Liebe Freunde, liebe Brüder und Schwestern,
die meiste Zeit meines Lebens liegt bereits hinter mir. Wenn jetzt kleine Wehwehchen auftreten, dann verkrampft sich bei mir alles. Die Frage stellt sich: Was kommt noch? Wie geht es mit mir weiter?
In solchen Momenten erinnere ich mich gern an einen meiner Seelsorger. Er sagte einmal zu mir: „Rolf, ich bin gespannt auf meinen Tod und darauf, was der Herr Jesus, der so viel in meinem Leben getan hat, dann noch mit mir tun wird.“
Ich möchte jetzt nicht zu viel von mir erzählen. Stattdessen soll die Bibel zu uns sprechen.
Die himmlische Heimat und die Verheißung der Verklärung
Über das Thema „Unsere Heimat ist im Himmel“ möchte ich Ihnen heute zwei Bibelworte nahebringen. Dieses Anliegen liegt mir auf der Seele.
Das erste Wort stammt aus Philipper 3,20: „Unsere Heimat ist im Himmel“, sagt der Apostel Paulus. Ich hoffe, dass dies für uns alle gilt. Unsere Heimat ist nicht bloß in Sachsen oder Württemberg, sondern im Himmel. Von dort erwarten wir – und nun kommt Paulus auf das Entscheidende zu, was den Himmel prägt – unseren Herrn Jesus Christus.
Er wird unseren vergänglichen Leib verklären, sodass er seinem verklärten Leib gleich werde, und das geschieht nach der Wirkung der Kraft, mit der er alle Dinge sich untertan machen kann. Also: Unsere Heimat ist im Himmel.
Da Paulus im gleichen Atemzug Jesus nennt, möchte ich ein Wort des Herrn Jesus hinzufügen. Es stammt aus Johannes 17, dem hohenpriesterlichen Gebet, ein heiliges Wort: „Vater, ich will, dass, wo ich bin, auch die bei mir seien, die du mir gegeben hast, auf dass sie meine Herrlichkeit sehen.“
Das heilige Wollen Jesu und seine vier Zusagen
Zuerst möchte ich betonen, dass Jesus ein heiliges Wollen hat. Er hat nicht nur zum Vater gesagt, als er in unsere durcheinandergeratene Welt gesandt wurde: „Ja, ich will“. Sondern er hat auch diese Bitte an den Vater gerichtet: „Vater, ich will, dass alle, die du mir gegeben hast, bei mir sind.“
Ich möchte Ihnen vier Worte „Ich will“ wichtig machen, mit denen Sie heute nach Hause gehen sollen.
Das erste „Ich will“-Wort: „Wenn ich erhöht werde von der Erde, so will ich einige von euch, nein, alle, zu mir ziehen.“ Das verbindet uns heute, denn der Herr Jesus hat gesagt: „Ich will euch alle zu mir ziehen.“
Das zweite „Ich will“-Wort: „Ich will wiederkommen und will euch zu mir nehmen, damit ihr seid, wo ich bin.“ Merken Sie sich diese Worte aus dem Schlusskapitel des Johannesevangeliums.
Das dritte „Ich will“-Wort: „Ich will euch wiedersehen!“ Für viele Hundert Christen scheint das Wichtigste zu sein, im Sterben und bei Trauerfeiern zu feiern, dass wir unsere Angehörigen wiedersehen. Das ist ein natürlicher Wunsch, aber der Herr Jesus überhöht ihn weit. Er sagt: „Ich will euch wiedersehen.“ Das wird allein Herrlichkeit sein, wenn ich frei von Weh sein werde und sein Angesicht sehe. Wenn er mir sagt: „Mein Sohn, meine Tochter, endlich bei mir, ganz bei mir!“
Das große Wort, mit dem ich eingeleitet habe, lautet: „Vater, ich will, dass die, die du mir gegeben hast, wo ich bin, auch bei mir sind, damit sie meine Herrlichkeit sehen.“ Nehmen Sie das mit: Das will der Heiland. Nicht wir wollen in den Himmel kommen, hoffentlich auch. Aber es geht darum, dass der Herr und Heiland Jesus Christus gesagt hat: „Vater, ich will, dass die du mir gegeben hast, bei mir sind.“ Das ist die zweite Unterstreichung.
Das Bild des Gebens und die Bedeutung der persönlichen Hingabe
Es hat sich allmählich bei uns, bei unseren Trauungen eingebürgert – wahrscheinlich auch bei Ihnen –, dass wir die englische und amerikanische Sitte übernommen haben, wie wir sie oft in Fernsehfilmen sehen. Dabei wird die Braut vom Bräutigamsvater durch den langen Kirchgang hereingeführt und dann dem Bräutigam übergeben.
In einem richtigen Verlöbnis ist es ja so, dass der Vater stolz ist, wenn er seine geliebte Tochter einem jungen Mann geben kann, dem er zutraut: „Bei dem ist meine Tochter gut aufgehoben.“ Für mich ist das der Inbegriff, das schönste Bild des Gebens. So sagt der Herr Jesus: „Vater, du hast mir Menschen gegeben.“
All die Mühe, die Gott sich gemacht hat um unser Volk und unser Land, zielt eigentlich darauf ab, dass unser Volk – das Volk der Reformation – dem Herrn Jesus gegeben worden ist. Unser Volk sollte durch die Entdeckung Martin Luthers begreifen, wie wir vorher gesungen haben: „Ist nichts getan, sind wir gar bald verloren. Es streitet für uns der rechte Mann, den Gott selbst hat ergoten. Fragst du, wer der ist? Er heißt Jesus Christ.“
Jetzt leben wir als deutsches Volk in einer Zeit, in der wir meinen, wir könnten politisch und wirtschaftlich alles schaffen. Wir glauben, wir können die Energiewende schaffen, mit unserer Macht schaffen wir es. Und doch müssten wir eigentlich auf Schritt und Tritt, bis hinein in das persönliche Leben, erkennen: Mit unserer Macht ist nichts getan.
Wir sind einst als Volk der Reformation dem Herrn Jesus gegeben worden und sehen mit Erschütterung, was daraus geworden ist: dass viele das gar nicht haben wollen. So fromm wollen sie es gar nicht haben. Deshalb ist es wichtig, dass wir uns das heute ganz persönlich festklopfen lassen: Ich möchte dem Herrn Jesus gegeben sein, bleibend.
Die Herausforderung der wahren Zugehörigkeit zum Herrn Jesus
Ins Reich Gottes marschiert man nicht in sechs Reihen ein, noch nicht einmal als Leute, die den Herrn Jesus anrufen. Jesus hat es klar gesagt: Nicht alle, die zu mir „Herr“ sagen, werden in den Himmel kommen. Das Himmelreich ist mehr als das.
Nicht alle, die Mitgliedschaft in der Kirche haben, sind automatisch dabei. Vielleicht sind manche hier, die heute erwarten, dass wir einen gewissen Fusstritt gegen Kirche und Kirchenleitungen geben. Ich habe dankbar Jahrzehntelang in der Landeskirche gearbeitet. Dabei war ich froh, dass mir die Freiheit gegeben wurde, Menschen zu Jesus zu rufen.
Später habe ich noch sechs Jahre in der Kirchenleitung mitgewirkt und in Synoden zwanzig Jahre lang. Dabei habe ich oft darunter gelitten, dass die Kirche so oft den Gesetzen dieser Welt folgt. Die Gesetze dieser Welt lauten: Wenn du den Chef nicht achtest, fliegst du raus. Das ist ein Gesetz dieser Welt.
Wissen Sie, wie es bei Jesus heißt? Wer ein Wort gegen den Menschensohn – also gegen Jesus selbst – redet, dem wird es vergeben. Welche Großzügigkeit zeigt Jesus da, welche Gewichtung fürs Wertvolle: Vergebung! Ich wünschte oft, dass unsere Kirchen etwas davon abgefärbt hätten, auch die Institution der Kirche. Aber lassen wir das jetzt als Thema.
Wichtig ist: „Vater, ich will, dass, wo ich bin, auch die bei mir seien, die du mir gegeben hast, damit sie meine Herrlichkeit sehen.“ Das ist das Kernwort des Evangeliums. Es geht nicht nur um Sympathie für Jesus oder Interesse an Jesus, sondern darum, dass sie bei mir sind.
Stellen Sie sich mal diesen Augenblick vor: Wir können es mit unseren kühnen Träumen gar nicht ermessen, dass der Herr Jesus, wenn wir vor Gott unsere ganze Unwürdigkeit spüren, uns in den Arm nimmt und sagt: „Bei mir, du gehörst zu mir.“
Das ist das Ziel unseres Glaubens, das Ziel der Seelenseligkeit: bei ihm zu sein.
Die Sehnsucht nach Gemeinschaft und das Versprechen der Herrlichkeit
Auf dass Sie meine Herrlichkeit sehen.
Meine Mutter konnte oft zu uns sechs Kindern sagen: Es ist lieb, wenn ihr uns am Telefon anruft, wenn ihr mir lange Briefe schreibt und über euer Gehen berichtet. Aber ich möchte euch sehen. Das war kein Ausdruck eines egoistischen Glücksstrebens, etwa: Ich möchte meine Kinder bei mir behalten. Vielmehr war es ein Ausdruck einer ganz tiefen Verbundenheit: Ich möchte euch sehen.
Es ist ja schon peinlich, wenn wir bei Menschen erleben, dass sie uns nicht unbedingt sehen wollen. Als ich junger Pfarrer am Ulmer Münster wurde, dachte ich, es gehöre zum Anstandsbesuch, auch den Herrn Oberbürgermeister kurz zu besuchen. Deshalb schrieb ich einen Brief und bat um fünf Minuten, um mich vorstellen zu können – immerhin als Pfarrer am Ulmer Münster. Wie stolz war ich!
Doch der Herr Oberbürgermeister ließ mich durch seine 14-jährige Tochter wissen, dass es nicht nötig sei. Im Grunde genommen stand das doch schon drin. Ich habe doch keine Zeit, mich mit einem kleinen Popen abzugeben. Das hat mich tief verletzt. Es tut weh, wenn wir spüren, dass Menschen uns eigentlich nicht sehen wollen, dass sie keinen Wert auf uns legen.
Und Herr Jesus sagt: Ich will euch wiedersehen, ich will euch wiedersehen. Das wird einmal Herrlichkeit sein. Aber es ist doch schon jetzt groß, wenn wir Jesus im Gebet anrufen können. Unser Glaube ist im Kern ein Gebetsglaube: Alle, die den Herrn Jesus als Herrn anrufen, sagen nicht bloß „Gott“, sondern „Jesus, unser Herr“.
Doch das wird noch einmal etwas ganz anderes sein, wenn wir ihn sehen werden, wie er ist (1. Johannes 3,2). Es ist schon jetzt zum Staunen, wie Jesus Gebete erhören kann, wie es mitten in Schmerzen Linderung gibt, wie es mitten in Todesangst plötzlich Stille im Sturm wird, wenn wir den Namen Jesus anrufen.
Aber das wird noch einmal etwas ganz anderes sein, wenn Gott abwischen wird alle Tränen vor unseren Augen, bis der Tod nicht mehr sein wird, auch kein Leid, Geschrei oder Schmerz, denn das Erste ist vergangen (Offenbarung 21,4).
Die Verheißung der neuen Erde und das Leben im Reich Gottes
Es ist schon jetzt beeindruckend, wenn uns in der Bibel – hoffentlich geht es Ihnen auch so – manchmal plötzlich Durchblicke geschenkt werden. Dann tun sich plötzlich neue Flächen auf, und wir können etwas erkennen.
Doch das wird noch einmal etwas ganz anderes sein. Es wird der Himmel sein, wenn wahr wird, was der Herr Jesus an jenem Tag gesagt hat: Ihr werdet mich nichts mehr fragen müssen, auch wenn alle Fragen zur Bibel plötzlich klar sind.
Schon jetzt ist es groß, wenn uns zugesagt wird – und darin besteht ja unsere Glaubensgewissheit: Meine Tochter, mein Sohn, dir sind die Sünden vergeben. Das sind heilige Augenblicke, besonders wenn wir als Seelsorgerinnen und Seelsorger das den Menschen zusprechen dürfen. Dafür ist auch Jesus gestorben: für die Vergebung.
Aber das wird noch einmal etwas anderes sein, wenn selbst die kleinste Narbe in unserem Gewissen weg sein wird. Wenn es keine Versuchung mehr geben wird, zu Lieblingssünden und Lieblingspannen zurückzukehren. Wenn wir neu geschaffen sein werden, bis ins Innerste hinein, sodass nicht mehr aus unserem Herzen die bösen Gedanken kommen – die Sorge, der Neid und der Zorn unserer neuen Natur im Herrn.
Der Himmel ist schon jetzt groß, wenn Gott unsere Erde mit all der Auflehnung gegen ihn in Geduld trägt, damit Menschen sich noch bekehren können. Doch das wird noch einmal etwas ganz anderes sein, wenn Gott die neue Erde schaffen wird, voll Gerechtigkeit – nach der sich doch die Menschen sehnen.
Es ist schon groß, wenn wir hier mitwirken dürfen als schwache Menschen und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Oh, ihr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, das war lange vor meiner hauptamtlichen Tätigkeit die Würde meines Lebens: gebraucht zu werden bei Großveranstaltungen, bei kleinen Einladungen und in der Kirchengemeinde als Mitarbeiter.
Aber das wird noch einmal etwas ganz anderes sein, wenn wir einmal vor dem Thron Gottes stehen und erleben, wie es in der Bibel heißt: Seine Knechte und Mägde werden ihm dienen – nicht nur 36 Stunden in der Woche, nein, Tag und Nacht. Wir werden gar nicht mehr aufhören wollen, ihm zu dienen in seinem neuen Reich.
Ach, dieser Herrlichkeit geht es entgegen – dieser Heimat, die uns der Herr Jesus bereitet hat. Als er dem Vater sagte: Vater, ich will, ich will, dass die bei mir seien, die du mir gegeben hast.
Also nehmen Sie das bitte mit: Jesus sagt, ich will Menschen, die du mir gegeben hast, dass sie bei mir seien.
Die Gefahr der Ablenkung und die Notwendigkeit des Festhaltens an Jesus
Aber nun ist es wichtig, dass wir uns das wirklich fest einprägen und von heute an mitnehmen. Es gibt so vieles, was uns abziehen kann. Jesus sagt, die Sorgen dieses Lebens, der betrügerische Reichtum und die Leiden können uns von ihm abziehen.
Heute ist die Christenheit besonders in Gefahr. Wir sollten wissen, dass falsche Parolen ausgegeben werden, die uns von Jesus abziehen wollen und können. Unsere Zeit ist durchdrungen davon. Wie wir zuvor im Interview angesprochen haben, heißt es oft, wir dürften nicht nur nach dem Himmel streben, nach unserer persönlichen Seligkeit. Vielmehr gehe es vor allem darum, die Welt mitzugestalten und nützliche Mitbürger zu sein.
Mitten im Aufbruch der Reformation erkannte Martin Luther, dass die mittelalterliche katholische Kirche die Welt gestalten wollte. Der Papst wollte mit dem Kaiser konkurrieren, und die Welt, die durch die Entdeckungen von Kolumbus größer geworden war, sollte mitgestaltet werden. Bei den ersten Schiffen von Kolumbus waren Priester und Missionare mit an Bord. Man wollte die Welt gestalten.
Doch Martin Luther gab die Losung aus, die heute noch in unseren Chorälen laut erklingt: „Dass wir an dir bleiben, dem treuen Heiland, dass wir an dir bleiben, dem treuen Heiland.“ Es ist keineswegs selbstverständlich, dass wir bei Jesus bleiben. Es ist gut, sich täglich zum Gebet zu machen: „Herr, lass mich an dir bleiben!“
Unsere Großmutter hat uns einst, 44 Enkeln, das Gebet beigebracht: „Herr, lass mich an dir kleben wie eine Klette am Kleid.“ Eine Klette, die man nicht einfach abschütteln kann. So möchte ich an dir kleben, Herr Jesus, lass mich an dir bleiben!
Keine Sorge, dass damit unsere Verantwortung für die Welt nebensächlich wird. Ich darf seit 17 Jahren in Korntal wohnen, einem Vorort von Stuttgart. Diese Gemeinde wurde 1819 von Menschen gegründet, die brennend auf den Herrn Jesus warteten. Noch heute steht an der Stirnseite unseres Betsaales: „Siehe, ich komme bald, ja komme, Herr Jesus!“
Doch in dieser Gemeinde war man nicht weltvergessen. Von Anfang an baute man Heime und Auffangstationen für Straßenkinder der nachnapoleonischen Zeit. Die ersten Altenheime für Knechte und Mägde entstanden. So begann es damals. Es gab Stationen für Witwen, die schlecht versorgt waren. Eine der ersten Dampfmaschinen in Württemberg stand in Korntal, denn man wollte Arbeitsplätze schaffen – auch für Frauen und Männer.
Es wurde der christlich-soziale Volksdienst als evangelische Partei gegründet, weil man in die Parteienwelt der Weimarer Republik hinein etwas vom Evangelium bewirken wollte. Weltvergessen ist man also nicht, wenn man auf den Herrn Jesus wartet.
Leben im Glauben zwischen Erwartung und Verantwortung
Der Gründer von Korntal, Gottliebe Wilhelm Hoffmann, gab die Parole aus: „Wir warten, beten und bereiten uns, als ob der Herr Jesus morgen käme. Gleichzeitig pflanzen und wirken wir auf Erden, als ob es noch tausend Jahre weitergeht.“
Gerade wenn wir auf Jesus warten, soll er uns bei der Arbeit finden – auch in der Nachbarschaft. So entdecken wir Menschen, die unsere Hilfe brauchen, und gestalten mit, betend und mitverantwortlich in unserer Welt. Dabei dürfen wir die Welt nicht vergessen.
Ich selbst komme aus einer Familie mit sechs Geschwistern. Drei von ihnen wurden Pfarrer. Mein Vater war Beamter und Abteilungsleiter im Kultusministerium. Manchmal sagte er besorgt: Es müssen doch auch ganz normale Christen in weltlichen Berufen tätig sein, nicht nur Pfarrer und kirchliche Dienste.
Nach 1945 war er fasziniert davon, am Wiederaufbau des Berufsschulwesens, der Fachhochschulen und Ingenieurschulen mitwirken zu können. Noch im Sterben sprach er von großen Bildungsplänen.
Er ließ sich von mir eine Spruchkarte in Kunstschrift malen, die er auf seinem Schreibtisch in Augenhöhe hatte, damit er sie täglich sah – neben seinen Aktenstapeln, die er bis tief in die Nacht bearbeitete. Auf dieser Spruchkarte stand:
„Mach mir stets süß deinen Himmel
und schnöde diese bittere Welt,
gib das mir in dem Weltgetümmel,
die Ewigkeit sei vorgestellt.“
Das war ihm, der von der Gestaltung der Welt fasziniert war und sich nicht zurückzog, sehr wichtig. Er wollte den Blick nicht verlieren und sagte: „Ach, Herr Jesus, du hast viel Größeres vor, deine vollkommene Welt. Dorthin darf ich berufen sein. Deshalb gibst du dich auch zufrieden mit dem Stückwerk, das ich gerade fertigkriege.“
Nein, Welt vergessen macht das nicht. Wir dürfen uns auch vor der Gefahr hüten, die Welt zu vergessen. Noch mehr aber müssen wir uns davor hüten, dass wir im Betrieb der Welt – von dem die Zeitung berichtet und das Fernsehen uns rund um die Uhr zeigt – so gefangen sind, dass wir innerlich vergessen:
Mein kurzes Leben ist nur eine Vorstufe, eine Vorbereitung auf das, was der Herr Jesus mir bei sich im Himmel gewähren will.
Die Bedeutung der Kirche und das Festhalten am Evangelium
Philipp Jakob Spener, der sächsische Oberhofprediger, hat zu Beginn des Pietismus betont, wie schlimm es ist, wenn die Kirche ihr eigentliches Herz verliert. Schlimmer als Kriege, Pest und Hunger sei dies.
Wir in Württemberg hatten das Vorrecht, dass der sächsische Bischof Hugo Hahn, nachdem er aus dem Landeskirchenamt um seines Glaubens willen vertrieben worden war, bei uns Heimat gefunden hat. Die Geschichte lebt von Wiederholungen: Er war zufrieden, als kleiner Gemeindepfarrer in Württemberg zu dienen.
Dieser sogenannte „Irrbischof“ Hugo Hahn hielt im Jahr 1951 eine unvergessene Bibelarbeit bei einem Gemeindebibeltag in Mannheim. Er sagte dort: Die Welt um uns herum wartet nicht auf die Ratschläge, die wir als Kirche geben. Sie sehnt sich vielmehr nach einer vollmächtigen Kirche, die nur das sagt, was sie allein sagen kann.
Der Grund für die Vollmachtslosigkeit der Kirche, so Hugo Hahn 1951, ist, dass sie das Entscheidende vergisst. Sie wird verweltlicht, verkürzt das Evangelium und verleugnet die Wahrheit. Der sächsische Bischof erklärte, dass die Kirche sich der Welt angleichen will, indem sie das übernimmt, was die Welt sagt. Das sei jedoch bei uns üblich: Man meint, das sei Nächstenliebe, das sei wichtig, und die Kirche müsse mitziehen.
Stattdessen müsse die Kirche sagen: Wir haben bei dem Herrn Jesus gelernt, wir wollen bei ihm bleiben und bei seinen Worten. „Was du empfangen hast, das behalte“, hat der Apostel Paulus seinem Schüler Timotheus gesagt (2. Timotheus 1,14). Jesus will doch, dass das, was er uns anvertraut hat, zum Ziel geführt wird.
Die Erfahrung der Bekehrung und die tiefe Erkenntnis Jesu
Vielleicht haben Sie schon gehört, dass es in Württemberg den Seelsorger Johann Christoph Blumhardt gab. Von ihm wird oft erzählt, dass er Dämonen austreiben und Kranke heilen konnte. Er selbst schrieb jedoch, dass das alles nur nebenbei geschah und nicht die Hauptsache war.
Die Hauptsache war, dass er in Möttlingen und Bad Boll erlebt hat, wie Menschen sich dem Herrn Jesus zuwandten. Man nannte das Bekehrung – die richtige Wende zu Jesus. Das war das Entscheidende.
Einmal, als er schon siebzig Jahre alt war, bat ihn ein Verehrer, ihm ein Foto zu schicken. Blumhardt schickte ein Foto von sich, das, wie bei mir, keine Schönheit zeigte. Darunter schrieb er: „Ein Schauer tiefster Heiligkeit durchströmt mich, so oft ich den Namen Jesus schreibe. Was ich an ihm, an Jesus habe, weiß ich erst jetzt recht – erst recht als Siebzigjähriger. Nicht in Möttlingen, als die Heilungen geschahen, nicht in Bad Boll, als die viele Seelsorge stattfand, sondern jetzt im Alter habe ich erst begriffen, was ich an Jesus habe.“
Und erst recht wird es uns, ach liebe Schwestern und Brüder, hoffentlich einmal so ergehen. Dann werden wir in der Ewigkeit sehen, was wir an Jesus haben und dass wir zu ihm gehören durften. Erst jetzt begreife ich, was ich an Jesus habe.
Unser Leben reicht doch gar nicht aus – auch wenn es lang ist –, um zu begreifen, was wir an Jesus haben: dem Erbarmer, dem Heiland, dem Gerechtmacher, dem Fürsten des Lebens, dem Hohen Priester. Sagen Sie nicht immer nur „Herr Jesus“. Entdecken Sie einmal die vielen Begriffe, die die Bibel für ihn verwendet. Was Jesus alles für uns tut: rettend, erbarmend, heilmachend, gerechtmachend. Und was er für uns tun wird. Die Ewigkeit brauchen wir, um das zu erfassen.
Der Apostel Paulus hat im Eingangskapitel des Kolosserbriefs geschrieben: Was die Güte des Herrn ist, das werden wir erst begreifen, wenn wir einmal vor ihm stehen, vor das Angesicht seiner Heiligkeit. Denn wir sind zum Himmel berufen, so wie Jesus zum Himmel, zur Gegenwart Gottes, berufen ist. Dort werden wir begreifen, wenn er uns neben sich haben will.
Gerhard Terstegen hat den Wunsch geäußert, dass durch diese Weltzeit hindurch, durch die Jahre unseres Lebens, gilt: „Welt, du bist uns zu klein. Wir gehen durch Jesuleiten hin in die Ewigkeiten. Es sollen nur Jesus sein.“ Amen.
Persönliche Erlebnisse und die Gewissheit der himmlischen Heimat
Jetzt haben wir gemerkt, dass wir noch ein bisschen Zeit haben. So eine Chance lassen wir uns nicht entgehen. Wir kommen noch früh genug in die Mittagspause als Nachgang zur Bibelarbeit.
Soll Bruder Steffboch noch einmal Gelegenheit bekommen, ihm etwas zu sagen? Wir haben ihn ja nur heute bei uns, und dann ist er wieder im Ländle, wo es auch sehr schön ist. Er hat gerade gesagt, er kann ja noch etwas erzählen – eine Begebenheit, die uns Mut macht, auch für diesen Tag. Ich bin gespannt.
Diese Bibelarbeit ist in einer besonderen Situation entstanden. Ich habe mich jahrelang um einen schwer kranken Menschen bemüht, der an Knochenkrebs litt und so religiös war, wie viele heute sind. Wie gesagt, alle Wege führen irgendwo zu Gott, zu dem Unnennbaren – sei es Hinduismus, Buddhismus, jeder geht seinen Weg, auch die Christen. Es ist wie bei einer Pyramide: Wenn wir oben ankommen, dann werden wir alle dem einen Gott begegnen.
Ich habe natürlich als Theologe immer meine Argumente eingebracht, und das sei nicht so. Jesus hat gesagt: Ich bin der Sohn Gottes, die Wahrheit. Es schien alles abzulaufen, aber die Krankheit nahm immer mehr zu.
Als ich den letzten Besuch machte, empfing mich der Schwerkranke – er konnte nicht mehr liegen vor furchtbaren Schmerzen, aber mit strahlenden Augen. Er sagte: „Der Herr Jesus hat nach mir gegriffen, ich gehöre dem Herrn Christus.“ Da war ich erstaunt und fragte mich, wie das kam.
Er antwortete: „Unsere Pflegerin von der Nachbarschaftshilfe hat mir das Buch gegeben: Wilhelm Busch, ‚Jesus unser Schicksal‘, ein altes Buch. Ulrich Parzany hat neulich gesagt, das war schon überholt, als es geschrieben wurde. Aber bei der Frau hat es eingeschlagen wie heute bei vielen Menschen. Es ist eine Botschaft für unsere Tage.“
Die Pflegerin, die ihr das Buch gegeben hat, fragte: „Wenn das so Eindruck macht, wollen Sie dem Herrn Jesus gehören?“ Die Schwerkranke sagte: „Ja.“ Dann haben sie miteinander das Übergabegebet gebetet, das wir bei Pro Christ beten: „Herr Jesus, ich will dir gehören.“
Diese Freude – ich gehöre doch nicht der Krankheit, ich gehöre nicht den Ärzten, ich gehöre nicht meinem Überlebenswillen, sondern ich gehöre dem Herrn Jesus. So ist sie in den Tod hineingegangen, und ich darf am nächsten Montag die Beerdigung halten.
Im Erleben dieser Begegnung, dieser Begleitung, ist die Bibelarbeit entstanden: Unsere Heimat ist im Himmel. Das ist für mich noch einmal ganz neu und wesentlich geworden. Das ist doch die Wahrheit! Unser Leben ist nicht zu Ende. Es geht nicht, wie selbst der Gottesleugner Rousseau gesagt hat, irgendwie weiter, sondern wer dem Herrn Jesus gehört, wer dem Herrn Jesus gegeben ist, der darf gespannt erwarten.
So wie es mein Seelsorger gesagt hat: „Rolf, ich bin gespannt auf mein Sterben, was der Jesus, der so viel in meinem Leben getan hat, erst noch tun will.“ Mir ist klar geworden, liebe Schwestern und Brüder, es sind mehr Menschen, als wir ahnen, ganz dicht davor, dass sie als Leute Jesus sagen: „Darf ich nicht mit dir beten, Jesus, ich will dir gehören, gehören?“