Einführung: Vollmacht als Lebenswirklichkeit
Das Buch Josua ist wirklich spannend. Es ist ein Buch, das mitten ins Leben greift. Es handelt von Menschen, die auf dem Weg mit Gott sind – von ihrem Zögern und Sagen, aber auch von ihrem Glauben.
Heute geht es um die Vollmacht. Gott gibt Vollmacht. Doch was ist eigentlich Vollmacht? Was Vollmacht bedeutet, wird schon zwei Kapitel vorher deutlich. Besonders in dem Kapitel, das ich sehr schätze, aber das hier leider ausgespart wurde. Es handelt von einer etwas merkwürdigen Frau, Rahab, jener Prostituierten aus Jericho.
In diesem Kapitel wird klar: Vollmacht ist eine Gabe, ein Wort mit Gewicht zu sprechen. Sie kennen sicher das spannende Kapitel, in dem israelitische Kundschafter sich aufmachen, um Jericho zu erkunden. Sie schleichen sich in die Stadt und gehen durch die einzige Tür, durch die Männer unverdächtig eintreten können – nämlich zu einer Hure.
Nun sind sie auf Gedeih und Verderb auf diese Frau angewiesen. Sie könnte sie verraten. Und dann wären sie in Null Komma nichts in Jericho enthauptet worden. Doch diese Frau Rahab hat eine andere Idee. Ihr dämmert etwas: Wenn Israel kommt, dann machen die uns allen den Garaus. Wenn Israel kommt, dann werden sie uns in Grund und Boden stampfen und Jericho plattmachen.
Jetzt ist die Chance des Lebens gekommen. Diese Frau hat eine Stunde in ihrem Leben, um ihrem Leben eine Wende zu geben. Und diese Stunde, als die zwei Kundschafter kommen, ergreift sie diese Chance. Sie macht mit ihnen ein Geschäft: Sie gibt ihnen ihr Wort, sie verrät sie nicht. Dafür geben die Kundschafter ihr ihr Wort, dass sie und ihre ganze Familie leben dürfen, wenn Israel Jericho zerstört.
Plötzlich geben sich zwei Parteien – die Kundschafter und Rahab – gegenseitig ein Wort. Und sie halten dieses Wort. Sie halten Wort. Dort, wo Wort gehalten wird, wächst Vertrauen. Und dort, wo Vertrauen wächst, wächst Vollmacht.
Das ist das wirklich Interessante: Vollmacht wächst über einem Wort, das gehalten wird. So ist es auch bei uns. Dort, wo Menschen verlässlich werden, können sie ein Wort mit Gewicht sprechen – ein Wort, hinter dem etwas steckt. Und das ist ein Wort mit Vollmacht.
Das ist das Geheimnis von Gottes Wort: Gott hält, was er verspricht. Deshalb ist Gottes Wort ein Wort mit Gewicht. Dieses Wort hat Gewicht, weil man darauf vertrauen und sich darauf verlassen kann.
Oft ist es umgekehrt: Die Worte unseres Lebens sind zu leicht und leer. Dadurch wird unser Leben oft ebenfalls zu leicht und leer. Bei Gott ist das anders. Dort, wo er uns lehrt, zu unserem Wort zu stehen und verlässlich zu werden, bekommen wir Worte mit Gewicht. Und so erhält unser Leben Vollmacht.
Gottes Vollmacht im Handeln: Die Geschichte aus Joshua 4
Jetzt aber zu dieser Geschichte. Gott gibt Vollmacht in Josua 4. Es sind 24 Verse, aber wir nehmen uns die Zeit, sie zu lesen. Wir lesen die Bibel. Wir sind ja alle Generation Pisa, wir üben wieder das Lesen. Das machen wir jetzt zusammen.
Ich habe das alles hier versucht auf Folie darzustellen, und jetzt muss die Technik nur noch kommen. Ja, sie kommt, irgendwann tut sie es.
Als nun das Volk ganz über den Jordan gegangen war, sprach der Herr zu Josua: „Nehmt euch aus dem Volk zwölf Männer, aus jedem Stamm einen, und gebietet ihnen, hebt mitten aus dem Jordan zwölf Steine auf, von der Stelle, wo die Füße der Priester stillstehen, und bringt sie mit euch hinüber. Legt sie in dem Lager nieder, wo ihr diese Nacht bleiben werdet.“
Da rief Josua die zwölf Männer, die er bestellt hatte, aus Israel, aus jedem Stamm einen, und sprach zu ihnen: „Geht hinüber vor der Lade des Herrn, eures Gottes, mitten in den Jordan, und hebt an jeder Stelle einen Stein auf, je einen auf die Schulter, nach der Zahl der Stämme Israels. Damit sie ein Zeichen seien unter euch, wenn eure Kinder später einmal fragen: ‚Was bedeuten euch diese Steine?‘
So sollt ihr ihnen sagen: ‚Weil das Wasser des Jordans weggeflossen ist vor der Lade des Bundes des Herrn, als sie durch den Jordan ging, sollen diese Steine für Israel ein ewiges Andenken sein.‘“
Da taten die Israeliten, wie ihnen Josua geboten hatte, und trugen zwölf Steine mitten aus dem Jordan, wie der Herr zu Josua gesagt hatte, nach der Zahl der Stämme Israels. Sie brachten sie mit sich hinüber in das Lager und legten sie dort nieder.
Und Josua richtete zwölf Steine auf mitten im Jordan, also zwölf andere Steine. Es geht um zweimal zwölf Steine: zwölf raus im Jordan, im Lager in Gilgal, und zwölf im Jordan.
Josua richtete zwölf Steine auf mitten im Jordan, wo die Füße der Priester gestanden hatten, die die Bundeslade trugen. Diese Steine sind noch dort bis auf den heutigen Tag.
Die Priester aber, die die Lade trugen, standen mitten im Jordan, bis alles ausgerichtet war, was der Herr dem Josua geboten hatte, dem Volk zu sagen – genau wie Mose es dem Josua geboten hatte. Und das Volk ging eilends hinüber.
Als nun das Volk ganz hinübergegangen war, da ging die Lade des Herrn auch hinüber, und die Priester vor dem Volk her.
Und die Rubeniter, Gaditer und der halbe Stamm Manasse gingen gerüstet vor den Israeliten her, wie Mose zu ihnen geredet hatte. Sie wissen die Geschichte: Diese Stämme hatten ihr Stammesgebiet auf der Ostseite des Jordan, aber Josua verpflichtete sie, mitzukämpfen und mit zu erobern. Erst danach durften sie wieder zurückgehen.
An 40.000 zum Krieg gerüstete Männer gingen vor dem Herrn her zum Kampf im Sörgetal vor Jericho.
An diesem Tag machte der Herr den Josua groß vor ganz Israel, und sie fürchteten ihn, wie sie Mose gefürchtet hatten sein Leben lang.
Und der Herr sprach zu Josua: „Gebiete den Priestern, die die Lade mit dem Gesetz tragen, dass sie aus dem Jordan heraufsteigen!“
Da gebot Josua den Priestern: „Steigt herauf aus dem Jordan!“
Und als die Priester, die die Lade des Bundes des Herrn trugen, aus dem Jordan heraufstiegen und mit ihren Fußsohlen aus trockenen Gründen kamen, floss das Wasser des Jordans wieder in seine Stätte und strömte wie vorher über alle seine Ufer.
Es war aber der zehnte Tag des ersten Monats, als das Volk aus dem Jordan heraufstieg, und sie lagerten sich in Gilgal, östlich der Stadt Jericho.
Die zwölf Steine, die sie aus dem Jordan genommen hatten, richtete Josua in Gilgal auf und sprach zu Israel: „Wenn eure Kinder später einmal ihre Väter fragen: ‚Was bedeuten diese Steine?‘, so sollt ihr ihnen kundtun und sagen: ‚Israel ging auf trockenem Boden durch den Jordan, als der Herr, euer Gott, den Jordan vor euch austrocknete, bis ihr hinübergegangen wart.‘
So wie der Herr, euer Gott, am Schilfmeer getan hatte, dass er vor uns austrocknete, bis wir hindurchgegangen waren, damit alle Völker auf Erden die Hand des Herrn erkennen, wie mächtig sie ist, und den Herrn, euren Gott, allezeit fürchten.“
Gottes Vollmacht bestätigt Glauben
Gott gibt Vollmacht – das hat Heiko Grimmer über diese Geschichte geschrieben.
Vielleicht ist das nicht der Hauptaspekt dieses Kapitels, aber dennoch ein wichtiger Punkt.
Ich habe dazu drei Aspekte herausgearbeitet.
1. Vollmacht durch Bestätigung des Glaubens
Das Erste, was Gott gibt, ist Vollmacht, indem er Glauben bestätigt. Was Joshua und das Volk Israel hier erleben, ist ein Wunder. Gerhard Meyer hat gestern bereits darüber gesprochen. Israel steht wieder einmal vor einer Grenze. Wie oft ist das in den vergangenen Jahren schon vorgekommen? Immer wieder – nicht nur am Schilfmeer, sondern auch während der 40 Jahre in der Wüste. Immer wieder standen sie an der Grenze des Hungers, an der Grenze des Verhungerns, an der Grenze des Verdurstens. An vielen Grenzen des Lebens gab es immer wieder Enttäuschungen und Ernüchterungen. Und so ist es auch jetzt wieder: eine Grenze, der Jordan. Wieder stellt sich die Frage: War alles umsonst? Hat Gott uns an der Nase herumgeführt? Hat Gott mit uns Schabernack getrieben? War alles nur eine blinde Täuschung, ein Werk eines schlimmen Gottes, eines Gottes, der uns betrogen hat?
Wie ist das mit den Grenzen des Lebens? So kurz vor dem Ziel und dann wieder ein Hindernis. Wann hört es endlich auf? Das ist eine Grundsituation unseres Lebens. Vielleicht kennen Sie das. Ich bin sicher, es gibt Menschen, die das sehr gut nachvollziehen können. Wenn man immer und immer wieder vor Grenzen im Leben steht – im beruflichen Leben, in Beziehungen, mit der Gesundheit. Wenn man denkt, man habe ein Wunder erlebt, Gott habe wunderbar hindurchgetragen, und dann steht man wieder vor einer Grenze. Es geht wieder von vorne los.
So wie Joshua und Israel stehen auch wir immer wieder vor Grenzen. Wir haben wahrscheinlich unüberwindliche Hindernisse. Das ist eine Grundsituation unseres Lebens. Es gibt schwere Prüfungen, die es zu bestehen gilt. Es gibt Beziehungskonflikte, die manchmal ausweglos scheinen, wo man denkt, da kommen wir nicht mehr gemeinsam heraus. Es gibt gesundheitliche Grenzen, bei denen die Zukunft verriegelt scheint. Das, was Joshua mit Israel hier erlebt, das erleben auch wir – das ist unser Leben.
Und dann passiert das, was Gott hier tut: Gott hält auf einmal die Wasser des Jordans auf wunderbare Weise an. So können wir, wie Israel, in ein neues Land einziehen. Vielleicht können wir besser erklären, was mit dem Jordan geschehen ist. Vielleicht können wir erklären, wie bei uns Wunder geschehen sind. Aber es bleibt dabei: Für uns sind es Wunder, dass auf einmal neue Türen aufgegangen sind, dass Heilung geschehen ist, dass Beziehungen wieder heil geworden sind.
Für Israel war es ein Wunder, und für uns ist es das auch. Gleichzeitig war es eine Bestätigung des Glaubens dieses einen Mannes, Joshua. Gott hat einen Mann vorne hingestellt. Es war nicht nur ein Team, es war einer, ein Frontmann. Es ist eine Sache, für sich persönlich ein Glaubenswagnis einzugehen. Es ist eine Sache, als junger Mensch für sich persönlich einen Schritt des Glaubens in eine ungewisse Zukunft zu tun. Es ist eine andere Sache, das als Familienvater oder Familienmutter für eine ganze Familie zu tun, bei der Kinder mit einbezogen sind. Und es ist noch einmal eine andere Sache, das für eine Gemeinschaft, eine Gemeinde, einen CVJM zu tun. Und noch einmal eine andere Sache, das für ein ganzes Volk zu tun, so wie Joshua es hier tut.
Für einen selbst mag das Risiko noch überschaubar sein. Wenn es schiefgeht, dann ist man nur selbst der Blamierte. Wenn es schiefgeht, hat man nur selbst einen Verlust gemacht, ist man nur selbst der Geschädigte und Leidtragende. Es ist eine ganz andere Sache, für andere ein Glaubenswagnis einzugehen. Was Joshua erlebt hat, erlebe ich in ganz kleinem Maßstab, seitdem ich Zepat im Landesvorsitzendenamt bin. Da trägt man Verantwortung für andere. Da trifft man Entscheidungen, die man nur im Glauben treffen kann. Seither verstehe ich diese Geschichten noch einmal viel besser.
Wenn man auf einmal Personalverantwortung übernimmt – und manche von Ihnen haben vielleicht einen Betrieb mit Angestellten, die man bezahlen muss, deren Existenz und die ihrer Familien man mitverantwortet – im CVJM muss man Geld zusammenbetteln: Jugendgottesdienst, Bengelhaus, immer wieder Geld zusammenbetteln. Ich komme aus einer Familie, wissen Sie, wir waren nicht üppig reich, aber es hat immer gereicht. Es gab keine Nacht in meinem Leben, in der ich Angst gehabt hätte, dass es morgen nichts mehr zu essen gibt oder das Geld ausgeht. Nein, es hat immer gereicht. Wir waren gesegnet dadurch, dass wir nie Sorge hatten um unser täglich Brot.
Und dann wird man Zepat im Vorsitz und hat auf einmal Verantwortung und muss um Geld betteln für andere Menschen. Da ist mir deutlich geworden, was mit Joshua passiert ist, was mit Mose passiert ist: Man trägt Verantwortung für ein ganzes Volk und muss Schritte im Glauben wagen, bei denen man nicht nur selbst drinhängt, sondern viele andere mit. Da leistet man eine Unterschrift und weiß genau: Wenn Gott nicht hilft, dann kannst du einpacken. Aber nicht nur das: Wenn Gott nicht hilft, dann können andere auch einpacken – und ihre Familien mit.
Das ist die Joshua-Situation. Joshua geht hier im Glauben auf Gottes Wort Schritte, an denen ein ganzes Volk hängt. Die Existenz eines ganzen Volkes steht auf dem Spiel – unvorstellbar. Und er geht Schritte, die nach menschlichem Ermessen eigentlich nicht funktionieren können. Schritte, die nach menschlicher Wahrscheinlichkeitsrechnung völlig unwahrscheinlich, ja, völlig illusionär sind. Aber er geht sie. Er geht Schritte des Glaubens und wird von Gott dafür bestätigt.
Was uns diese Geschichte lehrt, ist ein Glaube, der etwas wagt. Joshua geht Schritte. Es ist ein Glaube, der sich nicht an Wahrscheinlichkeitsrechnungen aufhält, der nicht an den Kalkulationen unseres Lebens resigniert, sondern der auf Gottes Wort hin losgeht.
Wissen Sie, was unseren Glauben, was meinen Glauben immer wieder schwinden und schwach werden lässt? Das sind die Umstände. Der Blick auf die Umstände. Der Blick auf den Jordan: Da ist ein Fluss, der fließt, der ist tief. Man kann nicht einfach mit ein paar Zigtausend, Hunderttausend Menschen durchmarschieren. Das geht nicht. Das sind die Umstände.
Was unseren Glauben immer schwach macht, ist der Blick auf die Probleme, die Schwierigkeiten, die Hindernisse dieser Welt und unseres Lebens. Da mag es die angespannte gesundheitliche Situation sein. Nach menschlichem Ermessen schaffe ich das nicht, was Gott mir aufträgt. Da mag es eine spannungsvolle Familiensituation sein. Nach menschlichem Ermessen hält unsere Ehe das nicht aus, unsere Familie das nicht aus. Da mag es die angespannte Kontosituation sein – auf dem privaten Konto, auf dem CVJM-Konto, auf dem Gemeindekonto. Nach menschlichem Ermessen geht das alles nicht mehr. Da mag es eine schwierige Mitarbeitersituation sein, in der Kirchengemeinde oder im CVJM. Nach menschlichem Ermessen sind wir am Ende.
Und der Glaube ignoriert diese Gegebenheiten nicht. Nein, wir ignorieren das nicht, das wäre schwärmerisch. Wir sind keine Schwärmer. Wir nehmen das wahr. Der Glaube nimmt Dinge wahr, er schaut hin. Ja, wir ignorieren das nicht. Aber der Glaube fixiert sich nicht auf diese Umstände. Der Glaube fixiert sich nicht auf die Wahrscheinlichkeitsrechnungen dieser Welt. Der Glaube fixiert sich nicht auf die Kalkulationen dieser Welt.
Der Glaube sieht nicht nur die Expertenprognosen. Der Glaube sieht nicht nur die ärztlichen Bulletins. Der Glaube sieht nicht nur die Wirtschaftsaussichten, nicht nur Finanzkalkulationen. Das sind alles wichtige Dinge. Bitte, wir sind keine Schwärmer. Wir hören das, wir nehmen das wahr. Aber all diese Dinge werden für den Glauben niemals den letzten Ausschlag geben.
Wenn wir uns auf diese Dinge fixieren, dann werden wir schwach. Dann werden wir betrogen von einer Wirklichkeit, die nicht die Wirklichkeit Gottes ist. Die Wirklichkeit Gottes ist etwas ganz anderes.
Wenn wir uns in unserem Glauben an Gott in den Sog von Wahrscheinlichkeitsrechnungen und Kalkulationen ziehen lassen, dann saufen wir im Jordan ab. Dann saufen wir ab. Das, was wir mit unseren Augen sehen können, mit unseren Sinnen berechnen können, das ist niemals die letzte Wirklichkeit Gottes. Die erfasse ich nur im Glauben. Da komme ich nur im Glauben hin. Gottes Wirklichkeit ist nicht zu berechnen, nicht zu greifen.
Freund Pfarr, Sie haben vier Kinder. Das dritte Kind ist ein Kind mit Down-Syndrom, mongoloid. Und dann haben Sie überraschenderweise noch ein viertes Kind bekommen. Dieses vierte Kind – man konnte es am Ultraschall sehen – hatte eine offene Schädeldecke. Alle Ärzte, die das rauf und runter untersucht haben, sagten, mit höchster Wahrscheinlichkeit werde Ihr Kind schwerstbehindert sein. Ich kann das jetzt medizinisch nicht erklären, aber es wird höchstwahrscheinlich schwerbehindert sein.
Und dann erleben Sie, was heute üblich ist in unseren Krankenhäusern, bei unseren Ärzten: Die eine Botschaft lautet unisono im Chor: Abtreiben, abtreiben, weg damit! Schwerstbehindert, höchstwahrscheinlich abtreiben.
Und dann haben Sie und Ihre Frau entschieden: Nein, auch ein schwerstbehindertes Kind ist ein Kind Gottes, eine Gabe Gottes, eine Schöpfung Gottes, ein Kind, das er geschaffen hat, das er will. Bitte glauben Sie nicht, dass man so etwas leicht sagt. Das sagt man nicht leicht. Wenn man schon ein behindertes Kind hat, dann sagt man das nicht leicht. Dann weiß man, was man tut.
Und Sie haben Ja gesagt zu diesem Kind, trotz aller ärztlichen Bulletins, trotz aller Ultraschall- und was-weiß-ich-Untersuchungen. Dann kam ein kerngesunder Junge zur Welt. Ein kerngesunder Junge, der hier oben so ein Geschwulst hatte, das aber mit einer problemlosen Operation entfernt werden konnte. Ein kerngesunder Junge.
Geben Sie niemals den Wahrscheinlichkeitsprognosen das letzte Wort. Niemals. Geben Sie ihnen ein Rederecht, aber nicht das letzte Wort. Geben Sie niemals den Finanzprognosen das letzte Wort. Ein Rederecht! Ich will mich hier nicht mit Schatzmeistern und Kirchengemeinderäten für Finanzfragen anlegen. Ein Rederecht, ja, aber nicht das letzte Wort.
Der Glaube sieht immer weiter. Der Glaube erschöpft sich niemals in dem, was Menschen für möglich oder unmöglich halten. Und wenn sich unser Glaube darin erschöpft, dann ist er erschöpft.
Die Worte Gottes haben immer eine höhere Realität als die Wahrscheinlichkeitsrechnungen und Kalkulationen dieser Welt. Und wenn Gott sagt: „Geh!“, wenn Gott zu einem Joshua sagt: „Geh durch den Jordan!“, dann können wir nicht nur gehen, sondern dann müssen wir gehen. Dann müssen wir gehen.
Joshua gewinnt hier Vollmacht. Joshua gewinnt Vollmacht, indem Gott seinen Glaubens- und Gehorsamsschritt bestätigt. Da hat ein Mensch weitergesehen, als wir mit unseren natürlichen Augen sehen. Und Gott hat ihn dafür bestätigt.
In 4. Mose 14,14 heißt es: „An diesem Tag machte der Herr den Joshua groß vor ganz Israel, und sie fürchteten ihn.“ Das heißt, sie respektierten ihn, sie achteten ihn, wie sie Mose ihr Leben lang gefürchtet hatten.
Bitte betrachten Sie die Schwierigkeiten, die Hindernisse und die Probleme Ihres Lebens immer aus dem Blickwinkel des Glaubens: Ihre Beziehungen, die schwierig sein mögen, Ihre Gesundheit, die angeschlagen sein mag, Ihre Finanzen, die knapp sein mögen. Und dann machen Sie Schritte des Glaubens. Vertrauen Sie auf den Gott, der Joshua und ganz Israel durch den Jordan führt, und Sie werden Vollmacht gewinnen – in Ihrer Familie, in Ihrer Gemeinde, in Ihren Beziehungen. Menschen werden sehen: Hier ist ein Mensch, der weiter sieht, als wir mit unseren Augen sehen.
Gott gibt Vollmacht, indem er den Glaubensschritt bestätigt.
2. Vollmacht durch Ausweisung des Berufenen
Ein zweiter Gott gibt Vollmacht, indem er seinen Berufenen ausweist. Was Joshua erlebt, ist die klassische Situation eines Nachfolgers – des Nachfolgers eines großen Vorgängers. Die Stiefel, die dieser Joshua anziehen muss, sind riesengroß. Riesengroß!
Es ist nicht umsonst, dass am Anfang des ersten Kapitels immer wieder steht: „Sei getrost und unverzagt.“ Ich glaube, drei- oder viermal wird das Gleiche betont. Gott muss es Joshua mehrfach eindrücklich einprägen: Sei getrost und unverzagt! Warum sagt er das? Weil Joshua höchst verzagt und ungetrost war – was ich gut verstehen kann.
Da stehen Zigtausende von Menschen hinter ihm, und er soll sie in ein Land führen, in dem Milch und Honig fließen. Doch dort gibt es Riesen, stark befestigte Städte, und jeder hat etwas dagegen, dass sie kommen. Man empfängt sie nicht gerade mit offenen Armen. Riesige Stiefel, so groß, dass man darin versinken kann.
Die Blicke Israels sind kritisch, denn da war Mose. Mose war anerkannt, hatte seinen Namen, seinen Ruf, sein Wort galt über allen Höhen und Tiefen seines Lebens und seiner Führung. Mose hatte Format.
Doch wie ist das mit Joshua? Kennen Sie das Geflüster, das unter den Israeliten umgegangen sein mag? „Mose ist jetzt tot.“ „Kennst du den Joshua?“ „Ja, den Joshua, ein bisschen kenne ich ihn.“ „Wie wird das mit Joshua? Packt er das? Hat er das Format von Mose? Hat er die Kompetenz? Packt er das? Hat er die Autorität? Wird das mit Joshua etwas?“
Dieses Zeltgeflüster kennen wir alle – wenn die Überfiguren abtreten und die Nachfolger kommen. Ob der es packt oder scheitert, wird hinter vorgehaltener Hand diskutiert. In dieser Welt ist eine ausgemachte Weisheit: Der Nachfolger eines großen Führers ist fast dazu verdammt zu scheitern, weil er immer an diesem Übervater oder einer Übermutter gemessen wird. Und er wird diesen Vergleich immer verlieren.
In Seminaren für Führungskräfte sagt man unter vorgehaltener Hand: Nach einem großen Führer braucht man erst einmal einen Verschleißkandidaten. So ist das. In säkularen, normalen Managementkursen hört man, wenn ein großer Führer abtritt, braucht man ein, zwei Jahre einen Verschleißkandidaten. Den verheizt man, weil er scheitern muss und auch scheitern wird. Er hat von vornherein keine Chance – das sagt man ihm natürlich nicht. Aber er ist sozusagen der Übergangskandidat, um die Erwartungen des Volkes, der Firma oder der Kirche wieder auf Normalmaß herunterzuholen. Wenn die große Ernüchterung da ist, kann man den eigentlichen Nachfolger installieren, der dann eine echte Chance hat.
So ist das in dieser Welt. Bei Gott ist es anders. Für Gott ist Joshua kein Verschleißkandidat, keiner, den man einfach verheizt oder zwischenreinschiebt, den man auf die Nase fallen lässt, damit der Nächste es halbwegs erträglich hat. Nein, Gott baut Joshua als Nachfolger des Mose selbst auf.
Er tut dies, indem er Israel ein sogenanntes Déjà-vu-Erlebnis gibt. Kennen Sie das? Ein Déjà-vu-Erlebnis kommt aus dem Französischen und bedeutet ein Erlebnis, das man schon einmal gesehen hat. Genau wie am Schilfmeer hält Gott das Wasser zurück und lässt Israel trockenen Fußes durch ein Gewässer gehen – das kannte man, das wusste man.
Und genau das Gleiche, was Mose verliehen wurde, wird Joshua verliehen: ein Durchzug durch ein Gewässer, ein Déjà-vu-Erlebnis. Wenn Gott beruft, bestätigt er auch. Wer Gott beruft, den bestätigt er auch. Das können wir von dieser Geschichte lernen.
An diesem Tag machte der Herr Joshua groß vor ganz Israel. Dasselbe erleben wir immer wieder im CVJM. Dort haben wir oft genau das gleiche Problem wie sonst auch. Wenn ein Vereinsvorsitzender, eine Übervaterfigur, die alle respektiert haben, oft nach Jahrzehnten, abtritt, will es keiner machen.
Da hat es einer super gemacht, wurde zu Mose, und dann tritt er ab. Alle sagen: „Ich kenne das nicht, ich kann es nicht, ich schaffe das nicht. Ich habe keine Gaben dafür. Ich nicht. Ich bin klein, mein Herz sagt nein, ich kann niemals Vorsitzender sein.“
Und dann passiert das Wunderbare: Am Ende erklärt sich eine oder einer bereit, den am Anfang niemand auf der Rechnung hatte. Aber er oder sie war die oder der Einzige, die oder der den Mut hatte, nicht auf die Begabung zu sehen, sondern auf die Berufung zu bauen. Nicht auf die Begabung zu schauen, sondern auf die Berufung zu vertrauen.
Solche Leute werden von Gott gesegnet. Wir erfahren nichts davon, dass Joshua außerordentlich begabt war. Vielleicht war er es, wir wissen es nicht. Wir erfahren nur, dass er berufen war und dass seine Berufung das Entscheidende ist, was ihn in dieser Situation trägt.
Solche Leute werden oft in einer Weise vom Heiligen Geist ausgestattet und erfüllt, wie es sich keiner vorher vorstellen konnte. Unsere Vollmacht ist kein Resultat unserer Begabung, sondern unserer Berufung.
Das macht die Geschichte von Joshua mehr als deutlich. Für mich ist das immer wieder ein ganz wichtiger Punkt in meinem Dienst: Ich tue meinen Dienst nicht, weil ich begabt bin – vielleicht auch ein bisschen, aber deshalb mache ich es nicht. Nicht, weil Gott Begabungen gibt, das mag sein, sondern weil ich berufen bin.
Ich lebe nicht davon, dass ich oft eingeladen werde, sondern davon, dass Gott mich berufen hat. Ich lebe nicht davon, dass ich Applaus, Beifall oder Lob bekomme, sondern davon, dass ich berufen worden bin. Dass das Wort Gottes über meinem Leben steht, dass er seine Hand auf mich gelegt hat und gesagt hat: „Geh, geh nach Weissach!“
Egal, ob man mir heute Abend Blumentöpfe schenkt oder Blumentöpfe nachschmeißt – es ist egal. Ich stehe hier als Berufener und bin nicht darauf angewiesen, dass man meine Begabung applaudiert. Ich weiß, dass Gott mich berufen hat und dass ich hier nur Stellvertreter bin. Die Blumen, die man mir schenkt, gehören Jesus. Die Blumenschöpfe, die man mir nachschmeißt, werden Jesus nachgeschmissen.
Das ist die Realität berufener Menschen: Sie sind immer nur Stellvertreter. Unsere Vollmacht erwächst nicht aus dem, was wir geleistet haben, nicht aus der Fülle unserer Fähigkeiten und Verdienste. Unsere Vollmacht erwächst aus unserer Berufung – der Berufung zum Leben, dass Gott gesagt hat: „Du sollst leben, du gehörst mir, lebe!“ und seinen Geist eingehaucht hat.
Aus unserer Berufung zum Glauben und unserer Berufung zum Dienst erwächst Vollmacht.
Ich stand heute am Grab von Karl Wetzel. Viele von Ihnen kennen ihn wahrscheinlich. Karl Wetzel hat die Zepfart im Landesverband Arbeit geprägt wie kein Zweiter. Er hat sie mitgegründet, das Zepfart-Zentrum in Walldorf gegründet.
Ich habe ihn persönlich nicht mehr als aktiven Verkündiger erlebt, aber ich habe ihn im Alter noch ein paarmal getroffen, immer wenn ich in Walldorf war. Wenn ich im Land herumkomme, überall in den Orten und Dörfern in Württemberg, gibt es Menschen, die davon erzählen, wie Karl Wetzel ihr Leben berührt, geprägt und gestaltet hat – beim Karl in Walldorf, am Bodenseelager, im Zelt und so weiter.
Da wurde Leben verändert. Tausende von jungen Männern hat dieser Karl Wetzel gestaltet. Und dieser Karl Wetzel, den wir heute zu Grabe getragen haben, hat keinen einzigen Tag in seinem Leben eine theologische Ausbildung genossen. Er hat nie irgendwo ein Bibelschulseminar oder Ähnliches besucht.
Er war ein Original, von Gott gestaltet. Theosorg hat heute gesagt: Karl Wetzel war nach unseren weltlichen Maßstäben kein qualifizierter Mensch. Er hatte keinen Schein, kein Diplom, kein Examen, keinen Schrieb in der Tasche, der ihn qualifiziert hätte.
Wir leben heute in einer qualifikationssüchtigen Gesellschaft. Für alles braucht man irgendeinen Schein, und nur wer einen Schein hat, gilt als qualifiziert. Es gibt viele Menschen, die scheinweise herumlaufen und denken, sie seien qualifiziert.
Theosorg sagte, Karl Wetzel war nach unseren Maßstäben nicht qualifiziert. Er hatte keinen Schein von irgendeinem Seminar oder einer Bibelschule. Aber er war einer, der von Gott qualifiziert war, den Gott in einen Dienst gestellt hat und ihm eine Qualifikation gegeben hat – dadurch, dass er ihn berufen hat.
Wir werden nicht dadurch qualifiziert, dass wir Scheine sammeln. Ich will nichts gegen Ausbildung sagen – ich bilde ja selbst Studenten aus – aber wir werden nicht dadurch qualifiziert, dass uns irgendeine Universität, Ausbildungsstätte oder sonst jemand einen Schein gibt.
Wir werden dadurch qualifiziert, dass Gott seinen Ruf in unser Leben hineinspricht und sagt: „Du, dich will ich, du sollst diese Aufgabe tun.“
So war es bei Karl Wetzel, und er wurde über Jahrzehnte gebraucht. Die Gemeinde Jesu lebt nie von begabten Menschen. Wir freuen uns über Begabungen – bitte verstehen Sie das nicht falsch. Gott schenkt Begabungen, und wir werden durch Begabungen beschenkt.
Aber das Entscheidende ist nicht die Begabung. Die Gemeinde lebt immer von berufenen Menschen. Es gibt nichts Schlimmeres als begabte Menschen ohne Berufung.
Charisma ohne Charakter ist immer eine Katastrophe. Es ist gut, wenn berufene Menschen Begabung empfangen und von Gott begabt werden. Es ist auch gut, wenn begabte Menschen berufen werden.
Aber entscheidend ist der Ruf Gottes, nicht die Begabung eines Menschen.
3. Vollmacht durch Zukunft durch Erinnerung
Ein drittes und letztes: Gott gibt Zukunft durch Erinnerung.
Im Mittelpunkt dieser Geschichte steht nicht die Bestätigung Josuas, wie Heiko Grimmer es betont hat, sondern die Gedenksteine. Zwölf Gedenksteine werden in den Jordan gelegt, und zwölf weitere werden am Ufer in Gilgal aufgerichtet. Gott lässt Denkmäler bauen – das ist an sich schon etwas sehr Bemerkenswertes.
Warum lässt Gott eigentlich diese Denkmäler errichten? Zum einen, weil hier deutlich wird, dass das Wunder der Wüstenzeit, das Wunder der Landnahme, nicht der Alltag Israels sein wird. Diese Wunder sind nicht der Normalfall, sondern der Ausnahmefall. Das will Gott dokumentieren, indem er ein Denkmal aufrichtet. Gott weiß, dass es nicht jeden Tag so weitergehen wird wie an diesem Tag. Deshalb ist das, was hier geschieht, etwas ganz Besonderes – und genau dafür steht das Denkmal.
Biblisch gesehen gibt es drei Wunderphasen in der Heilsgeschichte, drei Phasen, in denen Gott in besonderer Weise Wunder wirkt: die Zeit Moses und seines Nachfolgers Josua, die Zeit Elias und seines Nachfolgers Elisa sowie die Zeit Jesu und seiner Nachfolger, der Apostel. In diesen Zeiten hat Gott sein Volk durch außergewöhnliche Zeichen und Wunder ausgerüstet – und interessanterweise auch immer wieder seine Nachfolger.
Das ist ein Zeichen: „Ich bin auch bei euren Nachfolgern, es geht weiter.“ Gott macht mit den Nachfolgern dieselbe Geschichte wie mit den Schlüsselfiguren Mose, Elija und Jesus. So ist es auch bei Josua, Elisa und den Aposteln. Israel und die Gemeinde haben diese Zeiten jedoch niemals als Normalfall verstanden, sondern als Sonderfall. Zwischen diesen besonderen Zeiten gab es ganz gewöhnliche Zeiten, die unserer heutigen Zeit sehr ähnlich sind.
Was bedeutet das? Es heißt nicht, dass vor, zwischen und nach diesen besonderen Wunderphasen keine Wunder geschehen. Nein, das bedeutet es nicht. Und es bedeutet schon gar nicht, dass Gott heute keine Wunder mehr tut. Nein, wir erleben Wunder. Wenn wir anfangen würden, alle miteinander zu erzählen, könnten wir einen riesigen Blumenstrauß von Wundern zusammentragen. Gott tut auch heute noch Wunder – das will ich festhalten.
Aber es bedeutet, dass wir nicht einfach dieselbe Dichte von außergewöhnlichen Wundern für unser Leben und unsere Zeit erwarten dürfen. Wir haben hier drei biblische Verdichtungsphasen von Wundern. Gott tut vorher und nachher auch Wunder, aber wir dürfen nicht automatisch dasselbe für uns erwarten. Entscheidend ist nicht, dass ich heute dieselben Wunder erlebe wie damals Mose, Josua, Elija, Elisa, Jesus und die Apostel. Gott könnte es schenken, keine Frage, er tut es zeichenhaft immer wieder.
Wichtiger ist, dass wir die Erinnerung an die Wunder bewahren, die Gott getan hat und mit denen er die Grundlagen unseres Heils gelegt hat. Daran müssen wir denken, daran gilt es sich zu erinnern: Erinnerung an die Wunder, die die Grundlagen unseres Glaubens sind, die Grundlagen unseres Christseins, die Grundlagen unserer Gemeinschaft und Gemeinde unseres CVJM.
„Erinnert euch, vergesst nicht, was der Herr euch Gutes getan hat.“ Wir Menschen sind unglaublich vergesslich. Das weiß ich seit meinem Schulabschluss. Ich habe jetzt 21 Jahre Berufserfahrung, zehn Jahre akademische Ausbildung hinter mir. Ich bilde mich intensiv weiter, aber ich würde heute kein Abitur mehr bestehen. Ich war zuerst auf der Realschule, habe mittlere Reife gemacht, aber heute würde ich keine mittlere Reife mehr schaffen – ich habe vieles vergessen.
Wir sind unglaublich vergesslich. Es wäre interessant, mal einen Test zu machen und die Schulprüfung von damals heute noch einmal zu schreiben. Die Durchfallquote wäre hoch – nicht im medizinischen, sondern im intellektuellen Sinn. Das brauche ich nicht weiter zu begründen, Sie erleben Ihre eigene Vergesslichkeit wahrscheinlich täglich.
Und diese Vergesslichkeit ist das eigentliche Problem, denn sie erfasst oft auch unser geistliches Leben. Gott hat in unserem Leben Wunder getan, uns durch Prüfungen getragen, von großer Krankheitsnot errettet, aus Geldnot herausgeführt, Beziehungen geheilt und vieles mehr. Aber wir vergessen das oft so schnell. Die Dankbarkeit hält vielleicht ein paar Wochen, vielleicht ein paar Monate, doch dann ist sie wieder verflogen, und die übliche Klage und Unzufriedenheit kehren zurück.
Was unseren Glauben vor allem bedroht, ist nicht die Versuchung, nicht die Verführung, nicht die Verfolgung – sondern die Vergesslichkeit. Immer dann nämlich, wenn wir vergessen, was der Herr uns Gutes getan hat, die Wunder, die unseren Glauben und unser Leben begründen. Wenn wir das vergessen, werden wir schwach – in der Verfolgung, in der Versuchung, in der Verführung.
Deshalb ist es ein Grundanliegen Gottes, dass wir nicht vergessen, sondern uns erinnern, was er uns Gutes getan hat. Die Gemeinde soll die großen Taten Gottes immer wieder bekennen und sich an sie erinnern – das ist Gottes Wille. Wir werden in dem Maße stark sein, in dem wir uns erinnern. Wir werden stark sein, wenn uns die Verheißungen Gottes präsent sind, wenn die Wunder Gottes uns vor Augen stehen. In dem Maße werden wir stark sein.
Deshalb diese Gedenksteine, diese Denkmäler. Es heißt hier: „Wenn eure Kinder später einmal ihre Väter fragen, was diese Steine bedeuten, so sollt ihr ihnen sagen: Israel ging auf trockenem Boden durch den Jordan, als der Herr, euer Gott, den Jordan vor euch her austrocknete, bis ihr hinübergegangen seid.“
Man kann sich gut vorstellen, dass Generationen später ein Vater mit seinem Sohn am Jordan spazieren geht – vielleicht am Wochentag, denn am Sabbat darf man nicht spazieren gehen. Dann kommen sie an diese Stelle, und der Junge will wissen, was diese Steine bedeuten. Der Vater fängt an zu erzählen. So etwas können wir uns gut vorstellen.
Sehen Sie, in den neuen Bundesländern erleben wir eine Situation riesigen Vergessens. 40 Jahre DDR, 40 Jahre Atheismus haben den letzten Rest von Glaubenserinnerung ausgelöscht. Wir merken, dass es nur ein bis zwei Generationen braucht, und ein Volk hat alles vergessen, was es von Gott weiß. Das sind Menschen, die nichts gegen den christlichen Glauben haben. In Deutschland gibt es keine aggressive Front gegen den christlichen Glauben, überhaupt nicht.
Viele Menschen haben nichts gegen Jesus, nichts gegen die Bibel – weil sie gar nicht wissen, wer Jesus ist, weil sie gar nicht wissen, was die Bibel ist. Michael Herbst hat bei einem Vortrag vor der Landesynode von einer Umfrage auf dem Leipziger Hauptbahnhof erzählt. Passanten wurden gefragt: „Verstehen Sie sich als christlich oder atheistisch?“ Einer antwortete: „Weder noch, Normalität.“ Er sagte, man könne diese Gottvergessenheit mit normalen Worten kaum beschreiben.
Aber jetzt passiert in vielen Städten und Dörfern im Osten Folgendes: Dort, wo Menschen aufhören, von Jesus zu reden, weil es keine mehr gibt, die von Jesus reden, da passiert das, was Jesus gesagt hat: Dann fangen die Steine an zu schreien. Jesus sagte einmal: „Wenn meine Jünger aufhören zu reden, dann fangen die Steine an zu schreien.“
Heute predigen dort die Kirchengebäude – diese alten, verfallenen Kirchen, die man kaum noch erhalten, renovieren oder sanieren kann. Diese alten Kirchen sind heute eine stille Botschaft. Dort schreien die Steine. Am Sonntag laufen vielleicht Eltern mit ihren Kindern vorbei, und das Kind fragt: „Mama, Papa, was ist das für ein Haus? Was bedeutet das Kreuz da oben?“ Die Eltern geraten ins Stottern, das Kind fragt am nächsten Sonntag wieder, und dann müssen die Eltern sich informieren und ihren Kindern erklären.
Steine können schreien, Steine können erzählen. Solche Denkmäler sind Erinnerungssteine des Glaubens.
Letzte Woche hatten wir eine Evangelisation in der Stuttgarter Stiftskirche. Diese Kirche wurde für horrend viel Geld renoviert und saniert. Viele sagten: „20 Millionen Euro – das ist Wahnsinn, lohnt sich das?“ Jetzt erzählt Pfarrer Bittichhofer, dass in Stuttgart immer wieder eine Kulturnacht stattfindet. An diesem Abend kommen viele Menschen in die Stiftskirche – nicht die übliche Kirchengemeinde, sondern Menschen, die sonst andere Dinge tun.
In fünf Stunden werden dort etwa 1.500 Menschen durch die Kirche geführt. Sie sitzen nachts um 20:02 Uhr oder 1:40 Uhr in der Kirche. Pfarrer Bittichhofer erklärt ihnen den Altar, den Taufstein, den Engel mit der Posaune. Dann hören sie zwanzig Minuten lang das Evangelium.
Wir erleben heute, dass ein ganzes Volk nichts gegen die Kirche hat, weil es gar nicht weiß, was eine Kirche ist. Es hat nichts gegen den Glauben, weil es nicht weiß, was christlicher Glaube ist. Und jetzt fangen die Steine an zu reden. Diese Steine werden zu einem lebendigen Zeugnis.
Lassen wir die Steine nicht verachten. Steine fangen manchmal wirklich an zu predigen und sind eine stumme Botschaft, die manchmal wieder zu einer lebendigen Botschaft wird.
Gott gibt Zukunft durch Erinnerung.
Diese Steine im Jordan und in Gilgal sind ein Schatten eines ganz anderen Denkmals, eines Denkmals, das wir heute vor Augen haben: des Denkmals von Golgatha. Diese zwei Balken sind ein Denkmal für die Gemeinde Jesu und zugleich ein Denkmal für eine Welt, die an Gott vorbeigeht.
Denkmal nach, Denkmal nach!
Überall auf der Welt kommen Eltern mit ihren Kindern vorbei, und die Kinder fragen: „Mama, Papa, was bedeuten diese beiden Balken?“ Dann müssen Eltern versuchen, Antwort zu geben: Denkmal!
Die Botschaft dieses Denkmals ist dieselbe wie bei den Steinen im Jordan. Wir stehen immer wieder vor einem riesigen Abgrund – vor dem Abgrund der Sünde, wie vor dem Abgrund des Jordans. Der Jordan ist ein Bild für den Abgrund der Sünde.
Auf der Seite, auf der wir stehen, ist die Wüste – lebensfeindliches, unfruchtbares Land, ohne Hoffnung, ohne Zukunft. Wir stehen im Land der Sünde. Auf der anderen Seite des Abgrunds liegt ein Land der Verheißung, ein Land, wo Milch und Honig fließen, ein Land, wo wir Heilung finden.
Wir stehen mit Israel am Jordan, so wie wir vor der Sünde stehen. Doch es gibt keine Brücke, keinen Weg hinüber. Dann tut Gott auf Golgatha dasselbe Wunder wie damals am Jordan: Er bahnt den Weg. Er stellt sich selbst in die tödlichen Fluten, seinen Sohn in die Fluten – wie damals die Priester im Jordan.
Jesus ist der Hohepriester, der wie die Priester mitten im Fluss steht. Nur dass Jesus von den tödlichen Fluten überflutet wird. Doch jetzt ist eine Brücke da, die uns hinüberführt in das Land der Verheißung, in das Land des Heils.
Deshalb ist das Kreuz eine Erinnerung. Deshalb bitte ich Sie: Hören Sie nicht auf, von diesem Kreuz zu erzählen – Ihren Kindern, Ihren Enkeln, Ihren Kindeskindern, Ihren Nachbarn. Hören Sie nicht auf zu erinnern: „Vergiss nicht, was der Herr dir Gutes getan hat.“
Wenn Sie bergsteigen, erinnern Sie die Menschen daran, was dieses Kreuz auf dem Gipfel bedeutet. Wenn Sie Kathedralen besichtigen, erinnern Sie Ihre Reisegruppe daran, was dieses Denkmal bedeutet. Vergiss nicht, was der Herr dir Gutes getan hat.
Ich danke Ihnen fürs Zuhören. Amen.