe es sie nicht. Es gibt Menschen, die die Beziehung zu ihren Eltern, zu ihrem Vater und ihrer Mutter verleugnen – aus welchen Gründen auch immer.
Es gibt Menschen, die die Beziehung zu ihren Kindern verleugnen. Aber ich habe diese Beziehung, sie ist da, sie ist eine objektive Realität, ob ich das anerkenne oder nicht.
Und jetzt ist eines wichtig: Wir können keine Beziehung unseres Lebens verleugnen, ohne dass wir dadurch schadlos bleiben. Das gilt für alle Beziehungen.
Ich kann keine Beziehung meines Lebens verleugnen, ohne dass ich selber dadurch unberührt und schadlos bleiben könnte. Es gilt für die Beziehung zu Gott wie zur Beziehung zu meinen Eltern, zu meinen Kindern, zu den Menschen, die mir Gott vor die Füße gestellt hat.
Es gilt zur Beziehung zu mir selbst und zur Beziehung zu meiner Umwelt.
Jede verdrängte und jede totgeschwiegene Beziehung wird uns irgendwann einmal wieder einholen. Jede verdrängte und totgeschwiegene Beziehung wird uns irgendwann wieder einholen.
Das gilt für die Beziehung zu Gott wie für die Beziehung zu unseren Mitmenschen.
Und deshalb kann ich Schuld und Vergebung aus diesen Beziehungen und aus dem Verstehen dieser Beziehungen nie ausklammern. Sie ist immer der Schlüssel, immer der Schlüssel für alle Beziehungsverhältnisse meines Lebens.
Ich kann das Gelingen und das Misslingen von Beziehungen gar nicht anders verstehen ohne diese Dimension, und ich werde sie auch niemals gestalten können, niemals heilen können, wenn ich diesen Aspekt von Schuld und Vergebung ausblende oder verschweige.
Das meinte ich: Die Vergebungsbitte spiegelt immer die doppelte Relationalität meines Lebens, meines Wesens auch wider.
Das Dritte: Die Vergebungsbitte zwingt mich, zuerst von der eigenen Schuld zu reden.
Die Vergebungsbitte zwingt mich, zuerst von der eigenen Schuld zu reden: „Vergib uns unsere Schuld, meine Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern deren Schuld.“
Die Reihenfolge ist ganz, ganz entscheidend im Vaterunser. Diese Vaterunser-Bitte, diese Vergebungsbitte, zwingt mich zuerst, von der eigenen Schuld zu reden.
Bevor ich von der Schuld der anderen spreche, muss ich mich der eigenen Schuld stellen. Das ist nie Zufall.
An dieser Stelle wird dieses große, gigantische Schuldverschiebespiel, von dem ich vorher gesprochen habe, beendet, durchbrochen.
Wir wissen ja alle in der Regel sehr genau, was die Schuld des beziehungsweise der anderen ist. Und wenn man erst einmal die Schuld aller anderen bestimmt hat, fällt es einem immer noch ein bisschen leichter, das eigene kleine Portionchen, das man eventuell möglicherweise unter Umständen selber noch dazu beigetragen hat – es ist ja aber allenfalls ein Portionchen, allenfalls eine Bagatelle – einzugestehen.
Wenn man erst einmal richtig alle anderen abgebürstet hat, dann könnte ich vielleicht noch mein kleines, kleines, mickriges Quäntchen auch noch eingestehen. Dann fällt es uns ein bisschen leichter.
Die Vaterunser-Bitte beendet dieses Schuldverschiebespiel. Sie konfrontiert mich zuallererst mit der eigenen Schuld. Sie zwingt mich, zunächst einmal von meiner Schuld zu reden, dieser eigenen Schuld ins Gesicht zu schauen, bevor ich mich der Schuld der anderen zuwenden darf.
Aus diesem Grund übrigens konfrontiert die ganze Bibel mich immer zuerst mit meiner Schuld, stellt mir immer zuerst meine Schuld vor Augen, bevor ich legitimiert bin, einen Blick auf andere Schuld zu werfen.
Aus diesem Grund beantwortet mir die Bibel ja auch nicht die Frage nach dem Woher des Bösen.
Man kann ja trefflich diskutieren und darum ringen, woher das Böse in dieser Welt eigentlich kommt. Eine Frage, die mittlerweile schon von säkularen Magazinen wie dem Stern oder dem Spiegel gestellt wird. Der Fokus hat es auch mal auf die Tagesordnung der Redaktion gesetzt: Woher kommt das Böse in dieser Welt?
Und es ist ja eine uralte Frage der Menschheit, eine der Grundfragen der Menschheit, die jede Philosophie in irgendeiner Weise beantworten muss: Wie begründe ich eigentlich, dass es so viel Böses, so viel Negatives, so viel Unheil in dieser Welt gibt?
Man kann diese Frage der Bibel stellen und bekommt von der Bibel keine Antwort darauf.
Auch der Hinweis auf Satan, auch der Hinweis auf den Teufel, der elementar mit dem Bösen zu tun hat, ist nicht die Antwort auf die Frage nach dem Woher.
Der Teufel ist nur die Antwort auf die Frage nach dem Wodurch, nicht auf die Frage nach dem Woher.
Durch ihn wird Sünde vermehrt, produziert, aber er ist nicht der Ursprung.
Die Sünde, die die Bibel beantwortet mir auf ganz eigenartige Weise diese Frage nicht, und man fragt sich, warum bekomme ich, so sehr ich forschen kann und so sehr ich nachfragen will, keine Antwort darauf?
Und die Antwort ist: Weil die Bibel mich nie aus dem Schneider lässt.
Hätten wir eine Antwort, hätten wir eine Entschuldigung, hätte ich, würde ich von der Bibel eine Antwort nach dem Woher des Bösen bekommen, wäre ich aus dem Schneider.
Und die ganze Bibel tut immer nur eines: Sie zeigt mir diesen – sie hält mir diesen Spiegel hin und sagt es: Du bist es! Du bist der Mann!
So wie Nathan dabei diesen Spiegel vorhält und sagt: „Du bist der Mann!“
So tut mir die Bibel einen riesigen Spiegel auf allen ihren Seiten vorhalten, um mir das eine deutlich zu machen: Ich kann meine Schuld nicht abschieben, ich kann meine Schuld nicht erklären.
Wenn ich meine Schuld erklären kann, habe ich sie entschuldigt. Aber so kann ich immer nur sagen: Ich bin es, und ich kann es nicht abschieben, ich muss die volle Verantwortung dafür übernehmen.
Indem die Bibel die Schuld aber auf meinem Kopf stehen lässt, gibt sie mir auch die Chance und die Möglichkeit, dass ich mich für diese Schuld verantworte, nicht entschuldige, aber verantworte und dadurch Persönlichkeit bleibe.
Ich beschreibe das immer in diesem Beispiel eines sechzehnjährigen Ladendiebs.
Ein Sechzehnjähriger geht in einen Laden und klaut. Er wird erwischt. Der Ladeninhaber holt die Polizei. Jetzt beginnt das Verhör, und jetzt hat dieser Sechzehnjährige zwei Möglichkeiten.
Er kann entweder sagen: „Ich bin nicht verantwortlich für diese Tat, weil ich aus einer asozialen Familie komme, aus einem verheerenden Milieu, weil ich eine Sozialisation erfahren habe, die mich im Grunde dazu zwingt, so zu handeln, die mir gar keine andere Möglichkeit lässt, mein Leben so zu entfalten, dass ich eben stehle.
Ich habe nie etwas anderes gelernt, mir wurde nie etwas anderes gezeigt, ich habe überhaupt von meiner ganzen Milieu her, mit meinen ganzen Freundschaften und so – ich muss eigentlich stehlen, ich kann gar nicht anders.“
Wenn er so argumentiert – und man könnte ja so argumentieren – begibt er sich auf die Ebene eines instinktgetriebenen Tieres.
Tiere handeln immer instinktgetrieben, es ist ein innerer gesetzlicher Prozess, wie Tiere reagieren und handeln, und auf diese Weise lehne ich es ab, Persönlichkeit zu sein.
Ich bin immer nur Objekt, Objekt einer inneren Programmierung.
Indem mir Gott aber die Schuld auf die Nase drückt und sagt: „Du bist es!“, gesteht mir die Bibel zu, dass ich mich verantworte, dass ich mit einem Wort Antwort gebe und Persönlichkeit bleibe.
Indem zum Beispiel der Sechzehnjährige aufsagen kann: „Ja, ich habe es getan, und ich übernehme die Verantwortung für diese Schuld.“
In dem Moment sagt dieser Sechzehnjährige zu sich selbst: Die Bibel gibt mir die unglaubliche Würde, dass ich Ich zu mir selber sagen darf und dass ich mein Tun und mein Handeln nicht auf ein Es abschieben muss, das in mir irgendetwas hervorbringt, sondern dass ich Ich sagen darf zu mir selber, Verantwortung übernehmen darf – auch für meine Schuld.
Indem mich die Bibel und das Vaterunser zwingen, immer zuerst von der eigenen Schuld zu reden, ebnen sie mir den Weg zur Persönlichkeit.
Ebenen Sie mir den Weg zur Persönlichkeit!
Wir erleben eine gigantische Flucht einer ganzen Generation heute von der Verantwortung weg, von der Chance weg, Persönlichkeit zu werden.
Ich rede nicht von irgendwelchen asozialen Jugendlichen, ich rede auch von unseren Theologiestudenten, ich rede auch von mir, von diesem Ansatz, der immer in uns drin liegt, vor der eigenen Schuld zu fliehen, vor der eigenen Verantwortung auszuweichen, sich zu verdrücken.
Wir haben Theologiestudenten, die in den entscheidenden Phasen ausbüchsen – ausbüchsen vor einem Examen, ausbüchsen vor der Verbindlichkeit in einer Beziehung, wenn es ans Heiraten geht, wenn es an diese letzte Entscheidung geht, dass man sich noch mal davonstiehlt, nicht die Verantwortung übernimmt.
Verantwortung im Blick auf den Beruf: In Deutschland brechen 23 % aller Azubis die Ausbildung ab.
Flucht! Es kann schlimme Ausbildungen geben, ist gar kein Thema, aber dass ich mich in den schwierigen Phasen des Lebens immer verabschiede, bedeutet: In den entscheidenden Phasen des Lebens vermag ich es nicht mehr, Ich zu sagen zu mir selber, zu sagen: Ich habe ein Problem, ich habe eine Schwierigkeit, ich habe…
Dann kann man sehr viel argumentieren: Die Professoren sind schuld, die Lehrer sind schuld, die Ausbildungsschwestern in Heidlingen sind schuld, das Klima hier ist schuld und die Witterung sowieso.
Die Bibel gibt mir die riesige Chance, Ich zu sagen zu mir selber und mich meinen Defiziten, meiner Schuld zu stellen und sie gerade so zu bewältigen.
Indem sie mich zwingt, zuallererst einmal von meiner Schuld zu reden, bevor ich von der Schuld der anderen rede, die es sicher auch gibt und geben mag in meinem Leben.
Ich bin immer Täter und Opfer zugleich, aber die Bibel stellt mich immer zuerst als Täter vor, bevor sie mir in meiner Opferrolle sich an die Seite stellt.
Und nur indem sie das tut, ebnet sie mir den Weg auch zu echtem Frieden, zu echter Versöhnung und zu echter Gemeinschaft.
Das Vierte: Die Vergebungsbitte schließt den Rachegedanken aus.
Die Vergebungsbitte ist die einzige Bitte des Vaterunsers, die mit einer Selbstverpflichtung verbunden ist: „Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.“
Die Vergebungsbitte ist die einzige Bitte des Vaterunsers, die mit einer Selbstverpflichtung verbunden ist.
Und da kommt ein weiterer Wesenszug unserer Existenz zum Ausdruck: Unser Leben trägt die Bestimmung, Echo zu sein.
Wir sollen ein Echo sein auf die Liebe Gottes.
Ich kann nicht um die Vergebung für eigene Schuld bitten und gleichsam an den Rachegefühlen und Racheabsichten gegenüber meinen Schuldigern festhalten.
Es geht nicht!
Die Verheißung der Vergebung ist an die eigene Vergebungsbereitschaft geknüpft, und wenn wir es nicht lernen, die Liebe und die Vergebung Gottes weiterzugeben, dann fängt sie an zu stinken in unserem Leben.
Sie kennen sicher dieses Bild, ich vergesse dieses Bild nicht: Ein guter Freund hat es meiner Frau und mir bei unserer Hochzeit auch in die Ehe mitgegeben.
Der war irgendwie vorher auf einer Israelreise und sagte dann: Ja, dieses bekannte Bild macht es wie der See Genezareth und nicht wie das Tote Meer.
Beim See Genezareth fließt das Wasser des Jordans rein und wieder raus, und dadurch ist dieser See ein Lebensreservoir von Mensch und Tier, und ein unglaublicher Reichtum entfaltet sich an diesem See.
Pralles Leben, weil der See das Wasser, das er empfängt, wieder abgibt.
Das Tote Meer empfängt Wasser, aber gibt es nicht ab, und das Resultat ist, dass es versalzt.
Das hat mir noch jemand erzählt, Hans Queck, ja, das Salz ist Riesenproduktion und großes Kapital, aber lassen wir mal dieses Weg, was wir heute aus dem Salzding da machen.
Im Toten Meer lebt nichts, im Toten Meer lebt nichts.
Das Tote ist ein toter Ort.
Und so ist es in unseren Beziehungen: Wenn wir die Vergebung, die wir empfangen von Gott, weitergeben, wird unser Leben zu einer Lebensquelle für unsere ganze Umwelt, für unsere Familie, für unsere Freunde, für unsere Beziehungen, für die Menschen, die mir Gott vor die Füße gestellt hat.
Kann denn mein Leben zu einer Beziehungsquelle, zu einer Lebensquelle werden, wenn ich die Vergebung für mich behalte?
Fängt sie irgendwann an zu stinken in meinem Leben.
Es gibt so viel – das ist diese berühmte Geschichte vom Schuldknecht, an der das sehr plastisch wird.
Und es gibt so viele Schuldknechte auch in der Gemeinde, und Gemeinden fangen an zu stinken, wenn es zu viele Schuldknechte gibt in ihrer Mitte.
Und Menschen außerhalb der Gemeinde haben oft eine sehr viel feinere Nase für den Gestank von Schuldknechten als wir selber, weil wir uns vielleicht schon viel zu viel daran gewöhnt haben.
Wenn wir Vergebung nicht weitergeben an andere und das Leben, das wir empfangen, dann entsteht ein unangenehmer Geruch in unserem Leben, dann bleiben wir leblose Geschöpfe, und leblose Geschöpfe verwesen bei lebendigem Leib.
Die Vergebungsbitte schließt den Rachegedanken aus und im Grund fordert uns das ja auf, Echo zu sein.
Ein Echo zu sein ist aber ja keine Leistung, ein Echo ist ja was ganz Natürliches.
Ein Echo gibt ganz natürlich wieder, was man in es hineinruft.
Und das ist die Bestimmung unseres Lebens, dass wir ganz automatisch das wieder weitergeben, was Gott in unser Leben hineingerufen hat.
Das Fünfte und letzte: Die Vergebungsbitte spiegelt das Wesen des Evangeliums wider.
Unser Leben trägt, wie gesagt, die Bestimmung, Echo zu sein.
Das heißt, unser Leben bekommt seinen eigentlichen Wert und seine eigentliche Bestimmung und seine eigentliche Qualität zunächst einmal von außen her, von außen her, nicht aus mir selbst.
Sondern mein Leben bekommt den entscheidenden Impuls, den entscheidenden Wert, den entscheidenden Sinn dadurch, dass Gott in mein Leben hineinspricht, von außen her, durch das Wort Gottes, durch die Anrede Gottes.
Wird mein Leben fundamental bestimmt, nicht durch das, was ich tue, nicht durch das, was ich aus diesem Leben mache, nicht durch das, was ich aus meinen physischen und psychischen Fähigkeiten entwickle, sondern mein Leben bekommt seine ganze Qualität durch die Anrede Gottes.
Wir leben vom Wort Gottes, nicht vom Brot allein. Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeglichen Wort, das aus dem Munde Gottes geht.
Es ist eine tiefe Wahrheit.
Daraus erfahren wir unseren Sinn, unseren Wert, unsere Qualität.
Die entscheidende Qualifikation unseres Lebens vollzieht sich in der Zusage der Absolution, in der Zusage der Vergebung.
Dadurch werde ich Mensch.
Indem Gott zu mir sagt: „Ich vergebe dir“, werde ich im eigentlichen Sinne Mensch, bekommt mein Leben einen unglaublichen Wert, eine riesige Würde.
Ganz gleich, was ich an Kräften und Möglichkeiten entfalten kann in meinem Leben.
Und nur von dieser Anrede her kann mein Leben Echo sein.
Ich kann ja auch nur dann Echo sein, wenn etwas hineingerufen wird.
Und weil Gott in mein Leben hineinruft, kann ich erst etwas entfalten in meinem Leben.
Worauf ist denn unser Leben ein Echo? Worauf ist Ihr Leben ein Echo?
Wir geben so oft tatsächlich ein Echo, aber nicht auf die Anrede Gottes, sondern auf die Gesetze des Dschungels, die unter uns herrschen, treten und getreten werden, die Gesetze der Straße, wo das Nehmen seliger ist als das Geben, zumindest erfolgreicher scheint als das Geben.
Worauf sind wir eigentlich ein Echo?
Das Evangelium setzt mit der Heilung der Welt immer an unserem Herzen ein.
Auch darin sehe ich, wie die Vergebungsbitte das Wesen des Evangeliums widerspiegelt.
Es gibt in der ganzen Bibel keine Weltverbesserungskonzepte, es gibt in der ganzen Bibel kein Rezept für eine gerechtere Weltordnung.
Es gibt in der ganzen Bibel immer nur ein Rezept für heile Herzen.
Das Evangelium setzt mit der Heilung der Welt nicht an den großen Weltstrukturen an, nicht an den Königen, Präsidenten und Herrschern, sondern das Evangelium setzt mit der Heilung der Welt in meinen Herzen an.
Das ist das ganz Eigentümliche, ganz Eigenartige.
Das Evangelium enthält kein Rezept für eine gerechte Weltordnung, sondern nur eine Arznei vergifteter Herzen.
Nur eine Arznei vergifteter Herzen.
Und diese Arznei ist nicht unpolitisch.
Wo Vergebung geschieht, kann das ein eminent politischer Akt sein, kann das eine riesige politische Dimension bekommen, weltweit.
Aber die politische Arznei des Evangeliums besteht immer nur aus Herztropfen für mein Herz.
„Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.“
Amen!
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich bin jetzt mit dieser zweiten Bitte am Ende, und die Pause wäre auch schon längst fällig.
Jetzt schlage ich vor, dass wir nach der Pause auch mal, dass Sie sich äußern können mit Fragen.
Ich habe den Tipp bekommen, Gerhard May hat es immer so gemacht, dass er auch schriftliche Fragen angenommen hat.
Also ich nehme alles an, ich bin wie eine gute Bank: schriftliche Fragen, mündliche Fragen und alles andere, spontane Fragen, kritische Fragen.
Sie können sie jetzt auf Zettel schreiben, Sie können sie mir nachher persönlich stellen, wie auch immer Sie möchten, dass wir uns über das, was ich Ihnen jetzt zwei Stunden auf die Ohren gegeben habe, nachher auch noch einmal austauschen können.
Wissen Sie, ich arbeite mit Studenten. Da ist man alles gewohnt, also halten Sie sich nicht zurück, da ist man auf alles eingestellt, und wir gucken mal, was draus wird.
Okay, wir machen eine Pause von fünf Minuten, also sagen wir 20, 11:20 Uhr, 11:20 Uhr machen wir weiter.
Ich habe sehr schöne Erinnerungen an dieses Lied, ist irgendwie so ein Lieblingslied meines Lebens, einmal aus geistlichen Gründen, aber dann auch aus ganz ungeistlichen Gründen.
Bei der Prüfung zum zweiten Examen für den Pfarrdienst muss man im Fach Liturgik, Kirchenmusik immer was vorsingen, und ich bin überhaupt nicht in der Lage, irgendetwas zu singen.
Ich bin völlig unmusikalisch.
Im Jugendkreis früher haben meine ganzen Nachbarschaft immer die Augen verdreht, wenn ich mitgesungen habe.
Ich bin völlig hilflos, wenn es um das Halten von Tönen oder Stimmen oder sonst was geht.
Aber das Lied geht immer.
Also wenn gar nichts geht, das geht immer.
Und das vorsingende erste Strophe von „Befiehl du deine Wege“ hat mir in dieser Prüfung eine 1,5 beschert – zum großen Gelächter und Spaß meiner Kollegen und Kameraden.
Einer hatte Gesangsunterricht, also wirklich traumhaften Gesangsunterricht.
Er hat in der Prüfung eine Zwei bekommen, was ich ihm seither Jahr für Jahr, immer wenn ich ihn sehe, doch schon mir das eine kleine Erwähnung wert.
Er hat C-Prüfung in Orgel, Klavier, Piano, Gesangsunterricht und hat eine Zwei bekommen.
Ich habe das da gekrächzt, und da ist doch: „Jesus kann Niedres, Hohe, Hoch und Hohes Nieder machen.“ Das ist mir irgendwie in diesem Lied sehr eindrücklich klar geworden.
Es war gerade eine Frage, die ich in der Pause bekam, eine Frage, die sich an dieses Schuldthema nördlich anschließt: Wie verrechenbar ist Schuld, im Blick jetzt zum Beispiel auf dieses verheerende Erdbeben in Indien?
Ein verheerendes Erdbeben, weit über hunderttausend Menschen sterben unter den Trümmern.
Und dann haben Sie es vielleicht in der Thea auch gelesen, das ist dann die Verbindung mit dieser Frage: Da waren 30, 35 Missionare, die in einem Hotel zu einer Gebetsgemeinschaft zusammen sind.
Rechts und links brechen die Blöcke zusammen, und der mittlere Block oder was weiß ich bleibt ganz eigenartigerweise – man muss sagen: wunderbarerweise – stehen.
Wie ist das jetzt eigentlich?
Jetzt kann man sagen: Aha, die Christen, klar, die Gerechten hat Gott gerettet, die anderen hat er verdorben.
Aber es wäre nicht vermessen zu sagen: Unter diesen hunderttausend, die da ums Leben gekommen sind, wäre nicht der eine oder andere Gerechte oder Gläubige auch gewesen.
Man könnte nicht auch zig andere Unglücke anführen, wo auch ein Christ, eine Schwester, ein Bruder ums Leben gekommen ist.
Wie ist das eigentlich in dieser Situation? Was können wir da sagen? Wie verrechenbar ist das?
Und da ist es sehr wichtig, die Ebenen zu unterscheiden.
Zunächst mal ist so ein Erdbeben ganz gewiss auch ein Gericht Gottes.
Gott hält mitten unter uns in dieser Welt Gericht, und die Kriege und die Zerstörungen sind Zeichen seines Gerichtes.
Gott hält Gericht. Und es ist Gericht über Schuld, Gericht über diese schuldverfallene Welt, Gericht über diese Weltschuld, von der ich vorher gesprochen habe – diese Dimension der Schuld, diese überindividuelle Schuld, die da ist, die über uns allen schwebt, in die wir alle hineinverworfen sind.
Gericht.
Und dieses Gericht trifft auch Christen, ohne dass ich dann verrechnen kann, ob sie schuldiger waren oder mehr Schuld hatten.
Hat sie dieses Gericht getroffen, und die anderen sind bewahrt geblieben.
Es gibt ja diese Geschichte in Lukas 13,1-5, wo Menschen zu Jesus kommen und die Jünger fragen, glaube ich, nach dem Turm von Siloah, ein Unglück damals, das viele Menschen genauso bewegt hat wie uns dieses Erdbeben in Indien.
Waren die schuldiger als die anderen? Gibt es da einen aufweisbaren Unterschied, dass denen eben dieses schlimme Unheil widerfahren ist?
Und Jesus sagt: Nein, sondern wenn ihr nicht umkehrt, wird es allen so gehen.
Uns allen ist eigentlich dieses Gericht beschieden, und wir alle hätten dieses Gericht verdient.
Und wenn ein Mensch bewahrt wird, ist es nur der unberechenbaren Gnade Gottes zuzuschreiben, dass ein Mensch bewahrt wird.
Verdient hätte es keiner.
Nun kann man natürlich als Zeugnis – aber nur eben als Zeugnis, nicht als ein mathematischer Grundsatz – sagen: Hier waren 35 Menschen, die Gott vertraut haben und die im Gebet mit Gott verbunden waren, und als Zeugnis hat Gott ein Zeichen an diesen Menschen getan.
Während er es an anderen Christen, die möglicherweise drumherum irgendwie verschüttet wurden und umgekommen sind, nicht getan hat.
Was aber nicht heißt, dass diese 35 Unschuldiger waren oder Gerechter, sondern an diesen Menschen, die ihm vertraut haben, hat er ein Zeichen getan.
Während andere Christen, die in gleicher Weise mit Jesus verbunden sind, von diesem Gericht mitbetroffen worden sind.
Ich muss hier die Redeweisen unterscheiden: Ich kann das als Zeugnis bekennen: Gott hat mich bewahrt.
Aber ich muss mir die Begründung verkneifen, weil ich besser bin, hat er mich bewahrt.
Das kann ich nicht sagen.
Es war die Güte und die Barmherzigkeit Gottes, der mich bewahrt hat, aber nicht, weil ich in diesem Moment gebetet habe, nicht, weil ich gerechter war.
Sondern er hat mich bewahrt, und ich bezeuge das: Wer auf den Herrn harrt, kriegt neue Kraft und wird bewahrt und erträgt hindurch.
Aber es gilt genauso für den, der verschüttet wurde, den er eben durch die Nacht des Todes hindurchträgt in sein ewiges Reich.
Ich kann das zeugnishaft bekennen, aber nicht im Sinne einer mathematischen Formel: Wer glaubt, dem geht es immer gut.
Man kann das ja hundertfach transponieren, vom großen Unglück auf die kleinen Unglücke, die wir auf den Krebsstationen in den Krankenhäusern erleben.
Da liegen Gerechte wie Ungerechte.
Und Gott lässt seine Sonne aufgehen über Guten und über Bösen, er lässt regnen über Guten und über Bösen.
Gott macht da nicht den Unterschied.
Ich könnte es nur zeugnishaft bekennen in meinem Leben, dass Gott mich bewahrt hat, beschützt hat.
Dass es natürlich auch einen ganz innerweltlichen Zusammenhang im Blick auf das Bewahren der Gebote gibt.
Wenn man nach den Ordnungen Gottes lebt, macht man manche Fehler nicht.
Wenn ich mich nicht den Süchten meines Lebens hingebe, wenn ich nicht dem Alkoholismus verfalle, weil Gott sagt: „Tu das nicht!“, dann habe ich rein innerweltlich schon mal gute Karten, dass ich gesünder lebe als Menschen, die Alkoholiker sind.
Aber diese Verrechenbarkeit ist es, die uns verwehrt bleibt.
Über uns allen steht der Zorn Gottes, über dieser Welt.
Und wir können uns auch in Deutschland nicht so gut rechnen auf fünfzig Jahre Frieden in unserem Land, sondern wir alle müssen damit rechnen, dass Gott irgendwann auch die Schuld dieses unseres Volkes straft, die ungebrochen weitergeht – von der Vernichtung der Juden über die Abtreibung ungeborener Kinder usw.
Wer gibt uns das Recht zu sagen: Wir sind besser, deshalb leben wir in Frieden oder deshalb haben wir Wohlstand?
Also diese Verrechenbarkeit ist nicht möglich, sondern nur das Zeugnis: Ich wurde bewahrt.
Und das darf ich weitergeben, ohne dass man daraus Rechnungen schließen kann.
Irritiert über solche Meldungen: „Wer betet, lebt gesünder.“
Gibt es eine Idee?
Forscher haben nachgewiesen, Menschen, die beten, werden schneller gesund oder überhaupt mehr gesund als andere.
Das ist zunächst einmal der Beweis, dass es Gott nicht gibt, der Beweis für den Atheismus.
Denn die gleichen Gleichungen kann ich in allen Religionen aufstellen.
Das kann ich im Islam, im Judentum.
Menschen, die eine religiöse Dimension in ihrem Leben haben, einen größeren Halt in ihrer Religion finden, die sind immer gesünder.
Die gleichen Statistiken kann ich auch in einem Krankenhaus in Kairo oder in Teheran oder sonstwo aufstellen.
Die gleichen Gleichungen kann ich auch in einem Krankenhaus in Jerusalem aufstellen.
Das beweist zunächst mal nur, dass der Glaube eine psychologische Power hat.
Das beweist nur zunächst mal Ludwig Feuerbach, der sagt: Glaube ist so eine Projektion Gottes, so das Opium fürs Volk, und Opium hat ja eine Wirkung.
Von daher bin ich nicht ganz begeistert über derartige Meldungen, weil sie eigentlich nur einen Scheinbeweis führen.
Die Wirklichkeit und die Kraft Gottes kann ich immer nur zeugnishaft beweisen, nie im Sinne einer allgemeinen Weltformel.
Ich werde keine Beweisformel bringen können, dass es Christen wirklich besser geht.
Sondern ich kann es nur selber immer persönlich sagen: Ohne Jesus wäre mein Leben nichts.
Ohne Jesus wäre vieles in meinem Leben nicht gelungen.
Ohne Jesus ist mein Leben viel glücklicher als ohne.
Aber ein Zeugnis, das diese Kraft Gottes bezeugt, aber nicht beweist.
Ich weiß jetzt nicht, wo die beiden Damen sitzen, ob das für Sie so eine Hilfe war oder ob ich das ein bisschen getroffen habe?
Ja, haben Sie Fragen oder Ergänzungen oder Korrekturen oder Kritik oder irgendwas zu den beiden Bitten, die wir heute Morgen ausgelegt haben?
Ich habe Sie offensichtlich erschöpfend informiert.
Wie unterschätzen wir in Deutschland, was es dramatisch bedeutet, wenn Menschen auch in dieser ganzen großen politischen Dimension Vergebung vorleben.
Immanuel Böker war bei uns im Bengelhaus, nein, von der Emo, Emo, Emo, welcher Böker ist das? Wie heißt der? Tröger, Tröger, Tröger, Tröger, Tröger, Böker, Tröger – also Tröger.
Er zählte aus Indonesien, Indonesien – ja, ein Land, wo dramatische Spannungen gibt zwischen den Religionen, einer übermächtigen islamischen Mehrheit und immer mehr bedrängten Christen mit Zwangskonversionen und so weiter, wo Christen genötigt werden, Moslems zu werden.
Und in Indonesien haben Sie es erlebt in Ihrer Mission – nein, das war nicht Tröger, also irgendjemand, irgendjemand, irgendjemand.
Er hat eine Erzählung aus Indonesien, dass muslimische Terroristen eine christliche Kirche niedergebrannt haben, und es dann zum Prozess kam.
Die wurden verhaftet, diese Terroristen, es kam zum Prozess, die saßen auf der Anklagebank.
Und dann wurde die Gemeindeleitung als Zeugen gerufen, die die Anklage beschreiben sollten.
Und dann steht der Gemeindeleiter auf und sagt: „Wir haben diesen Menschen nichts vorzuwerfen. So wie uns unser Herr Jesus vergeben hat, so haben wir ihnen auch schon vergeben.“
Dann steht eine muslimische Terroristin auf von der Anklagebank und sagt: „Mensch, wenn das euer Herr mit Menschen tut, will ich ihm auch angehören.“
Also diese Vergebung hat Auswirkungen.
Entschuldigung, ja, ich bin immer so still und leide.
Diese Vergebung hat Auswirkungen – im politischen Sinn, im regionalen Sinn, wie wir es uns oft in Deutschland gar nicht mehr vorstellen können vielleicht, weil es bei uns unter uns so wenig geschieht, dass wirklich Vergebung ausgesprochen wird und dass Vergebung auch einmal öffentlich wird.
Wenn Schuld öffentlich geschehen ist, kann Vergebung auch einmal öffentlich werden.
Wir sind es gewohnt, das so unter uns zu machen, und übrigens, tuschel, tuschel, ist alles in Ordnung.
Vergebung wäre eine unglaubliche Dimension, wenn sie öffentlich wird.
Da können Sie 50 Predigten halten, hat nie die Wirkung und die Kraft wie eine öffentlich ausgesprochene Vergebung.
Das ist stärker und lauter als jede Predigt.
An das Dritte Reich selber, an die Frage, wie hätte ich mich damals verhalten, in der Begegnung mit Menschen, die in dieser Zeit gelebt haben, die auch darüber berichten, fällt mir etwas auf, oder wie soll ich das beschreiben?
Wenn man mir Unrecht zugefügt hat, sage ich mal so, ist das oft eine sehr lange Sache, bis ich wirklich im tiefsten Sinne vergeben kann.
Es ist praktisch so, über prozentweise vergeben, bis man eben auch älter geworden ist oder reifer geworden ist und dann zu einem Punkt kommt, dass man empfindet, es ist Heilung eingetreten.
Wie würden Sie das jetzt empfinden, auch in der Seelsorge, wenn man solchen Menschen umgeht, die Menschen verloren haben, die trauern oder die Krieg erlebt haben, weil sie Juden sind?
Kann ich das so verstehen, dass Sie eigentlich oder derjenige sagen: Ich kann fast nicht vergeben, weil es die Mutter, der Vater oder so war?
Gibt es so eine abgestufte Vergebung?
Gibt es ja nicht, aber es gibt eine Heranlagerung an Vergebung. Wie sehen Sie das, und wie würde das die Bibel beschreiben?
Ich glaube auch, dass die Bibel sehr gut weiß um diese Prozesse, um die Zeit.
Zeit ist ein zutiefst biblischer Faktor.
Die Bibel weiß um die Zeit.
Gott ist der Herr der Zeit.
Und Zeit kann ein Element der Heilung sein, soll ein Element der Heilung sein.
Und genauso wie es ein Wachstum im Glauben gibt – man muss sich einmal vor Augen halten, wie oft Jesus seine Jünger mit Wachstumsgleichnissen gelehrt hat, geschult hat.
Das Wachstum des Reiches Gottes und so gibt es ein Wachstum im Glauben.
Sind oft biologische Beispiele aus der Pflanzenwelt, wo irgendetwas wächst.
Und so gibt es ein Wachstum auch in der Vergebung.
Gott weiß sehr wohl, dass es uns oft nicht schlagartig möglich ist, in einem Moment Vergebung – man kann sie aussprechen, aber vergeben bis in die Emotionalität hinein auch zu empfinden.
Und dass hier Heilung, das lehrt auch das Bild aus der Natur, so wie eine Wunde Zeit braucht, um zu heilen, brauchen unsere emotionalen Verletzungen, die ja viel tiefer und viel schwerwiegender sind, um so längere Zeit zum Heilen.
Und Gott lässt uns diese Zeit.
Gott lässt uns diese Zeit, aber er ruft uns auf diesen Weg.
Entscheidend ist, dass wir uns auf diesen Weg begeben und uns heilen lassen, nicht dass wir aus uns selbst heraus etwas hervorpressen, was wir gar nicht können.
Man muss mal die Psalmen lesen, wie hier auch dieser Zeitfaktor hineinspielt und eine Rolle spielt in einem Heilungsprozess.
Wie der Beter oft bekennt, wie er einen Weg durchgemacht hat, wie er manchmal im Gebet einen Weg macht von der Klage bis zum Lob, zum Dank hin.
Und das sind Zeitfaktoren, die Gott uns lässt.
Denn wenn wir heute denken, der Wind sollte an dem Markt, der auch wegen Konflikten nachzutragen ist – also gern zugegeben, dass es normal ist und deswegen auch die Verurteilung der Neonazis ganz unabhängig ist.
Zur gleichen Zeit erfordern alle Leute aus der DDR Zeit, sollte man jetzt ausgesprochen werden.
Und da sind auch sehr viele, die nun sicher durch das Leutetrinken das Gebläse gebracht haben oder wenn sie auch geschädigt haben – ganz kurz gesagt.
Man muss zweitens unterscheiden: Der Schuldige und der Schuldige – nee, Moment, also das Opfer und der Träger, das Opfer und der Täter.
Wir haben hier gerade von den Opfern geredet.
Wenn ich Opfer bin von fremder Schuld, besteht die Vergebungsforderung der Bibel an mich ganz unabhängig davon, ob der andere ein Schuldbewusstsein hat oder nicht.
Ich soll vergeben, nicht nur um Gottes Willen, sondern auch um meines Willens, weil Unversöhnlichkeit uns selber kaputt macht und selber das Leben verriegelt.
Man kann sich ja in einer Opferrolle auch festhalten, und Menschen, die sich an Opferrollen festhalten, kontaminieren ihr ganzes Lebensumfeld.
Man kann nicht mit einem Menschen zusammenleben oder verheiratet sein, der sein ganzes Leben lang Opfer sein will.
Das halten sie nicht aus.
Das zerstört Beziehungen.
Weil ein Mensch sich an seiner Opferrolle, an der Schuld, die jemand anders an ihm begangen hat, festhält.
Um seines Willens möchte Gott ihn zur Vergebung leiten, ganz gleich, ob der andere ein Schuldbewusstsein hat oder diese Schuld zugibt.
Die Täterrolle, das ist klar, da ist die Predigt des Wortes Gottes, deckt Schuld auf, deckt Sünde auf.
Und es ist die Frage, ob der Mensch diese Offenheit und Ehrlichkeit besitzt, sich vor dem allmächtigen Gott einmal hinzustellen und seiner Schuld ins Auge zu sehen.
Das geschieht ja immer in der Anregung des Wortes Gottes.
Und natürlich auch um Gottes Willen und um seines Willens und natürlich auch um des Opfers Willen soll er seiner Schuld bewusst werden, soll er seiner Schuld ermahnt werden.
Aber diese beiden Ebenen sind unabhängig voneinander.
Also ich soll vergeben, auch wenn der andere sich überhaupt nicht schert darum.
So oft in der Ehesilie so ein ganz entscheidender Aspekt.
Wenn man ihm jetzt vergeben würde und sie sehen nicht ein, an Schuld, die würden das als schlechte Auslegung aber schon machen, weil sie sich selbst aussehen und gesagt hätten, dass die Terroristin dies auch vererbt hat.
Ja, aber sehen Sie, das ist die Wirkung des Heiligen Geistes, dass diese Terroristin, auch wenn sie einen ganz anderen Hintergrund hat, einmal begriffen hat, dass hier eine Dimension des Lebens, eine Quelle des Lebens entsteht, wo sie in ihrem tiefsten Herzen auch eine Sehnsucht danach hat.
Diese Sehnsucht nach Heilung vom Leben steckt in jedem Menschen drin.
Es ist gerade das Verliegende einer Religion mit dem Islam, dass sie die ausblendet, das als Schwäche auslegt.
Und aber auch nur durch einen Muslim weiß man um die Dimension von Schuld, von Täter und Opfer sein, wo es natürlich über die Rache geregelt wird.
Die palästinensischen Verräter werden hingerichtet.
Das ist es, was den Müttern der Opfer dann als Seelenbeizang ist, wenn sie die Hunde sterben sind.
Und es ist die viel tiefere Kraft des Evangeliums, dass hier nicht die Rache blüht, sondern die Vergebung.
Eine ganz umfassende Heilung durchläuft.
Ich sage hier vorne erst noch eine Meldung, nur eigentlich ein Satz, das der Bezahlung regt.
Vergebung ist eine Entscheidung, und Versöhnung, das ist das, was Sie sagen, wie er zeigt: Versöhnung ist ein Weg.
Ja, das ist ein toller Gipfel.
Aber Vergebung braucht diesen Einsatz, diese Entscheidung: „Ich will. Ich will mich auf den Weg machen.“ Diese Entscheidung könnte man Vergebung nennen, und diese Versöhnung ist dann dieser Prozess, der diese Vergebung dann auch emotional verwirklicht.
Vielen Dank.
Ja, jetzt war dort hinten eine Frage.
Frau Boniak: Wenn Gott vergibt, gibt es gar keine Strafe, Erlassung.
Im Gericht wird nur beigesprochen.
Auf der zwischenmenschlichen Ebene von Christ und Christ auch.
Ich kenne keine Racheforderungen oder Wiedergutmachungs- oder Entschädigungsforderungen, gut, an den anderen Stellen im politischen Kontext nicht.
Also im politischen Kontext wird Schuld nach dem Gesetz gerichtlich gesühnt, juristisch.
Ja, aber wenn ich jetzt sage: Ich lebe von der Vergebung und bitte um Vergebung und weiß, dass Gott mir auch vergibt, aber letztendlich leide ich ja auch aus Sinn an diesem, was Sie ja auch gesagt haben, von wem diesen Umwelteinflüssen oder an dem Gericht Gottes, das Gott ja auch hier noch weiter nicht vollziehen will.
Ich werde einmal sterben, wenn ich Sünder bin.
Wir alle stehen unter dem Gericht Gottes.
In unserem Leben werden wir sterben, aber wir werden ja auferstehen zum ewigen Leben, so einem Leben, einer Lebensdimension, die eben keine Dinge verheißt, die nicht ins Gericht kommen.
Weil sie vom Tod zum Leben hindurchgedrungen sind.
Wir leben in einer todverfallenen Welt, in einer – ob der Schuld, persönlicher wie ob der überindividuellen Schuld – todverfallenen Welt.
Wir haben alle Anteile, wir werden alle einmal sterben müssen, durch dieses Todesgericht hindurchgehen.
Aber eben dann zu einem Leben und nicht zum ewigen Tod und nicht ins Gericht hindurch, das all denen blüht, die an Jesus vorbeigehen.
Sich diesem heilsamen Gericht, das Jesus schon vorneweg vollstreckt, entziehen.
Natürlich: Wenn ich einen Menschen ermordet habe, komme ich ins Gefängnis.
Das ist zunächst mal eine juristische Konsequenz, aber auch eine innerweltliche, irdische Konsequenz.
Wenn ich Alkoholiker bin oder wenn ich mich der Drogensucht hingegeben habe, muss ich die Konsequenzen dieser Sucht tragen, auch wenn ich Christ werde.
Ich werde dann krank sein, und diese Krankheit kann mein Leben einschränken.
Das ist eine logische innerweltliche Konsequenz, aber eben nicht in dieser Ewigkeitsdimension.
Diese Entscheidung.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Kollegen…
Und die zweite heißt: Vergeben heißt auch vergessen.
Vergebung bedingt natürlich, jetzt muss man Folgendes unterscheiden:
Wir sind alle versöhnt.
Gott hat in Christus die Welt mit sich versöhnt.
Das ist diese theologische Dimension der Versöhnung.
Diese Versöhnung ist geschehen am Kreuz von Golgatha, ob wir es wollten oder nicht, ob wir es wissen oder nicht.
Insofern ist wirklich die ganze Welt, sind alle Menschen wie Gott versöhnt, in der Tat.
Aber Versöhnung bedeutet noch nicht Errettung.
Das ist eine sehr wichtige Unterscheidung.
Versöhnung ist, als wenn Gott uns einen Teppich unter die Füße stellt, ob wir es wollen oder nicht.
Versöhnung ist vergleichbar mit dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland.
Wie alle, die in Deutschland geboren sind, sind automatisch auf den Boden der deutschen Verfassung, des Grundgesetzes gestellt, ob wir es uns ausgesucht haben oder nicht.
Und so hat uns Gott am Kreuz von Golgatha den Teppich der Versöhnung unter die Füße geschoben und die Welt mit sich versöhnt.
Und jetzt kommt aber alles darauf an, dass ich mich nun auch meinerseits mit Gott versöhnen lasse.
Deshalb sagt Paulus im Anschluss an diesen Satz: „So bieten wir nun an Christi statt. Lasst auch nun ihr euch eurerseits versöhnen mit Gott!“
Und in dieser Annahme, Akzeptanz, bewussten Akzeptanz der Versöhnung, die am Kreuz von Golgatha schon global geschehen ist, vollzieht sich dann auch diese Vergebung der Schuld, die mir nicht angerechnet wird, weil Jesus mich freisprechen wird im Gericht.
Ohne diese Vergebung, ohne dieses Sich-meinerseits-versöhnen-Lassen habe ich im Gericht keinen Fürsprecher, sondern da wird mir diese Schuld vor Augen gestellt, und ich werde ob dieser Schuld gerichtet werden.
Vergeben und vergessen.
Zunächst einmal können wir alle – kann keiner vergessen, was war in seinem Leben.
Erinnerung ist immer da, egal was war.
Keiner kann das ausblenden.
Sie werden ein Leben lang eine Erinnerung haben an Verletzungen, die ihnen geschehen sind.
Jeder, auch jeder von uns, weiß um Dinge, die passiert sind im Leben, auch wenn sie schon längst vergeben sind.
Sie sind in unserer Erinnerung da.
Von daher ist vergessen gar keine Möglichkeit, die wir haben.
Wir können hier nicht etwas wie einen Erinnerungsverlust, so eine Art Amnesie, dass man sich an etwas nicht erinnern kann.
Wir werden uns immer an diese Dinge erinnern können.
Gleichzeitig aber bedeutet vergeben, dass ich diese Dinge nie mehr, dass ich vergebene Schuld nicht mehr ins Gespräch bringe, nicht mehr frisch aufrolle, nicht mehr neu ins Gespräch bringe.
Das ist diese Dimension, die vom Neuen Testament her gegeben ist.
Wenn deshalb an diesen Holocaust-Mahnmalen immer steht: „Vergessen ja, vergeben ja, vergessen nein“, dann ist das eine heikle Geschichte.
Natürlich vergessen kann den Holocaust niemand.
Kein Jude kann das vergessen, wenn er Opfer war, was hier geschehen ist.
Es ist eingebrannt in seine Seele.
Aber wenn er vergibt, im christlichen Sinn vergibt, kann er das, was ihm geschehen ist, nicht immer wieder als Rechtsforderung, als Druckmittel anwenden, weil es vergeben ist und damit der Rechtsanspruch der Schuld aufgehoben ist.
Er ist dann nicht mehr Opfer, sondern er ist versöhnt auch mit seinem Gegenüber in dieser Vergebung.
Das ist diese Unterscheidung von Vergessen, die ich gern einfügen möchte.
Jetzt war hier unten eine Frage.
Auch hier muss man eines wieder unterscheiden.
Sie merken, man muss immer unterscheiden lernen.
Wenn ich vergebe, ist das eine Wirklichkeit, die vor Gott gilt, denn Vergebung ist immer ein juristischer Akt.
Ein juristischer Akt, der auch – und es berührt sich mit dieser ersten Frage oder mit dieser Frage nach Vergebung und Versöhnung – ein juristischer Akt, der vor Gott gilt.
Genauso wie wenn Jesus vergibt.
Wenn Jesus mir vergibt, spielt diese Schuld im Gericht keine Rolle mehr.
Ich kann nicht mehr verurteilt werden auf dieser Schuld.
Da klage mich an, wer will.
Diese Schuld ist von Gott her vergeben und spielt keine Rolle mehr.
Und wenn ich einem Menschen vergebe, ist das ein juristischer Akt, der vor Gott gilt.
Ich rechne ihm diese Schuld auch persönlich nicht mehr zu.
Das andere ist diese emotionale Dimension, die wir mit Versöhnung beschrieben haben, die lange Zeit brauchen kann, die vielleicht ein Leben lang brauchen kann, bis so ein Prozess zu Ende kommt.
Und das unterscheidet mich sicher auch von Jesus, der eben Gott und Mensch war, der hier auch – wir erfahren nichts von Jesu emotionaler Seite – aber der natürlich auch in einer emotionalen Qualität seinen Peinigern am Kreuz vergeben hat, wie wir es in diesem Moment nicht schaffen.
Aber es ist diese Dimension und der göttlichen Entscheidung in unserer Vergebung.
Wenn Sie Ihrem Schuldigen vergeben, gilt das vor Gott, ist das vollkommen.
Aber eben von Gottes Seite her, von seinen Möglichkeiten her, auch wenn es bei Ihnen emotional wesentlich länger brauchen wird, bis Sie diesen Versöhnungsprozess dann bewältigt haben, was Sie wiederum von Jesus unterscheidet.
Wird eine Juristin gesprochen, es geht um einen Missbrauch an Kindern und sexuellen Missbrauch.
Und dann sagte sie: Wenn das Opfer die Sache angezeigt hat, und dann wird es oder der Täter selbst noch der Täter, und die haben da oft ein so angewandtes Verhältnis zueinander.
Und ist die Anzeige zurückgezogen, dann läuft der Prozess trotzdem weiter, weil es dann der Staatsanwalt übernimmt.
Er ist also juristisch nicht weg, auch wenn es den Kopfball ja tragen würde.
Und dort hier hat es vergeben.
Das ist juristisches Denken, das es auch in der Bibel gibt, wo ein Wort gesagt wurde, der Anklage oder der Vergebung im juristischen Sinne: Ist etwas da oder weg?
Ganz gleich, wie das in unserer Emotionalität aussieht.
Ich glaube, wir sind erledigt, alle miteinander.
Es ist jetzt aber auch Zeit, ne, zwölf Uhr.
Hi, nun!
Das Mittagessen haben Sie sich verdient.
Ich möchte diesen Vormittag noch abschließen mit einem Gebet.
Herr Jesus, danke für dieses Gebet, das du uns gegeben hast, dass es nicht nur ein Gebet des Alltags ist, sondern ein Gebet des Lebens, wo Lebensquellen erschlossen werden, wo wir diesen Zugang zu deiner Heilung erfahren, wo wir in eine Weite des Lebens hineingenommen werden, die uns völlig unbekannt ist.
Danke an diesem Morgen für die Zeit, die wir haben, um auf dein Wort zu hören, um dieses Gebet zu betrachten, und danke dafür, dass du uns jetzt auch begleitest im Rest dieses Tages.
Behüte und beschütze uns, gib uns deinen Segen und lass uns allezeit Hörende sein und werden.
In deinem Namen Amen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit, Ihr Interesse und wünsche Ihnen eine gute Zeit.
Die Vergebungsbitte fordert zuerst die eigene Schuld einzugestehen
Das Dritte
Die Vergebungsbitte zwingt mich, zuerst von der eigenen Schuld zu sprechen. „Vergib uns unsere Schuld, meine Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern deren Schuld.“ Die Reihenfolge ist im Vaterunser ganz, ganz entscheidend. Diese Bitte zwingt mich zuerst, von der eigenen Schuld zu reden.
Bevor ich von der Schuld der anderen spreche, muss ich mich der eigenen Schuld stellen. Das ist nie Zufall. An dieser Stelle wird das große, gigantische Schuldverschiebespiel, von dem ich vorher gesprochen habe, beendet und durchbrochen. Wir wissen ja alle in der Regel sehr genau, was die Schuld der anderen ist. Und wenn man erst einmal die Schuld aller anderen bestimmt hat, fällt es einem oft ein bisschen leichter, das eigene kleine Portionchen, das man eventuell möglicherweise unter Umständen selbst dazu beigetragen hat – es ist ja aber allenfalls ein Portionchen, allenfalls eine Bagatelle – anzuerkennen. Wenn man erst einmal richtig alle anderen abgebürstet hat, dann könnte man vielleicht noch sein kleines, kleines, mickriges Quäntchen auch noch eingestehen. Dann fällt es uns ein bisschen leichter.
Die Vaterunser-Bitte beendet dieses Schuldverschiebespiel. Sie konfrontiert mich zuerst mit der eigenen Schuld. Sie zwingt mich, zunächst einmal von meiner Schuld zu sprechen, dieser eigenen Schuld ins Gesicht zu schauen, bevor ich mich der Schuld der anderen zuwenden darf.
Aus diesem Grund konfrontiert mich die ganze Bibel immer zuerst mit meiner Schuld. Sie stellt mir zuerst meine Schuld vor Augen, bevor ich legitimiert bin, einen Blick auf die Schuld anderer zu werfen.
Deshalb beantwortet die Bibel auch nicht die Frage nach dem Woher des Bösen. Man kann ja trefflich diskutieren und darum ringen, woher das Böse in dieser Welt eigentlich kommt. Eine Frage, die mittlerweile schon von säkularen Magazinen wie dem Stern oder dem Spiegel gestellt wird. Auch der Fokus hat sie auf die Tagesordnung gesetzt: Woher kommt das Böse in dieser Welt?
Es ist eine uralte Frage der Menschheit, eine der Grundfragen, die jede Philosophie in irgendeiner Weise beantworten muss: Wie begründe ich eigentlich, dass es so viel Böses, so viel Negatives, so viel Unheil in dieser Welt gibt?
Man kann diese Frage der Bibel stellen und bekommt von ihr keine Antwort darauf. Auch der Hinweis auf Satan, auf den Teufel, der elementar mit dem Bösen zu tun hat, ist nicht die Antwort auf die Frage nach dem Woher. Der Teufel ist nur die Antwort auf die Frage nach dem Wodurch, nicht auf die Frage nach dem Woher. Durch ihn wird Sünde vermehrt und produziert, aber er ist nicht der Ursprung.
Die Bibel beantwortet mir diese Frage auf ganz eigenartige Weise nicht. Und man fragt sich: Warum bekomme ich, so sehr ich forschen kann und so sehr ich nachfragen will, keine Antwort darauf? Die Antwort ist: Weil die Bibel mich nie aus dem Schneider lässt.
Hätten wir eine Antwort, hätten wir eine Entschuldigung. Hätte ich, würde ich von der Bibel eine Antwort nach dem Woher des Bösen bekommen, wäre ich aus dem Schneider. Die ganze Bibel tut immer nur eines: Sie zeigt mir diesen Spiegel und sagt: „Du bist es!“ So wie Nathan David diesen Spiegel vorhält und sagt: „Du bist der Mann!“ So hält mir die Bibel auf allen ihren Seiten einen riesigen Spiegel vor, um mir eines deutlich zu machen: Ich kann meine Schuld nicht abschieben, ich kann meine Schuld nicht erklären.
Wenn ich meine Schuld erklären kann, habe ich sie entschuldigt. Aber so kann ich immer nur sagen: Ich bin es. Ich kann sie nicht abschieben, ich muss die volle Verantwortung dafür übernehmen.
Indem die Bibel die Schuld aber auf meinem Kopf stehen lässt, gibt sie mir auch die Chance und die Möglichkeit, mich für diese Schuld zu verantworten – nicht zu entschuldigen, aber zu verantworten – und dadurch Persönlichkeit zu bleiben.
Ich beschreibe das immer an dem Beispiel eines sechzehnjährigen Ladendiebs. Ein Sechzehnjähriger geht in einen Laden und klaut. Er wird erwischt. Der Ladeninhaber holt die Polizei. Jetzt beginnt das Verhör. Und jetzt hat dieser Sechzehnjährige zwei Möglichkeiten.
Er kann entweder sagen: „Ich bin nicht verantwortlich für diese Tat, weil ich aus einer asozialen Familie komme, aus einem verheerenden Milieu, weil ich eine Sozialisation erfahren habe, die mich im Grunde dazu zwingt, so zu handeln. Die mir gar keine andere Möglichkeit lässt, mein Leben so zu entfalten, dass ich eben stehle. Ich habe nie etwas anderes gelernt, mir wurde nie etwas anderes gezeigt. Ich habe überhaupt von meinem ganzen Milieu her, mit meinen ganzen Freundschaften und so, ich muss eigentlich stehlen, ich kann gar nicht anders.“
Wenn er so argumentiert – und man könnte ja so argumentieren – begibt er sich auf die Ebene eines instinktgetriebenen Tieres. Tiere handeln immer instinktgetrieben. Es ist ein innerer gesetzlicher Prozess, wie Tiere reagieren und handeln. Und auf diese Weise lehne ich es ab, Persönlichkeit zu sein. Ich bin immer nur Objekt, Objekt einer inneren Programmierung.
Indem mir Gott aber die Schuld auf die Nase drückt und sagt: „Du bist es!“, gesteht mir die Bibel zu, dass ich mich verantworte, dass ich mit einem Wort Antwort gebe und Persönlichkeit bleibe. Indem zum Beispiel der Sechzehnjährige sagen kann: „Ja, ich habe es getan, und ich übernehme die Verantwortung für diese Schuld.“
In dem Moment sagt dieser Sechzehnjährige „Ich“ zu sich selbst. Die Bibel gibt mir die unglaubliche Würde, dass ich „Ich“ zu mir selber sagen darf und dass ich mein Tun und Handeln nicht auf ein „Es“ abschieben muss, das in mir irgendetwas hervorbringt. Sondern dass ich „Ich“ zu mir selber sagen darf und Verantwortung übernehmen darf – auch für meine Schuld.
Indem mich die Bibel und das Vaterunser zwingen, immer zuerst von der eigenen Schuld zu reden, ebnen sie mir den Weg zur Persönlichkeit. Sie ebnen mir den Weg zur Persönlichkeit.
Wir erleben heute eine gigantische Flucht einer ganzen Generation – weg von der Verantwortung, weg von der Chance, Persönlichkeit zu werden. Ich rede nicht von irgendwelchen asozialen Jugendlichen, ich rede auch von unseren Theologiestudenten, ich rede auch von mir.
Von diesem Ansatz, der immer in uns drinliegt, vor der eigenen Schuld zu fliehen, vor der eigenen Verantwortung auszuweichen, sich zu verdrücken.
Wir haben Theologiestudenten, die in den entscheidenden Phasen ausbüchsen – ausbüchsen vor einem Examen, ausbüchsen vor der Verbindlichkeit in einer Beziehung, wenn es ans Heiraten geht, wenn es an diese letzte Entscheidung geht. Dass man sich noch mal davonstiehlt, nicht die Verantwortung übernimmt.
Verantwortung im Blick auf den Beruf: In Deutschland brechen 23 Prozent aller Azubis die Ausbildung ab. Flucht. Es kann schlimme Ausbildungen geben, das ist gar kein Thema. Aber dass ich mich in den schwierigen Phasen des Lebens immer verabschiede, bedeutet: In den entscheidenden Phasen des Lebens vermag ich es nicht mehr, „Ich“ zu sagen. Zu mir selber zu sagen: „Ich habe ein Problem, ich habe eine Schwierigkeit.“
Dann kann man sehr viel argumentieren: Die Professoren sind schuld, die Lehrer sind schuld, die Ausbildungsstätten sind schuld, das Klima hier ist schuld und die Witterung sowieso.
Die Bibel gibt mir die riesige Chance, „Ich“ zu sagen, zu mir selber zu sagen und mich meinen Defiziten, meiner Schuld zu stellen und sie gerade so zu bewältigen. Indem sie mich zwingt, zuallererst von meiner Schuld zu reden, bevor ich von der Schuld der anderen rede, die es sicher auch gibt und geben mag in meinem Leben.
Ich bin immer Täter und Opfer zugleich, aber die Bibel stellt mich immer zuerst als Täter vor, bevor sie mir in meiner Opferrolle zur Seite steht. Und nur indem sie das tut, ebnet sie mir den Weg auch zu echtem Frieden, zu echter Versöhnung und zu echter Gemeinschaft.
Die Vergebungsbitte schließt Rachegedanken aus
Das Vierte: Die Vergebungsbitte schließt den Rachegedanken aus.
Die Vergebungsbitte ist die einzige Bitte des Vaterunsers, die mit einer Selbstverpflichtung verbunden ist: „Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.“ Hier zeigt sich ein weiterer Wesenszug unserer Existenz. Unser Leben trägt die Bestimmung, Echo zu sein. Wir sollen ein Echo der Liebe Gottes sein.
Ich kann nicht um Vergebung für meine eigene Schuld bitten und gleichzeitig an Rachegefühlen oder Racheabsichten gegenüber meinen Schuldigern festhalten. Das geht nicht! Die Verheißung der Vergebung ist an die eigene Vergebungsbereitschaft geknüpft. Wenn wir nicht lernen, die Liebe und die Vergebung Gottes weiterzugeben, dann fängt sie an, in unserem Leben zu stinken.
Sie kennen sicher dieses Bild. Ich vergesse es nicht. Ein guter Freund hat es meiner Frau und mir bei unserer Hochzeit mit auf den Weg gegeben. Er war zuvor auf einer Israelreise und sagte: Dieses bekannte Bild macht es deutlich – wie der See Genezareth und nicht wie das Tote Meer.
Beim See Genezareth fließt das Wasser des Jordans hinein und wieder heraus. Dadurch ist dieser See ein Lebensreservoir für Mensch und Tier. Ein unglaublicher Reichtum entfaltet sich an diesem See. Pralles Leben entsteht, weil der See das Wasser, das er empfängt, auch wieder abgibt.
Das Tote Meer empfängt Wasser, gibt es aber nicht ab. Das Resultat ist, dass es versalzt. Das hat mir noch jemand erzählt, Hans Queck. Ja, das Salz ist eine riesige Produktion und ein großes Kapital. Aber lassen wir das, was wir heute aus dem Salz machen. Im Toten Meer lebt nichts. Im Toten Meer lebt nichts, denn es ist ein toter Ort.
So ist es auch in unseren Beziehungen: Wenn wir die Vergebung, die wir von Gott empfangen, weitergeben, wird unser Leben zu einer Lebensquelle für unsere ganze Umwelt – für unsere Familie, für unsere Freunde, für die Menschen, die Gott uns vor die Füße gestellt hat.
Kann mein Leben zu einer Beziehungsquelle, zu einer Lebensquelle werden, wenn ich die Vergebung für mich behalte? Irgendwann fängt sie an, in meinem Leben zu stinken. Es gibt so viel dazu – das ist diese berühmte Geschichte vom Schuldsklaven, an der das sehr plastisch wird.
Und es gibt viele Schuldsklaven auch in der Gemeinde. Gemeinden fangen an zu stinken, wenn es zu viele Schuldsklaven in ihrer Mitte gibt. Menschen außerhalb der Gemeinde haben oft eine viel feinere Nase für den Gestank von Schuldsklaven als wir selbst, weil wir uns vielleicht schon viel zu sehr daran gewöhnt haben.
Wenn wir Vergebung nicht an andere weitergeben und das Leben, das wir empfangen haben, nicht teilen, entsteht ein unangenehmer Geruch in unserem Leben. Dann bleiben wir leblose Geschöpfe. Und leblose Geschöpfe verwesen bei lebendigem Leib.
Die Vergebungsbitte schließt den Rachegedanken aus. Im Grunde fordert sie uns auf, Echo zu sein. Ein Echo zu sein, ist aber keine Leistung. Ein Echo ist etwas ganz Natürliches. Es gibt ganz natürlich wieder, was in es hineingerufen wird.
Das ist die Bestimmung unseres Lebens: dass wir ganz automatisch das weitergeben, was Gott in unser Leben hineingerufen hat.
Die Vergebungsbitte spiegelt das Wesen des Evangeliums wider
Das fünfte und letzte Element, die Vergebungsbitte, spiegelt das Wesen des Evangeliums wider. Unser Leben trägt, wie gesagt, die Bestimmung, Echo zu sein. Das heißt, unser Leben erhält seinen eigentlichen Wert, seine eigentliche Bestimmung und seine eigentliche Qualität zunächst einmal von außen. Nicht aus mir selbst. Vielmehr bekommt mein Leben den entscheidenden Impuls, den entscheidenden Wert und den entscheidenden Sinn dadurch, dass Gott in mein Leben hineinspricht – von außen, durch das Wort Gottes. Durch die Anrede Gottes wird mein Leben fundamental bestimmt, nicht durch das, was ich tue.
Nicht durch das, was ich aus diesem Leben mache, nicht durch das, was ich aus meinen physischen und psychischen Fähigkeiten entwickle. Sondern mein Leben erhält seine ganze Qualität durch die Anrede Gottes. Wir leben vom Wort Gottes, nicht vom Brot allein. Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeglichen Wort, das aus dem Munde Gottes geht. Das ist eine tiefe Wahrheit. Daraus erfahren wir unseren Sinn, unseren Wert und unsere Qualität.
Die entscheidende Qualifikation unseres Lebens vollzieht sich in der Zusage der Absolution, in der Zusage der Vergebung. Dadurch werde ich Mensch. Indem Gott zu mir sagt: „Ich vergebe dir“, werde ich im eigentlichen Sinne Mensch. Mein Leben bekommt dadurch einen unglaublichen Wert und eine riesige Würde – ganz gleich, was ich an Kräften und Möglichkeiten entfalten kann.
Nur von dieser Anrede her kann mein Leben Echo sein. Ich kann ja auch nur dann Echo sein, wenn etwas hineingerufen wird. Und weil Gott in mein Leben hineinruft, kann ich erst etwas entfalten. Worauf ist denn unser Leben ein Echo? Worauf ist Ihr Leben ein Echo? Oft geben wir tatsächlich ein Echo, aber nicht auf die Anrede Gottes, sondern auf die Gesetze des Dschungels, die unter uns herrschen. Es sind die Gesetze der Straße, wo das Nehmen seliger ist als das Geben, zumindest erfolgreicher zu sein scheint als das Geben. Worauf sind wir eigentlich ein Echo?
Das Evangelium setzt mit der Heilung der Welt immer an unserem Herzen an. Auch darin sehe ich, wie die Vergebungsbitte das Wesen des Evangeliums widerspiegelt. In der ganzen Bibel gibt es keine Weltverbesserungskonzepte, kein Rezept für eine gerechtere Weltordnung. Die Bibel enthält immer nur ein Rezept für heile Herzen.
Das Evangelium setzt mit der Heilung der Welt nicht bei den großen Weltstrukturen an, nicht bei Königen, Präsidenten und Herrschern. Stattdessen setzt das Evangelium mit der Heilung der Welt in unseren Herzen an. Das ist das ganz Eigentümliche, das ganz Eigenartige.
Das Evangelium enthält kein Rezept für eine gerechte Weltordnung, sondern nur eine Arznei für vergiftete Herzen. Diese Arznei ist nicht unpolitisch. Wo Vergebung geschieht, kann das ein eminent politischer Akt sein und eine riesige politische Dimension bekommen – weltweit. Aber die politische Arznei des Evangeliums besteht immer nur aus Herztropfen für mein Herz.
Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. Amen!
Abschluss und Einladung zur Diskussion
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Ich bin jetzt mit dieser zweiten Bitte am Ende, und die Pause wäre auch längst fällig.
Ich schlage vor, dass wir nach der Pause auch die Gelegenheit nutzen, damit Sie sich mit Fragen äußern können. Ich habe den Tipp bekommen, dass Gerhard May es immer so gemacht hat, dass er auch schriftliche Fragen angenommen hat.
Ich nehme alles an: schriftliche Fragen, mündliche Fragen und alle anderen spontanen oder kritischen Fragen. Sie können diese jetzt auf Zettel schreiben oder mir später persönlich stellen – ganz wie Sie möchten. So können wir uns über das, was ich Ihnen jetzt zwei Stunden lang vermittelt habe, auch noch einmal austauschen.
Ich arbeite mit Studenten, da ist man an alles gewöhnt. Also halten Sie sich nicht zurück, wir sind auf alles eingestellt und schauen, was daraus wird.
Okay, wir machen jetzt eine Pause von fünf Minuten. Also sagen wir: 11:20 Uhr machen wir weiter.
Persönliche Erinnerungen und Lied
Ich habe sehr schöne Erinnerungen an dieses Lied. Es ist irgendwie so ein Lieblingslied meines Lebens – einmal aus geistlichen Gründen, aber auch aus ganz ungeistlichen Gründen.
Bei der Prüfung zum zweiten Examen für den Pfarrdienst muss man im Fach Liturgik und Kirchenmusik immer etwas vorsingen. Ich bin jedoch überhaupt nicht in der Lage, irgendetwas zu singen. Ich bin völlig unmusikalisch. Früher im Jugendkreis haben meine Nachbarn immer die Augen verdreht, wenn ich mitgesungen habe.
Ich bin völlig hilflos, wenn es um das Halten von Tönen, Stimmen oder Ähnliches geht. Aber dieses Lied geht immer. Also, wenn gar nichts geht, dann geht dieses Lied immer. Das Vorsingen der ersten Strophe von „Bleibe bei uns, Herr Jesu Christ“ hat mir in dieser Prüfung eine 1,5 beschert. Zum großen Gelächter und Spaß meiner Kollegen und Kameraden.
Einer meiner Mitprüflinge hatte Gesangsunterricht – wirklich traumhaften Gesangsunterricht. Er hat in der Prüfung eine Zwei bekommen. Das erwähne ich ihm seitdem Jahr für Jahr, immer wenn ich ihn sehe, als kleine Anekdote.
Er hatte C-Prüfungen in Orgel, Klavier, Piano und Gesangsunterricht und hat eine Zwei bekommen. Ich habe das Lied da einfach gekrächzt. Doch der Text „Jesus kann Niedres, Hohe, Hoch und Hohes nieder machen“ ist mir in diesem Lied sehr eindrücklich klar geworden.
Frage zur Verrechenbarkeit von Schuld bei Katastrophen
Es war gerade eine Frage, die ich in der Pause bekam – eine Frage, die sich an dieses Schuldthema anschließt. Wie verrechenbar ist Schuld? Im Blick darauf zum Beispiel an dieses verheerende Erdbeben in Indien: Ein verheerendes Erdbeben, bei dem weit über hunderttausend Menschen unter den Trümmern starben.
Vielleicht haben Sie es auch in der Zeitung gelesen. Das ist die Verbindung zu dieser Frage: Dort waren 30, 35 Missionare, die in einem Hotel zu einer Gebetsgemeinschaft zusammen waren. Rechts und links brachen die Blöcke irgendwie zusammen, und der mittlere Block oder was auch immer blieb ganz eigenartigerweise – man muss sagen wunderbarerweise – stehen.
Wie ist das jetzt eigentlich? Man könnte sagen: Aha, die Christen, klar, die Gerechten hat Gott gerettet, die anderen hat er verdorben. Aber es wäre nicht vermessen zu sagen, dass unter diesen hunderttausend, die ums Leben gekommen sind, nicht der eine oder andere Gerechte oder Gläubige gewesen wäre. Man könnte auch viele andere Unglücke anführen, bei denen Christen, Schwestern oder Brüder ums Leben gekommen sind.
Wie ist das eigentlich in dieser Situation? Was können wir dazu sagen? Wie verrechenbar ist das?
Hier ist es sehr wichtig, die Ebenen zu unterscheiden. Zunächst einmal ist so ein Erdbeben ganz gewiss auch ein Gericht Gottes. Gott hält mitten unter uns in dieser Welt Gericht. Die Kriege und die Zerstörungen sind Zeichen seines Gerichts. Gott hält Gericht – und zwar Gericht über Schuld, Gericht über diese schuldverfallene Welt, Gericht über die Weltschuld, von der ich vorher gesprochen habe. Diese Dimension der Schuld, die über uns allen schwebt und in die wir alle hineingeworfen sind. Gericht.
Dieses Gericht trifft auch Christen. Ohne dass ich dann verrechnen kann, weil sie schuldiger waren oder mehr Schuld hatten, hat dieses Gericht sie getroffen, und die anderen sind bewahrt geblieben.
Es gibt ja diese Geschichte in Lukas 13,1-5. Dort kommen Menschen zu Jesus, und die Jünger fragen ihn, glaube ich, wegen des Turms von Siloah, ein Unglück damals, das viele Menschen genauso bewegte wie uns dieses Erdbeben in Indien. Waren diese Menschen schuldiger als die anderen? Gibt es einen aufweisbaren Unterschied, dass ihnen dieses schlimme Unheil widerfahren ist?
Jesus sagt nein, sondern: Wenn ihr nicht umkehrt, wird es allen so ergehen. Uns allen ist dieses Gericht eigentlich beschieden, und wir alle hätten dieses Gericht verdient. Wenn ein Mensch bewahrt wird, ist das nur der unberechenbaren Gnade Gottes zuzuschreiben. Verdient hätte es keiner.
Nun kann man natürlich als Zeugnis – aber nur als Zeugnis, nicht als mathematischen Grundsatz – sagen: Hier waren 35 Menschen, die Gott vertraut haben und die im Gebet mit Gott verbunden waren. Und als Zeugnis hat Gott an diesen Menschen ein Zeichen getan, während er es an anderen Christen, die möglicherweise drumherum verschüttet wurden und ums Leben kamen, nicht getan hat.
Das heißt aber nicht, dass diese 35 unschuldiger oder gerechter waren. Sondern an diesen Menschen, die ihm vertraut haben, hat Gott ein Zeichen getan. Während andere Christen, die in gleicher Weise mit Jesus verbunden sind, von diesem Gericht mitbetroffen wurden.
Hier muss ich die Redeweisen unterscheiden: Ich kann das als Zeugnis bekennen – Gott hat mich bewahrt. Aber ich muss mir die Begründung verkneifen, dass er mich bewahrt hat, weil ich besser bin. Das kann ich nicht sagen. Es war die Güte und Barmherzigkeit Gottes, die mich bewahrt hat – aber nicht, weil ich in diesem Moment gebetet habe oder gerechter war.
Er hat mich bewahrt, und ich bezeuge das: Wer auf den Herrn hofft, bekommt neue Kraft, wird bewahrt und erträgt hindurch. Aber das gilt genauso für den, der verschüttet wurde und den Gott durch die Nacht des Todes hindurch in sein ewiges Reich trägt.
Ich kann das zeugnishaft bekennen, aber nicht im Sinne einer mathematischen Formel: Wer glaubt, dem geht es immer gut.
Man kann das ja auch auf kleine Unglücke übertragen, zum Beispiel die, die wir auf Krebsstationen in Krankenhäusern erleben. Dort liegen Gerechte wie Ungerechte. Gott lässt seine Sonne aufgehen über Guten und über Bösen, er lässt regnen über Guten und über Bösen. Gott macht da keinen Unterschied.
Ich kann nur zeugnishaft bekennen in meinem Leben, dass Gott mich bewahrt und beschützt hat. Natürlich gibt es auch einen ganz innerweltlichen Zusammenhang im Blick auf das Bewahren der Gebote. Wenn man nach den Ordnungen Gottes lebt, macht man manche Fehler nicht.
Wenn ich mich nicht den Süchten meines Lebens hingebe, wenn ich nicht dem Alkoholismus verfalle, weil Gott sagt: „Tu das nicht!“, dann habe ich rein innerweltlich schon mal gute Karten, gesünder zu leben als Menschen, die Alkoholiker sind.
Aber diese Verrechenbarkeit bleibt uns verwehrt. Über uns allen steht der Zorn Gottes, über dieser Welt.
Wir können uns auch in Deutschland nicht so sicher auf fünfzig Jahre Frieden in unserem Land rechnen. Wir alle müssen damit rechnen, dass Gott irgendwann auch die Schuld unseres Volkes straft – die ungebrochen weitergeht, von der Vernichtung der Juden bis zur Abtreibung ungeborener Kinder und so weiter.
Wer gibt uns das Recht zu sagen, wir sind besser, deshalb leben wir in Frieden oder haben Wohlstand?
Diese Verrechenbarkeit ist nicht möglich, sondern nur das Zeugnis: Ich wurde bewahrt. Und das darf ich weitergeben, ohne dass man daraus Rechnungen schließen kann.
Reflexion über Glaubensstatistiken und Zeugnis
Irritiert über solche Meldungen, dass Menschen, die beten, gesünder leben, gibt es eine Idee: Forscher haben nachgewiesen, dass Menschen, die beten, schneller oder überhaupt mehr gesund werden als andere. Das ist zunächst einmal der Beweis, dass es Gott nicht gibt – der Beweis für den Atheismus. Denn die gleichen Gleichungen kann ich in allen Religionen aufstellen. Das gilt im Islam, im Judentum. Menschen, die eine religiöse Dimension in ihrem Leben haben und einen größeren Halt in ihrer Religion finden, sind immer gesünder.
Die gleichen Statistiken kann ich auch in einem Krankenhaus in Kairo, in Teheran oder anderswo aufstellen. Die gleichen Gleichungen kann ich auch in einem Krankenhaus in Jerusalem aufstellen. Das beweist zunächst einmal nur, dass der Glaube eine psychologische Kraft hat. Das beweist nur zunächst Ludwig Feuerbach, der sagt: Glaube ist eine Projektion Gottes, so das Opium fürs Volk – und Opium hat ja eine Wirkung.
Daher bin ich nicht ganz begeistert über derartige Meldungen, weil sie eigentlich nur einen Scheinbeweis führen. Die Wirklichkeit und die Kraft Gottes kann ich immer nur zeugnishaft beweisen, nie im Sinne einer allgemeinen Weltformel. Ich werde keine Beweisformel bringen können, dass es Christen wirklich besser geht. Sondern ich kann es nur persönlich sagen: Ohne Jesus wäre mein Leben nichts. Ohne Jesus wäre vieles in meinem Leben nicht gelungen. Mit Jesus ist mein Leben viel glücklicher als ohne. Aber das ist ein Zeugnis, das diese Kraft Gottes bezeugt, aber nicht beweist.
Ich weiß jetzt nicht, wo die beiden Damen sitzen, ob das für Sie so eine Hilfe war oder ob ich das ein bisschen getroffen habe? Haben Sie Fragen, Ergänzungen, Korrekturen oder Kritik zu den beiden Bitten, die wir heute Morgen ausgelegt haben? Ich habe Sie offensichtlich erschöpfend informiert.
Wir unterschätzen in Deutschland, was es dramatisch bedeutet, wenn Menschen – auch in dieser ganzen großen politischen Dimension – Vergebung vorleben. Immanuel Böker war bei uns im Bengelhaus. Nein, von der Emo… Emo… welcher Böker ist das? Wie heißt der? Tröger, Tröger, Tröger. Also Tröger. Er erzählte aus Indonesien, einem Land, in dem es dramatische Spannungen zwischen den Religionen gibt: eine übermächtige islamische Mehrheit und immer mehr bedrängte Christen mit Zwangskonversionen und so weiter, wo Christen genötigt werden, Muslime zu werden.
In Indonesien haben Sie es in Ihrer Mission erlebt? Nein, das war nicht Tröger, also irgendjemand. Er erzählte eine Geschichte aus Indonesien: Muslimische Terroristen haben eine christliche Kirche niedergebrannt. Es kam zum Prozess, die Terroristen wurden verhaftet und saßen auf der Anklagebank. Die Gemeindeleitung wurde als Zeugen gerufen, um die Anklage zu beschreiben. Dann stand der Gemeindeleiter auf und sagte: „Wir haben diesen Menschen nichts vorzuwerfen. So wie uns unser Herr Jesus vergeben hat, so haben wir ihnen auch schon vergeben.“
Dann stand eine muslimische Terroristin von der Anklagebank auf und sagte: „Mensch, wenn das euer Herr mit Menschen tut, will ich ihm auch angehören.“ Diese Vergebung hat Auswirkungen – Entschuldigung, ich bin immer so still und leide – diese Vergebung hat Auswirkungen im politischen Sinn, im regionalen Sinn, wie wir es uns in Deutschland vielleicht gar nicht mehr vorstellen können. Weil es bei uns so wenig geschieht, dass wirklich Vergebung ausgesprochen wird und auch öffentlich wird.
Wenn Schuld öffentlich geschehen ist, kann Vergebung auch einmal öffentlich werden. Wir sind es gewohnt, das so unter uns zu machen. Und übrigens, tuscheltuschel, ist alles in Ordnung. Vergebung wäre eine unglaubliche Dimension, wenn sie öffentlich wird. Da können Sie 50 Predigten halten – sie hat nie die Wirkung und Kraft wie eine öffentlich ausgesprochene Vergebung. Das ist stärker und lauter als jede Predigt.
An das Dritte Reich selbst, an die Frage, wie ich mich damals verhalten hätte, in der Begegnung mit Menschen, die in dieser Zeit gelebt haben und darüber berichten, fällt mir etwas auf. Wenn mir Unrecht zugefügt wurde, ist das oft eine sehr lange Sache, bis ich wirklich im tiefsten Sinne vergeben kann. Es ist praktisch so, dass man prozentweise vergibt, bis man älter oder reifer geworden ist und dann zu einem Punkt kommt, an dem man empfindet, dass Heilung eingetreten ist.
Wie würden Sie das jetzt empfinden, auch in der Seelsorge, wenn Sie mit Menschen umgehen, die Menschen verloren haben, die verfolgt wurden oder Krieg erlebt haben, weil sie Juden sind? Kann ich das so verstehen, dass Sie oder derjenige sagen, ich kann fast nicht vergeben, weil es die Mutter oder den Vater betraf? Gibt es so eine abgestufte Vergebung?
Es gibt keine abgestufte Vergebung, aber es gibt eine Heranlagerung an Vergebung. Wie sehen Sie das und wie würde die Bibel das beschreiben? Ich glaube, die Bibel weiß sehr gut um diese Prozesse, um die Zeit. Zeit ist ein zutiefst biblischer Faktor. Die Bibel weiß um die Zeit, Gott ist der Herr der Zeit. Zeit kann ein Element der Heilung sein und soll ein Element der Heilung sein.
Genauso wie es ein Wachstum im Glauben gibt – man muss sich einmal vor Augen halten, wie oft Jesus seine Jünger mit Wachstumsgleichnissen gelehrt und geschult hat. Das Wachstum des Reiches Gottes und so gibt es ein Wachstum im Glauben, oft biologische Beispiele aus der Pflanzenwelt, wo etwas wächst. So gibt es auch ein Wachstum in der Vergebung.
Gott weiß sehr wohl, dass es uns oft nicht schlagartig möglich ist, in einem Moment Vergebung zu empfinden. Man kann sie aussprechen, aber vergeben bis in die Emotionalität hinein zu empfinden, braucht Zeit. Das Bild aus der Natur lehrt, dass eine Wunde Zeit braucht, um zu heilen. Unsere emotionalen Verletzungen, die viel tiefer und schwerwiegender sind, brauchen umso längere Zeit zum Heilen. Gott lässt uns diese Zeit, aber er ruft uns auf diesen Weg.
Entscheidend ist, dass wir uns auf diesen Weg begeben und uns heilen lassen, nicht dass wir aus uns selbst heraus etwas hervorpressen, was wir gar nicht können. Man muss mal die Psalmen lesen, wie hier auch dieser Zeitfaktor hineinspielt und eine Rolle im Heilungsprozess hat. Der Beter bekennt oft, wie er einen Weg durchgemacht hat, wie er manchmal im Gebet von der Klage bis zum Lob und Dank kommt. Das sind Zeitfaktoren, die Gott uns lässt.
Denn wenn wir heute denken, der Wind sollte an dem Markt wehen, der auch wegen Konflikten nachgetragen ist – also gern zugegeben, dass es normal ist – und deswegen auch die Verurteilung der Neonazis ganz unabhängig ist. Zur gleichen Zeit erfordern alle Leute aus der DDR Zeit, die ausgesprochen werden sollte. Und da sind auch sehr viele, die sicher durch das Leutetrinken das Gebläse gebracht haben oder andere geschädigt haben.
Man muss zweitens unterscheiden: den Schuldigen und das Opfer. Nein, Moment, also das Opfer und der Täter. Wir haben hier gerade von den Opfern gesprochen. Wenn ich Opfer bin von fremder Schuld, besteht die Vergebungsforderung der Bibel an mich ganz unabhängig davon, ob der andere ein Schuldbewusstsein hat oder nicht. Ich soll vergeben, nicht nur um Gottes Willen, sondern auch um meines Willens, weil Unversöhnlichkeit uns selbst kaputtmacht und das Leben verriegelt.
Man kann sich in einer Opferrolle festhalten. Menschen, die sich an Opferrollen festhalten, kontaminieren ihr ganzes Lebensumfeld. Man kann nicht mit einem Menschen zusammenleben oder verheiratet sein, der sein ganzes Leben lang Opfer sein will. Das halten sie nicht aus. Das zerstört Beziehungen.
Weil ein Mensch sich an seiner Opferrolle, an der Schuld, die jemand anders an ihm begangen hat, festhält, möchte Gott ihn um seines Willens zur Vergebung leiten – ganz gleich, ob der andere ein Schuldbewusstsein hat oder die Schuld zugibt.
Die Täterrolle ist klar: Da deckt die Predigt des Wortes Gottes Schuld auf, deckt Sünde auf. Es ist die Frage, ob der Mensch die Offenheit und Ehrlichkeit besitzt, sich vor dem allmächtigen Gott hinzustellen und seiner Schuld ins Auge zu sehen. Das geschieht immer durch die Anregung des Wortes Gottes.
Natürlich soll er um Gottes Willen, um seines Willens und auch um des Opfers Willen seiner Schuld bewusst werden und ermahnt werden. Aber diese beiden Ebenen sind unabhängig voneinander. Also ich soll vergeben, auch wenn der andere sich überhaupt nicht darum schert.
Das ist so oft in der Ehesilie ein ganz entscheidender Aspekt. Wenn man ihm jetzt vergeben würde und er sieht keine Schuld, würden das manche als schlechte Auslegung ansehen. Aber schon machen, weil sie sich selbst auslachen und gesagt hätten, dass die Terroristin dies auch vererbt hat.
Ja, aber sehen Sie, das ist die Wirkung des Heiligen Geistes, dass diese Terroristin, auch wenn sie einen ganz anderen Hintergrund hat, einmal begriffen hat, dass hier eine Dimension des Lebens, eine Quelle des Lebens entsteht, wo sie in ihrem tiefsten Herzen auch eine Sehnsucht danach hat. Diese Sehnsucht nach Heilung vom Leben steckt in jedem Menschen.
Es ist gerade das Verhärtende einer Religion wie dem Islam, dass sie das ausblendet, das als Schwäche ansieht. Aber auch nur durch einen Muslim weiß man um die Dimension von Schuld, Täter- und Opfersein, wo es natürlich über Rache geregelt wird. Die palästinensischen Verräter werden hingerichtet. Das ist es, was den Müttern der Opfer dann als Seelenbeistand dient, wenn sie die Täter sterben sehen.
Und es ist die viel tiefere Kraft des Evangeliums, dass hier nicht die Rache blüht, sondern die Vergebung – eine ganz umfassende Heilung durchläuft.
Ich sage hier vorne noch eine Meldung, eigentlich nur einen Satz, der zum Nachdenken anregt: Vergebung ist eine Entscheidung und Versöhnung, das ist das, was Sie sagen, ein Weg. Ja, das ist ein toller Gipfel. Aber Vergebung braucht diesen Einsatz, diese Entscheidung: „Ich will. Ich will mich auf den Weg machen.“ Diese Entscheidung könnte man Vergebung nennen, und diese Versöhnung ist dann der Prozess, der diese Vergebung auch emotional verwirklicht.
Vielen Dank. Jetzt war dort hinten eine Frage.
Frau Boniak, wenn Gott vergibt, gibt es dann gar keine Strafe oder Erlassung? Im Gericht wird nur Beistand zugesprochen. Auf der zwischenmenschlichen Ebene von Christ zu Christ kenne ich keine Racheforderungen oder Wiedergutmachungs- oder Entschädigungsforderungen. An anderen Stellen im politischen Kontext nicht.
Im politischen Kontext wird Schuld nach dem Gesetz gerichtlich gesühnt, juristisch. Aber wenn ich sage, ich lebe von der Vergebung und bitte um Vergebung und weiß, dass Gott mir auch vergibt, so leide ich letztendlich auch aus Sinn an dem, was Sie auch gesagt haben: von den Umwelteinflüssen oder an dem Gericht Gottes, das Gott ja hier noch nicht vollziehen will.
Ich werde einmal sterben, wenn ich Sünder bin. Wir alle stehen unter dem Gericht Gottes. In unserem Leben werden wir sterben, aber wir werden auferstehen zu ewigem Leben – einem Leben, einer Lebendigkeit, die nicht in das Gericht kommt, weil sie vom Tod zum Leben hindurchgedrungen ist.
Wir leben in einer todverfallenen Welt, einer Welt, die durch Schuld – sei es persönliche oder überindividuelle Schuld – todverfallen ist. Wir haben alle Anteile daran. Wir werden alle einmal sterben müssen und durch dieses Todesgericht hindurchgehen, aber eben dann zu einem Leben und nicht zum ewigen Tod und nicht in das Gericht, das all denen blüht, die an Jesus vorbeigehen.
Dieses heilsame Gericht hat Jesus schon vorneweg vollstreckt. Natürlich, wenn ich einen Menschen ermordet habe, komme ich ins Gefängnis. Das ist zunächst eine juristische Konsequenz, aber auch eine innerweltliche, irdische Konsequenz. Wenn ich Alkoholiker bin oder mich der Drogensucht hingegeben habe, muss ich die Konsequenzen dieser Sucht tragen, auch wenn ich Christ werde.
Ich werde dann krank sein, und diese Krankheit kann mein Leben einschränken. Das ist eine logische innerweltliche Konsequenz, aber eben nicht in der Ewigkeitsdimension.
Diese Entscheidung, Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist wichtig.
Die zweite heißt: Vergeben heißt auch vergessen. Vergebung bedingt natürlich, dass man Folgendes unterscheiden muss: Wir sind alle versöhnt. Gott hat in Christus die Welt mit sich versöhnt. Das ist die theologische Dimension der Versöhnung.
Diese Versöhnung ist geschehen am Kreuz von Golgatha, ob wir es wollen oder nicht, ob wir es wissen oder nicht. Insofern ist wirklich die ganze Welt, sind alle Menschen mit Gott versöhnt, in der Tat.
Aber Versöhnung bedeutet noch nicht Errettung. Das ist eine sehr wichtige Unterscheidung. Versöhnung ist wie wenn Gott uns einen Teppich unter die Füße legt, ob wir es wollen oder nicht.
Versöhnung ist vergleichbar mit dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland: Alle, die in Deutschland geboren sind, stehen automatisch auf dem Boden der deutschen Verfassung, des Grundgesetzes, ob wir es uns ausgesucht haben oder nicht.
So hat uns Gott am Kreuz von Golgatha den Teppich der Versöhnung unter die Füße geschoben und die Welt mit sich versöhnt. Und jetzt kommt es darauf an, dass ich mich auch meinerseits mit Gott versöhnen lasse.
Deshalb sagt Paulus im Anschluss an diesen Satz: „So bieten wir nun an Christi statt – lasst auch nun ihr euch eurerseits versöhnen mit Gott!“ Und in dieser bewussten Annahme der Versöhnung, die am Kreuz von Golgatha schon global geschehen ist, vollzieht sich auch die Vergebung der Schuld, die mir nicht angerechnet wird, weil Jesus mich im Gericht freisprechen wird.
Ohne diese Vergebung, ohne diese sich meinerseits versöhnen zu lassen, habe ich im Gericht keinen Fürsprecher. Dann wird mir diese Schuld vor Augen gestellt, und ich werde ob dieser Schuld gerichtet.
Vergeben und vergessen: Zunächst einmal können wir alle nicht vergessen, was in unserem Leben war. Erinnerung ist immer da, egal was war. Niemand kann das ausblenden. Wir werden ein Leben lang eine Erinnerung an Verletzungen haben, die uns geschehen sind.
Jeder von uns weiß um Dinge, die passiert sind, auch wenn sie längst vergeben sind. Sie sind in unserer Erinnerung da. Von daher ist vergessen gar keine Möglichkeit, die wir haben. Wir können hier nicht etwas wie einen Erinnerungsverlust haben, eine Art Amnesie, bei der man sich an etwas nicht erinnert. Wir werden uns immer an diese Dinge erinnern.
Gleichzeitig bedeutet vergeben aber, dass ich diese Dinge nie mehr, also die vergebene Schuld, nicht mehr ins Gespräch bringe, nicht mehr frisch aufrolle, nicht mehr neu thematisiere. Das ist die Dimension, die vom Neuen Testament her gegeben ist.
Wenn an Holocaust-Mahnmalen immer steht: „Vergessen ja, Vergeben ja, Vergessen nein“, dann ist das eine heikle Geschichte. Natürlich kann niemand den Holocaust vergessen. Kein Jude kann das vergessen, wenn er Opfer war. Was dort geschehen ist, ist in seine Seele eingebrannt.
Aber wenn er im christlichen Sinn vergibt, kann er das, was ihm geschehen ist, nicht immer wieder als Rechtsforderung oder Druckmittel anwenden, weil es vergeben ist und damit der Rechtsanspruch der Schuld aufgehoben ist. Er ist dann nicht mehr Opfer, sondern versöhnt auch mit seinem Gegenüber in dieser Vergebung. Das ist die Unterscheidung von Vergessen, die ich gern einfügen möchte.
Jetzt war hier unten eine Frage. Auch hier muss man wieder unterscheiden. Sie merken, man muss immer unterscheiden lernen. Wenn ich vergebe, ist das eine Wirklichkeit, die vor Gott gilt. Vergebung ist immer ein juristischer Akt – ein juristischer Akt, der auch mit dieser ersten Frage nach Vergebung und Versöhnung zusammenhängt.
Ein juristischer Akt, der vor Gott gilt, genauso wie wenn Jesus vergibt. Wenn Jesus mir vergibt, spielt diese Schuld im Gericht keine Rolle mehr. Ich kann nicht mehr verurteilt werden wegen dieser Schuld, egal wer mich anklagt.
Diese Schuld ist von Gott her vergeben und spielt keine Rolle mehr. Wenn ich einem Menschen vergebe, ist das ein juristischer Akt, der vor Gott gilt, ich rechne ihm diese Schuld auch persönlich nicht mehr zu.
Das andere ist die emotionale Dimension, die wir mit Versöhnung beschrieben haben, die lange Zeit brauchen kann, vielleicht ein Leben lang, bis dieser Prozess zu Ende kommt.
Das unterscheidet mich sicher auch von Jesus, der eben Gott und Mensch war und von dem wir nichts von seiner emotionalen Seite erfahren, aber der natürlich auch in einer emotionalen Qualität seinen Peinigern am Kreuz vergeben hat, wie wir es in diesem Moment nicht schaffen.
Aber es ist diese Dimension der göttlichen Entscheidung in unserer Vergebung.
Wenn Sie Ihrem Schuldigen vergeben, gilt das vor Gott, ist vollkommen, aber von Gottes Seite her, von seinen Möglichkeiten her – auch wenn es bei Ihnen emotional wesentlich länger dauern wird, bis Sie diesen Versöhnungsprozess bewältigt haben. Das unterscheidet Sie wiederum von Jesus.
Eine Juristin berichtete von einem Missbrauch an Kindern und sexuellem Missbrauch. Wenn das Opfer die Sache angezeigt hat und der Täter selbst noch der Täter ist, haben sie oft ein so angewandtes Verhältnis zueinander. Wenn die Anzeige zurückgezogen wird, läuft der Prozess trotzdem weiter, weil der Staatsanwalt übernimmt. Die Sache ist also juristisch nicht erledigt, auch wenn das Opfer die Anzeige zurückzieht.
Hier hat es vergeben – das ist juristisches Denken, das es auch in der Bibel gibt. Wo ein Wort gesagt wurde, ist die Anklage oder die Vergebung im juristischen Sinne entweder da oder weg – ganz gleich, wie das in unserer Emotionalität aussieht.
Ich glaube, wir sind alle erledigt. Es ist jetzt auch Zeit, es ist zwölf Uhr. Nun, das Mittagessen haben Sie sich verdient.
Ich möchte diesen Vormittag noch mit einem Gebet abschließen:
Herr Jesus, danke für dieses Gebet, das du uns gegeben hast, das nicht nur ein Gebet des Alltags ist, sondern ein Gebet des Lebens, in dem Lebensquellen erschlossen werden, in dem wir Zugang zu deiner Heilung erfahren, in dem wir in eine Weite des Lebens hineingenommen werden, die uns völlig unbekannt ist.
Danke an diesem Morgen für die Zeit, die wir haben, um auf dein Wort zu hören, um dieses Gebet zu betrachten, und danke, dass du uns jetzt auch begleitest im Rest dieses Tages.
Behüte und beschütze uns, gib uns deinen Segen und lass uns alle Zeit Hörende sein und werden.
In deinem Namen, Amen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit, Ihr Interesse und wünsche Ihnen eine gute Zeit.
Umgang mit Vergebung bei schwerem Unrecht
An das Dritte Reich selbst, an die Frage, wie ich mich damals verhalten hätte, in der Begegnung mit Menschen, die in dieser Zeit gelebt haben und auch darüber berichten, fällt mir etwas auf. Oder wie soll ich das beschreiben? Wenn mir Unrecht zugefügt wurde, ist das oft eine sehr lange Sache, bis ich wirklich im tiefsten Sinne vergeben kann. Es ist praktisch so, dass man prozentweise vergibt, bis man älter oder reifer geworden ist und dann zu einem Punkt kommt, an dem man empfindet, dass Heilung eingetreten ist.
Wie würden Sie das jetzt empfinden, auch in der Seelsorge, wenn man mit solchen Menschen umgeht, die Menschen verloren haben, die trauern oder den Krieg erlebt haben, weil sie Juden sind? Kann ich das so verstehen, dass Sie oder derjenige sagen: Ich kann fast nicht vergeben, weil es die Mutter oder der Vater war? Gibt es so eine abgestufte Vergebung? Gibt es das ja nicht, aber es gibt eine Heranlagerung an Vergebung. Wie sehen Sie das und wie würde das die Bibel beschreiben?
Ich glaube auch, dass die Bibel sehr gut um diese Prozesse weiß, um die Zeit. Zeit ist ein zutiefst biblischer Faktor. Die Bibel weiß um die Zeit, denn Gott ist der Herr der Zeit. Zeit kann ein Element der Heilung sein, soll ein Element der Heilung sein. Genauso wie es ein Wachstum im Glauben gibt – man muss sich einmal vor Augen halten, wie oft Jesus seine Jünger mit Wachstumsgleichnissen gelehrt und geschult hat. Das Wachstum des Reiches Gottes und so weiter. Es gibt ein Wachstum im Glauben, oft biologische Beispiele aus der Pflanzenwelt, wo etwas wächst. Und so gibt es auch ein Wachstum in der Vergebung.
Gott weiß sehr wohl, dass es uns oft nicht schlagartig möglich ist, in einem Moment Vergebung zu empfinden. Man kann sie aussprechen, aber vergeben bis in die Emotionalität hinein zu fühlen, braucht Zeit. Heilung lehrt auch das Bild aus der Natur: So wie eine Wunde Zeit braucht, um zu heilen, brauchen unsere emotionalen Verletzungen, die viel tiefer und schwerwiegender sind, eine längere Zeit zum Heilen. Gott lässt uns diese Zeit. Er ruft uns auf diesen Weg.
Entscheidend ist, dass wir uns auf diesen Weg begeben und uns heilen lassen, nicht dass wir aus uns selbst heraus etwas hervorpressen, was wir gar nicht können. Man muss mal die Psalmen lesen, wie hier auch dieser Zeitfaktor hineinspielt und eine Rolle in einem Heilungsprozess hat. Wie der Beter oft bekennt, wie er einen Weg durchgemacht hat, wie er manchmal im Gebet einen Weg von der Klage bis zum Lob und Dank hin macht. Das sind Zeitfaktoren, die Gott uns lässt.
Denn wenn wir heute denken, der Wind sollte an dem Markt, der auch wegen Konflikten nachzutragen ist, so ist das normal. Deswegen ist auch die Verurteilung der Neonazisten ganz unabhängig. Zur gleichen Zeit erfordern alle Leute aus der DDR Zeit, die ausgesprochen werden sollte. Und da sind auch sehr viele, die nun sicher durch das Leid, das sie erlitten haben, Schaden genommen haben.
Man muss zweitens unterscheiden: das Opfer und der Täter. Wir haben hier gerade von den Opfern gesprochen. Wenn ich Opfer von fremder Schuld bin, besteht die Vergebungsförderung der Bibel an mich ganz unabhängig davon, ob der andere ein Schuldbewusstsein hat oder nicht. Ich soll vergeben, nicht nur um Gottes Willen, sondern auch um meines Willen, weil Unversöhnlichkeit uns selbst kaputtmacht und unser Leben verriegelt.
Man kann sich ja in einer Opferrolle auch festhalten. Menschen, die sich an Opferrollen festhalten, kontaminieren ihr ganzes Lebensumfeld. Man kann nicht mit einem Menschen zusammenleben oder verheiratet sein, der sein ganzes Leben lang Opfer sein will. Das hält man nicht aus. Das zerstört Beziehungen.
Weil ein Mensch sich an seiner Opferrolle, an der Schuld, die jemand anders an ihm begangen hat, festhält, möchte Gott ihn um seines Willens zur Vergebung leiten. Ganz gleich, ob der andere ein Schuldbewusstsein hat oder diese Schuld zugibt.
Die Täterrolle – das ist klar – da ist die Predigt des Wortes Gottes, die Schuld und Sünde aufdeckt. Es ist die Frage, ob der Mensch die Offenheit und Ehrlichkeit besitzt, sich vor dem allmächtigen Gott hinzustellen und seiner Schuld ins Auge zu sehen. Das geschieht immer in der Anregung des Wortes Gottes.
Natürlich soll er um Gottes Willen, um seines Willen und auch um des Opfers Willen seiner Schuld bewusst werden und ermahnt werden. Aber diese beiden Ebenen sind unabhängig voneinander. Ich soll vergeben, auch wenn der andere sich überhaupt nicht darum schert.
So oft ist das in der Ehesilie ein ganz entscheidender Aspekt. Wenn man ihm jetzt vergeben würde und er sieht seine Schuld nicht, würden das manche als schlechte Auslegung ansehen. Aber das ist die Wirkung des Heiligen Geistes, dass diese Person, auch wenn sie einen ganz anderen Hintergrund hat, einmal begriffen hat, dass hier eine Dimension des Lebens, eine Quelle des Lebens entsteht, wo sie in ihrem tiefsten Herzen auch eine Sehnsucht danach hat.
Diese Sehnsucht nach Heilung vom Leben steckt in jedem Menschen. Es ist gerade das Verhärtende einer Religion, zum Beispiel im Islam, dass sie das ausblendet und als Schwäche auslegt. Aber auch nur durch einen Muslim weiß man um die Dimension von Schuld, von Täter- und Opfersein, das natürlich oft über Rache geregelt wird.
Die palästinensischen Täter werden hingerichtet. Das ist es, was den Müttern der Opfer als Seelenbeistand dient, wenn sie ihre Kinder verloren haben. Und es ist die viel tiefere Kraft des Evangeliums, dass hier nicht die Rache blüht, sondern die Vergebung, eine ganz umfassende Heilung durchläuft.
Ich sage hier vorne noch eine Meldung, eigentlich nur einen Satz, der die Bedeutung regt: Vergebung ist eine Entscheidung, und Versöhnung, das ist, was Sie sagen, wie er zeigt, ist ein Weg. Ja, das ist ein toller Gipfel. Aber Vergebung braucht diesen Einsatz, diese Entscheidung: "Ich will. Ich will mich auf den Weg machen." Diese Entscheidung könnte man Vergebung nennen, und Versöhnung ist dann der Prozess, der diese Vergebung auch emotional verwirklicht.
Vielen Dank.
Ja, jetzt war dort hinten eine Frage. Frau Boniak, wenn Gott vergibt, gibt es dann gar keine Strafe oder Erlassung? Im Gericht wird nur Beistand gesprochen. Auf der zwischenmenschlichen Ebene von Christ zu Christ kenne ich keine Racheforderungen oder Wiedergutmachungs- oder Entschädigungsforderungen. An anderen Stellen im politischen Kontext ist das anders. Im politischen Kontext wird Schuld nach dem Gesetzgericht gesühnt, juristisch.
Ja, aber wenn ich jetzt sage, ich lebe von der Vergebung und bitte um Vergebung und weiß, dass Gott mir auch vergibt, aber letztendlich leide ich ja auch aus Sinn heraus an den Folgen, was Sie ja auch gesagt haben, von diesen Umwelteinflüssen oder am Gericht Gottes, das Gott ja auch hier noch nicht vollziehen will.
Ich werde einmal sterben, wenn ich Sünder bin. Wir alle stehen unter dem Gericht Gottes. In unserem Leben werden wir sterben, aber wir werden ja auferstehen zu ewigem Leben. Das ist ein Leben, eine Dimension, die nichts verheißt, was nicht in das Gericht kommt, weil sie vom Tod zum Leben hindurchgedrungen sind.
Wir leben in einer todverfallenen Welt, in einer Welt, die durch Schuld, sei sie persönlicher oder überindividueller Art, todverfallen ist. Wir haben alle Anteile daran. Wir werden alle einmal sterben müssen und durch dieses Todesgericht hindurchgehen, aber eben dann zu einem Leben und nicht zum ewigen Tod und nicht in das Gericht, das all denen blüht, die an Jesus vorbeigehen.
Dieses heilsame Gericht, das Jesus schon vorneweg vollstreckt hat.
Natürlich, wenn ich einen Menschen ermordet habe, komme ich ins Gefängnis. Das ist zunächst einmal eine juristische Konsequenz, aber auch eine innerweltliche, irdische Konsequenz.
Wenn ich Alkoholiker bin oder mich der Drogensucht hingegeben habe, muss ich die Konsequenzen dieser Sucht tragen, auch wenn ich Christ werde. Ich werde dann krank sein, und diese Krankheit kann mein Leben einschränken. Das ist eine logische innerweltliche Konsequenz, aber eben nicht in der Ewigkeitsdimension.
Diese Entscheidung: Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, die zweite heißt auch Vergehen vergessen.
Vergeben und Vergessen: Eine theologische Unterscheidung
Vergebung setzt natürlich voraus, dass man Folgendes unterscheidet: Wir sind alle versöhnt. Gott hat in Christus die Welt mit sich versöhnt. Das ist die theologische Dimension der Versöhnung. Diese Versöhnung ist am Kreuz von Golgatha geschehen, unabhängig davon, ob wir es wollten oder wussten.
Insofern ist wirklich die ganze Welt, sind alle Menschen, wie Gott versöhnt – in der Tat. Aber Versöhnung bedeutet noch nicht Errettung. Diese Unterscheidung ist sehr wichtig.
Versöhnung ist vergleichbar damit, dass Gott uns einen Teppich unter die Füße legt, ob wir es wollen oder nicht. Sie ist vergleichbar mit dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland: Alle, die in Deutschland geboren sind, stehen automatisch auf dem Boden der deutschen Verfassung, des Grundgesetzes, ob sie das wollen oder nicht. So hat uns Gott am Kreuz von Golgatha den Teppich der Versöhnung unter die Füße gelegt und die Welt mit sich versöhnt.
Nun kommt es aber darauf an, dass ich mich meinerseits auch mit Gott versöhnen lasse. Deshalb sagt Paulus im Anschluss an diesen Satz: „So bieten wir nun an Christi statt an: Lasst auch ihr euch eurerseits versöhnen mit Gott!“
In dieser bewussten Annahme und Akzeptanz der Versöhnung, die am Kreuz von Golgatha bereits global geschehen ist, vollzieht sich dann auch die Vergebung der Schuld. Diese Schuld wird mir nicht angerechnet, weil Jesus mich im Gericht freisprechen wird.
Ohne diese Vergebung, ohne dass ich mich meinerseits versöhnen lasse, habe ich im Gericht keinen Fürsprecher. In diesem Fall wird mir die Schuld vor Augen gestellt, und ich werde aufgrund dieser Schuld gerichtet werden.
Vergeben und vergessen.
Vergeben und vergessen
Zunächst einmal können wir alle nicht vergessen, was in unserem Leben geschehen ist. Erinnerung ist immer präsent, egal was passiert ist. Niemand kann sie ausblenden. Wir tragen ein Leben lang Erinnerungen an Verletzungen mit uns, die uns widerfahren sind.
Jeder, auch jeder von uns, weiß um Dinge, die im Leben passiert sind. Selbst wenn sie längst vergeben sind, bleiben sie in unserer Erinnerung. Deshalb ist vergessen keine wirkliche Möglichkeit, die wir haben. Es gibt keine Art von Erinnerungsverlust oder Amnesie, bei der man sich an etwas nicht mehr erinnern kann. Wir werden uns immer an diese Dinge erinnern.
Gleichzeitig bedeutet vergeben aber, dass ich diese Dinge nie mehr ins Gespräch bringe. Die vergebene Schuld wird nicht mehr frisch aufgerollt oder neu thematisiert. Diese Dimension ist im Neuen Testament gegeben.
Wenn deshalb an diesen Holocaust-Mahnmalen immer steht „Vergessen ja, vergeben ja, vergessen nein“, dann ist das eine heikle Geschichte. Natürlich kann niemand den Holocaust vergessen. Kein Jude, der Opfer war, kann das vergessen. Was hier geschehen ist, ist in seine Seele eingebrannt.
Wenn er aber im christlichen Sinn vergibt, kann er das, was ihm geschehen ist, nicht immer wieder als Rechtsforderung oder Druckmittel anwenden. Denn durch die Vergebung ist der Rechtsanspruch der Schuld aufgehoben. Er ist dann nicht mehr Opfer, sondern versöhnt mit seinem Gegenüber.
Das ist die Unterscheidung von Vergessen, die ich hier gern einfügen möchte.
Juristische und emotionale Dimension von Vergebung
Jetzt gab es hier unten eine Frage. Auch hier muss man wieder unterscheiden. Sie merken, man muss immer lernen zu unterscheiden.
Wenn ich vergebe, ist das eine Wirklichkeit, die vor Gott gilt. Vergebung ist immer ein juristischer Akt. Ein juristischer Akt, der sich mit der Frage nach Vergebung und Versöhnung berührt. Dieser Akt gilt vor Gott genauso wie die Vergebung durch Jesus.
Wenn Jesus mir vergibt, spielt die Schuld im Gericht keine Rolle mehr. Ich kann für diese Schuld nicht mehr verurteilt werden. Wer mich auch immer anklagen will, diese Schuld ist von Gott vergeben und spielt keine Rolle mehr.
Wenn ich einem Menschen vergebe, ist das ebenfalls ein juristischer Akt, der vor Gott gilt. Ich rechne dieser Person die Schuld auch persönlich nicht mehr zu.
Das andere ist die emotionale Dimension, die wir mit Versöhnung beschrieben haben. Diese kann lange Zeit dauern und vielleicht ein Leben lang brauchen, bis ein solcher Prozess abgeschlossen ist.
Das unterscheidet mich sicher auch von Jesus, der Gott und Mensch war. Wir erfahren nichts von Jesu emotionaler Seite, aber er hat in einer besonderen emotionalen Qualität seinen Peinigern am Kreuz vergeben, wie wir es in diesem Moment nicht schaffen.
Es gibt also diese Dimension der göttlichen Entscheidung in unserer Vergebung. Wenn Sie Ihrem Schuldigen vergeben, gilt das vor Gott und ist vollkommen. Aber von Gottes Seite her, von seinen Möglichkeiten her, kann es bei Ihnen emotional wesentlich länger dauern, bis Sie den Versöhnungsprozess bewältigt haben. Das unterscheidet Sie wiederum von Jesus.
Eine Juristin sprach über einen Fall von Missbrauch an Kindern und sexuellem Missbrauch. Sie sagte, wenn das Opfer die Tat angezeigt hat, und dann wird der Täter selbst noch angezeigt, haben sie oft ein enges Verhältnis zueinander.
Wenn die Anzeige zurückgezogen wird, läuft der Prozess trotzdem weiter, weil der Staatsanwalt ihn übernimmt. Juristisch ist der Täter also nicht aus der Verantwortung entlassen, auch wenn das Opfer die Anzeige zurückgezogen hat.
Hier zeigt sich das juristische Denken, das auch in der Bibel vorkommt. Dort wird ein Wort gesprochen, das entweder Anklage oder Vergebung im juristischen Sinne bedeutet: Ist etwas da oder weg? Ganz gleich, wie es in unserer Emotionalität aussieht.
Abschluss der Einheit und Gebet
Ich glaube, wir sind jetzt alle erledigt. Es ist aber auch schon Zeit, es ist zwölf Uhr. Nun, das Mittagessen haben Sie sich verdient.
Ich möchte diesen Vormittag noch mit einem Gebet abschließen. Herr Jesus, danke für das Gebet, das du uns gegeben hast. Es ist nicht nur ein Gebet des Alltags, sondern ein Gebet des Lebens. Ein Gebet, in dem Lebensquellen erschlossen werden, wo wir Zugang zu deiner Heilung erfahren. Ein Gebet, das uns in eine Weite des Lebens führt, die uns völlig unbekannt ist.
Danke an diesem Morgen für die Zeit, die wir hatten, um auf dein Wort zu hören und dieses Gebet zu betrachten. Danke auch dafür, dass du uns jetzt im Rest dieses Tages begleitest. Behüte und beschütze uns, gib uns deinen Segen und lass uns alle zu Hörenden werden und bleiben.
In deinem Namen, Amen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und Ihr Interesse und wünsche Ihnen eine gute Zeit.