Herr Präsident! Vielen Dank für den warmen und freundlichen Empfang!
Bill Clinton hat einmal gesagt: „I believe in a God of second chances“ – ich glaube an einen Gott der zweiten Chance. Ich habe hier eine zweite Chance bekommen.
Letztes Jahr lag ich mit Grippe im Bett. Es ging mir richtig elend und schlecht. Am Himmelfahrtmorgen dachte ich: „Oh, oh, oh, jetzt geht es dem Ulrich aber auch nicht gut.“ Doch Gott hat mir eine zweite Chance gegeben.
Jetzt, ein Jahr später, freue ich mich sehr, diesen Tag hier mit Ihnen begehen zu können.
Die Liebe Gottes als Grundlage des Durchtragens
Wir haben heute Morgen ein großes Thema: Gott trägt durch, weil es seine Gemeinde ist.
Mein Vater gehört noch zu den Menschen, die mittlerweile geschichtlich berühmt geworden sind. Sie mussten im eiskalten Januar 1945 diese fürchterliche Flucht aus West- und Ostpreußen mitmachen. Sie mussten vor der herannahenden Roten Armee fliehen – mit diesen berühmten Wagentrecks, Pferde vorne dran, Wagen hinten dran. Dann mussten sie sich über Feld, Wald und Wiesen irgendwie durchschlagen, quer durch Polen, durch diese ganzen Landschaften, bis sie in den rettenden Westen gelangten.
Er erzählte, wie man diesen Wagen gepackt hat. Wenn man fliehen muss und nur Platz auf einem Pferdewagen hat, dann muss man ganz genau überlegen, was man mitnimmt. Da müssen harte Entscheidungen getroffen werden, was man auf so einen Wagen draufpackt. Natürlich kommt das, was man unbedingt zum Überleben braucht, aufs Wagen. Das Allerwichtigste wird mitgenommen. Vielleicht konnte man auch eine Sache mitnehmen, die man nicht unbedingt brauchte, aber die man liebte. Ein Kleinod, vielleicht ein Bild, vielleicht sogar ein Porzellanservice. Mehr konnte man nicht mitnehmen.
Aber das, was man am meisten liebte, das versuchte man durchzubringen. Und das sind dann die Dinge, die diese Generation bis heute behalten hat. Was man damals auf dieser Flucht durchgebracht hat, das hat man nie, nie weggeschmissen. Auch wenn es irgendwann kitschig war, auch wenn es irgendwann vielleicht nicht mehr ausstellbar war, was man auf diesem Wagentreck mitgenommen hat, das war einem ein Leben lang bis zum letzten Tag wertvoll und teuer.
Es ist dieser Zusammenhang, auf den es ankommt: Gott trägt durch. Und wenn wir von seiner Gemeinde reden, dann gilt genau dieser Zusammenhang: Was man liebt, das trägt man durch, dafür steht man ein, dafür kämpft man. Das gibt man nie wieder her!
Deshalb ist der erste Punkt, über den ich reden will, die Liebe Gottes zu seiner Gemeinde. Gott trägt seine Gemeinde durch, weil er sie liebt.
Am Beginn der Gemeinde Jesu Christi, am Beginn des Volkes Gottes in dieser Welt, steht immer eine Entscheidung Gottes. Gott hat sich entschieden, diese Gemeinde zu lieben. Und zwar nicht, weil wir so tolle Menschen wären, weil wir die besten Charaktere der Welt wären, nicht, weil wir die erhabensten Kompetenzen dieser Welt hätten. Nein, sondern weil er sich dazu entschieden hat, uns zu lieben. Weil er sich entschieden hat, uns zu erwählen, uns herauszurufen und zu seinem Eigentum, zu seinem Volk, zu einer königlichen Priesterschaft, seiner Herde zu machen.
Weil er diese Entscheidung getroffen hat, deshalb liebt er uns. Weil er sich entschieden hat, weil er uns liebt, weil er uns in seiner Nähe haben will, deshalb trägt er uns auch durch.
Das wird schon im Alten Testament in der Erwählung Israels deutlich. Da heißt es im fünften Buch Mose, Kapitel 7, in diesem berühmten Vers: „Nicht hat euch der Herr angenommen und euch erwählt, weil ihr größer wärt als alle Völker.“ Das wäre ja dieses Qualitätsargument: Man nimmt das Beste und schnappt sich das Tollste und schmückt sich vielleicht auch mit der höchsten Qualität.
Nein, „nicht weil ihr das größte aller Völker wärt, du bist das kleinste unter allen Völkern“, sagt Gott, „sondern weil er euch geliebt hat und damit er seinen Eid hielte, den er euren Vätern geschworen hat.“
Es sind nie die äußeren Qualitäten, die Gottes Wahl auszeichnen, sondern immer seine Liebe. Gott liebt uns nicht, weil wir liebenswert wären. Sondern wir sind liebenswert, weil er uns liebt. Das ist die Verbindung.
Beim Propheten Jesaja lesen wir von diesen atemberaubenden Versen über die Verbindung von der Liebe Gottes und seinem Hindurchtragen:
„Wenn du durch Wasser gehst, will ich bei dir sein, dass die Ströme dich nicht ersäufen. Und wenn du durch Feuer gehst, sollst du nicht brennen, und die Flamme soll dich nicht versengen, denn ich bin der Herr, dein Gott. Der Heilige Israel ist dein Heiland, ich habe Ägypten für dich als Lösegeld gegeben, Kusch und Seba in deiner Stadt.“
Und jetzt kommt die Begründung: Warum macht Gott das alles? „Weil du in meinen Augen so wertgeachtet bist und auch herrlich bist und weil ich dich lieb habe.“
Deshalb – nicht weil Israel so toll wäre, nicht weil die Gemeinde so herausragend qualifiziert wäre, sondern weil er uns liebt. Und diese Liebe scheut keine Opfer. Sie scheut keine Mühen, um das zu retten, was man liebt.
In dieser Linie liegt es dann, dass der Seher der Offenbarung des Johannes in Kapitel 21 von der Gemeinde als der geschmückten Braut Gottes spricht. Da sagt dieser Johannes: „Ich sah die Gemeinde, dieses himmlische Jerusalem, wie eine geschmückte Braut herabkommen aus dem Himmel.“
Gott hat eine Leidenschaft für seine Gemeinde, wie ein Bräutigam für seine Braut. Und auch hier ist es wieder diese Entscheidung Gottes, uns zu lieben, die die Grundlage bildet.
Gottes Leidenschaft für seine Braut wurzelt in seiner Liebe, nicht in der Schönheit dieser Braut. Gott ist vernarrt in diese Braut, nicht weil sie so toll wäre, nicht weil sie so schön wäre, so treu, so charmant, sondern weil er sie liebt, weil er sie erwählt hat, weil er sich für sie entschieden hat.
Deshalb ist das eine tolle Braut, diese Gemeinde. Die Gemeinde ist so etwas wie die First Lady Gottes.
Sie kennen das bei den Staatsbesuchen aus dem Fernsehen, wenn die G8-Chefs oder die G20-Chefs sich treffen. Da wird dann immer auch ein pompöses Rahmenprogramm für die Gattinnen und gelegentlich auch für die Gatten veranstaltet von diesen Regierungs- und Staatschefs.
Man tut das ja nicht, weil diese Gattinnen und Gatten so herausragende Leistungen in Politik, Wissenschaft oder Kultur vollbracht hätten, sondern man tut das nur, weil sie geliebt werden von den wichtigsten Personen eines Staates. Nehmen wir an, dass es so ist. Aber deshalb tut man das für diese Gattinnen.
Die Gemeinde Gottes ist jedenfalls die First Lady Gottes. Und da können wir hundertprozentig sicher sein, dass es die Liebe Gottes ist, die uns auszeichnet, die uns heraushebt, die uns adelt und die uns auch durchträgt.
Gott liebt seine Gemeinde nicht, weil sie schön ist, sondern sie ist schön, weil er sie liebt. Es ist die Liebe Gottes, die eine Gemeinde attraktiv macht.
Die veränderte Wahrnehmung der Gemeinde durch Gottes Liebe
Es ist für mich sehr interessant, dass es immer wieder Menschen gibt, die die hineingeliebte Schönheit der Gemeinde auch wahrnehmen. Oft sind wir es, die verlernt haben, diese Schönheit zu erkennen.
Vor drei Jahren, im Jahr 2008, schrieb der britische Journalist und bekennende Atheist Matthew Parris einen bemerkenswerten Artikel in der London Times. Er selbst war in Afrika aufgewachsen, hatte sich intensiv mit den Problemen dieses Kontinents auseinandergesetzt und besuchte nach vielen Jahren erneut Schwarzafrika. Dort besichtigte er verschiedene Projekte, die aufgebaut wurden, und hatte Begegnungen mit den unterschiedlichsten Menschen.
Aus den Erfahrungen seines Afrikabesuchs entstand ein bewegender Artikel mit der vielsagenden Überschrift: „Als ein Atheist glaube ich wirklich, dass Afrika Gott braucht“ (Matthew Parris, 2008). Er beschreibt darin, wie überwältigt er vom enormen Beitrag christlicher Mission in Afrika war. Diese unterscheidet sich stark von der Arbeit säkularer NGOs (Non-Government Organizations) oder von Regierungsprojekten.
Der Atheist Matthew Parris schreibt in diesem Artikel: „In Afrika verändert der christliche Glaube die Herzen der Menschen. Er bringt eine geistliche Veränderung mit sich, eine Wiedergeburt und einen Wandel, und ich kann nicht anders, als zu sagen, dass er gut ist.“
Früher dachte er immer, wenn Glaube wichtig sei, damit Missionare zu sozialem Handeln motiviert werden, dann sollen sie eben glauben. Letztlich zähle doch nur die Hilfe, nicht der Glaube. Wenn sie den Glauben zur Motivation bräuchten, dann sei das eben so. Aber das entspreche nicht den Tatsachen, schreibt Matthew Parris. Glaube motiviert nicht nur die Missionare, nein, er verändert sogar die Menschen. Das sei der entscheidende Unterschied. „Ich kann es nicht anders ausdrücken.“
„Wann immer wir in eine Gegend kamen, in der Missionare arbeiteten, konnten wir erkennen“, schreibt der Atheist, „dass sich in den Gesichtern der Menschen etwas verändert hatte. Etwas in ihren Augen, in der Art, wie sie auf Menschen zugingen. Sie sahen nicht auf den Boden, sie sahen nicht zur Seite, sie standen aufrecht, sie standen aufrecht.“
Die Liebe Gottes lässt seine Braut aufrecht stehen. Die Liebe Gottes befähigt seine Braut, ihm in die Augen zu sehen. Die Liebe Gottes verändert die Gestalt der Gemeinde, sie verändert die geliebte Gemeinde.
Das führt uns heute Morgen zu einer heiklen Frage: Haben wir noch Augen für die Schönheit der Gemeinde? Warum sehen wir so oft nur die Runzeln und Falten? Warum meckern wir so oft nur über die Hässlichkeit der Gemeinde? Wenn Gott uns so sehr liebt, warum finden wir uns dann oft so hässlich?
Verstehen Sie mich bitte richtig: Es geht nicht darum, in der Gemeinde Jesu Christi Schönrederei zu betreiben, wo nichts Schönes ist. Aber wenn uns unser Bräutigam so liebt, wenn er uns schön liebt, brauchen wir uns nicht ständig hässlich zu reden.
Das habe ich übrigens von den katholischen Schwestern und Brüdern gelernt. Wenn Katholiken über Kirche reden, dann leuchtet immer ein Glänzen in ihren Augen. Wenn ein Pietist von Kirche redet, beginnt er oft mit einem Seufzen. Das hängt vielleicht mit unserem Blick zusammen.
Wir haben uns angewöhnt, Kirche und Gemeinde immer erst problemorientiert zu sehen, wie man das heute so schön sagt. Wir sehen zuerst die Äußerlichkeiten, das, was nicht so ist, wie es eigentlich sein sollte.
Gott sieht uns ganz anders. Er betrachtet uns mit den Augen der Liebe. Und manchmal sehen uns sogar Atheisten schöner, als wir uns selbst sehen.
Es ist mein Wunsch, dass wir uns wieder einen Blick schenken lassen für die Schönheit der Gemeinde, die aus dieser Liebe Gottes erwächst. Dass wir wieder anfangen, Gott für die Schönheit der Gemeinde zu danken und nicht nur über ihre Defizite zu klagen.
Wenn Gott uns so sehr liebt, dass er alles tut, um uns durchzutragen, dann soll diese Liebe auch unseren Blick und unsere Haltung verändern. Sie soll unsere Bitterkeit versöhnen. Dann darf auch eine Selbstliebe entstehen – nicht eine Selbstverliebtheit, sondern eine Selbstliebe, die aufrecht stehen kann, die geradeaus schauen kann und die uns befähigt, einen aufrechten Gang einzunehmen.
Gott trägt seine Gemeinde durch, weil er sie liebt.
Warum Gott seine Gemeinde durchträgt und nicht drumherumführt
Ein zweites Gott trägt seine Gemeinde durch, aber eben nicht drumherum. Wenn unser Thema heißt: Gott trägt durch, weil es seine Gemeinde ist, dann verdient dieses Wörtchen „durch“ eine besondere Beachtung. Denn mit diesem Wörtchen „durch“ verbindet sich eine ganz angefochtene Frage: Warum trägt Gott uns durch alles Leid und alle Versuchungen hindurch und nicht eigentlich drumherum? Wäre es doch viel netter und man könnte sich viel Stress sparen.
Im hohepriesterlichen Gebet Jesu in Johannes 17 spricht Jesus ja diese merkwürdige Bitte aus. Er sagt: „Ich bitte dich“, er redet mit seinem himmlischen Vater, „ich bitte dich nicht, dass du sie aus der Welt nimmst, sondern dass du sie bewahrst vor dem Bösen.“
Und in Lukas 22, in der Nacht, als er verraten wurde, sagt er seinen Jüngern: „Leute, ich will euch eins verraten: Der Satan, der hat danach Begehr, euch zu sieben wie den Weizen.“ Das heißt: Das ist ein antikes Bild, das die Leute damals gut kannten. Der Satan möchte euch hin und her schütteln, so wie man Weizen durch ein grobes und feines Sieb hindurch schüttelt. Er möchte euch sieben mit dem Ziel, dass ihr durchfallt, dass euer Glaube als unecht erwiesen wird.
Und dann sagt Jesus nicht: Ich habe es ihm verboten. Jesus sagt nicht: Ich habe ihm eine Abfuhr erteilt, er darf das gar nicht. Stattdessen sagt Jesus zu Petrus: „Ich habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhört.“ Dieses Schütteln und Sieben wird zugelassen und gleichzeitig vom Gebet Jesu begleitet.
Und genau dieser Petrus schreibt dann in seinem Brief an die Gemeinden in Kleinasien am Ende einen Wunsch: „Der Gott aller Gnade, der euch berufen hat zu seiner ewigen Herrlichkeit in Christus Jesus, der wird euch, die ihr eine kleine Zeit leidet, aufrichten, stärken, kräftigen, gründen.“
Warum will Jesus denn nicht, dass wir aus dieser Welt herausgenommen werden? Warum verbietet Jesus diesem Satan nicht dieses Sieben? Warum mussten die Gemeinden in Kleinasien überhaupt eine „kleine Zeit“, die dann doch relativ lang war, leiden? Warum muss die Gemeinde durch diese Welt hindurch und nicht drumherum?
Ich denke, Sie verstehen meine Frage. Und ich will Ihnen das gleich bekennen: Wir bekommen darauf im Letzten keine Antwort. Ich werde Ihnen das im Letzten nicht erklären können. Aber an dieser Art, wie Jesus damit umgeht, dass er für uns betet, dass er in hohepriesterlicher Würde für uns einsteht, zeigt sich die ganze Art, wie er damit umgeht.
Er erspart seiner Gemeinde nicht das Durchgehen, nicht das Leid. Aber er bleibt an ihrer Seite. Er befreit uns nicht von den Lasten des Lebens und den Lasten dieser Welt, aber er hilft uns, sie zu tragen. Er kommandiert den Tod nicht einfach ab, aber er begleitet uns durch Sterben und Tod hindurch in eine neue Welt.
Jesus und Gott ersparen ihrer Gemeinde nicht die dunklen Täler, aber Jesus ist der gute Hirte, der mitgeht, dessen Stecken und Stab unser Trost bleiben. Wer mit Jesus durch dick und dünn muss, erfährt auch das eine: Dass alles Unglück und alle Katastrophen, die Gott über diese Welt, über seine Gemeinde und über unser Leben zulässt, all das zu unserer Reifung beitragen muss.
In allem Dunkel und Leid, in aller Anfechtung und Versuchung werden wir reifen, auf Gott hin reifen, und wir werden seine Gegenwart und Hilfe erleben. Wir werden zu Diamanten werden.
Ein Diamant, das wissen Sie, ist ein Stück Kohle, das über lange Zeit großer Hitze und großem Druck ausgesetzt war. Und so wird aus einem Stück Kohle ein glänzender Diamant, der noch geschliffen wird, damit sein Glanz auch wirklich herauskommt. Gott macht seine Gemeinde zu einem Diamanten, indem er sie der Hitze aussetzt, dem Druck, indem er sie schleift und indem er sie Prozessen des Schmerzes und des Leids aussetzt, damit sie glänzt.
Die Kraft der Gegenwart Gottes im Leid
Ich hatte im vergangenen Oktober das große Vorrecht, am dritten Lausanner Kongress zur Weltevangelisation in Kapstadt teilzunehmen. Dort habe ich beeindruckende Begegnungen erlebt. Besonders beeindruckt haben mich die Vertreter der leitenden und armen Kirchen aus vielen Ländern dieser Welt.
Diese Schwestern und Brüder gaben uns eine wichtige Mahnung mit auf den Weg. Sie sagten: „Wisst ihr, ihr im Westen seid sehr darum bemüht, Leiden und Schmerz zu vermeiden und zu lindern. Ihr gebt viel Geld für Krankenhäuser und medizinische Forschung aus, und das ist gut, das ist nicht schlecht. Wir freuen uns darüber, und wir profitieren auch manchmal davon. Aber wisst ihr, wir können das alles nicht tun. Wir haben nicht im Entferntesten die Mittel, um euch nachzumachen.“
Sie fügten hinzu: „Aber wisst ihr auch eines? Wir glauben, dass wir viel intensiver die Anwesenheit Gottes und die Gegenwart Gottes erleben als ihr – mitten in unserem Leid, mitten in unserer Bedrängnis. Das, was uns fehlt, wird ausgeglichen durch die überwältigende Erfahrung der Nähe Gottes.“
Eines der Worte, die ich in diesem Zusammenhang mitgenommen habe, stammt von einem anonymen Autor. Er sagte: „Leiden ist nicht eine Frage, die eine Antwort braucht. Leiden ist nicht ein Problem, das einer Lösung bedarf, sondern Leiden ist ein Geheimnis, das nach Präsenz verlangt.“
Leiden ist ein Geheimnis, das nach Präsenz verlangt – nach einem, der bei mir ist, nach einem, der gegenwärtig ist, nach einem, der zu mir steht.
So löst Jesus bis auf diesen Tag nicht immer das Leiden seiner Leute. Er verabschiedet sich in Matthäus 28 von seinen Jüngern nicht mit den Worten: „Siehe, ich löse alle eure Probleme bis ans Ende der Welt.“ Er verabschiedet sich auch nicht mit den Worten: „Siehe, ich beantworte alle eure Fragen bis ans Ende der Welt.“
Stattdessen sagt er: „Siehe, ich bin bei euch – Präsenz, Gegenwart. Ich bin euch nahe, ich stehe zu euch bis ans Ende der Welt.“
Wovon wir im allerletzten Leben als Menschen Gottes nicht die Lösung unserer Probleme, nicht die Beantwortung unserer Fragen erwarten, sondern wovon wir leben, ist die Nähe und Gegenwart des guten Gottes – des Gottes, der bei uns ist.
Das ist unser Trost im Leben und im Sterben. Gott trägt uns durch, indem er einfach da ist, bei uns bleibt, nicht weicht und uns stark macht in den Schwächen des Lebens.
Wachstum und Entfaltung durch Druck und Bedrängnis
Und schließlich und endlich ein dritter Punkt: Gott trägt seine Gemeinde durch und bringt sie unter Druck zur Entfaltung. Er bringt sie unter Druck zum Wachstum!
Es ist eines der Geheimnisse der Geschichte Gottes mit seinen Leuten. Die Gemeinde wird nicht nur durchgetragen, sondern im Durchgetragenwerden gewinnt sie ihr Profil. Im Durchgetragenwerden fängt sie an zu wachsen – auf dem Weg durch Feuer und Hitze, durch Wasser und Flut, durch Druck und Bedrängnis.
Bringt Gott seine Gemeinde erst richtig zum Blühen, bringt er sie zum Glänzen? Mir ist ein Phänomen aus der Natur zum Bild geworden. In den Neunzigerjahren wurden große Teile des weltberühmten Yellowstone-Nationalparks im Westen der USA durch einen riesigen Waldbrand zerstört, unter anderem auch diese riesigen Sequoia-Bäume, diese Mammutbäume.
Es war ein Jammer. Man dachte, ein ökologisches Naturgut sei auf immer zerstört und vernichtet worden. Denn man hatte immer eine Riesenmühe und es eigentlich nicht hinbekommen, diese Sequoia-Trees, diese Mammutbäume, zu züchten. Man hat es nicht geschafft, diese Bäume zu vermehren.
Jahre später merkt man auf einmal, dass nach diesem Waldbrand Sequoia-Trees wieder sprießen, dass kleine Mammutbäumchen wieder wachsen. Man untersuchte dieses irritierende Phänomen und stellte fest, was man vorher nicht wusste: Die Frucht dieser Sequoia-Trees springt nur unter großer Hitze auf und gibt den Samen frei. Die Frucht der Sequoia-Bäume braucht die Hitze, um aufzuspringen und den Samen herauszugeben, damit wieder neue Bäume wachsen können.
Und heute wachsen dort mehr Sequoia-Trees als je zuvor. Genauso ist es mit der Gemeinde Gottes. So war das im Alten Testament, so war es bei Mose, so war es durch das Durchgetragenwerden durch das Schilfmeer mit den Ägyptern im Nacken, das diese Hebräer zu Israel hat werden lassen, zu einem Gottesvolk.
Die Gemeinde Gottes ist wie ein Wasserball. Sie kennen das vielleicht aus dem Urlaub: Wir hatten köstlichen Spaß mit unseren Kindern. Man nimmt einen Wasserball am Strand, am Meer, im Freibad irgendwo und drückt ihn unter Wasser. Das können Sie machen. Und das machen viele Herrscher und Tyrannen mit der Gemeinde Gottes in dieser Welt. Man unterdrückt sie, man drückt sie unter Wasser.
Ja, das kann man machen, das funktioniert schon, aber eben nicht lange. Das halten sie nicht lange aus, so einen Wasserball unter Wasser zu drücken. Und wenn sie irgendwann keine Kraft mehr haben und das Ding loslassen, dann fluppt er mit einer riesigen Energie nach oben.
Das ist das, was wir immer wieder beobachten mit der Gemeinde Jesu Christi in der Geschichte und in dieser Welt. Wir haben das in China erlebt: 30 Jahre Kulturrevolution unter Mao Zedong mit einer fürchterlichen Verfolgung der Gemeinde Jesu Christi, wo Millionen von Schwestern und Brüdern zu Märtyrern geworden sind. Jetzt explodiert die Gemeinde Gottes förmlich in diesem riesigen Reich. Heute fluppt dieser Wasserball mit unglaublicher Energie nach oben.
Man kann eine Gemeinde aushungern, ja, das kann man machen. Aber wenn man sie auch aushungert, dann produziert man eben einen Hunger. Und dieser Hunger will irgendwann essen. Das passiert in China und in vielen Ländern dieser Welt: Menschen bekommen Hunger – Hunger nach dem Wort Gottes, Hunger nach dem Heil unseres guten Gottes. Und dann wollen sie auch essen, und dann wollen sie davon satt werden.
Deshalb sollten wir alle gelassen bleiben. Das habe ich für mich beschlossen. Wenn ich die Geschichte Gottes mit seiner Kirche betrachte, haben wir allen Grund, gelassen zu sein. Die Pforten der Hölle werden uns nicht überwinden.
Wir machen uns heute große Sorgen, ja, die kann man sich auch machen. Es gibt viele Schwestern und Brüder, die sagen: Wenn wir die Prognosen lesen, dann werden in 50 Jahren unsere großen deutschen Städte muslimisch sein. Dann werden nicht mehr die kirchlichen Glocken läuten, sondern der Ruf des Muezzin vom Minarett herab. Das macht vielen Menschen Angst, und das ist verständlich. Wir befürchten den Untergang des Abendlandes, das Ende unserer christlichen Gemeinden in Europa.
Aber wer an Gott glaubt, der rechnet niemals mit linear vorausberechenbaren Verläufen der Geschichte. Sondern er rechnet immer mit den Überraschungen Gottes. Und wer mit wachen Augen durch diese Welt läuft, der erlebt unendlich viele Überraschungen Gottes.
Wir merken heute, dass die größte Missionsbewegung der Welt die Migranten sind. Diese Welt ist am Umziehen, Menschen bewegen sich von überall her nach überall hin. Und darunter sind Millionen von Christen, die tun einfach das, was sie sind: Sie sind Christen und reden von Jesus Christus und werden dadurch, ob sie es wollen oder nicht, ob sie darüber nachdenken oder nicht, zu Missionaren.
Wer sagt uns heute, dass Gott uns nicht überrascht und die Dinge auf einmal ganz anders herumlaufen? Wissen Sie, in Saudi-Arabien leben heute 30 Ausländer. 30 Ausländer, und viele von denen sind philippinische Hausmädchen, die aus der Armut heraus nach Saudi-Arabien gehen, um dort in reichen arabischen Haushalten als Hausmädchen, als Putzfrau zu dienen. Und die sind alle Christen.
Wer von uns weiß, ob Gott ein Wunder tut, wenn diese Hausmädchen zu Seelsorgerinnen muslimischer, frustrierter muslimischer Frauen werden, die von ihren männlichen Paschas wie ein Stück Dreck behandelt werden? Wer von uns weiß, was passieren würde, wenn die muslimischen Frauen zum Glauben an Jesus Christus kommen?
Es waren schon an Ostern frustrierte Frauen, die zu Trägern des Evangeliums von der Auferstehung Jesu Christi geworden sind. Wer von uns weiß denn, was Gott sich an Humor ausgedacht hat, wie er diese Gemeinde seinem Ziel entgegenführen wird?
Vielleicht wird es sein wie bei John Wesley im England des 18. Jahrhunderts. Über ihn haben auch die feinen Herren und die Zeitgenossen gespottet und gesagt: "Ach, Mr. Wesley, zu Ihren Predigten da kommen ja doch nur die Mägde." Und John Wesley hat dann gern gefordert: "Ja, so ist das. Aber wissen Sie, wenn erst einmal alle Mägde Englands für den Herrn gewonnen sind, dann werden die Herren schon von alleine kommen."
Ich zitiere immer wieder sehr gerne den Brief, den Martin Luther damals im Jahr 1530, als es beim Augsburger Reichstag um die evangelische Sache ging, um alles oder nichts, den er damals seinem Mitarbeiter Philipp Melanchthon geschrieben hat. Luther durfte ja nicht hin, der saß auf der Coburg, weil er in Reichsacht war, und Philipp Melanchthon machte sich in Augsburg fast in die Hosen, weil er nicht wusste, wie er die ganze Sache anstellen sollte.
Dann schrieb Luther ihm einen Brief, und da schreibt er: "Der, der unser Vater geworden ist, der wird auch unser Kindervater sein." Es sind viele Eltern hier. Glauben wir das, dass der, der unser Vater geworden ist, auch der Vater unserer Kinder werden wird?
Ich bete wahrlich mit Fleiß für dich, und es tut mir weh, dass du unverbesserlicher Sorgen, Blut, Ekel meine Gebete so vergeblich machst. Ich wenigstens bin, was die Sache angeht, nicht sonderlich beunruhigt, vielmehr besser Hoffnung als ich zu sein gehofft hatte.
Mächtig ist Gott, die Toten zu erwecken. Mächtig ist er auch, seine Sache, wenn sie gleich fällt, zu erhalten und wenn sie gefallen ist, wieder aufzurichten und wenn sie steht, fortzuführen. Gott trägt seine Gemeinde durch. So ist das. Amen.
