Einführung in die Thematik der Glaubensgerechtigkeit
Für die Gäste möchte ich sagen, dass wir hier seit einigen Monaten den Römerbrief auslegen, Vers für Vers durch den Römerbrief. Heute Morgen sind wir bei Kapitel vier angekommen. Wer seine Bibel oder ein Neues Testament dabei hat, darf gerne schon einmal Römer 4 aufschlagen. Wir werden nachher die Verse 1 bis 8 betrachten.
Etwas anderes möchte ich noch sagen. Ein amerikanischer Prediger und Buchautor, Bob George, kam einmal an eine Predigerschule in den USA. Bevor er mit seinem Thema begann, stellte er den Theologiestudenten eine Reihe von Fragen. Ich möchte das jetzt auch machen, aber ich verschone euch und lese euch nur vor, was er sie gefragt hat.
Die erste Frage war: „Wie viele von euch Studenten sind in den Augen Gottes genauso gerecht und angenommen, wie ich es bin?“ Alle Hände gingen hoch. Dann fragte er weiter: „Wie viele von euch sind in den Augen Gottes genauso gerecht und angenommen wie Billy Graham?“ Der große Evangelist. Diesmal gingen nur noch etwa die Hälfte der Hände hoch.
Nun fuhr er fort: „Wie viele von euch sind in den Augen Gottes genauso gerecht und angenommen wie der Apostel Paulus?“ Nun waren es nur noch etwa ein Zehntel der Hände, die hochgingen. Dann stellte er noch die Frage: „Und wie viele von euch sind in den Augen Gottes genauso gerecht und angenommen wie Jesus Christus?“ Da waren es nur noch ganze drei Hände, die hochgingen in dem Raum voller Theologiestudenten.
Hand aufs Herz: Wer hätte denn von uns bis zum Schluss die Hand gehoben? Na ja, einige Mutige, die das bekunden. Ich habe ja nicht gesagt, Hände hoch, ich habe gesagt, Hand aufs Herz.
Na gut, ja, ihr seht, es geht um die Frage der Glaubensgerechtigkeit. Wie wird ein Mensch gerecht vor Gott? Wie wird er so, dass er wissen kann mit Fug und Recht, dass er von Gott angenommen ist und dass er in den Himmel hineinpasst, dass er passend ist für den Himmel?
Das ist die große Botschaft des Römerbriefs. Darum geht es immer wieder, vor allem in den ersten acht Kapiteln des Briefes.
Überblick über die ersten Kapitel des Römerbriefs
Und ich möchte noch einmal ganz kurz auf einer Folie die ersten drei Kapitel zusammenfassend zeigen. Viele sind heute Morgen hier, die das nicht miterlebt haben. Wenn man es sehen kann, dann haben wir hier Römer 1, Gottes Zorn über die Heiden, über die Nationen.
Paulus beginnt also nicht gleich mit der Liebe Gottes, davon spricht er erst ab Kapitel 5. Er fängt zunächst mit dem Zorn Gottes an, mit dem Gericht Gottes, mit Gottes Missfallen an dem sündigen Wesen der Menschen. Hier beginnt er mit Gottes Zorn über die Heiden, über die Nationen.
Dabei hätten alle Juden fleißig genickt und Beifall geklatscht. Doch dann kam in Römer 2 Gottes Zorn über die Juden mit ihrer Gesetzesgerechtigkeit. Die Heiden waren gesetzlos, und Gesetzlosigkeit ist schlimm. Aber die Juden waren gesetzesgerecht, werkgerecht. Trotzdem musste Paulus auch hier Gottes Zorn aussprechen.
In Römer 3 folgt dann das Ergebnis: Gottes Zorn über alle Menschen, weil sie alle unter der Sünde sind. Vielleicht können wir heute Morgen dort einsteigen. Römer 3 liegt ja unmittelbar vor dem vierten Kapitel. Ich muss das machen, damit wir den Zusammenhang zu dem bekommen, was gleich dann folgt in Römer 4,1-8.
In Römer 3 sagt Paulus also: „Alle Juden und Griechen, Nichtjuden, sind unter der Sünde, unter der Hamartia“ – griechisch, das heißt Zielverfehlung. Ein Leben unter der Sünde geht am Ziel des ewigen Lebens vorbei. Paulus belegt das dann mit Aussagen aus dem Alten Testament.
Die umfassende Schuld aller Menschen vor Gott
Wenn ihr in Kapitel 3 ab Vers 9 schaut – in meiner Bibel kann ich das immer sofort optisch erkennen, weil ich Zitate aus dem Alten Testament grün anstreiche – heißt es hier ab Vers 10: „Da ist kein Gerechter, auch nicht einer, da ist keiner, der verständig sei.“
In Vers 11 steht: „Keiner, der nach Gott frage.“ Alle sind vom Wege abgekommen und untüchtig, keiner tut Gutes (Vers 12).
Es heißt weiter: „Unheilvolle Worte sind auf unseren Lippen, unter unseren Lippen“ (Vers 13-14), „unheilvolle Wege“ (Vers 15-17).
Dann fasst der Text zusammen in Vers 18: „Das ist der Grundschaden: keine Furcht Gottes vor ihren Augen, Gottesfurcht mangelt.“
Die Bilanz, die hier in Römer 3 gezogen wird, lautet: Alle Menschen sind schuldig vor Gott. Das Gesetz ist der vollkommene Gottesmaßstab. Es ist wie ein Röntgenschirm, der bis in die Motive des Herzens blickt.
Wir Menschen sind verkehrt: Wir sind egoistisch, neidisch, missgünstig, heuchlerisch – durch und durch verkehrt. Die Sünde hat uns so gemacht.
Dieser unbestechliche, vollkommene Röntgenschirm Gottes deckt alles auf. Das Gesetz zeigt auf, aber es kann nicht heilen. Es ist nur ein Röntgenschirm.
Seid ihr schon mal durch eine Röntgenaufnahme gesund geworden? Das geht nicht. Eine Röntgenaufnahme deckt nur auf, wo etwas nicht stimmt – ob ein Knochenbruch vorliegt, ein Gewächs oder etwas anderes.
Das kann der Röntgenapparat zeigen, ebenso wie heute Computertomographie oder Kernspin, aber heilen kann er nicht.
So ist es auch mit dem Gesetz: Es deckt auf, aber es kann nicht heilen. Nur das Evangelium kann heilen.
Die fordernde und die schenkende Gerechtigkeit Gottes
Und bis hierhin, bis Römer 3, Vers 20, erreicht Paulus einen entscheidenden Punkt. Bis Vers 20 spricht er von der fordernden Gerechtigkeit Gottes. Vielleicht können wir das auf der nächsten Folie sehen: die fordernde Gerechtigkeit Gottes.
Gott fordert in seiner Heiligkeit und Gerechtigkeit von allen Menschen ein heiliges Leben. Wer zu ihm in den Himmel passen will, muss so leben. Er muss vollkommen sein und alle Gebote Gottes halten. Wenn ein Mensch das wirklich schaffen könnte, dann könnte er in den Himmel hineingehen und sagen: „Hier bin ich, ich habe all deine Gebote gehalten, lass mich hinein.“ Und Gott würde antworten: „Jawohl, komm, du kannst wirklich in meinen Himmel, du passt zu mir.“
Aber welcher Mensch kann das von sich behaupten? Kein Pfarrer, kein Bischof, kein Papst, keine Mutter Teresa. Niemand kann von sich sagen, er hätte alle Gebote gehalten und könnte so in den Himmel marschieren.
Die fordernde Gerechtigkeit Gottes steht da und verurteilt den Menschen. Sie macht ihn zum Sünder, verdammt ihn und schließt ihn vom Himmel aus.
Doch jetzt, ab Kapitel 3, Vers 21, gibt es eine Wende. Paulus spricht von der schenkenden Gerechtigkeit Gottes.
Das nur, damit alle wieder aufwachen, denn es war spät gestern Abend. Deswegen piept es jetzt ab und zu. Einige haben bis tief in die Nacht hier gefeiert. Ich bin überhaupt ganz erstaunt, dass so viele da sind und dass sogar das junge Ehepaar da ist – das ist ja ganz gewaltig. Deswegen piept Matthias ruhig ab und zu mal weiter. Jetzt geht er raus, schade.
Römer 3,21: Jetzt spricht Paulus von der schenkenden Gerechtigkeit Gottes. Das ist etwas ganz anderes als die fordernde Gerechtigkeit, wie eine Röntgenaufnahme, die alle Mängel aufdeckt.
Er sagt in Römer 3,23: „Denn es ist hier kein Unterschied, sie sind alle ohne Ausnahme Sünder, getrennt von Gott – die Juden, die Griechen, die Religiösen, die Gesetzlosen – alle sind getrennt von Gott. Sie haben nicht mehr die Herrlichkeit, die sie vor Gott haben sollten. Sie passen nicht mehr in den Himmel.“
Doch sie werden ohne Verdienst gerecht, gratis, umsonst, geschenkweise. Ohne Verdienst werden sie aus seiner Gnade gerecht gesprochen – durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist.
Gottes Gerechtigkeit ist eine geschenkte Gerechtigkeit, eine schenkende Gerechtigkeit.
Ich wünsche mir, dass das alle hier verstanden haben. Dass wirklich alle verstanden haben, was es bedeutet, einem fordernden heiligen Gott gegenüberzustehen, dem man nicht genügen kann. Wo man wirklich zerbricht an aller Selbstgerechtigkeit, eingebildeter Frömmigkeit und allem, wo man ganz klein wird vor Gott, zerschlagen dasteht und nur noch sagen kann: „Herr, schenk mir deine Gnade, schenk mir deine Gerechtigkeit, mach mich passend für deinen Himmel.“
Das ist dieses tiefe Erleben der Rechtfertigung durch Buße und Glauben, wo man ein neuer Mensch wird, wo man wirklich neues Leben empfängt – wiedergeboren wird, wie die Bibel es auch nennt.
Dann erfährt man die schenkende Gerechtigkeit Gottes.
Der Glaube als Weg zur Rechtfertigung
Nachdem Paulus dieses Thema angesprochen hat, folgen in den Versen 25 bis 31 sechsmal die Worte „Glauben“. Nun spricht er vom Glauben. Er meint das, was Gott getan hat: Er hat seinen Sohn für uns gegeben. Jesus ist der Erlöser. Aus völliger Liebe zu uns und Gehorsam gegenüber dem Vater ist er ans Kreuz gegangen. Dort hat er für uns bezahlt – unsere Missetaten und Übertretungen.
Jetzt, nachdem wir erkannt haben, dass auch wir dieses Erlösungswerk brauchen, weil wir Sünder sind und ohne es niemals vor Gott bestehen können, tun wir Buße über unser verkehrtes Wesen. Wir kehren um von unserem falschen Denken, Leben und Glauben und vertrauen auf das vollbrachte Werk Jesu Christi. Nun spricht Paulus vom Glauben.
Erst nachdem das Gesetz sein Werk getan hat, also nachdem es den Sünder überführt hat, ihn ins Licht Gottes gestellt und ihm gezeigt hat, dass er von Kopf bis Fuß völlig von der Sünde verdorben ist, leuchtet das Werk von Golgatha auf: das Kreuz, die Gnade Gottes, die geschenkte Erlösung. Dann kann der Mensch glauben und annehmen, was dort geschehen ist.
Sechsmal spricht Paulus vom Glauben und steigert das in Römer 3,28: „Wir urteilen, dass ein Mensch durch Glauben gerechtgesprochen wird, gerechtfertigt wird, ohne Gesetzeswerke.“ Das war der fundamentale Satz der Reformation. Martin Luther liebte diesen Satz am meisten in der ganzen Bibel. In seiner Übersetzung heißt es: „Dass der Mensch gerecht wird allein durch den Glauben.“ Das Wort „allein“ steht hier nicht, aber der Sinn ist richtig: allein durch Glauben, nicht durch Werke, Anstrengung, Mühen oder religiöse Eskapaden, die wir bringen könnten.
All das rettet nichts, sondern nur der Glaube an das vollbrachte Erlösungswerk Jesu Christi. Bis hierhin hat Paulus das ausgeführt. Nun lesen wir Römer 4,1-8. Hier bringt er zwei Beispiele dafür, wie Menschen durch ihren Glauben vor Gott gerecht geworden sind. In Römer 3 hat er das theoretisch erklärt, und in Römer 4 zeigt er zwei praktische Beispiele, damit wir sehen, wie ein Mensch gerecht wird vor Gott.
Abraham als Beispiel für Glaubensgerechtigkeit
Lesen wir Römer 4, Vers 1: Was wollen wir denn sagen? Hat Abraham, unser Vater nach dem Fleisch, etwas gefunden? Denn wenn Abraham durch Werke gerechtfertigt worden wäre, hätte er Grund zum Rühmen, aber nicht vor Gott.
Was sagt die Schrift? Abraham glaubte Gott, und es wurde ihm zur Gerechtigkeit gerechnet. Dem aber, der Werke tut, wird der Lohn nicht nach Gnade, sondern nach Schuldigkeit oder Pflicht angerechnet. Dem dagegen, der keine Werke tut und nicht mit Werken umgeht, sondern an den glaubt, der den Gottlosen rechtfertigt, wird sein Glaube zur Gerechtigkeit gerechnet.
Wie auch David die Seligpreisung des Menschen ausspricht, dem Gott Gerechtigkeit ohne Werke zurechnet: „Glückselig die, deren Gesetzlosigkeiten vergeben und deren Sünden bedeckt sind; glückselig der Mann, dem der Herr Sünde nicht zurechnet.“
Das sind die beiden Beispiele für Glaubensgerechtigkeit, die Paulus hier anführt: Abraham und David. Wir werden uns besonders auf Abraham konzentrieren und David nur noch kurz am Schluss streifen.
Paulus will die Lehre von der geschenkten Gerechtigkeit Gottes anschaulich machen. Deshalb spricht er zuerst von Abraham. Er nennt Abraham „unseren Vater nach dem Fleisch“. Abraham ist der Stammvater der Juden. Jeder Jude, der etwas auf sich hält, ist stolz auf seinen Vater Abraham.
Was tut Paulus? Er entreißt Abraham den jüdischen Gesetzeseiferern und stellt ihn als Vater aller Gläubigen aus den Heiden hin. Abraham ist heute unser Vater des Glaubens – wir, die aus den Nationen kommen.
Ich glaube nicht, dass wir heute hier jemanden aus dem jüdischen Hintergrund hätten. Aber selbst wenn die meisten von uns aus den Nationen kommen, sagen wir trotzdem: Abraham ist unser Vater, er ist der Vater des Glaubens. Und das tun wir, weil Paulus ihn hier den Juden weggenommen hat. Die Juden, die so stolz auf ihren Vater Abraham sind, Paulus nimmt ihn ihnen weg und sagt: Das ist unser Vater, der Vater des Glaubens, Abraham.
Natürlich versteht Paulus das nicht falsch. Die Juden dürfen sich immer noch auf Abraham berufen. Selbstverständlich ist Abraham nach dem Fleisch ihr Stammvater. Aber für uns ist er nach dem Geist unser geistlicher Vater, unser Glaubensvater.
Werke zählen nicht vor Gott
In Vers 2 stellt Paulus zunächst fest, dass Werke vor Gott nicht zählen. Er sagt: Wenn Abraham etwas zu rühmen hätte, könnte er es tun, aber nicht vor Gott. Wegen seiner Werke kann er sich vor Gott nicht rühmen. Wie viel weniger dann ich, wenn sich nicht einmal Abraham mit seinen Werken vor Gott rühmen kann – ja, wie viel weniger ich.
Wer Werke tut, kann damit angeben. Das ist immer so: Wenn jemand etwas kann, etwas leistet, etwas ist oder viel weiß, dann kann er damit angeben. Das tun wir alle gerne, aber nicht vor Gott. Vor Gott kann niemand mit seinen Werken rühmen und angeben – auch Abraham nicht.
In Vers 3 bringt Paulus den Schriftbeweis für diese ungeheure Aussage. Er sagt: Was sagt die Schrift? Immer wieder verwendet Paulus diese Formulierung: Was sagt die Schrift? Er fragt nicht, was dieser oder jener Theologe denkt, nicht, was Gamaliel gesagt hat oder ein Rabbi, sondern: Was sagt die Schrift?
Paulus glaubte nach eigener Aussage allem, was im Gesetz und in den Propheten geschrieben steht. Darum zitiert er immer wieder das Alte Testament. Hier tut er das, indem er 1. Mose 15,6 anführt. Das ist eine Kernstelle des Alten Testaments: „Abraham aber glaubte Gott, und es wurde ihm zur Gerechtigkeit angerechnet.“
Diese Aussage gehört zu den wichtigsten des gesamten Alten Testaments.
Abrahams Lebensgeschichte als Illustration des Glaubens
Lassen wir kurz die Lebensgeschichte Abrahams vor unserem geistigen Auge Revue passieren. Wann wurde Abraham gerecht vor Gott? War es nachdem er seine Heimat Chaldäa verlassen hatte und nur auf den Ruf Gottes in eine völlig fremde Welt aufgebrochen war, nach Kanaan? Gott hatte ihn gerufen: „Geh heraus aus deiner Verwandtschaft!“ Und Abraham hat es getan.
Hat ihn das gerecht gemacht vor Gott? Nein.
Später, als sie dort angekommen waren, gerieten die Hirten von Lot, seinem Neffen, und die Hirten Abrahams in Streit. Abraham, der Ältere, der Onkel, ließ dem Neffen den Vortritt und sagte: „Gehst du zur Rechten, gehe ich zur Linken.“ Wer von uns macht das? Wer gibt gerne dem anderen den Vortritt und lässt ihn das bessere Land wählen? Hat ihn das gerecht gemacht vor Gott? Nein.
Dann geriet Lot mit seiner Familie in die Hände von Königen – den Königen von Sodom, Laomer und anderen. Abraham riskierte sein Leben, ging mit seinen Knechten dorthin und befreite seinen Neffen aus den Händen der Könige. Hat ihn das gerecht gemacht vor Gott? Nein.
In 1. Mose 17 wird berichtet, dass Abraham beschnitten wurde – als erster Mensch überhaupt, der erste Jude und damit der erste aus dem Volk Gottes, aus dieser Linie. Wurde Abraham durch die Beschneidung gerecht vor Gott? Nein.
In 1. Mose 22 lesen wir, dass Abraham auf Befehl Gottes bereit war, seinen Sohn Isaak, den er von seiner Frau Sarah im hohen Alter bekommen hatte, auf den Altar zu legen. Er hatte schon das Messer in der Hand und war im nächsten Augenblick bereit, seinen Sohn zu opfern. Hat ihn das gerecht gemacht vor Gott? Nein.
Stellen wir uns vor, was für Werke Abraham in seinem Leben vollbracht hat. Was hat ihn gerecht gemacht vor Gott? Als Gott ihm im hohen Alter versprach, dass seine Nachkommen einmal so zahlreich sein würden wie die Sterne am Himmel. Damals zählte man etwa 2300 Sterne am Himmel. Es gab noch keine modernen Mikroskope, Teleskope und andere Hilfsmittel, wie wir sie heute kennen. Man glaubte, es gebe 2300 Sterne, und das wäre schon gewaltig gewesen, wenn Abraham 2300 Nachkommen gehabt hätte.
Doch er sollte noch viel mehr Nachkommen bekommen – Millionen. Und einem alten Mann, verheiratet mit einer alten Frau, die über Jahrzehnte keine Kinder gehabt hatten, wurde das versprochen: „Abraham, deine Nachkommen werden so zahlreich wie die Sterne am Himmel.“
Und dann steht dort: Abraham aber glaubte Gott, und es wurde ihm zur Gerechtigkeit angerechnet. Diese Aussage zeigt, was ihn gerecht gemacht hat vor Gott – nicht seine großen Taten, nicht seine Werke, sondern dass er Gott und seinem Wort vertraut hat.
Er baute auf das Wort Gottes, verließ sich darauf und lebte weiterhin mit seiner Frau zusammen. Dann kam das versprochene Kind: Isaak wurde geboren.
Das Erlebnis mit den Sternen, die Verheißung, dass seine Nachkommen so zahlreich werden würden, war dreißig Jahre vor der Begebenheit, als er Isaak auf den Altar legen sollte. Dreißig Jahre zuvor wurde Abraham durch seinen Glauben gerecht, weil er Gottes Wort vertraute.
Die Gerechtigkeit wurde ihm persönlich gutgeschrieben – nicht wegen großer Werke, sondern weil er Gott fest vertraute. Erst danach handelte Abraham aus seinem Glauben heraus.
Warum Werke vor Gott nicht genügen
Jetzt sind wir an einer ganz entscheidenden Stelle. Warum ist das so? Deswegen hat es jetzt wieder gepiepst. Ja, warum ist das so? Warum erkennt Gott nicht an, wenn sich Menschen aufrichtig bemühen, ihm wohlgefällig zu leben? Warum erkennt Gott das nicht an, wenn Menschen Werke tun, wenn sie sich wirklich anstrengen und bemühen, christlich zu leben?
Benjamin und ich saßen am Ostersamstag auf einem Südtiroler Bauernhof in 1300 Meter Höhe. Gestern vor einer Woche saßen wir mit der alten Bäuerin zusammen, 78 Jahre alt, in Südtiroler Tracht. Sie ist eine Katholikin, wie sie im Buch steht, hat zehn Kinder geboren und großgezogen. Wir unterhielten uns mit ihr, und im Verlauf des Gesprächs fragte ich sie, ob sie eine Bibel besäße. Sie sagte: „Ja, eine Bibel habe ich schon, aber ich lese nicht darin, weil alle, die darin lesen, früher oder später aus der katholischen Kirche austreten.“ Das war ihre erste Antwort.
So war es nämlich geschehen mit ihrer Tochter vor achtzehn Jahren. Die hatte die Bibel gelesen, eine von ihren zehn Kindern, und war zum lebendigen Glauben gekommen. Deshalb waren Benjamin und ich dort in Südtirol. Sie hatte uns diese Reise dorthin vermittelt und uns eingeladen zu der Gemeinde, wo wir dann Dienste tun konnten.
Dann habe ich weiter gefragt. Wir sprachen, ich kann das ganze Gespräch nicht vollständig entfalten. Als es dann darum ging, worauf sie sich verlässt, fragte ich sie: Was glaubt denn eine so überzeugte Katholikin, die zwar nicht die Bibel liest, aber ganz fest an ihrer religiösen Tradition festhält, wie sie in den Himmel kommen könnte?
Ich fragte sie: „Was meinen Sie, wenn Sie einmal vor Gott stehen, warum soll Gott Sie in den Himmel hineinlassen?“ Dann kam die klassische Antwort aller religiösen Menschen: „Weil ich mich immer bemüht habe zu lieben und Gottes Gebote zu halten.“
Dann kommt immer dieselbe Antwort: „Ich habe mich bemüht.“ Ich habe mich bemüht, manchmal mit erstaunlichem Eifer, manchmal mit einem Eifer, von dem wir uns zehn Scheiben abschneiden könnten – ganz großer Eifer. Ich sage das nicht abwertend, sondern anerkennend. Ich werde niemals eine verächtliche Bemerkung machen, sondern ich erkenne immer an, dass diese Menschen wirklich aufrichtig versuchen, Gott wohlgefällig zu leben. Das ist ja nicht nichts. Es ist ja viel schlimmer, wenn einer sagt: „Gott, da pfeife ich drauf, ich lebe, wie ich will, ich bin selber mein eigener Gott.“ Das ist ja noch viel schlimmer.
Aber trotzdem bringt diese Haltung der lieben Frau, die uns da gegenüber saß, nicht zum Ziel. Dann habe ich sie natürlich gefragt: „Haben Sie denn Gottes Gebote immer gehalten?“ Sie antwortete sofort: „Nein, das habe ich nicht. Aber ich habe alle Übertretungen immer sofort dem Priester gebeichtet, und der hat die Vollmacht, meine Sünden zu vergeben.“
Da sehen wir, wie das ein geschlossenes System ist, in das man nicht reinkommt, wo man wirklich keinen Ansatzpunkt mehr hat. Wir haben es auch nicht erreicht, diese Frau zu erschüttern in ihrem Glauben, in ihrem religiösen Denken. Aber ich habe es unterlassen, diese Frau zu beruhigen. Ich habe ihr nicht gesagt: „Na prima, wenn Sie sich so bemüht haben Ihr ganzes Leben, das wird Ihnen dann schon nicht fehlen am Ende, Gott wird das doch sicher anerkennen.“ Das habe ich nicht gesagt, sondern ich habe versucht, sie noch ein bisschen zu verunsichern und sie dann damit zurückzulassen.
Warum kann ich diese Frau nicht beruhigen? Warum kann ich nicht sagen, dass sie sich nicht sicher sein muss, gut, Sie sind auf dem richtigen Weg, Gott wird Sie bestimmt annehmen? Weil Gottes Wort mit aller Deutlichkeit sagt, dass alle Menschen elende, verlorene, verdammungswürdige Sünder sind. Nicht nur solche, die mit Suchtkrankheiten zu tun haben, sondern alle, die hier sitzen, sind von Natur verlorene, verdammungswürdige Sünder, jeder von uns.
Gott kann keiner von uns so in den Himmel lassen. Wir sind geistlich tot. Selbst wenn wir Werke tun, wenn wir uns so bemühen wie diese liebe Bauersfrau in Südtirol, sind es tote Werke in den Augen eines heiligen Gottes. Es sind tote Werke. Das heißt, Gott kann sie nicht akzeptieren.
Als Luther das einmal erkannte in seinem Leben, dichtete er eine Liedstrophe in dem bekannten Lied. Sie heißt so: „Mein guten Werk. Die galten nicht, es war mit ihnen verdorben, der Freiwill hasste Gottes Gericht und war zum Guten erstorben.“
Wir können nicht gute Werke tun. Unsere guten Werke sind verdorben, weil oft sind sie mit der Sünde des Egoismus und der Heuchelei befleckt, und die Motive stimmen schon gar nicht. Wir können nicht mit Werken Gott befriedigen und zufriedenstellen.
Es gibt noch einen zweiten Grund, warum Gott diese Werke nicht annehmen kann. In Vers 4 heißt es: „Dem aber, der mit Werken umgeht“, sagt Luther, „dem wird der Lohn nicht angerechnet nach Gnade, sondern nach Pflicht, nach Schuldigkeit.“
Schaut: Wenn ein Arbeiter einen Monat lang gearbeitet hat, dann kann er zu seinem Arbeitgeber gehen und sagen: „Hier, ich habe einen Monat lang gearbeitet, wo ist mein Lohn?“ Der hat ein Recht darauf, und jeder Arbeitgeber muss ihm seinen Lohn zahlen. Er hat ein Recht darauf. Aber so nicht bei Gott.
Gott ist nicht unser Arbeitgeber, und wir sind nicht seine christlichen Tagelöhner, die arbeiten und mühen und ringen und dann am Ende sagen: „Hier, da ist das Ergebnis, bitteschön, jetzt möchte ich meinen Lohn.“ So geht es nicht.
Sondern wer mit Werken umgeht, dem wird der Lohn nach Schuldigkeit oder Pflicht zugemessen. Das würde bedeuten, er muss hundertprozentig den Maßstab erfüllen, bis aufs i-Tüpfelchen.
Die Bibel sagt im Galater 3,10: „Verflucht sei, wer nicht bleibt in allem, was geschrieben steht in dem Buch des Gesetzes.“ Der ist verpflichtet, alle Gebote zu erfüllen. Oder Jakobus 2,10: „Wer alle Gebote halten würde und nur an einem sündigt, der ist in allem schuldig.“
Das ist wie bei einem Bergsteiger in den Südtiroler Dolomiten: Er kann tausend gute und sichere Tritte tun. Bis oben, ein paar Meter unter dem Gipfelkreuz, tritt er daneben und stürzt ab. Dann liegt er auch unten in der Schlucht.
Es geht nicht. Man muss alle Gebote halten, dann könnte man bis zu Gott in den Himmel hinaufsteigen. Aber wir können es nicht. Wir sind tote Sünder, können nur tote Werke tun, und wir würden es auch niemals schaffen, die Gebote wirklich so zu halten.
Und darum achtet auf das große Aber in Vers 5. Hier ist ein großes Aber. Leider bringt das die Elberfelder nicht so gut heraus. Sie sagt: „Dem dagegen.“ Luther sagt aber: „Dem aber, der nicht mit Werken umgeht, sondern an den glaubt, der den Gottlosen rechtfertigt, wird sein Glaube zur Gerechtigkeit gerechnet, nicht seine Werke, sein Glaube, wie bei Abraham.“
Abraham glaubte Gott, dass seine Nachkommen so zahlreich werden würden. Er glaubte Gott, und das wurde ihm zur Gerechtigkeit gerechnet, Glaubensgerechtigkeit, nicht Werke.
Bei Werken steht am Ende Pflicht, Schuldigkeit und Verdammnis.
Paulus verwendet hier in Römer 4 allein neunmal das Wort „angerechnet“ oder „zugerechnet“, wie es manchmal übersetzt wird. Dieses Wort kommt eigentlich aus der Wirtschaftssprache und bedeutet: „Es ist doch auch so am Ende des Monats, ja, das Geld gehört dem Arbeitgeber, und er überweist es auf mein Konto, es wird mir gutgeschrieben.“ So wäre das dann zum Beispiel.
Und hier ist es eben geistlich gesehen die Erlösung Jesu Christi, seine Gerechtigkeit, die er erworben hat am Kreuz. Sie wird mir gutgeschrieben, sie wird mir zugute auf mein Konto gebucht.
Die Bedeutung des Glaubensvertrauens
Paulus macht in Vers 5 zwei Aussagen, die ich noch näher erklären möchte. Er sagt: dem, der mit Werken umgeht – oder in diesem Fall, der nicht mit Werken umgeht. Das bedeutet, ich muss erkennen, dass ich von Natur aus ein Gottloser bin, trotz meiner Taufe, Kommunion, Konfirmation oder aller möglichen Zugehörigkeiten. Ich bin ein gottloser Mensch.
Ich muss einsehen, dass meine toten Werke vor Gott nicht zählen. Selbst wenn ich mein Leben als Märtyrer hingeben würde, würde das nicht ausreichen, um eine einzige meiner Sünden abzugelten oder zu büßen. Ich muss an mir selbst verzweifeln, mit mir und meiner Frömmigkeit ans Ende kommen und vor Gott Bankrott erklären. Alle, die in den Himmel kommen, sind Menschen, die hier auf Erden Bankrott erklärt haben.
Das ist in dieser Welt nichts Erstrebenswertes. Aber wer in den Himmel kommen will, muss zuvor in diesem Leben vor Gott Bankrott erklären und einen Zerbruch um und um erleben.
Nun zur positiven Aussage: Dem, der nicht mit Werken umgeht, sondern glaubt an den, der die Gottlosen gerecht macht. Der Sohn Gottes starb für uns, als wir noch Sünder waren. Er wurde zwischen Himmel und Erde angenagelt, er starb, wurde auferweckt und sitzt nun zur Rechten Gottes. Nur er allein kann Gottlose gerecht machen.
An ihm glauben heißt, ihm vertrauen, sich ihm anvertrauen und sich im Blick auf die ewige Errettung ganz allein auf sein vollbrachtes Werk verlassen. Das macht vor Gott gerecht. Seine vollkommene Gerechtigkeit wird auf mein Konto gebucht und mir zugerechnet – allein durch Gottes Werk.
Ich habe es schon einmal benutzt, aber man vergisst manches wieder, und man darf auch mal ein Beispiel wiederholen. Meike und ich waren vor sechs Jahren in Kalifornien und den angrenzenden Ländern unterwegs. Eines Morgens standen wir am Grand Canyon. Ich werde das nie vergessen, als ich plötzlich an diesem gewaltigen Canyon stand – dem größten, den es auf der Erde gibt. Es verschlägt einem die Sprache, dieses unglaubliche Naturschauspiel, das man dort sieht, dieser riesige Canyon.
Stellt euch vor, jemand steht auf der einen Seite des Canyons und will auf die andere Seite. Er spannt ein Drahttau von fünf Zentimeter Durchmesser über den Grand Canyon. Dieses Tau könnte einen Panzer tragen. Würdest du darübergehen? Ich meine nicht balancieren, sondern wenn du irgendwie sicher darübergehen könntest, weil das Drahttau dich trägt.
Jetzt ist es aber nicht lang genug – hinten fehlt noch ein Meter. Du sagst: Kein Problem, du nimmst einen guten, reißfesten Zwirnsfaden aus deiner Tasche und bindest ihn dran, sodass das Drahttau gespannt ist. Würdest du es dann wagen? Natürlich nicht! Denn eine Kette ist nur so stark wie ihr schwächstes Glied. Du würdest dich zerschmettert am Boden der Schlucht wiederfinden, selbst wenn am Ende nur zehn Zentimeter Bindfaden eingebaut wären.
Es würde nicht halten. Es muss das ganze Drahttau sein.
Nun können wir das übertragen: Das Drahttau symbolisiert das Werk Jesu Christi – sein Erlösungswerk am Kreuz und am Auferstehungsmorgen. Das hat er getan, ohne einen von uns zu fragen. Er hat es vollbracht, vollendet und Gott hat es akzeptiert. Das ist ein für allemal geschehen. Die Erlösung ist vollbracht.
Der Bindfaden steht für das, was wir mit unseren Werken tun können. Du darfst das Erlösungswerk Jesu Christi nicht mit deinen Werken zusammenknüpfen oder vermischen. Du darfst nicht allein auf den Bindfaden vertrauen, denn der wird dich nicht in die Ewigkeit bringen. Aber du darfst auch das Erlösungswerk nicht mit deinen Werken vermischen – es trägt nicht.
Du musst allein auf das Opfer Jesu Christi vertrauen, ganz allein. Das trägt und bringt dich über die Brücke in die Ewigkeit.
Wir haben auch in der Bibel ein Beispiel dafür: Der Täter, der neben Jesus Christus am Kreuz starb. Er war ein gottloser Mensch, wirklich ein Verbrecher. Doch er kam zur Buße, zur Besinnung. Was bei einem Menschenleben manchmal viele Jahre dauert, geschah bei ihm in wenigen Stunden oder vielleicht sogar Minuten. Er wurde von seiner Sünde überführt.
Dann richtete er sich an Jesus und sagte: „Jesus, denke an mich, wenn du in dein Reich kommst!“ Und er erhielt die Antwort: „Heute wirst du mit mir im Paradies sein.“ Er hat es erfasst, sein Vertrauen ganz allein auf Jesus Christus gesetzt. Er wurde der Erste der Erlösten, wurde angenommen und kam als Erster in den Himmel.
So sehen wir, dass Gott Gottlose gerecht macht. Und wie er es tut: durch den Glauben an das stellvertretende Werk seines Sohnes, durch den Glauben an sein vergossenes Blut auf Golgatha. Das macht jeden Schaden gut und macht den Menschen gerecht vor Gott. Dann passt er in den Himmel.
David als weiteres Beispiel für Glaubensgerechtigkeit
Lesen wir noch kurz die Verse 6 bis 8. Ich habe gesagt, ich kann darauf nur kurz eingehen, ebenso wie David die Seligpreisung des Menschen ausspricht, dem Gott Gerechtigkeit ohne Werke zurechnet.
Nikolai hat uns vorhin auch den Psalm 32 vorgelesen. Paulus zitiert hier die ersten beiden Verse daraus: „Glückselig die, deren Gesetzlosigkeiten vergeben und deren Sünden bedeckt sind, glückselig der Mann, dem der Herr Sünde nicht zurechnet“ (Psalm 32,1-2).
Davids Werke der Gerechtigkeit – er hat viele Jahre gerecht gelebt – waren völlig entwertet, durchgestrichen durch zwei schlimme Ereignisse: als er in schwere Sünde fiel, in Ehebruch und Mord mit Bathseba und Uriah. Das war alles entwertet, da war nichts von übrig.
Was nützt es, wenn man das Gesetz gehalten hat, wenn man immer den Sabbat eingehalten hat und dies und jenes getan hat, wenn man dann plötzlich zum Ehebrecher und Mörder geworden ist? Dann ist alles durchgestrichen, was vorher war. So erging es David: Seine Werke der Gerechtigkeit waren durchgestrichen durch Ehebruch und Mord.
Weil er aber seine schwere Schuld aufrichtig bekannte und an Gottes Vergebung glaubte, wurde auch er als Ehebrecher und Mörder durch seinen Glauben vor Gott gerecht.
Jetzt zitiert Paulus diese beiden Verse aus Psalm 32. William MacDonald führt dazu aus, dass Paulus zuerst zeigen will, dass David hier kein Wort von Werken sagt. Er erwähnt Werke überhaupt nicht in den beiden Versen – keine Werke, das ist wichtig, auch keine Wiedergutmachung.
Es läuft auch nicht so, dass man, wenn man ganz böse versagt hat, dann besonders auffällige gute Werke tun kann – eine große Spende geben kann, alten Leuten helfen oder dies oder das machen. So läuft es nicht. Man kann keine Sünde ausgleichen. Es geht auch nicht nach dem Waagschalen-Modell: Hier sind meine guten Werke, hier sind meine Sünden, und ich muss schauen, dass sich das einigermaßen ausgleicht oder sogar die guten Werke überwiegen. So funktioniert es nicht.
David erwähnt keine Werke. Zweitens erkannte David, dass ein Mensch dann vor Gott gerecht dasteht, wenn Gott ihm seine Sünden nicht mehr zurechnet. Das ist das Entscheidende.
Hier steht nicht: „Glückselig der Mann, der nie gesündigt hat“, sondern: „Glückselig der Mensch, dem seine Sünden nicht mehr zugerechnet werden, deren Sünden bedeckt sind, vergeben sind“, würden wir heute sagen. „Glückselig der Mann, dem der Herr Sünde nicht zurechnet.“ Das ist das Entscheidende.
Rechnet Gott einem Menschen die Sünde nicht mehr zu, ganz gleich, was er immer getan hat, wie oft er versagt hat, nämlich wenn dieser Mensch glaubt.
Und das erkannte Paulus an diesen Versen: David wurde völlig gerecht gesprochen, gerecht erklärt, weil er glaubte. David erfuhr die Vergebung seiner Schuld und durfte König bleiben, obwohl er in Ehebruch und Mord gefallen war. Er durfte König bleiben.
David ist ein weiteres Beispiel, das Paulus hier anführt, wie ein Mensch durch den Glauben gerecht wird, auch wenn er ein Sünder ist, auch wenn er schwer versagt hat.
Auch David als Glaubender fiel in Ehebruch und Mord, und trotzdem drückt er hier Glaubensgerechtigkeit aus, weil er eben nicht auf Werke vertraute, sondern einfach die Vergebung Gottes glaubend in Anspruch nahm.
Die richtige Balance von Glauben und Werken
Nun höre ich förmlich den Einwand: „Wie denn? Das hört sich so einfach an – bloß glauben? Machst du das nicht zu einfach? Kann ich dann leben, wie ich will? Du betonst den Glauben so stark.“
Keine Angst! Paulus spricht im Römerbrief auch von Werken, aber an der richtigen Stelle und in der richtigen Reihenfolge. Ab Kapitel zwölf spricht der Römerbrief sehr wohl von Werken. Von Kapitel zwölf bis sechzehn lesen wir viel über die Werke des Glaubens – aber alles an der richtigen Stelle.
Zuerst einmal zeigt Paulus, dass ein Mensch gerecht wird durch den Glauben an das vollbrachte Erlösungswerk. Und jetzt können wir noch diese letzte Folie sehen, Dale, danke, weil ich weiß, dass es für viele schwierig ist, das zusammenzubekommen: Wie ist das mit dem Glauben und den Werken?
Dazu hat Spurgeon einen wunderbaren Satz gesagt, wie ich finde. Er sagt: „Man wird gerecht durch Glauben allein, allein durch den Glauben auf das vollbrachte Erlösungswerk, das Vertrauen – aber nicht durch einen Glauben, der allein bleibt.“
Merkt ihr, was er sagen will? Er meint, wenn man zum Glauben gekommen ist an das Opfer Jesu Christi, an sein Erlösungswerk, dann folgen die Werke. Dann bleibt dieser Glaube nicht allein, sondern wird gefolgt von Werken des Glaubens, die aus dem Glauben, aus Liebe und aus Dankbarkeit entstehen.
Wunderbar ausgedrückt! Kann man das besser sagen? Man wird gerecht durch Glauben allein, aber nicht durch einen Glauben, der allein bleibt. Sondern die Werke werden folgen. Davon spricht auch der Jakobusbrief.
Der Jakobusbrief geht sogar so weit zu sagen, dass Abraham nicht allein durch Glauben gerechtfertigt wurde, sondern auch durch Werke. Er will damit sagen, dass sich der Glaube Abrahams auch in den Werken manifestierte, sich in den Werken ausdrückte und durch Werke bewiesen wurde.
Aber diese Werke folgten – das haben wir ja schon im ersten Teil der Botschaft heute dargelegt. Darum können wir es so zusammenfassen: Man kommt zum Glauben ohne Werke – das ist die Botschaft des Römerbriefs. Nicht durch Gesetzeswerke, sondern ohne Werke. Aber man bleibt im Glauben mit Werken – das ist die Botschaft des Jakobusbriefs.
So gehört das zusammen und ist kein Widerspruch.
Es gibt eine große Kirche in Deutschland, ihr könnt euch schon denken welche, die daraus immer einen Widerspruch konstruieren will und dann ganz stark die Werke betont, also den Jakobusbrief.
Hier sehen wir, wie sich die Spannung auflöst: Man kommt zum Glauben ohne Werke (Römerbrief), aber man bleibt im Glauben mit Werken (Jakobusbrief). Der biblische Glaube tut Werke, baut aber nicht darauf.
Oder anders ausgedrückt: Die Werke gehen uns nicht voraus, um uns den Himmel zu öffnen, sondern sie folgen unserem Glauben nach. So heißt es in Offenbarung 14,13.
Und ich hoffe, dass das auch so ist, dass die Werke wirklich unserem Glauben nachfolgen. Denn wenn wir hier noch einen Augenblick verweilen dürfen – wir schließen dann gleich.
Zunächst war in der Kirchengeschichte die Werkgerechtigkeit durch die römisch-katholische Kirche ganz, ganz stark betont – bis hin zum Ablasshandel, bei dem man sich für Geld Ablass im Fegefeuer kaufen konnte. All diese Verirrungen haben die Werkgerechtigkeit des Menschen stark betont.
Dann kam die Reformation, und das Pendel schlug stark auf die andere Seite. Luther betonte: Nein, allein der Glaube, nicht die Werke.
Und dann schlug das Pendel nach rechts rüber, wenn ich so sagen darf. Es gab bestimmte Richtungen, die zu stark den Glauben betonten und dabei die Werke vernachlässigten. „Nur noch der Glaube! Ja, ich glaube, und dann kann ich leben, wie ich will.“ Das ist genau das andere falsche Extrem.
Darum müssen wir beides zusammenhalten: Wir kommen zum Glauben ohne Werke, aber wir bleiben im Glauben durch die Werke. Das heißt, wir tun sie aus dem Glauben heraus. Niemals, um damit Gottes Wohlgefallen zu erlangen, niemals um Punkte für den Himmel zu sammeln, sondern immer nur, weil uns der Himmel geschenkt ist, weil wir gerecht geworden sind durch den Glauben an Jesus Christus.
So wollen wir jetzt auch gerecht leben und gute Taten tun. Je mehr, umso besser. Wenn jemand im Glauben gerecht geworden ist, kann er einen ganzen Kometenschweif von Werken hinter sich herziehen. Je mehr, umso besser.
Wenn du ein Mensch bist, der in Glaubensgerechtigkeit lebt, dann diene dem Herrn, hilf deinen Nächsten, pack an, wo du nur kannst, tue Werke so viel dir möglich sind – aber aus dem Glauben heraus.
Christen, wiedergeborene Christen, waren immer solche, die in dieser Welt angepackt haben. Sie haben aus ihrem Glauben heraus Waisenhäuser gegründet, Krankenhäuser errichtet, Werke der Diakonie und der Nächstenliebe aufgebaut. Sie haben immer angepackt in dieser Welt – und das wollen auch wir.
Wir wollen nicht sagen: Wir haben jetzt die reine Lehre, wir glauben alles richtig – und man sieht keine Werke in unserem Leben. So muss das zusammengehören. Aber bitte in dieser Reihenfolge, wie wir es hier auf der Folie haben.
Der Weg aus den Werken ist: „Ich weiß um Gottes fordernde Gerechtigkeit und versuche, mir diese Gerechtigkeit zu erarbeiten.“ Die Folge wird sein: Verdammnis. So kann ich nicht in den Himmel kommen.
Der Weg aus dem Glauben ist: „Ich tue Buße über meine Sünde und Selbstgerechtigkeit, ich nehme die fertige, von Christus erwirkte Gerechtigkeit als Geschenk an und bekomme das ewige Leben.“ Christi Blut und Gerechtigkeit sind mein Schmuck und mein Ehrenkleid. Damit will ich vor Gott bestehen, wenn ich zum Himmel eingehe.
Abschluss mit einer Begebenheit von Spurgeon
Ich schließe mit einer letzten Begebenheit von Spurgeon, diesem großen englischen Prediger.
Eines Tages lag er auf dem Sterbebett und empfing noch viele Besucher. Unter ihnen war auch jemand, der ihm eine ziemlich dumme Frage stellte – eine Frage, die ich niemals einem Menschen stellen würde. Der Besucher fragte: „Bruder Spurgeon, wie ist einem Mann zumute, den Gott in seinem Leben so reich gesegnet hat?“
Das war eine dumme Frage. Der Besucher wollte wissen, wie sich ein Mensch fühlt, der von Gott so reich gesegnet wurde, und das, obwohl Spurgeon bereits auf dem Sterbebett lag.
Spurgeon antwortete: „Bruder, meine gesamte Theologie besteht nur noch aus fünf Worten: Jesus Christus starb für mich.“
Das war seine Antwort. Am Ende reduziert sich alles darauf. Es gibt keine Werke mehr, keine Taten, die der Herr durch uns getan hat, keine Menschen, die wir gesegnet haben. Nichts, worauf wir uns rühmen könnten oder was wir anführen könnten.
Spurgeon hat richtig geantwortet – wie so oft in seinem Leben –, indem er sagte: „Jesus Christus starb für mich, dessen will ich mich rühmen, sonst gar nichts.“
Ich hoffe, dass viele heute Morgen diese Glaubensgerechtigkeit für ihr persönliches Leben erfasst haben. Dass sie in dieser Glaubensgerechtigkeit leben möchten, dem Herrn dienen, viele gute Taten tun, Nächstenliebe üben und im Reich Gottes helfen.
Aber lasst uns nie vergessen, wie Spurgeon sagt: Am Ende reduziert es sich allein darauf: Jesus Christus starb für mich.
Schlussgebet
Wollen wir aufstehen zum Gebet? Herr Jesus Christus, wir wollen dir heute Morgen danken, dich preisen und anbeten. Wir möchten dir wirklich sagen, wie sehr wir es schätzen, dass du dein Leben für uns gegeben hast.
Wir glauben, dass du am Kreuz auch unsere Sünden getragen hast – unsere vielen Sünden und unser ganz verkehrtes Leben hast du mit deinem Blut bezahlt. Wir glauben, dass uns diese Gerechtigkeit nun durch den Glauben zugerechnet wird. So wie es dein Wort sagt: Bei Abraham wurde der Glaube zur Gerechtigkeit gerechnet (1. Mose 15,6).
Herr, danke, dass auch David das erfahren durfte. Er lebte im Glauben, machte aber Fehler und übertrat deine Gebote. Das ist oft auch in unserem Leben so. Danke, dass auch er Glaubensgerechtigkeit erfahren hat.
Herr, wir bitten dich, dass wir diese Balance in unserem Leben finden: aus dem Glauben heraus zu leben, sodass es zur Lebensgerechtigkeit wird. Wenn wir Gelegenheit haben, dir zu dienen und dich durch gute Taten zu erfreuen, wollen wir unsere guten Werke auch vor den Menschen leuchten lassen. So sollen sie sehen, dass wir Menschen des Glaubens sind, wie es in der Bergpredigt heißt (Matthäus 5,16).
Ja, Herr, hilf uns, diese Wahrheiten ganz tief in unserem Herzen zu verankern und darin zu leben – zu deiner Ehre und zum Bau deiner Gemeinde hier in dieser Welt. Amen.