[Predigtmanuskript; nicht wortidentisch mit der Aufnahme]
Was kostet’s? Was macht’s? Was ist der stolze Preis dafür? So muss derjenige fragen, der bauen will. Hausbesitzer sein wollen viele. Der Wunsch nach einem eigenen Heim gehört zu den Erbanlagen eines rechten Schwaben. Nur wem ein Häusle gehört, gehört zum württembergischen Adel. Manche erreichen diesen hohen Stand durch den Ehestand, weil sie klug heiraten und am Hochzeitstag in die Villa der Frau einziehen. Die andern müssen schaffen, wühlen, hausen, bis sie zum Haus kommen. Aber nun nicht so, dass sie eines Tages auf dem Grundstück zu buddeln und zu baggern und zu betonieren beginnen. Vorher werden Gedanken gemacht, wie denn ein solches Traumschlösschen aussehen soll. Dann werden Skizzen gefertigt, die einen Eindruck von diesem Paradies vermitteln. Dann werden Pläne gezeichnet, nach denen gebaut werden kann. Aber was kostet’s? Der Architekt addiert, subtrahiert, multipliziert, kalkuliert und präsentiert einen Kostenvoranschlag, dass das Herz falliert. Wer soll das bezahlen? Mit einem Bausparvertrag ist allenfalls das Kellergeschoss zu erstellen. Wer soll das finanzieren? Mit dem Bankdarlehen kommen wir höchstens bis zum ersten Stock. Wer soll diese Kosten übernehmen? Eine Bauruine als zementierte Bankrotterklärung wäre eine unerträgliche Schande im Flecken. Hausbesitzer sein kostet Geld, viel Geld sogar. Was kostet’s? Was macht’s? Was ist der stolze Preis dafür?
So muss auch derjenige fragen, der nachfolgen will. Nachfolger sein wollen viele, sehr viele, eine große Menge, heißt es im Text. Der Wunsch nach einem Herrn, der uns allen andern Herren gegenüber als sein Eigentum ausweist, der Wunsch nach einem Hirten, der uns bei sengender Hitze zum frischen Wasser führt, der Wunsch nach einem Tröster, der uns in aller Trauer die Tränen abwischt, der Wunsch nach einem solchen Heiland gehört zu den Wesensmerkmalen eines rechten Christen. Nur wer Jesus Christus angehört, gehört zum himmlischen Adel. Manche meinen diesen hohen Stand schon erreicht zu haben, weil sie eine Taufurkunde besitzen, einen Konfirmationsschein vorweisen können und im kirchlichen Zentralcomputer fein säuberlich abgespeichert sind. Aber dies alles ist erst der Einstand des Nachfolgers. Über den Zustand werden in der Bibel Gedanken gemacht, wie denn ein Leben mit diesem Herrn aussehen soll. Über den Umstand werden in der Bibel Skizzen gefertigt, die einen Eindruck von diesen Wanderwegen mit Jesus vermitteln. Über den Endstand werden in der Bibel Pläne gezeichnet, nach denen das himmlische Jerusalem gebaut ist. Aber was muss ich dafür aufwenden? Was muss ich dafür begleichen? Was kostet’s? Dieser Herr addiert, subtrahiert oder multipliziert nicht, sondern proklamiert und evangelisiert: "Wer nicht sein Kreuz trägt und mir nachfolgt, der kann nicht mein Jünger sein." Sein Kostenvoranschlag lautet auf ein Kreuz. Nachfolger sein kostet ein Kreuz. Wer nur Beifall klatscht und ein Bewunderer sein will, muss nicht in die Tasche greifen, aber Nachfolger sein kostet ein Kreuz. Wer nur Hallelujah rufen und ein Begeisterter sein will, muss nicht an die Kosten denken, aber Nachfolger sein kostet ein Kreuz. Wer nur Amen sagen und ein Frömmler sein will, muss nichts auf den Tisch legen, aber Nachfolger sein kostet ein Kreuz. Fan sein, Mitläufer sein, Sympathisant sein ist gratis, aber Nachfolger sein kostet ein Kreuz. Bitte kein goldenes Kreuz, das sich Leute um den Hals hängen, auch kein Eisernes Kreuz, das einst Kriegshelden auszeichnete, auch kein hölzernes Kreuz, das Kirchen und Herrgottswinkel ziert. Dieses Kreuz besteht nur aus zwei feinen Strichen, einem Längsstrich und einem Querstrich, ist also eine durchkreuzte Linie, ein durchkreuzter Gedanke, eine durchkreuzte Bahn. Damit ist nicht alles über dieses Zentralzeichen christlichen Glaubens gesagt, aber eine wesentliche Bedeutung unterstrichen. Wer Jesus nachfolgen will, muss durchkreuzte Pläne einkalkulieren, denn Nachfolger sein kostet ein Kreuz.
Jesus denkt zuerst an ...
Ich stelle mir in dieser großen Menge um Jesus einen jungen Mann vor, freundlich, sympathisch, aufgeschlossen. Eigentlich wollte er gar nicht mitgehen, weil er daheim alle Hände voll zu tun hat. Vor Jahren schon hatte er seine alten Eltern zu sich genommen. Vater und Mutter ehren, wenn sie noch bei Kräften sind und einen prallvollen Sparstrumpf im Wäscheschrank haben, ist keine Kunst. Aber sich ihrer annehmen und vielleicht sogar aufnehmen, wenn sie nicht mehr können, das ist Christenpflicht. Dann hatte der junge Mann ein Mädchen kennengelernt, so schön wie der Tag. Die Erde war rosarot eingepinselt und der Himmel mit Bassgeigen tapeziert. Als strahlende Braut brachte er sie nach Hause, "Freue dich der Frau deiner Jugend" hatte doch schon der weise Salomo gesagt. Das Eheglück blitzte aus allen Fugen. Dann kam die Frau nieder. Bange Stunden des Wartens. Ein Sohn wurde geboren, ein kräftiger Junge, ein Stammhalter der Familie. Vaterstolz und Mutterfreuden. Und als sich nach einem Jahr wieder ein Kind anmeldete, kam nicht die bange Frage: Ist das nicht zu schnell? Ist das nicht zu viel? Ist das noch zu verantworten? "Wohl dem, der seinen Köcher voll hat" sagt der Psalmist. Kindersegen bringt das Eheglück auf Hochglanz. Dann wurden Feste gefeiert, Geburtstagskaffees, Schülerparties, Verwandtenfeten. Zu Opa und Oma, Papa und Mama, Kind und Kegel strömten Onkels und Tanten hinzu. "Jubelt über Jakob mit Freuden" schallte es in der großen Familienrunde. Ehrlich, bei so viel häuslichem Umtrieb konnte sich unser Mann keinen längeren Ausflug leisten. Aber als er gerade weggehen und heimgehen wollte, legte ihm Jesus die Hand auf die Schulter und sagte: "Wer zu mir kommt und hasst nicht, wörtlich: stellt nicht seinen Vater, Mutter, Frau, Kinder, Brüder, Schwestern zurück, der kann nicht mein Jünger sein." Ob dieser zutiefst erschrockene Mann verstanden hat, was Jesus sagen wollte, weiß ich nicht, aber das weiß ich, dass wir es verstehen müssen. Unser Gott ist ein eifersüchtiger Gott. Der von ihm einzig geliebte Sohn soll auch von uns einzigartig geliebt werden. Die Jesusliebe muss über alles gehen. Damit sagt er nichts gegen unsere Eltern, aber lieben wir ihn mehr als Vater und Mutter? Damit sagt er nichts gegen unsere Ehepartner, aber lieben wir ihn mehr als unsere Frau oder unseren Mann? Damit sagt er nichts gegen unsere Kinder, aber lieben wir ihn mehr als unseren Sohn oder Tochter? Damit ist nichts gegen unsere Geschwister gesagt, aber lieben wir ihn mehr als unsere Brüder und Schwestern? Jesusgemeinschaft geht über Blutsverwandtschaft, oder sie ist nicht. Weil viele Familienpläne und Planungen diesen Herrn nur unter "ferner liefen" mitlaufen lassen, deshalb werden sie durchgestrichen. Wer Jesus nachfolgen will, muss durchkreuzte Familienpläne einkalkulieren, denn Nachfolger sein kostet ein Kreuz.
Jesus denkt auch, und das ist das Zweite, an ...
Ich stelle mir in dieser großen Menge um Jesus nun einen erwachsenen Menschen vor, sachlich, korrekt, ehrgeizig. Schon in der Schule fiel er durch seinen Eifer auf. Während die Kameraden unter den Palmbäumen hockten, saß er über den Büchern. Ein richtiger Strebertyp, dieser seriöse Herr. Dann wurde er Beamter. Er bearbeitete Akten. Überall machte er sich wichtig. Immer hatte er etwas anzumerken. Dann wurde er Abteilungsleiter. Das spornte an. Untergebene mussten spuren. Sitzungen wurden verdoppelt. Dann löste er den Amtsleiter bei dessen Zurruhesetzung ab. Das gab Auftrieb. Reformvorschläge kamen auf den Tisch. Perspektiven für das nächste Jahrzehnt wurden entwickelt. Er drängte weiter. Im Vorzimmer der Macht hielt es ihn nicht. Er wusste: Nur Spitzenleute sind interessant. So wissen viele. Keiner will den letzten Rang belegen. Jeder will befördert werden. Alle wollen Aufsteiger sein, Senkrechtstarter, Starbeamter, Spitzenleute. Und Jesus sagt diesem Ehrgeizigen auf den Kopf zu: "Wer nicht mir nachfolgt, wörtlich: hinter mir hergeht, kann nicht mein Jünger sein." Er will seine Leute nicht auf der Karriereleiter, sondern auf dem Kreuzweg, nicht auf der Siegerstraße, sondern auf dem Leidensweg, nicht auf der Starparade, sondern auf dem Jüngerweg, und zwar ganz nahe bei ihm, das heißt direkt hinter ihm, immer auf dem zweiten Platz. Dort sind wir in Hörweite und können sein Wort verstehen. Dort sind wir in Rufweite und können ihn um Hilfe bitten. Dort sind wir in Reichweite und können nach seiner Hand fassen. Dort sind wir auch bei Stürmen in seinem Windschatten bestens aufgehoben. Warum kämpfen wir im Geschäft mit allen Mitteln um die erste Stelle, so als ob davon unser Leben abhinge? Die zweite Stelle hinter Jesus ist weit höher als die des Chefs. Warum boxen wir im Betrieb mit allen Kräften um den ersten Rang, so als ob davon unser Glück abhinge? Der zweite Rang hinter Jesus ist viel höher als der des Ranghöchsten. Warum ringen wir im Haus mit allen Raffinessen um den ersten Platz, als ob davon unser Wert abhinge? Der zweite Platz hinter Jesus ist viel höher als jeder Ehrenplatz. Der zweite Platz ist der höchste. Der zweite Platz ist der schönste. Der zweite Platz ist der beste. Weil ehrgeizige Berufspläne andere Ziele im Visier haben, deshalb werden sie immer wieder durchgestrichen. Wer Jesus nachfolgen will, der muss durchkreuzte Berufspläne einkalkulieren, denn Nachfolger sein kostet ein Kreuz.
Jesus denkt auch noch, und das ist das Dritte, an ...
Ich stelle mir in der großen Menge um Jesus eine ältere Frau vor, bedrückt, gebeugt, geschlagen. Wer sie früher als stattliche Person gekannt hatte, erkannte sie nicht wieder. Sie war nur noch ein Schatten ihrer selbst. Ihre zweite Lebenshälfte hatte sie sich so ganz anders vorgestellt. Nachdem die Kinder aus dem Haus waren, wollte sie noch einmal mit anpacken im Geschäft. Viel zurückgestellte Wünsche sollten endlich in Erfüllung gehen. Freunde und Verwandte durften von ihr tatkräftige Unterstützung und Hilfe erwarten. Dann traten Nervenschmerzen auf, die auch bei Nacht keine Ruhe gaben. Alle Mittel sprachen nicht an. Dann kam ein Ischiasleiden hinzu, das sie wochenlang ans Bett fesselte. Eine Medizin dagegen war nicht gefunden. Und dann wurden Geschwüre am Magen entdeckt, die sich ständig vergrößerten. Ob es vielleicht Krebs ist? Und Jesus nimmt nicht die Schmerzen, Jesus heilt nicht das Leiden, Jesus macht nicht mit einem Wunder den Krebs vergessen. Jesus sagt: "Wer nicht sein Kreuz trägt, der kann nicht mein Jünger sein." Gewiss hat er zu einigen wenigen gesagt: Sei sehend! Sei hörend! Nimm dein Bett und gehe heim! Auch heute wird er hie und da, in aller Stille und Verborgenheit, seine Heilandskunst demonstrieren und Kranke gesund machen. Aber zu allen andern ist dies Wort vom Kreuztragen gesprochen. Er muss hinauf aufs Kreuz und wir sollen hinunter unter's Kreuz. Wer sich sträubt, reibt sich wund. Wer sich wehrt, schlägt sich blutig. Wer sich weigert, verweigert die Nachfolge und kündigt das Christsein auf. Es geht nicht zuerst darum, dass wir unser Kreuz wegbeten, sondern ihn am Kreuz anbeten und um Kraft für's Kreuztragen bitten. Dann ist Migräne nicht mehr Fluch, sondern Kreuz. Dann ist Ischias nicht mehr Schicksal, sondern Kreuz. Dann ist Krebs nicht mehr Verhängnis, sondern Kreuz, von dem ich wissen kann, was schon Franz von Sales vor 450 Jahren geschrieben hat: "Gott hat dies dein Kreuz, bevor er es dir schickte, mit seinen Augen betrachtet, es durchdacht mit seinem göttlichen Verstand, es geprüft mit seiner weisen Gerechtigkeit, es gewogen mit seinen Händen, ob es nicht ein Millimeter zu groß und ein Milligramm zu schwer sei. Und dann hat er noch einmal auf deinen Mut geblickt und so kommt es schließlich aus dem Himmel zu dir." Unter dem Ihnen zugemessenen Kreuz brechen Sie hinter ihm nicht zusammen, denn er legt eine Last auf, aber er hilft uns auch. Mit dem Ihnen zugeschnittenen Kreuz kommen sie hinter ihm ans Ziel.
Also vergessen Sie es nicht: Wer Jesus nachfolgen will, muss durchkreuzte Familien-, Berufs-, Zukunftspläne einkalkulieren, denn Nachfolger sein kostet ein Kreuz.
Amen