Einführung in die Geschichte von Paulus und Silas in Philippi
Meine Freunde, ich möchte euch ein Wort aus Apostelgeschichte 16 auslegen. Die Geschichte spielt in der mazedonischen Stadt Philippi, wo der Apostel Paulus das Evangelium verkündigt hat. Danach gibt es Gerüchte, und Paulus wird ins Gefängnis geworfen.
In Apostelgeschichte 16,25 heißt es: „Um die Mitternacht aber beteten Paulus und Silas und lobten Gott, und die Gefangenen hörten ihnen zu.“
Darf ich voraussetzen, dass ihr alle die Pfingstgeschichte kennt? Über dieser Geschichte vom ersten Pfingsttag liegt ein wundervoller Glanz. Der Geist Gottes manifestiert sich kraftvoll über diesen elf Aposteln. Sie treten mit großer Freude auf, Tausende strömen zusammen, viele kommen zum Glauben. Diese Geschichte strahlt einen besonderen Glanz und eine tiefe Freude aus.
Die dunkle Vergangenheit der Apostel und die Bedeutung von Pfingsten
Dass über der ersten Pfingstgeschichte so eine Freude liegt – und zwar über diesen Aposteln – ist keineswegs selbstverständlich. Diese elf Apostel, die hier an Pfingsten auftreten, waren Menschen, die ein sehr schweres Leben geführt hatten. Es waren Leute, die auf der dunklen Seite des Lebens standen. Nicht wie der Mond, der eine helle und eine dunkle Seite hat, sondern diese Apostel lebten auf der dunklen Seite.
Ist Ihnen das ganz klar? Sie kamen aus der Zeit von Karfreitag. Ich wage mir kaum vorzustellen, welche Nöte die Apostel durchgemacht haben, als der Heiland am Kreuz hing. Und dann, als er auferstand, wussten sie nicht, ob sie verworfen waren. Hinter ihnen lag viel Not.
Äußerlich waren sie arme Kerle. Zweimal heißt es im Leben des Petrus, dass sie die ganze Nacht gefischt haben und nichts gefangen. Ich möchte mal einen Westdeutschen sehen, der zweimal eine Nachtschicht macht, ohne einen Pfennig zu verdienen. Gibt es das? Den gibt es gar nicht.
Zweimal weiß ich von Petrus: Erst beim Fischzug, als er berufen wird, und dann nach der Auferstehung Jesu, als er eine ganze Nacht mühselig fischt und morgens ans Ufer kommt, ohne einen einzigen Fisch gefangen zu haben. Das waren arme Kerle, diese Apostel.
Vor ihnen lagen Leben voller Verfolgung. Das endete schließlich für alle, wie wir wissen, vor Hannes und anderen, teilweise im Martyrium. Sie starben für ihren Heiland. Versteht, das war kein Leben mit Komfort. Es waren arme Kerle, menschlich gesprochen, im Schatten der Nacht.
Der kommunistische Dichter Brecht sagt in der Dreigroschenoper: „Und die einen sind im Dunkeln, und die anderen sind im Licht.“ Die Apostel waren Menschen, die äußerlich gesehen im Dunkeln standen, bei den Armen.
Man muss den Hintergrund sehen, um zu begreifen, wie wunderbar es ist, dass sie an Pfingsten mit solcher Freude auftreten. Dass über ihnen so ein Glanz liegt und sie dreitausend Menschen begeistern, ebenfalls Christen zu werden.
Die Kraft des Heiligen Geistes in der Dunkelheit
Es ist also der Heilige Geist, ja, meine Freunde, im Buch Hiob. Es gibt einen Vers, den ich ganz besonders liebe. Er ist schöner als alles, was mein großer Landsmann Goethe je gedichtet hat. Äußerlich schon ist er so schön, dass er die höchste Poesie erreicht. Dieses Wort im Buch Hiob lautet: Gott, mein Schöpfer, der Lobgesänge gibt in der Nacht.
Nicht nur bildlich gesprochen waren die Apostel in der Nacht arm, verfolgt und schließlich totgeschlagen. Aber an Pfingsten sehen wir, dass ihr Mund überfließt und ihr Herz überfließt von Freude am Herrn. Diese Freude strahlt aus allen Knopflöchern. Der Geist Gottes wirkt: Gott, mein Schöpfer, der Lobgesänge gibt in der Nacht!
Hier sitzen viele Leute, die auch bildlich gesprochen in der Nacht leben – elend, krank oder einsam. Meine Freunde, Gott, mein Schöpfer, der Lobgesänge gibt in der Nacht! Gott will nicht nur dein Stöhnen hören. Er will durch den Heiligen Geist so in deinem Herzen wirken, dass du loben kannst in der Nacht deines Lebens.
Gott, mein Schöpfer, gibt Lobgesänge in der Nacht – nicht nur damals an Pfingsten, sondern das tut der Herr immer.
Überleitung zur Textgeschichte in Philippi
Und seht, unsere Textgeschichte handelt eigentlich auch davon. Das möchte ich jetzt tun: Wir wollen von der Pfingstgeschichte nach Philippi ziehen – im Geist, nicht wahr? Und dann kommen wir zu unserer Textgeschichte.
Als Überschrift für meine Predigt möchte ich den Satz nehmen: „Gott, mein Schöpfer, der Lobgesänge gibt in der Nacht.“ Wollen wir das zusammen sagen? Sagen wir alle: „Gott, mein Schöpfer!“ Ach, das ist doch gar nichts, so kümmerlich, dreitausend Leute – man hört nichts davon.
Noch einmal: „Gott, mein Schöpfer, deren Lobgesänge gib in der Nacht!“ Da lese ich den Text noch einmal vor, denn ihr habt inzwischen vergessen: „Um die Mitternacht aber beteten Paulus und Silas und lobten Gott im Gefängnis.“
Dazu möchte ich dreierlei sagen. Wir sehen uns erstens die Nacht an, zweitens die Lobgesänge in der Nacht und drittens fragen wir nur: Wie kam es dazu?
Ich sage das vorher, damit jeder ungefähr weiß, wann es zu Ende geht – falls es ihm langweilig wird.
Die Nacht der Anfechtung und das Gefängnis in Philippi
Also, erstens die Nacht. Ja, meine Freunde, als Paulus und sein Freund Silas im Gefängnis waren, war es auch äußerlich Nacht, und innerlich war alles dunkel. Doch der Herr hatte Paulus durch einen ganz klaren Ruf nach Europa gerufen. Welch eine Stunde, als die beiden Männer ihren Fuß auf die Küste Europas setzten!
Die erste Stadt, in der sie ankamen, gerufen vom Herrn, war Philippi. Dort verkündeten sie die Botschaft: Gott hat den Himmel zu richten, hat seinen Sohn gesandt. Und er ist für dich am Kreuz gestorben und hat dich erlöst aus den Mächten der Finsternis. Er ist auferstanden und gehört ihm.
Diese Botschaft verbreitete sich schnell. Das müsst ihr selbst lesen, Apostelgeschichte 16. Es kam zu einer Art Revolution, und das Volk stürzte sich auf Paulus und Silas. Sie wurden von den Obersten geschleift. Die wollten gerade Feierabend machen, denn um fünf Uhr schließen die Büros. Es war vielleicht zehn Minuten vor fünf, da sagt ein Beamter: „Jetzt Schluss!“ Der Stadtkommandant befiehlt: „Geißelt sie und werft sie ins Gefängnis. Morgen machen wir weiter!“
Paulus und Silas wurden gegeißelt. Eine römische Geißelung war grauenvoll. In die Riemen waren Eisenstücke hineingeflochten. Der Rücken war zerfleischt, Blut floss. Dann wurden die beiden bewacht und dem Gefängnisdirektor übergeben, der gut auf sie aufpassen sollte. Das waren gewöhnlich pensionierte römische Offiziere. Der schlug die Hacken zusammen und sagte: „Verstanden, gut aufpassen!“ Dann ließ er sie in das unterste Gefängnis bringen.
Das mag ein Loch gewesen sein – du liebe Zeit! Die Füße hatten noch etwa einen Stock Abstand zum Boden, so genau weiß ich das nicht. Es war jedenfalls eine grausame Zelle. Dann saßen die beiden in der dunklen Zelle. Ich weiß nicht, ob Wasser von den Wänden tropfte und ob Ratten über ihre Füße liefen. Wir können annehmen, es war vielleicht abends gegen sechs oder sieben Uhr.
Dann hören wir nichts. Erst um Mitternacht beteten Paulus und Silas und lobten Gott. Jetzt frage ich euch: Was hatten Paulus und Silas zwischen sechs Uhr abends und Mitternacht gemacht? Was war da los? Nein, erst um zwölf Uhr fing er an zu beten? Nein, meine Freunde, da war Paulus in der Anfechtung. Es war nicht nur äußerlich Nacht, sondern auch innerlich dunkel.
Und es soll mir kein Mensch erzählen, er sei Christ und wisse nicht, was solche Nächte der Anfechtung sind. Mein Großvater Kuhlen in Hülben kam einmal zu einem alten Bruder, der ein schwermütiges Gesicht machte. Da sagt mein Großvater: „Du Christen haben leuchtende Augen!“ Und der alte Christ antwortete: „Ich kann nicht lachen, wenn ich sterben muss.“ Er meinte geistlich sterben. Verstehen Sie? Sind das Schwaben, dass Sie es verstehen können? Er sagte: „Ich kann nicht lachen, wenn ich geistlich sterben muss, wenn ich in der Anfechtung bin.“
Also, sagen wir mal, von sechs bis Mitternacht, von 18 Uhr bis Mitternacht, da war Paulus in der Nacht der Anfechtung. Äußerlich dunkel in der Zelle, aber auch innerlich dunkel. Ich möchte versuchen, der Anfechtung des Paulus nachzugehen, weil ich denke, das sind die Anfechtungen, die wir im Grunde auch haben.
Die verschiedenen Facetten der Anfechtung bei Paulus
Da stürzt die Frage auf ihn herein: Wie kann Gott das alles zulassen? Er hat mich durchgerufen. „Ich diene ihm doch, er will doch, dass seine Botschaft verkündigt wird. Und jetzt sperrt er uns hier ein. Ich bin geschlagen und marode – wie kann Gott das zulassen?“
Meine Freunde, ich habe zwei Söhne gehabt, Gott hat mir beide genommen. Da brach die Frage um mich herein: Warum tut er mir das? Die Frage wird oft oberflächlich gestellt: Wie kann Gott das alles zulassen? Aber sie kann eine große Anfechtung für Christen werden. Warum tut er das?
Weiter: In Paulus war sicher ein großer Zorn. Er war ein Mann, und ihm wurde Unrecht getan. Ihr Männer, nichts kann einen Mann härter treffen, als wenn er Unrecht tragen muss und nichts dagegen machen kann. Habe ich Recht? Er war römischer Bürger. Ein römischer Bürger durfte eigentlich nicht gegeißelt werden. Das war eine bevorzugte Klasse, zu der Paulus gehörte. Am nächsten Tag hat er den Leuten das auch selber in die Nase gerieben. Da bekamen sie Angst.
Aber nun hat man ihn als römischen Bürger gegeißelt. Er möchte auf den Tisch hauen über die Ungerechtigkeit der Welt – und man ist machtlos. Das ist eine Anfechtung, wenn die fleischlichen Triebe aufbrechen. Es gibt ja nicht bloß einen Song über das junge Volk, wenn die Sexualität erwacht oder der Eigensinn.
Das ist Neid! Da sind Menschen noch da, nicht? Wenn wir auf einmal merken, wie wir an uns selber zu schimpfen beginnen – ah, das ist die Anfechtung, wenn der Vulkan hier ausbricht!
Weiter, die Anfechtung des Paulus: Da war viel drin, da war die Sorge. Er hatte angefangen in Philippi. Was soll denn aus der kleinen Gemeinde werden jetzt? Oh, wie kann der Sorgengeist eine Anfechtung werden! Das ist für die alten Leute hier die Anfechtung, nicht? In der Jugend nimmt man es leichter.
Als meine Kinder geheiratet haben, habe ich gesagt: „Dann haben wir jetzt ein bisschen Luft. Jetzt sollen sie für sich selber sorgen.“ Jetzt geht dauernd das Telefon, da ist ein Enkel krank, und dort ist was los. Ich sehe an meiner Frau, wie sie aus den Sorgen gar nicht mehr herauskommt. Nicht? Kennt ihr das?
Vielleicht haben manche ganz schwere Sorgen, dass man durch die Sorgenwolken gar nicht mehr durchsehen kann. Sorgen können schreckliche Anfechtungen werden.
Ich bin noch nicht fertig mit der Anfechtung des Paulus. Da kam die Angst – die Angst vor Menschen. Ich weiß nicht, ob ihr das schon mal erlebt habt, dass man einfach Angst vor Menschen bekommt.
David war doch bestimmt ein großer Kriegsheld. Aber als er mal von der Frage gestellt wurde, hat er gesagt: „Nur um Gottes Willen, lass mich nicht in die Hände der Menschen fallen.“ Ich bin in meinem Leben ein paarmal in Menschenhände gefallen – das ist schrecklich. Das war im Dritten Reich. Ich komme noch mal darauf zurück: Wenn einen einfach die Angst packt, was machen sie mit mir? Du bist ihnen ausgeliefert.
Und das waren alles noch kleine Fische. Die größte Anfechtung des Paulus, denke ich mir, war die: „Hat mich dennoch der Herr verworfen, damit ich nicht mehr sein Knecht sein soll?“ Er war sicher seines Heils gewiss, aber die Frage kam: Vielleicht kann er mich zum Dienst nicht mehr brauchen, er wirft mich weg.
Das ist die größte Anfechtung, die ein Mensch erleben kann. Nicht verworfen zu sein, lässt den ganzen Halt noch mal ins Zittern kommen.
Da war Nacht im Herzen des Paulus. Wir hören kein Wort davon. Um sechs Uhr wird er ins Gefängnis geworfen, um zwölf Uhr hören wir wieder von ihm. Aber inzwischen ist er in einem stockdunklen Kerker. Und ich bin gewiss, dass all diese Anfechtungen auf ihn eingestürmt sind.
Und jetzt möchte ich mit den Leuten sprechen, die Anfechtungen kennen oder vielleicht gerade drin sind. Seht, bei so einem Fest wie hier sehen wir alle so nett aus, als wenn wir Leute wären, deren Eisenbahnzug so glatt fährt, nicht? Das glaube ich keinem.
Alle Großstadtfahrer wissen, dass jeder seine dunklen Probleme hat, der jüngste Kerl, der Hände hat. Seine Nöte kann er niemandem sagen.
Es gibt ein Wort in der Bibel, das heißt Psalm 34: „Der Herr ist nahe denen, die zerbrochenen Herzens sind.“ So war der Herr ganz nah, aber Paulus sah es vielleicht in dem Augenblick nicht.
Die Lobgesänge in der Nacht der Anfechtung
So, und jetzt kommt mein zweiter Teil. Das war die Nacht, nicht wahr? Wir haben gesagt: Wie heißt das Wort im Hiob? Das sagen wir alle noch einmal: „Gott, mein Schöpfer, der Lobgesänge gibt in der Nacht.“ Jetzt müssen wir also von den Lobgesängen der Nacht sprechen.
Zweitens: Um Mitternacht beteten Paulus und Silas und lobten Gott. Dabei hörten die Gefangenen zu. Auf einmal, um Mitternacht, ist alles verändert. Diese dunkle Zelle wird zum Tempel Gottes, von dem die Lobgesänge aufstiegen. Das hat mich sogar gut getan, eben der Lobgesang von dem Chor. Schön war das. Aber nicht wahr, so am schönen Pfingstmorgen, in so einem netten Zelt und bei der großen Versammlung – aber meine Freunde, Lobgesang in dem dunklen Kerkerloch um Mitternacht, das ist eine andere Sache!
Und das war so ein schallender Lobgesang, dass die Gefangenen ihn hörten! Seht mal, es war doch interessant: Es hatte sich gar nichts verändert. Paulus’ zerschlagener Rücken tat noch genauso weh wie vorher, seine Füße waren noch in den Stocks. Er war genauso in die Menschenhände gefallen wie vorher, es war gar nichts verändert. Und doch wurde plötzlich Lob gesungen. Aber was ist da passiert? Seht, in ihm war eine Veränderung gekommen.
Meine Freunde, wenn wir oft unter Druck stehen, meinen wir, es wird alles gut, wenn der Druck weg ist, wenn ich 50 Mark mehr hätte und so weiter. Die Anfechtung ist aber anders, wenn es in uns anders wird. Im Herzen des Paulus war die Veränderung vor sich gegangen. Er war in derselben Lage und konnte trotzdem wieder Lob singen.
Wenn der Winter ausgeschneit ist, kennen wir den schönen Vers: „Dann tritt der schöne Sommer ein.“ So wird auch nach der Pein, wer es erwarten kann, erfreut. Alles Ding hat seine Zeit, vor allem auch die Anfechtungen der Kinder Gottes. Alles Ding hat seine Zeit, vor allem die Anfechtungen der Kinder Gottes, Gottes Liebe in Ewigkeit.
Meine Freunde, ich war in Chur in Wildbaden, da hatte ich Zeit, diese Predigt zu überdenken. Seit Tagen beschäftigt sie mich. Und da hat es mich fast bis zu Tränen erschüttert: dieser Lobgesang in der dunklen Nacht, in der dunklen Gefängniszelle. Ich möchte euch gern deutlich machen, was das bedeutet. Versteht ihr mich noch alle da hinten?
Seht, ich weiß nicht, ob ihr die Offenbarung richtig kennt, das nächste Buch der Bibel. Dort gibt es so eine wunderbare Szene in Offenbarung 5, die ich sehr gern habe – Kapitel 4 und 5. Da sieht Johannes hinein in die ewige Welt Gottes. Die Augen werden ihm geöffnet, die Wände werden transparent, er sieht in die unsichtbare Welt.
Und da sieht er den Thron Gottes. Ah, er sieht nur Glanz und Leuchten wie Edelsteine und merkwürdige Lebewesen um den Thron Gottes, dazu vieltausendmal tausend Engel und vierundzwanzig Älteste. Es ist gewaltig. Sie werfen ihre Kronen vor dem Thron Gottes zu Boden und beten an.
Da fängt das Lob an, das Lob im Himmel. Und dann auf einmal gibt es eine Pause. Der, der auf dem Thron sitzt, hält eine Schriftrolle mit seinen Plänen. Er wird durch den Himmel gefragt: Wer kann die Schriftrolle öffnen und Gottes Pläne zur Ausführung bringen? Und auf einmal herrscht Schweigen. Keiner kann das tun.
Da stürzen Johannes, der das sieht, die Tränen aus den Augen, denn keiner ist da, der Gottes Pläne zur Ausführung bringt. Und da sagt ein Engel zu ihm: „Weine nicht, es ist einer da, der Starke, der Held, der Löwe aus Juda.“ Jetzt ist Johannes gespannt, wer dieser starke Löwe aus Juda ist.
So stelle ich mir vor, wie die Engelsscharen auseinander treten, und da steht vor dem Thron ein Lamm mit der Todeswunde, ein Lamm mit der Todeswunde – Jesus für uns geschlachtet. Im Augenblick, in dem das Lamm mit der Todeswunde sichtbar wird in den himmlischen Räumen, kann ich das nur noch vorlesen:
„Da hörte ich und sah eine Stimme vieler Engel um den Thron Gottes, und ihre Zahl war vieltausendmal tausend. Sie sprachen mit großer Stimme: ‚Das Lamm, das erwürgt ist, ist würdig zu nehmen Kraft und Reichtum und Weisheit und Stärke und Ehre und Preis und Lob.‘ Und alle Kreatur im Himmel, auf Erden, unter der Erde und im Meer hörte ich sagen: ‚Dem, der auf dem Thron sitzt, und dem Lamm sei Lob und Ehr und Preis und Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit!‘“
Ein Lobgesang in himmlischen Räumen. Und in diese gewaltige Anbetung mischt sich die Stimme aus dem dunklen Kerker, aus der Finsternis: Paulus und Silas beteten und lobten Gott.
Unser Lob, meine Freunde, kommt immer zu diesem gewaltigen himmlischen Anbeten Gottes hinzu. Da heißt es dann: „Ich auch, auf den tiefsten Stufen“ – so ein angefochtener Paulus war bestimmt nicht auf den tiefsten Stufen –, „ich auch auf den tiefsten Stufen will ich Glauben, Reden, Rufen, solange ich noch Pilger bin, dem, der auf dem Thron sitzt, in dem Lamm sei Ehr und Lob und Gewalt und Anbetung.“
Das ist ein Lobgesang: „Gott, mein Schöpfer, der Lobgesänge gibt in der Nacht.“
Die Überwindung der Anfechtung durch Gebet und Gottes Gegenwart
Darf ich jetzt nur den dritten Teil sagen, oder schlaft ihr mir ein? Nicht? Ja, das wäre natürlich schrecklich.
Jetzt sagen wir den Text, die Überschrift, noch einmal zusammen: Gott, mein Schöpfer. Gott, mein Schöpfer, der Lobgesänge gibt in der Nacht.
Wir haben die Nacht der Anfechtung gesehen, durch die wir alle durchmüssen. Dort bellen die Hunde im Keller, und man selbst ist nur tief unten. Wir hörten, wie der angefochtene Paulus sie herausreißt und in den himmlischen Lobgesang einstimmt.
Und jetzt fragen wir drittens noch: Wie kam es dazu?
Jetzt könnt ihr sagen: Pastor Buste, es steht ja alles gar nicht so genau hier. Legst du mir etwas in den Text hinein? Es kann sein. Ich muss euch ganz offen gestehen, dass ich in meinem Leben dunkle Kerkerzellen kennengelernt habe – nicht der richtigen Strafjustiz, sondern unheimliche Gefängnisse der geheimen Staatspolizei.
Ich war nicht dort, meine Füße haben nie im Stock gelegen, und gegeißelt worden bin ich auch nicht, aber ich habe wenigstens eine Ahnung, was da geschieht. Ich habe erlebt, wie man Stunden in der Dunkelheit und Anfechtung ist: Bin ich verworfen? Will er mich nicht mehr? Und wie es zu Lobgesängen kommt.
Darum möchte ich es einfach mal zeugnismäßig sagen: Wie kam es dazu?
Seht, es heißt, um Mitternacht beteten Paulus – das heißt, die Anfechtung ging zu Ende im Moment, als sie wieder beten konnten. Sie waren so in der Dunkelheit, dass sie nicht mehr beten konnten. Erst um zwölf wieder.
Paulus hat diese Erfahrung einmal meiner Freundin in Römer 8 ausgedrückt, wo er sagt, dass wir in die Lage kommen können, wo wir nicht mehr wissen, was wir beten sollen. Dort vertritt uns der Heilige Geist mit unaussprechlichem Seufzen.
Das gibt es, wo Kinder Gottes so niedergeschlagen sind, und da betet der Heilige Geist für sie. Aber um Mitternacht kann Paulus wieder beten. Ach, da müssen die Finsternisse weichen!
Und ich kann mir denken, was er gebetet hat. Er hat vorher gefragt, wie Gott das zulassen kann. Jetzt hat er gebetet: Herr, ich will ja gar nicht wissen, warum du das tust. Ich will überhaupt nichts wissen. Ich will auch gar nicht fordern, dass du meine Lage veränderst. Aber ich möchte dein Gnadenangesicht wiedersehen. Ich möchte wissen, dass du eine Handbreit neben mir bist.
Ich will nicht etwas von dir, sondern dich. Ich bin überzeugt, sondern gebetet: Ich will nicht etwas von dir, dass du mich ausführst aus dem Kerker. Lass mich drin, aber dich brauche ich.
Seht, als ich noch ein Kind war, da hatten wir einen Onkel, der war ein reicher Kerl und Junggeselle. Wenn der zu Besuch kam, hat er immer herrliche Geschenke mitgebracht. Die Taschen waren voll, und wenn wir Kinder ankamen – wir waren eine große Kinderschar –, riefen wir: „Onkel Zehntner, hast du …?“ Und dann kamen Schokolade und Pralinen und so.
Und denken Sie, ich weiß gar nicht mehr, wie der Onkel aussah, aber ich sehe die Geschenke, die vollen Taschen, immer noch vor mir. Das heißt, der Onkel war mir im Grunde ganz egal. Ich wollte seine Geschenke, versteht ihr?
So machen es die meisten mit dem Heiland: Wir wollen etwas von ihm, aber nicht ihn selber. Und wenn der Herr uns in solche Dunkelheiten führt, dann lernt man beten: Herr, ich will jetzt nichts mehr von dir, aber dich will ich! Du Friedenskönig, du Sünderheiland, du … Die Tatsache, dass ich ein Kind Gottes bin, dich muss ich haben!
Ich kann mir das Gebet vorstellen. Und in dem Augenblick, in dem Paulus und Silas so beten konnten, geschieht etwas. Das sehen sie im Geist: das Kreuz des Heilandes.
Der Herr Jesus hat gesagt, der Heilige Geist wird mich verklären. Ich bin mal nachts aus New York rausgefahren mit dem Schiff, es war schon Nacht, und dann kommt man an der Freiheitsstatue vorbei. Es ist sehr eindrücklich, wie nochmal diese Freiheitsstatue angeleuchtet ist. Aus der Nacht heraustritt diese Freiheitsstatue, die auf einer Insel im Hafen draußen steht. Ringsherum dunkles Meer, und auf einmal sieht man diese Freiheitsstatue.
So macht der Geist Gottes das Kreuz unseres Heilandes sichtbar, dass wir einmal gar nichts mehr sehen, als den Sohn Gottes, der all meine Sünde wegträgt. Lamm Gottes, das der Welt Sünde trägt, der hohe Priester, der mich versöhnt, der Schlüsselzahler, der mich loskauft. Er kauft mich für Gott. Es ist alles gut.
Jetzt sieht Paulus: Ich bin aus Gnaden für Gott erkauft, es ist alles in Ordnung. Da brechen die Lobgesänge auf.
Oh, meine Freunde, ich möchte nach meines Sterbens nichts anderes vor mir sehen als den Heiland am Kreuz, der mir sagt: Fürchte dich nicht! Ich habe dich erlöst, ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein!
Und dann leuchtet der Geist Gottes auf den Auferstandenen. Oh ja, da trat der Herr Jesus in diese Kerkerzelle. Er lebt ja!
Meine Freunde, das war für mich das größte Erlebnis, als ich Gefangener war: dass selbst drei Riegel den Heiland nicht aufhalten können, wenn er zur angefochtenen Seele kommen will.
Ich habe Dunkelheiten durchgemacht, die ich nicht beschreiben kann, und dann kam er. Er kam nie mehr so zu mir wie in ganz schrecklichen Gefängniszellen.
Als meine Frau mich mal besuchte und sagte: „Du gehst ja zugrunde“, da habe ich gesagt: „Nein, mir geht es wie den Priestern bei der salomonischen Tempeleinweihung. Da heißt es, die Herrlichkeit des Herrn erfüllt den Tempel, so dass die Priester nicht stehen konnten, nicht stehen konnten, sie mussten raus.“
Und so war meine dreckige Zelle erfüllt mit der Gegenwart Jesu, die sich fast nicht aushalten ließ. So hat seine Herrlichkeit, seine Gegenwart alles erfüllt.
Oh, es geht im Christenleben durch Anfechtungen, und sie werden durch nichts anderes überwunden als dadurch, dass der Heilige Geist uns Jesum verklärt und er selber zu uns kommt.
Ach, mein Herr Jesu, dein Nahsein! Bring großen Friedensherz hinein, und dein Gnadenanblick macht uns so selig, dass Leib und Seele darüber fröhlich und dankbar wird! Amen!
Wir beten: Lieber Heiland, wir wollen dich nicht bitten, dass du uns nicht in Anfechtungen führst. Aber wir wollen dich bitten, dass du uns in Anfechtungen nicht loslässt und dass du uns immer reicher machst in der Erfahrung – in der Erfahrung deiner Erlösung, deiner Versöhnung, deiner Gegenwart. Amen!
