Begrüßung und Einstimmung auf das Thema
Dann begrüße ich euch hier in Emmending, aber auch euch in Laar. Ich finde es richtig klasse, dass wir uns immer parallel treffen.
Ich versuche mal, gerade einen Überblick zu bekommen, wie viele da in Laar so sind: drei, sechs, sieben, acht, neun, zehn, elf. Ich glaube, elf. Seid ihr elf, richtig? Ich kann leider Rainer gerade nicht hören. Oder sind es tatsächlich zwölf? Ja, genau, die zwölf Jünger mit Jesus oder halt mit uns Emmendingern. Wunderbar, schön! Freut ihr euch schon? Das waren noch nicht alle.
Christusgemeinde? Feuer! Ja, in Laar wurde auch, glaube ich, geschrien, was auch immer die geschrien haben. Halteigosch sagt man doch, oder? Ja, okay, gut.
Dann möchte ich gerne mit euch durchstarten, indem wir miteinander beten. Jesus willkommen heißen, dass er unseren Sinn füllt, unser Herz füllt und auch diese Einheit dazu gebraucht, sich groß zu machen unter uns mit seinem Wort.
Vater im Himmel, im Namen Jesu beten wir zu dir und bitten dich um die Ausrüstung des Heiligen Geistes, damit wir verstehen, was dein Wort sagt, was dein Wort meint. Dass wir tiefer graben, tiefer forschen und dass Fragen geklärt werden können. Und dass wir auch aus unserer Denkbox austreten können, die wir vielleicht angelegt haben über dich.
Herr, ich bitte dich, dass du uns hilfst beim Denken und Nachvollziehen. Wir wollen nicht einfach nur nachkauen, was andere geschrieben haben, sondern wir wollen das in Relation bringen zu dem, was wir über dich erkannt haben, über dein Wesen.
Wir sind nicht hier, weil wir Wayne Grudem folgen oder abhängig sind von ihm, sondern es soll uns eine Hilfe sein, dass wir selber in den Prozess kommen, biblische Wahrheit zu verknüpfen und zu erkennen, wer du bist und wie du bist, wie du dich offenbart hast.
Herr, ich bitte dich, dass du uns jetzt unterstützt und dass wir die Wahrheit deines Wortes heute neu schätzen lernen. Danke, dass wir uns so viele Wochen lang mit einfach der Lehre über das Wort Gottes unterhalten können und nachsinnen können, um dadurch auch gestärkt zu werden, auch in unserem Vertrauen in dein Wort, Herr.
Segne uns jetzt hier in Emmending, aber auch in Laar. Amen!
Einführung in das Thema der Irrtumslosigkeit der Heiligen Schrift
Unser Thema ist, wie ihr hier vorne sehen könnt, die Irrtumslosigkeit der Heiligen Schrift. Wir steigen direkt ein in das, was Wayne Grudem in seiner Dogmatik darlegt. Er beginnt seine Kapitel gerne mit einer Definition. Zunächst legt er dar, was er überhaupt unter einem Thema versteht, und entfaltet dies dann im Verlauf der restlichen Seiten. Das hat der aufmerksame Leser vielleicht schon bemerkt, und das wird sich auch in den nächsten Kapiteln nicht ändern.
Die Definition, die er zur Irrtumslosigkeit der Heiligen Schrift anbietet, lautet folgendermaßen: Die Irrtumslosigkeit der Bibel bedeutet, dass die Bibel in ihren ursprünglichen Handschriften nichts behauptet, was den Tatsachen widersprechen würde.
Definitionen mit einer Verneinung sind immer besonders anspruchsvoll, da muss man noch einmal eine Kurve mehr nehmen oder eine Umdrehung mehr. Noch einmal: Die Irrtumslosigkeit der Bibel bedeutet, dass die Bibel in ihren ursprünglichen Handschriften nichts behauptet, was den Tatsachen widersprechen würde.
Eine andere Formulierung dafür ist: Das, was sie sagt, ist auch wahr. Das versteht man unter diesem Stichwort der Irrtumslosigkeit.
Dieses Thema ist in Deutschland schon eine Debatte, aber in Amerika noch viel, viel stärker. In den letzten Jahrzehnten wurde in Amerika heftig über genau diesen Begriff gestritten. Ganze Bücher und Konferenzen wurden veröffentlicht und veranstaltet, um zu klären, was das eigentlich für uns Christen bedeutet und was dieser Begriff auch nicht für uns Christen bedeutet.
Denn wenn ich jetzt hier im Raum fragen würde, ohne dass wir uns vorbereitet haben mit diesem Kapitel: Was bedeutet es, wenn wir sagen, etwas ist irrtumslos? Dann kann man das tatsächlich sehr unterschiedlich verstehen. Wayne Grudem geht auch auf einige Missverständnisse ein, weil Begriffe natürlich die Möglichkeit bergen, missverstanden zu werden.
Das habt ihr vielleicht in der Kommunikation auch schon erlebt: Ihr habt versucht, etwas zuhause zu kommunizieren, und dann wird das Ganze anders aufgefasst. Vielleicht wird es sogar ins Gegenteil verkehrt von dem, was ihr eigentlich sagen wolltet. Wie kann das sein? Weil mit Worten unterschiedliche Menschen Unterschiedliches verbinden.
Deshalb ist es wichtig, dass wir uns darüber im Klaren sind, was wir meinen, wenn wir von der Irrtumslosigkeit der Schrift sprechen. Heute werden wir hören, was Wayne Grudems Position ist, die er mit vielen anderen Evangelikalen teilt.
Wayne Grudem ist inzwischen ein älterer Mann, aber sein Lebenswerk war sehr stark davon geprägt, sich mit dieser Debatte auseinanderzusetzen. Er ist sehr bekannt dafür, dass er dieses Thema intensiv bearbeitet hat. Es ist also ein Leidenschaftsthema für ihn. Und...
Grundverständnis der Irrtumslosigkeit und ihre Bedeutung
In diesem ersten Abschnitt, der die Bedeutung der Irrtumslosigkeit behandelt, erklärt er, dass die Bibel Wahrheit ausspricht. Allerdings sind nicht alle möglichen Wahrheiten, die wir finden können, in der Bibel enthalten. Das bedeutet, es gibt auch andere Quellen, die wir hinzuziehen können, um Wahrheit zu entdecken und zu erkennen.
Es gibt nämlich mehr Dinge als die Bibel, die ebenfalls wahr sind. Wenn du zum Beispiel im Schulunterricht bist und Physik oder Mathematik hast, lernst du bestimmte Dinge, von denen ich selbst nicht mehr viel weiß. Ich bin froh, dass meine Kinder jetzt in der Grundschule sind, denn so lerne ich wieder Plus, Minus, Geteilt und Mal. Dabei stoße ich in der dritten Klasse schon an meine Grenzen. Diese Dinge, die wir dort lernen, sind ebenfalls wahr.
Nicht in jedem Schulfach lernt man wahre Dinge, aber ihr versteht, was ich meine. In vielen Schulfächern lernen wir einfach wahre Dinge, die jedoch nicht in der Bibel stehen. Im Geschichtsunterricht hast du viele wahre Dinge gelernt, die hier nicht offenbart und uns nicht weitergegeben wurden. Das bedeutet, wir haben zahlreiche Quellen, aus denen wir Wahrheit schöpfen können.
Aber das, was die Schrift behauptet, das, was sie in den Themen anschneidet und aussagt, ist vollkommen zuverlässig. Die Worte, die Wayne Grudem aus der Bibel zitiert, um das zu untermauern, sind Worte, die in diesem gesamten Komplex der Lehre vom Wort Gottes immer wieder auftauchen.
Psalm 12,7: „Die Worte des Herrn sind reine Worte, Silber am Eingang zur Erde geläutert, siebenmal gereinigt.“
Sprüche 30,5: „Alle Rede Gottes ist geläutert.“
4. Mose 23,19: „Nicht ein Mensch ist Gott, dass er lügt, noch der Sohn eines Menschen, dass er bereut. Sollte er gesprochen haben und es nicht tun, und geredet haben und es nicht halten.“
Dieser Vers ist häufig Gegenstand unterschiedlicher Debatten, besonders bezüglich des Wesens dessen, was Gott sagt. Darauf möchte er jetzt hinaus. Deshalb zitiert er diesen Vers, um Gottes Treue in dem, was er sagt, zu untermauern. Alles, was Gott behauptet, ist zuverlässig.
Aber dieser Vers bietet natürlich auch weiteres Potenzial für Diskussionen.
Herausforderungen und Debatten um Gottes Wort
Wem fällt etwas ein, worüber man noch diskutieren könnte, wenn man diesen Vers liest? Es geht um den Sinneswandel Gottes. Gibt es in der Bibel nicht Stellen, die davon sprechen, dass Gott seine Meinung ändert?
Das wird ein Thema sein, das uns in der Lehre über Gott beschäftigen wird: die Frage, ob Gott unwandelbar ist. Das ist ein sehr, sehr heißes Thema. Ich muss jedoch der Versuchung widerstehen, jetzt schon tief in diese Diskussion einzusteigen. Dennoch wird es eine sehr gute Einheit werden, in der wir versuchen, diese unterschiedlichen Aussagen über Gottes Wesen in Einklang zu bringen.
Einerseits heißt es, dass Gott einen gewissen Sinneswandel hat und sich reut. Andererseits heißt es auch, dass er sich nicht reuen kann. Wie bringt man das zusammen? Das werden wir noch herausfinden.
Was könnte man hier noch an Debattenpunkten herausziehen? Jesus trägt ja oft den Titel „Sohn des Menschen“ oder „Menschensohn“. Aber Gott ist kein Menschensohn. Wie kann das dann gleichzeitig wahr sein?
Auch das werden wir uns anschauen, wenn wir uns über das Wesen der Dreieinigkeit unterhalten. Dieser Vers wird dabei eine Rolle spielen. Aber das ist nicht der Fokus der jetzigen Debatte.
Es geht vielmehr darum, dass Gottes Worte, die er uns weitergegeben hat und die im Kanon der Bibel etabliert sind, Autorität über unser Leben haben. Darum ging es vor zwei Wochen. Jetzt sollen wir lernen, dass diese Worte auch irrtumslos sind, dass Gott nicht lügt und dass er bei dem bleibt, was er gesagt hat.
Umgang mit Alltagssprache und wissenschaftlichen Ansprüchen
Kommen wir zu einem ersten Punkt in diesem ganzen Komplex. Wayne Grudem schreibt: Die Bibel kann irrtumslos sein und dennoch in der gewöhnlichen Alltagssprache reden.
Es gibt viele Christen, die die Irrtumslosigkeit der Bibel bestreiten und dagegen argumentieren. Das passiert häufig, weil gesagt wird, dass die Bibel aus wissenschaftlicher Sicht nicht akkurat sei. Sie benutzt Formulierungen, die der wissenschaftlichen Realität nicht standhalten können. Deshalb könne man nicht sagen, dass die Bibel irrtumslos ist, wenn wir heute viel besser wissen, wie das alles funktioniert.
Nun sitzen hier auch einige Wissenschaftler, zum Beispiel Heiko, ein Naturwissenschaftler, der seine Materie kennt. Wenn er die Bibel liest, kommt er vielleicht ins Straucheln und sagt, das Weltbild der damaligen Zeit, so in der Antike, sei überholt. Wir hätten heute mehr Erkenntnis darüber, wie die Welt funktioniert.
Typische Beispiele sind Beschreibungen von Naturphänomenen in der Bibel. Zum Beispiel heißt es in Psalm 113, Vers 3: „Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang sei gelobet der Name des Herrn.“ Wer kennt das Lied noch? Ja, genau. Lassen wir es – es geht schief, wenn ich es anstimme.
„Vom Aufgang der Sonne“ – wir singen das so, aber hier wird die Wahrheit Gottes plump dahingesagt. Wir wissen heute, dass die Sonne nicht aufgeht, sondern dass sich die Erde weiterdreht. Außer wir haben einige sogenannte Flat Earther unter uns.
Weiß jemand, was ein Flat Earther ist? Ein Flacherdler. Das ist eine heiße Debatte, die seit einiger Zeit im Internet extrem entflammt ist. Habe ich schon gesagt, das ist extrem? Ich mache manchmal im Netz auf Instagram Fragerunden, bei denen man mir Fragen stellen kann, die ich dann öffentlich beantworte. Das ist nicht nur für meine Leser und Zuhörer spannend, sondern auch für mich, weil es meinen Horizont erweitert. Ich bekomme extrem häufig die Rückfrage: „Was hältst du von der Flacherde-Theorie?“
Ja, super spannend. Aber man könnte jetzt natürlich sagen: „Okay, der Psalm ist irgendwie auch Poesie. Das ist kein Tatsachenbericht.“
Willst du zur flachen Erde etwas sagen, Bruder? Ja, also ich verstehe, dass man in die Bredouille kommt, wenn man sich mit diesem Thema auseinandersetzt. Es ist nicht so, dass ich dem widerstehen muss, aber nur ganz kurz: Es ist ja nicht so, dass die Flacherdler keine Argumente hätten. Wer hat sich mal mit der Materie beschäftigt? Wenn du dich damit beschäftigst, auch wenn du am Ende sagst, das ist nicht meins oder nicht überzeugend, gibt es eine Latte von Argumenten, die herangezogen werden – und nicht nur religiöse. Das ist spannend.
Mich überzeugt das komplett gar nicht, null, also extrem gar nicht. Aber ich möchte noch Folgendes dazu sagen, damit wir schnell von diesem Thema wegkommen: Für mich ist das kein Thema, bei dem ich sage, ich komme in ein Problem mit dir, wenn du das anders siehst als ich. Es kann nämlich sein, dass jemand unter uns sagt: „Ja, ich bin ein Flacherdler.“ Ist das jetzt ein Problem? Nein, nicht an und für sich.
Ich glaube, dass es, um es diplomatisch auszudrücken, bessere Argumente auf der anderen Seite gibt. Aber wir sollten sehr barmherzig miteinander umgehen. Jesus hat nicht gesagt: „Nur die sind meine Nachfolger, die an eine runde Erde glauben.“ Versteht ihr, was ich meine?
Laufen wir schnell weg von diesem Thema, sonst rede ich mich noch um Kopf und Kragen. Auf jeden Fall könnte man sagen: „Okay, die Sonne geht auf und sie geht unter“ – das ist ein poetischer Text. Aber es ist nicht nur so, dass diese Rede vom Sonnenaufgang in poetischen Texten wie dem Psalm zu finden ist, sondern auch in Erzählgeschichtsbüchern wie Markus.
In Markus 16, Vers 2 heißt es: „Sie kamen sehr früh am ersten Tag der Woche zu der Gruft, als die Sonne aufgegangen war.“
Durch diese Beschreibung fällt es manchen schwer, die Bibel als komplett wahrhaftig anzusehen, wenn sie so spricht. Die Verteidiger der Irrtumslosigkeit sagen: Das stellt kein Problem dar, weil es eine Beschreibung aus der Perspektive des Beobachters ist. Ich nehme es so wahr. Das bedeutet nicht, dass ich naturwissenschaftliche Realität beschreibe, sondern einen Umstand, in dem ich mich gerade wiederfinde. Ich möchte damit eine Zeit andeuten, an der ich mich gerade befinde am Tag.
Es ist eine etablierte umgangssprachliche, alltagssprachliche Weise zu kommunizieren, die wir übernehmen, ohne den Anspruch, dass sie naturwissenschaftlich korrekt sein muss. Bis heute hat niemand so gesprochen. Ich glaube, ich habe noch nie jemanden getroffen, der morgens sagt: „Ich weiß gar nicht, wie ich das formulieren soll, jetzt hat sich die Kugel um so viel Grad gedreht, ah ja, es ist morgens.“ Nein, die Sonne ist aufgegangen. Genau.
Dasselbe gilt beim Umgang mit Zahlen und Maßeinheiten. Viele kommen in eine Bredouille, wenn in einem Bericht eine Zahl genannt wird und in einem Parallelbericht eine andere Zahl – die nicht identisch oder deckungsgleich ist. Der eine hat eine krumme Zahl, der andere eine gerundete Zahl.
Das hat auch mit unserer Denkweise als Westler zu tun. In der westlichen Welt streben wir nach wissenschaftlicher Präzision. Wenn etwas nicht wissenschaftlich präzise ist, sind wir schnell geneigt zu sagen: „Das ist falsch.“
Vielleicht ist das insofern relevant, um die noch viel wunderbaren Dinge zu glauben, wie eine Jungfrauengeburt. Der Kritiker sagt dann: „Ich möchte wenigstens, dass die Dinge, die nachprüfbar sind im Natürlichen, korrekt sind. Wenn die Bibel nicht einmal korrekte Zahlen wiedergibt, sollte ich ihr dann wirklich vertrauen, dass sie bei den wunderbaren Lehren wie der Jungfrauengeburt etwas Wahres aussagt?“
Insofern ist die Frage nicht irrelevant. Vor allem für einen Orientalisten ist das eine komische Fragestellung, wenn der Deutsche um die Ecke kommt und sagt: „Der hat 75 gesagt und der hat 70 gesagt. Warte mal kurz, das ist ein Widerspruch.“ Für den Orientalisten muss das kein Widerspruch sein, für den Deutschen jedoch schon.
Deshalb muss man auf diese Frage antworten, weil es für den Fragesteller nur diese Art und Weise gibt: Es muss absolut deckungsgleich sein. Wenn es nicht eins zu eins gleich ist, ist es falsch.
Aber auch in der Alltagssprache kennen wir das. Ich bin nicht gut in Mengenerfassung. Wenn ich nach Hause gehe und meine Frau fragt: „Wie viele waren da?“ und ich sage: „Keine Ahnung, wir sind dreißig bis vierzig.“ Ich weiß gar nicht, ob das stimmt, ich bin da wirklich schlecht drin. Jemand sagt dann: „Nein, wir waren fünfzig. Waldemar ist ein chronischer Lügner, weil er immer die falsche Zahl nennt.“ Da würden wir sagen: Nein, er hat schon die Wahrheit gesprochen, weil er ein ungefähres Maß genannt hat und sich an der Zahl herangetastet hat.
So arbeiten wir jeden Tag mit solchen Dingen.
Die Bibel bedient sich dieser Alltagsverwendung von Sprache. Es ist nicht so, dass sie eine computermäßige Analyse der Wirklichkeit ist. Menschen in Raum und Zeit mit ihren Gepflogenheiten schreiben Dinge und wollen etwas vermitteln. Gott gebraucht diese Form von Sprache, um seine Wahrheit treu weiterzugeben, ohne den Anspruch, dass die Maßeinheit immer exakt gleich sein muss.
Das Maß an Präzision entscheidet nicht über wahr oder unwahr. Der eine Autor neigt dazu, ganz genaue Zahlen zu schreiben, der andere rundet Zahlen. Dadurch entstehen Unterschiede, ohne dass sie im Widerspruch sein müssen.
„Okay, du hast ganz genau nachgezählt. Ja, aber das macht meine Aussage nicht falsch, weil ich etwas anderes kommunizieren wollte.“
Das bedeutet: Es ist möglich, durch vage oder ungenaue Aussagen Wahrheit zu kommunizieren. Wayne Grudem schreibt auch: Irrtumslosigkeit hat mit Wahrhaftigkeit zu tun, nicht mit dem Maß an Genauigkeit, mit dem Ereignisse berichtet werden.
Das ist der erste Punkt.
Umgang mit Zitaten und Überlieferung
Der zweite Punkt wird jetzt schon etwas interessanter und vielleicht sogar ungewöhnlicher für uns. Er ist auch schwieriger, weil er mit unserem Alltag noch weniger zu tun hat. Und zwar geht es um Folgendes: Die Bibel kann irrtumslos sein und dennoch ungenaue oder freie Zitate enthalten.
Das ist etwas, was für uns heutzutage sehr schwer nachzuvollziehen ist. Wenn jemand sagt: „Waldem hat gesagt:“, dann erwarte ich, dass ganz genau wiedergegeben wird, was diese Person gesagt hat. Sogar das Komma soll stimmen. Es dürfen mir keine anderen Worte in den Mund gelegt werden, sondern genau diese Worte müssen gewählt sein.
So gehen wir auch mit allen Quellen um, die wir nachweisen. Wir leben in einer wissenschaftlichen Zeit und Kultur, in der wir akademisch arbeiten. Wenn du studiert hast und akademisches Arbeiten gelernt hast, weißt du, dass sehr genau darauf geachtet wird, ob es sich um eine Paraphrase handelt – also eine sinngemäße Wiedergabe dessen, was ich gehört habe – oder ob es wirklich ein Zitat ist. Dann bitte mit Gänsefüßchen unten und oben und mit genauer Angabe der Quelle. Das muss alles ganz genau sein.
So zitieren wir Dinge. Und das war für mich jetzt ganz interessant: Ich habe mit ChatGPT gearbeitet, einer künstlichen Intelligenz – für diejenigen, die es noch nicht mitbekommen haben. Ich habe sie etwas gefragt. Ich wollte Zitate zu einem ganz bestimmten Thema von evangelikalen Predigern erfragen. Und dann hat sie mir direkt etwas ausgespuckt: fünf Prediger aus der Geschichte des evangelikalen Sektors zu diesem Thema. Ich war begeistert, das ist ja eine Fundgrube, dachte ich.
Dann habe ich ChatGPT gebeten, noch einmal ganz genau zu recherchieren, ob es sich wirklich um Zitate handelt. Und dann waren keines der Zitate, die sie mir gegeben hat, echte Zitate. Ich fragte: „Wie kommst du darauf, mir das so herauszuziehen?“ Die Antwort war: „Das ist eine sinngemäße Zusammenfassung der Werke dieser Theologen, die sie so gesagt haben könnten.“ Aber sie hätte es mir als Zitat unterjubeln wollen. Hätte ich nicht nachgefragt, wäre ich darauf hereingefallen und hätte gesagt: Spurgeon hat gesagt: …, aber Spurgeon hat das so im Wortlaut nie gesagt.
Ich war darüber empört, dass mir das so präsentiert wurde. Aber ChatGPT wurde von einem Orientalisten programmiert, der gesagt hat, unsere Handhabung mit Zitierungen sei eher sinngemäß, also ungefähr, aber nicht präzise wissenschaftlich genau.
Hier habe ich euch auch schon ein richtiges Zitat von Grudem abgedruckt. Ein genaues Zitat einer anderen Person muss nur eine korrekte Darstellung des Inhalts dessen umfassen, was die Person gesagt hat. Das bedeutet: Vielleicht kennt ihr das aus Predigten, wenn jemand sagt: „Die Bibel sagt…“ und dann wird etwas gesagt, was du im Wortlaut so in der Bibel gar nicht findest. Trotzdem sagen viele Amen. Warum? Weil der Gehalt der Bibel genau das zum Ausdruck bringt. Somit ist die Botschaft dieselbe, auch wenn sie nicht wortwörtlich wiedergegeben wurde.
Das wird besonders interessant und auf die Spitze getrieben, wenn wir sehen, wie die Weitergabe vom Wort Gottes tatsächlich stattfand. Ich möchte euch beispielhaft zwei Verse aus dem zweiten Buch Mose zeigen. Es gibt noch andere Passagen, die dasselbe tun, aber für uns westliche Christen kann das vielleicht etwas merkwürdig wirken.
Passt mal auf, das ist etwas, was ihr nicht bei Wayne Grudem lesen konntet – also Spezialinformationen, Expertenwissen.
2. Mose 3,18: Gott spricht zu Mose: „Sie werden auf deine Stimme hören. Du sollst zum König von Ägypten hineingehen – der König von Ägypten ist der Pharao – du und die Ältesten Israels. Und du sollst ihm sagen: ‚Jahwe, der Gott der Hebräer, ist uns begegnet. So lass uns nun drei Tagesreisen weit in die Wüste ziehen, damit wir Jahwe, unserem Gott, opfern.‘“
Als die Situation wenige Kapitel später kommt, heißt es in 2. Mose 5,1: „Danach gingen Mose und Aaron hinein und sagten zum Pharao: ‚So spricht der Herr, der Gott Israels: Lass mein Volk ziehen, damit sie mir in der Wüste ein Fest feiern.‘“
Gott sagt also: „Sage, ich bin der Gott der Hebräer, und ihr sollt drei Tagesreisen weit in die Wüste ziehen, damit wir Jahwe, unserem Gott, opfern.“ Mose hört das. Er ist nicht taub, und das ist auch nicht so viel, dass man es nicht behalten könnte.
Er steht vor dem Pharao und berichtet, dass er dies gesagt hat – „der Gott Israels“, nicht „der Gott der Hebräer“. „Einfach nur: Lass mein Volk ziehen, damit sie in der Wüste feiern.“ Es wird nicht einmal gesagt, wie weit. Aber Gott sagt es doch extra, doch Mose lässt diese Information weg. Er sagt auch nicht, dass dort geopfert werden soll, sondern dass ein Fest gefeiert werden soll.
Das ist für uns interessant, weil wir vielleicht die Vorstellung haben, dass, wenn Gott einem Propheten etwas gesagt hat, es immer wie eine Diktierung oder ein Diktat weitergegeben werden musste. Wenn das nicht geschah, dann war es nicht mehr Wort Gottes.
Hier merken wir aber, dass wir selbst in der Bibel eine gewisse Flexibilität sehen. Mose hat nicht gelogen. Ein Hebräer würde nicht sagen: „Mose, du hast Unwahrheit gesprochen.“ Nein, Mose hat die Wahrheit gesagt. Es ist das, was Gott gesagt hat. Aber es ist nicht jedes Wort hintereinander identisch gleich. Der Sinn ist jedoch genau der, den Gott Mose aufgetragen hat. Darum sollte es gehen.
Das kann auch Christen beruhigen, die sich fragen: Welche Übersetzung soll ich denn jetzt ganz genau lesen? Es gibt viele Übersetzungen. Und auch wenn du nicht Hebräisch oder Griechisch lesen kannst, musst du dir nicht sagen: „Ich werde niemals das Wort Gottes hören oder lesen können.“ Das, was du in deiner Übersetzung liest, ist sinngemäß – vielleicht gibt es einige schwierige Passagen, bei denen man noch weiterlesen oder weiter recherchieren muss – aber es ist Wort Gottes, sinngemäß, häufig sogar wortwörtlich weitergegeben.
Du kannst mit Sicherheit sagen: Ich weiß, was Gott den Menschen sagen lassen wollte. Und das ist überhaupt nicht schlimm, wenn es in anderen Übersetzungen mit einer etwas anderen Verpackung kommt. Es ist aber genau der Inhalt, den Gott weitergeben wollte.
Das ist uns, glaube ich, sehr selten bewusst: Dass sogar Propheten auf diese Art und Weise operiert haben. Es gibt noch andere Passagen, in denen längere Worte von einem Propheten weitergegeben werden. Ich war selbst einmal irritiert bei der Bibellese.
Bei den Hebräern ist es oft so: „Du sollst bitte das und das sagen.“ Dann kam ich in eine Situation, in der stand: „Dann habe ich das und das und das gesagt.“ Und dann hat jemand anderes berichtet, dass er das und das und das gesagt habe. Es wird immer wiederholt und immer wiederholt im Alten Testament. Es ist sehr redundant, das Alte Testament zu lesen.
Aber dann schaue ich und denke: „Moment mal, hier ist ein Satz weniger als dort. Hat der Prophet etwas verändert?“ Aber es war trotzdem dieselbe Botschaft. Also viel mehr Flexibilität, als wir das vielleicht gewohnt sind.
Bei einer Zitierung gehen wir davon aus, dass, wenn jemand sagt: „So spricht der Herr“, es eins zu eins wiedergegeben wird. Es gibt ja auch einige Christen, die sagen: „Ich lese nur Interlinearübersetzungen.“ Wobei man sich fragen kann: Was ist das eigentlich?
Eine Interlinearübersetzung ist der griechische oder hebräische Text, je nachdem, mit der deutschen Übersetzung direkt darunter. Das sind Satzkonstruktionen, die du gar nicht verstehen kannst, weil der Satz im Griechischen ganz anders aufgebaut ist als im Deutschen. Wenn du Ausländer bist, kennst du das vielleicht von deiner Sprache: Du kannst nicht eins zu eins übersetzen, manchmal musst du Worte verschieben.
Dieser Wunsch, ich möchte das ganz genau wissen, ist nicht falsch. Aber wir müssen uns auch nicht verrückt machen, dass Irrtumslosigkeit bedeutet, dass immer alles ganz, ganz genau sein muss. Sondern in der Bibel gibt es diese Flexibilität.
Solche Variationen haben wir immer wieder. Das ist etwas ganz Typisches, wo dann einige ins Straucheln kommen und sagen: „Irgendjemand muss doch Recht haben.“ Nein. Der wollte vielleicht nur von Bartimäus erzählen. Dann fragt man sich: Warum wird Bartimäus überhaupt mit Namen genannt? Vielleicht, weil er in der christlichen Kirche bekannt geworden ist und sein Name dadurch eine gewisse Prominenz hatte, um über ihn zu erzählen. Das kann sein, wir wissen es nicht ganz genau.
Aber nur weil einer von einem Blinden erzählt, heißt das nicht, dass nicht noch jemand anderes dabei war. Vielleicht war der eine in einer gewissen Art und Weise präsenter als der andere.
Also: Die Bibel kann irrtumslos sein und dennoch ungenaue oder freie Zitate enthalten.
Drittens…
Grammatik und sprachliche Besonderheiten in der Bibel
Es ist im Einklang mit der Irrtumslosigkeit, dass in der Bibel ungewöhnliche oder unübliche grammatische Konstruktionen zu finden sind. Das stellt für die Gegner der Irrtumslosigkeit ein besonderes Problem dar. Wenn die Bibel irrtumslos ist, wie kann sie dann grammatisch falsch sein?
Dieses Problem fällt in der deutschen Übersetzung kaum auf, weil die Übersetzungen viele Lektorate durchlaufen haben und somit sauberes Deutsch vorliegt. Tatsächlich ist es aber so, dass man bei einigen Autoren gehobenes Griechisch liest, während andere eher umgangssprachlich oder sogar holprig formulieren. Manchmal klingt das wie jemand, der nichts sagen darf und dabei ein bestimmtes Milieu oder eine Gruppe diffamiert. Obwohl man denkt, dass das nicht das beste Deutsch ist, das man spricht, ist es dennoch verständlich.
Die Sprache ist oft sehr ungenau, und es kommt vor, dass Plural und Singular durcheinandergebracht werden. Ähnlich wie euer Pastor, der immer wieder die gleichen Fehler mit „dir“ und „dich“ macht – Fehler, die er einfach nicht richtig hinbekommt und verwechselt. Solche Fehler passieren auch den Aposteln, wenn sie vom Heiligen Geist geleitet schreiben. Es ist fast schon witzig, dass sie grammatische Fehler machen.
Manche geraten dadurch ins Straucheln und sagen: „Wenn Gott etwas irrtumslos macht, wie ihr behauptet, dann wird er doch auch keine grammatischen Fehler machen.“ Doch diejenigen, die sagen, die Schrift sei irrtumslos und wahr in dem, was sie aussagt, meinen damit nicht, dass es keine sprachlichen Fehler geben könnte.
Warum nicht? Ihr habt hoffentlich alle schon einmal mit Ausländern ein Gespräch geführt. Wenn nicht, habt ihr ein signifikantes Problem. Ihr werdet erleben, dass je nachdem, wie lange ein Ausländer Deutsch spricht, er teilweise sehr gebrochen Deutsch spricht und viele Fehler macht. Manchmal denkt man, das kann man maximal missverstehen, wenn man will.
Aber ein Ausländer, der gebrochen Deutsch spricht, ist durchaus in der Lage, absolut vertrauenswürdig und wahr etwas auszudrücken. Du verstehst, was er sagen möchte, was er meint, und das ist unmissverständlich klar – auch wenn er sehr gebrochen und mit starkem Akzent spricht. Ich weiß ganz genau, was er sagen will und was er nicht sagen will.
Deshalb ist das für uns kein Problem. Wir könnten bei einem Augenzeugenbericht eines Ausländers, der schlecht Deutsch spricht, trotzdem sagen: Das, was er gesagt hat, ist wahr. Wir behaupten nicht, dass die Grammatik astrein war – sie war eine Katastrophe –, aber das, was er zum Ausdruck gebracht hat, ist wahr. Darauf können wir uns verlassen und dem vertrauen.
Also, ein Evangelium hier an alle Ausländer.
Kommen wir zu einem nächsten Punkt.
Die Bibel als Autorität für Glauben und Leben
Wayne Grudem geht natürlich auf Einwände gegen die biblische Irrtumslosigkeit ein. Ein Aspekt dabei ist: "Die Bibel ist nur die Autorität für Glauben und Leben." Warum er das in Anführungszeichen setzt, liegt daran, dass dieser Ausdruck in der theologischen Literatur immer wieder als fester Begriff verwendet wird.
Die Bibel ist unsere Richtschnur für Glauben und Leben. Wenn man das einmal gesehen und gelesen hat und sich weiter mit diesen Themen beschäftigt, liest man immer wieder „Glauben und Leben“. Für den Laien klingt das erst einmal gut, fast super. Für den geschulten Theologen ist es jedoch ein Wink mit dem Zaunpfahl. Hinter der Formulierung „Glauben und Leben“ kann sich eine Überzeugung verbergen, die besagt, dass die Bibel nur für Glaubensfragen und christliche Ethik beziehungsweise Lebensführung die Richtlinie ist.
Alle anderen Themen, etwa naturwissenschaftliche oder historische, könnten dann in Zweifel gezogen werden. Man sagt: „Nein, die Dinge, die die Bibel über die Natur oder historische Begebenheiten lehrt, haben nichts mit meinem Leben oder meinen Glaubensüberzeugungen zu tun. Deswegen ist die Bibel an dieser Stelle nicht wahr.“ So wird aus dem Begriff „Glauben und Leben“, der auf den ersten Blick positiv klingt, etwas Fragwürdiges.
Für Kritiker gibt es durchaus Problemtexte in der Bibel, bei denen sie sagen, dass sich Dinge widersprechen oder nicht zusammenpassen. Deshalb behaupten sie nicht, die Bibel sei überhaupt nicht wahr oder sage nichts Wahres über Gott. Sie sagen vielmehr, dass die Bibel in Bezug auf Moral und Ethik wahr ist, aber bei anderen Themen, die sie nicht nachvollziehen können, müsse man sich eingestehen, dass dies nicht der Hauptzweck der Bibel ist. Die Bibel soll nicht primär über Geschichte informieren, sondern über Gott.
Das bedeutet, dass historische Angaben falsch sein könnten. Grudem sagt zwar, dass der Hauptzweck der Bibel sicherlich die Glaubenslehre ist, also dass wir über Gott erfahren und im Glauben gestärkt werden. Er widerspricht jedoch der Unterscheidung in Kategorien wie „Glauben und Leben“ oder „Geschichte und Naturwissenschaft“. Er nennt diese Trennung eine künstliche Abgrenzung.
Dazu sagt er: Die Bibel sagt zu allen Themen wahrheitsgemäß etwas. Die Aussage, dass man der Bibel in bestimmten Bereichen weniger vertrauen könne, ist eine theologische Entscheidung, die von Menschen getroffen wurde. Grudem fragt: Wo steht in der Bibel, dass ich in manchen Dingen zuverlässig bin, in anderen aber nicht so ernst genommen werden muss?
Der Anspruch der Bibel, den wir lesen können, ist immer wieder, dass sie in all ihren Aussagen Wahrheit bringt – ohne Einschränkungen. Man kann nicht sagen: „Ja, die Geschichtsschreibung oder die Schöpfungserzählung wissen wir nicht genau, das ist vielleicht eine Märchenerzählung.“
Grudem bringt das in der Dogmatik deutlich zum Ausdruck. Er beschreibt, dass im Neuen Testament Aussagen aus dem Alten Testament übernommen werden, die oft nichts mit Glaubens- oder Lebensführungsthemen zu tun haben. Trotzdem werden sie von den neutestamentlichen Autoren als wahr betrachtet.
Das Neue Testament macht zum Beispiel folgende Angaben: David aß die Schaubrote im Tempel, Jona war im Bauch des Fisches. Das ist ein sehr massives Thema, denn aus wissenschaftlicher Sicht ist das komplex. Natürlich stellt sich hier die Frage: Die Auferstehung von den Toten ist noch komplexer als im Bauch eines Fisches zu sein.
Weitere Beispiele sind: Die Menschen von Ninive taten Buße, die Königin des Südens kam, um Salomo zu hören, Elia wurde zur Witwe von Zarephath gesandt, Naaman der Syrer wurde von Aussatz geheilt, am Tag, als Lot Sodom verließ, regnete es Feuer und Schwefel vom Himmel, Mose erhöhte die Schlange in der Wüste, Jakob gab Joseph einen Acker.
Ob diese Ereignisse wahr sind oder nicht, hat für den Glauben an einen allmächtigen Gott nichts zu tun. Es beeinflusst auch nicht die Moral. Es ist aber ein Hinweis, der von den neutestamentlichen Autoren gelesen und als Fakt akzeptiert wurde.
Warum betrachten wir das? Es geht darum, künstliche Kategorien in der Bibel zu schaffen: „Ja, das ist wahr, aber die anderen Dinge kannst du ignorieren.“ Grudem versucht mit dieser langen Liste zu zeigen – wir gehen hier nicht weiter auf alle Beispiele ein –, dass die Apostel und neutestamentlichen Autoren diese Kategorisierung nicht vorgenommen haben.
Woher nimmt man also diese Unterscheidung? Man sollte einen Hinweis geben, wie man dazu kommt, dann den ganzen Bereich als fragwürdig zu bezeichnen. Das kann man machen, aber wer gibt einem die Autorität dazu?
Wenn man sieht, dass die neutestamentlichen Autoren genau das Gegenteil tun, ist man eher geneigt, aus Grudems Perspektive zu sagen: Das ist genauso wahr wie alle anderen Dinge, die die Bibel sonst behauptet.
Im Neuen Testament gibt es keinen Hinweis darauf, dass zwischen der Wahrheit über Gottes Aussagen und der Wahrheit über historische Aussagen unterschieden wird.
Kritik am Begriff „Irrtumslosigkeit“
Dann ergibt sich hier ein Argument, das noch vorgebracht wird: Der Begriff Irrtumslosigkeit ist ein schwacher Begriff.
Ich fand diese Überschrift schlecht, muss ich sagen, weil sie schwach ist. Mit diesem Begriff konnte ich auch nicht so viel anfangen. Man könnte eigentlich sagen, er ist ungeeignet oder problematisch. Irrtumslosigkeit ist also ein problematischer Begriff.
Außerdem kommt der Begriff Irrtumslosigkeit in der Bibel nicht vor. Warum kämpfen dann so viele Theologen für einen Begriff, den wir in der Bibel gar nicht finden?
Das Witzige ist, dass dieses Argument leider bei vielen sehr schnell zieht. Viele sagen dann: „Ja, stimmt, gibt es nicht in der Bibel, also ist es auch nicht so wichtig.“ Es gibt aber viele Begriffe, mit denen wir arbeiten, die theologische Konzepte beschreiben, obwohl sie nicht wörtlich in der Bibel vorkommen.
Zum Beispiel Schöpfungsgeschichte. Dieser Begriff beinhaltet zumindest die Idee, dass die Welt nicht durch Evolution entstanden ist, sondern dass ein souveräner Gott aus dem Nichts geschaffen hat. Zu diesem Thema kommen wir noch. Das, was du beschreibst, nennt man die theistische Evolutionslehre, also die Evolution, die von Gott sozusagen angeschoben wird. Wie stichhaltig das ist, werden wir uns noch in der Lehre über die Schöpfung anschauen. Das kommt noch im Laufe der Dogmatik.
Aber zum Beispiel findest du den Begriff Dreieinigkeit nicht in der Bibel. Trotzdem kämpfen Christen seit langer, langer Zeit für die Wahrheit der Dreieinigkeit.
Auch Inkarnation ist ein Begriff, den du nicht in der Bibel findest. Was bedeutet Inkarnation? Nein, nicht Wiedergeburt. Mit diesem Begriff beschreiben wir eine Wahrheit, die wir in der Bibel finden: Gott ist Mensch geworden und hat sich in Jesus Christus gezeigt.
Diesen Begriff als solchen findest du nicht in der Bibel. So arbeiten wir häufig mit Begriffen, die du in der Bibel nicht findest, die aber zusammenfassend und kompakt beschreiben, was wir glauben.
Deshalb ist dieses Argument ziemlich sinnlos, zu sagen: Nur weil es den Begriff in der Bibel nicht gibt, ist das Thema an sich unwichtig.
Archäologische Befunde und historische Belege
Bitte, Philipp. Ja, tatsächlich ist das häufig so. Es gab in der Geschichte – ich bin kein Experte auf diesem Gebiet – Phasen, in denen gewisse Geschichtsabschnitte des alten Israels archäologisch nicht belegt waren. In diesen Zeiten wurde von der Wissenschaft die komplette Existenz bestimmter großer Persönlichkeiten oder Könige bestritten oder zumindest infrage gestellt. Man zweifelte daran, dass sie überhaupt existierten.
Erst vor einigen Jahrzehnten wurden Münzen gefunden, auf denen die Namen dieser Könige geprägt waren. Dadurch wurde bestätigt, dass die biblischen Könige tatsächlich existierten. Aber nur weil man vorher nichts gefunden hatte, wurde gesagt, dass es sie nicht gab.
Das Problem ist, dass die biblischen Funde, auch die schriftlichen, häufig unfair im Vergleich zu anderen Funden behandelt werden. Wenn irgendwo ein Schnipsel von etwas völlig Irrelevantem gefunden wird, reicht das schon aus, um als wahr anerkannt zu werden. Aber wenn es Tausende Funde über bestimmte Persönlichkeiten aus der Bibel gibt, wird das erst einmal kritisch hinterfragt. Man verlangt, dass diese Funde auch von anderen Quellen bestätigt werden.
Hier wird manchmal mit zweierlei Maß gemessen. Aber wie gesagt, ich bin kein Experte und möchte mich da nicht zu weit aus dem Fenster lehnen. Wissenschaftler sind auch nur Menschen. Vielleicht vergessen sie das manchmal, aber ja.
Begriff „Irrtumslosigkeit“ und seine Bedeutung in der Diskussion
Der Begriff Irrtumslosigkeit ist für mich ein sehr anschauliches und überzeugendes Konzept. Es wird oft gesagt, dass dieser Begriff problematisch oder schwierig ist, weil er den Eindruck erweckt, es werde hier präzise, also wissenschaftlich, gearbeitet.
Tatsächlich hat jedoch keiner der Vertreter der Lehre von der Irrtumslosigkeit der Heiligen Schrift jemals behauptet, dass es dabei um wissenschaftliche Genauigkeit geht. Vielmehr ist gemeint, was wir gerade miteinander erarbeitet haben.
Diese Aspekte sind sehr sorgfältig in einem Dokument beschrieben. Die Bibelschüler, die gut gelesen haben, wissen bereits, wie dieses Dokument heißt. Es trägt den Namen einer amerikanischen Stadt: die Chicago-Erklärung.
Diese Erklärung findet ihr in der Dogmatik ganz hinten im Anhang. Dort sind etwa anderthalb Seiten enthalten, auf denen ihr die ganze Erklärung auszugsweise lesen könnt. So wird deutlich, was mit dem Begriff Irrtumslosigkeit eigentlich gemeint ist.
Veranschaulichung der Irrtumslosigkeit anhand von Kartenbeispielen
Ich möchte euch nun anhand dieser Grafik etwas veranschaulichen. Mit dieser Grafik lässt sich sehr gut darstellen, was wir meinen, wenn wir von Irrtumslosigkeit sprechen.
Wenn du dir das anschaust, denkst du vielleicht: „Jo, ich erkenne, dass das Freiburg sein soll.“ Aber was hat Freiburg mit der Irrtumslosigkeit der Heiligen Schrift zu tun?
Wir sehen hier zwei unterschiedliche Grafiken, die beide für sich beanspruchen, Freiburg abzubilden. Auf der rechten Seite befindet sich eine übliche Landkarte, die maßstabsgetreu die Entfernungen und Plätze darstellt – in meinem Fall die S-Bahn-Stationen. Auf der linken Seite ist ein S-Bahn-Fahrplan zu sehen, der ebenfalls die Stationen darstellt.
Du wirst feststellen, dass die Art der Darstellung nicht identisch ist, sie ist nicht gleich. Ich möchte gerne mit euch die grüne S-Bahn-Linie auf der linken Seite verfolgen. Klingt witzig, aber passt mal auf: Wir starten hier, seht ihr diesen Kreis bei der Hornusstraße? Ich kenne die gar nicht. Kennt jemand die Hornusstraße? Okay, die Einheimischen hier schon. So, und jetzt: Denzling hat einen Bahnhof. Danke schön. Ja, ganz genau. Weißt du, ich fahre meinen Esel, meinen Smart. Frag mich aber nicht nach Straßenverlauf, da bin ich schlecht drin. Mein Nachbar Werner ist da der absolute Crack.
Pass mal auf, wo diese grüne S-Bahn-Linie langfährt, wenn ich ganz unten zum Klosterplatz möchte. Schaut euch diese grüne Linie an, ich zeichne sie mal mit meinem Stift nach. So sehen wir ungefähr, wie diese Linie verläuft. Das ist der S-Bahn-Fahrplan.
Auf der normalen Landkarte sehen wir hier ebenfalls die grüne Linie. Ich zeichne sie noch einmal nach. Ihr seht, dass sie später am Ziel ankommt – und zwar hier, am Klosterplatz von der Hornusstraße. Kennt jemand den Klosterplatz? Es werden weniger. Warum kennt ihr das alles?
Schaut mal, es gibt Parallelen bei den Abbiegungen, aber jedes Kind sieht, dass die Linien unterschiedlich sind. Beide Karten beanspruchen, Wahrheit zu kommunizieren. Niemand würde in der S-Bahn sitzen und zum Schaffner sagen: „Wir haben hier ein schwerwiegendes Problem.“ Dann würde er fragen: „Was ist das Problem?“ Du antwortest: „Ich wollte vom Holzmarkt zum Klosterplatz, das ist eine Gerade. Aber wir fahren keine Gerade, obwohl es hier so dargestellt wird. Tatsächlich fahren wir schräg.“
Das ist nicht schräg, das ist gerade, aber wir fahren schräg. Hinzu kommt, dass du dich darüber echauffieren könntest, dass diese ganzen Kreise alle den gleichen Abstand haben. Die S-Bahn will mir suggerieren, dass es von Punkt zu Punkt immer gleich lang dauert. Wenn wir uns jedoch die andere Karte anschauen, sehen wir, dass der Abstand von diesem Punkt hier unten zu einem anderen viel größer ist als die anderen. Hier ballt es sich sogar.
Eigentlich ist das eine fehlerhafte, lügnerische Karte, die mir eine Lüge auftischt und nicht die Wahrheit darstellt. Das klingt natürlich albern, aber ich befürchte, dass, wenn wir nach Hause gehen, alle nur diese Karte im Kopf haben werden. Alles andere Wunderbare aus dem Wort Gottes haben wir vergessen, aber diese bunten Bildchen bleiben in unserem Kopf.
Dennoch hilft uns das, das Konzept der Irrtumslosigkeit zu verstehen. Es geht bei dieser Karte tatsächlich in gewisser Weise um wissenschaftliche Präzision. Aber diese Karte will gar nicht wissenschaftlich präzise sein, sondern sie will Wahrheit für den S-Bahn-Fahrer darstellen. Damit er schematisch eine Idee bekommt, wo es langgeht und wo die Umsteigestationen sind. Das wird hier schön dargestellt. Es ist sehr mühselig, das auf einer anderen Karte so nachzuzeichnen.
Mit dieser Karte kannst du nicht arbeiten, wenn du das hier vermitteln möchtest. Du kannst die beiden Karten – den S-Bahn-Fahrplan und die Straßenkarte – nicht übereinanderlegen. Die Maßstäbe funktionieren nicht. Das bedeutet jedoch nicht, dass die S-Bahn-Leute gelogen haben. Sie möchten etwas in vereinfachter Form dem Nutzer kommunizieren.
So verhält es sich auch mit der Bibel. Der Begriff Irrtumslosigkeit kann bestehen bleiben, auch wenn es sich nicht um wissenschaftliche oder präzise Kommunikation handelt. Genauso ist diese Karte, wenn sie denn richtig ist – ich kann das nicht nachprüfen – irrtumslos in dem, was sie aussagt, ohne die wissenschaftlich präzisen Entfernungen abzubilden.
Noch einmal: Wenn du die Karte einem Autofahrer gibst, wird er nie am Ziel ankommen. Niemals. Oder auch interessant: Du sagst, auf der Schiene wird er dann ankommen. Auch das nicht. Und das ist der Witz. Hier werden ja nicht die Schienen dargestellt. Die Schienen sehen ja so aus, wie sie hier verlaufen – schräg, nicht gerade.
So, kommen wir vom Thema weg.
Manuskripte und Textüberlieferung
Kommen wir zum nächsten Punkt. Kritiker sagen, dass wir keine irrtumslosen Manuskripte besitzen, also keine ursprünglichen Schriften. Diese seien alle verloren gegangen. Deshalb sei es irreführend, von einer irrtumslosen Bibel zu sprechen.
Die Verteidiger der Irrtumslosigkeit argumentieren, dass das, was irrtumslos ist, nicht das ist, was kopiert oder übersetzt wurde, sondern das, was ursprünglich von Paulus, Johannes und anderen aufgeschrieben wurde. Aber von diesen Originalen haben wir ja nichts mehr. Das haben wir bereits in den vorherigen Einheiten gelernt.
Falls das traurig macht: Das ist der Fakt. Es gibt keine Abschrift von Johannes oder anderen Autoren, die irgendwo in einer Bibliothek aufbewahrt wurde. Man kann sie einfach nicht rekonstruieren. Sie sind verschollen. Wir haben nur Kopien von Kopien von Kopien. Und wenn diese ständig vervielfältigt und überall verteilt wurden, dann sind das mühselige, wissenschaftlich präzise Prozesse.
Ich bin auch schon durch solche Prozesse gegangen, um herauszufinden, an welcher Stelle es Abweichungen gab und wo diese begannen. Das versucht man zu rekonstruieren.
Die Kritiker sagen: Ihr redet von Irrtumslosigkeit und betont, wie wichtig es sei, dass die ursprünglichen Schriften irrtumslos seien. Wenn wir diese Schriften aber gar nicht haben, warum ist das dann relevant für uns? Dann können wir doch erst recht nicht von einer irrtumslosen Bibel sprechen.
Wayne Grudem sagt dazu Folgendes: Zur Widerlegung dieses Einwandes können wir zunächst feststellen, dass wir für über 99 Prozent der Worte der Bibel wissen, was die ursprünglichen Manuskripte sagten. Sogar bei vielen Versen, bei denen abweichende Lesarten vorhanden sind – das heißt unterschiedliche Wörter in verschiedenen Abschriften desselben Verses – ist die richtige Entscheidung häufig ziemlich klar.
In Wirklichkeit gibt es nur sehr wenige Stellen, bei denen die Lesart sowohl schwierig zu bewerten ist als auch für die Bestimmung des Sinnes des Textes von Bedeutung ist. Bei dem kleinen Prozentanteil der Fälle, in denen eine wesentliche Unsicherheit darüber besteht, was der Urtext sagte, wird der allgemeine Sinn des Satzes gewöhnlich aus dem Zusammenhang recht deutlich.
Man muss kein Hebräisch- oder Griechischgelehrter sein, um zu wissen, wo diese Lesarten stehen. Denn die meisten modernen Bibelübersetzungen enthalten in Rand- oder Fußnoten Hinweise wie „Manche alte Manuskripte lesen ...“ oder „Andere alte Autoritäten fügen hinzu ...“. Vielleicht hast du schon mal solche Fußnoten in deiner Bibel gelesen.
Diese Hinweise betreffen oft sehr marginale Unterschiede. Das herauszufinden ist also eher etwas für absolute Fachleute. Wenn du eine hebräische Bibel in der Hand hast, findest du dort unten immer eine Aufschlüsselung, in welchem Manuskript was steht. Das kannst du für jede Seite nachsehen.
Im griechischen Neuen Testament ist es genauso. Es gibt sogar eine Elberfelder-Ausgabe des Neuen Testaments, in der das auf Deutsch aufgeschlüsselt ist. Das heißt, wer kein Griechisch versteht, kann die Informationen sogar auf Deutsch nachlesen.
Aber so, wie ihr guckt, interessiert das kaum jemanden. Und das ist auch überhaupt kein Problem. Das ist völlig in Ordnung. Ich erwähne das nur, damit es etwas Substanz bekommt und wir es mal gehört haben.
Wir verlassen jetzt schnell diesen Bereich, weil er wirklich sehr theoretisch ist.
Umgang mit falschen Vorstellungen in der Bibel
Jetzt folgt ein Punkt, der später für unsere Moral interessant sein kann – ein Argument, das Wayne Grudem nennt. Die biblischen Autoren passten ihre Botschaften in geringfügigen Details an die in ihrer Zeit geläufigen falschen Vorstellungen an. Dabei bekräftigten oder lehrten sie diese Vorstellungen eher beiläufig.
Das bedeutet, dass die Autoren, die durch ihre Briefe schreiben oder zur Gemeinde predigen, falsche, irrtümliche Überzeugungen der Christen einfach in Kauf nahmen, um eine grundsätzliche Wahrheit zu vermitteln.
Vielleicht kennt man das aus der Kindererziehung: Wenn Kinder falsche Konzepte in ihrem Kopf haben, aber man ihnen gerade etwas vermitteln möchte, das sie verstehen sollen, nimmt man in Kauf, dass sie noch falsche Vorstellungen haben. Denn man verfolgt ein anderes Ziel.
Kann man diesen Gedankengang nachvollziehen? Es ist zwar nicht richtig, was du über diesen einen Aspekt noch denkst und glaubst. Aber nehmen wir das jetzt einmal in Kauf, weil es mir gerade nicht um das Detail geht, sondern ich möchte dir etwas anderes sagen.
Zum Beispiel: Du hast ein Kind, das traurig ist, weil das Haustier gestorben ist. Es versucht sich zu trösten, indem es glaubt, das Haustier käme in den Himmel. Wie häufig bekomme ich diese Frage: „Ist mein Haustier auch im Himmel?“ Das ist wahrscheinlich eine der häufigsten Fragen, die ich erhalte.
Angenommen, auch hier möchte ich keine religiösen Gefühle verletzen. Nehmen wir an, du gehst davon aus, dass Haustiere nicht in den Himmel kommen. Möchtest du dein Kind jetzt mit einer biblischen Wahrheit trösten? Biblisch gesehen ist das alles Mucks, was du über das Haustier im Himmel glaubst – das passiert gar nicht. Aber ich möchte nicht mit einer biblischen Wahrheit trösten, sondern ich übergehe diesen Punkt einfach und sage: Ja, ja, aber lass mich dir etwas anderes sagen.
Versteht ihr das jetzt? So wird es ein bisschen griffiger.
Wayne Grudem beschreibt diese Kritik von Gegnern, die sagen, Kommunikation wäre sehr anstrengend und langwierig, wenn man immer erst jeden Irrtum ausräumen müsste, um die Wahrheit zu vermitteln. Deshalb hat man einfach historische falsche Aussagen aus der Vergangenheit übernommen.
Weil es einfach unser Denken ist: Komm, es ist nicht so ausschlaggebend, ich möchte dir etwas anderes sagen. Das ist in gewisser Weise griffig und erleben wir auch im Alltag – wir praktizieren das selbst.
Ich erlebe häufig, dass Leute aus meiner Sicht falsche theologische Konzepte haben. Dann möchte ich über eine Sache mit ihnen sprechen und denke mir: Okay, komm, lass das stehen. Nicht, weil ich das für wahr erachte, aber es ist jetzt nicht die Zeit, darüber zu reden. Man muss filtern lernen, wann was dran ist. Aber diese Schule habt ihr ja schon absolviert.
Wayne Grudem hat damit jedoch ein großes Problem. Er sagt, das ist sehr schwierig, weil man damit behaupten würde, dass Gott seine Boten sendet, um Unwahres zu wiederholen, um Wahrheit zu predigen. Das passt nicht zu der Beschreibung, dass Gott, wenn er spricht, Wahrheit spricht und nichts Falsches sagt.
Ja, es ist ein pragmatischer Ansatz, so umzugehen. Aber ist Gott wirklich so pragmatisch in seiner Art, sich den Menschen zu nähern? Ja, er begibt sich auf unsere Augenhöhe. Aber hat das auch zur Folge, dass er Unwahres in Kauf nimmt, um Wahrheit zu sagen?
Wayne Grudem sagt, aus dem, was wir über Gott wissen, ist das eine unmögliche Annahme. Gott operiert nicht so, dass er sagt: Die Details spielen jetzt gerade mal keine Rolle. Nehmen wir das in Kauf und wiederholen es sogar, um das große Ganze zu sehen.
Wir werden gleich noch einmal darüber sprechen.
Menschlicher und göttlicher Aspekt der Bibel
Fünftens: Die Lehre von der Irrtumslosigkeit überbetont den göttlichen Aspekt der Bibel und vernachlässigt dabei den menschlichen Aspekt. Tatsächlich kann es vorkommen, dass diejenigen, die von der Irrtumslosigkeit ausgehen, so stark auf den göttlichen Aspekt der Bibel Wert legen, dass sie vergessen, dass die Bibel nicht vom Himmel gefallen ist, sondern von Menschen geschrieben wurde.
Es ist jedoch falsch anzunehmen, dass Botschaften, wenn sie von Menschen kommen, immer zwangsläufig fehlerhaft sein müssen. Wayne Grudem beschreibt das sehr anschaulich und finde ich sehr treffend. Er sagt, es ist einfach nicht wahr, dass alle menschliche Rede und alle menschlichen Schriften Irrtümer enthalten. Denn wir treffen täglich Dutzende von Aussagen, die völlig wahr sind. Zum Beispiel: „Ich heiße Waldemar Justus“, nicht Wayne Grudem.
Wayne Grudem schreibt: „Ich heiße Wayne Grudem, ich habe drei Kinder, ich habe heute Morgen gefrühstückt.“ Das ist ein absolut irrtumsloser Bericht, obwohl er menschlich ist. Somit sagt er den Kritikern: Moment, wir bekennen schon, dass auch Menschen geschrieben haben. Aber nur weil Menschen geschrieben haben, heißt das nicht automatisch, dass jedes Produkt, das sie entwickeln, auch fehlerhaft sein muss.
Es gibt viele Werke und Bücher, die, wenn sie scharfsinnig durchdacht sind, irrtumslos sein können. Es wird Werke geben, die diese Art von Irrtumslosigkeit besitzen. Auch deine Kommunikation wird immer wieder Bestandteile von Irrtumslosigkeit haben. Nur weil etwas menschlich ist, heißt das nicht, dass jeder Satz immer fehlerhaft ist.
Nicht jeder Satz, den du hoffentlich zu deiner besseren Hälfte gesagt hast, ist korrupt. Hoffentlich wäre das sonst echt schwierig. Genau.
Klärung zu vermeintlichen Irrtümern in der Bibel
Sechster Punkt
Es gibt in der Bibel einige klare Irrtümer. Es ist also nicht so, dass es überhaupt keine problematischen Texte gebe, wie ich vorhin mit der Fragestellung, wer Goliath getötet hat, aufgezeigt habe.
Aber bei genauem Hinsehen plädiert Grudem – und ich würde das bestätigen – dafür, dass es viele Irrtümer gibt, wenn man „Irrtümer“ in Anführungszeichen setzt. Wenn man gut recherchiert, wird man herausfinden, woher es eigentlich kommt, dass etwas so oder so geschrieben ist.
Ich möchte euch zwei Verse zeigen, einen Bericht aus 1. Mose 46,27, und eine Begebenheit, die in Apostelgeschichte 7,14 aufgegriffen wurde. Dort heißt es – das lest ihr jetzt auch nicht – Wayne Grudem muss auch Expertenwissen haben:
„Die Söhne Josephs, die ihm in Ägypten geboren wurden, waren zwei Seelen. Alle Seelen des Hauses Jakob, die nach Ägypten kamen, waren siebzig.“
Stephanus verkündet in Apostelgeschichte 7,14: „Joseph aber sandte hin und ließ seinen Vater Jakob holen und die ganze Verwandtschaft mit fünfundsiebzig Seelen.“
Das ist ein Widerspruch. Wie kann das sein? Woher kommt es, dass der eine von siebzig spricht, der andere von fünfundsiebzig?
Jetzt muss ich aufpassen, nicht zu sehr in die Theorie zu gehen, damit ihr mir hier nicht einschlaft, so kurz vorm Schluss. Es gibt ein hebräisches Altes Testament und dann gibt es die sogenannte Septuaginta. Das habt ihr auch schon öfter gehört. Das ist die griechische Übersetzung der hebräischen Bibel. Dieses Exemplar ist die deutsche Übersetzung der griechischen Übersetzung der hebräischen Bibel.
Okay, jetzt sind wir alle raus, aber forget it: hebräische Bibel und die Übersetzung ins Griechische. Warum hat man das gemacht? Weil Griechisch so gut wie Weltsprache war, und man wollte, dass überall die Leute die hebräische Bibel auf Griechisch lesen können, in der sogenannten Septuaginta.
Als Stephanus predigte – und nicht nur Stephanus, sondern viele Apostel, wenn sie predigten und schrieben – taten sie das auf Griechisch. Sie übersetzten nicht neu von hier, sondern sie nahmen den Text, den sozusagen alle Welt kannte, der für alle verfügbar war. So wie man heutzutage, vielleicht nicht mehr ganz so stark, aber vor einiger Zeit, nur Luther gelesen hat. In der evangelischen Kirche, in den Freikirchen wurde immer nur Luther gelesen. Selbst in den Textpassagen, wo Luther vielleicht nicht ganz astrein übersetzt hat, entschied man sich dafür, einfach Luther zu nehmen, weil die Leute das kannten.
R.C. Sproul sagt: Im hebräischen Text steht 70, in der Septuaginta jedoch 75. Die Erklärung für die 75 ist in den fünf zusätzlichen Nachkommen Josefs zu finden, die in der Septuaginta-Übersetzung von 1. Mose 46,20 enthalten sind. Dort werden zwei Söhne Manasses, zwei Söhne Ephraims und ein Enkel Ephraims genannt.
Also als die Septuaginta aufgeschrieben wurde – wer ist Vater von wem –, das ist ja im Alten Testament ständig so, dass jemand viele Kinder hat. In der Septuaginta sind noch weitere Namen aufgeführt, um diese Generationsliste aufzufüllen. Dann wurde das Ergebnis aktualisiert: Es waren fünfundsiebzig.
So kommt es zu der veränderten Zahl, die Stephanus dann lauthals verkündet. Der Widerspruch wird verständlich, warum er 75 sagt, anstatt 70.
Es gibt neben solchen Texten – und das ist noch relativ einfach – natürlich auch viele, die noch viel schwieriger sind und wo man vielleicht nicht sofort eine Lösung findet. Dazu sagt Wayne Grudem sehr schön: Es gibt keine wirklich neuen Probleme in der Bibel. Die Bibel in ihrer Gesamtheit ist über 1.000 Jahre alt, und die angeblichen Problemtexte sind die ganze Zeit über da gewesen.
Es hilft ein bisschen, wenn man ein bisschen ins Struggeln kommt. Hey, die großen Reformatoren haben die gleiche Bibel gelesen wie du und sie haben diese ganzen Stellen auch gesehen. Sie waren nicht blind und doof.
Doch die ganze Kirchengeschichte hindurch bestand ein fester Glaube an die Irrtumslosigkeit der Bibel in dem Sinne, in dem sie in diesem Kapitel definiert worden ist.
Es gibt auch Bücher, die über diese ganzen schwierigen Passagen berichten. Zum Beispiel ein Buch von Gleason Archer – ich weiß nicht, wie man seinen Namen ausspricht. Schwer zu verstehen? Da geht er durch die ganzen problematischen Stellen, wer hat Goliath getötet, und so weiter. Er geht Buch für Buch durch, zeigt die schwierigen Passagen und erklärt, wie man sie verstehen kann.
Wenn jemand zu dir sagt: „Ja, in der Bibel gibt es so viele Widersprüche“, dann frage einfach zurück: „Welcher genau?“ Oft kommt da nichts. Und wenn dann etwas kommt, hast du etwas, womit du dich beschäftigen kannst.
Schlussbetrachtung und Ausblick
Kommen wir zum Schluss. Du darfst es dir auch ausleihen, wenn ich es irgendwann wiederkriege. Wobei, was hat Jesus gesagt, wenn ihr leiht? Ja, dann solltet ihr es nicht wieder verlangen. Nein, du darfst es nicht ausleihen. Du darfst es tatsächlich ausleihen. Ach so, das gibt es auch kostenlos als PDF online – legal. Tatsächlich gibt es Probleme bei der Leugnung der Irrtumslosigkeit. Vielleicht denkst du: Okay, was ist das große Ding an diesem Thema? Was passiert, wenn ich das nicht glaube? Wenn mein Glaube nicht dazu reicht, dass die Bibel wirklich wahr ist in allem, was sie behauptet?
Wayne Grudem bringt dazu einige Punkte.
Erstens: Wenn wir die Irrtumslosigkeit leugnen, sind wir mit einem ernsthaften moralischen Problem konfrontiert. Dürften wir dann Gott nachahmen und ebenfalls in kleinen Details lügen? Also, wenn Gott Lüge in Kauf nimmt, Unwahres in Kauf nimmt, um etwas anderes zu erzählen, dürfen wir es auch, um die Kommunikation einfacher zu machen, mit unserem Gegenüber Dinge anders darstellen, weil sie vielleicht nicht ganz so wichtig sind?
Wayne Grudem zitiert Epheser 5,1: Seid nun Nachahmer Gottes als geliebte Kinder. Wie soll man Gott nachahmen, wenn Gott so ist? Wenn das wirklich so ist und die Bibel nicht irrtumslos ist, was bedeutet das für unsere Kommunikation?
Er sagt, es ist sehr wahrscheinlich, dass in den Kreisen, wo man die Irrtumslosigkeit verneint und sagt: Ja, es ist auch Gottes Wort, wenn da Dinge falsch sind, man es mit gewissen Dingen nicht mehr so ernst nehmen wird. Daraus kann eine negative Frucht entstehen – nicht muss, aber kann.
Zweitens: Wenn die Irrtumslosigkeit geleugnet wird, beginnen wir, uns zu fragen, ob wir Gott überhaupt in dem, was er sagt, vertrauen können. Er schreibt dazu – das habe ich hier nicht abgedruckt: Wir werden anfangen, zunächst jenen Abschnitten der Bibel nicht zu gehorchen, denen wir am wenigsten gehorchen möchten, und zunächst jenen Abschnitten zu misstrauen, denen wir am wenigsten geneigt sind zu vertrauen.
Wenn die Kategorie aufgemacht wird, dass es auch unwahr sein kann, zeigt meine Erfahrung im Theologiestudium mit Studenten, die mit diesen Fragen konfrontiert wurden und keinen Halt in der Irrtumslosigkeit der Schrift hatten: Sie haben diesen Dominoeffekt heftig erlebt und hatten nichts mehr, womit sie sagen konnten: Aber das wird doch wohl wahr sein müssen. Sie hatten kein Argument mehr in der Hand, und das führt zu großem Leid.
Grudem sagt, dass es nicht zwingend so sein muss. Es muss nicht sein, dass man Gott dann überhaupt nicht mehr vertraut, aber es ist ein Muster, das sich wiederholt.
Ich wollte hier eigentlich etwas aus der Chicago-Erklärung zitieren, was ich sehr griffig finde, das werde ich jetzt nicht machen. Sinngemäß geht es darum: Es ist eine wichtige Lehre, aber keine heilsrelevante Lehre. Du bist nicht Christ, weil du glaubst, die Bibel ist irrtumslos. Du kannst auch Christ sein, wenn du das nicht glaubst. Aber wenn du es nicht glaubst, wird es mit hoher Wahrscheinlichkeit zu starken negativen Konsequenzen in der Nachfolge kommen. Das ist auch meine persönliche Überzeugung.
Drittens: Wenn wir die Irrtumslosigkeit leugnen, machen wir im Grunde unseren menschlichen Verstand zu einem höheren Wahrheitsmaßstab als Gottes Wort selbst. Das ist ein bisschen verwandt mit der Diskussion, die wir vor zwei Wochen hatten über die Autorität der Schrift. Wer kann sagen, dass die Schrift die höchste Autorität ist? Es kann nur die höchste Autorität sein, deswegen muss es die Schrift sein.
Aber wenn wir jetzt sagen, wir leugnen die Irrtumslosigkeit aufgrund unseres menschlichen Verstandes, weil wir Kategorien ausmachen, wo wir das nicht so ganz ernst nehmen müssen, dann stellen wir uns darüber und hinterfragen: Wer steht eigentlich über wem? Das ist eine automatische Schlussfolgerung daraus.
Kommen wir zum letzten Punkt. Boah, ich bin richtig gut in der Zeit.
Viertens: Wenn wir die Irrtumslosigkeit leugnen, dann müssen wir auch sagen, dass die Bibel sich nicht nur in geringfügigen Details irrt, sondern auch in einigen ihrer Lehren.
Ich möchte mit folgendem Zitat abschließen, weil das hier nicht so sein muss. Deswegen finde ich eine Fußnote, die Wayne Grudem schreibt, sehr wichtig:
Obwohl die unerwünschten Positionen, die oben angeführt wurden, logisch mit einer Leugnung der Irrtumslosigkeit zusammenhängen, sollte man hier vorsichtig sein. Nicht alle, die die Irrtumslosigkeit leugnen, werden auch die unerwünschten Schlussfolgerungen annehmen, die gerade aufgelistet wurden.
Manche Menschen werden wahrscheinlich inkonsequent die Irrtumslosigkeit leugnen, aber diese nächsten logischen Schritte nicht gehen.
In Debatten über die Irrtumslosigkeit ist es ebenso wie in anderen theologischen Diskussionen wichtig, dass wir Menschen aufgrund von Auffassungen kritisieren, die sie tatsächlich vertreten, und jene Auffassungen deutlich von Positionen unterscheiden, von denen wir meinen, dass sie diese vertreten würden, wenn sie ihre eigenen tatsächlichen Auffassungen konsequent durchdächten.
Was bedeutet das? Ich war mit Studenten konfrontiert, die sagten: Ja, historisch glaube ich nicht, dass das wahr ist, und hier sind Fehler, dort sind Fehler.
Und dann habe ich genau das gemacht, was Wayne Grudem hier – ohne dass ich das gelesen hatte – einfach mal weitergedacht habe: Wenn du sagst, dass das nicht wahr ist oder dass diese Wunderwirkung von Gott nicht passieren konnte in der Vergangenheit, dann frage ich dich: Warum glaubst du, dass Jesus Christus von den Toten auferstanden ist? Ja, natürlich ist er von den Toten auferstanden.
Ich so: Ja, aber bitte sei in deinem Denken jetzt mal konsequent. Das konnte nicht passieren, dass Kranke geheilt wurden zum Beispiel. Du sagst, dass das nicht geht. Aber Jesus kann von den Toten auferstehen?
Was ist komplexer, was ist schwieriger? Und warum sagst du: Das kann ich nicht glauben, aber das kann ich glauben? Das kann ich nicht glauben, aber das kann ich glauben?
Ich sage euch, warum er so unkonsequent war, der mit mir darüber gesprochen hat: Weil wenn er konsequent weiterdenkt, muss er seinen ganzen Glauben verleugnen. Und das konnte er nicht. Und das wollte er nicht. Er wusste, dass sein ganzes Kartenhaus sofort zusammenfällt, wenn er konsequent weiterdenkt.
Und das habe ich häufig erlebt: Diejenigen, die die Irrtumslosigkeit wegschmeißen und sagen, ja, mit der Schrift kann man so und so verfahren, leben in einer großen Inkonsequenz. Sie haben eigentlich Angst, ihr eigenes Denken fortzusetzen, anstatt zu sagen: Wenn Christus tatsächlich auferstanden ist und ich ihm begegnet bin, dann kann auch alles das wahr sein, was er für wahr betrachtet.
Das ist logisch, das ist konsequent. Andersherum wiederum nicht.
Offene Frage zum Abschluss
Zum Schluss möchte ich gerne noch eine Frage zur Diskussion stellen, die mich sehr interessiert. Ich habe drei Fragen vorbereitet, aber wir werden nur eine davon besprechen.
Sollte die Lehre von der Irrtumslosigkeit eine grundlegende Säule für die gesamte Gemeinde sein? Oder gilt sie nur für Diakone und Älteste? Oder vielleicht nur für Pastoren? Oder muss sie überhaupt eine solche Rolle einnehmen? Was würdet ihr dazu sagen?