Herausforderungen des Glaubens in der DDR
Als junger Mensch in der DDR war man immer wieder herausgefordert, Stellung zu beziehen: Warum tut man das eine und verweigert das andere? So kam jeder junge Mann, der auch Christ war, in die Situation, sich mit 18 Jahren entscheiden zu müssen. Die Frage war: Gehe ich zur Musterung? Gehe ich zur Armee, was bedeuten konnte, dass ich an die Grenze gestellt werde und vielleicht auf Flüchtlinge schießen muss? Oder gehe ich ins Gefängnis, mindestens zwei Jahre? Oder wähle ich den Mittelweg, nämlich den Dienst als Bausoldat.
Das bedeutete, dass man das Schießen und den Eid auf den SED-Staat verweigerte. Ich habe mich für diesen Mittelweg entschieden. Wir wurden dann natürlich fast alle mit 26 Jahren zur Armee eingezogen, als letzte Möglichkeit. Zu diesem Zeitpunkt hatte man oft schon eine Familie. Das war eine Schikane, und man wurde als Staatsfeind behandelt.
Den anderen Soldaten in der Kaserne wurde vorher gesagt, dass wir Pfarrer, Schwule und Kriminelle seien, mit denen sie nicht reden dürften. Dementsprechend war die Behandlung schlecht, und wir bekamen sehr selten Urlaub – einen Mini-Wochenendurlaub alle acht bis zehn Wochen.
Einer der Bausoldaten hatte zu Hause auch Familie und ein blindes Kind. Er kam eines Tages völlig erschüttert von einem Kurzurlaub zurück in die Kaserne. Er war erschüttert, weil er sagte: „Mein Kind hat mich nicht mehr erkannt.“ Das war klar, denn das Kind konnte den Vater nur an der Stimme erkennen, da es ihn nicht sehen konnte. Aber es hatte die Stimme des Vaters zu selten gehört, weil der Vater zu selten kommen durfte, und so erkannte es ihn nicht mehr.
Damals habe ich mir, als er mir das erzählte, gedacht: So ist das auch mit dem himmlischen Vater. Viele erkennen die Stimme des himmlischen Vaters nicht, nicht weil der himmlische Vater weit weg wäre, sondern weil wir uns von Gott entfernt haben. Und das sehen wir jetzt in seiner Liebe. Dennoch redet er, und dennoch redet er.
Das Bild von Jesus als Licht und der wartenden Tür
In der Sankt-Pauls-Kathedrale in London hängt ein Bild. Dieses Gemälde trägt den Titel „Das Licht der Welt“. Darauf ist Jesus dargestellt. Du siehst ihn dort mit einer Laterne in der linken Hand, die leuchtet. Mit der rechten Hand klopft er an eine Tür.
Diese Tür ist etwas ganz Besonderes. Sie hat keine Klinke, sie fehlt. Die Tür kann nur von innen geöffnet werden. Jesus steht davor, klopft und wartet.
Die Bibel verrät uns im letzten Buch: „Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe. Wenn jemand meine Stimme hört und die Tür auftut, zu dem werde ich hineingehen und das Abendmahl mit ihm feiern und er mit mir“ (Offenbarung 3,20). Jesus redet also auch und klopft bei denen, die ihn bisher abgelehnt haben, die nichts von ihm wissen. Vielleicht sogar bei denen, die Krieg gegen ihn führen – die ruft er.
Wenn wir dann in unserem Lebenshaus sitzen, gibt es verschiedene Möglichkeiten. In seiner Hütte kann viel Lärm sein. Man kann die Stereoanlage voll aufdrehen, viel unterwegs sein oder sehr engagiert sein. Dann hört man das Klopfen nicht, weil man nicht zur Ruhe kommt. „Ruhe vor dir“ haben wir vorhin gerade gesungen. Jesus geht weiter.
Oder du bist vielleicht in einem Zimmer zu Hause, wo du einsam bist. Es ist still, aber Jesus klopft. Du fragst dich: „Was soll das Geklopfe an der Tür? Ich hätte gerne einen lauten Knall, der mal alles verändert. Warum ist das so ein leises Geklopfe da draußen?“ Du gehst nicht zur Tür, machst sie nicht auf, und Jesus geht weiter.
Die Einladung zur Gemeinschaft mit Jesus
Die Bibel verrät uns vieles.
Wie viele ihn aber aufnahmen, denen gab er Macht, Gottes Kinder zu werden, denen, die an seinen Namen glauben – also denen, die die Tür aufgemacht haben und gesagt haben: „Herzlich willkommen in meinem Lebenshaus, Jesus, komm du rein.“ Das sind diejenigen, die Jesus nicht die Tür zugeschlagen haben.
Einer, der dem Vater im Himmel die Tür vor der Nase zugeschlagen hat, das heißt, der sogar weit von ihm weggegangen ist, von dem möchte ich jetzt erzählen. Er ist als der verlorene Sohn in die Literatur und in die Geschichte eingegangen. Dennoch hat Gott nicht aufgehört, mit diesem Mann zu reden. Seine Liebe geht ihm weiterhin nach.
Damit die Beziehung zum Vater wieder in Ordnung kommt, redet Gott. Wir kennen die Geschichte, die Jesus erzählt hat. Gott spricht erst einmal durch eine Wirtschaftskrise. Diese Krise reißt den jungen Mann aus seinem Korsett. Eine Hungersnot kommt noch hinzu.
Ich stelle mir das so vor: Da sitzt der Junge nun weit weg vom Vater in der Fremde. Er steckt in seiner Not fest und sucht nach Halt, vielleicht nach einem tröstenden Wort. Doch er findet es nicht. Während er an seinem Schweinetrog hängt, bekommt er plötzlich Sehnsucht nach dem Vaterhaus in seinem Herzen.
Ich stelle mir vor, dass ihm während dieser Zeit in der Fremde einige Wortfetzen einfallen, die der Vater früher gesagt hat. Das war nicht alles einfach so aus seinem Kopf verschwunden. Eines dieser Worte hörte sich so an: „Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein.“
Damals, am Mittagstisch, muss der Vater das wohl gesagt haben, als die wichtigen Dinge des Lebens besprochen wurden. Doch der Sohn merkt plötzlich: In diesem Wort ist kein Leben mehr. Das Wort hat seinen Geist aufgegeben. Es gibt ihm keine Kraft mehr. Es sind Vokabeln, mit denen er nichts mehr anfangen kann.
Die Kraft des Lebens durch Jesus
Ich will dir etwas sagen: Wenn plötzlich Jesus kommt, dann erwacht Leben in den Leichen. Dann kommt Leben auch in Vokableichen. Wie funktioniert das?
Ich bin beruflich viel unterwegs und darf ab und zu einen Espresso in einer schönen Altstadt genießen. Man sitzt im Café, und gegenüber steht die alte Kirche. Dabei schaue ich mir diese Kirche immer wieder an – nicht, weil ich besonders viel Interesse an Kunst habe oder Ahnung davon, sondern weil ich mich für das Glaubenszeugnis der Christen interessiere, die in den Jahrhunderten vor uns gelebt haben. Ich frage mich, wie sie ihren Glauben dort dargestellt haben.
Bei vielen dieser Kirchen gehe ich bei herrlichem Sonnenschein auf das Gebäude zu. Die Fenster sehen fast schwarz aus, sie wirken tot. Doch wenn ich die Kirche betrete, flutet das Sonnenlicht durch die bunten Kirchenfenster hindurch, und sie werden plötzlich lebendig. Dort kann ich unter anderem die Geschichte vom verlorenen Sohn entdecken.
Dann denke ich: Wunderbar! So ist es auch, wenn man in die Kirche hineingeht – die Bilder werden lebendig. Im übertragenen Sinne bedeutet das, in die Kirche einzutreten, in die Beziehung zu Gott einzutreten. Dann werden die Worte, die wir in der Bibel finden, lebendig. Sie sind keine Vokableichen mehr, mit denen wir nichts anfangen können.
Diese Beziehung zum Vater, zu Gott, bringt uns nur einer: Jesus, der Mann aus Nazareth. Genau dieses Zurückgehen, dieses Eintreten in die Beziehung zu Gott, diesen Weg, den Jesus gebaut hat – nämlich zum Vaterhaus –, den geht jetzt der verlorene Sohn. Er macht sich auf.
Die Rückkehr und die Rolle des Verstandes
Und nicht nur er selbst kommt völlig zerlumpt zu Hause an und wird wieder aufgenommen, sondern er bringt auch etwas mit. Sein Verstand – denn seinen Verstand hat er ebenfalls mit in die Fremde genommen.
Was passiert aber mit dem Verstand, wenn wir vom Vater weggehen, wenn wir aus der Beziehung zu Gott herausgehen? Der Verstand erfindet Argumente gegen Gott und gegen seinen Willen, vor allem gegen das Wort Gottes. Das ist dann die Aufgabe des Verstandes, wenn wir in der Fremde unterwegs sind.
Jetzt nimmt der Junge jedoch seinen Verstand wieder in die Nähe Gottes. Dort erhält er seinen ursprünglichen Auftrag zurück: das Wort Gottes zu verstehen und es im Alltag umzusetzen, es zu leben.
Der Verstand ist ja ein ursprüngliches Geschenk, das Gott uns gemacht hat. Es ist nicht so, dass wir im Christentum an der Garderobe unseren Verstand abgeben müssen. Nein, beim Bibellesen müssen wir ihn benutzen – dafür haben wir ihn ja bekommen.
Die neue Hausordnung im Lebenshaus
Und es kommt noch etwas dazu: Wir bekommen jetzt eine Hausordnung. Jesus hat an die Tür geklopft, wir haben ihn hereingelassen, und in diesem neuen Zuhause bietet er betreutes Wohnen an. Betreutes Wohnen gibt es ja für Senioren oder Menschen mit Behinderung, und das genießen wir auch, wenn man es braucht. Aber Jesus bietet auch eine Art betreutes Wohnen für uns an.
Stell dir vor, du lässt Jesus in dein Lebenshaus. Er nimmt dich bei der Hand und geht mit dir durch alle Räume. Zuerst öffnet er alle Fenster, damit frische Luft und Sonne hereinkommen. Dann räumt er den Dreck des Lebens weg, entsorgt die Sünde. Als Erinnerung hängt er gleich ein Kreuz an die Wand und legt die Bibel auf den Tisch.
Anschließend geht er mit dir durchs Haus. Als Erstes marschiert er mit dir in den Keller, in dein Unterbewusstsein. Dort sagt er zu dir: Du sollst nicht neidisch sein auf das, was anderen gehört. Nicht neidisch auf ihren Ehepartner, auf ihr Einfamilienhaus, auf ihre Mitarbeiter in der Firma oder auf ihr Auto.
Dann kommt ihr ins Kinderzimmer. Dort sagt er: Zur Hausordnung gehört jetzt auch, dass du Vater und Mutter ehren sollst. Und er sagt dir das übrigens als einzigen Punkt in dieser Hausordnung, bei dem er dir auch etwas verspricht – nämlich dass du lange lebst in dem Lebensraum, den er dir zur Verfügung stellt.
Dann geht ihr ins nächste Zimmer, ins Schlafzimmer. Dort sagt er zu dir: Du sollst nicht aus deiner Ehe ausbrechen, nicht in eine andere Ehe einbrechen. Du sollst überhaupt keinen Ehebruch begehen.
Anschließend kommt das Arbeitszimmer dran. Das sieht ein bisschen schlimmer aus als die anderen Zimmer. Doch kaum, dass er zur Tür hereinkommt, sagt er: Eine Regel musst du hier drin beachten – du sollst den Feiertag heiligen. So hat er dich geschaffen, damit dein Leben überhaupt läuft. Einen Tag musst du herausnehmen, und an diesem Tag will er sich besonders mit dir beschäftigen. Durch die Predigt im Gottesdienst will er mit dir reden.
Dann hält er dir im Arbeitszimmer gleich noch das Büromaterial deiner Firma unter die Nase und sagt: Du sollst nicht stehlen.
Als er gerade im Lesezimmer sitzt, liegt dort die Morgenpost auf dem Tisch, die gerade über Menschen herzieht. Er erinnert dich an die Würde des Menschen und sagt: Du sollst kein falsches Zeugnis reden gegen deinen Nächsten.
Im Wohnzimmer sitzt er vor dem Fernseher, dem vierkantigen Wohnzimmergott. Er zeigt in diese Richtung und sagt: Du sollst nicht morden.
Am Schluss geht es noch in die Garage. Dort steht der neue, hochglanzpolierte Wagen. Jesus sagt zu deiner Hausordnung, die gilt sogar bis in die Garage: Du sollst keine anderen Götter neben mir haben. Ich bin der Herr, dein Gott, keine anderen Götter.
Und das alles tut er aus Liebe, weil er weiß, dass Götzen dich kaputtmachen. Das ist die neue Hausordnung, die er mitbringt, die wir in der Heiligen Schrift finden. Und ich will dir gleich sagen: Wir brauchen Gott überhaupt nicht zu bitten, dass er uns an dieser Hausordnung vorbei irgendetwas anderes erlaubt.
Die Bedeutung der Gebote Gottes im Alltag
Meine Frau traf eine Frau, die Christin ist und von der wir wussten, dass sie verheiratet ist. Zu diesem Zeitpunkt war sie tatsächlich noch verheiratet, doch sie war mit einem anderen Mann unterwegs. Beide haben uns gegenüber zugegeben, dass der Herr sie zusammengeführt hat, obwohl sie noch verheiratet waren.
Dazu kann ich nur sagen: Es tut mir leid, aber an den Geboten Gottes vorbei wird dir der Herr nichts anderes sagen. Um die Gebote Gottes herum mag es vielleicht mehr Spaß geben, doch ein wirkliches Lebensglück wirst du so nicht finden.
Die Stimme Gottes hören durch die Heilige Schrift
Also, wie kann ich denn nun die Stimme Gottes hören? Heute Vormittag habe ich versucht, den Schwerpunkt darauf zu legen. Ich muss es heute Abend noch einmal sagen: Es geht durch die Heilige Schrift, durch die Bibel.
Wir sollen die Bibel möglichst im Zusammenhang lesen, um das Reden Gottes zu verstehen. Die Bibel wird durch die Bibel ausgelegt, das haben uns schon die Glaubensväter ins Stammbuch geschrieben. Natürlich können einzelne Bibelworte ganz konkret in das Leben eines Menschen hineinsprechen, und dann geht ein ganzer Kronleuchter auf. Mancher von uns könnte vermutlich seine Geschichte dazu erzählen.
Aber wir dürfen das Bibellesen niemals zu einem Ziehbibelchristentum verkommen lassen, so eine Art christliches Horoskop. Ich habe ein Problem, schlage die Bibel auf, mal schauen, was der Herr mir sagen will. Das kann auch schiefgehen. Da kann man plötzlich bei Matthäus 27,3 ankommen und liest: „Und Judas ging hin und erhängte sich.“ Da sagt man: Das kann doch nicht der Wille des Herrn sein. Und dann schlägt man die Bibel noch einmal auf, zum Beispiel Lukas 10,37: „Geh hin und tue das Gleiche.“
So können wir mit dem Wort Gottes nicht umgehen. Ich sage es noch einmal: Er kann durch ein Wort in unser Leben hineinsprechen, wir dürfen es aber niemals zur Methode machen. Wir dürfen ihn nicht dazu degradieren, dass er uns gefälligst so zu antworten hat, wie wir es ihm vorschreiben.
Wenn es um den Willen Gottes für unser Leben geht, müssen wir die Bibel im Zusammenhang lesen. Die Herrnhuter Losung – Herrnhut liegt übrigens in Sachsen – ist nur die Vorspeise zum Hauptgericht. Der Heilige Geist, die Kraft Gottes, verschafft uns Christen sozusagen einen gesegneten Appetit.
Wir haben gerade erst von dieser jungen Frau gehört, dass sie dann verändert ist. Das gehört zur Veränderung dazu, dass ich plötzlich einen gesegneten Appetit habe nach Informationen über meinen Retter. Wenn ich erfahren habe, dass Jesus für mich am Kreuz gestorben ist, dann will ich ja noch mehr über ihn wissen. Dann will ich ihn noch besser kennenlernen. Dann muss ich die Bibel lesen.
Und wer an Appetitlosigkeit beim Bibellesen leidet und nichts isst, also das Wort Gottes nicht zunimmt, der wird auf der Strecke bleiben, verhungern. Und der Heilige Geist – das ist das Wunderbare – beschert uns beim Bibellesen auch dieses Aha-Erlebnis.
Das Aha-Erlebnis beim Lesen der Bibel
Alles, was mit Gott zusammenhängt, war früher oft unverständlich, verstaubt, unwissenschaftlich und langweilig. Doch in dem Moment, in dem jemand unter das Kreuz von Jesus tritt und anfängt, die Bibel zu lesen, geschieht Folgendes – ähnlich wie bei einem Notar.
Ein Notar muss in einer Woche eine ganze Reihe von Testamenten bearbeiten. Immer wieder dieselbe Leier: Dort steht zum Beispiel: „Im Fall meines Todes bestimme ich, dass erstens Tante Frieda meine Socken bekommt, zweitens mein vierjähriger Enkel den Porsche fahren darf, und drittens meine Schwiegermutter alle Schulden übernimmt.“ Für diesen Notar ist das alles immer dasselbe, total langweilig.
Doch bei einem Testament, das er bearbeiten muss, steht viertens: „Ich vermache meinem Herrn Notar XY als Dank für seine hilfreiche Beratung zehntausend Euro.“ Ab diesem Augenblick ist dieses Testament nicht mehr irgendein Dokument, das ihn nicht interessiert. Es betrifft ihn jetzt und diesen Moment persönlich, ganz persönlich.
Genau dieses Aha-Erlebnis passiert auch, wenn du zu Jesus gehörst und anfängst, die Bibel zu lesen. Dann gehen dir die Augen auf, und Gott spricht zu dir. Dabei ist es wichtig, die Bibel im Zusammenhang zu lesen.
Natürlich gehört auch das Gebet dazu, in dem wir den Vater darum bitten, zu uns zu sprechen und uns Orientierung sowie Leitung zu geben. Nur der Heilige Geist kann uns wirklich zeigen, dass Gott, der himmlische Vater, uns liebt.
Die Kostbarkeit des Gebets im Glauben
Ich habe manchmal den Eindruck, dass wir als Christen nicht mehr richtig schätzen, dass wir mit unserem genialen Vater im Himmel einfach so reden können.
Von einem Moslem habe ich erfahren, der im Sudan aufgewachsen ist und als Christ fliehen musste. Sein Vater hatte für ihn symbolisch eine Beerdigung gehalten. Er erzählte: „Als ich das erste Mal das Vaterunser beten durfte, musste ich weinen. Im Islam kann man sich Gott nicht als Vater vorstellen.“
Da habe ich plötzlich wieder neu erkannt, wie wunderbar es ist, dass wir mit dem Vater im Himmel, mit Gott, einfach so auf Du und Du reden können. Das ist nicht selbstverständlich, und Jesus hat das erst möglich gemacht.
Bei einer Veranstaltung habe ich einen Hindu-Priester interviewt und ihn gefragt: „Was ist denn jetzt anders geworden? Früher warst du Hindu-Priester, jetzt bist du Christ. Sag mal einen Punkt.“ Er antwortete: „Früher musste ich beten, heute darf ich beten.“
Viele haben damit ein Problem. Sie fragen: „Wie geht das denn alles so? Wie kann ich das geregelt kriegen in meinem Alltag, im Schulstress, beim Arbeiten?“
Es gibt viele verschiedene Formen des Gebets. Wir müssen unsere persönliche Form finden, aber wir müssen eine haben. Natürlich ist es oft wichtig, das freie Gebet einzuüben. Das kann man lernen, gemeinsam mit anderen Christen im stillen Kämmerlein. Dabei schütte ich Gott mein Herz aus, sage ihm, wie es um mich steht, und bitte ihn, meine Probleme zu seiner Chefsache zu machen. Ich kann mich bei ihm bedanken für alles, was ich jeden Tag genießen darf.
Wir wissen aber auch – und manche vermutlich aus eigener Erfahrung –, dass es im Leben Situationen gibt, in denen einem die eigenen Worte versagen.
Wir hören zum Beispiel von Christen, die in eine Depression geraten sind, dass sie sagen: „Ich kann nicht mehr beten. Ich habe den Eindruck, mein Gebet geht nicht mal bis zur Zimmerdecke, und Gott ist einfach weggegangen.“ So fühlen sie es.
Wie hilfreich ist es dann, wenn sie jemanden in der Gemeinde haben, der in ihrer Not für sie betet? Oder wenn sie entdecken, dass es vorformulierte Gebete gibt, die sie zu ihren eigenen machen können.
Wir haben ein ganzes Buch mit Psalmen, und viele empfinden es in solchen Situationen als große Hilfe, vielleicht nur das Vaterunser zu beten, das Jesus uns ja als Vorlage gegeben hat.
Gebet als Selbstgespräch mit Gott
Was für mich immer hilfreich war, ist, dass ich meine Selbstgespräche zum Himmel schicke. Die meisten von uns führen vermutlich auch Selbstgespräche. Wenn ich zum Beispiel auf einem Berg stehe – wir waren neulich in den Alpen – dann kann ich mir im Selbstgespräch sagen: „Das ist ein toller Ausblick hier.“
Aber ich kann aus diesem Selbstgespräch natürlich auch ein Gebet machen. Zum Beispiel: „Danke, Herr, dass du uns so eine wunderbare Schöpfung zur Verfügung gestellt hast. Danke, Herr, dass ich das auch genießen darf.“
Oder ich kann ihn bitten, wenn ich in Not gerate: „Jesus, zeig mir den Weg, den ich jetzt gehen soll. Schenk mir jemanden, der mir Hilfestellung gibt.“
Es gibt auch Situationen bei mir, in denen ich sehr dankbar bin, dass ich aus diesen Selbstgesprächen ein Gebet machen kann. Vielleicht kennst du das nicht, aber ich kenne Situationen, in denen ich am liebsten meine Faust, die noch in der Hosentasche steckt, jemandem ins Gesicht schlagen würde.
Dann mache ich aber ein Gebet daraus: „Jesus, du hast gesagt, wir sollen unsere Feinde lieben. Jesus, gib mir die Kraft, dass die Hand in der Tasche bleibt. Organisiere bitte meine Gefühle.“
Diese Selbstgespräche, die in uns laufen, kann ich immer wieder in ein Gebet zum Himmel schicken. So bekomme ich Führung und Leitung. Und dann merke ich auch, dass Gott antwortet.
Die Bedeutung guter Gewohnheiten im Glaubensleben
Wir können viel von Jesus lernen. Er hatte gute Gewohnheiten: Er ging regelmäßig in die Synagoge zum Gottesdienst, hielt es zur Gewohnheit, zu predigen, und suchte den Ölberg auf, um zu beten.
Auch wir brauchen in unserem Leben solche guten Gewohnheiten, die uns Halt geben und hilfreich sind. Wer immer nur darauf wartet, Lust zum Beten oder Bibellesen zu bekommen, wird es kaum schaffen. Gute Gewohnheiten helfen uns, auch durch die Krisen des Lebens zu gehen. Dazu gehören das Bibellesen und das Beten.
Um diese guten Gewohnheiten zu leben, ist es für viele hilfreich, einen bewussten Entschluss zu fassen. Dabei sollte man sich zunächst überlegen: Wie kann das bei mir funktionieren? Es ist nicht für alle möglich, morgens einfach die Bibel aufzuschlagen und eine halbe Stunde, zehn oder fünfzehn Minuten dafür zu nehmen. Danach beginnt ja der Alltag mit der Arbeit.
Wir sind alle unterschiedlich gestrickt. Manche sind im Berufsleben so eingespannt, dass sie sagen: „Ich kann nur von der Herrnhuter Losung leben.“ Ich sage: Freund, das reicht nicht. Wenn du unter der Woche nur von der Herrnhuter Losung leben kannst, dann plane doch am Wochenende eine Stunde ein. Nimm dir diese Zeit bewusst heraus, auch wenn deine Familie dann auf dich verzichten muss.
Diese eine Stunde kannst du nutzen, um durch den Wald zu gehen oder dich zurückzuziehen. Dann hast du deine große Chefbesprechung: Du liest in der Bibel, betest und redest mit Jesus über deine Familie, deine Firma, deine Mitarbeiter und auch über deine Gemeinde.
Es muss ein Entschluss her, wie du das persönlich in deinem Leben umsetzen willst. Dieser Entschluss kann dir Kraft schenken, dran zu bleiben. Am besten fasst du ihn gemeinsam mit einem anderen Christen, der als Zeuge dabei ist. So kann er dich schon eine Woche später anrufen und fragen: Bist du bei deinem Entschluss geblieben?
Ein solcher Entschluss schenkt dir Stille im Sturm, Wegweisung im Nebel, Erinnerung in der Fremde und ein Ziel fürs Leben. Er gibt dir keine Befehle, sondern Kraft, um durchzuhalten.
Wer innerlich ständig hin- und hergerissen ist, sollte das nicht mit der Führung oder dem Reden Gottes verwechseln. Es kann auch an einem geistlich ungeordneten Leben liegen. Dem kann man entgehen, indem man einen solchen Entschluss fasst.
Ich sage es noch einmal: Am besten gemeinsam mit einem anderen Christen, der als Zeuge dabei ist.
Die Bedeutung von Seelsorge und Gemeinschaft
Was uns zusätzlich dabei hilft, das Reden Gottes im Leben und im Alltag wahrzunehmen – und das ist heute Nachmittag auch schon kurz angesprochen worden – ist die Seelsorge.
In christlichen Gemeinden gibt es manchmal Menschen, die sagen: „Der Herr hat mir gesagt.“ Gibt es das wahrscheinlich nur bei uns? Ich frage dann meistens zurück: „Wie hat er es dir denn gesagt?“ Man hat manchmal den Eindruck, dass damit Macht ausgeübt werden soll. Oft spielt das Ego eine große Rolle. Wenn jemand sagt: „Der Herr hat mir gesagt“, wird jede Kritik von vornherein ausgeblendet. Denn wenn man dann kritisiert, kritisiert man ja den Herrn.
Ich frage mich manchmal, ob diese Leute bereit sind, sich vor solchen Aussagen in der Gemeinde mit anderen Christen zu beraten. Niemand von uns Christen hat an allen Ecken und Enden alles richtig. Wir sind auf die Ergänzung durch andere Christen angewiesen, die wir oft Geschwister nennen. Niemand hat alles für sich allein. Wir brauchen Korrektur, aber natürlich auch Ermutigung. Manchmal brauchen wir eben mehr Korrektur.
Wenn Gott dir etwas sagen will, geschieht das manchmal auch dadurch, dass er andere Christen dazu benutzt. Christen, die selbst auf die Stimme Gottes hören, die die Bibel lesen und verstehen.
Die Frage muss also sein: Wenn ich darüber nachdenke, was das Reden Gottes in meinem Leben ist, muss ich auch die eigene Persönlichkeit berücksichtigen. Wir können uns manches auch nur einbilden, wenn wir in uns hineinhören. Deshalb müssen wir prüfen – auch im Gespräch mit anderen Christen –, ob das wirklich das ist, was uns aufs Herz gelegt wurde.
So wie bei den Emmausjüngern: „Brannte nicht unser Herz in uns?“ Dort merkten sie, dass sie in eine bestimmte Richtung geführt wurden. Die Frage bleibt: Ist das wirklich das Reden Gottes oder nicht? Und ich muss es an der Bibel, an der Heiligen Schrift, prüfen.
Die Bibel als Maßstab für das Reden Gottes
Bibellesen wird uns in jedem Fall nicht erspart bleiben. Wer wissen will, was ein Meter ist, braucht einen Maßstab. Deshalb geht er in die Werkstatt und holt sich eine Messlatte, um zu sehen, wie lang ein Meter ist.
So ist es auch im Leben eines Christenmenschen. Du brauchst einen gültigen Maßstab, an dem du prüfst: Sind meine Gedanken, sind meine Eindrücke, vielleicht auch Visionen und Träume, mit dem Wort Gottes gedeckt oder nicht?
Wir hören das Reden Gottes durch Bibellesen. Dabei reden wir mit ihm, beten, suchen einen Seelsorger auf und bekommen Orientierung. Wir gehen mit offenen Sinnen durchs Leben und achten darauf, wo Türen verschlossen oder geöffnet werden.
Komme ich an einen Punkt in meinem Leben, an dem ich keine Klarheit habe, welchen Weg ich gehen soll, und habe ich noch Zeit, dann trete ich eben so lange auf der Stelle, bis ich Klarheit habe. Ich muss nichts übereilen, denn, wie wir heute früh schon gehört haben, kommt er immer zur richtigen Zeit – rechtzeitig.
Persönliche Erfahrungen mit dem Reden Gottes
Ich selbst kann von mir nur sagen, dass ich in meinem Leben bisher nie einen Paukenschlag gehört habe, gefolgt von einer Stimme, die mir sagt, was ich tun soll. Wenn ich gefragt werde: „Wie hörst du das Reden Gottes?“ – in den alltäglichen Dingen –, dann muss ich bekennen, dass ich ein Geschobener, ein Geschubster bin.
Ich wurde in meinem Leben, sowohl privat als auch dienstlich, immer wieder in viele Dinge hineingeschoben oder geschubst. Gott hat Gelegenheiten geschaffen und Situationen herbeigeführt. In diesen Gelegenheiten lag es an mir, ob ich gehorsam bin oder nicht.
So schafft Gott immer wieder Gelegenheiten, zum Beispiel auch bei unserem missionarischen Auftrag. Wenn diese Gelegenheit da ist, muss ich für mich entscheiden, ob ich gehorsam bin oder nicht.
Es gibt übrigens ein Gebet, das in der Christenheit gemieden wird wie die Pest: „Herr, schaffe du Gelegenheiten!“ Die Christen wissen, dass dieses Gebet zu hundert Prozent erhört wird. Gott schafft Gelegenheiten. Und dann stellt sich die Frage: Bin ich ihm dann gehorsam?
Corrie ten Boom hat gesagt: „Wenn Menschen horchen, spricht Gott; wenn Menschen gehorchen, handelt Gott.“ Das brauchen wir in unseren christlichen Gemeinden. Wir müssen erst hören und dann gehorsam sein, denn das gehört zusammen. Wir sollen seinem Wort gehorsam sein – persönlich, in der Gemeinde – und ihm nachfolgen.
Dankbarkeit für das betreute Wohnen im Glauben
Ich bin unendlich dankbar, dass ich bereits als junger Mensch das betreute Wohnen nutzen durfte und es heute noch nutzen kann. Dadurch erhalte ich immer wieder durch die Hausordnung Orientierung und weiß, was sie mir sagen möchte. Auch durch das Lesen der Bibel bekomme ich einiges ins Kursbuch geschrieben.
Zum ersten Mal wurde mir das vor vielen, vielen Jahren beim allerersten Klassentreffen nach unserer Schulentlassung bewusst. Ich habe gemerkt, was es mir bedeutet, auf das Wort Gottes zu hören und ihm zu gehorchen. Denn bereits nach diesen zehn Jahren nach der Schulentlassung musste ich mir von meinen Klassenkameraden anhören, welche Umwege sie in ihrem Leben gehen mussten. Diese Umwege hatten sie erlebt, weil sie sich nicht an diese Ordnungen gehalten hatten und nicht das betreute Wohnen hatten.
Da bin ich zum ersten Mal ganz besonders dankbar geworden. Ich kann nur in das Bekenntnis des Petrus einstimmen, als er zu Jesus sagte: „Herr, wohin sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens.“ Amen.