Die Tragik Israels im Umgang mit Gott
Also worin besteht die Tragik? Das Volk, das so viel mit Gott erlebt hat, kommt am Ende nicht beim Messias an – zumindest der größte Teil nicht.
Die Tragik besteht darin, dass Israel, als es vor die Wahl gestellt wurde – das Gesetz oder die Gnade –, tatsächlich auf das Gesetz vertraute. Es ging darum: Erarbeite ich mir die Gerechtigkeit selbst, oder lasse ich sie mir schenken?
In Kapitel 9, Vers 30 heißt es: Was wollen wir nun sagen? Dass die Nationen, also die Heiden, die nicht nach Gerechtigkeit strebten – und man kann nüchtern feststellen, dass der normale Heide mit der Gerechtigkeit vor allem vor dem Gott der Juden überhaupt nichts zu tun hatte – eine Gerechtigkeit erlangt haben, und zwar eine Gerechtigkeit, die aus Glauben ist. Israel aber, das einem Gesetz der Gerechtigkeit nachstrebte, ist nicht zum Gesetz gelangt.
Das Ziel des Gesetzes besteht darin, mir zum einen zu zeigen, dass ich ein Sünder bin, und zum anderen durch das Opfersystem aufzuzeigen, wie ich aus meinem Dilemma herauskomme. Ein anderer bezahlt für mich. Im Alten Testament ist das ein Tier, das als Hinweiszeichen auf das eine Opfer dient, das im Neuen Testament am Kreuz gebracht wird.
Das Ziel des Gesetzes ist es, mich zu dem zu bringen, der als Gesetzgeber hinter dem Gesetz steht, und mich in eine Beziehung mit Gott hineinzuführen. Doch das Volk Israel ist daran vorbeigegangen.
Warum? In Vers 32 steht: Weil es nicht aus Glauben, sondern aus Werken geschah. Sie haben sich am Stein des Anstoßes gestoßen. Gott wird Mensch – und das ist hier gemeint.
Was jetzt kommt, ist ein Zitat aus Jesaja 8: Gott selbst wird Mensch und wird zum Stein des Anstoßes für sein eigenes Volk. Sie müssen sich entscheiden, wie sie diesem Gottmenschen Jesus begegnen. Und sie entscheiden sich dafür, dass sie an ihm zu Schanden werden.
Vers 33 sagt: Wie geschrieben steht: »Siehe, ich lege in Zion einen Stein des Anstoßes und einen Fels des Ärgernisses, und wer an ihn glaubt, wird nicht zu Schanden werden.« Wer an ihn glaubt, wird nicht zu Schanden werden. Das ist die Idee. Aber sie haben nicht geglaubt – und das wird für sie zum großen Fallstrick.
Die Eifersucht Israels und die falsche Erkenntnis
Kapitel 10, Vers 2: Denn ich gebe Ihnen Zeugnis, dass Sie Eifer für Gott haben. Das sind nicht etwa Faulpelze, die in der Ecke sitzen und sagen: „Mich interessiert eigentlich nichts von Gott.“ Sie haben Eifer, aber nicht mit rechter Erkenntnis.
Das Problem der Israeliten besteht darin, dass sie bereits handeln wollen. Darin können sie uns auch ein Vorbild sein – jeder Pharisäer. Oft schauen wir etwas herablassend auf die Pharisäer, doch jeder Pharisäer kann uns im Hinblick auf Fleiß ein Vorbild sein. Sie haben sich angestrengt, allerdings leider in die falsche Richtung.
Vers 3: Denn da sie Gottes Gerechtigkeit nicht erkannten, verstanden sie nicht, wie Gottes Gerechtigkeit funktioniert. Dem Abraham wurde die Gerechtigkeit zugerechnet, weil er glaubte. Diese Idee ging ihnen einfach nicht in den Kopf. Da sie Gottes Gerechtigkeit nicht erkannten und ihre eigene Gerechtigkeit aufrichten wollten, unterwarfen sie sich der Gerechtigkeit Gottes nicht.
Gott kommt, Gott wird Mensch, Gott zeigt ihnen, wie man gerecht werden kann – und doch lehnen sie den Messias ab. Der Stein des Anstoßes wird für sie zu einem Fels des Ärgernisses, der sie zerdrückt. Es ist eine Entscheidung zwischen zwei Möglichkeiten: Werksgerechtigkeit oder Glaube. Ich muss mich entscheiden, und diese Entscheidung ist unumgänglich, seitdem Jesus ein für alle Mal deutlich gemacht hat, dass sie für jeden gilt.
Denn Christus ist das Ende des Gesetzes für jeden, der glaubt, zur Gerechtigkeit. Ein Problem bei der Übersetzung ist, dass das „zur Gerechtigkeit“ am Ende steht, obwohl es eigentlich nicht dorthin gehört. Ich ziehe es vor, es dorthin zu setzen, wo es hingehört: Christus ist das Ende des Gesetzes zur Gerechtigkeit – erst mal bis dahin.
Das Ende des Gesetzes durch Christus
Das Gesetz als ein Mittel zur Gerechtigkeit – das Halten von Geboten als Prinzip, mit dem ich mir Gerechtigkeit erarbeiten kann – stößt für jedermann sichtbar an seine Grenzen in dem Moment, in dem Jesus auf die Erde kommt und am Kreuz stirbt.
Warum? Weil, wenn es eine Möglichkeit gegeben hätte, sich durch das Halten von Geboten den Himmel zu erarbeiten, Jesus und sein Sterben am Kreuz nicht nötig gewesen wären.
Jetzt wird Gott Mensch und lässt sich auf diesem Weg der Errettung ein. Gleichzeitig zeigt er damit, dass dies notwendig war, weil alle anderen Versuche nicht funktionieren. Der Christus ist das Ende des Gesetzes. Die Tatsache, dass Jesus gelebt hat, zeigt jedem, dass das Gesetz allein nicht ausreicht.
Warum? Weil er einen neuen Weg der Errettung freigemacht hat – und zwar für jeden Glaubenden. Paulus greift dies auf und zeigt erneut, wie sinnlos Werksgerechtigkeit ist.
In Vers 5 heißt es: „Denn Mose beschreibt die Gerechtigkeit, die aus dem Gesetz ist: Der Mensch, der diese Dinge getan hat, wird durch sie leben.“ Wenn du wirklich für Werksgerechtigkeit plädierst, dann bedenke: Du musst es tun.
Und wenn du das Alte Testament kennst, weißt du, dass zum Tun immer auch der Fluch des Ungehorsams gegenübersteht: „Verflucht sei, wer die Worte dieses Gesetzes nicht aufrechterhält und sie nicht tut.“
Wenn du dich auf Werksgerechtigkeit einlässt, kannst du dich anstrengen, und es gibt einen Segen bei hundertprozentigem, unverfälschtem Gehorsam. Aber wenn du einmal danebenliegst, kommt der Fluch.
Da wir alle danebenliegen, wissen wir, dass dieser Weg nicht funktionieren kann.
Die Gerechtigkeit aus Glauben als Alternative
Die Gerechtigkeit aus Glauben
Vers 6 spricht so, und jetzt kommen Verse, die nicht ganz leicht zu verstehen sind. Ich möchte versuchen, sie euch einfach zu erschließen.
Die Gerechtigkeit aus Glauben ist eine Gerechtigkeit, die uns sagen möchte: Hör endlich auf, dich anzustrengen. Lass endlich los und lass dich fallen in die Hände eines Gottes, der bereitsteht, dich aufzufangen. Überlege nicht ständig: Was muss ich noch tun, um gerettet zu werden?
Deshalb spricht die Gerechtigkeit aus Glauben: Sprich nicht in deinem Herzen: Wer wird in den Himmel hinaufsteigen? Oder: Wer wird in den Abgrund hinabsteigen? Das sind die Gedanken von jemandem, der werksgerecht ist und sich fragt: Was muss ich noch tun?
Was sagt sie dir stattdessen? Vers 8: Das Wort ist dir nah, in deinem Mund und in deinem Herzen. Das ist das Wort des Glaubens, das wir predigen.
Die Gerechtigkeit aus Glauben ist nicht weit weg oder schwer zu erreichen. Du musst dich nicht anstrengen, um in den Himmel zu gelangen oder die Hölle zu vermeiden. Sie ist ganz nahe.
Die Gerechtigkeit aus Glauben beginnt dort, wo du einfach zuhörst und das Wort Gottes auf dich wirken lässt – das Wort vom Glauben, das wir predigen. Du kannst aufhören, etwas zu tun. Du musst einfach nur zuhören.
Dort, wo du jemandem zuhörst, beginnt der Moment, in dem Gott in seiner Gnade an dir arbeitet.
An dieser Stelle finde ich einen Vers aus dem Alten Testament besonders schön, deshalb möchte ich ihn vorlesen:
Denn so spricht der Herr, der Heilige Israels: Durch Umkehr und durch Ruhe werdet ihr gerettet; in Stillsein und in Vertrauen ist eure Stärke. (Jesaja 30,15)
Umkehr und Ruhe, Stillsein und Vertrauen – das ist das Gegenstück zu dem Gedanken: Ich strenge mich an, ich schaffe es selber. Nein, ich kehre um zu Gott, tue Buße und vertraue ihm. Ich werde still und lasse mich von ihm retten.
Der Glaube als Bekenntnis und Rettung
Römer 10, Vers 9 sagt, dass wenn du mit deinem Mund Jesus als Herrn bekennst und in deinem Herzen glaubst, dass Gott ihn von den Toten auferweckt hat, du errettet werden wirst. Darauf kommt es an – nicht darauf, dass du möglichst viel tust oder wahnsinnige Dinge vollbringst, die niemand erreichen kann.
Es geht nicht darum, wie du in den Himmel oder in die Hölle kommst, sondern um das Bekenntnis mit deinem Mund: Wenn du öffentlich sagen kannst, dass Jesus der Herr in deinem Leben ist. Im Neuen Testament sind das, was ich glaube, was ich weiß und was ich tue, immer eine Einheit. Deshalb heißt es hier: Wenn du mit deinem Mund Jesus als Herrn bekennst und in deinem Herzen glaubst, dass Gott ihn von den Toten auferweckt hat, wirst du errettet werden.
Es gibt eine intellektuelle Seite: Ich habe den richtigen Glaubensinhalt. Ich glaube daran, dass Jesus auferstanden ist. Damit glaube ich auch, dass er gestorben ist – und zwar für meine Schuld. Außerdem glaube ich, dass er auf diese Erde gekommen ist, real war, und ich bekenne ihn als Herrn. Damit bringe ich zwei Dinge zum Ausdruck.
Erstens: Ich gehöre zu ihm. Er ist mein Herr, derjenige, der mir etwas sagen darf. Ich habe eine Beziehung zu ihm. Der Begriff „Herr“ ist gleichzeitig eine Gottesbezeichnung. Der alttestamentliche Gottestitel wird im Griechischen mit dem Wort „Herr“ übertragen. Wenn ich sage: „Jesus ist Herr“, dann sage ich, dass Jesus der Gott ist, dem ich folge und den ich liebe.
Diese Gottesvorstellung ist nicht irgendeine Vorstellung, sondern sie ist an das historische Leben und Erleben des Jesus von Nazareth angeknüpft. Er wurde um die Zeitenwende Mensch, hat gelebt, ist gestorben und leibhaftig auferstanden.
Vers 10: Denn mit dem Herzen wird geglaubt zur Gerechtigkeit, und mit dem Mund wird bekannt zum Heil. Diese Form von Gerechtigkeit ist sowohl den Juden als auch den Heiden zugänglich, denn die Schrift sagt: „Jeder, der an ihn glaubt, wird nicht zu Schanden werden.“
Die Betonung bei diesem Zitat liegt auf dem Wort „Jeder“. Paulus fügt dieses Wort ein, obwohl es eigentlich nicht im Original steht. Er verändert das Zitat ein wenig, um zu betonen: Jeder, egal ob du Jude oder Heide bist, du hast die Chance zu glauben. Das ist wichtig, weil in dem Auditorium Leute sitzen, die denken, mit Juden könne man nichts mehr anfangen. Das ist falsch. Jeder, der glaubt, egal welchen Hintergrund er hat, hat diese Chance.
Der Weg ist nicht weit entfernt oder mit großen Anstrengungen verbunden. Es liegt ganz nah: Zuhören, still werden, umkehren zu Gott, ihn aufnehmen – genau das tun, was wir in Kapitel 3 gelesen haben.
Vers 13: Denn jeder, der den Namen des Herrn anruft, wird errettet werden.
Persönliche Erfahrung und die Bedeutung des Namens Jesu
Wir hatten jetzt den Glaubensinhalt, und das ist der Akt der Bekehrung. Es ist dieser Moment, den ich nur für mich beschreiben kann, in dem ich nach Hause gekommen bin. Anfang zwanzig war ich bei einer Mai-Bibelwoche. Ich habe einen Vortrag über irgendetwas gehört, ich weiß nicht mehr genau, worüber.
Ich kam nach Hause, in mein kleines Studentenzimmer, eine Souterrain-Wohnung. Es war kalt, mit Außentoilette, die im Winter eingefroren war, dunkel, irgendwo in Charlottenburg. Der Teppich war fleckig, das Bett ranzig – also wirklich übel. Aber es war bezahlbar, völlig okay.
Als ich in meine Wohnung kam, wusste ich: Jetzt ist es so weit. Ich war schon ein paar Wochen, ein paar Monate in die Gemeinde gegangen und hatte mir vorher die Frage gestellt: Was fehlt dir eigentlich in deinem Leben? Zu diesem Zeitpunkt wusste ich, was mir fehlte. Mir fehlte genau das hier – der, der den Namen des Herrn anrufen wird.
Ich hatte zu diesem Zeitpunkt noch nicht meine Hände gefaltet und noch nicht gesagt: Herr Jesus, ich möchte, dass du in meinem Leben Herr wirst. Dann bin ich auf die Knie gegangen und habe genau das getan. Ich sagte: Herr Jesus, du kennst mein Leben. Du weißt, wo ich herkomme, du weißt, wer ich bin. Ich brauche mich vor dir nicht zu verstecken.
Ich weiß, was du für mich getan hast, und ich danke dir dafür. Das, was am Kreuz passiert ist, wo du für die Schuld der Welt bezahlt hast, da möchte ich mich einreihen – einreihen in diese Schlange von Menschen, die gerettet worden sind. Und ich möchte das ganz persönlich für mich annehmen.
Darum geht es hier: Jeder, der den Namen des Herrn anrufen wird, der sagt: Herr, rette mich, der wird gerettet werden. Und jeder, der sagt: Nein, ich möchte es mir erarbeiten – „Nee, so einfach kann das doch nicht sein. Was man geschenkt bekommt, ist nie etwas wert“ – der macht genau das falsch, was die Israeliten falsch gemacht haben.
Die Kette des Glaubens und die Verantwortung der Verkündigung
Wenn ich mir die Frage stelle, woran das Problem der Israeliten liegt, und dabei etwas genauer hinschaue, werden die nächsten Verse deutlich machen, dass das Problem nicht auf Gottes Seite liegt.
In Vers 14 und dann zu Beginn von Vers 15 fragt Paulus: Wie werden sie nun den anrufen, an den sie nicht geglaubt haben? Wie aber werden sie an den glauben, von dem sie nicht gehört haben? Wie aber werden sie hören ohne einen Prediger? Und wie aber werden sie predigen, wenn sie nicht gesandt sind?
Paulus baut hier eine Kette auf und sagt: Okay, Anrufen ist möglich, aber bevor jemand anrufen kann, muss er doch eine Predigt hören, richtig? Doch bevor er die Predigt hört, muss er erst einmal glauben. Also, bevor ich anrufen kann, muss ich glauben. Wie kann jemand glauben? Er muss zuhören. Wie kann er zuhören? Er braucht einen Prediger. Wie bekommt er einen Prediger? Indem Gott einen Prediger schenkt.
Ist in dieser Kette irgendetwas schiefgelaufen? Hat Gott keinen Prediger gesandt? Waren die Prediger vielleicht nicht überzeugend genug? Haben sie womöglich nicht gepredigt? Wurde die Botschaft nicht verstanden, sodass kein Glaube entstand? Liegt das Problem irgendwo in dieser Kette, warum die Israeliten Gott nicht angerufen haben?
In den folgenden Versen geht Paulus diese Kette durch und sagt: Nein, das ist überhaupt nicht das Thema. Das eigentliche Problem liegt ganz woanders. Es liegt tief verborgen, fast möchte man sagen, in der Psyche der Israeliten.
Die Rebellion Israels und Gottes Geduld
Das Problem, mit dem das Volk Israel schon immer kämpft und das Gott von Anfang an mit ihm hat, ist ein sehr persönliches. Es ist das Problem, das Jesaja bereits in Vers 16 frustriert ausdrückt: Wer, Herr, hat unserer Verkündigung geglaubt?
Jesaja sagt, dass wir uns zwar anstrengen und viel reden können, aber irgendetwas stimmt mit den Leuten nicht. Paulus zitiert in Vers 21 erneut Jesaja und spricht von Israel. Er sagt: Den ganzen Tag – und hier spricht Gott – habe ich meine Hände ausgestreckt zu einem ungehorsamen und widersprechenden Volk.
Die Tragik Israels liegt darin, dass in diesem Volk die Rebellion tief verankert ist. Gott steht da und sagt, dass er seine Hände ausstreckt, seine Prediger schickt, die genau wissen, was sie zu tun haben. Diese Prediger predigen so, dass es jeder hören kann.
Theoretisch gibt es also die Chance auf Glauben und durch den Glauben auf Bekehrung. Doch egal, wie viele Prediger Gott schickt oder wie sehr er ruft: Er muss immer wieder erleben, dass sein Volk ungehorsam und widersprechend bleibt.
Wenn man sich fragt, warum nicht mehr Israeliten zum Glauben gekommen sind, dann sagt Paulus, dass der Fehler im System nicht auf Gottes Seite liegt.
Gottes Treue und die Hoffnung auf den Überrest
Am Ende von Kapitel elf schließt Paulus das Kapitel mit einer sogenannten Doxologie ab. Eine Doxologie ist ein Lobpreis. Im Moment sieht alles sehr düster aus. Paulus hat uns erklärt, warum das Volk Israel nicht gerettet wird – zumindest große Teile davon.
Am Ende heißt es jedoch: „Oh Tiefe des Reichtums, sowohl der Weisheit als auch der Erkenntnis Gottes.“ Das bedeutet, dass das, was jetzt in Kapitel elf folgt, das Thema noch einmal ein Stück weit umdreht. Wir wissen jetzt, wo das Problem liegt. Im Kapitel elf macht Paulus deutlich, dass Gott mit seinem Volk noch nicht am Ende ist.
Das ist wichtig, weil es uns etwas über den Charakter Gottes offenbart. Du hast ein Volk, das nicht hören will – die Propheten haben bereits erfahren, dass sie nicht hören wollen, und auch Gott erlebt, dass sie nicht hören wollen. Es wäre nur logisch zu sagen: „Okay, wenn die Heiden so gut auf das Evangelium ansprechen, dann wende ich mich einfach ihnen zu.“ Aber so handelt Gott nicht.
Wenn Paulus am Ende jubelt: „Tiefe des Reichtums, sowohl der Weisheit als auch der Erkenntnis Gottes“, dann sagt er damit: „Wahnsinn, ich bin so begeistert von der Art und Weise, wie Gott mit seinem Volk, überhaupt mit der Menschheit umgeht.“ Das liegt daran, dass Gott sich in Kapitel elf offenbart und kurz zeigt, was es bedeutet, wenn ein Volk zu ihm sagt: „Nein, wir wollen nicht.“
Dann sagt Gott: „Okay, dann werde ich euer Nein einfach benutzen, damit andere Leute zum Glauben kommen. Und durch diese anderen Leute bekommt ihr wieder einen noch größeren Anreiz, doch noch einmal darüber nachzudenken, ob es sich mit mir nicht lohnt.“
Kapitel 11, Vers 1: „Ich sage nun, hat Gott etwa sein Volk verstossen?“ Das ist die Frage, die, denke ich, bei den Heidenchristen im Raum steht. Hat Gott sein Volk verstossen? Hatte Gott irgendwann die Nase voll? Die Antwort ist für Paulus ganz einfach: „Hm, das sei ferne, denn auch ich bin ein Israelit, aus der Nachkommenschaft Abrahams vom Stamm Benjamin.“
Die Antwort ist simpel: Es kann nicht sein. Wenn Gott sein Volk verstossen hätte, gäbe es keine gläubigen Israeliten. Paulus sagt: „Ich bin da, ich bin auch Jude, ich bin gläubig.“ Also kann es nicht sein, dass alles verloren und verstossen ist.
Wenn wir das etwas durchdenken, wissen wir aus dem Alten Testament, dass es in Israel immer einen kleinen Überrest gibt, der glaubt. Kapitel 11, Vers 2: „Gott hat sein Volk nicht verstossen, das er vorher erkannt hat.“ Gott wusste genau, was auf ihn zukommt.
Meint ihr wirklich, dass die Rebellion Israels Gott aus dem Konzept gebracht hat? Ganz bestimmt nicht. Denkt an die Geschichte mit Elija. Wisst ihr nicht, was die Schrift über Elija sagt? Er tritt vor Gott und klagt über Israel. Elija ist der frustrierte Prophet, der sagt: „Ich bin alleine übrig geblieben, keiner mehr da.“ Doch Gott sagt zu ihm: „Sei entspannt, Elija, da gibt es eine Höhle, da sind noch siebentausend Leute drin.“
Gott kennt seine Leute. Er weiß vorher, was passieren wird. Deshalb wusste er auch, dass nicht das ganze Volk Israel begeistert überlaufen würde. Aber er erkennt diejenigen, die dazugehören.
So ist es auch in der jetzigen Zeit: Wie es damals solche gab, die auf der Seite Gottes standen, so gibt es auch heute einen Überrest nach der Auswahl der Gnade.
Ich denke, ihr versteht, was mit „Auswahl der Gnade“ gemeint ist. Wir haben die großen Konzepte: Auf der einen Seite Gnade und auf der anderen Seite Werke – Gnade und Glauben versus Werke und Selbstgerechtigkeit.
Paulus sagt: Auch heute gibt es Juden, die glauben. Es gibt welche, die sich unter dieses Prinzip, unter dieses Auswahlprinzip der Gnade geflüchtet haben. Es mögen nicht viele sein, aber es gibt sie.
Genauso wie damals ein großes Volk abtrünnig war und in einer kleinen Höhle siebentausend Männer übrig geblieben sind, so sieht es auch heute aus. Es scheint, als wäre ein großes Volk weg, und nur ein kleiner Rest hat sich auf die Seite der Christen geschlagen. Und das stimmt.
Die Verstockung Israels und ihre Folgen
Und was ist mit den anderen? Vers 7: Was nun?
Israel hat nicht das erreicht, was es sucht. Israel sucht die Gemeinschaft mit Gott, das Gerechtwerden vor Gott, doch das hat es nicht erlangt.
Aber die Auswahl, die sich auf Gnade eingelassen hat, hat es erreicht.
Jetzt kommt ein schwieriger Vers: Die übrigen jedoch sind verstockt oder verhärtet worden. Ich möchte das erklären.
Wir haben hier eine Situation, die der zum Pharao sehr ähnlich ist. Der Pharao steht vor Gott, und wir lesen von Anfang an, dass er eigentlich mit diesem Gott nichts zu tun haben will. Er hat nur Verachtung für den Gott, der die Juden schützt. Gott kommt mit den Plagen, und die Beweise dafür, dass Gott mächtiger ist, nehmen immer mehr zu.
Am Anfang sind die Zauberer des Pharao noch in der Lage, die Wunder nachzumachen. Später strecken die Zauberer die Hände aus und sagen: „Wir können das nicht.“ Irgendwann werden die Beweise so überwältigend, dass jeder normale Mensch eingeknickt wäre. Doch genau in diesem Moment stärkt Gott das Herz des Pharao, damit er weitergeht.
Eine ähnliche Situation liegt hier vor. Stellt euch vor, ihr habt in eurem Herzen entschieden, als Israelit: Ich möchte nicht Christ werden. Du hast entschieden: Ich will mit Christus nichts zu tun haben. Das ist eine bewusste Entscheidung.
Aber du lebst in den ersten Jahrzehnten der Apostelzeit, wo Menschen an einer Tür vorbeigehen, an der ein seit Jahren kranker Mann sitzt, ein Bettler, den jeder kennt. Wenn sie angebettelt werden, sagen sie: „Tut mir leid, ich habe kein Geld dabei, aber weißt du was? Ich gebe dir das, was ich habe: Steh auf und sei gesund.“ Und plötzlich stehen ein paar Hunderttausend Leute da und hören die Predigt, die Petrus hält.
Du lebst in dieser Zeit. Es ist ähnlich wie in der Zeit des Pharao: Wenn du nicht willst und Gott dich verhärtet oder verstockt, dann macht er dein Herz an dieser Stelle unempfindlich gegen das, was du sowieso nicht hören möchtest.
Er sorgt dafür, dass du nicht gegen deinen Willen durch die vielen Beweise überzeugt wirst. Denn es passiert so viel: Leute werden von Engeln aus dem Gefängnis befreit, Menschen werden am laufenden Band gesund. So viel geschieht, dass Gott dir die Kraft gibt, immer noch Nein zu sagen.
Drei Dinge sind zu dem Thema Verhärtung aus Kapitel 11 wichtig:
Erstens: Die Verhärtung ist nicht der Grund für den Unglauben. Zuerst kommt die Zurückweisung der Gerechtigkeit durch Christus, zuerst sage ich Nein zum Angebot Gottes, und dann kommt die Verhärtung.
Zweitens: Die Verhärtung ist nicht irreversibel. Ihr kennt das Wort vielleicht aus der Chemie: unumkehrbar. Die Verhärtung oder die Verhärteten können noch zum Glauben finden. Gott bindet den Willen des Geschöpfes nicht endgültig.
Drittens – und das ist der Clou hinter dem ganzen Kapitel: Die Verhärtung hat eine Absicht. Gott benutzt die Verhärtung der Juden, um dadurch viele Heiden zum Glauben zu bringen.
Es passiert Folgendes: Die Juden sagen Nein, danke. Dann ändert sich plötzlich der Wind. Aus einem Nein wird ein „Wir verfolgen euch“. Die Apostel müssen Jerusalem verlassen und predigen gezwungenermaßen den Heiden. Und plötzlich kommen Heiden zum Glauben.
Die Verhärtung der Israeliten führt also zu einer verstärkten Heidenmission. Und wie wir gleich im Text sehen werden, reizt Gott dadurch, dass immer mehr Heiden zum Glauben kommen, die verhärteten Juden immer mehr dazu an, ihre Entscheidung noch einmal zu überdenken.
Das heißt: Die Verhärtung ist eine Folge von Unglauben, sie ist aber nicht unumkehrbar. Gott benutzt die Verhärtung der Israeliten dazu, letztlich ihre eigene Verhärtung wieder aufzubrechen.
Wenn ihr das durchdenkt, versteht ihr, warum Paulus am Ende des Kapitels sagt: Da hat sich jemand richtig Gedanken gemacht. Gott gibt sich nicht mit einem Nein zufrieden.
Gott sagt: „Okay, das Nein kannst du haben. Ich lasse dich sogar deinen Weg in meiner Kraft ein Stück weitergehen, aber nur, damit du es am Ende noch schwieriger hast, Nein zu sagen.“
Das ist Gott. Wenn Gott jemanden gewinnen kann, dann tut er einfach alles, um ihn zu gewinnen.
Der Fall Israels und die Rettung der Nationen
Und deswegen, wenn es in Vers 11 heißt: "Ich sage nun, sind sie etwa gestrauchelt, damit sie fallen sollten?" – denn dass sie gestrauchelt sind, also dass irgendetwas schiefgegangen ist, ist klar. Aber sind die Israeliten gestrauchelt, um komplett ruiniert zu sein? Das habe ich vorhin schon gesagt.
Ist dieses Straucheln der Endpunkt im Umgang Gottes mit seinem Volk? Die Antwort lautet: Nein, das sei ferne. Durch ihren Fall ist den Nationen das Heil geworden. Ist das nicht fantastisch? Da geht etwas schief, und Gott sagt: Kein Problem.
Ich finde Gottes Souveränität großartig, es macht mir sehr viel Spaß, darüber nachzudenken. Es gibt eine theologische Richtung, die davon ausgeht, dass Gott alles vorherbestimmt hat – jeden einzelnen Schritt. Das ist nicht das, was ich glaube.
Ich denke, dass Gott wie ein brillanter Schachspieler ist. Du machst einen Zug und denkst, jetzt habe ich ihn. Ich habe jemanden, mit dem ich manchmal Schach spiele. Ich habe noch nie gegen ihn gewonnen. Ich kann mich anstrengen, wie ich will, ich denke, jetzt habe ich dich. Und er denkt zwei Minuten nach und macht dann einen Zug, der aus dem Nichts kommt, und ich denke nur: "Äh, vielen Dank."
So ist Gott irgendwie auch. Die Israeliten straucheln, und du denkst, jetzt ist wirklich alles vorbei. Aber Gott sagt: "Nö, jetzt benutzen wir erst mal euer Nein, damit sich der Rest der Welt bekehrt. Und wenn der Rest der Welt anfängt, sich zu bekehren, dann könnt ihr ja noch einmal nachdenken."
Das ist es, was hier steht: Durch ihren Fall ist den Nationen das Heil geworden – viel schneller, als es der Fall gewesen wäre, wenn Israel sich als Nation bekehrt hätte und dann in einer „Och, wir fühlen uns ja alle wohl, wenn wir so als gläubige Israeliten zusammen sind“-Mentalität geblieben wäre.
Betrachten wir Apostelgeschichte 10: Wie schwer fällt es einem Petrus, zu einem gläubigen Nichtjuden zu gehen? Er kommt gar nicht auf den Gedanken. Stellt euch mal ein ganzes Volk vor: Wie nett wäre es gewesen, wenn sie gläubig geblieben wären, bis jemand sich aufgemacht hätte, einem Nichtjuden etwas zu sagen? Und wenn die dann Nein sagen, sagt Gott: Super, bringen wir erst mal das mit den Heiden hinter uns, und dann reizen wir Israel zur Eifersucht.
Das ist super.
Warnung an die Heidenchristen und das Bild des Olivenbaums
Und jetzt springe ich mal ein bisschen, aber nicht so weit. Denn eigentlich ist das Problem, das Paulus hat, ja das Problem, dass die Heidenchristen in der Gemeinde auf die Judenchristen herunterschauen. Diese Ideen, dass mit Israel alles aus ist und dass Gott womöglich nicht mehr zu seinen Zusagen steht, kommen ja aus der heidenchristlichen Fraktion.
Jetzt muss Paulus an dieser Stelle noch mal ein bisschen nacharbeiten und sagen: Seid mal ein bisschen vorsichtig, ihr Heidenchristen, wenn ihr euch für die Auserwählten, die Besonderen haltet.
In Vers 17 beginnt ein Bild, das Bild vom Olivenbaum. Der Olivenbaum steht in diesem Bild für das Volk Gottes in seiner äußeren Erscheinungsform. Das heißt für das Volk Israel im Alten Testament und für die Gemeinde im Neuen Testament. Stellt euch so einen Olivenbaum vor: Er hat eine Wurzel, einen Stamm, und oben gehen die Zweige weg. Jeder hat sich das vor Augen, ja? Wurzel, Stamm, Zweige.
Die Idee ist, dieser Olivenbaum repräsentiert das Volk Gottes, so wie man es wahrnimmt. Im Alten Testament ist das Volk Israel die Wurzel und der Stamm in dem Bild, und die Zweige oben sind die Gemeinde im Neuen Testament. Darüber sagt Paulus jetzt Folgendes:
Wenn aber einige der Zweige ausgebrochen worden sind – im Moment, wo die Gemeinde entsteht, werden die, die eigentlich zu dem Olivenbaum gehören, also die Israeliten, die nicht gläubig sind, ausgebrochen. An die Stelle dieser nichtgläubigen Juden werden fremde Zweige eingepfropft, das sind gläubige Heiden.
Paulus schreibt: „Wenn aber einige der Zweige ausgebrochen worden sind und du, der du ein wilder Olivenbaum warst, unter sie eingepfropft und der Wurzel und der Fettigkeit des Olivenbaums teilhaftig geworden bist, rühme dich nicht gegen die Zweige.“
Jetzt merken wir, wo das Problem liegt: Die einen denken, sie sind besser. Die Heidenchristen denken, wir haben es geschnallt und ihr nicht. Wir sind die Guten. Und Paulus sagt: Stop, stop, stop. Wenn wir uns den Umgang Gottes mit den Menschen anschauen, dann gibt es vom Alten zum Neuen Testament eine Art Diskontinuität, einen Bruch, einen alten und einen neuen Bund, und da gibt es einen Übergang. Es gibt Pfingsten, es gibt das Kreuz, es gibt ein Vorher und Nachher. Aber bitte, in dem Bild wird der Baum nicht gefällt und ein neuer gepflanzt, sondern es ist ein Übergang.
Wenn ich als Heidenchrist werde, dann ist das so, als würde ich einen wilden Olivenbaumzweig in einen kultivierten Olivenbaum einpfropfen. Wenn ich euch etwas über das Evangelium erzähle, hier von vorne, als Heidenchrist, der ich bin, dann greife ich zurück auf die Fettigkeit des Alten Testaments und die Erfahrungen, die das Volk Israel mit demselben Gott gemacht hat, dem wir auch nachfolgen. Wir stehen in einer Linie.
Wir können nicht einfach sagen: Seit Pfingsten ist alles neu. Das stimmt nicht. Wir sind Abhängige. Und das ist der Fehler der deutschen Christen im Dritten Reich gewesen. Wir brauchen nicht auf die Juden herabzuschauen. Wir sind hineingetreten in ihre Verheißungen. Ihr Messias ist unser Messias geworden, und der Segen an den Stammvater der Juden, Abraham, ist über Jesus in unser Leben hineingeflossen.
In Vers 18 heißt es: „Rühme dich nicht gegen die Zweige. Wenn du dich aber gegen sie rühmst, pass auf, du trägst nicht die Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich.“ Sei an dieser Stelle vorsichtig. Du bist nicht das Fundament, sondern Israel ist das Fundament.
Lasst uns an der Stelle vorsichtig sein, nicht zu schnell in einen theologisch begründeten Antisemitismus zu verfallen. Es ist immer leicht, auf die herabzublicken, die es nicht geschafft haben, und zu sagen: Es ist doch ganz einfach, das mit dem Glauben. Kann sein.
Paulus wird fortfahren und sagen: Wenn sich unter uns Menschen finden, die äußerlich dazugehören, aber in deren Herzen sich Unglauben findet, dann nützt ihnen das auch nichts. Dann wird Gott mit ihnen genauso umgehen wie mit den Israeliten. Gott ist unparteiisch.
Und noch schöner: Vers 23. „Aber auch jene“, und das sind die Israeliten, „wenn sie nicht im Unglauben bleiben.“ Das sind die Verhärteten. Wenn die Verhärteten sich anreizen lassen, dadurch dass Heidenchristen zum Glauben kommen, und sagen: Eigentlich möchte ich nochmal darüber nachdenken. Das kann doch nicht sein, mein heidnischer Nachbar betet den Gott an, den ... das geht doch gar nicht. Wie kann das sein? Ist Jesus vielleicht doch der Messias?
Aber auch jene, wenn sie nicht im Unglauben bleiben, werden eingepfropft werden, denn Gott kann sie wieder einpfropfen. Das ist die Hoffnung, die Paulus hat, und das ist das, was er den Heidenchristen sagt: Wenn ihr glaubt, da ist alles aus, vergiss es! Natürlich ist der Unglaube das Problem, aber sobald die Rechnung Gottes aufgeht und Juden gläubig werden, dann ist das mit der Verhärtung sofort vorbei. Die sind sofort dabei.
Denn wenn aus dem von Natur wilden Olivenbaumzweig ausgeschnitten und gegen die Natur in den edlen Olivenbaum eingepfropft worden ist, wie viel mehr werden diese, die natürlichen Zweige, in ihren eigenen Olivenbaum eingepfropft werden? Israel hat keine Zukunft? Paulus sagt: Quatsch! Ja, sie haben ein Problem, aber keine Zukunft sieht ganz anders aus.
Vers 25: „Denn ich will nicht, Brüder, dass euch dieses Geheimnis unbekannt sei, damit ihr euch nicht selbst für klug haltet. Verstockung ist Israel zum Teil widerfahren.“ Und das „zum Teil“ bezieht sich auf das Verb. Es ist eine teilweise Verstockung, es hat nicht alle betroffen.
Dann kommt ein Vers, über den ihr viel in der theologischen Abteilung der Brüdergemeinden nachlesen könnt, wenn ihr wollt: „Bis die Vollzahl der Nationen eingegangen sein wird.“ Viele Leute glauben, es gibt einen Punkt in der Geschichte, da ist eine bestimmte Menge an Heiden gläubig geworden, und dann geht es mit Israel noch mal richtig los.
Ich glaube das nicht. Ich glaube, dass es heute schon mit Israel richtig losgeht. Ich glaube, dass dieses Wort „Vollzahl“, was hier steht, sich nicht auf eine bestimmte Menge von Heiden bezieht, die ins Himmelreich eingegangen sind, sondern dass es darum geht, dass die Errettung den Nationen bekannt gemacht worden ist. Oder: bis die Errettung der Nationen ins Bild kam, so könnte man das auch übersetzen.
Es macht für mich deshalb mehr Sinn, weil die Verstockung Israels, diese Verhärtung, nur für einen kleinen Moment in der Geschichte überhaupt Sinn macht, nämlich nur dann, wenn die Apostel unterwegs sind, mit ihren Zeichen und Wundern, in der Gefahr stehen, jemanden, der eigentlich nicht glauben will, durch den Druck dessen, was er sieht, in eine Richtung zu schieben, wo er nicht hin will.
In dem Moment, wo die Apostel dieser ersten Generation weg sind, in dem Moment, wo das Heil den Heiden präsentiert worden ist, wo Errettung international geworden ist, in diesem Moment ist Verstockung nicht mehr nötig.
So glaube ich, dass diese Verstockung aufgehört hat. Ich glaube, dass sich heute genauso viele Israeliten im Schnitt bekehren wie aus jedem anderen Volk auch, dass wir da gar keinen statistischen Unterschied haben. Ihr müsst dem nicht folgen, könnt ihr viel nachlesen zu dem Thema.
Aber Vers 26 heißt es: „Und so auf diese Weise“, dadurch, dass Gott die Verhärtung benutzt, um die Heiden zum Glauben zu führen, und dann durch die bekehrten Heiden quasi im Rückgriff auf sein Volk die Israeliten wieder anreizt, sich zu bekehren, so wird ganz Israel – gemeint sind alle gläubigen Juden in allen Generationen – errettet werden.
Nochmal zurück: Im Raum steht die Frage: Kommen alle Israeliten in die Hölle? Paulus sagt: Nein, ich bin die Ausnahme. Okay, aber dann ist wenigstens die Geschichte Gottes mit Israel vorbei? Er sagt: Nee, da ist noch nichts vorbei, sondern wir sind gerade mittendrin.
Paulus schreibt etwa 55 bis 60 nach Christus. Im Moment erleben wir, dass da eine Verhärtung ist, aber das ist eine zeitlich begrenzte Sache. Gott ist schon drauf und dran, so wie er alle in den Ungehorsam eingeschlossen hat (Vers 32), auch alle zu begnadigen.
Und jetzt versteht ihr, wenn man das durchdenkt, warum es dann in Vers 33 heißt – und ich habe es jetzt ein klein bisschen anders übersetzt: „O Tiefe des Reichtums und der Weisheit und auch der Erkenntnis Gottes.“ Paulus durchdenkt das.
Ich wünsche euch solche Momente. Ich wünsche euch Momente, in denen ihr euch in biblische Texte so tief hineinfresst, dass ihr am Ende vielleicht einen Driesel im Kopf habt. Aber wenn ihr dann die Fakten zusammenzählt, sagt ihr: Wahnsinn, was für ein Gott, was für ein Gott, der dranbleibt über anderthalb Jahrtausende. Was für ein Gott, der, wenn ein Volk sagt: Nein, wir wollen den Messias nicht, nicht einfach aufgibt.
Was für ein Gott, der ein Nein benutzt, um die Heiden zu retten und den eigenen Leuten, den Israeliten, noch einmal eine Chance zu geben.
Wie unausforschlich sind seine Gerichte oder Entscheidungen und unausspürbar seine Wege.
Ich wünsche euch diese Haltung zu Gott, diese Begeisterung für das, was er tut, nicht nur mit den Juden, sondern genauso auch mit eurem eigenen Leben.
Zum Schluss Vers 36: „Denn von ihm und durch ihn und für ihn sind alle Dinge. Ihm sei die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.“