Ein Wort des Apostels Paulus, geprägt von Jesus, soll heute zu uns sprechen. In den meisten Kirchen unseres Landes ist das das Bibelwort, das uns für heute mitgegeben wird, aus dem Galaterbrief am Anfang.
Wenn ein Mensch etwa von einer Verfehlung ereilt wird – und jetzt muss ich kurz innehalten: Was für ein Mensch? Ein Mensch aus der Brüdergemeinde? Geht es um Geld, Frauen, ein dummes Wort oder Zorn? Das wäre doch peinlich für uns. Man sagt doch ohnehin von uns, wir seien Schauspieler. Und unter uns wird gemunkelt, dass man von dem auch nicht gedacht hätte, dass ihm so etwas passiert, dass er nicht fester steht.
Paulus spricht aber nicht von denen draußen, sondern von uns. Und all das, was wir dagegen einwenden, ist so vordergründig. Denn der Herr Jesus ließ uns wissen: Ihr müsst ganz anders mit dem Bösen rechnen. Euer Charakter ist lieb, eure Tradition ist richtig, eure Gewohnheit gut – aber der Böse möchte euch gewinnen. Das wissen wir aus diesem Buch.
„Ich gebe keinen her“, sagt der Teufel. „Ich will schon sehen, wer mir gehört.“ Mit dem Bösen rechnen, aber noch mehr mit mir, mit Jesus. So war es doch damals, als Petrus, Vorbild der anderen Jünger Jesu, seinem Herrn vertrauensvoll sagte – so verstehe ich es: Diese Kadetten, die verlassen dich alle einmal, wenn es hart auf hart kommt. Aber ich werde da sein, ich halte zu dir.
Und Jesus antwortete: Weißt du, wie es mit dem Teufel ist? Er ist nicht an der Spreu interessiert, die der Wind verstreut, nicht am Häckseln. Er will den Weizen herausfiltern. Du bist wertvoll, aber auf dich hat es der Satan abgesehen. Doch ich habe für dich gebetet, dass dein Glaube nicht aufhöre. Ich bin auch noch da, und ich lasse meine Leute nicht so schnell los.
Als nach Ostern der Herr Jesus Petrus nachging nach der schauerlichen Verleugnung, da fragte Jesus nicht: Wie war es mit deinem Charakter, mit deinem Durchhaltewillen? Sondern: Hast du mich lieb? Rechnest du überhaupt noch mit mir?
Die Herausforderung des Bösen und die Treue Jesu
Deshalb lautet die Überschrift heute an diesem Festtag etwas merkwürdig: „Mit dem Bösen rechnen, aber noch viel mehr mit Jesus.“
Nun wollen wir noch etwas tiefer hineinhören in das, was der Apostel Paulus über Jesus geprägt hat. Er gibt seine Gedanken seiner Gemeinde in Galatien und auch uns weiter. Paulus schreibt: Wenn ein Mensch von einer Verfehlung ereilt wird, so helft ihm wieder zurecht – und zwar mit einem sanftmütigen Geist. Ihr, die geistlich seid, hoffentlich vom Geist Jesu geprägt, sollt dabei auch auf euch selbst achten, damit ihr nicht ebenfalls versucht werdet.
Jede Seelsorge und jede Beschäftigung mit Verfehlungen ist zugleich auch eine Versuchung für uns. Wenn wir einem Menschen helfen wollen, besteht die Gefahr, dass wir selbst in dieselbe Situation geraten.
Man merkt, dass der Apostel Paulus genau nach Worten sucht, die passen und geeignet sind. Er spricht nicht von Sünde oder Dummheiten, sondern von einer Verfehlung. Das klingt fast entschuldigend, wie ein Ausrutscher.
Wenn jemand von einer Verfehlung ereilt wird – das ist wie an einem Tag, an dem schwarze Wolken hinter dem grünen Himmel aufziehen. Man macht einen Spaziergang und denkt: „Ich komme noch heim, bevor der Regen losgeht. Ich kann ja laufen.“ Man rennt die Straße hinunter und denkt am Saalplatz: „Jetzt haben wir es geschafft, ich komme trocken heim.“ Doch dann beginnt der Regenguss. Die letzten paar Meter bis zur Hofmannstraße wird man pudelnass – man ist ereilt.
So ist es auch mit der Verfehlung: Man meint, man kommt davon, aber plötzlich hat sie einen gepackt.
Die Realität menschlicher Schwäche und Gemeindereaktionen
Kennen Sie das Gefühl, von einer Verfehlung ereilt zu werden? Ein liebes Gemeindeglied aus unserer Gemeinde ist neulich an unserem Haus vorbeigegangen, hat etwas aus dem Küchenfenster gehört und gesagt: „Ah, ah, ah, so wird bei Sheppus auch gesprochen.“ Das war eigentlich nicht das Schlimmste.
An meiner ersten Pfarrstelle hatten wir einen grandiosen Organisten, der von Beruf Banker war. Am Sonntagabend spielte er noch mit einem herrlichen Orchester, mit hochdotierten Solisten und einem schönen Säuflinger Kirchenchor „Gott, Herr, Sonne und Schild“. Am Montagmorgen wurde er von der Polizei abgeholt, weil er große Summen veruntreut hatte. Die Gemeinde hat ihn daraufhin fallen gelassen.
Auch die Gemeinde Jesu, so wie bei uns in Korntal, ist umgeben von einem Gürtel von Menschen, die einmal dazugehörten – fröhlich und mitarbeitend. Doch dann kam eine dumme Geschichte dazwischen. Sie hatten wohl auch Angst vor unserem Geschwätz und unserer Häme und schämten sich selbst. Nicht nur Trauer kann eine wie eine unsichtbare Wand zwischen Menschen aufrichten, sondern auch das Gefühl, von einer Verfehlung ereilt zu sein.
Man wird denen, denen man bis dahin freundlich gesonnen war, plötzlich fremd. Wir haben große Programme, um Außenstehende zu gewinnen, und unsere Zeit ist davon erfüllt. Die erste Aufgabe wäre jedoch, denen nachzugehen, die aus Angst und Sorge, durch Dummheiten weggeblieben sind.
Wir brauchen keine Gemeindeaufbauprogramme, sondern nur ein Herz wie Jesus. Er begegnete der Ehebrecherin, von der Johannes 4 erzählt. Wie hat er sich selbst demütig eingeladen beim Zachäus? Wie hat er dem Petrus nach Ostern Brücken gebaut, dem Verleugner? Wie hat er selbst noch Judas im Garten Gethsemane eine Brücke bauen wollen? „Verrätst du den Menschen so mit einem Kuss?“
Menschen gewinnen – das ist die Aufgabe. Der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und zu retten, was verloren ist.
Die Kraft der Barmherzigkeit und das Beispiel Jesu
Um die fünfziger Jahre herum gab es auf dem Herzfeld bei Aalen auf diesem geistlich vertrockneten Boden eine Erweckung, und zwar um das Neresheimer Haus am Sohl.
Im Mittelpunkt stand ein feuriger Pfarrer, ein ehemaliger Generalstabsoffizier. Eines Tages ging das Gerücht durch Württemberg: „Hast du es auch schon gehört? Da haben fromme Leute Orgien gefeiert. So sind sie eben, die Superfrommen.“
Der Heidenheimer Dekan wurde vom Oberkirchenrat beauftragt, die Sache etwas in den Griff zu bekommen. Es war Walter Klach, der in Württemberg dafür bekannt war, dass er für die Gebote Gottes und für heilige Ordnung eingetreten ist. Als er jedoch nach Neresheim kam, sagten viele Leute: „Was hast du denn gemacht? Du bist doch viel zu lax. Du musst ein Exempel statuieren!“
Walter Klach antwortete, dass man den Christen rechtzeitig sagen müsse, dass es den Bösen gibt und unglaublich viel Versuchung. Er zitierte gerne das Wort: „Der Teufel hat sechstausend Jahre Erfahrung, wie er schwache Menschen herumkriegt. Und er hat 2000 Jahre Erfahrung, wie er erst recht Christen herumkriegt.“
Er ließ sich von Jesus sagen: Wer einmal von einer Verfehlung ereilt wurde, hat ein Recht auf die Barmherzigkeit Jesu und darauf, zurückgeholt zu werden. In Lukas 15 wird dreimal hintereinander erzählt, dass das verlorene Schaf gesucht wird. Der Hirte freut sich über das eine gefundene Schaf, den einen verlorenen Groschen, den verlorenen Sohn. Er sucht, bis er ihn findet, und wenn er ihn gefunden hat, legt er ihn auf seine Schultern und freut sich.
Wenn ein Mensch von einer Verfehlung ereilt wird, so helft ihm doch wieder zurecht mit sanftmütigem Geist, sagt der Apostel Paulus. Ihr, die geistlich seid!
Sogar Menschen schaffen das, die sich noch gar nicht selbst als geistlich bezeichnen würden. Als wir in Schorndorf ins Pfarrhaus eingezogen sind und noch auf den Kisten saßen, kam der erste Seelsorgesuchende zu uns. Es war ein Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr, ein gestandener Mann. Er sagte: „Herr Pfarrer, ich möchte raus aus der Trunksucht, aus dem Alkohol.“
Wir waren froh, dass Dr. Rieth auf dem Rindenhof Wilhelmsdorf ihn außer der Warteliste aufgenommen hat. Nach den ersten Untersuchungen sagte Dr. Rieth: „Da kann bloß noch Jesus helfen.“ Und tatsächlich hat Jesus geholfen. Wilhelm wurde trocken, aber vor einem hatte er Angst: vor den Kameradschaftsabenden der Feuerwehr, wo mancher Durst gelöst wird.
Ich konnte mit ihm reden, und er sagte: „Wenn der Wilhelm trocken ist, dann trinken wir bei den Kameradschaftsabenden Cola.“
Solche Menschen können wir zu Recht helfen, auch wenn sie sich noch nicht einmal selbst als geistlich bezeichnen. Gott will doch helfen, wenn wir den Geist Jesu haben, den er uns anbietet und um den wir bitten dürfen.
Er möchte, dass wir Phantasie und Bereitschaft bekommen, Menschen anteilnehmend, suchend und bittend hereinzuhelfen und zurechtzuhelfen.
Gemeinschaft und gegenseitige Unterstützung als Gesetz Christi
Es geht weiter: Einer trage des Anderen Last, so werdet ihr das Gesetz des Christus erfüllen.
Es ist ganz merkwürdig, dass der Apostel Paulus, der das Gesetz liebt – das Gesetz Moses, die Ordnungen Gottes – aber auch gesehen hat, dass man sich moralisch an einzelnen Geboten festklammern kann und sich dabei toll fühlen kann, weil die anderen es ja nicht tun, trotzdem diesen Begriff vom Gesetz benutzt.
Für Jesus war das Gesetz ein Marschbefehl, den er von seinem Vater bekommen hat: Suche die Verlorenen, fang mit Israel an, den verlorenen Schafen aus dem Haus Israel. Das war das Gesetz, unter das sich Jesus stellte – nicht moralisch: „Ach, die sind doch verloren.“ Der Mensch jammerte ihn. In Matthäus 9 heißt es: „Denn sie waren verschmachtet und zerstreut wie Schafe, die keinen Hirten haben.“
Dann hat Jesus es wahrgemacht, wie es früher der Bruder bei der Schriftlesung gelesen hat: Es wurde erfüllt, was geschrieben steht beim Propheten Jesaja. Er hat unsere Lasten getragen – bis hin zum Kreuz.
Es waren nicht einfach die Schmerzen eines Hingerichteten, sondern die Last der Welt lag auf ihm, die ganze Verdammung, die eigentlich uns gehört. Er hat unsere Lasten getragen.
Der Begriff „Last“ hat in der Bibel einen ganz großartigen Klang – ein Erschrecken über diese Last. Schon der Brudermörder Kain fragte: „Wer bin ich, dass ich diese Last tragen kann?“ Die Klagelieder des Propheten Jeremia drücken das aus: „Die Lasten meines Volkes drücken mich in den Boden.“
Bis hin zu Jesaja 53, wo es heißt, dass er, der Allerverachtete, sich abmüht. Er ist der große Kuli, der Lastenträger mit unseren Lasten. Er hat die Lasten der Vielen getragen.
Die persönliche Last und die befreiende Gemeinschaft mit Christus
Ich möchte jetzt gerne mit jedem Einzelnen von Ihnen sprechen. Jeder von uns trägt Sorgen: um Enkel, den Beruf, die Gesundheit und die engsten Angehörigen. Doch wir sprechen nur selten darüber, was uns innerlich belastet – die Trauer, die Einsamkeit.
Die schwerste Last ist, oder sollte für uns sein, das, was neulich ein frommer Korntaler zu mir sagte: „Ich weiß nicht, ob ich einmal in den Himmel kommen kann.“ Diese Last muss weg. Sie muss geklärt werden. Ich bin angenommen. Jesus hat unsere Lasten getragen. Und diesem Jesus sollen wir gehören. Das soll heute Morgen mit uns geschehen – nicht nur als Vorbild oder bloße Anweisung.
In unseren Gemeinden wird heute so viel darüber gesprochen, was wir tun sollen, was wir spenden sollen und wo wir noch mitarbeiten sollen. Es gibt so viel Druck! Doch Jesus will entlasten. Wir sollen als Entlastete hinausgehen, nicht mit neuen Befehlen. So wie die Einladung lautet: „Herr, zu mir!“
„Damit ihr in mir Frieden habt.“ Über die Lehre von der Dreieinigkeit wird oft hämisch gelästert. Man sagt, sie sei eine Erfindung der Christen, ein reines Gedankengebilde. Doch nein, Jesus sagt: „Vater, sie sollen in uns sein, wie ich in dir bin.“ So wie Jesus mit seinem Vater untrennbar verbunden war und es bis heute ist, dürfen auch wir in die Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohn hineingeschweißt sein.
Dann ist das, was für Jesus Gesetz war, kein Marschbefehl mehr. „Einer trage des anderen Lasten“ wird kein Gesetz mehr sein, sondern eine Freude. Dann werden wir erfahren: „Ich kann gar nicht anders, als dem anderen ein wenig zur Seite zu stehen.“ Darauf können wir staunend warten, dass Jesus das wahr machen will.
Und das wird ein Fest geben – nicht bloß ein Straßenfest. Amen.