Herr Präsident, liebe Freunde, verehrte Schwestern und Brüder!
Persönliche Erfahrungen mit Alleingängen und Stolz auf Individualität
Vor vielen Jahren erwarteten wir unser erstes Kind. Das heißt, meine Frau erwartete das Kind, ich habe nur bestimmt, wie es heißen soll. Ich war fest überzeugt, dass es eine Tochter wird. Damals war ich begeistert von Nikolaus Ludwig von Zinzendorf und seiner ebenso bewunderten Frau Erdmuthe. Deshalb sagte ich, das Kind soll Erdmuthe heißen.
Als das Kind geboren wurde, war es jedoch ein Sohn. Meine Frau fragte: „Was machen wir jetzt?“ Ich antwortete: „Dann nennen wir ihn Erdmann.“ Die Ulmer, die hinten sitzen, wissen vielleicht, was ich meine – fast halb ulmig kopfgestanden.
Das arme Kind! Wir wissen ja, dass Pastoren manchmal Dummheiten machen. Aber das Kind muss mit diesem Namen leben. Später, als mein Sohn auf dem Gymnasium war, fragte ich ihn, ob es nicht peinlich sei, so einen Namen zu haben. Er sagte: „Ich bin der einzige im ganzen Gymnasium, der diesen Namen hat.“ Er war stolz auf seinen Namen. Man kann ja stolz sein, ein Einzelgänger zu sein.
Im preußischen Adel gab es den Wahlspruch: „Et si omnes ego non“ – „Wenn sie auch alle dem Strom nahe schwimmen, ich nicht.“ Man kann sehr stolz auf so einen Spruch sein. Ich mache nicht mit bei allem, was die anderen tun. Aber man kann damit auch gewaltig auf die Nase fallen. Das wissen wir von Petrus. Er sagte: „Wenn sich auch alle an dir ärgern, Jesus, ich nicht.“ Doch ein paar Tage später schämte er sich für Jesus und sagte: „Mit dem habe ich nichts zu tun, ich schwöre, garantiert nie!“
Man kann aber auch unsagbar allein und unsicher sein, wenn man klare Konturen zeigen will in einer Zeit der Beliebigkeit. Wenn man damit sehr allein ist, kann man ins Zweifeln geraten: Bin ich eigentlich stur? Meine ich, dass ich Recht habe gegen die Mehrheit? Bin ich etwa stolz darauf, nicht mit der Masse zu schwimmen? Wer bin ich eigentlich?
Es ist gut, dass uns schon die Reformationsgeschichte deutlich macht, dass Luther 1521 in Worms nicht, wie oft behauptet wird, gesagt hat: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir, Amen.“ Er war zitternd, als er auf Befehl des Kaisers Karl V. gefragt wurde, ob er zu den Büchern steht. Er sagte: „Ich muss mir das zuerst noch einmal genau ansehen, ob das wirklich meine Schriften sind, und ich möchte mir eine Nacht noch einmal überlegen, ob ich nicht abschwören will.“
Am nächsten Morgen sagte er dann zitternd: „Mein Gewissen ist gebunden, ist gefangen in Gottes Wort. Ich kann nicht anders, ich kann nicht abschwören, Gott helfe mir.“ Als er aus dem Saal geführt wurde, soll er seine Arme emporgehoben und gesagt haben: „Ich bin hindurch.“ Später sagte er: „Ich bin geführt worden wie ein blinder Gaul. Das hatte ich mir nicht vorgenommen. Aber ich muss das einfach tun – gegen Kaiser und Reich und Papst – die Wahrheit bekennen.“
Beispiele von Glaubensstärke und innerem Kampf
Man kann zittern. Jahrhunderte später lebte der Schriftsteller und Dichter Jochen Klepper, dem wir viele schöne geistliche Lieder verdanken. Eines Tages kam der Generalstabsintendant Kurmark, der spätere Bischof Dibelius, zu ihm. Dibelius war ein Bekenner im Kirchenkampf gegen das nazistische System und gegen die Deutschen Christen jener Zeit. Er bat Jochen Klepper, Liedersammlungen für die bekennende Kirche zu schreiben.
In seinem Tagebuch notierte Klepper: „Diese Kämpfer werden mich nie das Singen lehren.“ Er fühlte sich von den Alleingängern der bekennenden Kirche abgestoßen. In der Kirche streitet man doch nicht. Klepper war von Natur aus ein friedfertiger, irenischer Mensch, fast schüchtern und zurückhaltend.
Kurz vor seinem Tod dichtete er dann das große Abendmahlslied für Männer. Es wird sich als der Sieg erweisen: „Dass du auch mich dann in den Kampf gerissen, in den Alleingang, ich, der ich am liebsten unerkannt in der Menge geschwommen wäre. Ach, die anderen haben sicher auch Recht, die haben sicher auch überlegt, man muss nicht immer Außenseiter sein. Das wird sich als der Sieges-Sieger erweisen, Herr Jesus, dass du mich in den Kampf gerissen, ins Alleinsein, ins Bekennen.“
Jesus wusste, was es kosten kann, klare Konturen zu zeigen – mitten in der Beliebigkeit und im gleichmacherischen Brei der Meinungen. Er sagte: Wer nicht hasst Vater, Mutter, Brüder, Schwestern und sogar sein eigenes Leben, kann nicht mein Jünger sein. Wer Angst hat, kann nicht mein Jünger sein. Wer im Familienglück mitschwimmen will, kann nicht mein Jünger sein.
Oder denken Sie an das andere Wort: Wer sich meiner und meiner Worte schämt, dessen wird sich auch der Menschensohn schämen, wenn er kommen wird. Wer sich geniert, vom Heiland Jesus zu reden – liebe Brüder und Schwestern – das ist eine schlimme Sache.
Vielleicht haben wir das vergessen. Erst in den letzten Wochen, als um das Christuswohl mancher merkwürdiger Streit entstanden und hochgeschaukelt wurde, und die Empörung in evangelikalen Kreisen groß war, habe ich mich gefragt: Singen wir wirklich die Strophe „In den Streit der Welt hast du uns gestellt, um vergebend zu ertragen, dass man uns verlacht, uns zu Feinden macht, dich und deine Kraft verneint“?
Es ist dann normal, wenn man uns verlacht und zu Feinden macht.
Der Adel des Glaubens und Mut zur Wahrheit
Außenseiter, sture Kerle, die immer meinen, sie hätten Recht. Aber es kann auch ein unaussprechlicher Adel sein, zu den wenigen zu gehören, die im Wort Gottes gefangen sind in ihrem Gewissen. Die gar nicht anders können, als gegen eine Meute von gleichgültigen Meinungen Klarfarbe zu bekennen.
Es ist der Adel des Christen, dieses unaussprechliche Etwas, dieses Vornehme, das menschlichen Adel noch weit übersteigt. Ich erzähle immer gern die Geschichte, wie Napoleon, der französische Kaiser, nach der Schlacht von Jena und Auerstedt einzog. Die Preußen waren vernichtend geschlagen, und nun war der französische Kaiser in Berlin eingezogen.
Dienstfertig hatten die Berliner ihm Ehrenpforten errichtet und einen Empfang bereitet. Unter denen, die geladen waren, um dem französischen Kaiser ihre Referenz zu erweisen, war auch der Dekan der französisch-hugenottischen Gemeinde. Berlin hat ja heute noch einen französischen Dom. Die Preußen hatten viele verfolgte Hugenotten aufgenommen, und Napoleon dachte natürlich, dass gerade diese französisch gebürtigen Hugenotten ihn mit Ehren empfangen würden – ihn, den Kaiser der Franzosen.
Doch dieser Dekan der französischsprachigen Gemeinde zog sein Barett und sagte: „Eure Majestät, ich wäre des Wortes, das ich verkündigen darf, nicht würdig und nicht würdig des Amtskleides, das ich zu tragen habe, wenn ich nicht offen bekennen würde, dass ich die Anwesenheit Eurer Majestät nur mit großem Schmerz ertragen kann.“
Das ist doch Adel: Wenn jemand den Mut hat, gegen Napoleon zu sagen – nicht aus eigener Meinung, sondern aus dem Wort, das er verkündet: „Ich muss jetzt die Wahrheit sagen.“ Und wenn er von der Kanzel die Wahrheit sagt, muss er sie auch vor dem Pferd Napoleons und vor dem Kaiser selbst sagen. „Es tut mir leid, dass Sie hier sind.“
Ein unnachahmlicher Adel, der Mut, zur Wahrheit stehen zu können.
Aber es ist höchste Zeit, dass wir eigentlich fragen, wie es heute aussieht. So wie meine Kinder und Enkel oft fragen: „Opa, was meinst du denn?“ Andreas Schäfer hat erwähnt, dass ich das Büchlein schreiben durfte „Ich will keine Wetterfahne sein“. Ich danke dem Henssler Verlag, dass er es verlegt hat, und manche haben es auch gelesen.
Doch die, die es gelesen oder zumindest hineingeschaut haben, fragen dann: „Das ist alles schön und gut, aber wo wirkt sich das aus? In welchen Bereichen dürfen wir uns nicht von jedem Strom der Meinungen mitreißen lassen?“
Im Neuen Testament heißt es, dass wir uns nicht von jedem Wind der Lehre treiben lassen dürfen.
Konkrete Beispiele für klare Konturen im Alltag
Und so bin ich zu manchen Vorträgen beim griechischen Technikerbund und bei einigen Männerfeiern eingeladen worden. Dort habe ich versucht, es konkret zu sagen, indem ich begann mit: Wir haben zuhause aus verschiedenen Gründen seit dreizehn Jahren keinen Fernseher mehr. Manchmal habe ich ganz stolz gesagt: Ich bin nicht abhängig vom Fernseher. Aber sobald einer in der Nähe ist, finde ich den Ausknopf nicht mehr.
Wenn wir einmal vor Gott Rechenschaft ablegen müssen, wie viel Zeit wir vor dem Fernsehschirm vertan haben und wie viel unnützen Brei von Meinungen wir in uns haben hineinschütten lassen, dann sagen wir: Oh Herr, vergib uns!
Davon habe ich aber gar nicht so viel gesprochen. Vielmehr empfinde ich immer wieder, dass wir wie eine Welle überrollt wurden, ein Ohnmachtsgefühl, schwäbisch gesagt: Da kann man nichts machen, eine gewisse Wurstigkeit. So ist es eben heute in vielen Bereichen.
Zu klaren Konturen gehört zum Beispiel, dass der junge Friedrich Oetinger, der spätere Prälat, als junger Pfarrer in Waldorf-Häslach mit Erschrecken gemerkt hat, dass in ganz Württemberg die morgendliche Hausandacht verschwunden war, einfach aufgehört hatte – so wie es heute in Württemberg und in Baden wahrscheinlich fast überall auch aufgehört hat.
Die Kinder müssen schon um sechs Uhr zum Schulbus, und der Vater hat kaum noch Zeit. Man findet gar keine gemeinsame Zeit mehr. Das ist unsere Entschuldigung.
Da hat Oetinger angefangen, von Haus zu Haus die Hausväter zu lehren, wie man Hausandachten hält – mit einer Liedstrophe, einem Gebet und einem Bibelabschnitt. Und das hat sich innerhalb von 15 Jahren quer durch Württemberg verbreitet, weil man merkte: Da kommt ja Sauerstoff herein in unser Haus, mit seinem Streit und mit seiner Ungeduld.
Schlesien – ich weiß nicht, ob Schlesier hier sind – Schlesien wird hier sehr geschätzt. Wir danken euch Schlesiern für so viel Belebung in Süddeutschland, das fromme Schlesien. Die Hälfte unserer Liederdichter kommt von Schlesien.
Es war eine Zeit des Liberalismus, in der die Kirche zerfiel. Da waren es einzelne, hernhutisch geprägte Gemeinschaften. Es waren ein paar, wir würden sagen Stunden, die wieder angefangen haben, Singstunden zu halten, die uns die alten Chöre wieder bewusst machten.
Es waren einzelne Pfarrer, die wieder damit begannen, mit ihren Konfirmanden Katechismusstücke zu verstehen und auswendig zu lernen. Dadurch ist Schlesien von innen her erstarkt.
Wenn die Pfarrer aufgegeben hätten, hätten die herrnhutischen Leute Schlesien wäre im geistlichen Tod versunken, fest und unbeweglich.
„Nehmt immer zu im Werk des Herrn.“ Mitten im Dritten Reich, im Nazistaat, bei einer Taufe in Oberndorf, bei den Verwandten Eisler – vielleicht kennen Sie die Namen Hans Eisler, Konrad Eisler, Ulrich Eisler, Familie Ebinger usw. – wurde der Vater Eisler aus der Handelskammer ausgeschlossen, weil er nicht in der Partei war.
Nur so, wie in einem Nebensatz, wurde gesagt: „Wir machen Familienpolitik. Wir setzen auf die Familie, damit Gott noch einmal Neues schafft.“ Und jetzt, 30, 40 Jahre später, sind die sechs Eisler-Kinder und über 40 Enkel in der Mission tätig – als Ärzte, als Pfarrer, als Verkündiger, in lebendigem Christentum.
Die Familie ist nach wie vor der Ort, an dem der Glaube am besten weitergegeben werden kann. Wie der Vater Eisler gesagt hätte: „Na ja, im Dritten Reich kannst du nichts machen.“ Nein, wir wollen bewusst von unserer Familie aus, wenn Gott Gnade gibt, fest und unbeweglich sein, immer zunehmen im Werk des Herrn. Denn ihr wisst, dass eure Arbeit nicht vergeblich ist im Herrn.
Das gehört zu den klaren Konturen mitten in einer Zeit der Beliebigkeit.
Oder ich habe erzählt, dass wir uns nicht vom allgemeinen Murren anstecken lassen sollten – das Murren in Bonn, über Busch und Merkel, Rentenpolitik und so weiter. Sie wissen doch alle nicht mehr, was sie tun. Vielleicht wissen sie es wirklich nicht mehr. Aber dieses Murren macht uns kaputt. Mehr als wenn wir von einer gefährlichen Krankheit infiziert würden.
Im Remstal, im Gebiet um Schorndorf, wo ich 14 Jahre wirken durfte, ist um 1830 mitten in der Hoffnungslosigkeit der damals so schrecklich armen Zeit neues Leben aufgeblüht. Ausgehend von kleinen Gemeinschaften, den altpietistischen Beudelsbacher Sendlern, von euch, vom Pfarrer Bührer in Beudelsbach.
Meine Vorvorgänger als Superintendenten schreiben: Es ist eine neue Hoffnung ins Tal gekommen, ausgehend von ein paar Leuten. Gegen den Geist der Verzweiflung und Ohnmacht ist ein neuer Geist der Hoffnung gekommen.
Liebe Brüder und Schwestern, das gilt besonders für uns Senioren. Wir sollten wegkommen vom Jammern und Resignieren. Es ist nicht leicht zu ertragen, dass man uns an vielen Stellen nicht mehr braucht, uns mit unserer Erfahrung.
Aber was für ein Vorrecht ist das! Wie viele aus unserer Generation und aus der Generation kurz vor uns sind als 17-, 18- oder 20-Jährige im Krieg geblieben – Millionen! Und wir dürfen leben! Wie viele junge Frauen und Kinder sind im Feuersturm von Pforzheim und Heilbronn umgekommen. Sie hätten auch gern gelebt, und wir dürfen leben.
Wir haben eine Währungsreform hinter uns erlebt, bei der das Geld plötzlich keinen Wert mehr hatte, das Sparkonto kaputt war. Wir wussten: Der Herr bringt es durch. Wir dürfen gar nicht so abhängig sein vom Geld und davon, ob das Geld kaputtgeht.
Was haben wir für Hungerzeiten erlebt und dabei gemerkt: Der Herr sorgt für uns.
Zählen Sie einmal zusammen, wie viele Wunder Sie erlebt haben! Wenn jeder von uns anfangen würde, von Zeiten im Krankenhaus zu erzählen, als der Arzt den Kopf schüttelte, und wir trotzdem leben durften, von Hilfen und Wundern mit Kindern und Enkeln.
Wir sollten jeden Tag anfangen, wie heute Morgen, mit Lobpreis für den Herrn.
Unvorstellbar, was wir an Lebenserfahrung haben! Wir müssen gar nicht mehr auf alle Dummheiten hereinfallen. Das haben wir schon lange erlebt – da kommt nichts dabei heraus.
Es ist wunderbar, alt zu sein.
Ich habe mir immer vorgenommen, wenn ich in den Ruhestand gehe, nicht zu den Ruheständlern zu gehören, die mit dem Täschchen beim Discounter einkaufen. Aber jetzt ist mein erster Weg morgens zum Lidl oder Aldi. Dort sieht man viele Leute, und man kommt ins Gespräch.
Aber es kann auch nervtötend sein, in der Schlange zu stehen. Und vorne steht jemand und zählt die Pfennige aus dem Kopf. Man denkt: Die nächste halbe Stunde komme ich nie dran. Und wenn nur noch eine Person vor einem ist, ist das ein Glück: Jetzt bin ich gleich dran.
So sollten wir denken: Wir sind bald dran mit der Ewigkeit Gottes. Wir sind auf der Zielgeraden. Wir haben das Schlimmste hinter uns, und unser Herr wartet auf uns.
Das sind lauter Bereiche, in denen ich an klare Konturen denke – in der Zeit der Beliebigkeit, in der Zeit der Glaubensunsicherheit.
Und dass wir anderen Menschen helfen durch klare Konturen.
Der schwäbische Liederdichter Philipp Friedrich Hiller hat einmal gesagt: „Großer Gott, so regierst du, wenn die Ärgernisse einbrechen wie Ströme. Dann setzt du Menschen wie Pfeiler, an denen sich andere festhalten können.“
Das möchte ich für Sie und für mich erbitten: Dass der große, starke Gott uns in der Zeit der großen Beliebigkeiten zu Pfeilern macht – nicht nur für uns selbst, sondern auch für andere, an denen sie sich festhalten können.
So ist es auch im Apostel Paulus gemeint, wenn er sagt, dass ihr scheint als Lichter mitten in einer dunklen Welt, in der ihr festhaltet am Wort des Lebens.
Die Eindeutigkeit ist das Kennzeichen der Menschen, die Jesus gehören.
Warnung vor falscher Frömmigkeit und Verwirrung
Walter Blach, der erste Studienleiter des Tübinger Albrecht-Bengel-Hauses, hat einmal gesagt: Die Verführer können alles, sie können sogar fromm sein. Frömmigkeit ist kein sicheres Kennzeichen in Zeiten der Verwirrung.
Schon die Schlange im Paradies kannte sich gut in religiöser Argumentation aus. Auch der Teufel zitierte beim Herrn Jesus einen Vers, der heute zu den Lieblingsversen in der Christenheit gehört: „Er hat seinen Engeln befohlen über dir, dass sie dich auf den Händen tragen.“ So fromm kann der Teufel sein.
In einer Zeit der Verwirrung und des Durcheinanders schenkte Herr Jesus den Menschen, die sich ihm anvertrauen, Eindeutigkeit und auch eine gewisse Durchhaltekraft. Das wird sich also als Sieg erweisen. Da hast du mich wieder in den Kampf gerissen.
Geistliche Herausforderungen und Zweifel im Alter
Deshalb möchte ich jetzt noch einmal einige Bereiche ansprechen, zutiefst geistliche Bereiche. Es geht nicht um Fernsehen oder darum, wie wir mit Geld umgehen – obwohl mich das auch bewegt.
Viele von uns Älteren leben in einer Zeit, in der wir so viel Geld besitzen wie keine Generation zuvor. Ebenso haben wir mehr Kleidung als je zuvor. Viele hängen an ihren Sachen, auch am Geld. Ich begleite gerade zwei ältere Damen: Die eine hat eine große Summe Geld weggegeben und ist dadurch glücklich geworden. Man ahnt kaum, was für ein Glück es ist, Geld wegzugeben.
Der andere Mensch steht an der Grenze zur Demenz. Sollten wir ihm nicht hundert Mark geben für einen bestimmten Zweck? Ich darf dieses Geld verwalten, aber das ist viel zu viel. Im Angesicht des Todes kann man sich am Geld, am Mammon, verkrallen.
Ich möchte Ihnen jedoch zutiefst geistliche Dinge nennen. Zunächst sind wir Senioren in besonderer Weise gefährdet. Einer meiner treuen Freunde, mit dem ich seit den frühen Tagen des CVM (Christlicher Verein Junger Menschen) viel gewirkt und Verantwortung getragen habe, sagte zu mir: „Rolf, ist das mit unserem Glauben, mit unserem Beten, mit der Bibel nicht alles bloß Einbildung? Ist das nicht bloß Gewohnheit? Da kann man sich bis zum Sterben hinein darauf verlassen.“
Liebe Brüder und Schwestern, im Alter können uns solche Fragen und die damit verbundene Unsicherheit überfallen, schlimmer als die Regengüsse in diesen Tagen, sodass wir gar nicht mehr herauskommen. Habe ich mir nicht etwas vorgemacht mit unserem Glauben?
Früher sang man noch das Lied von Benjamin Schmolk:
„Es ist gut, ein Christ zu werden, besser noch ein Christ zu sein,
doch den größten Lohn auf Erden gibt der Herr nur dem allein,
der ein Christ beständig bleibt und bis an sein Ende gläubig bleibt.“
In frühen Jahren hat unsere Mutter uns auf der Nachkriegskinderseite, als es Korbschokolade gab, mit Schokoladenrippchen belohnt. Wie man gelernt hat: „Habe Acht auf mich, dass allen darauf liegt, und lass mich ritterlich den Kampf bestehen, wenn Satan, Sünd und Welt mich stürmend überfällt.“ Stürmend, nicht übergehend.
Es gibt viele Versuchungen im Alter: die Angst vor dem Sterben, die Frage, ob ich auch durchhalte, ob mein Glaube standhält, wenn die Schmerzen kommen.
Heute besteht die Gefahr, dass das Christentum zu einem „Halleluja“- oder „Tralala“-Christentum wird. Man meint, man brauche nur beten und werde wieder gesund. Als Paulus auf seiner ersten Missionsreise mit Blessuren zurückkam, sagte Barnabas wahrscheinlich: „Jetzt wird es aber höchste Zeit, dass wir wieder nach Antiochien gehen und uns heilen lassen.“ Paulus aber antwortete: „Nein, wir müssen wieder zurück nach Lystra, Derbe, Ikonion und Antiochien, den mühevollen Weg gehen und den Gemeinden sagen, dass man durch viel Trübsal ins Reich Gottes eingehen muss.“
Einer der wichtigsten Verse im Zweiten Timotheusbrief lautet:
„Alle, die gottselig leben wollen in Christus Jesus, müssen Verfolgung und Anfechtung erleiden.“ (2. Timotheus 3,12)
Ich wünsche mir, dass die klare Kontur, die von uns ausgeht, etwa so aussieht: Wenn wir sterbenskrank sind und Menschen mitleidig an unserem Krankenbett stehen und sagen: „Aber du hast doch wenigstens noch deinen Glauben“, dann können wir lächelnd und dankbar antworten: „Nicht, dass ich es schon ergriffen habe oder vollkommen bin, aber ich jage ihm nach, ob ich es auch ergreifen möchte. Nachdem ich von Christus ergriffen bin, bin ich noch unterwegs.“
Die Bedeutung des Namens Jesus und klare Bekenntnisse
Zweiter Impuls noch für uns Ältere:
Wir Christen, die wir uns Christen nennen, sollten uns nicht scheuen, auch den Namen des Christus Jesus auszusprechen. Es ist wie eine Tsunamiwelle über uns, die Christenheit, hereingebrochen. Man sagt, wenn man von Jesus redet, sei das fundamentalistisch oder frömmlerisch. Stattdessen spricht man lieber allgemein von Gott.
Dabei werden weder die Juden noch die Muslime dadurch beleidigt. Man sagt: „Wir reden von Gott.“
Ich darf als Ruheständler manche Gottesdienste besuchen. Wenn dort einige meiner Kollegen und Kolleginnen schon beim Eingangsgebet mit einem langgezogenen „Gott“ beginnen, möchte ich am liebsten schon wieder hinausgehen.
Die Christenheit aber liest in 1. Korinther 1, wo der Name des Herrn Jesus an allen Orten angerufen wird. Jesus ist der Heiland, den Gott uns aus großer Liebe gesandt hat. Natürlich will man sich nicht mit den Muslimen oder dem Volk Israel verderben, das ist verständlich. Aber der Herr Jesus hat klar gesagt: Wer den Sohn nicht ehrt, ehrt auch den Vater nicht. Sie sollen den Sohn ehren, wie sie den Vater ehren.
Merken Sie sich diesen Vers. Er ist unser Hauptvers im Gespräch mit den Muslimen, die unsere Mitbürger sind, gegen die wir keinen Krieg führen wollen. Aber wer Jesus nicht als den Sohn Gottes ehrt, ehrt auch Allah nicht. Das ist die Wahrheit, die Jesus in die Welt gebracht hat.
Wer sich meiner Worte schämt, der wird sich auch seiner selbst schämen. Wir dürfen diesen Vers nicht einfach unterschlagen. Wir müssen wieder lernen, von Jesus zu reden – in großer Dankbarkeit, auch in unseren Gebeten.
So wird oft gebetet: „Herr, Herr, Herr.“ Sagen Sie: „Erbarmer Jesus, du mich verstehender Jesus, du mich liebender Jesus.“ Rufen Sie ihn bei seinem Namen an. Wir dürfen seinen Namen nicht unterschlagen.
Im Kern geht es darum, dass wir klare Konturen haben, damit wir ein Gespür dafür bekommen, wo sonst in unserer Gesellschaft ein falscher Geist wirkt.
Jesus als Erlöser im Gespräch mit anderen Religionen
Dritter Bereich
Wir sollten viel öfter von Jesus als dem Erlöser sprechen. Ein Mitglied hat gesagt: Wenn wir mit anderen Menschen ins Gespräch kommen, kann es passieren, dass sie gleich abschalten, wenn wir sofort sagen: Jesus. Deshalb hat er sich angewöhnt, zunächst so zu sagen: Mir macht es immer einen großen Eindruck, dass der Nazarener gesagt hat: „Wer mir nachfolgen will, der verleugnet sich selbst.“
Dann fragen die anderen meist: „Was hast du mit dem Nazarener? Was ist das?“ Wenn sie so fragen, antworte ich: „Ja, Jesus.“ Dann entsteht ein ganz anderes Gesprächsthema, und ich überfalle den anderen nicht sofort mit dem Namen Jesus. Deshalb verstehe ich das als Trick Nummer dreizehn mit dem Nazarener.
Daniel Tambaraja Niles, der große Evangelist aus Sri Lanka, hat gesagt: Wenn wir mit Muslimen ins Gespräch kommen – er hat viel Erfahrung damit – sollten wir nicht darüber streiten, ob Jesus der Sohn Gottes ist oder nicht. Stattdessen sollten wir sagen: „Ich bin dankbar, dass Jesus mich erlöst. Ich brauche den Erlöser von meiner Angst vor dem Sterben, von meiner Versuchung, die Unwahrhaftigkeit zu sagen. Ich brauche ihn als Erlöser von meiner Selbstsicherheit, von meinem Egoismus.“
Wer vom Erlöser sehr persönlich spricht, dass er ihn braucht, schafft eine klare Kontur. So merkt auch der andere aus einer anderen Religion: „Den brauche ich.“ Es geht nicht darum, jemandem etwas aufzudrängen, sondern darum zu sagen: „Ich brauche ihn.“ Der große Erlöser Jesus ist gekommen, um sein Leben zur Erlösung für viele zu geben.
1. Korinther 1,30 sagt: Jesus Christus ist uns von Gott gemacht zur Heiligung und zur Erlösung. Freuen Sie sich darüber bis in Ihre letzte Lebenssekunde hinein, auch wenn Ihr Geist und Ihre Lippen sich nicht mehr zu einem Gebet formen können: „Du bist mein Erlöser.“
Ich durfte nach meinem Studium ein Jahr in Amerika verbringen. Dort war ich eingeladen in eine Gemeinde in Mansfield, Ohio. Es war eine Flüchtlingsgemeinde aus der Batschka und dem Banat, deren Mitglieder aus jugoslawischen Vernichtungslagern entkommen waren. Sie waren Reste der Gemeinde, die mit ihrem Pfarrer Lahm ausgewandert waren, in großer Armut nach Amerika, durch viel Schrecken gegangen.
Ich weiß nicht mehr, was ich dort in meinen Evangelisationsansprachen gepredigt habe, aber ich habe noch im Ohr, wie der Chor gesungen hat – vielleicht gar nicht sehr melodisch: „Ich brauch dich, oh ich brauch dich, den Erlöser, ich brauch dich!“
Das wäre die klarste Kontur, die wir in einer Zeit der Beliebigkeit geben können. Nicht wir Christen sind etwas Besonderes und müssen Werte in die Gesellschaft einbringen, nicht wir diskutieren um Ethik. Nein, ich brauche den Erlöser, ich, der unerlöste Mensch.
Denn Paulus hat gesagt: „Ich armer Mensch, wer wird mich erlösen vom Leid dieses Leibes?“ Ich brauche Gott sei Dank Jesus.
Wir sollten nicht auf alles hereinfallen, was sich heute missionarisch nennt. Es gab Zeiten, da war ein klares Erkennungszeichen, wer für Mission eintritt – für Weltmission und Evangelisation – das waren die Evangelikalen. Wer sagte, Mission sei out, die Zeit für Evangelisation und Mission vorbei, das waren die Liberalen in der Kirche.
Heute sprechen alle Synoden davon: „Wir wollen missionarisch sein.“ Wenn man aber genauer hinschaut, geht es oft nur um Mitgliederwerbung, wie bei jedem Kaninchensportverein. Der Verein geht ein, wenn er keine Mitgliederwerbung macht und wenn die Mitglieder, die dem Namen nach dabei sind, nicht aktiviert werden.
Mission ist, das haben uns Peter Beierhaus, Jubigen und Fitzedom gelehrt, wenn Menschen geholfen wird, aus dem Unglauben und der Gleichgültigkeit herauszukommen und Jesus gehören zu wollen.
Wenn in unseren Gemeinden und Gemeinschaften von Mission gesprochen wird – wir sollten missionarischer sein, mehr Flyer verteilen, mehr Handzettel und Plakate, mehr Bands einladen – dann wollen sie wirklich helfen, dass Menschen zum Glauben an Jesus kommen und ihm gehören wollen.
Das muss ich auch noch einschieben: Lassen Sie uns aufpassen, dass wir nicht zu oft vom Glauben reden. Ich weiß, was Sie meinen, und Sie trauen mir zu, dass ich das Richtige meine. Aber ich weiß auch, wie es ist: Als junger Pfarrer kam ich mal zu Taufeltern. Der Mann, Diplomingenieur aus Ulm, sagte: „Ich will ja die Taufe nicht, aber meine Frau glaubt alles, sie glaubt sogar nur in Klappersträuch.“
In der Bibel heißt Glauben: Ich möchte Jesus gehören. Das ist das Vorrecht meines Lebens: dass ich ihm gehöre. „Vater, ich danke dir, dass du mir sie gegeben hast, die nun die meinen sind. Ich kenne die meinen und die meinen kennen mich.“ In Todesnot hinein weiß ich: Ich bin ganz eigen. Das muss ich wohl zeigen, auch in der Todesnot: Ich gehöre ihm, nicht den Ärzten, nicht den Medikamenten, nicht meiner Lebenssehnsucht. Ich gehöre ihm.
Klare Konturen in der Zeit der Beliebigkeit. Ich konnte nur ein paar Anstöße geben und danke für das Thema, über das ich nachdenken durfte.
Persönliche Familiengeschichte als Beispiel für Standhaftigkeit
Mein Vater ist mit seiner Familie, bestehend aus sechs Kindern, durch schwierige Zeiten im Hitlerstaat gegangen, weil er nicht der Partei angehören wollte. Nach 1945, als er aus der Gefangenschaft zurückkehrte, war er verantwortlich für das württembergische Fachschulwesen, Berufsschulwesen und gewerbliche Schulwesen. Er leitete den Wiederaufbau all dieser großen Schulzentren.
Wenn er Tagungen mit seinen Direktoren hatte, sagte er oft: „Ich möchte morgens eine Andacht halten, mit dem großen Gott, wir loben dich, und ein Bibelwort auslegen.“ So wollten wir nach 1945 noch einmal neu anfangen, nachdem Gott uns diese Zeit der Gnade geschenkt hatte.
Es gab jedoch Christen, die sagten: „Euer Ministerrat, lassen Sie das lieber bleiben. Holen Sie dafür einen Pfarrer dazu! Wenn Sie das selbst machen, wird es schwierig. Sie sind der Behördenschef, und Ihr Glaube geht uns sozusagen nichts an.“ Diese Worte kamen von Christen. Mein Vater ließ sich davon nicht abbringen.
Man braucht auch eine gewisse Stacheligkeit, wenn man in einer Zeit der Beliebigkeit klare Konturen zeigen will. Im Sterben schrieb er uns Familienmitgliedern einen Brief, in dem der Satz stand: „Dass ich es noch einmal sagen durfte. Es war der Adel seines rasch vorbeigezogenen Lebens, dass ich klare Konturen zeigen durfte, auch als anderer Mitchrist. Das ist nicht nötig. Ich wünsche Ihnen, dass Sie noch einmal neu, in der kurzen Lebensphase, die uns noch geschenkt ist, hineinbekommen, dass ich es noch einmal zeigen kann, dass Jesus mir den Adel gegeben hat, klare Konturen zu haben. Herr, dazu hilf uns in Gnaden. Amen.“