Einführung in das Evangelium und seine Grundelemente
Der erste Korintherbrief, Kapitel fünfzehn, kann gerne einmal aufgeschlagen werden. Dort findet sich ein kurzer Vorspann, in dem der Apostel Paulus wahrscheinlich das älteste Glaubensbekenntnis formuliert. Dieses ist viergliedrig aufgebaut.
Paulus sagt im 1. Korinther 15: „Ich tue euch aber, Brüder, das Evangelium kund.“ Wir wollen das Evangelium verkündigen, sowohl am Tauernhof als auch in den Gemeinden. Dann fragt er: Was ist das Evangelium?
In Vers 3 heißt es: „Denn ich habe euch vor allem, das heißt vor allem anderen, worüber wir reden und diskutieren, überliefert, was ich auch empfangen habe: dass Christus für unsere Sünden gestorben ist, nach den Schriften; dass er begraben wurde und dass er am dritten Tag nach den Schriften auferweckt worden ist; und dass er Kephas, das ist Petrus, erschienen ist, dann den Zwölfen und danach fünfhundert anderen.“
Mit anderen Worten: Das Evangelium besteht aus vier Punkten. Erstens, dass Christus für unsere Sünden gestorben ist. Zweitens, dass er begraben wurde. Drittens, dass er am dritten Tag auferstanden ist. Und viertens, dass er heute lebt.
Wer das glaubt, ist mein Bruder und meine Schwester. Alles andere ist Peripherie.
Es ist meiner Ansicht nach zunehmend entscheidend, sich auf das Evangelium zu besinnen – auch in unserer Verkündigung und in den Streitfragen, die wir haben. Diese haben zwar alle ihren Platz, das steht außer Frage, aber es ist wichtig, sich immer wieder auf das Fundament zu besinnen. Dieses Fundament ist Christus: der Gekreuzigte, der Auferstandene und der Lebendige, auch hier und heute.
Gebet und geistliche Vorbereitung
Ich bete nur kurz, und dann schauen wir heute Körper, Seele und Geist auf besondere Weise an.
Vater, ich möchte Dir jetzt danken für die gemeinsame Zeit. Es ist uns bewusst, wie abhängig wir von Dir sind – von Deinem Reden und von Deiner Offenbarung der Wahrheit.
Herr, Du wünschst Dir Schüler, die Dich so sehr lieben, dass sie Dich ernst nehmen, hinterfragen und nachforschen. Das wollen wir auch in diesen Tagen tun – aus Liebe zu Dir, weil wir Dich gerne haben und Deinen Rat suchen.
Es ist so gut zu wissen, dass Bibellesen bedeutet, sich bei Dir Rat zu holen und von Dir zu lernen. Das wollen wir auch jetzt tun, im Namen Jesu. Amen.
Ganzheitliche Heilung als Gottes Anliegen
1. Thessalonicher 5,23 Unser Ausgangsvers: Er selbst aber, der Gott des Friedens, heilige euch völlig und vollständig. Möge euer Geist und Seele und Leib untadelig bewahrt werden bei der Ankunft unseres Herrn Jesus Christus.
Das Anliegen Gottes für seine Kinder ist, dass sie geheiligt, das heißt heil und geheilt werden und bewahrt bleiben an Körper, Seele und Geist.
Wer die Bibel liest, kann nicht übersehen, auch wenn man sonst gar nichts sieht, dass Jesus viele Menschen geheilt hat – nicht nur Dutzende, sondern Hunderte, wenn nicht mehr. Wir lesen manchmal: „Er heilte sie alle.“ Er hat sie körperlich geheilt, wie den blinden Mann oder die verkrüppelten Personen. Er hat sie seelisch geheilt, wie die Frau am Brunnen, und geistlich, wie den Nikodemus.
Ich darf persönlich bekennen, dass ich in allen drei Bereichen eine Heilung erfahren habe. Ich bin als 15-Jähriger zum Glauben gekommen, in unserer evangelischen Gemeinde in Ramsar oben. Das ist bis heute meine Kirche, meine Gemeinde. Ich bin Gott extrem dankbar, dass er mir Glauben geschenkt hat, dass ich glauben durfte, dass ich ihn erkennen durfte – sein Geschenk. Ich habe eine Beziehung, eine geistliche Geburt erfahren, bei der ich einfach wusste: Gott ist bei mir, und ich gehöre ihm, auch in den Jahren, in denen ich ohne ihn leben wollte. Er hat mich nie ganz verlassen. Ich wusste irgendwie, dass er da ist. Das ist diese geistliche Heilung, bei der ich durch den Heiligen Geist eine Beziehung zu Gott haben kann.
Ich habe auch eine seelische Heilung erleben dürfen. Als Junge hatte ich einen extremen Minderwertigkeitskomplex. Das hat mit vielen Dingen zu tun, die hier nicht weiter ausgeführt werden müssen. Es hat aber dazu geführt, dass ich Dinge getan habe, für die man sich schämt. Wenn man als Teenager Blödsinn baut, da habe ich genug erlebt. Über manches lacht man, und es ist witzig. Die jungen Leute sollen ruhig Blödsinn machen, warum nicht? Auch unsere Bibelschüler – wenn die Blödsinn machen, ja, mein Gott, das sind junge Leute. Wenn sie da keinen Blödsinn machen, wann dann?
Aber es sind eher Dinge, für die man sich schämt, die peinlich sind und bei denen man andere verletzt hat. Ich glaube, wir haben alle Minderwertigkeitskomplexe. Da sitzt niemand drin, der keinen hat. Nur glaube ich, werden wir mehr oder weniger davon getrieben und beeinflusst.
Ich kann mich erinnern, dass ich einmal in Brisbane auf einer Konferenz war, wo ich gesprochen habe, gemeinsam mit einem lieben Freund von uns, Charles Price. Wir waren da zu zweit. Er ist inzwischen Pfarrer in Toronto. An einem Abend haben wir ein Bier getrunken, und Charles erzählte mir, dass er als Junge einen ziemlichen Minderwertigkeitskomplex hatte. Ich sagte ihm, das sei interessant, denn bei ihm merke ich wenig davon. Ihr kennt ihn jetzt schon ziemlich gut – also einen großen Minderwertigkeitskomplex kann ich bei ihm nicht entdecken.
Dann erzählte ich ihm, dass es mir ähnlich ging, bei mir war es nur noch ein bisschen tragischer. Er sagte: „Du, bei dir sehe ich auch nicht viel.“ Da wurde mir zum ersten Mal bewusst: Ja, genau. Ich war bei keinem Therapeuten, ich habe nie irgendwas gemacht. Aber ich habe mich über die Jahre mit Gott und seinem Wort beschäftigt, entdeckt, dass ich sein geliebtes Kind bin, und das verinnerlicht. So durfte ich auch eine Heilung an der Seele erfahren.
Ich habe auch eine körperliche Heilung erfahren dürfen. Als ich Weihnachten 1989 im Dauernhof begann, war ich davor neun Jahre hauptberuflich Bergführer und Skilehrer. Ich war viele Wochen unterwegs, auf Hütten, habe Ausbildungen geleitet und so weiter. Ich hatte nie Probleme mit der Haut, wurde immer braun und brauchte nie Sonnencreme oder Ähnliches.
Als ich am Dauernhof begann, kurz davor, konnte ich die Sonne nicht mehr ertragen. Es war keine Sonnenallergie, aber es war relativ schlimm. Ich musste sogar vom Gletscher runter, damals auf einer Hütte, wo ich eine Ausbildung machte. Das war relativ tragisch. Unter der Haut war alles Wasser, es hat extrem gejuckt und war sehr unangenehm.
Ich bin von Arzt zu Arzt gegangen, und jeder sagte: „Ja, du verträgst die Sonne nicht, aber es ist keine Allergie. Wir wissen nicht, was es ist.“ So konnte mir keiner wirklich helfen. Kortison hat es vor allem gelindert und ein bisschen eingedämmt, aber natürlich nicht geheilt. Die Haut wurde dadurch immer schlechter.
Nach ungefähr eineinhalb Jahren war es dann so schlimm, dass ich mein Haus nicht mehr ohne Gesichtsmaske verlassen konnte. In Hannelore hat man so etwas genäht, und ich habe sie getragen. Es wurde noch schlimmer: Ich konnte nicht mehr in unseren Gruppen Skifahren, ich konnte nicht mehr abends kommen.
Über zwei Jahre habe ich immer Jakobus 5 gelesen: „Wenn jemand krank ist unter euch, der rufe die Ältesten, sie sollen Sünden bekennen, füreinander beten, den Kranken salben, und Gott wird ihn aufrichten.“ Ich hatte nie Frieden darüber, das zu tun.
1989 oder 1990 war es dann so weit, dass ich kaum mehr aus dem Haus konnte. Ich habe ein paar Freunde angerufen, die kamen. Wir haben gebetet, uns Sünden bekannt, ich habe Babyöl auf mich aufgetragen, und sie haben für mich gebetet. Zwei Tage später war das tatsächlich weg.
Also habe ich auch eine körperliche Heilung erfahren dürfen, wofür ich extrem dankbar bin. Eine Frau, die auch ein Problem hatte, hat gebetet, aber bei ihr hat es nicht funktioniert. Interessanterweise war es bei Hannelore so: Sie wurde nicht geheilt. Sie hatte vor allem an den Armen und zum Teil am ganzen Körper einen Ausschlag. Sie hat Krankenschwester gelernt und eine Allergie gegen Desinfektionsmittel gehabt. Sie hatte das zwanzig Jahre lang. Vor drei, vier Jahren ist es plötzlich weg gewesen. Aber zwanzig Jahre lang hat sie es getragen.
Nach diesem Gebet war es auch interessant: Gott hat sie aufgerichtet. Sie konnte viel besser damit umgehen. Auch im Rückblick kann man das oft sehen.
Auf jeden Fall möchte ich sagen: Ich bin ein beschenkter Mann. Ich durfte erfahren, dass Gott mein Heiland ist – in Bezug auf Geist, Seele und auch Leib.
Man lernt aus der ganzen Bibel, dass es Gottes Anliegen ist, dass seine Kinder gesund sind. Prinzipiell ist das Gottes Anliegen.
Darum haben wir den Vers schon gelesen: Exodus 15,26. Dort stellt sich Gott seinem Volk Israel vor und sagt: „Ich bin der Herr, euer Arzt.“ Gott stellt sich uns vor, dem Volk Israel und im weiteren Sinne auch uns, als unser Arzt.
Als Jesus in Bethlehem geboren wird, lesen wir im Evangelium: „Euch ist heute ein Retter geboren.“ Das heißt, Gott stellt sich vor als unser Arzt und als unser Retter. Und durch seine Wunden, lesen wir im Jesaja 53, sind wir geheilt, weil er unser Arzt und Retter ist.
Die Spannung von Heilungserfahrungen und Leid in der Welt
Nun ist es so, dass manche von uns eine Erfahrung gemacht haben. Glaube braucht Erfahrung. Glaube baut nicht auf Erfahrung, aber Glaube braucht Erfahrung – unbedingt. Ohne Erfahrung wäre keiner von uns dort, wo wir heute sind.
Es ist so, dass wir einiges erfahren durften. Ich habe auch erlebt, dass wir für Leute gebetet haben, die nicht geheilt wurden. Das ist oft der Fall. Es gibt liebe Menschen, die sicherlich mehr Glauben haben als ich, die Jesus wahrscheinlich mehr nachfolgen als ich, und dennoch werden sie nicht geheilt.
Ich denke an eine liebe Schwester hier vor Ort, die Gerti. Sie sitzt bereits seit 18 Jahren im Rollstuhl und hat jeden Tag Schmerzen. Für sie wurde bereits gebetet. Trotzdem hat sie immer noch Schmerzen und sitzt weiterhin im Rollstuhl. Ich verstehe es nicht, aber es ist so.
Aus diesem Grund ist das oft ein Widerspruch für Menschen. Ich sehe das auch in der Seelsorge, wo sich Menschen von Gott abwenden oder sagen: „Mit diesem Gott kann ich nicht leben.“ Das ist ein derartiges Paradox, damit kann ich nicht umgehen. Oft lautet die Aussage: „Ich kann nicht an einen liebenden Gott glauben bei all dem Bösen und Leid, das in dieser Welt geschieht.“
Ich verstehe diesen Satz sehr wohl. Meine Antwort für diese Menschen ist: Genau weil ich diesen Widerspruch in der Welt sehe, glaube ich an den Gott der Bibel. Die Bibel beschreibt keine heile Welt. Die Bibel sagt nicht, dass jeder geheilt wird. Sie beschreibt auch nicht, dass jeder gesund wird. Stattdessen zeigt die Bibel, dass sich die ganze Schöpfung nach Erlösung sehnt – denn sie ist eine gefallene Schöpfung.
Darum glaube ich an den Gott der Bibel. Denn das, was die Bibel beschreibt, und das, was ich in der Welt sehe, stimmt eins zu eins überein. In Römer 8,22 steht: „Die ganze Schöpfung seufzt und wartet auf Erlösung.“
Wenn man darüber nachdenkt, warum Gott sich als unser Arzt beschreibt, dann aus einem einfachen Grund: Weil wir krank sind. Gäbe es keine Kranken, bräuchten wir keinen Arzt.
Warum beschreibt sich Jesus als unser Retter? Weil wir verloren sind. Gäbe es keine Verlorenen, bräuchten wir keinen Retter.
Ich bin im Bergrettungsdienst, auch im Höhlenrettungsdienst. Warum gibt es eine Bergrettung? Weil es am Berg Verlorene gibt. Gäbe es keine Verlorenen am Berg, bräuchten wir keine Bergrettung.
Jesus beschreibt sich uns gegenüber als unser Arzt und unser Retter. Das ist die Geschichte, die ich sehe: Einerseits die Tragik der Sünde, der Krankheit und des Todes, andererseits die Realität des Retters und Arztes.
In dieser Spannung leben wir. Einerseits die Realität einer gefallenen Welt, andererseits die Realität eines lebendigen Gottes, der uns liebt. Das ist die Spannung auf dieser Erde. Und solange wir hier sind, wird sich daran nichts ändern.
Beispiel aus Johannes 5: Die Heilung am Teich Bethesda
Ein wunderbares Beispiel für die Realität des Lebens einerseits und das Eingreifen des Heilands andererseits finden wir in Johannes Kapitel 5. Dort sehen wir diese Spannung, diese zwei Realitäten, sehr klar nebeneinanderstehen.
Johannes Kapitel 5 beginnt mit der Überschrift „Ein Fest der Juden und die Heilung eines Kranken am Teich“. Danach heißt es: „Es war aber ein Fest der Juden, und Jesus ging hinauf nach Jerusalem. Es ist aber in Jerusalem bei dem Schaftor ein Teich, der auf Hebräisch Bethesda genannt wird, der fünf Säulenhallen hat.“ Dort lag eine Menge Kranker, Blinder, Lahmer und Dürrer.
In der Fußnote zu Vers 4 steht, dass diese auf die Bewegung des Wassers warteten, denn ein Engel des Herrn stieg zu bestimmter Zeit in den Teich herab und bewegte das Wasser. Wer nun als Erster nach der Bewegung des Wassers hineinstieg, wurde gesund, mit welcher Krankheit er auch behaftet war. Das war zumindest eine Tradition. Ob es so war oder nur eine Tradition, erklärt Jesus nicht näher. Aber so war der Glaube.
In Vers 5 lesen wir: „Es war aber ein Mann dort, der 38 Jahre mit seiner Krankheit behaftet war.“ 38 Jahre krank – das war die Realität für diesen Mann. 38 Jahre lang ein Krüppel oder was immer genau sein Problem war. Man fragt sich oft bei Menschen wie diesem: Wo nimmt dieser Mensch überhaupt den Willen her, noch einen weiteren Tag zu leben? Das ist mir oft ein Rätsel. Wahrscheinlich lag er jahrelang in diesen Säulenhallen mit den anderen Kranken. Woher nimmt dieser Mensch den Willen zu leben? Er hat wahrscheinlich gebettelt, um durchzukommen.
Das ist nur nebenbei bemerkt. Wir sind oft sehr schockiert, wenn ein Mensch sich das Leben nimmt – und zu Recht sind wir schockiert. Allein zwei meiner Schulklassenkameraden haben sich bereits vor vielen Jahren das Leben genommen. Beide waren sehr witzig, sehr aufgeschlossen, und alle waren schockiert.
Was mich aber fast noch mehr überrascht, ist die Frage: Warum nehmen sich nicht mehr Menschen das Leben? Ich kenne einige Leute, ich bin hier geboren, kenne hier ein paar Tausend Menschen, meine ganze Verwandtschaft – wir sind sowieso alle verwandt. Vor der Hochzeit haben wir herausgefunden, dass Hannelore auch meine Großcousine ist. Aber die Kinder sind halbwegs normal, das ist okay.
Ich kenne ein paar Leute hier, die sind derart bitter, mögen das Leben und die Menschen kaum leiden, und jammern nur. Und ich frage mich: Warum beendest du das Ganze nicht eigentlich? Das Leben ist für dich doch sowieso nur Käse. Warum willst du noch einen weiteren Tag leben? Ich sage das nicht, aber ich denke es mir manchmal: Warum willst du überhaupt noch einen Tag leben?
Mich wundert es, dass sich nicht mehr Menschen das Leben nehmen. Die Antwort, glaube ich, ist in einem Wort zu finden: Hoffnung. Irgendeine Hoffnung, dass nächstes Jahr vielleicht doch noch besser wird. Wie dieser Mann, der 38 Jahre krank war.
Was hatte dieser Mann überhaupt noch für Hoffnung? Immer wenn er 38 Jahre lang nicht hineinkam, dann wird es nächste Woche auch nicht gelingen. Das ist wie in St. Hofdorf im Lotto zu gewinnen, obwohl man keinen Schein ausgefüllt hat – so ungefähr.
Ein Vers, der mir sehr imponiert, ist Römer 4,18. Dort lesen wir über Abraham, der „gegen Hoffnung auf Hoffnung hingeglaubt hat“. Den Satz muss man sich mal durchdenken. Bei Abraham ging es um Isaak. Er war hundert, seine Frau neunzig. Abraham schaute sie an und dachte: Das sieht nicht gut aus, hoffnungslos. Und sie schaute ihn an und dachte: Bei dir sieht es noch schlechter aus, hoffnungslos.
Wenn die sich gegenseitig ohne Hoffnung angeschaut haben, dann haben sie trotzdem gegen Hoffnung auf Hoffnung geglaubt. Das ist meine einzige Erklärung für diesen Mann und für viele andere Menschen, die mir begegnen, warum sie überhaupt noch weitermachen.
Dann lesen wir einen merkwürdigen Satz, zumindest fand ich ihn lange Zeit merkwürdig: Jetzt ist dieser Mann 38 Jahre krank. Und dann kommt Jesus in diese Säulenhallen. Bethesda heißt übrigens „Haus der Barmherzigkeit“. Als Jesus diesen Kranken sah und wusste, dass er schon lange Zeit so da lag – Jesus wusste es, lange Zeit, 38 Jahre – spricht er zu ihm: „Willst du gesund werden?“
Ja, gewaltig! Ich habe darüber nachgedacht. Jesus weiß, dass er 38 Jahre krank ist. Als Messias und Prophet weiß Jesus das. Er weiß auch, dass der Mann wahrscheinlich gesund werden will. Den Satz „Willst du gesund werden?“ habe ich nie kapiert. Ich habe weitergelesen, aber eigentlich ist es ja egal. Heute finde ich darin etwas, was ich verstehe.
Das ist das Schöne am Älterwerden: Man macht mehr Erfahrungen. Das habe ich auch in der Seelsorge festgestellt. Ich habe schon mit Menschen gesprochen, die sehr zornig und bitter sind, die sich im Selbstmitleid baden. Wenn du sie fragst: „Willst du gesund werden?“, sagen einige: „Nein, ich will krank bleiben. Ich will weiter im Selbstmitleid baden, ich will weiter bekümmert werden, und ich bleibe weiterhin ein Krüppel.“
Ich kenne Menschen, die sind so zornig, undankbar, aus guten Gründen vielleicht – denn zornige Menschen sind ja verletzte Menschen. Wenn du sie fragst: „Möchtest du geheilt werden?“, antworten sie: „Nein, ich bleibe lieber zornig und sterbe als bitterer Mensch.“
Es ist interessant, dass Jesus diesen Mann hier fragt: Was ist dein wirkliches Problem? Was willst du, dass ich heile? Willst du gesund werden? Die Antwort dieses verkrüppelten Mannes ist gewaltig, da kann man nur schlucken.
In Vers 7 antwortete der Kranke: „Herr, ich habe keinen Menschen.“ Das war sein Problem. Er hatte niemanden. Das erste Problem dieses Mannes war nicht seine Krankheit, sondern seine Einsamkeit. „Ich habe keinen Menschen.“ In diesen fünf Säulenhallen gab es keinen einzigen, der zu ihm stand. Niemand, der ihn mal hineintragen würde. Er hatte niemanden.
Jesus spricht hier den Kranken in seiner Einsamkeit an. Das Erste, was Jesus tut, ist, dass er zu ihm geht und mit ihm redet. Er heilt ihn nicht gleich, sondern kommt ins Gespräch. Er begegnet seiner Einsamkeit. „Herr, ich habe keinen Menschen.“
Die zweite Antwort, die der Mann gibt, steht im selben Satz: „Herr, ich habe keinen Menschen, der mich, wenn das Wasser bewegt worden ist, in den Teich wirft, während ich aber komme. Alleine, weil ich ja keinen habe, steigt ein anderer vor mir hinein.“
Das heißt, dieser Mann hatte durchaus Beziehungen in der Säulenhalle mit anderen Kranken und Krüppeln, aber die waren alle von Rivalität geprägt. Keine Barmherzigkeit im Haus der Barmherzigkeit.
Die Bedeutung wahrer Beziehungen und Jesu befähigende Kraft
Eine Frage an dich und an mich: Hast du einen einzigen Menschen, bei dem du sicher bist, dass er dich liebt – wirklich dich? Oder ist es so, dass du deinen Wert täglich erkämpfen musst?
Ich werde wertgeschätzt, weil ich so fleißig bin, weil ich so witzig bin, weil ich so sportlich bin oder weil ich so verlässlich bin. Aber was ist, wenn du wegen einer Krankheit nicht mehr verlässlich sein kannst? Das ist die Frage, die wir ehrlich auch vor Gott stellen müssen: Wie definiere ich mich? Habe ich Beziehungen, die auf Rivalität und Konkurrenz aufgebaut sind, oder habe ich Beziehungen, in denen ich wirklich sicher sein kann, dass ich geliebt werde?
Jesus sagt den Menschen sein Wort. Im Vers 8 spricht Jesus zu einem Kranken: „Steh auf, nimm dein Bett und geh umher.“ Etwas, das ich an Jesus wunderbar finde – und das ist einer der Gründe, warum ich so gerne Christ bin – ist, dass Jesus den Kranken nicht auffordert: „Reiß dich mal zusammen! Nimm all deine Kraft zusammen! Ich helfe dir ein bisschen, aber du darfst nicht so blöd sein, du kannst das schon!“ Jesus macht keine Appelle.
Hans-Werchem Eckstein, ein lieber Freund von mir, hat einmal gesagt: Im Neuen Testament gibt es keinen einzigen Appell. Wenn Jesus sagt: „Steh auf, nimm dein Bett und geh“, dann befähigt er dich auch dazu, aufzustehen, dein Bett zu nehmen und zu gehen. Das ist das Evangelium.
Wir Christen haben es oft mit appellierenden Aufforderungen zu tun. Wenn jemand depressiv ist, sagen wir: „Reiß dich ein bisschen zusammen! Du bist doch so gut verheiratet, das wird schon wieder.“ Wenn jemand mit Zweifeln kämpft und nicht mehr an die Bibel glauben kann, sagen wir: „Du musst mehr vertrauen, geh mehr in den Gottesdienst und bete mehr, dann wird das schon wieder.“ Ist jemand krank, sagen manche: „Bete mehr und glaube mehr, dann wirst du gesund.“ Wir fordern Menschen auf, sich zusammenzureißen.
Doch weißt du, was das Problem ist? Diese Menschen haben keine Kraft mehr. Sie sind vielleicht schon 38 Jahre krank und können nicht einfach aufstehen. Wenn wir dann nur fordern, werden diese Menschen noch einsamer, als sie ohnehin schon sind. Das ist die Katastrophe, wenn wir immer nur fordern.
Das ist etwas, das ich über die Jahre lernen durfte und wofür ich sehr dankbar bin. Früher habe ich in manchen Predigten gehört: Jesus soll bei dir die Priorität Nummer eins sein. Dann kommt die Frau, die ist zwei, dann die Kinder, die sind drei, dann die Arbeit, die ist vier, und dann kommt der Sport oder was auch immer. So beginnt man den Tag: Man steht morgens auf und denkt: „Jesus ist Priorität Nummer eins, zuerst lese ich die Bibel, mache stille Zeit – abgehakt. Jetzt rede ich mit meiner Frau – abgehakt. Meine Kinder – abgehakt. Jetzt kann ich zur Arbeit gehen.“
So habe ich es jahrelang verstanden. Aber weißt du, was ich festgestellt habe? Jesus hat kein Interesse daran, deine Priorität Nummer fünf zu sein, aber auch nicht deine Priorität Nummer eins.
Wisst ihr, was Jesus will? Er will Herr sein in deiner Priorität Nummer eins, in deiner Priorität Nummer zwei und auch in der Priorität Nummer zwanzig. Er will dir die Kraft geben, in diesen Prioritäten zu leben – und das ist die Freiheit.
Vor kurzem habe ich in einem Magazin von einem gewissen Doktor Benedikt Walter gelesen: Eine Person, die wöchentlich sechzig oder siebzig Stunden arbeitet, mag am Sonntag nicht noch hören, was sie alles tun sollte. Sie braucht in der Kirche Menschen, die ihr helfen, zur Ruhe zu kommen, die Gedanken zu ordnen und mitten im Stress Gott zu erkennen.
Mitten im Stress Gott zu erkennen – das ist der Punkt. Mitten in Priorität Nummer drei zu wissen: Gott ist bei mir und Gott ist meine Kraft. Und das ist das Wahnsinnige an Jesus: Wenn er sagt, tu es, dann gibt er dir die Kraft, es zu tun – so wie bei diesem Mann hier.
Jemand hat auch mal schön gesagt: Wir sind alle in einem Rennen unterwegs. Die Bibel benutzt auch diese Worte und Konzepte von Athleten und vom Laufen – wir sind alle unterwegs. Aber wisst ihr, was die gute Botschaft ist? Wir starten auf der Ziellinie. Ihr seid schon hinübergegangen, ihr seid gerechtfertigt worden. Wir müssen es nicht erkämpfen, Christus hat es erkämpft. Das ist das Evangelium, das ist die gute Botschaft.
Alles andere, was uns belastet, führt nur zurück zum Selbsttun.
Das Wunder der Heilung und die Reaktion der religiösen Umgebung
Und als der gelähmte Mann aufstand, war das fantastisch. Er stand auf und ging umher. Das ist ein Wunder, so wie Gott gesagt hat: „Es werde Licht!“ und es ward Licht. Das ist ein Wunder. So hat Gott zu diesem Mann gesagt: „Steh auf, nimm dein Bett und geh!“ Steh auf – das ist ein Wunder, das kann nur Gott bewirken.
Ich habe schon viele Geschichten von Heilungen gehört, aber so eine Geschichte habe ich noch nie gehört. Habt ihr schon einmal Geschichten gehört, in denen zum Beispiel ein Fuß fünf Zentimeter kürzer war und dann wieder länger wurde? Das kann ja alles sein, aber so etwas habe ich noch nie gehört.
Dann lesen wir im Vers 9: „Und sofort wurde der Mensch gesund.“ Sofort wurde der Mensch gesund. Er nahm sein Bett auf und ging umher. Es war aber an jenem Tag Sabbat, Schabbat, unser Samstag.
Da sagten die Juden zu dem Geheilten: „Es ist Sabbat, es ist dir nicht erlaubt, das Bett zu tragen.“ Das ist typisch Religion. Ihr Problem war, dass dieser Mann am Sabbat das Bett trägt. Das ist ja verboten. Also kannst du nicht sehr gläubig sein. Dass der Mann 38 Jahre krank lag, war völlig egal.
Ich war vor kurzem in Deutschland auf einer Konferenz, und ich hatte eine super Zeit. Es ist jetzt egal, wo. Aber an einem Sonntag gab es feierliche Gottesdienste. Da zog ich mich schön an, und das hatte ich auch gern so. Ich ziehe immer meine österreichische Tracht an, dann brauche ich keine Krawatte, weil ich keine habe. Das gefällt den Leuten, und niemand hat ein Problem damit.
Am Montag zog ich mich dann etwas normaler an. Da kam eine ganz liebe Frau zu mir und sagte: „Wo haben Sie denn das Rote von gestern, die Jecken?“ Ich antwortete: „Das ist nur ein Koffer.“ Sie meinte, dass mein heutiges Outfit nicht so ganz zu diesen heiligen Momenten passe. Ich sagte: „Ja, das Leben ist hart.“
Es ist oft interessant, woran wir uns aufhängen. Der trägt sein Bett am Sabbat – das ist verboten. Wie der sich anzieht, der kann ja nicht christlich sein. Und dabei hören wir gar nicht, worum es eigentlich geht.
Was mir extrem gefällt, steht im Vers 11: Er antwortete ihnen, dem Geheilten, den religiösen Pharisäern: „Der mich gesund gemacht hat, der sagte zu mir: ‚Nimm dein Bett auf und geh umher!‘“ Sie fragten ihn: „Wer ist der Mensch, der zu dir sagte: ‚Nimm dein Bett auf und geh umher‘?“ Der Geheilte aber wusste nicht, wer es war. Er hatte keine Ahnung, wer dieser Mensch war.
Weißt du was? Für mich ist das der schönste Name Jesu: „Der, der mich gesund gemacht hat.“ Ist das nicht ein herrlicher Name? Wenn du sagen kannst: „Weißt du was, meine Freunde, der, der mich gesund gemacht hat, mit dem bin ich unterwegs, und der hat mir das gesagt“, auch wenn du seinen Namen nicht kennst.
Das ist etwas Wunderbares in dieser Geschichte.
Abschlussgedanken: Die Frage Jesu an uns heute
Und darum die Frage an uns heute als Abschluss: Die Frage Jesu an uns – Willst du gesund werden?
Willst du gesund werden? Was möchtest du, dass gesund wird? Körper, Seele oder Geist?
Es ist gut, über diese Frage nachzudenken, sie zu bewegen und auch darüber zu sprechen. Fühlt euch frei, dies zu tun. Genau dazu soll eine Woche wie diese da sein.
Ich bete nur kurz: Lieber Vater, ich möchte dir danken für diese wunderbare Geschichte, in der du diesem Mann begegnet bist. Danke, Jesus, dass du auch uns heute fragst: Willst du gesund werden? An Geist, an Seele und auch an Leib.
Danke, Jesus, dass du heute derselbe bist. Du bist auch heute unser Arzt, du bist auch heute unser Retter. In dir ist kein Wandel.
Als solcher wollen wir dich lieben lernen, und wir wünschen uns, dass wir sagen können: Der, der uns gesund gemacht hat, hat uns gesandt.
Dafür bete ich im Namen unseres Herrn und Heilandes, Jesu Christi. Amen.