Ich lese die Kreuzigungsgeschichte nach Johannes im Kapitel 19.
Es fällt bei Johannes auf, dass er alle Erwähnungen von Personen weglässt. So kommt auch Joseph von Arimathia nicht mehr vor, ebenso wenig die Tschecher. Johannes konzentriert seinen Blick ganz auf Jesus Christus allein.
Die Darstellung der Kreuzigung bei Johannes
Sie nahmen Jesus, und er trug sein Kreuz. Dann gingen sie hinaus zur Stätte, die Schädelstätte genannt wird. Auf Hebräisch heißt sie Golgatha.
Ich meinte den Simon von Kyrene, der hier das Kreuz mitträgt, kommt nicht mehr vor. Er hat verstanden, wie wichtig es ist, darzustellen, wie Jesus das Kreuz trägt.
Dort kreuzigten sie ihn und zwei andere, je einen zu beiden Seiten. Jesus aber stand in der Mitte.
Pilatus schrieb eine Überschrift und setzte sie auf das Kreuz. Darauf stand: Jesus von Nazaret, der Judenkönig. Diese Überschrift lasen viele Juden, denn die Stätte, wo Jesus gekreuzigt wurde, lag nahe bei der Stadt. Außerdem war die Schrift in hebräischer, lateinischer und griechischer Sprache verfasst.
Da sprachen die Hohenpriester der Juden zu Pilatus: „Schreibe nicht ‚der Judenkönig‘, sondern dass er gesagt habe: ‚Ich bin der Judenkönig.‘“ Pilatus antwortete: „Was ich geschrieben habe, das habe ich geschrieben.“
Die Kriegsknechte, nachdem sie Jesus gekreuzigt hatten, nahmen seine Kleider und machten sie in vier Teile. Jedem Kriegsknecht gab man einen Teil, dazu auch den Rock. Der Rock aber war ungenäht, von oben an gewebt, durch und durch.
Sie sprachen untereinander: „Lasst uns den Rock nicht zerteilen, sondern darum losen, wem er gehören soll.“ So sollte die Schrift erfüllt werden: „Sie haben meine Kleider unter sich geteilt und über meinen Rock das Los geworfen.“ Das taten die Kriegsknechte.
Bei dem Kreuz standen Jesus’ Mutter, seine Mutterschwester Maria, die Frau des Kleopas, und Maria Magdalena.
Als Jesus seine Mutter sah und den Jünger, den er lieb hatte, danebenstehen, sprach er zu seiner Mutter: „Frau, siehe, das ist dein Sohn.“ Dann sagte er zu dem Jünger: „Siehe, das ist deine Mutter.“ Von dieser Stunde an nahm der Jünger sie zu sich.
Als Jesus wusste, dass alles vollbracht war und die Schrift erfüllt werden sollte, sprach er: „Mich dürstet.“ Es stand ein Gefäß voll Essig bereit. Sie füllten einen Schwamm mit Essig, steckten ihn auf einen Isop und hielten ihn ihm zum Mund.
Nachdem Jesus den Essig genommen hatte, sprach er: „Es ist vollbracht.“ Dann neigte er das Haupt und verschied.
Die Bedeutung des Leidens Jesu für uns heute
Herr, hilf uns immer mehr, deine Größe in deinem Sterben zu erkennen. Für viele Menschen heute bleibt das unbegreiflich, wenn wir an diesem Karfreitag beim Leiden Jesu stehenbleiben. Wie kann man so etwas, sagen sie, in den Mittelpunkt eines Gottesdienstes stellen? Das ist doch bedrückend, das übersteigt doch unsere Tragkraft, das ist doch nicht zum Mitansehen, wie jemand leiden muss.
Und sie haben Recht, wenn wir immer wieder dieses schwere Geschehen an uns vorüberziehen lassen, als hätten wir sonst nicht schon genug zu tragen, als wären wir nicht schon ganz erschöpft. Aber nun sind wir ja zusammen, weil das Leiden Jesu uns neue Kraft und neuen Mut geben soll.
Das Leiden Jesu ist ganz anders als alles menschliche Leiden, völlig anders. Von allem menschlichen Leiden muss gesagt werden: Es ist dunkel, rätselhaft und sinnlos. Von allem menschlichen Leiden muss das gesagt werden. Wie viel Schweres haben wir auch in den zurückliegenden Wochen erlebt und viele davon durchgemacht. Nie könnte ich es mir erlauben, einen Sinn darin zu sehen, wenn wir hinausgezogen sind auf den Friedhof, wenn wir Menschen leiden gesehen haben, in der Krankheit, wenn wir gehört haben, wie Menschen gedrückt und getreten werden, wenn wir wissen, wie andere hungern. Sinn gibt es doch keinen im Leiden, im menschlichen Leiden nicht.
Und so schwer es auch ist, immer bleibt in diesem menschlichen Leiden kein Ende sichtbar. Man weiß ja gar nicht, wie das weitergehen soll und was anders werden soll. Wenn man so vor Krankheiten steht und denkt: Wie denn? Was soll sich denn noch ändern? Es ist ein endloses Leiden!
Es gibt heute einen oft ausgesprochenen Irrtum, dass Menschen denken, mit dem Tod sei das Leiden zu Ende. Da wollen wir Christen kräftig widersprechen, weil wir aus der Bibel wissen, dass mit dem Tod das Leiden nicht zu Ende ist. Wer keine Erlösung und keinen Frieden in Gott hat, auf den wartet ewiges Leiden.
Und das ist so wichtig, dass wir das wissen: Die einzige Antwort auf alles menschliche Leiden kann für uns nur sein, dass wir heute unseren Blick auf dieses Leiden Jesu richten. Denn hier wird uns von einem Ende gesagt, und hier wird uns von einem Sinn gesagt.
Am Ende des Leidens Jesu steht der Ruf: Es ist vollbracht! Hier gibt es nur ein Ende, hier gibt es nur einen Sinn. Und das alles ist nicht irgendwo ein dunkles Rätsel. Nur von diesem leidenden Jesus her kann ich die Welt mit ihren Leiden begreifen und kann ich mein eigenes Leben neu verstehen.
Das steht hinter diesem ganzen schweren Geschehen des Karfreitags, auf das wir Frieden haben dürfen. Darum stellen wir dieses Kreuz auf die Gräber. Dieses Kreuz bleibt kein Rätsel mehr, und es darf in unserem Leben kein Rätsel bleiben.
Anfangs war es für die Jünger Jesu auch ein dunkles Rätsel. Sie dachten, das sei die größte Pleite gewesen. Sie wollten sich absetzen, so wie die Emmaus-Jünger dann einfach wegliefen. Und dann auf einmal haben sie begriffen: Da, in diesem Kreuz Jesu, ist die Antwort auf unsere Fragen, da ist die Antwort.
Und die Apostel wollten dann in der ganzen Welt ihr Predigtthema immer zuspitzen auf dieses eine: dass sie nichts wüssten unter euch als Jesus, den Gekreuzigten.
Das Ende der Rechtlosigkeit durch Jesus
Das muss ich Ihnen erklären: Es ist zu Ende mit unserer Rechtlosigkeit. Das ist das Erste, was wir festhalten. In den Berichten wird sehr viel von der Rechtlosigkeit gesprochen.
Jesus wurde hinausgeschleppt, nachdem man ihn geschlagen und gehöhnt hatte. Dann wurde er dort hingenagelt. Der Prozess war voller Unregelmäßigkeiten, und es herrschte eine unklare Rechtslage darüber, was hier eigentlich ablief.
Heute wird viel von den Menschenrechten gesprochen. Wir als Christen wollen solche ganz irdischen Fragen einmal im Lichte Gottes betrachten. Was ist das Recht des Menschen? Was kann er vor Gott einklagen? Dabei wird uns gezeigt, dass der Mensch vor Gott gar nicht viel einklagen kann. Wir stehen unter dem Gericht Gottes, so wie Jesus hier stellvertretend das für uns auf sich nimmt.
Er wird hinausgeschoben. Selbst die frommen Leute Jerusalems hatten einen Eifer, Jesus wegzuschaffen, damit er ihr Fest nicht störe und nicht beflecke. Sie wollten nichts mehr mit ihm zu tun haben und schafften ihn weg.
Wie Jesus da steht mit der Dornenkrone, hat Pilatus mit seinem Satz „Seht, welch ein Mensch!“ den Nagel auf den Kopf getroffen. Das ist das Bild des Menschen: rechtlos und preisgegeben.
Doch nun geschieht das ganz Große: Ausgerechnet im Kreuz Jesu, in seinem Sterben, nimmt Jesus Partei für den rechtlosen Menschen. Etwas Größeres ist in der Welt noch nie geschehen.
Sie haben ihn dort zwischen zwei Verbrechern angenagelt. Damit wird in dieser Kreuzigung noch deutlicher, dass Jesus für den Menschen eintritt, der sein Leben verwirkt hat. Was in unseren Augen wie ein verkorkstes Leben aussieht, ist bei ihm immer noch nicht aufgegeben.
Ich habe in meinem Leben lange nicht begriffen, dass wir Jesus eigentlich so von uns stoßen, wie es hier beschrieben ist. So wie die Frommen Jerusalems gesagt haben: „Wir brauchen ihn nicht.“ Und die ihn vor die Stadt hinausführten, sagten: „Da passt er nicht zu uns her.“ Wie lange will man sein frommes Leben ordnen und sich vor Jesus abschließen?
Und dann trifft er uns plötzlich mit seinem Wort und erklärt uns eines: Er lässt mich nicht los. Er stirbt für Verbrecher, und das ist sein Wort an uns. Er ist für die Missetäter gestorben.
Pilatus fiel noch ein, den Juden eins auszuwischen, indem er auf das Täfelchen über dem Kreuz schrieb: „Der Judenkönig“. Das war eine gemeine Sache. Er wollte spotten und sagen: „Das passt zu diesen Juden.“ Als Römer blickte er verächtlich auf sie herab. Doch er wusste gar nicht, was er hier auf sein Kreuz schrieb.
Jesus ist der König der Juden – bis heute geblieben. Er ist der, der keinen Menschen in dieser Welt loslässt und der für das Recht eines jeden Menschen bei Gott eintritt. Gerade dort macht er deutlich: Wir sind Menschen, die unter der Schuld vor Gott stehen, gefallene Menschen.
Darum wird dies nur am Kreuz sichtbar: Wie mein Leben von der Liebe Gottes getragen und gehalten ist. Ich kann mein ganzes Leben so tun, als sei ich ein stolzer Mensch mit meinen Errungenschaften. Das bin ich auch – bis ich das Kreuz Jesu begreife.
Ich sagte Ihnen am Anfang: Das ist die Antwort auf meine Leiden, das ist die Antwort auf alle meine Fragen. Hier wird mir zugesprochen, dass er mich nicht loslässt, weil er mein König sein will.
Heute ist er nicht der König, der mit großer Prachtentfaltung in dieser Welt erscheint. Das wird erst am Jüngsten Tag vor aller Welt sichtbar werden. Heute ist er der König, der sein Zeichen des Eigentums auf uns alle einprägen will. Er nimmt uns die Schuld weg, so wie er es jenem einen Schächer am Kreuz zugesprochen hat: „Du gehörst mir.“
Er will in sein Eigentum hinein als der König ohne Prunk und ohne Macht. Mit dem einen Wort bittet er uns: „Lass dich doch versöhnen, ich will dein König sein!“
Er sieht unsere Rechtlosigkeit, er sieht, wie wir Menschen in dieser Welt getreten werden. Was könnten wir erzählen, wie uns im Leben Unrecht widerfahren ist! So viel Schwermut kommt nur daher, dass Menschen nie vergessen können, was ihnen schon im Elternhaus zugefügt wurde, und sie werden bitter.
Das ist nichts Neues: Wir leben in einer Welt der Rechtlosigkeit. Das hat uns Jesus klargemacht. Unser Leben ist ein rechtloses Leben.
Nur die eine Antwort darf ich Ihnen heute verkündigen: Vor Gott sind Sie kein rechtloser Mensch. Er tritt für Sie ein – Jesus, der König und Sohn Gottes. Er tritt unter die Missetäter und nimmt sie unter seine Herrschaft.
Das Ende der Armut durch das Kreuz
Das andere, was hier deutlich wird, ist: Es ist zu Ende mit unserer Armut. Wie arm sind wir eigentlich? Wie arm wir wirklich sind, sieht man ja. Wenn man uns hinaustreckt und in ein Grab legt, dann wird offenbar, wie wenig wir haben.
Darum hat Jesus still stellvertretend für uns diese Armut auch hier am Kreuz durchlitten. Sie haben ihm die Kleider ausgezogen und sie verteilt. Das war wenigstens das Einzige, was man noch von Jesus nehmen konnte. Was kommt denn sonst schon dabei heraus? Was hat man denn schon? Ob Jesus noch ein Lendentuch trug, ist nach den Berichten mehr als zweifelhaft. Haben sie ihn nicht ganz ausgezogen, so arm, wie wir Menschen sind? Er war noch viel ärmer. Nachdem das alles geschehen war, schrie er: „Mich dürstet!“ Das ist so unheimlich – der, der bei der Hochzeit zu Kana Wasser in Wein verwandelte, leidet die furchtbaren Qualen des Durstes.
Man versteht gar nicht, dass niemand da ist, der das sieht. Und wo sind denn die Jünger, die so viel Wohltaten von ihm empfangen haben, um ihm etwas zurückzugeben? Aber dann begreifen wir es: Das musste geschehen, heißt es hier, damit die Schrift erfüllt würde. Auch das hat Jesus durchlitten, die ganzen schweren Leiden und Qualen. Warum? Damit das erfüllt würde, weil dies ein stellvertretendes Geschehen ist, das er für mich durchlitten hat.
Jesus hat dies alles durchgemacht, um meine Qualen auszuhalten. Was einzelne unter uns jetzt erzählen könnten als schwere Leiden, die sie durchgemacht haben – er hat mehr durchlitten für mich. Warum? Damit er vor Gott mein Leben sühne. Er wurde so arm, damit er durch seine Armut uns nun reich macht.
Es gibt einen Ertrag aus dem Sterben Jesu. Am Karfreitag sitzen wir nicht nur da und meditieren, denken über die Schmerzen Jesu nach. Es wird reichlich ausgeteilt. Immer wieder haben Liederdichter darüber gedichtet, dieses merkwürdige Vertauschen: Hier hängt Jesus in der Armut, aber dann gibt er uns viel. Er dürstet und wird uns gleichsam zum Quell, bei dem wir trinken können.
Oder Johannes beginnt ja sein Evangelium mit dem großen Wort: „Wir haben aus seiner Fülle genommen Gnade um Gnade.“ Es ist nicht so, dass uns heute eine Martyriumsgeschichte vorgesetzt wird, damit wir den Kopf hängen lassen und traurig durch die Welt hindurchlaufen. Vielmehr wird uns gesagt: Mit dem Sterben Jesu, dem einzigen sinnvollen Sterben in dieser Welt, ist uns etwas geöffnet.
Jetzt kann der Vater in unser Leben hineingreifen, und wir dürfen zum Vater treten. Die Tür ist geöffnet, und wir werden gehalten von seiner starken Hand. Es gibt keine Traurigkeit mehr, die uns über den Kopf wachsen kann, und kein Mensch bleibt mehr abgeschnitten von Gott.
Es ist nicht wahr, dass man in dieser Welt in der Hölle leben muss. Seit dem Kreuz Jesu wird die finsterste und dunkelste Hölle, in der einer leben muss, zum Himmel. Weil er da ist, Jesus, mit seinem Frieden und mit seiner Liebe. Er will uns seine Gaben geben.
Es ist zu Ende mit unserer Armut. Es ist zu Ende mit unserer Armut. Das ist am Kreuz so klargelegt, dass es hier um vorrangige Dinge geht. Die Hände, mit denen Jesus einst den Armen Brot gegeben hat, sind jetzt gekreuzigt und sie ruhen still. Denn das allergrößte Menschen wird zuteil. Menschen wird zugesprochen, dass sie bei Gott angenommen sind.
Die Einladung zur Annahme des Kreuzes und seiner Gaben
Nun, was soll unser ganzes Predigen heute, am Freitag, bewirken, wenn ich Ihnen nicht diese Frage stellen darf: Haben Sie am Kreuz Jesu empfangen, dass Sie sagen können: Ja, mir hat er das geschenkt. Ich bin sein Sohn geworden, ich gehöre ihm ganz und gar.
Ich habe mich aus seiner Armut bereichert – jedoch anders als die Soldaten unter dem Kreuz. Ich habe mich mit dem Rock der Gerechtigkeit bekleidet und ihn über mein sündiges Leben gelegt. Seine Vergebung habe ich angenommen.
Und ich kann heute, an diesem Karfreitag, dem 24. März, mit großer Freude von mir sagen: Ich bin durch ihn gerecht geworden. Es ist alles gut zwischen Gott und mir.
Ich bin geheiligt und gereinigt. Mein Leben darf nun etwas sein, das ihm zur Ehre und zum Lob Gottes dient.
Das Ende der Einsamkeit am Kreuz
Noch ein letztes Mal: Es ist zu Ende mit der Einsamkeit. Wir sagen, es ist zu Ende mit der Rechtlosigkeit, es ist zu Ende mit der Armut, es ist zu Ende mit der Einsamkeit.
Auch hier hat Jesus gelitten – in einer Tiefe, die nur wenige von uns vielleicht annähernd mitfühlen können, als er dort völlig einsam in der Todesqual hing. Für mein Sterben wäre mir wichtig, dass jemand bei mir ist. Jesus aber war völlig vereinsamt.
Heute reden wir viel von der Einsamkeit als der Not des Menschen von heute, obwohl wir so dicht aufeinander wohnen und so gedrängt sitzen. Deshalb wird uns das immer rätselhafter: Was ist das mit dieser Einsamkeit?
Jesus hat diese Einsamkeit tiefer durchlitten, als wir sie heute durchleben müssen. Er hat gerufen: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Sogar von Gott musste er geschieden sein. Kein Mensch muss in dieser Welt von Gott getrennt sein. Das ist das Schlimmste, was uns einmal in der Hölle passieren kann – dass wir von Gott getrennt sind. Aber in diesem Leben musste das noch niemand erleben. Jesus war allein, und das hat er durchgetragen, damit keiner von uns einsam sein soll.
Es ist so groß, wie Jesus am Kreuz noch alles ordnet und dem Johannes sagt: „Johannes, nimm du die Maria, das ist deine Mutter.“ Stimmt ja gar nicht, das ist ja gar nicht seine Mutter. Aber als ob das noch von Bedeutung wäre!
Unter dem Kreuz Jesu geschieht etwas, was man in seiner Auswirkung gar nicht genug ermessen kann. Jesus stiftet eine neue Gemeinschaft, die die Familienbanden noch übertrifft. Er führt Menschen zusammen, und es gibt ein Bindeglied zwischen diesen Menschen – allein die Liebe zum gekreuzigten Herrn. Das verbindet.
Hier wird am Kreuz eine neue Gemeinschaft gestiftet. Es ist kennzeichnend für unser volkskirchliches Christentum, dass diese große Gabe Jesu am wenigsten am Karfreitag entdeckt wurde. Wenn man sich so umhört, meint man, dass man allerlei losem Treiben oder allerlei Lockerem, Kaffee trinken und mehr Gemeinschaftsförderung zumisst als dem Kreuz Jesu.
Wir freuen uns, wenn Gemeinschaft gestiftet wird und zwei Menschen nett miteinander reden, sei es nur in der Straßenbahn. Aber die Gemeinschaft, die wir meinen, geht so tief, dass sie zur innersten und tiefsten Gemeinschaft wird.
Wir können uns keine eheliche Gemeinschaft mehr vorstellen, die nicht auf diesem Grund ruht. Wenn wir hier Ehepaare einsegnen, sagen wir ihnen, dass einer dem anderen vergebe, gleich wie Christus euch vergeben hat.
Die Gemeinschaft hat ihre tiefste Wurzel dort, wo Menschen zueinander finden und geführt werden, die selbst begnadigt worden sind. Die wissen, wie arm sie sind und wie rechtlos, aber die das Wunder rühmen: Er starb für mich, und ich gehöre ihm.
Das ist das Neue, das seit Karfreitag vor uns steht: diese große und weltweite Gemeinschaft derer, die Jesus Christus liebhaben und ihm dienen. Er will sie in diese Gemeinschaft hineinführen.
Sie werden diese Gemeinschaft natürlich nur entdecken, wenn sie ihre Scheu ablegen und mit irgendeinem Menschen auch über den Gekreuzigten reden. Wenn sie so frei werden, dass sie mit einem anderen Menschen beten können, dann ahnen sie etwas von dieser großen, inneren, tiefen Gemeinschaft derer, die unter dem Kreuz stehen.
Schlussgedanken und Gebet
Ich habe Ihnen heute sagen wollen: Am Karfreitag blicken wir auf Jesus – nicht, um ein dunkles, rätselhaftes Leiden zu bedenken, sondern um zu begreifen, dass es in unserem rätselhaften Leben eine Wende geben kann durch Jesuleiden.
Er zeigt uns heute, dass es ein Ende hat mit der Rechtlosigkeit. Er will unser König sein. Er will bis an den letzten Tag unseres Lebens in allen Dingen uns regieren und führen und in der Ewigkeit unser Herr sein. Es ist zu Ende mit unserer Armut. Er will Gaben austeilen in großer Fülle, und er will uns stark und brauchbar machen zum Dienst in dieser Welt. Außerdem will er die Einsamkeit bei uns beenden.
Er will uns in die Gemeinschaft hineinführen, die aus ihm kommt und die auf ihn hinführt. Wir dürfen nehmen, wir dürfen heute nehmen, dass wir die Fülle haben. Amen!
Püllen beten: Herr, du kannst mitfühlen mit so vielen Leiden und mit so vielen Schmerzen, die viele von uns durchleiden. Aber du weißt auch um unsere Schwachheiten und um unsere Versuchungen. Wir danken dir, dass du unser Bruder geworden bist und uns durch und durch kennst.
Wir bitten dich: Gib uns nun heute diesen großen Zuspruch aus deinem Leiden, dass du uns als Rechtlose bei Gott gerecht machst, dass du uns als Arme mit allen deinen Gaben, ja mit dir selbst, der du Wohnungen uns nehmen willst, reich machst und dass du uns als Einsame in die Gemeinschaft deines Volkes hineinstellst.
Wir danken dir, dass aus deinem Leiden und Sterben heute schon eine Heilung in dieser Welt geschehen darf, die unser Begreifen weit übersteigt, Herr. Und dann lass uns auch bald die vollkommene Erlösung erfahren, wenn wir dich sehen in der Ewigkeit.
Dir befehlen wir jetzt auch alle an, die zu uns gehören und nicht unter uns sein können, die durch schweres Leiden hindurchgehen müssen. Du kennst sie alle, und du kannst ihnen auch heute nahe sein und ihnen dieses Wort sagen, dass sie Frieden hätten durch dich.
Lasst uns gemeinsam beten:
Vater unser im Himmel,
geheiligt werde dein Name,
dein Reich komme,
dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.
Nun wollen wir um den Segen Gottes bitten:
Herr, segne uns und behüte uns,
Herr, lass dein Angesicht leuchten über uns und sei uns gnädig,
Herr, erhebe dein Angesicht auf uns und gib uns deinen Frieden.