Einführung in das Thema Postmoderne und Religionen
Alle Zettel werden verteilt. Wir haben das gestern schon so praktiziert: Wenn Fragen auftauchen oder bereits Fragen zu dem Thema bestehen, das in dieser Stunde behandelt wird, schreibt diese bitte auf. Die Zettel werden nachher eingesammelt und öffentlich vorgelesen.
Noch ein Tipp: Wenn wir später zur Debatte oder zu diesem Teil übergehen, hebt bitte die Hand mit dem Zettel. So wissen die Ordner, wo sie die Zettel abholen können.
Jetzt bitte ich Michael Kotsch, herzlich eingeladen, ans Mikrofon zu kommen.
Es geht jetzt um die Postmodernität und die Religionen. Zu Beginn möchte ich mit euch einen Bibeltext lesen. Wenn ihr eure Bibel dabei habt, könnt ihr gerne mit mir aufschlagen. Der Text stammt aus der Apostelgeschichte, wie wahrscheinlich allen bekannt sein wird.
Die Bibel ist ja in das Alte und das Neue Testament aufgeteilt. Im Alten Testament geht es primär um die Geschichte Gottes mit dem Volk Israel. Im Neuen Testament geht es um das Auftreten von Jesus Christus und die Entstehung der ersten Gemeinde. Die Apostelgeschichte widmet sich besonders diesem Thema.
In der ersten Hälfte der Apostelgeschichte steht Petrus im Mittelpunkt. Er ist eine zentrale Person und einer der Jünger Jesu. Im zweiten Teil der Apostelgeschichte geht es dann um die Missionsreisen des Paulus.
Paulus’ Missionsreise nach Athen: Kontext und Predigt
Paulus war zu diesem Zeitpunkt gerade in Griechenland unterwegs. Er hatte in Thessalonich gepredigt, war dann in Beröa gewesen und kam schließlich nach Athen, der heutigen Hauptstadt Griechenlands, die damals ebenfalls eine der wichtigsten Städte des Landes war.
In Athen war Paulus ganz alleine. Wir lesen in den vorherigen Versen, dass seine anderen Begleiter erst einmal noch in Beröa zurückgeblieben waren. In Apostelgeschichte 17,16 heißt es: Während Paulus in Athen auf sie wartete, ergrimmte sein Geist in ihm, da er die Stadt so voller Götzenbilder sah.
Er hatte nun in der Synagoge Unterredungen mit den Juden und den Gottesfürchtigen und sprach auch täglich auf dem Marktplatz mit denen, die gerade dazukamen. Aber etliche der epikureischen und estoischen Philosophen maßen sich mit ihm und fragten sich: „Was will dieser Schwätzer wohl sagen?“ Andere aber sagten: „Er scheint ein Verkündiger fremder Götter zu sein“, denn er verkündigte ihnen das Evangelium von Jesus und der Auferstehung.
Sie ergriffen ihn und führten ihn zum Areopag. Dort sprachen sie: „Können wir erfahren, was das für eine Lehre ist, die von dir vorgetragen wird? Denn du bringst etwas Fremdartiges vor unsere Ohren, und deshalb wollen wir erfahren, was diese Dinge bedeuten sollen. Alle Athener nämlich und auch die dort lebenden Fremden vertrieben sich mit nichts anderem so gerne die Zeit, als damit, etwas Neues zu sagen und zu hören.“
Da stellte sich Paulus in die Mitte des Areopags und sprach: „Ihr Männer von Athen, ich sehe, dass ihr in allem sehr auf die Verehrung der Gottheiten bedacht seid. Denn als ich umherging und eure Heiligtümer besichtigte, fand ich auch einen Altar, auf dem geschrieben stand: Dem unbekannten Gott.
Nun verkündige ich euch den, welchen ihr verehrt, ohne ihn zu kennen, den Gott, der die Welt gemacht hat und alles, was darin ist. Er, der Herr des Himmels und der Erde, wohnt nämlich nicht in Tempeln, die von Händen gemacht sind. Er lässt sich auch nicht von Menschenhänden bedienen, als ob er etwas benötigen würde.
Denn er selbst gibt allen das Leben, den Odem und alles. Er hat aus einem Blut jedes Volk der Menschheit gemacht, damit sie auf dem ganzen Erdboden wohnen sollen. Und er hat ihnen im Voraus verordnete Zeiten und die Grenzen ihres Wohnens bestimmt, damit sie den Herrn suchen, ob sie ihn wohl ertasten, wahrnehmen und finden möchten.
Und doch ist er jedem einzelnen von uns nicht fern, denn in ihm leben, weben und sind wir. Wie einige von euren Dichtern gesagt haben: ‚Denn auch wir sind von seinem Geschlecht.‘ Da wir nun von dem göttlichen Geschlecht sind, dürfen wir nicht meinen, die Gottheit sei mit Gold oder Silber oder Stein gleich einem Gebilde menschlicher Kunst und Erfindung.
Nun hat Gott zwar über die Zeiten der Unwissenheit hinweggesehen, jetzt aber gebietet er allen Menschen überall, Buße zu tun. Denn er hat einen Tag festgelegt, an dem er den Erdkreis in Gerechtigkeit richten wird – durch einen Mann, den er dazu bestimmt hat und den er für alle beglaubigt hat, indem er ihn aus den Toten auferweckt hat.“
Als sie aber von der Auferstehung der Toten hörten, spotteten einige, andere aber sagten: „Wir wollen dich darüber nochmals hören.“ So ging Paulus aus ihrer Mitte hinweg.
Einige Männer aber schlossen sich ihm an und wurden gläubig, unter ihnen auch Dionysios, der ein Mitglied des Areopags war, sowie eine Frau namens Damaris und andere mit ihnen.
Die historische und kulturelle Bedeutung Athens
Der Besuch von Paulus in Athen liegt zweitausend Jahre zurück. Schon damals war Athen eine Stadt mit einer jahrhundertelangen Geschichte und großer Bekanntheit.
In dieser Stadt wirkten große Philosophen der Antike wie Sokrates und Aristoteles. Athen beherrschte den größten Teil Griechenlands und galt im gesamten Römischen Reich als Heimat der klügsten, philosophischsten und religiösesten Menschen.
Bis heute ist Athen eine bedeutende Stadt. Sie liegt direkt am Mittelmeer, und im Hintergrund erheben sich die kahlen Berge Griechenlands, die meist relativ trocken sind.
Der Areopag, von dem hier die Rede ist, kann auch heute noch besichtigt werden. Wer nach Griechenland kommt, findet dort einen kleinen Hügel, das eigentliche Stadtzentrum. Auf diesem Hügel waren zahlreiche Altäre aufgebaut. Die Athener versammelten sich dort täglich, um intensiv über Philosophie und Religion zu debattieren.
Die Athener reagierten damals ähnlich wie der postmoderne Mensch heute. Denn es gab nicht nur einen Gott, der verehrt wurde, sondern viele verschiedene Tempel und Altäre für unterschiedliche Gottheiten. Um keinen Gott zu übersehen, hatten sie sogar einen Altar für den „unbekannten Gott“ errichtet, an den man beten konnte, falls man einen Gott vergessen hatte.
Diese Menschen waren also sehr pluralistisch orientiert. Es ging nicht darum, dass es nur eine Wahrheit gibt, sondern jeder suchte sich die Wahrheit aus, die er bevorzugte. Der eine betete zu diesem Gott, der andere zu jenem. Dabei handelte es sich nicht nur um griechische Gottheiten.
Wir wissen, dass damals in Griechenland auch orientalische Mysterienkulte verbreitet waren. Römische und ägyptische Gottheiten wurden ebenfalls angebetet. Im besten Sinne waren diese Menschen postmodern, obwohl sie lange vor der Moderne lebten.
Hier zeigt sich, wie die Bibel uns schon sagt: Es gibt eigentlich nichts Neues unter der Sonne. Viele Bewegungen und Überzeugungen kehren immer wieder zurück.
Paulus als Einzelkämpfer in Athen und seine Predigtstrategie
Paulus kommt also hierher, und im wahrsten Sinne des Wortes ist er in dieser riesigen Stadt der einzige Christ. Ich weiß nicht, ob ihr euch schon einmal so gefühlt habt. Diejenigen, die in einer der Kolonien aufwachsen, wahrscheinlich nicht, denn ihr geht eher davon aus, alle ringsherum seien Christen.
In mancher Stadt Osteuropas hingegen kann es einem eher so gehen, dass man den Eindruck hat, man sei der einzige Christ. Das liegt daran, dass die meisten entweder einer anderen Religion angehören oder Atheisten sind. Und Paulus war hier wirklich der einzige Christ. Er geht alleine herum, denn alle seine Begleiter sind zurückgeblieben in Beröa; sie kommen erst später.
Dann steht hier, dass er zuerst die Juden aufsuchte, so wie es bei ihm üblich war. Ganz pragmatisch, aus dem Grund, dass die Juden ja am meisten über Jesus Christus wussten. Nun, nicht direkt über Jesus Christus, aber sie kannten die alttestamentlichen Prophezeiungen vom Messias. Das heißt, Paulus konnte sich direkt aufs Alte Testament berufen und ihnen anhand dessen erklären, dass der Messias bereits gekommen ist und dass es Jesus Christus ist.
Deshalb wandte er sich zuerst an die Juden. An einigen Orten, wie zum Beispiel vorher in Beröa, war das durchaus erfolgreich. Die Leute öffneten sich und hörten zu. Hier in Athen hingegen scheinbar nicht.
Das Hauptpublikum, an das er sich dann wendet, sind die Athener, die noch nie etwas vom Alten Testament oder nur minimal davon gehört haben. Es sind Menschen, die relativ säkularisiert waren, sehr ichzentriert, egoistisch und individualistisch.
Hier werden auch zwei der Philosophenschulen der damaligen Zeit näher vorgestellt: die Epikureer und die Stoiker.
Die Epikureer gehen auf Epikur zurück, der in Athen wohnte und ein Privathaus besaß. Dort entwarf er eine Philosophie und sagte: Lass die ganze Welt Welt sein, das stresst nur. Zieh dich zurück in deinen schönen Garten, mach die Türen zu, lade deine Freunde ein, diskutiere mit ihnen, iss und trink und lass es dir gut gehen.
In gewisser Weise bedeutet der Epikureismus, sich auf das Kleine, Eigene und Persönliche zu besinnen und sich nicht mehr mit den großen Fragen des Lebens und der Welt beschäftigen zu müssen. Im Grunde genommen ist das auch ein Ansatz vieler postmoderner Menschen. Viele von ihnen fühlen sich völlig überfordert von den großen Fragen des Lebens oder der Politik und ziehen sich deshalb ins Privatleben zurück: meine Freunde, meine Familie und die anderen Welten bleiben draußen. Das interessiert mich alles nicht mehr. Und da bin ich glücklich – das waren die Epikureer.
Die Stoiker waren etwas anders. Man spricht heute noch von einer stoischen Ruhe, und das ist wörtlich zu verstehen. Die Stoiker gingen davon aus, dass der Mensch unglücklich wird, wenn er Bedürfnisse hat. Am besten wird er deshalb bedürfnislos.
Das bedeutet, man muss so stark in sich ruhen. Die Historiker nannten das Ataraxia – diese innere Ruhe, diese vollkommene Unberührbarkeit. Egal, was draußen um mich herum passiert, es betrifft mich nicht mehr.
Wenn ihr diesen Zustand erreicht habt, könnt ihr tatsächlich nicht mehr unglücklich werden. Nehmen wir an, ihr seid zu Hause und jemand sagt euch, euer ganzes Vieh ist gestorben. Wenn euch alles Äußere egal ist, sagt ihr: Na und, macht nichts aus.
Dann sagt er, eure Frau hatte gerade einen tödlichen Unfall. Nun, das macht nichts, ich suche mir eine neue.
Euer Haus ist abgebrannt? Dann schlafe ich halt draußen.
Ich weiß nicht, ob ihr so etwas kennt oder euch hineinversetzen könnt. Die Stoiker dachten halt, dass alle unsere Bedürfnisse und alles, was wir haben wollen, uns unglücklich macht. Wenn wir nichts mehr haben wollen und uns alles egal ist, können wir nicht mehr unglücklich werden.
Irgendwie steckt eine Logik darin. Aber man muss erst mal bis dahin kommen, und ob das wirklich lebenserfüllend ist, ist eine ganz andere Frage.
Das waren also zwei wichtige philosophische Schulen zur damaligen Zeit in Athen, äußerst populär.
Und jetzt kommt Paulus. Er hatte zwar auch studiert, nämlich bei Gamaliel, wo er Judentum gelernt hatte. Dann war er noch in der Schule Gottes. Wir lesen ja im Galaterbrief, dass er 14 Jahre in der Wüste in Arabien war und dort von Gott vorbereitet wurde.
Aber er war nicht geschult in griechischer Philosophie. Und jetzt kommt er nach Athen und erzählt den Menschen von Jesus Christus, von der Erlösung und von der Auferstehung der Toten.
Paulus’ Predigt ohne direkte Bibelzitate und seine Strategie
Wobei, wenn wir genau hinschauen, fällt uns bei der Predigt von Paulus auf, dass er in seiner ganzen Predigt keinen einzigen Bibelvers nennt. Ich weiß nicht, ob ihr das mal durchseht.
Jetzt stellt sich die Frage, woran wir messen, ob eine Predigt biblisch ist oder nicht. Manche meinen, das ließe sich daran festmachen, wie häufig die Bibel zitiert wird. Wenn ihr das wirklich glaubt, müsstet ihr zu den Zeugen Jehovas gehen. Denn bei den Zeugen Jehovas steht nach jedem Satz ein Bibelvers, allerdings meistens ein vollkommen verdrehter. Wenn du ihn dann liest, denkst du: Was hat das mit dem zu tun, was sie da geschrieben haben? Aber sie meinen, sie müssten jeden Satz in ihrem Wachtturm mit einem Bibelvers belegen.
Ist das deshalb biblisch? Nein. Waren die Pharisäer biblisch, weil sie andauernd das Alte Testament zitiert hatten? Nein. Hier merken wir: Natürlich braucht es die Kenntnis des Alten und Neuen Testaments. Aber es braucht auch die Weisheit, sie so einzusetzen, wie es für den Moment angemessen ist.
Paulus hat hier bewusst nicht aus dem Alten Testament zitiert. Aus dem Neuen Testament konnte er auch nicht zitieren, weil das ja noch gar nicht geschrieben war. Im Gegensatz zu den Juden hat er aus dem Alten Testament nicht zitiert, weil sein Publikum das Alte Testament gar nicht kannte. Hätte er gesagt: „Wie hat der Prophet Jesaja gesagt“, hätten alle gestanden und gefragt: „Bitte, wer hat was gesagt? Und wieso hat das irgendeine Bedeutung für mein Leben?“ Das heißt, man musste die Leute erst einmal dahin bringen, dass sie merkten, das Alte Testament hat irgendeine Bedeutung für ihr Leben. Und das war eben noch nicht so weit.
Also knüpft Paulus hier an das an, was sein Publikum schon wusste. Sie ahnten, dass es einen Gott gibt, der hinter allem steht. Sie ahnten, dass es einen Gott gibt, der die Welt geschaffen hat. Sie sehnten sich nach diesem Kontakt zu Gott und so weiter. Genau das greift er auf und sagt: „Und diesen Gott predige ich euch.“
Dieser Gott kann eben nicht in irgendeinem steinernen Tempel sein, und er ist auch nicht in irgendeinem kostbaren Gottesbild, das dort steht. Sondern dieser Gott ist überall, er ist unsichtbar, er kann auch in dir wohnen – und genau das beschreibt Paulus.
Interessanterweise zitiert Paulus in seiner Predigt zwar keinen alttestamentlichen Bibelvers, aber er zitiert zwei griechische Philosophen. Denn da steht ja: „So haben eure Dichter gesagt.“ Und dann bringt er zwei Zitate von diesen griechischen Philosophen, weil die scheinbar auch etwas ganz Kluges gesagt haben, was durchaus auch zum christlichen Glauben passt.
Das war für seine Zuhörer eine Autorität. Da haben sie genickt und gesagt: „Ja, ja, diese Philosophen kennen wir, die stimmen. Wenn die das sagen, dann hat Paulus vielleicht auch Recht.“ Und genau das war die Absicht, die er damit hatte.
Dann merken wir, dass es allerdings auf Punkte ankommt, die sie sich gar nicht vorstellen konnten, nämlich auf die Auferstehung der Toten. Übrigens geht es heute vielen Leuten auch so. In Deutschland ist es so, dass die Mehrzahl der Mitglieder der evangelischen Kirche nicht daran glaubt, dass es ein Leben nach dem Tod gibt. Nach jüngsten Umfragen glauben etwa zwanzig Prozent der Kirchenmitglieder der evangelischen Kirche an ein Leben nach dem Tod. Umgekehrt glauben 80 Prozent nicht daran.
Diese würden heute genauso darüber lachen, wenn Paulus anfangen würde zu predigen. Und so ähnlich waren die Menschen damals auch: Realisten, naturwissenschaftlich gebildet, logisch und stimmig.
Tja, hast du schon mal jemanden aus dem Grab herauskommen sehen? Also ich nicht. Ich war schon auf einigen Beerdigungen, aber der Tod blieb tot. Ich habe noch keinen gesehen, der daraus gekommen ist.
Das heißt ja nicht, dass es keine Auferstehung der Toten gibt. Nur wenn jemand lediglich von seiner eigenen Erfahrung ausgeht, müsste er den Eindruck haben, dass es sie nicht gibt.
Paulus predigt davon. Natürlich denkt er hier zuerst an die durch viele Zeugen beglaubigte Auferstehung von Jesus Christus. Er schreibt, dass über 500 Personen bezeugen können, dass Jesus Christus wieder auferstanden ist.
Hier scheiden sich die Geister. Die einen fangen an zu spotten und denken: „Wie kann jemand so einen Unsinn reden?“ Die anderen sind interessiert. Von zweien lesen wir sogar, dass sie sich bekehrt haben.
Hier ein Beispiel der Predigt von Paulus in einer postmodernen Gesellschaft.
Lektionen aus Paulus’ Umgang mit der postmodernen Gesellschaft
Nun, natürlich war die Situation vor zweitausend Jahren postmodern, aber sie trägt viele Züge dessen, was heute die moderne und postmoderne Gesellschaft ausmacht. Ich glaube, dass wir anhand dieses Textes einige herausfordernde Lektionen lernen können. Wir können sagen: So sollten wir es auch machen, wie Paulus es angesichts dieser Herausforderung getan hat.
Ich möchte aus diesem Text drei Punkte nennen. Der erste Punkt ist: Ärgere dich über die Abgötterei. Ärgere dich über die fremden Religionen!
In der Postmoderne werden wir nämlich dazu erzogen, gleichgültig zu sein. Da sagen wir: Na ja, du bist Buddhist, auch in Ordnung. Du bist Hindu, super toll, mach das ruhig weiter. Du bist Esoteriker, toll, erzähl mir mal ein bisschen, wie das läuft. Und wenn wir dran kommen, dürfen wir auch sagen, dass wir Christen sind. Dann finden das auch alle toll.
Aber genau das tut Paulus nicht. Paulus geht hier nicht als Tourist durch die Stadt und sagt: Toll, super, dieses hier und das, ich bete vielleicht mal da und höre mir das an. Stattdessen lesen wir in der Luther-Übersetzung: „Es ergrimmte in ihm seinen Geist.“ Wir können auch sagen: Er ärgerte sich total, er regte sich auf.
Und zwar regte er sich nicht auf, weil er dachte, warum hören die nicht auf mich, sondern weil er wusste, dass Menschen in die Irre geleitet werden. Menschen, die eigentlich auf der Suche nach Gott sind, werden mit etwas Zweitbestem abgespeist. Mit etwas, das vielleicht kurzzeitig inneren Frieden geben kann, aber letztendlich leer zurücklässt.
Diesen Ärger brauchen wir immer wieder neu. Denn wenn wir ihn nicht haben, geraten wir ganz schnell in Gleichgültigkeit. Schnell reagieren wir dann vielleicht wie die Epikuräer oder Stoiker. Auch als Christen könnten wir so reagieren: „Komm, lasst uns heute Nachmittag grillen und morgen Nachmittag auch, und einen schönen Tag haben.“ Aber die Menschen, die um uns herum verloren gehen, an die gewöhnen wir uns. Die sind ja immer da und gehen ihren Weg. Das ist schon postmodernes Denken – und zwar postmodernes Denken, das dem widerspricht, was wir in der Bibel haben.
Wie häufig geht es uns so, dass wir durch die Stadt laufen oder irgendwo sehen, dass Menschen anderen Dingen nachgehen, und es uns ergrimmt? Dieses Ergrimmen führt bei Paulus nicht dazu, dass er alles kurz und klein schlägt, dass er ein wutverzerrtes Gesicht hat, Speichel aus dem Mund spritzt und er dann das Schwert herausholt – so wie ein Taliban oder ein Esskämpfer im Islam. Nein, gerade nicht.
Bei Paulus wächst daraus der Wunsch, diesen Menschen den Weg zu Gott zu zeigen. Und das, obwohl sie eigentlich erst mal gar kein Interesse haben, obwohl er genau weiß, dass sie ihn hinterher auslachen werden. Trotzdem tut er es, weil ihm diese Menschen am Herzen liegen.
Die Postmoderne erzieht uns zur Gleichgültigkeit und nennt Gleichgültigkeit Toleranz. Aber im Grunde genommen ist es keine Toleranz. Es ist keine Akzeptanz, sondern Gleichgültigkeit. Ich habe meinen Weg gefunden, bin einigermaßen zufrieden damit, du hast deinen Weg, okay, lass uns Frieden schließen, jeder bleibt bei seiner Sache.
Und genau das können wir in einer postmodernen Welt nicht tun. Wir können nicht einfach Ja dazu sagen. Stattdessen sollten wir darum beten, dass wir diesen Grimm bekommen, diesen Ärger.
Wie gesagt: Nicht den Ärger über die armen, verführten Menschen, sondern den Ärger darüber, dass diese Menschen verführt werden. Dass letztendlich eine Strategie des Teufels dahintersteht, der die Menschen von Gott wegziehen will, um sie mit irgendetwas abzuspeisen. Damit sie in der ewigen Trennung von Gott landen.
Diesen Ärger sollten wir spüren. Wir sollten merken: Das ist schlimm. Das ist nicht gleichgültig. Das ist auch nicht positiv, wenn wir das so stehen lassen. Da sind Menschen, die verloren gehen, die sinnlos leben.
Ich würde sagen: Orientiert euch an Paulus. Seid ab und zu mal richtig entrüstet! Ihr müsst es nicht jedem nach außen zeigen, aber innerlich entrüstet sein. Warum? Weil das häufig Kräfte freisetzt, die uns bewegen, etwas zu unternehmen. Die uns sagen lassen: Da muss sich etwas verändern.
Meistens ist es so, dass uns das, was uns ärgert, viel mehr herausfordert als das, was wir gut finden. Das, was gut ist, haken wir ab und gehen zum Alltag über. Aber das, worüber wir uns ärgern, setzt Kraft und Energie frei.
Und genauso ist es bei Paulus. Bei ihm führt es dazu, dass er nicht über die Leute schimpft, sondern zu ihnen hingeht und sich überlegt: Wie kann ich ihnen am besten erklären, was sie eigentlich brauchen?
Der Umgang mit Andersgläubigen: Paulus’ Vorbild für respektvolle Kommunikation
Hier können wir die zweite wichtige Lektion von Paulus lernen: Wenn du Menschen erreichen willst, ist es keine gute Strategie, sie zu beschimpfen. Manche tun das trotzdem. Ich weiß, es gibt auch einige christliche Traktate, zum Beispiel in Deutschland, in katholischen Gebieten, wo Karneval gefeiert wird.
Ich hatte einmal jemanden besucht, der nicht an der Feier teilnahm. Am Bahnhof, gerade als ich aus dem Zug kam, drückte mir ein wohlmeinender Christ ein Traktat über Karneval in die Hand. Es begann ungefähr so: „Du Heuchler, der du dem Satan dienst, erkenne endlich, in Wirklichkeit willst du hier nicht nur deinen Spaß, sondern du willst die Sünde und so weiter.“
Möglicherweise ist das ja sogar wahr. Aber wenn man sich in einen normalen, durchschnittlichen Deutschen hineinversetzt, der so ein Traktat in die Hand bekommt, wie wird der wohl reagieren? Wahrscheinlich nicht mit: „Oh super, kann ich mit dir in die Gemeinde kommen?“ Die meisten werden es wütend in den nächsten Mülleimer werfen und wollen davon gar nichts mehr wissen.
Ein anderes Beispiel: In Stuttgart begegnete mir ein motivierter Christ. Ich war dort in einer Gemeinde eingeladen und hatte am Abend noch etwas Zeit. Ich ging durch die Stadt, als plötzlich ein Christ mit grimmigem Gesicht, glühenden Augen und einem großen Plakat vor mir auftauchte. Er stellte sich vor jedem der Restaurants auf, die am Abend in der Innenstadt offen sind. Die Leute saßen draußen, aßen und tranken. Und er rief: „Ihr kommt alle in die Hölle! Ihr kommt alle in die Hölle!“ Dann ging er zum nächsten Café und wiederholte seinen Ruf.
Ich habe später gehört, was die Leute darüber dachten. Keiner zeigte sich offen gegenüber dem christlichen Glauben. Die meisten dachten, was ist das für ein religiöser Spinner? Muss der vielleicht irgendwo eingewiesen werden? Manche waren mitleidig, andere verärgert.
Vielleicht hat der Mann ja sogar Recht. Aber die Frage ist: Geht es nur darum, Recht zu haben? Oder geht es darum, Menschen für Jesus Christus zu gewinnen? Und zwar auf einer ganz anderen Ebene.
Hier können wir von Paulus lernen. Wie fängt er an? Fängt er die Athener an zu beschimpfen? Sagt er: „Ihr Abgötter, ihr müsst eure Tempel alle zerstören! Was für einen Gott betet ihr denn da an?“ Nein, er beginnt positiv. Das mag uns überraschen.
Er sagt: „Boah, seid ihr fromme Leute! Ich habe hier eure ganzen Tempel gesehen. Ihr bemüht euch richtig, Gott zu finden.“ Dann erwähnt er sogar den Altar für den unbekannten Gott. Darauf baut er auf und erklärt die biblische Botschaft. Und wir merken, die Leute hören zu. Sie nehmen ihn sogar mit auf den Areopag und sagen: „Das musst du uns noch mehr erklären.“
Am Ende lehnen einige ab, das ist klar. Aber Paulus wählt nicht den Weg der brutalen Konfrontation oder des Beschimpfens, in der Hoffnung, der andere kehrt um.
Wie ihr vielleicht an eurem eigenen Leben oder spätestens an dem eurer Kinder merkt: Wenn Kinder etwas falsch machen und ihr sie heftig beschimpft, sind sie meistens nicht offen. Sie werden eher verärgert oder wollen sich verteidigen. Das steckt in uns Menschen.
Letztendlich geht es darum, dass ein Umdenken stattfindet, was die Bibel mit „Metanoia“ beschreibt – also umdenken, umorientieren. Das ist das eigentliche Ziel. Es geht nicht darum, dass wir Dampf ablassen und dem anderen zeigen, wie recht wir haben und wie unrecht er ist.
Manchmal müssen wir das eher runterschlucken. Darauf kommt es nicht an. Wichtig ist, dass der andere bestmöglich versteht, worum es im christlichen Glauben eigentlich geht. Und das macht Paulus mit einer ganz anderen Strategie.
Also lernen wir von Paulus: Beschimpft nicht die Ungläubigen und überfordert sie nicht mit dem, was ihr ihnen weitergebt. Versucht stattdessen, an das anzuknüpfen, was sie schon wissen. Baut darauf auf, um dann zu dem zu kommen, was uns im Glauben besonders wichtig ist.
Und am Ende: Seid nicht frustriert, wenn nicht alle begeistert sind.
Umgang mit Frustration und Geduld in der Verkündigung
Das ist besonders bei denen der Fall, die schon lange in der Gemeinde aktiv sind. Da besteht immer die Gefahr der Frustration – zumindest kenne ich das aus Deutschland so. Man arbeitet und arbeitet und denkt, jetzt passiert etwas.
Ich muss sagen, als junger Prediger war ich da auch noch etwas naiv oder hatte zu hohe Erwartungen. Ich dachte, ich habe mich richtig gut vorbereitet, die ganze Woche intensiv studiert, und mir sind geistliche Wahrheiten sehr wichtig geworden. Mit Begeisterung hielt ich die Predigt. Ich erwartete, dass ein Raunen durch die Gemeinde geht, eine innere Umkehr geschieht und alle begeistert sind. Doch der Gottesdienst war vorbei, und es gab kaum eine Reaktion. Ich war richtig enttäuscht.
So ähnlich kann es euch auch manchmal gehen. Wenn ihr Predigten haltet und danach tatsächlich eine große Umkehrwelle auslöst, seid ihr gesegnet – das ist super. Aber in den meisten Fällen wird das nicht so sein. Weder, wenn ihr zu Ungläubigen oder Andersgläubigen sprecht, noch wenn ihr in der Gemeinde predigt. Warum? Weil Veränderung meistens eine langwierige Angelegenheit ist.
Es handelt sich nicht nur um eine kurze Emotion, sondern Gott muss erst unsere eigene Denktradition über Bord werfen und verändern, damit wir offen für Neues werden. Das dauert bei manchen Menschen ziemlich lange. Hier brauchen wir einen langen Atem. Deshalb solltet ihr nicht frustriert sein. Paulus war es auch nicht. Er rechnete nicht unrealistisch damit, dass der ganze Areopag tanzt, sich alle bekehren und sofort eine Gemeinde gründen. Er war schon zufrieden, wenn zwei Leute lesen – vielleicht waren es noch ein paar mehr –, und zwei werden namentlich erwähnt, die umkehren.
Wir müssen darauf vertrauen, dass Gottes Wort auch heute noch zur Umkehr führt. Nur geschieht das vielleicht nicht bei großen Massen, sondern bei den Menschen, die Gott vorbereitet hat. Immerhin werden hier zwei Beispiele genannt: Einer gehörte zur Oberschicht. Es heißt, er war einer der Vorsitzenden des Areopags – ein sehr kluger und angesehener Mann der Stadt. Die andere war Damaris, eine eher einfache Frau.
Gottes Wort trifft also sowohl den Intellektuellen, der viel von sich hält und eine hohe Stellung innehat, als auch die einfache Person. Ich glaube, dass wir daraus lernen können. In diesem Bericht steckt einiges, was wir heute gebrauchen können, gerade angesichts der Postmoderne, in der wir leben.
Die Realität der pluralistischen Welt anerkennen
Nun möchte ich einige weitere Punkte ansprechen, die nicht direkt im vorliegenden Text stehen, aber mit unserem Thema zu tun haben.
Ein erster Punkt ist, dass wir die Realität zur Kenntnis nehmen müssen. Viele Christen haben in der Vergangenheit so gelebt, als gäbe es keine anderen Religionen. Sie haben diese einfach ignoriert. Vielleicht ähnlich wie ein kleines Kind, das die Hände vor die Augen hält und sagt: „Jetzt bin ich weg.“ Manche haben das tatsächlich so gehandhabt. Sie sagten: „Ich bin in meinem Haus, wir sprechen jetzt nur über den christlichen Glauben, und dann gibt es nichts anderes.“ Lange Zeit funktionierte das auch.
Doch in der heutigen postmodernen Zeit ist das eine Illusion. Wenn man so denkt, wird man an sich selbst und an den Menschen, mit denen man zu tun hat, scheitern. Man muss nur irgendwo sein Smartphone herausnehmen und schon merkt man: Es gibt nicht nur Christen. Selbst unter den Christen gibt es ganz unterschiedliche Gruppen. Da gibt es Orthodoxe, Katholiken, Anglikaner und viele mehr.
Aber nicht nur das: Es gibt auch Buddhisten, Muslime, Hindus, Shintoisten, Schamanisten, Animisten und viele andere. Wir müssen das zur Kenntnis nehmen. Wir leben in einer pluralen Welt. Die Postmoderne zeigt uns das deutlich, und das ist auch wahr.
Wir sollten das in erster Linie nicht ausschließlich als Bedrohung betrachten, die wir fernhalten müssen. Vielmehr sollten wir es einfach anerkennen: So ist es nun einmal. Wir sollten uns mit dieser Realität anfreunden und versuchen, das Beste daraus zu machen.
Manche Christen und Gemeinden versuchen, diese Tatsache so lange wie möglich zu ignorieren. Sie wollen nicht, dass jemand mitbekommt, dass es andere Religionen gibt. Doch umso schlimmer ist es, wenn gerade Jugendliche oder erwachsene Gemeindeglieder plötzlich erfahren, dass sie nicht allein auf der Welt sind.
Dann stellt sich die Frage: Warum wurde uns das eigentlich verheimlicht? Ist an den anderen Religionen etwas so Gefährliches, Spannendes oder Gutes? Oft vertrauen junge Leute dann nicht mehr der Gemeinde, sondern eher einem Internetprediger oder einem Professor an der Universität. Diese sind oft so weltoffen, dass sie das einfach ansprechen. In der Gemeinde hingegen wurde das Thema vielleicht nie behandelt.
Das kann schnell den Eindruck erwecken, als hätten wir Angst vor der Auseinandersetzung mit anderen Religionen. Dabei müssen wir uns dieser Herausforderung stellen, besonders wenn wir in einem Umfeld leben, in dem nicht nur Christen wohnen.
Das gilt vor allem für städtische oder akademische Umgebungen. Dort wird man zwangsläufig mit dieser Vielfalt konfrontiert. Deshalb sollten wir zuerst einmal zur Kenntnis nehmen: Es gibt andere Religionen, und das ist gar nicht schlimm. Es ist einfach die Welt, in der wir leben.
Von anderen Religionen lernen und den Dialog suchen
Ich würde sogar noch einen Schritt weiter gehen. Ich würde nämlich sagen, wir müssen anfangen, von anderen Religionen zu lernen.
Ich kenne zum Beispiel manche Christen in Deutschland. Wenn es um Muslime geht, dann wird oft nur geschimpft. Da heißt es, sie seien die schlimmsten und bösesten Menschen. Häufig frage ich dann: "Hast du denn schon mal mit deinem Ali in der Nachbarschaft gesprochen?" Und meistens haben sie das nicht. Wenn sie aber mit Ali gesprochen haben, sagen sie oft: "Ja, der ist eigentlich ganz in Ordnung." Genau das ist das Problem. Man kann jetzt über Leute anderer Religionen schimpfen, aber wenn du sie persönlich kennenlernst, merkst du, dass sie meistens gar nicht so schlimm sind. Manchmal sind sie sogar besser als du.
Ich glaube, bei euch ist das ja noch etwas anders, aber bei einheimischen Deutschen ist die Gastfreundschaft eher unterentwickelt – im Vergleich zu den meisten anderen Teilen der Welt. Ein Beispiel: Ich hatte ein kleines Büchlein über Weihnachten geschrieben. In der Adventszeit sind wir zu jedem unserer Nachbarn gegangen – insgesamt etwa 50 Nachbarn in der Umgebung. Wir haben jedem ein kleines Päckchen Kekse und das Büchlein geschenkt. Die meisten haben sich freundlich bedankt – das ist typisch deutsch, nicht?
Dann kamen wir zu einem Nachbarn, einem muslimischen Ehepaar. Als wir an die Haustür kamen, war es, als hätten sie uns schon seit zwei Stunden erwartet. Sofort öffneten sie die Tür und sagten: "Oh, kommt herein!" Wir wurden ins Wohnzimmer gebracht, es wurde aufgetischt, und wir waren zwei Stunden im Gespräch mit ihnen. Sie haben sich richtig gefreut, obwohl sie gar nicht wussten, dass wir kommen würden. Da habe ich mir hinterher gedacht: Das ist doch etwas, wo wir in Sachen Gastfreundschaft lernen können.
Und wie gesagt, ich rede von Gastfreundschaft nicht in dem Sinne, dass du deinen Bruder, Schwager oder Cousin einlädst. Da würde Jesus sagen: "Ja, das tun die Heiden ja auch, die feiern auch mit ihren Freunden." Nein, ich rede davon, dass du den Fremden einlädst, mit dem du eigentlich sonst gar nichts zu tun hast, und dein Leben mit ihm teilst. Davon rede ich. Diese Nachbarn waren nicht eng mit uns befreundet, wir kannten nicht mal ihren Glauben.
Jetzt will ich auch nicht sagen, ihr müsst alle Muslime werden – nicht, dass ihr mich falsch versteht. Ich will nur sagen, wir sollten die Größe haben, auch einmal sagen zu können: Hier ist jemand, der zwar den falschen Glauben hat, aber in bestimmter Hinsicht können wir durchaus etwas von ihm lernen. Das wird der andere auch merken, ob wir ihn ernst nehmen oder ob wir ihn nur fertig machen wollen.
Wir können beispielsweise auch lernen, dass es in manchen anderen Religionen eine viel größere Ehrfurcht vor Gott gibt. Manchmal wundere ich mich in manchen Gemeinden, wie locker man mit Gott umgeht. Gott wird immer stärker zum Kumpel von nebenan in der modernen beziehungsweise postmodernen Gesellschaft. Wenn du dann in manchen anderen Religionen bist, merkst du, dass die Leute eine echte Ehrfurcht vor Gott haben. Da würde ich sagen: Da können wir doch etwas von lernen.
Oder die Disziplin, mit der viele Muslime fünfmal am Tag beten. Häufig ist die Motivation zwar falsch, und das wird sie auch nicht retten – das ist klar. Aber wenn ich das Positive sehe, denke ich mir manchmal: Wir könnten doch auch etwas mehr beten. Zumal wir ja zum wahren Gott beten und wissen, dass es nicht nur ein Ritual ist.
Dann stellt sich die Frage: Warum beten wir häufig so wenig? Abgesehen von einem kurzen Gebet morgens, vor dem Essen und vielleicht noch am Abend. Eigentlich könnte das doch mehr sein, wo wir die Gelegenheit dazu hätten.
Was ich damit sagen will, ist: Wir sollten uns nicht zu kleinlich haben und durchaus mal genauer hinschauen, wo Menschen anderen Glaubens manche Dinge besser machen als wir. Uns fällt kein Zacken aus der Krone, wenn wir von ihnen lernen und das auch benennen und sagen: Das finde ich gut. Das heißt ja noch lange nicht, dass wir alles übernehmen oder alles gut finden. Wir können genauso deutlich sein und sagen: "Hier bin ich aber gar nicht einverstanden."
Wir als Christen sollten uns hoffentlich nicht einbilden, in jedem Bereich der Welt die Besten und Vorbildlichsten zu sein. Das wäre Hochmut. Und ihr wisst ja: Hochmut kommt vor dem Fall. Da sollten wir vorsichtig sein.
Der zweite Grund, warum wir uns die anderen Religionen oder Menschen anderen Glaubens gut anschauen sollten, ist, um einen Anknüpfungspunkt zu finden – genauso wie Paulus es gemacht hat. Wir müssen irgendwo anknüpfen. Wenn wir nur mit vollkommen fremden Worten und Gedanken kommen, die die anderen nie gehört haben, verstehen sie nicht, was wir sagen wollen.
In einer Postmoderne, in der Menschen ganz unterschiedlichen religiösen Einflüssen ausgesetzt sind, müssen wir uns auf sie einstellen. Erst einmal zuhören, uns damit auseinandersetzen, um ihnen anhand dessen, was sie schon wissen, den Glauben an Jesus Christus besser erklären zu können.
Das heißt, wir sollten ein bisschen Kenntnis haben, wie das im Islam läuft – und zwar nicht nur bei den negativen Punkten. Denn viele Christen möchten das gerne, weil sie sich dann besser fühlen, wenn sie den Muslimen oder Buddhisten mal so richtig "gegeben" haben. Das gehört ja auch dazu.
Aber wir sollten auch versuchen, das etwas neutraler kennenzulernen, damit wir anknüpfen können. Wir können etwas nennen, das sie positiv oder zumindest neutral finden. Zum Beispiel die Sehnsucht nach einem unbekannten Gott bei den Athenern. Das ist ja nichts Böses, und daran konnte Paulus anknüpfen.
Deshalb müssen wir uns in dieser pluralistisch-religiösen Gesellschaft damit auseinandersetzen, was andere glauben und wie andere denken. Nicht, um das zu übernehmen, sondern um den Punkt zu finden, an dem wir am besten auf Jesus Christus hinweisen können. Das ist eine ganz wichtige Sache.
Wir sollten keine Abschottungspolitik betreiben, so tun, als würden wir nicht darüber reden, oder die anderen nur schlecht machen, damit die Herausforderung von selbst verschwindet. Denn das tut sie nicht. Wir müssen sie ernst nehmen und uns dann auch damit auseinandersetzen.
Die Herausforderung der Esoterik in der Postmoderne
Und dann gibt es als Nächstes diese Herausforderung durch die einzelnen religiösen Strömungen der Postmoderne. Die hauptsächliche religiöse Strömung der Postmoderne ist das, was wir Esoterik nennen. Esoterik ist eine Patchwork-Religiosität.
Der postmoderne Mensch will sich nicht für alle Zeiten festlegen. Er möchte sich auch nicht einfach nur einer Religion unterordnen. So treffe ich in Deutschland beispielsweise Menschen, die sagen: „Ich bin zenbuddhistischer Christ.“ Eigentlich denke ich mir, das ist ja vollkommener Quatsch. Das geht ja gar nicht, denn Zen-Buddhismus vertritt Überzeugungen, die vollkommen inkompatibel sind mit dem christlichen Glauben. Das geht ja gar nicht zusammen. Aber für den postmodernen Menschen geht alles.
Er mixt das zusammen. Es ist auch gar nicht mehr die Frage, ob das logisch ist oder nicht. Es kann auch sein, dass er, wenn du ihn in drei Wochen wiedertriffst, seine Position schon wieder verändert hat. Das ist der typisch postmoderne Mensch. Vielleicht seid ihr momentan noch wenig mit ihm konfrontiert, aber stellt euch darauf ein: Er wird irgendwann auch nach Paraguay kommen. Und zwar kommen die Gedanken dann zuerst und werden verbreitet, und dann findet man das attraktiv.
Denn der postmoderne Mensch geht ja in erster Linie von sich aus: Was empfinde ich? Und wenn ich etwas empfinde, dann ist das richtig. Ob das logisch ist oder nicht, spielt gar keine Rolle. Und bei Religion will er in erster Linie auch eine Nutzanwendung. Der postmoderne Mensch fragt nicht so sehr nach Wahrheit, sondern er fragt danach: Nutzt mir das?
Deshalb ist ja gerade die charismatische Bewegung so erfolgreich. Sie verspricht dem Menschen genau das, wonach der postmoderne Mensch sich sehnt. Denn warum soll jetzt jemand Christ werden, weil er nicht mehr stehlen darf, nicht mehr lügen darf, sich nicht mehr scheiden lassen darf und ehrlich sein muss? Das ist ja alles wahnsinnig mühsam. Was bringt mir das denn?
Dann sagst du: „Gut, du bist auf Ewigkeit gerettet.“ Ja, aber die Ewigkeit ist noch lange hin. Der Mensch will hier und heute einen Vorteil haben. Und dann kommt er in eine charismatische Gemeinde. Dort wird erst einmal ordentlich getanzt und Halleluja gesungen. Du fühlst dich richtig gut. Da hast du schon mal einen Effekt davon. Das ist gut, das will jeder.
Jeder, der irgendwie langweilig im Alltag lebt, möchte mal ordentlich feiern. Und wenn du das sogar noch mit Gott machen kannst, umso besser. Dann kommst du in eine charismatische Gemeinde, und dir wird versprochen: Du musst nur genügend glauben, dann wirst du immer gesund. Na ja, super! Du brauchst kein Geld mehr auszugeben für den Arzt und nicht mehr für die Krankenversicherung. Gesund sein will auch jeder.
Und wenn du nur genügend glaubst, dann wirst du reich. Boah, wer will in einem armen Land nicht reich werden? Das ist einer der Gründe, warum diese Religiosität sehr stark boomt. Sie verspricht dem postmodernen Menschen genau das, was er sich ersehnt, nämlich hier auf der Erde einen persönlichen Vorteil, irgendetwas, das mir nutzt.
Nun, das Problem ist manchmal, dass die Versprechungen eben nicht eingehalten werden. Dass eben auch in charismatischen Gemeinden Menschen krank werden und sterben. Dass eben nicht alle reich werden, meistens nur der Pastor. Da gibt es dann ein gewisses Problem. Aber gut, das merken die Menschen nicht sofort. Das merken sie meistens erst nach einigen Jahren. Das dauert dann eine gewisse Zeit.
Aber hier wird genau die Frömmigkeit angeboten, wie der postmoderne Mensch sie will: Ich habe etwas davon, es nutzt mir. Deshalb wechseln postmoderne Menschen auch schnell. Wenn der Dalai Lama zu Besuch kommt und verspricht: „Jetzt bekommst du ewigen Frieden“, und dann sitzt er da noch so in sich ruhend und lächelnd, dann denken viele: „Probier es doch mal mit dir.“
Und dann kommt irgendein Schamane, der nimmt dich mit in die Schwitzhütte, damit du alle deine negativen Schlacken ausschwitzen kannst. Dann denkst du: „Verstehe ich zwar nicht, aber irgendwie nutzen wird es auch, probier das aus.“ Und nachdem du aus der Schwitzhütte kommst, fühlst du dich auch ganz gut. Also mache ich mal ein bisschen auf schamanisch.
So ist der postmoderne Mensch. Er sagt nicht: „Ich entscheide mich ein für alle Mal für das oder für das“, sondern: „Ich probiere das mal aus.“ Schaut mal die Biografien der amerikanischen Top-Schauspieler an. Die machen mal ein paar Jahre auf Kabbala, so ein bisschen jüdisch, und dann gehen sie mal meditieren in Thailand in einem Tempel. Dann werden sie auch mal christlich.
Viele Christen freuen sich: „Boah, der hat sich bekehrt.“ Aber schon zwei Jahre später ist von der Bekehrung nichts mehr zu sehen, weil derjenige postmodern ist und einfach alles irgendwie mal ausprobiert. Also das ist die Situation, in der wir da sind, und das ist auch das, was man Esoterik nennt. Und das ist für uns natürlich eine echte Herausforderung.
Anforderungen an die Verkündigung in der Postmoderne
Ich glaube, es ist eine Herausforderung, dass wir einerseits den Menschen deutlicher vermitteln, was sie persönlich davon haben. Dabei geht es nicht darum, in einem wilden Wettbewerb mit immer höheren Versprechungen zu punkten.
Für den postmodernen Menschen ist es jedoch besonders wichtig, dass wir in unserer Verkündigung klar machen, warum er eigentlich Christ werden sollte. Und zwar nicht nur logisch, sondern auch, was das für sein Leben bedeutet und was es ihm bringt.
Deshalb bekehren sich nicht alle, aber der postmoderne Mensch sehnt sich danach und sucht genau das. Das ist ein ganz wichtiger Punkt.
Wir müssen auch damit rechnen, dass Menschen, die wir einmal gewonnen haben, nicht automatisch dabei bleiben. In manchen christlichen Gemeinden ist es so, dass man missioniert, jemand bekehrt sich, und dann denkt man, die Arbeit sei getan. Jetzt ist er dabei, jetzt weiß er, wie das läuft.
Doch es gibt postmoderne Menschen, die nach ein paar Jahren wieder gehen. Sie sagen dann: Es war schön, die Gemeinschaft war gut, aber jetzt habe ich ein anderes, besseres Angebot. Und so verlassen sie die Gemeinde wieder.
Das ist der postmoderne Mensch.
Für uns und unsere Gemeindearbeit bedeutet das, dass wir Menschen, wenn sie sich bekehrt haben, viel stärker begleiten müssen. Wir müssen immer beobachten, wie sich ihre Entwicklung gestaltet.
Das heißt auch, dass wir in der postmodernen Gemeindearbeit wahrscheinlich manche Ämter und Aufgaben kurzfristiger vergeben müssen. Es reicht nicht mehr zu sagen: Melde dich für die Jugendarbeit, und du bist die nächsten 20 Jahre festgelegt.
Der postmoderne Mensch will sich meist nur für ein halbes Jahr, ein Jahr oder höchstens zwei Jahre binden.
Das erleben wir auch an unserer Bibelschule. Dort gibt es regelmäßig Anfragen: Können wir auch für ein halbes Jahr oder ein Jahr kommen? Oft sagen wir ja, und die Leute bleiben meistens drei Jahre. Aber von Anfang an können sie sich nicht langfristig festlegen.
Solche wichtigen Entscheidungen sind für sie schwer, weil sie nicht wissen, was in einem Jahr sein wird. Vielleicht wollen sie nach Südafrika reisen, ein freiwilliges soziales Jahr machen oder einen anderen Beruf ausprobieren.
Sich so langfristig festzulegen, ist für den postmodernen Menschen sehr schwierig, weil er so viele Möglichkeiten hat. Das gilt auch für die Religion.
Dem müssen wir Rechnung tragen, indem wir erklären, warum es sich lohnt, Christ zu sein, und warum es wichtig ist, ernsthaft zu bleiben.
Ganz wichtig für postmoderne Menschen sind auch Authentizität und Echtheit. Das spielt eine entscheidende Rolle.
Ob jemand wirklich echt ist, kann niemand zu 100 Prozent sagen, aber wir sollten uns zumindest bemühen.
Postmoderne Menschen werden abgestoßen, wenn sie merken, dass nur Äußerlichkeiten vorhanden sind. Wenn der Gottesdienst nur abläuft und alle die Besucher grimmig anschauen, wirkt das abschreckend.
Zum Beispiel gibt es eine Nachbargemeinde bei uns, die ich sehr schätze. Ich besuche sie regelmäßig. Sie machen zum Beispiel ein tolles Adventskonzert.
Zum letzten Advent hat meine Frau gesagt: „Komm, gehen wir doch mal hin.“ Da ich die Geschwister kenne, haben sie mich freudig angelächelt, und sie singen wirklich sehr gut.
Aber während des Adventskonzerts schauen sie die Zuschauer grimmig an. Warum? Weil es für sie ein Ausdruck der Ernsthaftigkeit in ihrer Sache ist.
Der normale ungläubige Deutsche denkt aber: Was will der von mir? Warum schaut er mich so böse an?
Sie singen von der Liebe Gottes, aber kein Lächeln ist auf ihrem Gesicht zu sehen.
Hier müssen wir sagen: Der postmoderne Mensch liebt Authentizität. Wenn du von der Liebe Gottes singst, aber ernst oder sogar böse schaust, bist du unecht, nicht authentisch.
Wenn du von der Liebe Gottes redest und jemand kommt mit einem Hilfsbedarf, du aber immer wieder abblockst und sagst: „Nein, das will ich nicht“, dann bist du für den postmodernen Menschen unglaubwürdig.
Du kannst noch so gut erklären, wie der christliche Glaube funktioniert, er wird dir nicht mehr glauben.
In den USA und Kanada ist das einer der Gründe, warum nicht nur postmoderne Menschen nicht gläubig werden, sondern auch viele Jugendliche die Gemeinde verlassen, in der sie groß geworden sind.
Sie haben als postmoderne Menschen in Schule und Studium gelernt, dass Echtheit wichtig ist. Manchmal haben sie den Eindruck, in ihrer Gemeinde gibt es keine Echtheit.
Die Leute reden eines, tun aber etwas anderes.
Fragst du sie in der Gemeinde, sagen sie: „Ich bin glücklich verheiratet.“ Aber zu Hause schreien sie sich an.
Dann sagt der postmoderne Jugendliche: „Nein, das brauche ich nicht.“ Und wenn er eine Alternative hat, geht er dorthin, wo es ihm echter und authentischer erscheint.
Für den postmodernen Menschen im Wettbewerb der Religionen geht es nicht nur darum, so laut wie möglich zu predigen, sondern auch darum, mit Echtheit aufzutreten.
Hier könnten wir als Christen durchaus punkten. Denn genau das fordert Jesus von uns.
Jesus kritisiert besonders die Frommen seiner Zeit, die Pharisäer, weil sie Heuchler waren. Sie konnten besonders fromm reden, aber lebten nicht so.
Hier liegt die echte Herausforderung, der wir uns immer wieder neu stellen müssen.
Es geht nicht darum, sich einmal für allemal zu entscheiden, sondern sich immer wieder neu zu entscheiden: Ich will Menschen an meinem Leben teilhaben lassen, offen mit ihnen sprechen und auch bereit sein, über meine Schwächen zu reden.
Ich bin als Christ nicht perfekt. Die Menschen, zu denen ich spreche, wissen, dass sie selbst nicht perfekt sind.
Wenn sie in eine Gemeinde der „Perfekten“ kommen, fühlen sie sich meist nur deprimiert. Nach einiger Zeit merken sie sowieso, dass das gar nicht stimmt.
Im Wettbewerb der Religionen braucht es also diese Echtheit zueinander. Nicht, dass wir etwas vorspielen, sondern dass wir wirklich authentisch sind.
Die Mission in der postmodernen Gesellschaft
Ein ganz wichtiger Punkt angesichts der Postmoderne ist natürlich die Mission an sich. Ein postmoderner Christ missioniert kaum noch. Dafür wurden auch neue Begriffe erfunden. Einige Missionswissenschaftler sprechen eher von "missional" statt von "missionarisch".
Viele Missionswerke in Deutschland nennen sich inzwischen nicht mehr Missionswerke. Auch viele Missionseinsätze werden nicht mehr so bezeichnet, sondern als sozialdiakonischer Dienst. Und genau das ist es auch, was sie tun.
Ich habe mit einigen gesprochen, die mir dann gesagt haben: "Na ja, wir spielen einfach mit den..."