Denken und danken

Konrad Eißler
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Was falsches Denken statt richtigem Danken ist, zeigt Jesu Gleichnis vom reichen Kornbauern. Konrad Eißler ruft auf, sich wieder ins Danken einweisen zu lassen, damit unser Erntefest kein Erntedenkfest bleibt, sondern zum Erntedankfest wird. - Predigt aus der Stiftskirche Stuttgart


So wie zu Weihnachten eine Hirtengeschichte oder zu Karfreitag eine Verrätergeschichte oder zu Ostern eine Fischergeschichte gehört, so gehört zum Erntefest eine Bauerngeschichte. Vorhin habe ich sie gelesen. Jesus hat sie erzählt. Paulus hat sie in einem einzigen Satz zusammengefasst. Diese Landgeschichte will, dass wir danken. Diese Landwirtsgeschichte will, dass wir wieder danke sagen. Diese Landwirtschaftsgeschichte will, dass wir die Danksagung nicht unter den Tisch fallen lassen. Weil dies lebensnotwendig ist, deshalb muss uns dieser Kornbauer im Gedächtnis bleiben.

Irgendwo in Palästina hatte er sein Gehöft, sicher keinen Erbhof mit weiten Flurstücken, aber immerhin ein Haus auf eigener Scholle. Dieser Mann war ein guter Bauer. Er hat es zu etwas gebracht. Mit seinem Sach’ konnte er sich sehen lassen. Auch wenn er noch kein Biokorn oder Landliebe produzierte, war er ein guter Fachmann in Sachen Agrikultur. Dieser Mann war auch ein fleißiger Bauer. Er hat seine Felder bestellt. Ohne Maschinenpark, nur mit Ochsenpflug und Maltersack hat es viel Mühe und Schweiß gekostet. Der Kampf gegen das Unkraut muss erst mal gewonnen werden. Dieser Mann war auch ein weitsichtiger Bauer. Er hat den erwarteten Betrag überschlagen und Überlegungen angestellt, wie die Rekordernte unter Dach und Fach kommt. Doch, dieser Mann war ein guter und fleißiger und weitsichtiger Bauer.

Und Jesus sagt, dass er ein dummer Bauer gewesen sei. Sein Ernte­fest endete schrecklich. Dabei hatte es so gut angefangen. Morgens ging er hinaus und dachte, dass es die Sonne und der Regen gut mit ihm gemeint habe. Mittags setzte er sich unter einen Baum und dachte, dass für die nächsten Monate das Auskommen gesichert sei. Abends ging er zurück und dachte, dass die Scheunen ein neues Baukonzept bedürfen. Und nachts krümmte er sich in seinem Bett. Ein rasender Schmerz jagte ihm durch die Brust. Hart fiel er in die Kissen zurück. Herzrasen? Herzinfarkt? Herzstillstand? Wir hätten die Nummer 110 angerufen. Die Sanitäter hätten zu reanimieren versucht. Der Notarzt hätte eine Adrenalinspritze mitten ins Herz gesetzt. Aber es nützte nichts mehr. Exitus. Der Bauer war tot. Die Frau sagte: Du Liebster. Der Sohn sagte: Du Bester. Die Tochter sagte: Du Treuster. Der Nachbar sagte: Du Reichster. Und Jesus sagt: Du Narr.

Warum? Warum dieses Urteil? Warum ist er ein dummer Bauer? Ganz schlicht deshalb: Er dachte, aber er dankte nicht. Er bedachte, aber er bedankte sich nicht. Er stellte Überlegungen an, aber die Danksagung war hinten angestellt beziehungsweise ganz vergessen. Sein Erntefest war nur noch ein Erntedenkfest und kein Erntedankfest mehr.

Passen wir auf, dass uns nichts Ähnliches passiert. Morgens gehen wir hinaus, kaufen ein paar frische Brötchen und denken: Schön, dass der Bäcker so früh aufgestanden, sie so schön gebacken hat und nicht zu Briketts verkohlen ließ. Mittags setzen wir uns an den Tisch, langen kräftig zu und denken: Gut, dass wir nicht vor der Pest in Indien oder vor den Schlammmassen des Pinatubo oder vor den Rotten der Hutus oder Tutus fliehen müssen. Und abends gehen wir heim, legen die Füße hoch und denken: Prima, dass wir uns ein Gläschen schwäbischen Trollingers leisten können, das unserer Gesundheit zuträglich ist. Wir haben das Denken nicht verlernt. Wir machen uns schon unsere Gedanken. Nein, gedankenlos gehen wir nicht durch die Welt. Aber gerade deshalb gilt die Anfrage uns: Ihr denkt, das ist recht, aber dankt ihr auch? Ihr bedenkt, das ist gut, aber bedankt ihr euch auch? Ihr stellt Überlegungen an, das ist lobenswert, aber habt ihr die Danksagung hinten angestellt?

Damit unser Erntefest kein Erntedenkfest bleibt, sondern zum Erntedankfest wird, deshalb sind wir hier und müssen uns wieder ins Danken einweisen lassen. Alles soll ja mit Danksagung empfangen werden.

1. Danke für deine Lebenstage

Begleiten wir den Bauer an seinem Erntetag. Morgens also geht er hinaus. Mit dem Sachbuch in der Hand läuft er durch die Markung. Er zählt Äcker und Felder ab. Dann zählt er Speicher und Scheunen auf. Schließlich zählt er alles zusammen und zieht die Summe: Nach Adam Riese reicht das für viele Jahre. So wie der Schüler. Er hat Tests und Klausuren abgezählt. Dann hat er Noten und Punkte aufgezählt. Schließlich hat er alles zusammengezählt und die Summe draus gezogen: Nach Adam Riese reicht das für ein anständiges Abitur. So wie der Mittvierziger. Er hat Sparkassenbriefe und Bausparverträge abgezählt. Dann hat er Zinsen und Prämien aufgezählt. Schließlich hat er alles zusammengezählt und die Summe draus gezogen: Nach Adam Riese reicht das für ein nettes Häuschen. So wie der Rentner. Er hat Vorsorgeuntersuchungen und Routinekontrollen abgezählt. Dann hat er das EKG und den Blutdruck aufgezählt. Schließlich hat er alles zusammengezählt und die Summe draus gezogen: Nach Adam Riese reicht das für einen sonnigen Lebensabend.

Und Gott sagt: Diese Nacht wird in deinem Leben auf- und abgezählt. Diese Nacht wird in deinem Leben zusammengezählt. Diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern. Wer nicht mit dem Tode rechnet, verrechnet sich gründlich. Wer nicht durch den Tod andere Perspektiven bekommt, ist ein Träumer. Wer nicht die Tatsache Tod in sein Lebenskonzept einbezieht, muss sich als kompletter Narr belächeln lassen. Die Psalmisten wussten es noch. “Herr, lehre mich doch, dass es ein Ende mit mir haben muss”, sagt der eine. “Herr, nur eine Handbreite hast du meine Tage gemacht”, sagt der andere. “Herr, lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden”, sagt der dritte.

Wir vergessen es immer wieder. Weil unsere Tage gezählt sind, deshalb sind sie so kostbar und eines herzlichen Dankes würdig. Danke für die Sonnentage, auch wenn sie zuweilen heiß sind. Er bewahrt uns vor der Kältewelle und der Eiszeit. Danke für die Regentage, auch wenn sie zuweilen trüb sind. Er lässt regnen über Gerechte und Ungerechte. Danke für deine Arbeitstage, auch wenn sie zuweil­en hart sind. Er schenkt immer wieder Auskommen und Brot. Danke für deine Krankheitstage, auch wenn sie schwer sind. Er lehrt uns dabei den 23. Psalm: “Und ob ich schon wanderte im finster’n Tal, fürcht’ ich kein Unglück, denn du bist bei mir.” Danke auch für deinen Sterbetag, denn er ist nicht der letzte Tag, sondern der erste Tag des neuen Lebens, in dem es kein Leid und keine Tränen und keinen Tod mehr geben wird. “Siehe, ich mache alles neu.” Danke für deine Lebenstage.

2. Danke für deine Lebenslage

Begleiten wir wieder den Bauern an seinem Erntetag. Mittags also setzt er sich unter einen Baum. Bei dieser Siesta spricht er mit sich selbst:”Was mache ich nun? Ach, das mache ich.” Er ist in ein Selbstgespräch verwickelt: “Wenn ich das gemacht habe, dann mache ich das.” Er spinnt im Monolog weiter: “Und wenn ich alles gemacht habe, dann mache ich mal Pause.” Seine Welt ist der Bauernhof. Sein Horizont ist die Markungsgrenzen. Seine Himmel ist die Luft. Ein Schöpfer kommt bei ihm gar nicht vor: Ich, meiner, mir, mich, das ist die Achse, um die sich alles dreht. Ich, meiner, mir, mich, das ist der perspektivische Fluchtpunkt, auf den alles bezogen ist. Ich, meiner, mir, mich, das ist die richtige Lage der Dinge.

Und Gott meldet sich zu Wort, durch einen Kollaps oder Infarkt. Und Gott schaltet sich in das Selbstgespräch ein, vielleicht durch ein Bibelwort oder eine Predigt. Und Gott funktioniert den Monolog zu einem Dialog um: “Lieber Freund, stell dir einmal vor, du gehst zur Bank. Du bringst Geld und zahlst es ein. Du rechnest mit Zins und Zinseszins. Und nun stell dir vor, eines Tages würde dir am Schalter erklärt: Ab sofort ist ihr Geld in das Eigentum der Bank übergegangen. Du würdest Krach schlagen, mit der Faust auf den Tisch hauen, du würdest die Welt nicht mehr verstehen. Das Geld ist nur geliehen, damit es Zinsen bringt. Merkst du nicht, dass ich dir das Leben nur zu guten Händen anvertraut habe? Merkst du nicht, dass ich dir das Leben nur geliehen habe? Merkst du nicht, dass dein Leben nur ein Darlehen ist?!

Liebe Gemeinde, er hat uns auf die Welt kommen lassen. Wir sind seine Wunschkinder. Er hat uns mit seiner Liebe begleitet. Wir sind seine Lieblingskinder. Er hat uns bis zum heutigen Tag herrlich versorgt. Wir sind seine Herrenkinder. In seiner Hand liegt unser Leben. Das ist unsere Lebenslage, für die wir danken müssen. Aber wir sind nur Lehenskinder, Lehensleute, die einmal vor dem Lehensherr nach ihrem Lebenszins gefragt werden: Was hast du mit deiner Zeit gemacht? Was hast du mit deiner Kraft gemacht? Was hast du mit deiner Begabung gemacht? Was hast du mit deinen Gedanken gemacht? Was hast du mit deinem Herrn gemacht? Mensch, was hast du aus meinem Leben gemacht? Danke für deine Lebenslage.

3. Danke für deinen Lebenswert

Begleiten wir den Bauern noch einmal an seinem Erntetag. Abends geht er zurück. Im Lehnstuhl lässt er den Tag Revue passieren: die Felder und Wälder, die Scheun­en und Häuser, die Schafe und Rinder. Reich bin ich, denkt er, reich an Grundstücken, reich an Immobilien, reich an Tieren, auch reich an Kindern, Knechten und Mägden, aber nicht reich in Gott. Trotz seinen Sach- und Geldwerten bleibt er ein armer Schlucker. Er hat den Höchstwert überhaupt noch nicht entdeckt.

Kennen wir ihn? Wissen wir von ihm? Haben wir ihn schon gefunden? Er ist nicht aus Gold oder Silber, sondern aus Fleisch und Blut. Auch wenn er bei seiner Geburt sehr gewöhnlich aussah, auch wenn er bei seinem Auftreten wenig Aufsehen erregte, auch wenn er bei seinem Tod wie ein Wertloser aufgenagelt wurde, der Höchstwert heißt Jesus Christus. Dass ich Jesus kenne, ist der Reichtum meines Lebens. Dass ich Jesus liebe, ist der Schatz meines Lebens. Dass ich Jesus glaube, ist der Wert meines Lebens.

Und ich erkläre Ihnen auch warum. Vor vier Tagen geschah jenes entsetzliche Unglück. Auf hoher See, zwischen Tallinn und Stockholm, kurz nach Mitternacht funkte die “Estonia” SOS. Bevor die ersten Helfer am Unglücksort erschienen, war die Fähre vom Meer verschluckt. Am frühen Morgen versammelten sich Bekannte und Verwandte im Freihafen von Stockholm, wo das Schiff um 9 Uhr einlaufen sollte. Aber sie fanden dort nur eine schriftliche Mitteilung der Reederei, einen Bogen Papier mit wenigen Namen darauf, die Liste der Geretteten. Ein jüngerer Mann suchte den Namen seiner Frau. Er fand ihn unter den Aufgelisteten. Dann brach er in Freudentränen aus: Der Name ist drauf. Ein unbekannter Retter hat ihn aus dem Wasser gezogen. Dank erfüllte sein Leben.

Die Bibel weiß von einem Buch des Lebens, von einem Dokument der Überlebenden, von einer Liste der Geretteten. Ist der Name meiner Frau drauf, der Name meiner Kinder, meiner Mutter? Ist mein eigener Name auf der Liste? Ein bekannter Retter, nämlich Jesus Christus, hat die aus dem Strom der Sünde und des Todes gezogen, die ihn als Höchstwert ihres Lebens gekannt haben. Der Dank der Geretteten ist und bleibt der größte Dank.

Liebe Freunde, danken, danke sagen, alles mit Danksagung empfangen, daran müssen wir uns festmachen, dann wird es heute ein Fest.

Amen

[Predigtmanuskript; nicht wortidentisch mit der Aufnahme]