Einleitung und Kontext der Abrahamsgeschichte
Ich bin, wenn Sie so wollen, über mich selbst hinausgewachsen. Ich habe eine Kürzung in den Predigttexten unserer Abrahamsgeschichte vorgenommen und ein ganzes Stück übersprungen. Es fiel mir schwer, den Abschnitt zu behandeln, in dem Abraham von Gott ein Zeichen erbittet. Dieser Abschnitt wäre mir wichtig gewesen, aber wir können nicht alles besprechen. Die Bibel ist so reich gefüllt und so anschaulich darin, wie angefochtene und zweifelnde Menschen sogar von Gott ein Zeichen erhalten.
Nun machen wir weiter bei 1. Mose 16 und nehmen heute das ganze Kapitel. Sarah, Abrahams Frau, gebar ihm kein Kind. Sie hatte aber eine ägyptische Magd, die Hagar hieß. Sarah sprach zu Abraham: „Siehe, der Herr hat mich verschlossen, dass ich nicht gebären kann. Geh doch zu meiner Magd, ob ich vielleicht durch sie zu einem Sohn komme.“ Und Abraham gehorchte der Stimme Saras.
Diese Dreiecksgeschichte ist nicht mit unseren modernen, illustrierten Geschichten vergleichbar. Im Orient war das ein Rechtsbrauch, genauso wie die Vielehe damals völlig im Volk verwurzelt war. Was uns jedoch interessiert, ist die Frage, ob wir als glaubende Menschen, die unter dem Gebot Gottes stehen, uns einfach damit begnügen dürfen zu sagen: „Das ist legal, das machen alle anderen auch.“ Uns interessiert nicht nur die moralische Frage an der Geschichte, sondern vor allem die Frage des Gehorsams gegenüber Gott.
Die Situation von Sarah, Hagar und Abraham
Da nahm Sarah, Abrahams Frau, ihre ägyptische Magd Hagar und gab sie Abraham, ihrem Mann, zur Frau. Dies geschah, nachdem sie zehn Jahre im Land Kanaan gewohnt hatten. Abraham ging zu Hagar, und sie wurde schwanger.
Als Hagar nun sah, dass sie schwanger war, achtete sie ihre Herrin gering. Da sprach Sarah zu Abraham: „Das Unrecht, das mir geschieht, komme über dich! Ich habe dir meine Magd in die Arme gegeben. Nun aber, da sie schwanger geworden ist, werde ich gering geachtet in ihren Augen. Der Herr sei Richter zwischen mir und dir!“
Abraham aber sprach zu Sarah: „Siehe, deine Magd ist unter deiner Gewalt. Tu mit ihr, wie es dir gefällt.“ Als Sarah nun Hagar demütigen wollte, floh sie von ihr.
Gottes Begegnung mit Hagar in der Wüste
Aber der Engel des Herrn fand sie bei einer Wasserquelle in der Wüste, nämlich bei der Quelle am Wege nach Schur. Er sprach zu ihr: „Hagar, Saras Magd, wo kommst du her und wohin willst du gehen?“
Sie antwortete: „Ich bin von Sara, meiner Herrin, geflohen.“
Der Engel des Herrn sagte zu ihr: „Kehre wieder um zu deiner Herrin und demütige dich unter ihre Hand.“
Dann sprach der Engel des Herrn weiter zu ihr: „Ich will deine Nachkommen so mehren, dass sie der großen Menge wegen nicht gezählt werden können.“
Weiter sagte der Engel des Herrn zu ihr: „Siehe, du bist schwanger geworden und wirst einen Sohn gebären. Dessen Namen sollst du Ismael nennen. Denn der Herr hat dein Elend erhört. Er wird ein wilder Mensch sein, seine Hand wird wider jedermann sein, und jedermanns Hand wird wider ihn sein. Er wird wohnen allen seinen Brüdern zum Trotz.“
Dies war ein altes Problem des Volkes Israel im Lande Kanaan.
Hagar nannte den Namen des Herrn, der mit ihr redete: „Du bist ein Gott, der mich sieht.“ Denn sie sprach: „Gewiss habe ich hinter dem hergesehen, der mich angesehen hat.“
Darum nannte man den Brunnen „Brunnen des Lebendigen, der mich sieht“. Er liegt zwischen Kadesh und Bereth.
Hagar gebar Abraham einen Sohn, und Abraham nannte den Sohn, den ihm Hagar gebar, Ismael. Abraham war sechsundachtzig Jahre alt, als ihm Hagar den Ismael gebar.
Herr, lass uns auch durch dieses Wort Wichtiges erkennen für unser Leben. Amen!
Die weltweite Hilfsbewegung und der Glaube unserer Zeit
Durch unser Volk zieht sich ein großer Aufbruch. Es gibt sicher wenige, die nicht davon angesprochen und berührt sind – von dieser ganz großen Hilfsbewegung unserer Tage. Junge und alte Menschen interessieren sich dafür, was in Mosambik gegenwärtig geschieht, was in Vietnam los ist und was in Südamerika passiert. Das Unrecht unserer Tage, leidende Menschen, Hungernde – das betrifft uns alle. Das bewegt uns, das treibt uns um.
Die Nöte dieser Welt, wo immer sie auch auftreten, müssen wir doch lösen. Wir müssen handeln, wir müssen endlich diese Not abstellen. Es ist interessant, dass ganz wenige Menschen in dieser großen Bewegung, die aufgebrochen ist, fragen: Wie schaffen wir das? Nur wenige stellen diese Frage. Die meisten Menschen sind von einer schier grenzenlosen Begeisterung erfüllt und sagen: Ja, das machen wir, das machen wir, wir müssen ran.
Wenn ich an die Gespräche denke, die ich allein in der vergangenen Woche mit vielen Menschen geführt habe, war es immer wieder interessant, dass die Leute ganz selbstverständlich sagten: Was wollen Sie denn überhaupt mit Ihrer Bibel, mit Ihrem Gott, mit Ihrer Religion? Das sei doch so nebensächlich. Jude, Christ und Hott und Tod – wir glauben doch alle an einen Gott. Lassen Sie doch die Frage der Religion mal aus dem Spiel. Hauptsache, wir tun etwas in der Welt, wir sind draußen, wir sind aktiv.
Ich will ein guter Mensch sein – vielleicht hört man das heraus. Ich bin doch ein guter Christ, sagen Leute, die seit Jahren nicht mehr praktizieren: Ich bin doch dabei! Woher haben Menschen diesen grenzenlosen Optimismus? Ich kann Ihnen sagen: Das ist die Religion unserer Tage – dieses Vertrauen auf sich selbst. Noch deutlicher gesagt: der Glaube, ja der vermessene Glaube an sich selbst.
Es gibt keine Religion in unserer Welt, die bisher so vermessen war, den Menschen solche ungeahnten Möglichkeiten der Verwirklichung des Heils in dieser Welt versprochen hätte. Jede Religion hat das Heil vielleicht noch im Jenseits versprochen. Die vermessenste Religion aller Zeiten ist der Glaube an sich selbst. Sagen Sie doch nicht, man könne heute nicht glauben! Der Mensch glaubt das Verrückteste, das Wahnwitzigste, ja man könnte sagen, nehmen Sie mir die harte Form ab, das Idiotischste: nämlich den Glauben an den Menschen.
Und das geht einher mit der brutalsten Verspottung des lebendigen Gottes, mit einer Verhöhnung dieses Gottes, der lebt und dem diese Welt gehört. Wenn Menschen lachen und sagen: Wo ist denn euer Gott der Liebe? Wo ist denn der Gott, der alle so herrlich regiert? Sie kennen ja diese Sprüche und wissen, wie einem das zu schaffen macht. Dieser Glaube an den Menschen, wie junge Menschen ihn aus der Hand nehmen, wenn man ihnen sagt: Du bist gut, du kannst das, du hast Macht, du musst die Welt gestalten – und dann wird das Heil anbrechen, dann wird Friede sein, dann wird es schön werden, dann wird das Heil kommen.
Die Gefahr der Selbstüberschätzung und die Realität menschlicher Schwäche
Was mich vielmehr bedrückt, ist, dass dieses Gift falscher Religion in uns allen Platz gegriffen hat. Wenn man sich unterhält und zu Menschen kommt, die nicht einmal mehr in ihrem kleinen sozialen Bereich ihrer Familie durchhalten – sei es die Spannung zwischen Eltern und Kindern, Ehespannungen oder etwas anderes –, dann fällt auf, dass solche Leute, wenn man mit ihnen zusammensitzt, plötzlich ganz groß reden. Sie sprechen großspurig und sagen: „Ja nun, ich brauche doch keinen Gott, ich kann doch die Welt verändern, ich kann doch alles.“
Es sind Menschen, die sogar nervlich krank sind, Menschen, die in Depressionen stecken. Wer von uns steht nicht manchmal unter Depressionen? Dann merkt man auf einmal: Wir haben uns den maßlosesten Leistungsdruck aufgeladen, den man sich überhaupt aufladen kann. Wir trauen uns selbst etwas zu und wollen das in eigener Kraft durchtragen.
Dieser Zustand zeigt sich sogar in der modernen Christenheit. Ja, diese ganze Not ist schon überall sichtbar geworden, wo man hinsieht. Es gilt als Zeichen eines modernen, zeitgemäßen Christentums, wenn man sagt: „Was soll denn das Hände falten? Was soll denn noch das alles, dass wir uns sammeln um die Bibel? Was soll dieses alte Reden in alten frommen Vokabeln? Hauptsache, dass wir aktiv werden!“
Dann kommen diese Aufrufe zur Weltveränderung. Und dann sitzen wir alle da und fragen: „Was ist eigentlich falsch daran?“ Wissen Sie, was falsch ist? Dass ich zu schwach dazu bin. Und ich kann mit keinem Menschen darüber streiten, ich kann nur einfach so viel jetzt sagen: Ich bin zu schwach.
Ich merke, wie ich meinen Konfirmanten nicht das sein kann, was ich ihnen sein wollte. Ich merke schon, wie ich in meinem Amt das nicht tun will, die Besuche, die ich machen wollte – ich scheitere doch daran. Lassen Sie es mal übertragen, Sie wissen auch in Ihrer Situation, was ich meine.
Unseren kleinen Bezirk, den wir mit Plänen füllen könnten, können wir ja nicht mal füllen. Sie hatten Pläne für dieses Jahr 1973, was Sie alles Schönes machen wollten. Wir haben versagt, wir waren zu schwach, wir konnten es nicht tun. Unsere Nervenkraft reicht doch nicht dazu, unsere körperliche Kraft reicht doch nicht dazu, unsere seelische Kraft reicht doch nicht dazu. Wir sind ja gar nicht Menschen, die das alles tragen könnten.
Deshalb bin ich so froh, dass ich heute Morgen individuelle Seelsorge an Ihnen treiben darf. Das Evangelium ist für Zerbrochene. Wir haben am Mittwoch in unserem Bibelkreis den Spiritual „Ich bin schwach und du bist stark“ gesungen. Ich habe gesagt: Das ist meine Theologie, weiter komme ich nicht.
Was wir bei Paulus gelesen haben, war die gleiche Theologie: Wenn ich schwach bin, bin ich durch Jesus stark. Ich möchte nüchtern und offen die Grenzen meiner Person sehen können. Ich will nicht dieser verführerischen Irreligion unserer Tage erliegen, die dem Menschen einredet, er könne alles – obwohl er es gar nicht kann.
Wir stoßen dauernd an die Grenzen unserer Kraft. Das muss ja eine Not geben. Da müssen ja Menschen einmal daran zerbrechen und kaputtgehen, wenn sie merken, dass wir diesen immensen Leistungsdruck, den wir uns selbst gegeben haben, gar nie mehr ausfüllen können.
Die Theologie der Schwäche und die Bedeutung des Glaubens
Ich bin schwach und du bist stark. Das ganze Evangelium ist von einer großen Skepsis gegenüber dem Menschen durchzogen. Nicht, weil der Mensch verächtlich gemacht werden soll, sondern im Gegenteil, weil Gott mehr aus uns machen will. Er achtet den Menschen höher als sein Ebenbild.
Deshalb wollen wir uns heute mit diesem Thema beschäftigen. Die Sünde unserer Tage – die größte Sünde in unserem Leben – besteht nicht nur in einzelnen Taten oder Worten, die wir begangen oder gesprochen haben. Vielmehr ist es die Vorstellung, wir könnten auch nur eine Stunde unseres Lebens ohne das Erbarmen Gottes verbringen. Wir könnten keinen einzigen Tag gestalten, ohne in allem auf die Gaben unseres Gottes angewiesen zu sein.
Wir brauchen diesen Herrn, der für Elende da ist. Das ist eine andere Religion. Sagen Sie bitte nie mehr, dass Christentum gleich allen Religionen sei. Nein, durch das Christentum zieht sich ein tiefer Graben zwischen zwei verschiedenen Religionen: der Glaube an Jesus, der für Elende gestorben ist, und der Glaube an den frommen Menschen.
Ich habe heute nur zwei Punkte, die ich an dieser Hagar-Geschichte zeigen möchte. Erstens: eine schier brutale Geduldsprobe Gottes. Wie bei Abraham, den wir am letzten Sonntag in der Predigt besprochen haben, bestätigt Gott ihn gerade in der Anfechtung seines Glaubens und im Zweifel. Abraham erhält die Verheißung: „Ich will dich zum großen Volk machen.“ Gott hält daran fest und macht den Mann gewiss.
Doch die Erfüllung dieser Verheißung bleibt aus. Das ist das schwere Kapitel, das wir jetzt noch einmal genau betrachten müssen. Es gehört in den Gesamtzusammenhang. Es zeigt Gottes schier brutale Geduldsprobe mit glaubenden Menschen. Er kann sie Jahr um Jahr warten lassen.
Die Geduldsprobe Gottes und der Weg des Glaubens
Wenn Menschen zum Glauben kommen, ergreift sie das große Ziel Gottes: Er gibt eine Verheißung, spricht einen Spruch über das, was werden wird.
Als ich mich als junger Mensch bekehrte, fasziniert mich besonders, dass er, der lebendige Herr Jesus, sagt, er werde mit dem Bösen und Sündigen in meinem Leben fertig. Das war die Hoffnung. Wie Abraham brach ich auf. So war es auch bei Ihnen, als Sie diesen Weg im Namen Jesu begannen und sagten: Es soll neu werden bei mir.
Jetzt, fünf oder zehn Jahre später, machen wir die Erfahrung, dass wir immer noch mit dem Bösen in uns kämpfen müssen. Der Kampf ist so hart wie eh und je. Warum gibt der Herr uns keinen Sieg? Es geht ja nicht nur um ein Kind wie bei Abraham, wo die Verheißung an der Nachkommenschaft hängt. Bei uns geht es doch darum, Dienste für Jesus zu tun. Warum versagt er uns das?
Das wollen wir nüchtern sagen: Erst wenn auf dem Friedhof die Schaufeln Erde auf unseren Sarg werfen, hat dieser Kampf ein Ende. So lange dauert die schier brutale Geduldsprobe unseres Gottes. Wir haben die Verheißung, den Zuspruch Gottes vom Sieg, dass das Böse überwunden ist und der Teufel gebunden ist. Doch wir müssen ringen und kämpfen.
Das lässt sich auf alle Bereiche übertragen. Nehmen wir das weite Feld der Zusage Gottes, dass er sagt: „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Geht hin und macht zu Jüngern alle Menschen!“ Dann gehen wir in die Welt und merken, dass dort Türen verrammelt und verschlossen sind. Manche werden ungeduldig und fragen: Warum gelingt es euch nicht? Wenn ihr das wahre Evangelium habt, müssten doch alle Türen offen sein. Die Kirchen müssten längst abgerissen und dreimal so groß gebaut werden. Alle Menschen um euch herum müssten Christen sein. Doch ich sehe, dass bei euch genauso viele Menschen das Evangelium nicht annehmen.
Das ist Gottes Geduldsprobe. Er kann die Erfüllung der Verheißung aussetzen – nicht, weil die Verheißung Gottes wackelig wäre, sondern aus einem ganz anderen Grund. Die Verheißung ruht so fest in Gottes Hand. Die Nachkommenschaft Abrahams war so sicher, unabhängig davon, was Menschen für möglich oder unmöglich halten. Sie war fest garantiert. Gott kann Jahr um Jahr zuwarten, und das ist für ihn kein Problem, auch wenn Abraham und Sarah älter werden.
Die Verheißung, dass Jesus Christus als König herrscht, sitzt so fest über der Welt, dass ich nie ungeduldig werden will – auch wenn wir hier im Gottesdienst nur zu fünft säßen. Das würde mich nie ungeduldig machen. Wenn ich ungeduldig wäre, hoffe ich, dass Leute da sind, die auf die Bibel ansprechen.
Das ist Gottes Art mit uns Menschen. Warum tut Gott das? Man kann an Gott zweifeln und fragen: Warum tut er das so? Aus einem Grund: Er will uns Glauben lehren und nicht nur Siege erleben lassen. Er will, dass wir zuerst Glauben erfahren. Die Siege sind fest in seiner Hand und schenkt er uns. Sie sind felsenfest und kommen, auch wenn wir schon lange unter der Erde liegen.
Gott ist es wichtig, dass dieser nackte Glaube entsteht – wie bei Abraham in der letzten Predigt: Abraham glaubte dem Herrn, und das rechnete er ihm zur Gerechtigkeit, ohne Beweise, ohne sichtbare Zeichen. Abraham glaubte. Diesen Glauben will Gott auch bei uns wecken.
Das schließt sich nicht aus mit dem, was ich das letzte Mal sagte: Wir Christen müssen kämpfen und ringen. Dabei wollen wir treu sein. Gott hat uns viel in die Hand gelegt, was wir tun können. Wir haben konkrete Befehle und Aufträge. Wir wollen laufen, an Türen pochen und Zeugnis ablegen von unserem Herrn. Wir wollen um unsere Kinder ringen, dass sie zum Herrn finden. Wir wollen Missionare aussenden in die weite Welt, ob sie gefragt sind oder nicht. Wir wollen die Not der Welt lindern und Menschen von der Liebe Gottes erzählen, egal ob sie es hören wollen oder nicht.
Aber wir wollen eines nie tun: Gottes Siege in unserem eigenen Leben erzwingen. „Lass dir an meiner Gnade genügen!“ Lass dir genügen, dass ich dir täglich deine Sünden und deine Fehlsamkeit im Leib abwasche. Das soll genug sein.
Damit wird nichts beschönigt oder entschuldigt. Es ist eine schier brutale Geduldsprobe Gottes, die ein Ziel hat: Glaubensweckung. Alles zielt auf diesen Glauben. Ohne Glauben kann man Gott nicht gefallen, und den brauchen wir.
Gott sind volle Kirchen nicht wichtig. Gott ist kein erfolgreiches Christenleben wichtig, in dem jemand sagen kann: Ich bin schon ein bisschen frömmer geworden und muss nicht mehr mit der Sünde kämpfen. Da lässt Gott dich lieber wieder in tiefe Täler fallen, nur damit du Glauben lernst – das Hängen an seinem Wort. Das ist ihm wichtig.
Die Erziehung zum Glauben durch Geduld und Treue
Ich bin neulich bei Hebräer 11, diesem großen Glaubenskapitel, an einem Vers hängen geblieben, den ich bisher nie beachtet habe. Gott erzieht uns, wenn wir dulden müssen, dass Menschen uns im Weg stehen und uns blockieren. Wir denken oft: Wenn diese Person weg wäre, müsste doch das Reich Gottes ausbrechen.
Gott erzieht uns dabei, weil er uns zum Glauben bringen will. Dann kommen die Wunder, die wir erleben – wie auf ein schlichtes Gebet hin sich Türen öffnen, die wir nie geahnt hätten. Sie werden staunen, was sie in ihrem Leben noch allein aus Glauben erfahren können. Wo Glauben ist, gehen Türen auf; wo Glauben ist, kann Jesus Siege schenken. Er fordert von uns diesen Glauben, der allein an seinem Wort hängt.
Ich habe große Angst vor dieser christlichen Überschätzung, dieser falschen Religion, die wir am Anfang unserer Predigt skizziert haben. Dort planen wir als Christen unsere neuen Wege. Neue Wege sind wichtig, sogar noch viel neuere als die, die wir bisher kennen. Sie wissen, wie sehr es meinem Sehnen entspringen würde, wenn wir auch den Gottesdienst nach unserer Art gestalten könnten. Warum also nicht neue Formen?
Aber es sind nicht die Formen, und auch nicht der Mensch, der etwas erzwingen kann. In allen neuen Formen bleibt das Alte bestehen: Der Herr kann nur Menschen bekehren. Unser Zeugnis ist nutzlos, selbst wenn wir den modernsten Slang der Straße sprechen. Die modernste Bibelübersetzung ist nutzlos, wenn der Heilige Geist nicht Türen öffnet. Deshalb muss man warten – immer wieder warten.
Deshalb gibt es in unseren Jugendkreisen und in der Jugendarbeit so viel Misserfolg. Warum macht Gott solche Geduldsproben mit uns? Warum lässt er uns nicht weiterkommen? Weil er den Glauben haben will – und die Treue im Glauben.
Wenn wir an Ludwig Hofacker denken, wird uns das immer in Erinnerung bleiben. Dieser Mann hatte in seiner kurzen Wirksamkeit das Motto seiner Predigt: „Ich bin schwach, doch er weiß, dass er stark ist.“ Er wusste auch: „Der mich aus dem Tod gerissen hat, ist nun mein Herr.“ Darüber machen wir nie eine Frage. Das müssen Menschen wissen, nicht nur Christen um uns herum. Wir sind schwach.
Was wir haben, ist die Verheißung Gottes, der wir nachfolgen. Das ist das Interessante am sogenannten Christentum: Ein Herr, der uns auf die Bahn gestellt hat, dem wir nachfolgen und dessen Wunder wir erleben wollen. Wir mit unserer Schwachheit, mit unserer komischen Art, mit unserer merkwürdigen Persönlichkeit, so wie wir leben – aber ein Herr, der groß ist und uns verwandeln kann.
Die schier brutale Geduldsprobe – das war der erste Punkt, den Abraham hier lernen muss. Das Kind wird ihm nicht gegeben. Er wartet und wartet, bis er meint, er könne es erzwingen. Er bedient sich der Mittel seiner Zeit. Ach, das war alles so klug überlegt, und es war nur Not – nur Not.
Wo Gott nicht Ja sagt, wo Gott nicht Türen öffnet, ist alles vergeblich.
Die Zerbrechlichkeit der Menschen und die Kraft des Glaubens
Das Zweite noch: Man geht nicht kaputt. Natürlich kann man in dieser Welt kaputtgehen, und das bewegt viele Menschen. Sie schreien ihre Berufsnöte heraus, klagen über die Menschen in der Familie und erzählen von all ihren Schwierigkeiten.
Natürlich geht man kaputt, und das wird hier ganz offen erzählt: Sie gehen alle schier kaputt. Sarah zerbricht an der überheblichen Sexpralerei von Hagar, die meint, das sei ihr Verdienst – so, wie es heute Mode geworden ist.
Dann geht Hagar selbst schier kaputt, die hochschwangere Frau in der Wüste. Abraham geht ebenfalls schier kaputt, und die Ehe droht zu zerbrechen, wenn man hört, wie sie miteinander reden. „Der Herr sei Richter zwischen mir“ – so heißt es im Streit in der Ehe.
Die Bibel kann das mit wenigen Strichen skizzieren, weil wir ohne Gott Dinge geplant haben. Schon ganz kleine Alltagsentscheidungen bringen uns in Not. Wir verirren uns und verstricken uns.
Der Fehler war bei allen: Sie sind der Schule Gottes ausgewichen. Die Schule Gottes hieß warten. Auch eine Sarah hätte aushalten müssen, dass Hagar über sie lästert und sie verspottet. Doch sie hat die Kraft nicht. Sie sagt in meinen Nerven: „Ich drehe gleich durch, so wie wir heute.“ Sie kann das nicht, weil ihr der Blick des Glaubens fehlt.
Weil dieser Blick fehlt – das, was wir in der Losung gehört haben, dieses feste Herz –, kann man auch den Spott von Menschen nicht ertragen und die Nerven bleiben nicht in Ruhe.
Dann macht diese verzweifelte Hagar in der Wüste, diese hochschwangere Frau mit ihrer ganzen Not, plötzlich eine Erfahrung: „Der Herr sieht mich.“ Sehen Sie, das kann man größer nicht beschreiben. Der Herr ist nahe bei denen, die ein zerbrochenes Herz haben.
Das Evangelium für die Zerbrochenen und die Nähe Gottes
In unserer Welt scheint es so, als könne das Evangelium unseres Gottes nicht mehr verstanden werden. Junge Menschen sind begeistert von sich selbst und ihren großen Möglichkeiten weltweit. Die Welt hat den Glauben an sich selbst, und das Evangelium wird immer nur bei zerbrochenen und elenden Menschen die Tür finden.
Dort kann man erfahren, wie der Herr sein Evangelium wahrmacht und eine leidende, schuldig gewordene Hagar in seiner Vergebung aufhebt. Dieser Gott handelt nicht mit uns nach unseren Missetaten und vergilt uns nicht nach unseren Sünden. Vielmehr liebt er uns wie ein Vater sein Kind, sogar noch mehr als ein Vater.
Unser Verständnis von Vatersein ist dafür viel zu klein, im Vergleich zu dem, was Gott an Liebe hier an einer gefallenen Frau tut. Ebenso zeigt Gott große Geduld bei Abraham. Deshalb ist die Geduldsprobe, die er von mir verlangt, noch viel kleiner als die, die er an mir übt.
Dann sagt dieser Gott zu Hagar: „Du kannst jetzt zurück, Hagar, und dich unter Sarah demütigen, sogar als Sklavin.“ Ja, die Bibel fordert nicht, Sklaven zu sein. Aber du kannst das, weil Freiheit nicht dort ist, wo deine Fesseln zerbrechen, sondern dort, wo der Herr mit dir ist. Hagar bedeutet „der Herr sieht mich“.
Das macht dein enges Leben mit seinen Einschränkungen weit. Deine Rechtlosigkeit – der Herr sieht mich. Das reicht. Menschen können mit dir spielen, wie sie wollen. Geh zurück, Hagar, und demütige dich. Das gibt uns Kraft.
Schlusswort: Der Herr sieht uns und gibt Kraft zum Ausharren
Ich will Ihnen das so zusprechen, wie Sie heute mit Ihrem Elend, mit Ihren Bedrückungen und mit Ihren Fragen unverstanden zum Gottesdienst gekommen sind. Vielleicht gehen Sie später als Einzelner wieder weg, weil Sie neben jemandem sitzen, der Ihnen keine Hand gibt.
Das ist nicht tragisch. Aber laufen Sie nicht einfach wieder weg und sagen: „Ich bin ganz allein.“ Gehen Sie hin und wissen Sie: Der Herr sieht mich. Er ist bei mir, erkennt mich mit meiner Schwachheit und liebt mich um meiner Schwachheit willen. Er liebt mich sogar um meiner Sünde willen, um meiner Gottlosigkeit und meiner Untreue willen. Denn er hat für solche Leute seinen Sohn geopfert.
Das darf ich wissen. Dann kann mich niemand mehr von diesem Herrn wegreißen. Dann kann ich zurückgehen in meine Beziehungen, in die Lebensbereiche, in denen ich leben muss: in diese Ehe, die mir so viel abverlangt, zu diesen Kindern, die mir so zu schaffen machen, unter den Menschen in meinem Haus, in meinem Beruf, in einer Welt voller Ungerechtigkeit.
Ich werde nicht ungeduldig, sondern habe diesen langen Atem, auch wenn ich gar keinen Erfolg sehe. Ich will nur treu sein den Geboten meines Herrn, und ich will etwas wirken, natürlich für meinen Herrn.
Ich will Großes wagen im Namen Jesu. Ich will meine Netze weit auswerfen. Ich will von der größten Gerechtigkeit her denken, handeln und planen für diese Welt. Ich will die größten Pläne machen für diese Welt im Namen meines Herrn – ob Erfolg oder Misserfolg.
Ob ich ein problematischer Mensch bleibe bis man mich ins Grab hinunterbeerdigt, das weiß ich nicht. Aber ich weiß: Der Herr sieht mich, und mein Leben liegt in seiner Hand.
Es ist der Sieg, von dem wir wissen: Sein ist das Reich, die Kraft und die Ehre. Kein anderer Name gilt heute und ewig. Der Sieg steht fest. Wir können durchhalten.
Wer ist stark? Der in seiner Schwachheit sich an Jesus hängt. Amen.