Einführung und Kontextualisierung der Scheidungsfrage
Ehescheidung – eine theologische Erwägung
Vortrag Nr. 3
Schauen wir uns die zweite wichtige Episode an, in der Jesus ebenfalls auf die Pharisäer trifft und sie ihn zum Thema Scheidung befragen. Diese Episode findet sich in Matthäus 19.
Bevor wir zu Matthäus 19 kommen, ein Hinweis: Dasselbe Gespräch wird, so scheint es jedenfalls, auch in Markus 10 überliefert. Beide Autoren setzen unterschiedliche Schwerpunkte, weshalb die Texte nicht völlig identisch sind. Sie ergänzen sich jedoch auf für uns hilfreiche Weise. Deshalb behandle ich Matthäus 19, Verse 3 bis 12, und Markus 10, Verse 2 bis 12, in einer Synopse, also in einer Zusammenschau.
Worum geht es in den beiden Texten? Pharisäer treten an Jesus heran, um ihn zu versuchen. Ihre Frage lautet in Matthäus 19, Vers 3: „Ist es einem Mann erlaubt, aus jeder beliebigen Ursache seine Frau zu entlassen?“ In Markus 10, Vers 2, heißt die Frage: „Ist es einem Mann erlaubt, seine Frau zu entlassen?“
Warum war diese Frage eine Versuchung? Wie ich vorhin kurz erwähnt habe, gab es unter den Pharisäern zwei Meinungen zu dieser Frage. Eine Fraktion hätte die Frage uneingeschränkt bejaht – das war die Rabbi-Hilel-Fraktion. Die andere Fraktion wollte für eine Scheidung einen wirklichen Grund vorausgesetzt sehen. Diese Position vertrat die Rabbi-Schamai-Fraktion.
Die Intention der Pharisäer und Jesu Antwort
Geht es den Pharisäern jetzt darum, dass Jesus in ihrer internen Auseinandersetzung Position bezieht? Ich denke nicht. Das Neue Testament zeigt die Pharisäer an allen relevanten Stellen immer als eine Einheit. Innerpharisäische Diskussionen spielen im Neuen Testament keine Rolle, ebenso wenig bei Josephus.
Es wäre auch für keine Gruppe innerhalb der Pharisäer von Vorteil, wenn sie diesen unbekannten Wanderprediger aus Galiläa auf ihrer Seite wüssten. Ebenso wenig könnte man Jesus damit diskreditieren, dass er einer rabbinischen Schule nahesteht. Das wäre keine Versuchung.
Wenn die Pharisäer Jesus versuchen wollen, dann wollen sie zeigen, dass er sich nicht an das mosaische Gesetz hält, ausgehend von dem, was er bereits gesagt hat. Sie wollen zeigen, dass er Teile davon ignoriert. Deshalb die Frage. Vielleicht wurden sie gerade durch Verse wie Lukas 16,18 inspiriert, nachzuhaken.
Jesus jedenfalls lässt sich nicht darauf ein und antwortet sokratisch. Ich verwende jetzt noch Matthäus und Markus im Wortlaut, um zu zeigen, wie sich die Verse im Gespräch entwickelt haben können. Markus 10,3-4: Er aber antwortete und sprach zu ihnen: „Was hat euch Mose geboten?“ Sie aber sagten: „Mose hat gestattet, einen Scheidebrief zu schreiben und zu entlassen.“
Jesus beantwortet ihre Frage also nicht direkt, sondern führt sie zu der Stelle, die sie falsch auslegen und zur Grundlage ihres eigenen Denkens gemacht haben. Aber er hat auch eine andere Stelle.
Gottes ursprüngliche Absicht für die Ehe
Matthäus 19,4-6: Er aber antwortete und sprach: Habt ihr nicht gelesen, dass der, welcher sie schuf, sie von Anfang an als Mann und Frau schuf und sprach: Darum wird ein Mensch Vater und Mutter verlassen und seiner Frau anhangen, und die zwei werden ein Fleisch sein? So sind sie nicht mehr zwei, sondern ein Fleisch. Was nun Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden.
Markus 10,6-9: Von Anfang der Schöpfung an hat er sie als Mann und Frau geschaffen. Darum wird ein Mensch seinen Vater und seine Mutter verlassen, und die zwei werden ein Fleisch sein. Daher sind sie nicht mehr zwei, sondern ein Fleisch. Was nun Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden.
Großartig! Die Pharisäer beschäftigen sich gedanklich mit der Frage, wie man eine Ehe beenden kann. Jesus hingegen betrachtet das Wozu einer Ehe, das „ein Fleisch werden“, und die ursprünglichen Gedanken Gottes, dass sie zusammengefügt werden. Er arbeitet heraus, dass von Gottes Seite her das Ende einer Ehe ursprünglich gar kein Thema war.
Mann und Frau wurden geschaffen, um sich zu ergänzen. In der Ehe wird dieses Ziel auf besondere Weise erreicht. Deshalb gibt es zunächst kein Recht, diese Einheit einfach ohne Grund wieder aufzulösen.
Gott ist der Ursprung der Beziehung Mann-Frau, auch wenn man das für jede einzelne Ehe nicht in jedem Fall so sagen kann.
Die Pharisäer und die Scheidungsregelung im mosaischen Gesetz
Jetzt denken die Pharisäer, dass sie Jesus haben. Seine Antwort klingt jedoch so, als würde das fünfte Buch Mose, Kapitel 24, in seinen Augen nicht gelten.
Matthäus 19,7: Sie sagen zu ihm: „Warum hat denn Mose geboten, einen Scheidebrief zu geben und zu entlassen?“
Für die Pharisäer ist die Existenz eines Scheidebriefs als Grundlage für das Entlassen der Ehefrau ein Beleg dafür, dass es ein Recht auf Scheidung gibt. Dummerweise zeigt Jesus den Pharisäern jetzt jedoch, dass sie die Bibel nicht richtig verstanden haben. Sie sehen ein Recht auf Scheidung, wo Jesus ein großes Herzensproblem wahrnimmt.
Matthäus 19,8: Er spricht zu ihnen: „Mose hat wegen eurer Herzenshärtigkeit euch gestattet, eure Frauen zu entlassen. Von Anfang an aber ist es nicht so gewesen.“
Markus 10,5: Jesus aber sprach zu ihnen: „Wegen eurer Herzenshärtigkeit hat er euch dieses Gebot geschrieben.“
Zwei häufige Auslegungsfehler und die wahre Bedeutung der Herzenshärtigkeit
Ich glaube, dass sich an dieser Stelle nun ganz leicht zwei Auslegungsfehler einschleichen.
Erstens wird oft schnell argumentiert, Gott wolle eigentlich keine Scheidung. Aber weil er wusste, dass es sowieso Scheidungen gibt, habe er gegen seinen eigentlichen Willen Scheidung erlaubt. Das Problem dabei ist, dass Gott damit etwas erlaubt, was er eigentlich verurteilt. Doch Gott ist vollkommen. Er ist nicht der Gott der Notlösungen und Kompromisse. Ein heiliger Gott kann kein Ja zu einem Nein finden. Abgesehen davon könnte man mit dieser Argumentation auch ganz schnell jedes andere Gebot der Bibel aushebeln. Wer weiß denn, wo Gott noch ein Gebot erlassen hat, das nicht ganz so gemeint war?
Wir müssen jetzt genau lesen. Jesus sagt, das Gebot gilt für die Frauen von Männern mit einem harten Herzen. Es wurde wegen der Herzenshärtigkeit der Männer erlassen, nicht zugunsten der Herzenshärtigkeit. Weil Gott um die Herzenshärtigkeit der Männer wusste und ihren Verrat vorhersah, hat er ein Gebot erlassen, das den Missbrauch minimiert. Gott sieht über die Scheidungspraxis hartherziger Männer hinweg, weil er die Frauen dieser Männer vor ihren Männern retten will.
Zweitens wird oft argumentiert, dass Jesus diese Erlaubnis zur Scheidung aufhebt, wenn er sagt: „Von Anfang an aber ist es nicht so gewesen.“ Die Frage ist also, bezieht sich diese Aussage auf die Erlaubnis zur Scheidung in 5. Mose 24? Viele Kommentare sagen ja: Gott sieht die Herzenshärtigkeit von Ehemännern und gestattet unter dem mosaischen Gesetz, was vorher nicht erlaubt war, Scheidung. Und Jesus hebt diese Einschränkung wieder auf, so die Argumentation.
Aber meine Frage wäre: Ist Herzenshärtigkeit wirklich ein Problem, das es nur zu Moses’ Zeiten gab? Waren Ehemänner nicht schon immer hart im Herzen, wenn es darum ging, ihre Frau loszuwerden? War Gott um die Frauen am Anfang nicht genauso besorgt wie zu späteren Zeiten? Und ist die Herzenshärtigkeit mit Jesus von der Erde verschwunden? Brauchen Frauen heute keinen Schutz mehr vor Ehemännern, die sie um Nichtigkeiten willen einfach entlassen?
Grammatikalische Betrachtung und theologische Konsequenzen
Und jetzt noch ein Blick auf die Grammatik.
Die Form „gewesen in von Anfang an aber ist es nicht so gewesen“ ist ein Perfekt. Das Perfekt im Griechischen ist resultativ. Es beschreibt, wie eine Sache heute ist, weil es in der Vergangenheit ein Ereignis gab. Das meint man mit resultativ. Es beschreibt also nicht, was vom Anfang an bis zur Zeit des mosaischen Gesetzes war – dafür hätte es das Plusquamperfekt gegeben – sondern es beschreibt, was von Anfang an bis zur Zeit, als Jesus diese Worte sprach, galt.
Sorry, wenn Grammatik nervt, aber Jesus beschreibt, was zu seiner Zeit, heute, stand und war. Es ist deshalb einfach falsch, wenn wir Gottes Lehre zur Ehe in Zeiten einteilen: Paradies, Zeit von Mose, Zeit Jesu – und dann meinen, dass die Zeit von Mose eine Zeit der Kompromisse war, die Jesus wieder gerade rückt. Und das, obwohl doch Jesus im alten Bund lebt und behauptet, dass er nichts ändert, kein Jota.
Wenn Gott unveränderlich ist, hat Mose in 5. Mose 24 dann eigene Ideen produziert? Wie Jesus jetzt mit göttlicher Autorität wieder gerade rückt? Wohl kaum.
Also die Frage: Was ist das „Es“, das von Anfang an nicht so gewesen ist? Dazu müssen wir wohl zu der Frage der Pharisäer zurückkehren. Für sie war klar, dass das Gesetz dem Mann das einseitige Recht gibt, eine Ehe jederzeit zu beenden. Das war ja die Frage: Ist es einem Mann erlaubt, aus jeder beliebigen Ursache seine Frau zu entlassen? Für sie galt, dass das Gesetz dem Mann das einseitige Recht gibt, eine Ehe jederzeit zu beenden.
Ehe ist für sie ein Bund, aus dem der Mann sich jederzeit verabschieden kann. Das war ihre Definition von Ehe. Und sie dachten natürlich, dass das nicht nur ihre eigene Definition war, sondern dass Gott von Anfang an selbst so über Ehe und über die Dauerhaftigkeit von Ehe dachte.
Jetzt geht es Gott in 5. Mose 24 aber nicht um das Recht, eine Frau zu entlassen, sondern um den Schutz einer Frau vor potenziell gewalttätigen Männern. Es ist also die Position der Pharisäer zur Ehescheidung, und es ist eben nicht eine Erlaubnis, sondern von Anfang an bis zur Zeit Jesu und bis heute ein Nein.
Gott will keine Scheidung. Es gibt kein Recht auf Scheidung – nur weil ich weiß, wie man einen Scheidebrief ausstellt und keine Lust mehr auf meinen Partner habe.
Jesu klare Haltung zur Scheidung und Ehebruch
Matthäus 19,9: Ich sage euch aber, dass jeder, der seine Frau entlässt – außer wegen Unzucht – und eine andere heiratet, Ehebruch begeht.
Man könnte hier auch sagen: Wer eine Geschiedene heiratet, begeht Ehebruch. Auch hier könnte man die Ausnahme „außer wegen Unzucht“ hineinlesen. Wer eine Geschiedene heiratet, begeht demnach Ehebruch.
Wer sich auf 5. Mose 24 bezieht und seine Frau einfach entlässt, um eine andere zu heiraten, ist trotz Scheidebrief ein Ehebrecher. Matthäus 19,9 ist ähnlich zu verstehen wie Lukas 16,18, nur dass hier die Ausnahme „außer wegen Unzucht“ ausdrücklich mitgenannt wird.
Wieder wird derselbe Vorgang aus zwei Perspektiven betrachtet: Entweder sehe ich eine Frau und bin selbst verheiratet, verliebe mich, begehe Ehebruch im Herzen, lasse mich scheiden und heirate sie. Oder ich sehe eine verheiratete Frau, bin selbst unverheiratet, verliebe mich und wirke ehebrecherisch an ihrer Scheidung mit.
Dabei dürfen wir die Frage der Pharisäer und ihr Denken zur Dauerhaftigkeit der Ehe nicht vergessen. Für sie endet jede Ehe mit dem Scheidebrief. Der Scheidebrief macht alles gut.
Und jetzt kommt Jesus und widerspricht jeglicher leichtfertigen Scheidungspraxis.
Seelsorgerlicher Umgang mit Scheidung und Ehebruch
Wie würde man seelsorgerlich mit einem Pharisäer umgehen, der sich ohne wirklichen Grund scheiden lässt? Die Sünde des Ehebruchs liegt in diesem Fall bei ihm.
Grundsätzlich würde man erwarten, dass er Gott und den Partner, von dem er sich ohne Grund hat scheiden lassen, um Vergebung bittet. Danach ist zu überlegen, wie eine der Buße würdige Frucht aussehen könnte.
Es muss sichergestellt werden, dass der Ex-Partner so wenig Nachteile wie möglich durch die Scheidung erfährt. Dabei geht es unter anderem um Themen wie Alimente.
Eventuell ist sogar an eine Versöhnung und eine erneute Heirat zu denken. Auch hier gilt natürlich nicht, dass man eine Geschiedene nicht heiraten darf beziehungsweise nicht wieder zum ersten Ehemann zurückkehren darf.
Das Gesetz aus 5. Mose 24 wurde wegen der Herzenshärtigkeit gegeben. Wird das Herz durch Buße weich, ist alles möglich.
Ich denke jedoch nicht, dass eine entlassene Frau zwingend ihren an ihr schuldig gewordenen Partner erneut heiraten muss, auch wenn dazu die Gelegenheit besteht. Sie muss vergeben, aber sie kann skeptisch bleiben und sich für den Rest ihres Lebens einen besseren Mann suchen.
Es ist gut, eine zerbrochene Ehe zu kitten, aber ich lese nichts von einer Pflicht dazu.
Zusammenfassung von Jesu Lehre und die Ausnahmeklausel
Jesus hat die Frage der Pharisäer umfassend beantwortet. Dabei hat er ihren Blick verändert: Nicht die Idee der Trennung, sondern die Idee der Kontinuität der Beziehung muss im Fokus stehen. Er bekräftigt auch das Recht eines Ehepartners, disziplinarisch gegen einen ehebrecherischen Partner mit Scheidung vorzugehen.
In Markus 10,10-12 heißt es:
Und im Haus befragten ihn die Jünger deswegen noch einmal, und er spricht zu ihnen: Wer seine Frau entlässt und eine andere heiratet, begeht Ehebruch gegen sie. Und wenn sie ihren Mann entlässt und einen anderen heiratet, begeht sie Ehebruch.
Jesus fasst hier kurz für die Jünger den Kern des Gesagten zusammen. Dass er die Ausnahmeklausel außer bei Hurerei weglässt, hat meines Erachtens einen pädagogischen Grund. Er will das Wesentliche wiederholen, nicht die Ausnahme. Er kann voraussetzen, dass die Jünger die Ausnahmeklausel gehört haben.
Außerdem formuliert er hier im Blick auf die Frau nicht mehr doppeldeutig. Es ist nicht mehr die Frage medial oder passiv, sondern: „und wenn sie ihren Mann entlässt“. Wir merken also, wie die Verse zu verstehen sind, bei denen wir uns zwischen einer passiven und einer medialen Übersetzung nicht entscheiden konnten.
Eine Scheidung kann entweder von einem Mann ausgehen, der sich eine neue Frau sucht, oder von einer Frau, die sich einen anderen Mann sucht. Dieser spielt dann im Prozess der Scheidung kulturbedingt schon vorher eine Rolle, weil sie sich nicht scheiden lässt, wenn sie nicht weiß, wer sie danach nimmt. Der Fall war selten, aber das Beispiel der Herodias war für die Jünger topaktuell.
Ich denke wieder, dass die Sünde der Frau nicht im Moment der Wiederheirat geschieht. Ehebruch kann nur dort geschehen, wo ein Bund existiert. Wer die Ehe durch eine Scheidung bricht, zerbricht den Bund.
Wichtig ist: Keine Partei hat das Recht auf eine einseitige, unbegründete Beendigung ihrer Ehe. Aber es gibt Gründe für eine gerechtfertigte Scheidung. Beim Mann wird häufig im Blick auf die Frau der Begriff Hurerei, also Fremdgehen, genannt.
Ich glaube, dass zum Beispiel das Buch 2. Mose einundzwanzig Gründe aufzeigt, unter denen eine Frau sich legitim scheiden lassen konnte. Das waren Vernachlässigung und Missbrauch (2. Mose 21,7). Diese beiden Gründe gehören für mich mindestens dazu. Wie im Fall der Hurerei beim Mann war dann eine legitime Scheidung möglich.
Man kann mehr zum Thema Scheidung sagen, als es Jesus hier tut. Aber das wirklich Wichtige, das er sagen will, ist klar: Wer sich ohne wirklichen Grund in seinem Herzen entschließt, einen anderen Partner heiraten zu wollen und sich deshalb scheiden lässt, der sündigt, weil die erste Ehe auf Lebenszeit geschlossen wurde.
Die Reaktion der Jünger und ihre Haltung zur Ehe
Matthäus 19,10
Seine Jünger sagen zu ihm: „Wenn die Sache des Mannes mit der Frau so steht, ist es nicht ratsam zu heiraten.“
Die Jünger formulieren hier eine logische Konsequenz. Wenn Scheidung kein Recht des Mannes ist, sondern nur als disziplinarische Maßnahme angewendet werden darf, dann ist es nicht ratsam zu heiraten.
Wir schmunzeln vielleicht, doch wir erkennen, dass die Pharisäer mit ihrer Haltung zur Ehe nicht die Ausnahme, sondern die Regel darstellten. Auch die Jünger selbst dachten nicht viel anders.
Paulus’ Stellungnahme zu Scheidung und Wiederheirat
Nachdem wir Jesu Aussagen zum Thema Scheidung betrachtet haben, wenden wir uns nun zum Schluss dem Apostel Paulus zu. In 1. Korinther 7,10-11 heißt es: „Den Verheirateten aber gebiete nicht ich, sondern der Herr, dass seine Frau sich nicht vom Mann scheiden lassen soll; wenn sie aber doch geschieden ist, so bleibe sie unverheiratet oder versöhne sich mit dem Mann.“ Außerdem wird gesagt, dass ein Mann seine Frau nicht entlassen soll.
Paulus geht hier auf eine Frage ein, die die Korinther ihm schriftlich gestellt haben. Wir kennen die genaue Frage nicht. Zudem ist Paulus jemand, der gern allgemein formuliert. Das zeigt sich auch in 1. Korinther 5,9-11, wo er eine frühere Äußerung korrigiert. Das ist wichtig: Paulus will kein Grundsatzpapier zu Scheidung und Wiederheirat verfassen, sondern einen höchst situativen Text, der auf konkrete Probleme in Korinth eingeht.
Eine mögliche Frage könnte gewesen sein: Darf sich ein Ehepaar, das sich im Blick auf das Thema Sex in der Ehe nicht einigen kann, trennen und einen anderen Partner heiraten? Die Antwort darauf ist einfach: Nein. Diese Antwort kommt nicht von Paulus selbst, auch wenn er mit apostolischer Autorität spricht, sondern sie ist ein Gebot des Herrn Jesus.
Paulus greift hier also auf Prinzipien zurück, die Jesus festgelegt hat. Eine Scheidung aus nichtigen Gründen verlangt nach Aussöhnung, nicht nach einer erneuten Heirat – vor allem nicht mit einem Partner, der das Thema Sex entweder zölibatär oder als eheliche Pflicht beurteilt.
Warum lässt Paulus eine Ausnahmeklausel weg? Erstens bezieht er sich auf die Lehre Jesu, der eine Ausnahmeklausel gelehrt hat. Paulus kann diese also voraussetzen. Zweitens wird der Begriff „versöhnen“ in der Bibel nur für die schuldige Partei verwendet. Nie wird Gott mit den Menschen versöhnt, sondern immer der Mensch mit Gott. Wenn Paulus hier „versöhnen“ für die geschiedene Frau benutzt, sieht er sie als irgendwie schuldige Partei.
Bleiben wir bei Jesus: Er ist gegen eine Scheidung aus nichtigen Gründen, die mit dem Ziel erfolgt, sich einen passenderen Partner zu suchen. Genau das verbietet Paulus hier auf Grundlage der Lehre Jesu. Der schuldige Teil darf demnach nicht wieder heiraten, sondern soll sich versöhnen.
Über den unschuldigen Teil wird keine Aussage getroffen. Die Frage bleibt offen: Darf der schuldige Partner wieder heiraten, wenn eine Versöhnung mit dem unschuldigen Partner nicht möglich ist? Eine gute Frage. Ich denke ja. Erstens will Paulus ein aktuelles Problem lösen: In der Gemeinde besteht eine Tendenz zur leichtfertigen Scheidung aus schwärmerischen Gründen, dem will Paulus einen Riegel vorschieben. Zweitens verwendet Paulus keine Einschränkung.
Würde man seinen Weg konsequent weiterverfolgen, dürfte eine Frau auch nach dem Tod ihres ersten Mannes nicht wieder heiraten. So weit geht jedoch kaum ein Ausleger – aber das steht da. Wenn man qualifizieren will, dann sollte man das richtig tun.
Ich würde einer busfertigen Frau, die vor der Schwierigkeit steht, dass ihr erster Mann sie nicht zurücknehmen will, eine Wiederheirat erlauben. Solange jedoch keinerlei Einsicht oder Bereitschaft zur Wiederherstellung der ersten, von ihr gebrochenen Ehe vorliegt, halte ich eine zweite Ehe für falsch. Nicht, weil die erste Ehe noch bestehen würde oder eine zweite Ehe diese brechen könnte – die erste Ehe ist zerbrochen. Sondern weil ein Ehebrecher die moralische Pflicht hat, seinen Fehler wiedergutzumachen. Dazu gehört auch, alles zu unterlassen, was eine Versöhnung ausschließt. Und eine erneute Ehe gehört dazu.
Umgang mit Ehen zwischen Gläubigen und Ungläubigen
1. Korinther 7,12-16: Den übrigen aber sage ich, nicht der Herr: Wenn ein Bruder eine ungläubige Frau hat und sie willigt ein, bei ihm zu wohnen, so soll er sie nicht entlassen. Und eine Frau, die einen ungläubigen Mann hat, und er willigt ein, bei ihr zu wohnen, soll den Mann nicht entlassen. Denn der ungläubige Mann ist durch die Frau geheiligt, und die ungläubige Frau ist durch den Bruder geheiligt. Sonst wären ja eure Kinder unrein, nun aber sind sie heilig.
Wenn aber der Ungläubige sich scheidet, so scheide er sich. Der Bruder oder die Schwester ist in solchen Fällen nicht gebunden. Zum Frieden hat uns Gott doch berufen. Denn was weißt du, Frau, ob du den Mann retten wirst? Oder was weißt du, Mann, ob du die Frau retten wirst?
Jetzt behandelt Paulus, so wie ich das verstehe, eine neue Frage. Sie könnte lauten: Soll, muss oder darf ein Christ bei einem Ehepartner bleiben, der sich nicht bekehrt hat? Gibt es also eine Pflicht, sich von einem ungläubigen Ehepartner scheiden zu lassen? Stellen wie Esra 9 und 10 sowie 5. Mose 7,3 könnten diese Idee hervorgebracht haben.
Paulus beantwortet die Frage ohne Rückgriff auf eine explizite Lehre Jesu. Das Thema einer Ehe zwischen einem Gläubigen und einer Ungläubigen hat Jesus anscheinend nie angesprochen. Aber Paulus kann als Apostel natürlich im Auftrag Jesu lehren und eine Antwort geben, die der Heiligkeit Gottes entspricht.
Dabei bleibt er seiner grundsätzlichen Linie treu: Man soll sich nicht scheiden lassen. Wer mit einem ungläubigen Partner verheiratet ist, ist Gott gegenüber nicht automatisch untreu. Es ist zwar falsch, einen ungläubigen Partner zu heiraten. Das geht meines Erachtens aus Stellen wie 1. Korinther 7,39 und 2. Korinther 6,14 hervor.
Es ist falsch, einen ungläubigen Partner zu heiraten, aber es ist nicht unmoralisch, in einer Ehe zu leben, in der durch die eigene Bekehrung plötzlich die Situation eintritt, dass ich gläubig bin, mein Partner aber noch ungläubig ist.
Wie geht man nun mit einem ungläubigen Ehepartner um? Man spricht miteinander. Er oder sie muss einwilligen, unter den neuen Bedingungen mit dem Gläubigen zu leben. Findet sich ein lebensfähiger Konsens, gibt es keinen Grund für eine Scheidung.
Findet sich dieser Konsens jedoch nicht und will der Ungläubige sich scheiden lassen, dann ist der Gläubige nicht knechtlich an die Beziehung gebunden.
In der Praxis finde ich es schwierig, die Unterscheidung nur auf den Rechtsakt zu beschränken. Man kann sich meines Erachtens auch scheiden lassen, ohne die Scheidung einzureichen, indem man sich einfach so verhält, als wolle man nicht mehr mit dem gläubig gewordenen Partner verheiratet sein.
Es geht bei dem Konsens um ein echtes Miteinander unter den neuen Lebensbedingungen. Wo das nicht gegeben ist, darf der gläubige Partner loslassen und seine Hoffnung auf die Bekehrung des ungläubigen Partners aufgeben.
Der Bruder oder die Schwester ist in solchen Fällen nicht gebunden. Zum Frieden hat uns Gott doch berufen. Gott hat uns zum Frieden berufen. Eine von Unfrieden und Gegeneinander geprägte Ehe mit einem ungläubigen Partner ist nichts, was Gott uns zumutet.
Der auf diese Weise geschiedene gläubige Partner befindet sich meines Erachtens in einer ähnlichen Rolle wie die Frau aus 5. Mose 24 und darf wieder heiraten.
Paulus’ seelsorgerliche Ratschläge in schwierigen Zeiten
Paulus gibt in 1. Korinther 7,27-28 seelsorgerliche Ratschläge für eine Zeit der Not. Äußere Not, wie Krieg, Hunger oder Vertreibung, ist ein Grund, beim Heiraten vorsichtig zu sein.
In 1. Korinther 7,27 heißt es: „Bist du an eine Frau gebunden, so suche nicht, dich von ihr zu trennen.“ Wörtlich steht dort: „Suche nicht die Trennung oder die Scheidung.“ Im zweiten Teil des Verses steht: „Bist du frei von einer Frau, so suche keine Frau.“ Hier spricht Paulus auf eine eigenartige Weise zu verheirateten Männern. Eigentlich sollte es für sie keine Frage sein, dass sie sich nicht von ihrer Frau trennen.
Leider können wir zu den Hintergründen nicht viel sagen, aber es ist klar, was Paulus ausdrücken will: Bleib verheiratet! Auch wenn die Zeiten schwierig werden und Singles es dann leichter haben, ist das kein legitimer Grund für eine Scheidung.
Im zweiten Teil richtet sich Paulus an Männer, die einmal gebunden waren, aktuell aber von einer Frau getrennt sind, also Geschiedene oder Witwer. Ihnen empfiehlt Paulus, Single zu bleiben. Er ergänzt jedoch in 1. Korinther 7,28: „Wenn du aber doch heiratest, so sündigst du nicht.“
Hier spricht Paulus zu Geschwistern, die ungerechtfertigterweise entlassen wurden oder Gründe hatten, ihren untreuen Ehepartner zu entlassen. Wenn sie wieder heiraten, was angesichts der gegenwärtigen Not keine kluge Idee ist, sündigen sie trotzdem nicht.
Die Bindung der Ehefrau und die Bedeutung des Todes
Nun zu Vers 39, 1. Korinther 7,39: „Eine Frau ist gebunden, solange ihr Mann lebt. Wenn aber der Mann entschlafen ist, so ist sie frei, sich zu verheiraten, an wen sie will, nur im Herrn muss es geschehen.“
1. Korinther 7,39 wird gern herangezogen, um zu zeigen, dass nach einer Scheidung eine Wiederheirat nicht möglich sein soll, weil eine Ehefrau ein Leben lang an ihren Mann gebunden bleibt. Die Frage ist jedoch, ob Paulus das hier wirklich sagen wollte. Der Text spricht nämlich zunächst gar nicht vom Thema Scheidung.
Mir scheint, dass der Schwerpunkt des Verses auf dem zweiten Teil liegt, auf der Tatsache, dass Witwen frei sind, sich neu an einen christlichen Mann ihrer Wahl zu verheiraten. Dieser Aussage wird einfach ein Grundsatz vorangestellt, und der lautet: Eine Frau ist gebunden, solange ihr Ehemann lebt.
Die Ausnahme, also was bei Scheidung gilt, wird nicht angesprochen. Es wäre auch interessant, darüber nachzudenken, wie diese Bindung aussehen soll. Sie kann nicht rechtlicher Natur sein, denn eine Scheidung ist das rechtliche Ende einer Ehe. Die Bindung müsste also moralischer Natur sein.
Dann müsste man aber formulieren, dass auch nach einer Scheidung die Ehefrau noch unter der Herrschaft des Ex-Ehemanns als Haupt einer Ex-Ehe steht. Trotz Scheidung wäre noch seine Autorität wirksam. Und trotz Scheidung wäre er vor Gott noch für das Wohlergehen seiner Ex-Ehefrau verantwortlich. Darum würde es ja auch funktionieren – und das klingt ziemlich schräg.
Gegen eine Bindung über die Scheidung hinaus spricht für mich auch der Umgang mit Witwen im Alten Testament. Eine ganz interessante Stelle findet sich in 4. Mose 30,11-13. Dort heißt es:
„Und wenn eine Frau im Haus ihres Mannes ein Gelübde abgelegt oder durch einen Eid ein Enthaltungsgelübde auf ihre Seele genommen hat, und ihr Mann hat es gehört und ihr gegenüber geschwiegen, er hat ihr nicht gewährt, dann sollen alle ihre Gelübde gelten, und jedes Enthaltungsgelübde, das sie auf ihre Seele genommen hat, soll gelten. Wenn aber ihr Mann diese Gelübde ausdrücklich aufgehoben hat an dem Tag, als er sie hörte, dann soll alles, was über ihre Lippen gegangen ist, an Gelübden und an Enthaltungsgelübden ihrer Seele nicht gelten. Ihr Mann hat sie aufgehoben, und der Herr wird ihr vergeben.“
Das ist ein Beispiel dafür, wie eine Ehefrau gebunden ist, nämlich an die Zustimmung ihres Ehemanns. Interessanterweise fällt diese Zustimmung weg, wenn der Ehemann gestorben ist.
In 4. Mose 30,10 heißt es: „Aber das Gelübde einer Witwe, alles, womit sie ihre Seele gebunden hat, soll für sie gelten.“ Eine Witwe ist also nur an ihr eigenes Wort gebunden, sie hat keinen Eheherren mehr über sich.
Dasselbe gilt auch für die Geschiedene, denn 4. Mose 30,10 lautet vollständig: „Aber das Gelübde einer Witwe und einer Verstoßenen, alles, womit sie ihre Seele gebunden hat, soll für sie gelten.“ Eine geschiedene Frau ist also nicht mehr an das Votum ihres Ex-Ehemanns gebunden. Der Bund ist zerbrochen und aufgehoben.
Das ist wohl auch der Grund, warum Jesus in Johannes 4,18 zu der Frau am Jakobsbrunnen sagt: „Denn fünf Männer hast du gehabt.“ (Aorist, von der Zeitform her). Sie alle sind im Moment nicht mehr ihre Ehemänner. Es geht weiter: „Und der, den du jetzt hast, ist nicht dein Mann.“ Das heißt, sie lebt unehelich mit einem Mann zusammen.
Hier kann man ganz nebenbei schön zeigen, dass das Zusammenleben noch keine Ehe begründet. Miteinander schlafen tut das übrigens auch nicht, wie man in 2. Mose 22,15 sieht.
Illustration und Grenzen biblischer Analogien
Ein letzter Vers, den wir miteinander betrachten wollen, ist Römer 7, Vers 2:
Denn die verheiratete Frau ist durchs Gesetz an den Mann gebunden, solange er lebt. Wenn aber der Mann gestorben ist, so ist sie losgemacht von dem Gesetz des Mannes.
Auch dieser Vers wird gern herangezogen, um die Bindung einer Frau an ihren Mann über den Moment der Scheidung hinaus bis zum Tod des Ex-Ehemanns zu belegen. Aber auch dieser Text gibt das nicht her.
Grundsätzlich gilt: Lehre sollte nicht auf Analogien und Illustrationen aufgebaut sein, weil man selten genau sagen kann, wie weit diese gehen.
Ich mache mal ein ganz simples Beispiel. Wer auf Epheser 5 zurückgreift, wo gesagt wird, dass Jesus die Gemeinde liebt, und wo Männer aufgefordert werden, ihre Frauen so zu lieben, wie auch Christus die Gemeinde geliebt und sich selbst für sie hingegeben hat, der bekommt als Ehemann in der sich verschenkenden Hingabe Jesu ein Vorbild präsentiert. An diesem Vorbild darf man seinen eigenen Einsatz für die eigene Ehefrau messen.
Es geht im Beispiel von Jesus um Heiligung und in der Übertragung auf Ehemänner um Nähren und Pflegen. Was nicht geht, ist, das Beispiel über diesen Vergleichspunkt hinauszuziehen. Der Text redet nicht über den Umgang mit einer untreuen Ehefrau.
Es wäre deshalb exegetisch falsch zu behaupten, dass eine Scheidung immer falsch sein muss, weil Jesus sich ja auch nie von der Gemeinde scheiden lassen würde. Diese Ableitung gibt die Analogie nicht her.
Ich darf das Verhältnis Christus – Gemeinde nicht in allen Dingen eins zu eins auf das Verhältnis Ehemann – Ehefrau übertragen. Ich kann mir die Hingabe Jesu zum Vorbild nehmen, um meinen Egoismus als Ehemann zu überwinden.
Aber ich muss auch sehen, wo das Verhältnis des Christus zur Gemeinde anders ist als das Verhältnis zu meiner Ehefrau. Ich kenne zum Beispiel nicht die geheimsten Gedanken meiner Frau, bei Jesus ist das anders.
Nur weil Jesus alles kennt und alles beurteilen kann, leite ich aus seiner Beziehung zur Gemeinde nicht ab, dass auch ich alles daran setzen muss, die geheimsten Gedanken meiner Frau kennen zu müssen. Die Gleichung „Ein Ehemann ist nur dann ein guter Ehemann, wenn er die geheimsten Gedanken seiner Frau kennt“ ist falsch.
Ebenso falsch wäre die Formulierung: „Ein guter Ehemann ist nur dann ein guter Ehemann, wenn er sich nie, egal aus welchen Gründen auch immer, von seiner Frau trennt.“
Es ist falsch, weil ich bei Analogien und Illustrationen ganz genau darauf achten muss, was ich übertrage. Bilder haben ihre Grenzen, und so auch unser Text aus Römer 7.
Nochmal Vers 2 in Römer 7:
Denn die verheiratete Frau ist durchs Gesetz an den Mann gebunden, solange er lebt. Wenn aber der Mann gestorben ist, so ist sie losgemacht von dem Gesetz des Mannes.
Paulus geht es hier nicht darum, eine Aussage über Ehe zu treffen, sondern er benutzt die Ehe als Illustration für das Verhältnis des Menschen zum Gesetz.
Was will Paulus sagen? Paulus beschreibt das Verhältnis eines Christen zum Gesetz. Gesetz ist hier durchaus das Moralgesetz. Jeder Mensch steht unter dem Gesetz Gottes. Er muss es halten und wird danach gerichtet.
Das Problem ist nur, dass niemand es halten kann. Die Frage ist: Wie werde ich das Gesetz los? Wie eine Frau an ihrem Ehemann hängt, so hängt ein Mensch am Gesetz.
Die Lösung geht so:
Wenn sie nun bei einem anderen Mann ist, heißt es in Römer 7, Vers 3: „Wenn sie nun bei einem anderen Mann ist, solange ihr Mann lebt, wird sie eine Ehebrecherin genannt. Wenn aber ihr Mann stirbt, ist sie frei vom Gesetz, so dass sie keine Ehebrecherin ist, wenn sie bei einem anderen Mann ist.“
„Also seid auch ihr“, das ist der Vergleichspunkt in Vers 4,
„Also seid auch ihr, meine Brüder und Schwestern, im Gesetz getötet durch den Leib Christi, so dass ihr einem anderen angehört, nämlich dem, der von den Toten auferweckt ist, damit wir Gott Frucht bringen.“
Wir gehen mit Jesus in den Tod und erleben seine Auferstehung und können so ihn „heiraten“.
Warum erwähnt Paulus die Scheidung nicht? Weil es seine Illustration kaputt machen würde. Die Ausnahmen interessieren hier nicht. Er will die Ehe nicht als Allegorie verstanden wissen und ganz viele Vergleichspunkte finden. Er will genau eine Sache illustrieren:
Wenn ich mit Jesus sterbe und mit ihm auferstehe, dann bin ich so frei von den Ansprüchen des Gesetzes, wie eine Frau frei ist von den Ansprüchen ihres Ehemanns nach dessen Tod.
Nur weil wir mit Christus sterben, können wir der Herrschaft des Gesetzes entgehen und unter Gnade leben. Darum geht es.
Zusammenfassung und abschließende Gedanken
Soweit zu den Stellen und Prinzipien, die mir für das Thema Scheidung wichtig geworden sind. Vielen Dank fürs Zuhören.
Zum Schluss möchte ich einige wichtige Punkte noch einmal wiederholen. Punkt eins betrifft die Natur einer Ehe.
Die Natur einer Ehe
Die Ehe ist eine organische Einheit, aber keine, die auf mystische Weise über eine Scheidung hinaus andauert. Eine Ehe sollte so lange halten, bis der Tod die Eheleute scheidet. Leider deutet nichts darauf hin, dass dies immer der Fall ist.
Die Intention Gottes ist eine Sache, die realen Fakten oft eine andere. Die Bibel lehrt nicht, dass die Ehe unauflöslich ist, sondern nur, dass sie nicht aufgelöst werden soll. Leider gibt es Sünde. Menschen brechen ihre Versprechen und beenden Ehen, bevor sie es tun sollten.
Die Ehe ist ein Bund zwischen zwei Parteien. Dieser Bund umfasst Verpflichtungen, die entweder explizit benannt werden – wie die Hochzeitsversprechen – oder unausgesprochen vorausgesetzt sind. Eheleute können einander viele Dinge versprechen, aber bestimmte Pflichten gehören aus Gottes Sicht zwingend zu einem Ehebund.
Der Ehemann muss sich um die Bedürfnisse seiner Frau kümmern. Er darf sie nicht misshandeln, weder durch aktives Schlagen oder Beschimpfen noch durch passive Verweigerung von Nahrung, Kleidung, Unterkunft, Sexualität oder Altersversorgung. Die Ehefrau muss ihrem Mann treu bleiben.
Beide versprechen, einander beizustehen und eine gemeinsame Zukunft zu gestalten. Wer nun den Partner verlässt – auch nur innerlich –, der bricht das Ehegelübde.
Ehen können enden. Das Gebot „Du sollst nicht Ehe brechen“ weist darauf hin, dass man eine Ehe, weil es sich um einen Bund handelt, zerbrechen kann. Deshalb enden Ehen manchmal, bevor einer der Partner stirbt.
Das Ende einer Ehe tritt ein, wenn ein Partner bewusst sein Eheversprechen, das heißt seine Bundesverpflichtung, bricht.
Umgang mit Ehebruch und Misshandlung
Wie sollte man mit einem Ehezerbrecher umgehen? Im Alten Testament galt: Geht eine Ehefrau fremd, so sollten sie und ihr Liebhaber getötet werden. Später wurde an die Stelle der Exekution die Scheidung gesetzt.
Misshandelt der Ehemann seine Ehefrau, sei es aktiv oder passiv, dann ist die Ehefrau frei von der Ehe und nicht mehr an den Mann gebunden.
Eine besondere Form der Misshandlung der eigenen Ehefrau ist die heimtückische Scheidung. Dabei trennt sich ein Mann oder eine Frau aus nichtigen Gründen vom Partner, meist um einen anderen zu heiraten. Diese Form der Scheidung wird im mosaischen Gesetz erlaubt, um die Frau vor der Herzenshärtigkeit des Mannes zu schützen. Aus diesem Grund darf sie auch nicht zu ihm zurückkehren.
Diese Form der heimtückischen Scheidung entspricht jedoch nicht dem Willen Gottes und erfährt keine Billigung von ihm. Dennoch haben spätere Generationen von Schriftgelehrten dies genau so verstanden. Sie verwandelten ein Zugeständnis zum Schutz einer misshandelten Frau in ein Recht für Männer, sich je nach Bedarf von ihren Frauen trennen zu können. Die einzige Voraussetzung dafür ist das Ausstellen eines Scheidebriefs.
Vor Gott ist eine Scheidung aus nichtigen Gründen ein Verrat am Partner. Eine ungerechtfertigte Scheidung, auch wenn sie rechtlich unangreifbar ist, gilt vor Gott moralisch als Ehebruch.
Wenn Gott eine Scheidung nicht gutheißt, dann nützt auch ein Scheidebrief nichts – ebenso wenig wie jede andere vermeintlich gute Erklärung, die jemand dafür anführt.
Scheidung als Disziplinarmaßnahme
Die Scheidung als Akt der Disziplinierung
In der Bibel wird eine hurerische Ehefrau bei den Propheten nicht gesteinigt, sondern geschieden. Die Scheidung wird so zu einem Mittel der Disziplinierung. Der unschuldige Partner trennt sich vom schuldigen Partner. Dies geschieht mit dem Ziel, dass der Schuldige Buße tut und zum unschuldigen Partner zurückkehrt.
Jesu Haltung zur Scheidung
Jesus und Scheidung
Jesus möchte mit seinen Aussagen nicht die Lehre des Alten Testaments verändern, sondern bestenfalls die ursprünglichen Intentionen Gottes hinter den Gesetzen klarer hervorheben. Für ihn ist die Sünde der heimtückischen Scheidung ein klarer Fall von Ehebruch.
Für die Pharisäer war das Beenden einer Ehe das Privileg eines Ehemanns. Jesus lehrt jedoch, dass dem nicht so ist. Nur wenn ein wirklicher Grund vorliegt, ist eine Scheidung kein Ehebruch.
Für die Jünger war es neu, dass Jesus die Scheidung ohne Grund als Ehebruch bezeichnete. Doch schon durch Maleachi hatte Gott deutlich gemacht, wie sehr er Scheidung hasst, wenn sie ihren Ursprung darin findet, dass ein Partner in seinem Herzen einen anderen Partner begehrt.
Neben der Frage, welche moralische Wertung eine heimtückische Scheidung verdient, nämlich Ehebruch, geht Jesus auch der Frage nach, wie das Einmischen in eine bestehende Ehe mit dem Ziel, diese zu zerbrechen und einen der Partner zu heiraten, zu bewerten ist. Auch das wird von ihm als Ehebruch angesehen.
Es ist also nicht grundsätzlich jede Wiederheirat Sünde, sondern nur jene, die einen Verrat am Ehepartner beinhaltet. Dabei besteht die Sünde nicht in der Wiederheirat an sich, sondern im vorsätzlichen Bruch des Bundes.
Jesus geht damit auf den aktuellen Fall der Scheidung der Herodias ein, die sich von ihrem Mann getrennt hatte, um Herodes zu heiraten. Jesus will Männern verdeutlichen, dass sie nicht einseitig und ohne Grund eine Ehe beenden dürfen. Das ist nur möglich, wenn die Frau vorher durch ihr Verhalten den Bund gebrochen hat.
Zudem will Jesus deutlich machen, dass jeder, der sich in eine fremde Ehe einmischt mit dem Ziel, diese zu zerbrechen und dann den jeweiligen Partner zu heiraten, ebenfalls ein Ehebrecher ist.
Paulus’ Bestätigung und Erweiterung
Paulus’ Entscheidung
Paulus bestätigt in 1. Korinther 7 das, was Jesus gelehrt hat. Wer sich ohne ausreichenden Grund hat scheiden lassen, soll sich wieder versöhnen oder, wenn er das nicht möchte, allein bleiben.
Dann muss er sich mit einem Thema beschäftigen, zu dem Jesus nichts gesagt hat: den Problemen in der Ehe zwischen Gläubigen und Ungläubigen. Die Grundsätze bleiben jedoch gleich.
Lass dich nicht scheiden, bleib dem Bund treu. Es sei denn, der Ungläubige lässt sich scheiden. Dann bist du frei.
Den Singles und den legitim Geschiedenen erlaubt Paulus zu heiraten.
Persönliche Anmerkungen und Appell
Und jetzt sind wir wirklich am Ende, und deshalb möchte ich ein letztes Wort zu dem ganzen Thema sagen.
Ich will mit meinen Gedanken keinen Streit anzetteln. Ich kann gut damit leben, dass man meine Sicht für unbiblisch und falsch hält. Womit ich allerdings nicht klarkomme beziehungsweise was ich als Ungerechtigkeit empfinde und Gott klagen würde, sind diese letzten drei Dinge.
Erstens: Wenn man mir Unlauterkeit unterstellen würde. Ich kann es nur in aller Einfalt so sagen, aber ich bin mir tatsächlich keiner Voreingenommenheit bewusst. Mag sein, dass der Zeitgeist auf mich abfärbt oder konkrete Beispiele mein Denken geprägt haben. Niemand kann sich dem völlig entziehen. Aber mir geht es, soweit ich sehe, zuerst einmal um das Verstehen eines biblischen Befundes.
Zweitens: Wenn man Argumente nicht gelten lassen würde, weil sie zu spitzfindig sind. Wahrheit wird nicht dadurch zur Lüge, dass man sie nicht sofort versteht. Die Einsichtigkeit für den Laien ist kein Beleg für eine exakte Auslegung. Ich bitte alle meine Kritiker inständig, bevor sie meine Argumentation auf eine unfaire Weise zerreißen, ihre Hausaufgaben zu machen.
Wir müssen als Exegeten um Logik, die großen Zusammenhänge der Bibel, Grammatik und die Hermeneutik, mit der wir an Texte herantreten, bemüht sein. Wir müssen uns darum viele Gedanken machen. Nicht jeder ist ein Bibellehrer, und es ist keine Schande, sich eigene Grenzen einzugestehen.
Drittens: Was ich noch weniger mag als die ersten beiden Punkte, ist, wenn man hinter meinem Rücken schlecht über mich redet. Ich bitte alle meine Kritiker darum, in meiner Abwesenheit so über mich zu reden, als wäre ich anwesend.
Es wird in der evangelikalen Szene schnell schlecht geredet, obwohl es doch heißt: „Redet nichts Übles gegeneinander, Brüder“ (Jakobus 4,11), und an anderer Stelle: „Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt“ (Johannes 13,35).
Als Bruder unter Brüdern würde ich gerne etwas von dieser Liebe einfordern. Amen.
