Einführung in das Thema Gebet und Sünde im Vaterunser
Gott wird Mensch – Leben und Lehre des Mannes, der Retter und Richter, Weg, Wahrheit und Leben ist.
Episode 224: Das Vaterunser, Teil sechs – „Fremde Sünde“
Gestern haben wir einen ersten Blick auf das Thema Sünde im Vaterunser geworfen. Das war womöglich kein leichter Einstieg. Gebet in seiner intelligenten Form ist tatsächlich etwas, das man lernen muss. Wenn die Jünger ihren Rabbi bitten: „Herr, lehre uns beten“, dann meinen sie genau das – bitte bring uns das Beten bei.
Es lohnt sich deshalb, Zeit darauf zu verwenden, um Anbetung als Bewunderung Gottes mit Worten zu verstehen, Fürbitte als Einsatz für das Reich Gottes in all seinen Facetten zu begreifen, Bitte als Ausdruck unserer Hingabe zu sehen und das Bekenntnis von Sünde als Akt der Selbstprüfung zu betrachten.
Wenn wir diese Dinge nicht einfach nur so machen, wie sie uns spontan in den Sinn kommen, sondern uns Zeit nehmen, um sie ein wenig zu planen, geben wir den einzelnen Aspekten unseres Gebets bewusst Struktur und Inhalt.
Jetzt sage ich das als ein Mensch, der von Natur aus eher organisiert unterwegs ist. Deshalb noch eine Ergänzung: Gebetslisten sind gut, aber es ist auch wichtig, dass wir offen bleiben für spontane Führungen des Heiligen Geistes.
Die Balance zwischen geplantem und spontanem Gebet
Lasst es mich an einem Beispiel erklären. Ich bin ein großer Verfechter von Eheabenden. Einmal in der Woche Zeit allein mit meiner Frau verbringen und unsere Ehe genießen – das gehört seit Jahrzehnten zu den guten Ritualen unseres Miteinanders.
Wir haben also einen Plan. Aber der Plan ist nicht alles; er ist nur Mittel zum Zweck. Der Eheabend dient dazu, uns aneinander zu binden und einen Raum für Bewunderung und Genuss zu schaffen.
Aber was, wenn wir merken, dass ein Abend nicht reicht? Wenn wir gerade dabei sind, uns aus den Augen zu verlieren? Bei uns ist daran meist die Arbeit schuld oder es sind Probleme in der Gemeinde. Was dann? Dann reicht es eben nicht, stoisch an dem Eheabend als Struktur festzuhalten. Dann braucht es mehr.
Und beim Gebet ist das ganz genau so. Gebet dient dazu, unsere Seele auf eine ganzheitliche Weise an Gott zu binden. Gebet ist das beziehungsstiftende Element eines geistlichen Lebens. Es ist gut, einen Eheabend – sprich ein tägliches Gebet – zu haben. Aber manchmal reicht das nicht. Dann brauchen wir mehr.
Ungeplant, spontan, bis wir satt sind an Gemeinschaft mit Gott. Wenn Sorgen, Ängste, Frust oder Hoffnungslosigkeit über uns hereinbrechen, wenn wir vor schwierigen Entscheidungen stehen, wenn das Leben so unfair ist, dass es wehtut – was dann? Dann brauchen wir auch Gebet, aber eben nicht den Plan. Sondern das andere, das Spontane, eine leidenschaftlich ungeplante Begegnung mit Gott.
Und der Punkt ist wichtig: Die beiden Dinge gehören zusammen – das Geplante und das Spontane, das tägliche Gebet und der Gebetsspaziergang, wenn mir alles zu viel wird. Die beiden Arten von Gebet gehören zusammen und bauen aufeinander auf.
Wer vor allem spontan betet, weil der äußere Druck ihn zwingt, dem fehlt die Ausgeglichenheit einer geordneten Beziehung zu Gott. Und wer nicht weiß, was es heißt, sich klagend und weinend Gott in die Arme zu werfen, dem fehlt der Trost einer Beziehung, die mitten im Leid ihre größten Triumphe feiert.
Die Bedeutung von Vergebung im Vaterunser
Aber kommen wir nach diesem kleinen Exkurs noch einmal zurück zum Thema Sünde.
In Matthäus 6,12.14-15 heißt es: „Und vergib uns unsere Schulden, wie auch wir unseren Schuldnern vergeben haben. Denn wenn ihr den Menschen ihre Vergehungen vergebt, so wird euer himmlischer Vater auch euch vergeben. Wenn ihr aber den Menschen nicht vergebt, so wird euer Vater eure Vergehungen auch nicht vergeben.“
Ebenso lesen wir in Lukas 11,4: „Und vergib uns unsere Sünden, dennoch wir selbst vergeben jedem, der uns schuldig ist.“
Wir stehen hier vor Texten, die uns wahrscheinlich nicht gefallen. Wie der Herr Jesus vor allem im Gleichnis vom unbarmherzigen Knecht in Matthäus 18 deutlich macht, ist Gottes Vergebung an eine Bedingung geknüpft.
Ganz grundsätzlich vergibt Gott nur solchen Menschen, die ihrerseits gerne vergeben. Wir können keine Christen sein, wenn wir den Menschen, die an uns schuldig geworden sind, nicht gerne vergeben.
Vergebung als Herzenshaltung ist absolut zentral für unsere Beziehung mit Gott.
Vier wichtige Aspekte der Vergebung
Vier wichtige Hinweise:
Erstens: Vergebung ist eine Entscheidung, kein Gefühl. Ich treffe die Entscheidung, Sünden zu vergeben. Vielleicht kommt irgendwann der Punkt, an dem sich die Vergebung auch gut anfühlt.
Zweitens: Vergebung muss nicht zur Wiederherstellung einer Beziehung führen. Ich kann einer Person vergeben und trotzdem den Kontakt zu ihr abbrechen. Das kann einfach daran liegen, dass diese Person böse ist und für mich oder meine Familie eine Gefahr darstellt.
Drittens: Vergebung kann ein Prozess sein. Dann vergebe ich heute und weiß, dass ich morgen wieder vergeben muss, weil ich emotional mit dem Thema einfach noch nicht durch bin. Vergebung als Prozess ist in Ordnung.
Viertens: Vergebung ist eine zutiefst egoistische Sache. Ich will den Groll loswerden, der mich zerfrisst. Ich will alleine darüber entscheiden, wann und worüber ich mich aufrege. Ich will Gottes Vergebung für meinen eigenen Blödsinn haben. Und ich will nicht, dass fremde Sünde mein Leben noch mehr schädigt, als sie das ohnehin schon getan hat.
Also: Vier ganz wichtige Punkte: Vergebung ist eine Entscheidung, Vergebung muss nicht zur Wiederherstellung einer Beziehung führen, Vergebung kann ein Prozess sein, und Vergebung ist zuerst einmal für mich.
Vergebung als gelebte Praxis im christlichen Leben
Aber noch einmal zurück zum Text: Ich habe gesagt, wir können keine Christen sein, wenn wir den Menschen, die an uns schuldig geworden sind, nicht gerne vergeben. Genau dieser Gedanke findet sich in unserem Text.
„Vergib uns unsere Schulden, wie auch wir unseren Schuldnern vergeben haben“, heißt es bei Matthäus. Wenn ihr genau lest, werdet ihr feststellen, dass hier jemand betet, der zurückblickt auf Vergebung, die er gewährt hat. Es heißt ja: „wie auch wir unseren Schuldnern vergeben haben.“
Bei Lukas heißt es: „Und vergib uns unsere Sünden, denn auch wir selbst vergeben jedem, der uns schuldig ist.“ Die Zeitform, die hier steht, das Präsens, bringt zum Ausdruck, dass wir das immer wieder tun – wir vergeben. Es ist Teil unseres ganz normalen Verhaltens.
Als Christen haben wir so viel an Vergebung erfahren, dass es uns leichtfallen sollte, jedem anderen Menschen das zu vergeben, was er uns angetan hat.
Wann und wie soll Vergebung geschehen?
Frage: Wann sollen wir vergeben? Mein Tipp: sofort. Spätestens jedoch, wenn ich bete und meine eigenen Sünden bekenne. Denn an dieser Stelle vergibt Gott mir nur, wenn ich selbst bereits vergeben habe. Ich brauche also nicht um die Vergebung meiner Sünden zu bitten, wenn ich selbst noch nicht vergeben habe.
Deshalb formuliert der Herr Jesus an anderer Stelle in Markus 11,25: „Und wenn ihr steht und betet, so vergebt, wenn ihr etwas gegen jemand habt, damit auch euer Vater, der in den Himmeln ist, euch eure Übertretungen vergibt.“
Frage: Muss ich nur vergeben, wenn der andere seine Sünde bereut? Tja, sagen wir mal, wenn er das tut, soll ich auf alle Fälle vergeben. Aber wenn du auf echte Reue wartest, bevor du vergibst, dann kannst du in den meisten Fällen sehr lange warten. Ich würde das nicht tun. Ich würde sofort vergeben, egal ob der andere es bereut oder nicht.
Ich würde mich an dem Vorbild eines Stephanus orientieren. Er wird gesteinigt, wir sind also ganz weit weg von Sündenerkenntnis oder Reue, und trotzdem heißt es bei ihm in Apostelgeschichte 7,60: „Und niederkniend rief er mit lauter Stimme: Herr, rechne ihnen diese Sünde nicht zu!“ Und als er dies gesagt hatte, entschlief er.
Das ist für mich echte Vergebung – wenn ich sogar Gott darum bitten kann, meinen Feinden den Mord an mir nicht anzurechnen.
Abschluss und praktische Anregung
Was könntest du jetzt tun? Du könntest ernsthaft darüber nachdenken, ob es Menschen gibt, denen du noch nicht vergeben hast. Mach dir eine Liste und vergib ihnen bitte.
Das war's für heute.
Betest du schon für verfolgte Christen weltweit? Falls nicht, lade dir doch die App von Open Doors Deutschland herunter. So kannst du dir jeden Tag ein Gebetsanliegen anzeigen lassen.
Der Herr segne dich. Erfahre seine Gnade und lebe in seinem Frieden. Amen.