Ja, wir gehen jetzt in den letzten, eigentlich in den vorletzten Abschnitt eines für uns alle langen Tages. Hinzu kommt, dass es eben nicht irgendein Abend ist, sondern der Altjahresabend. Es ist unvorstellbar, dass das Jahr schon wieder vorbei ist.
Reinhard Meyer hat mein Lied geschrieben: „Wirklich schon wieder ein Jahr, ist das schon so lange her.“ So wird es uns allen in der einen oder anderen Weise gehen.
Man kann an diesem Jahreswechsel in zwei Richtungen blicken. Man kann zurückblicken, Bilanz ziehen und fragen, was es gewesen ist und wie der Herr mich geführt hat. Gleichzeitig kann man auch vorausblicken, was kommt und wie wir der Zukunft entgegengehen.
Ganz nüchterne Leute können sagen: Na ja, was ändert das schon? Es ist doch nur ein Wechsel von einem Tag zum nächsten, wie an jedem normalen Tag auch. Aber solche Zäsuren, solche Einschnitte sind für uns wichtig, weil sie uns grundlegende Dinge bewusst machen, die für unser Leben gelten.
Deshalb hat Gott auch den Rhythmus geschaffen. Gott hat den Rhythmus zwischen Sommer und Winter geschaffen, zwischen Tag und Nacht. Gott hat die Jahreszeiten geschaffen. Er hat uns Menschen bewusst in diesen Rhythmus hineingestellt, der einerseits von ständiger Wiederholung geprägt ist, andererseits aber auch vom Wandel.
Jahreswechsel als Zeit der Besinnung und Erwartung
Jeder von uns sollte den Rückblick in der Stille vor dem Herrn angehen. Oft machen wir das gerne in der Familie gemeinsam. Dabei gehen wir noch einmal die einzelnen Monate durch und überlegen, was in welchem Monat besonders wichtig gewesen ist. Welche markanten Ereignisse haben das zurückliegende Jahr geprägt?
Das ist immer wieder spannend, wenn jeder seinen Terminkalender vor sich hat und so das Jahr noch einmal sehr lebhaft und bewusst vor einem steht.
Heute Abend wollen wir jedoch gemeinsam in eine andere Richtung blicken, nämlich nach vorn. Einen Ansatzpunkt dazu finden wir im Jakobusbrief, Kapitel 5, Verse 7 und 8. Mit diesen Versen möchte ich jetzt einsteigen.
Heute Abend betrachten wir das Thema „gespannte Erwartung“. Die Frage lautet: Wie werden wir zukunftsfähig? Das ist die große Herausforderung. Wie können wir verantwortungsvoll in dieses neue Jahr hineingehen? Was ist unsere Aufgabe als Christen angesichts dessen? Was macht uns eigentlich zukunftsfähig?
Im Jakobusbrief finden wir zwei markante Verse dazu. Wir haben bereits darauf hingewiesen, dass Jakobus enge Anklänge an das enthält, was auch der Herr Jesus gesagt hat. Im Evangelium finden wir Worte des Herrn Jesus, die diese beiden Verse des Jakobus weiter erklären, entfalten und vertiefen.
Deshalb wollen wir heute Abend, am letzten Abend des Jahres 2015, gemeinsam vergleichen und studieren: Jakobus 5, Verse 7 bis 8, und als Erläuterung und Vertiefung dazu Lukas 12, Verse 35 bis 40. Ich lese beide Stellen jetzt vor.
Jakobus 5,7-8:
„So wartet nun geduldig, liebe Brüder, bis zur Wiederkunft des Herrn. Siehe, der Landmann wartet auf die köstliche Frucht der Erde und geduldet sich ihretwegen, bis sie den Früh- und Spätregen empfangen hat. So wartet auch ihr geduldig, stärkt eure Herzen, denn die Wiederkunft des Herrn ist nahe.“
Die Worte aus Lukas 12,35-40, in denen der Herr sagt:
„Lasst eure Lenden umgürtet sein und eure Lichter brennen und seid gleich den Menschen, die auf ihren Herrn warten, wann er aufbrechen wird von der Hochzeit, damit, wenn er kommt und anklopft, sie ihm sogleich auftun. Selig sind die Knechte, die der Herr, wenn er kommt, wachend findet. Wahrlich, ich sage euch, er wird sich schürzen und wird sie zu Tisch bitten und kommen und ihnen dienen. Und wenn er kommt in der zweiten oder in der dritten Nachtwache und findet, dass sie wachen, selig sind sie! Das sollt ihr aber wissen: Wenn ein Hausherr wüsste, zu welcher Stunde der Dieb kommt, so ließe er nicht in sein Haus einbrechen. Seid auch ihr bereit, denn der Menschensohn kommt zu einer Stunde, da ihr es nicht meint.“
Herr Jesus, wir bitten dich nun, dass du auch durch diese Verse heute Abend zu uns redest. Bereite du selbst unsere Herzen darauf vor, in das neue Jahr hineinzugehen. Lass uns wachsam hineingehen, hellwach, bereit für die Aufgaben, die du für uns bereithältst. Hilf uns, vorbereitet zu sein, dir entgegenzugehen.
Herr, lass das so geschehen und gib uns nach diesem langen Tag und all dem, was wir schon bedacht, durchdacht und miteinander besprochen haben, am Ende noch einmal Konzentration. Lass dein Wort wirklich zu uns kommen, Herr, dass wir es verstehen und dass es auch in unser Herz geht. Amen.
Geduld als Zeichen geistlicher Reife
Jakobus macht sehr deutlich, dass wir als Jünger unseres Herrn Geduld brauchen und dass Geduld ein Kennzeichen wirklich geistlicher Reife ist. Natürlich hängt das auch ein wenig von unserem Temperament ab. Aber vielen Christen – und ich kann mich da gut identifizieren – fällt es ziemlich schwer, geduldig zu sein. Und da gibt uns der Herr immer viel zu lernen.
Das macht Jakobus auch seinen Briefempfängern deutlich. Er vergleicht ihr Warten auf die Wiederkunft Jesu mit dem Warten eines Landwirts auf die köstliche Frucht der Erde, also einem Bauern, der geduldig auf die Ernte wartet. Dabei spricht er vom Frühregen und vom Spätregen.
Den Frühregen gab es in Israel normalerweise im Oktober oder November, den Spätregen im März oder April. Der Frühregen bereitet den Boden für die Anpflanzungen vor. Zuerst kommt der Frühregen, dann wird angepflanzt. Etwa ein halbes Jahr später fällt der Spätregen, kurz vor der Frühjahrsernte. Erst danach kann die Ernte folgen.
Jakobus will mit diesem Bild sagen: Der Bauer kann die Zeit des Wartens nicht abkürzen. Er kann nicht einfach sagen: „Okay, wir machen die Ernte drei Monate früher.“ Er hat keinen Einfluss auf das Wetter. Er kann nur warten, Gott den Zeitplan überlassen und durchhalten.
Und das ist in diesem Bild auch enthalten: Der Bauer weiß, die Ernte wird kommen. So gewiss wissen wir, dass der Herr kommen wird und dass er nicht zu spät kommen wird. Gerade die Adventszeit ist für die Gemeinde Jesu von jeher die Zeit gewesen, in der sie besonders an das Wiederkommen des Herrn gedacht hat.
Man kann die Adventssonntage einteilen. Der erste Advent wird oft als Erdenadvent bezeichnet. Dabei denken wir besonders daran, dass der Herr auf die Erde gekommen ist. Diese Einteilung steht zwar nicht in der Bibel, hat sich aber in der Kirchengeschichte so bewährt, dass die Gemeinde Jesu die Adventssonntage in der Regel so nutzt.
Der zweite Advent gilt meist als Königsadvent. Hier denken wir daran, dass der Herr wiederkommen wird – zum zweiten Mal, im wahrsten Sinne des Wortes, in Macht und Herrlichkeit auf diese Erde. Der Königsadvent erinnert an die Worte: „Siehe, dein König kommt zu dir.“
Der dritte Advent wird oft als Herzensadvent bezeichnet. Der, der auf die Erde gekommen ist und als König wiederkommen wird, möchte jetzt in dein Herz kommen und dein Leben verändern.
Der vierte Advent wird häufig als Lichtadvent bezeichnet. Hier kommen all diese verschiedenen Aspekte des Advents zusammen, es wird hell, und der Herr ist da.
So denkt die Gemeinde Jesu in der Adventszeit immer besonders an das Wiederkommen des Herrn.
Ich weiß nicht, ob Sie diese Werbung gesehen haben: Die Juwelierkette Christ hat dieses Warten gewissermaßen unterstützt. Neulich kündigte sie in München auf einem Plakat die Eröffnung einer Filiale an. Dort war das Firmenlogo „Christ“ zu sehen, gefolgt von einem Gedankenstrich und dem Schriftzug „Coming soon“.
Wenn man das einfach auf Englisch liest, heißt das nichts anderes als „Jesus kommt bald“. Und genau das ist die Blickrichtung, die wir im Advent haben. Wir blicken nicht nur zurück auf sein erstes Kommen, sondern auch voraus auf sein zweites.
Diese Blickrichtung gibt uns auch Lukas 12 an diesem letzten Tag des Jahres vor. Natürlich kann man fragen: Warum ist das so wichtig? Können wir das nicht den Sekten überlassen, sich mit der Wiederkunft Jesu zu befassen?
Die Gemeinde Jesu hat dieses Thema oft vernachlässigt. Und die Bibel warnt uns in der Tat davor, uns in alle möglichen Zukunftsspekulationen zu verlieren. Aber zugleich sagt der Herr ganz deutlich, dass wir mit seiner Wiederkunft rechnen sollen.
Wir sollen nicht nur so nebenbei sagen: „Ja, na klar, wir wissen, Jesus kommt irgendwann wieder.“ Sondern wir sollen mit der richtigen inneren Haltung auf der Kante unseres Stuhles sitzen, ihm so entgegengehen und ihn so erwarten.
Die Haltung des wartenden Dieners
Deshalb ist dieser Abschnitt aus Jakobus 5 und aus Lukas 12, denke ich, eine sehr gute Vorbereitung, um bewusst in das neue Jahr zu starten.
Womit vergleicht der Herr Jesus seine Nachfolger in diesem Gleichnis? Er vergleicht uns mit Dienern, deren Herr zu einer Hochzeitsfeier ausgegangen ist. Man weiß nicht, wie lange diese Feier dauern wird, man weiß nicht, wann er zurückkommt. Es könnte spät werden.
Herr Jesus sagt im Vers 36: „Und seid gleich den Menschen, die auf ihren Herrn warten, wann er aufbrechen wird von der Hochzeit, damit, wenn er kommt und anklopft, sie ihm sogleich auftun.“ Das heißt, sie sollen beim ersten Klopfen die Tür öffnen. Sie sollen nicht irgendwo in einer entlegenen Kammer liegen, das Klopfen hören, sich mühselig den Schlaf aus den Augen wischen und dann erst nach ein paar Minuten zur Tür schlurfen. Stattdessen sollen sie sofort aufstehen, die Tür öffnen und sagen: „Schön, dass du da bist!“ So ist das gemeint.
Wir spüren in diesen Versen eine starke Spannung. Sie rufen uns zu höchster Konzentration auf. Die, die auf den Herrn warten, sollen ihm sogleich auftun (Vers 36). Oder Vers 37: „Selig sind die Knechte, die der Herr, wenn er kommt, wachend findet.“ Oder Vers 40: „Seid bereit, denn der Menschensohn kommt zu einer Stunde, da ihr nicht damit rechnet.“
Jetzt müssen wir uns eine ganz klare Frage stellen: Warum ist dieses angespannte Warten, diese gespannte Erwartung, für die Jünger des Herrn so wichtig? Worauf warten wir und wie warten wir?
Die erste Frage, die wir heute Abend beantworten müssen, ist die nach dem Sinn des Wartens. Was ist der Sinn des Wartens? Vers 40 sagt: „Seid jederzeit bereit, Jesus zu begegnen.“ Mit dieser Haltung sollen wir ins neue Jahr gehen – hellwach. Sei jederzeit bereit, Jesus zu begegnen, sei jederzeit bereit, deinem Herrn gegenüberzustehen.
Warum? Wir wissen ja nicht, ob einer von uns den Tag, an dem der Herr Jesus wiederkommt, noch erleben wird. Natürlich wünscht man sich das. Man wünscht sich, sein Leben hier zu haben, die Kinder noch erwachsen werden zu sehen, vielleicht noch Enkel zu haben und dann im rüstigen Zustand fünfundsiebzig zu werden, wenn der Herr wiederkommt. Ich denke, so wünschen sich das viele.
Paulus hat natürlich nicht an Enkel gedacht, aber er hat einmal sehr deutlich gesagt: Es wäre ihm lieber, wenn er nicht entkleidet würde, sondern überkleidet – das heißt, wenn der Herr zu seinen Lebzeiten wiederkäme. Wer wünschte sich das nicht? Aber keiner von uns weiß es.
Es ist auch gar nicht so wichtig, denn für alle, die vorher sterben, ist es vorher schon so weit. Und das, ihr Lieben, ist kein großer Unterschied: Ob wir Jesus begegnen, wenn er in Macht und Herrlichkeit auf diese Erde wiederkommt – plötzlich – oder ob wir schon vorher sterben und dann vor ihm stehen – plötzlich. Das ist kein grundlegender Unterschied.
In beiden Fällen bestimmt Gott den Zeitpunkt. Gott bestimmt den Zeitpunkt, wann Jesus wiederkommt, und er bestimmt den Zeitpunkt, wann er dich und mich abruft. In beiden Fällen ist es gleich wichtig, dass wir vorbereitet sind für diesen Zeitpunkt. Und das ist der Sinn des Wartens: dass wir jederzeit vorbereitet sind auf diese Begegnung.
Wenn wir jederzeit auf den Herrn warten, dass er wiederkommt, sind wir auch jederzeit darauf vorbereitet, dass er uns abruft. Dann sind zwei Dinge wichtig: Erstens, dass wir gerettet sind, dass wir das wissen, dass wir gerettet sind und Jesus als unseren Retter und nicht als unseren Richter gegenübertreten.
Es ist wichtig, dass wir wissen: Meine Schuld ist vergeben. Ich habe mein Leben bei Jesus in Sicherheit gebracht. Ich habe ihn als meinen Retter, Herrn und Erlöser angerufen. Ich habe mich vor ihm gebeugt, meine Sünde bekannt, mein Leben unter seine Fittiche gebracht. Ich habe mich an ihn geklammert und ihm bekannt, dass ich ihn brauche für Zeit und Ewigkeit.
Das ist das eine Wichtige: dass das, was Jesus am Kreuz für mich getan hat – als er die Strafe trug, meine Schuld sühnt – ich das persönlich ergriffen habe, mich an Jesus gehängt habe im Glauben.
Dann ist noch etwas anderes wichtig, auch wenn das Wichtigste die Rettung ist: Wenn der Herr kommt, soll er uns bei der Arbeit finden. Dass er uns als treue Knechte antrifft.
So steht es in den nächsten Versen. Wenn wir im Lukasevangelium an dieser Stelle weiterlesen, Lukas 12, Verse 42-44, lesen wir: Der Herr besprach, wer wohl der kluge und treue Haushalter sei, den der Herr über seine Dienerschaft setzen wird, damit er ihm zur rechten Zeit die verordnete Speise gibt.
Dann heißt es in Vers 43: „Glückselig ist jeder Knecht, den sein Herr, wenn er kommt, bei solchem Tun findet.“ Also glücklicher ist der Knecht, den der Herr bei seiner Rückkehr bei der Arbeit findet.
Und ich muss sagen, ich bete manchmal so – und ich kann euch dieses Gebet nur nahelegen: Herr, lass mich heute so leben, wie ich mir wünschen würde, gelebt zu haben, wenn ich einmal vor dir stehe. Das muss ein knallharter Moment sein, wenn plötzlich nichts mehr geändert werden kann.
Wenn man sich dann klar macht: Mensch, was hättest du alles gern noch geordnet, gesagt und gemacht? Lasst uns den Herrn heute darum bitten, dass wir heute so leben, wie wir es dann wünschen werden gelebt zu haben. Noch ist die Zeit dazu. Und dann möge er uns bei der Arbeit finden.
Mögen wir den Herrn darum bitten, dass er uns diesen Blick schenkt, diese Sehnsucht, diese innere Haltung, diese heilige Unruhe, jederzeit mit ihm zu rechnen.
Unser Herr ist ein guter Pädagoge, das wissen wir, denn wir Menschen brauchen diesen heilsamen Druck. In der Schule haben wir das oft so genannt. Die Lehrer waren sehr unterschiedlich.
Bei manchen Lehrern wusste man genau, man kam vielleicht ein- oder zweimal pro Halbjahr dran. Dann ging der Lehrer den alphabetischen Kalender durch, und man war mal wieder dran gewesen. Für die nächsten Wochen konnte man dann schlafen.
Dann gab es andere Lehrer, bei denen wusste man: Du musst jederzeit bereit sein, es kann dich jederzeit treffen. Selbst beim letzten Mal, wenn man dachte, man käme nicht mehr dran, konnte es noch passieren.
Manche Lehrer nutzten den Überraschungseffekt, andere waren so konfus, dass sie selbst nicht mehr wussten, wen sie beim letzten Mal dran hatten.
Einen Chemielehrer hatten wir, bei dem schlug sich der Lehrerkalender immer auf derselben Seite auf. Wir alle lachten schon vor Freude, aber ihm schien das nicht aufzufallen.
Okay, aber wir sollen jederzeit damit rechnen, drankommen zu können. Dann sind wir besser vorbereitet.
In diesem Sinne sagt der Herr: „Seid gestiefelt und gespornt“, das ist Vers 35: „Lasst eure Lenden umgürtet sein und eure Lichter brennen.“
Nehmt dieses Bild bitte mit ins neue Jahr.
Dazu müssen wir wissen, dass man im Orient Obergewänder trug. Diese waren ziemlich weit und gingen meist bis zu den Füßen. Solange man im Haus sitzt, sich gemütlich unterhält und Tee trinkt, stört das nicht.
Wenn man sich aber auf den Weg macht, losgehen will, muss man das Obergewand hochziehen und mit dem Gürtel festschnallen, damit der Stoff beim Laufen nicht um die Füße schlabbert.
Das ist gemeint mit dem Begriff „die Lenden umgürtet“. Das kommt aus dem Alten Testament, auf das Jesus bestimmt direkt angespielt hat.
Das war in jener Nacht, als die Israeliten endlich aus der Sklaverei in Ägypten auszogen. In dieser Nacht, als sie das Passahlam schlachteten und aßen und das Blut des Lammes an die Pfosten strichen, damit klar war: Wir stehen unter dem Schutz des Blutes des Lammes, unter dem Schutz der Vergebung des allmächtigen Gottes.
Für diese Nacht gab Gott ihnen genau diese Anweisung zur Kleiderordnung beim Passahessen. In 2. Mose 12, Vers 11 steht: „So aber sollt ihr es essen: Ihr sollt an euren Lenden gegürtet sein, eure Schuhe an den Füßen haben und den Stab in der Hand, und ihr sollt es essen als die, die hinweg eilen.“
Freier übersetzt heißt das: Ihr sollt es essen, als diejenigen, die im Aufbruch begriffen sind, jederzeit bereit, loszugehen.
Gott gebietet seinen Leuten hier etwas, was wir unseren Kindern normalerweise verboten haben: im Stehen zu essen, weil es ungesund ist. Man soll ordentlich sitzen, damit die Verdauung richtig funktioniert, und nicht im Stehen schnell ein Brot essen.
Aber den Israeliten wird genau das Gegenteil aufgetragen: Ihr sollt im Stehen essen, als im Gehen begriffen. Warum? Damit ihr bereit seid, wenn der Aufbruch beginnt, wenn das Signal zum Start erfolgt.
Macht es euch nicht zu kuschelig in Ägypten, macht es euch nicht zu gemütlich. Ja, das Passah ist wichtig, aber erst den Gürtel anschnallen, die Schuhe anziehen, den Stab griffbereit halten, damit ihr jederzeit loskönnt und keiner zurückbleibt.
Das heißt: An den Hüften gegürtet, jederzeit zum Aufbruch bereit.
Ihr sollt jederzeit bereit sein, sagt der Herr, ihm entgegenzugehen.
Das ist die richtige Haltung für das neue Jahr: jederzeit bereit zu sein, ihm Auge in Auge gegenüberzutreten, sei es, dass unser Herr plötzlich wiederkommt oder uns vorher in der Stunde unseres Todes abruft und wir dann vorbereitet sind.
Deshalb zitiere ich bei Beerdigungen am offenen Grab immer Psalm 90: „Herr, lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.“ Und ich füge meistens noch hinzu: „Auf dass wir klug werden und unser Leben rechtzeitig in Sicherheit bringen – bei Jesus.“
Das meint: gegürtelt an den Hüften.
Wachsamkeit und Bereitschaft im Glaubensleben
Willem Busch, der Evangelist, hat das Mal mit einem ganz einprägsamen Erlebnis beschrieben. Er berichtet aus der Zeit des Dritten Reiches. Wilhelm Busch gehörte zu den Theologen, die in der Widerstandsbewegung mitgearbeitet haben, also in der Bekennenden Kirche. Diese Kirche hat sich öffentlich gegen die Verfälschung der biblischen Lehre durch die nationalsozialistische Ideologie gestellt.
Eines Tages trafen sie sich wieder mit einer solchen Gruppe. Auf dem Tisch lagen lauter Mappen und viele Papiere, wohl auch Strategiepapiere. Dann passierte es, berichtet Willem Busch: Auf einmal sprang die Tür auf, ein paar Männer erschienen und schrien „Geheime Staatspolizei, alle aufstehen, an die Wand stellen!“ Alle mussten stehen bleiben und die Papiere und Mappen liegen lassen.
Willem Busch schreibt, es gab keine Chance mehr, irgendwie einzugreifen oder Informationen beiseitezuschieben. Da hätte manch einer gern noch dies oder jenes versteckt oder geordnet. Aber das ging nicht mehr, dafür war es zu spät.
Dann fügte Wilhelm Busch hinzu: So wird die Wiederkunft Jesu sein. Er kommt, und so mancher wird sich dann wünschen, er hätte noch dies und jenes geordnet und geklärt, noch um Vergebung gebeten, noch etwas in Ordnung gebracht. Doch dann wird es nicht mehr möglich sein.
Wilhelm Busch fügte weiter hinzu: Lasst uns doch heute unser Leben ordnen. Lasst uns heute Frieden machen, wo wir Streit haben. Lasst uns heute um Vergebung bitten, wo es nötig ist. Lasst uns heute alle alten Bindungen zerreißen, die Gott nicht gefallen. Lasst uns heute wachen und im Licht wandeln. Lasst uns heute schon bei Jesus sein, dann dürfen wir uns freuen, wenn er kommt.
Das ist die sehr persönliche Frage an jeden von uns: Lebe ich wirklich in ständiger Rufbereitschaft? Wenn der Herr heute käme, wäre ich dann bereit? Bin ich gegürtet an den Lenden? Wie Jesus es sagt, hier in Lukas 12,35: „Seid gegürtet und habt eure Lichter brennend!“ Das ist der Sinn des konzentrierten Wartens, dass ich in jeder Sekunde vorbereitet bin und jetzt treu in seinem Dienst stehe. Lasst eure Lichter brennen!
Lukas 12,48 unterstreicht dann noch einmal die Verantwortung: „Wem viel gegeben ist, von dem wird viel gefordert.“ Der Herr will, dass unsere Lampen nicht auf Sparflamme brennen, sondern so hell wie möglich. Wir sollen wuchern mit unseren Gaben. Ihr Lieben, wir sollen wuchern mit unseren Talenten, mit unserer Zeit, mit unserer Erkenntnis, mit unserem Geld und mit all dem Schwung, den der Herr uns schenkt.
Um in diesem Gleichnis zu sprechen: Wenn der Herr zurückkommt von der Hochzeit, die er besucht hat, dann soll das Haus nicht dunkel, verbrettert und geschlossen sein, ohne jegliches Lebenszeichen. Stattdessen sollen die Fackeln brennen am Eingang zur Begrüßung. Der Empfangsraum soll erleuchtet sein, es soll gut geheizt sein, und möglichst soll der Begrüßungstrunk schon auf dem Tisch stehen.
Die Diener sollen bereit sein, die Türen zu öffnen und zu sagen: „Schön, dass du da bist!“ Daran erinnert der Herr uns hier. Er sagt auch in der Bergpredigt: „Ihr seid das Licht der Welt, lasst euer Licht leuchten vor den Leuten.“ Das ist der Sinn des Wartens, das ist der Sinn des Wachens – allzeit bereit.
Darum gehört es auch zur liebevollen Pädagogik unseres Herrn, dass er uns den Zeitpunkt seiner Wiederkunft bewusst noch nicht mitgeteilt hat. Das sehen wir auch in diesen Versen in Lukas 12. Die Knechte wissen nicht, wann er kommt. Es gibt keine feste Rückkehrzeit. Er hat nicht gesagt: „Ich komme mit der deutschen Bahn nachts um 23:05 Uhr an.“ Gut, das wäre auch keine Zeitansage gewesen – mit der deutschen Bahn.
Aber er hat auch so keine genaue Ansage gegeben. In Vers 40 sagt er ganz ausdrücklich: Wir kennen die Stunde nicht. Das ging den Aposteln genauso. Sie wollten es gern wissen und haben den Herrn gefragt. Jesus antwortete: Wir kennen Zeit und Stunde nicht, auch die Engel im Himmel kennen sie nicht, sondern allein der Vater im Himmel.
Ihr Lieben, lasst uns bereit sein! Solches Warten ist nicht selbstverständlich. Wir sind immer wieder gefährdet, schläfrig zu werden. Denkt an die Jünger kurz vor der Kreuzigung im Garten Gethsemane. Wir sind immer wieder gefährdet, einzuschlafen.
Lasst uns wachsam sein! Lasst 2016 ein Jahr der Wachsamkeit werden. Das ist der Sinn des Wartens. Das ist das Erste.
Die Herausforderungen des Wartens
Und dann erklärt der Herr Jesus sehr einfühlsam – eben weil das nicht selbstverständlich ist – die Schwierigkeiten des Wartens.
Was sind die Schwierigkeiten des Wartens? Warum fällt es uns oft so schwer?
Seht, es beginnt in Vers 38: Dort steht: „Und wenn er kommt in der zweiten oder in der dritten Nachtwache und findet sie wartend, so selig sind sie.“ Das bedeutet, er könnte in der zweiten oder dritten Nachtwache kommen.
Das heißt auf Deutsch: Es ist gut möglich, dass der Herr lange ausbleibt, ziemlich lange. Und das ist die erste Schwierigkeit – die Länge des Wartens.
Nach jüdischer Zählung wurde die Nacht in drei Nachtwachen eingeteilt:
- Die erste von 18 bis 22 Uhr, also befinden wir uns noch in der ersten Nachtwache.
- Dann die zweite Nachtwache von 22 bis 2 Uhr.
- Und schließlich die dritte Nachtwache von 2 bis 6 Uhr morgens.
Die Ankündigung lautet also, dass er in der zweiten oder dritten Nachtwache zurückkommen kann.
Je länger das Warten dauert, je tiefer es in die Nacht hineingeht – und das kennen wir doch –, desto mehr lässt die Anspannung und Aufmerksamkeit nach.
Denken Sie an Ihre Nachtfahrten mit dem Auto: Erst geht es noch ganz gut, so gegen 23 Uhr, wenn Sie Deutschlandfunk-Hörer sind, hören Sie dann „Das war der Tag“, eine Zusammenfassung der wichtigsten Ereignisse.
Dann quälen Sie sich vielleicht noch von 0 bis 1 Uhr durch das Kulturprogramm und hören die neuesten Nachrichten, welcher Theaterintendant wieder gefeuert worden ist oder was auch immer.
Okay, und dann werden Sie schon müder.
Je tiefer es in die Nacht hineingeht, umso mehr Musik brauchen Sie, umso häufiger müssen Sie das Fenster herunterkurbeln oder per Automatik herunterlassen, um sich nach dem alten Fernfahrertrick ein bisschen Luft um die Nase wehen zu lassen. Es wird immer schwieriger.
Und auf diese Länge des Wartens weist uns der Herr hin – sie ist eine der Schwierigkeiten des Wartens.
Genauso geht es ja auch den Bauern in Jakobus 5: Er kann die Ernte nicht übers Knie brechen, er kann den Weg nicht abkürzen, obwohl es der Bauer noch leichter hat, da er um den Wechsel der Jahreszeiten weiß.
Mit dieser Schwierigkeit, der Länge des Wartens, hängt eine zweite zusammen.
Und das ist noch unser Nachteil gegenüber dem Bauern, wie es in Jakobus 5 beschrieben ist: Das ist der unbekannte Zeitpunkt in Bezug auf die Ziellinie.
Das ist einerseits, wie wir gesehen haben, pädagogisch hilfreich, aber zugleich eine Schwierigkeit, denn es ist absolut nicht voraussagbar.
Das hat in der Geschichte zu den wüstesten Spekulationen geführt.
Irgendwelche übereifrigen Theologen oder andere Leute meinten, ausrechnen zu können, in welchem Jahr der Herr wohl wiederkommen würde.
Sogar ein so seriöser Theologe wie Albrecht Bengel hat das versucht.
Und es ist alles schiefgegangen. Der Zeitpunkt ist schlichtweg für uns nicht zu errechnen.
Darum vergleicht Jesus sich hier selbst mit einem Dieb in Vers 39.
Es ist ja überraschend, dass er sagt: „Wenn ein Hausherr wüsste, zu welcher Stunde der Dieb kommt“ – und es geht ja um sein Kommen in Vers 40 –, wird er sagen: „Der Menschensohn kommt.“
In Vers 39 sagt er: „Der Dieb kommt.“
Warum vergleicht Jesus sich hier mit einem Dieb?
Weil er genauso unangemeldet kommen wird wie dieser.
Das ist der Vergleichspunkt: dieses plötzliche, unerwartete Kommen.
Darin liegt die Gefahr, dass Jesus unerwartet wiederkommt beziehungsweise dass ich ihm unerwartet gegenüberstehe.
Wir denken, wir haben noch so viel Zeit – und plötzlich ist die Stunde da.
Jesus hat in Matthäus 24,27 gesagt: „Wie der Blitz ausgeht vom Osten und leuchtet bis zum Westen, so wird auch das Kommen des Menschensohnes sein.“
Das wird eine unvorstellbare Situation sein.
Plötzlich öffnet sich eine Riesentür, eine Tür zur Ewigkeit, und es wird eine neue Wirklichkeit sichtbar, die in diese Welt eindringt, die wir bis dahin noch nicht gesehen haben.
Weihnachten war ja so ein kleiner Vorgeschmack: Auf dem Hirtenfeld draußen ist plötzlich die Menge der himmlischen Heerscharen.
Es ist, als hätte jemand über dem Feld von Bethlehem einen Riesenscheinwerfer eingeschaltet.
Da stehen die verstörten und erschrockenen Hirten, und die Heerscharen aus dieser anderen, bis dahin für sie noch unsichtbaren Wirklichkeit sind da und singen das Lob des Herrn.
Das war real, das ist wirklich so gewesen, wie Lukas schreibt.
Aber das ist noch gar nichts verglichen mit dem, was geschehen wird – noch viel größer, viel herrlicher, viel erschreckender, wenn Jesus in Macht und Herrlichkeit wiederkommt.
Und das wird plötzlich sein.
Darum dieser Vergleich: Ein Dieb bricht ja normalerweise nicht tagsüber ein.
Und wenn ein Dieb einbricht, dann klingelt er nicht höflich an der Tür und sagt: „Darf ich mich vorstellen? Ich komme von der Firma Lehmann, ich bin ein Dieb.“
Sondern er kommt unerwartet, überraschend, unberechenbar.
Auf dieses Überraschungsmoment weist der Herr hin: „So wird es sein“, sagt er, „wenn ich komme, wie ein Dieb in der Nacht.“
Dann werden viele Leute vor Selbstsicherheit nur so strotzen, und sie werden sagen:
„Was muss ich um mich, um Jesus gemacht haben? Was brauche ich Jesus? Was muss ich mich auf seine Wiederkunft einstellen? Was soll dieser ganze Kram? Es ist völlig irrelevant, für mein Leben in dieser Welt mit der Wiederkunft Jesu zu rechnen, das hat mit meiner Weltwirklichkeit absolut nichts zu tun.“
Diese Leute, die so reden, halten sich für hellwach, für sehr aufgeklärt – und doch verschlafen sie ihre Zukunft.
Jesus sagt, das ist die zweite Schwierigkeit des Wartens: dieser unbekannte Zeitpunkt.
Das gilt nicht nur für Nichtchristen, sondern auch bei Christen kann dieser unbekannte Zeitpunkt dazu führen, dass wir unaufmerksam werden, dass wir nachlässig werden.
Wie dieser faule Knecht aus Lukas 12,45, der in seinem Herzen sagt: „Mein Herr kommt noch lange nicht, mein Herr kommt noch lange nicht.“
Und wozu führt diese Haltung ganz praktisch?
Dazu, dass wir uns in dieser Welt viel zu heimisch einrichten, weil wir gar nicht mehr mit der Heimreise rechnen.
Das ist die Schwierigkeit: Wir sagen, das kann ja noch ewig dauern – und wir verhalten uns wie Israeliten, die den Gürtel wieder abschnallen und sagen: „Lehnt euch mal richtig zurück, jetzt macht den Tee noch mal warm, besucht noch mal ein paar Bäder hier im alten Ägypten, es wird noch lange nicht losgehen.“
Bertolt Brecht hat ein spannendes Gedicht geschrieben über einen Dichter im Exil.
Er war da selbst wohl schon im vierten Exilsjahr, 1937, Gedanken über die Dauer des Exils.
Als ich dieses Gedicht vor einiger Zeit fand, musste ich denken: Das ist eigentlich unsere Situation, in die wir auch als Christen ganz schnell hineinrutschen können.
Es ist hochinteressant, wie klar Bertolt Brecht das durchschaut hat.
Ich lese es mal vor:
Er beschreibt dort einen Dichter im Exil, also sich selbst, der damit rechnet, bald wieder heimkommen zu können.
Und ich hoffe, Sie können das einigermaßen lesen:
„Schlage keinen Nagel in die Wand, wirf den Rock auf den Stuhl, warum für vier Tage vorsorgen, du kehrst morgen zurück. Lass den kleinen Baum ohne Wasser, wozu einen Baum pflanzen, bevor er so hoch wie eine Stufe ist, gehst du froh wieder weg von hier. Zieh die Mütze ins Gesicht, wenn Leute vorbeikommen, wozu in einer fremden Grammatik blättern, die Nachricht, die dich heimruft, ist in bekannter Sprache geschrieben.“
Eine brillante Beschreibung dieser Situation des Dichters, der weiß: Bald geht es nach Hause.
Ich richte mich hier nicht heimisch ein, ich schlage keinen Nagel in die Wand für irgendwelche Klamotten, ich werfe den Rock einfach auf den Stuhl.
Ich muss keinen Baum pflanzen oder zumindest den Baum, der da steht, auch nicht gießen, ich bin sowieso bald wieder weg.
Ich lerne keine fremde Sprache, ich blättere nicht in einer fremden Grammatik.
Ich kümmere mich nicht um die Leute, die hier vorbeigehen, ich ziehe die Mütze ins Gesicht, ich gehe sowieso übermorgen wieder nach Hause.
Der Ruf in die Heimat lässt lange auf sich warten, und irgendwann merkt der Dichter, wie heimisch er in der Fremde geworden ist.
Das ist dann Teil zwei dieses Gedichts:
„Sieh den Nagel in der Wand, den du eingeschlagen hast, wann glaubst du, wirst du zurückkehren? Willst du wissen, was du im Innersten glaubst? Tag um Tag arbeitest du an der Befreiung, sitzend in der Kammer, schreibst du. Willst du wissen, was du von deiner Arbeit hältst? Sieh den Kastanienbaum im Eck des Hofes, zu dem du die Kanne voll Wasser schlepptest. Was ist geworden aus deiner Bereitschaft zum Aufbruch? Was ist geworden aus deiner Hoffnung, schon in wenigen Tagen aus dem Exil zurückzukehren in die Heimat? Jetzt fängst du selber schon an, wie so ein alter Gärtner, die Kanne Wasser da in die Ecke zu schleppen, um den Baum zu gießen. Warum? Weil du nicht glaubst, dass du bald nach Hause kommst.“
Und Bertolt Brecht merkt, wie er sich längst heimisch eingerichtet hat im Exil und die Heimat immer mehr aus dem Blick gerät.
Und ich musste denken: Genau das ist die Gefahr, wenn wir aufhören, auf den Herrn zu warten und zu wachen.
Wenn wir aufhören, diese Welt als Exil zu betrachten, wenn wir plötzlich so leben, als wäre diese vergängliche Welt unsere eigentliche Heimat, wenn wir uns in dieser Welt zu heimisch fühlen, wenn wir uns dieser Welt anpassen und wenn wir uns in dieser Welt verlieren.
Symptome der Weltzugehörigkeit und geistliche Warnungen
Was sind die Symptome, die darauf hinweisen, dass wir eine Anpassungsmentalität entwickelt haben und diese Welt nicht mehr als Exil betrachten?
Ein Symptom ist, dass wir uns ständig und intensiv mit vergänglichen Dingen beschäftigen. Unsere Gedanken drehen sich nur noch um den Beruf, das eigene Häuschen, die Reisen und all das, was sich auf diese Welt bezieht. Selbst wenn wir an unsere Kinder denken und für sie sorgen, geht es in erster Linie darum, wie sie hier in dieser Welt zurechtkommen und versorgt sind.
Wir sind so sehr mit diesen vergänglichen Dingen beschäftigt, dass wir dem Ewigen nicht mehr den Rang einräumen, der ihm gebührt. Das ist die Haltung – und genau das sind die Schwierigkeiten beim Warten.
Manfred Siebald hat darüber ein sehr einprägsames Lied geschrieben. Es ist gewissermaßen die christliche Fassung eines Gedichts von Bertolt Brecht. Darin heißt es: Wir haben es uns gut eingerichtet, der Tisch, das Bett, die Stühle stehen, der Schrank ist mit guten Dingen vollgeschichtet. Wir sitzen alles zu betrachten, legen uns dann ruhig nieder und löschen müde vom Tag das Licht. Wir beten laut: „Herr, komm doch wieder!“ und denken leise: „Jetzt noch nicht.“
Es mussten viele Jahre vergehen, bis alles stand, hing und lag. Es ist nicht viel, doch wir wollen es genießen und freuen uns auf jeden neuen Tag. Das Glück hält unsere Sorgen nieder und webt die Stunden dicht an dicht. Wir sind gewiss, der Herr kommt wieder, und denken still: „Doch jetzt noch nicht.“
Ist uns der Himmel fremd geworden, kann uns nur noch die Erde erfreuen? Soll unser Süden, unser Norden die Grenze unseres Lebens sein? Vom Himmel singen unsere Lieder, doch nie vom irdischen Verzicht. Wir singen laut: „Herr, komm doch wieder!“ und denken leise: „Jetzt noch nicht.“
Das ist die Schwierigkeit des Wartens, und jeder von uns kennt sie. Die Schwierigkeit, dass es so lange dauert. Die Schwierigkeit, dass der Zeitpunkt unbekannt ist. Und dann kommt noch eine letzte Schwierigkeit hinzu, die der Herr Jesus in Vers 38 anspricht: Wenn der Hausherr in der zweiten oder dritten Nachtwache kommt, besteht die Gefahr, dass wir müde werden vom Warten. Müde zu sein ist ganz nah dran an Mutlosigkeit.
Petrus hat diese Gefahr des Müdewerdens sehr deutlich angesprochen. In 2. Petrus 3,4 spricht er genau dieses Problem an. Es wird noch verstärkt dadurch, dass wir uns wundern, warum der Herr noch nicht gekommen ist. Dann kommen die Stimmen der Spötter, die uns ins Ohr dröhnen. Petrus zitiert sie in 2. Petrus 3,4: Die Spötter sagen: „Wo ist denn die Verheißung seiner Wiederkunft? Denn seitdem die Väter schlafen, bleibt alles so, wie es von Anfang der Schöpfung an gewesen ist.“
Dabei übersehen sie absichtlich, sagt Petrus, dass es schon vor Zeiten Himmel gab und eine Erde aus dem Wasser entstand. Inmitten der Wasser bestand das Wort Gottes. Durch diese Wasser ist die damalige Erde infolge einer Wasserflut zugrunde gegangen.
Petrus zitiert also die Spötter, die sagen, es war immer so, wie es heute ist, und es wird sich nichts ändern. Petrus hält dagegen: Die Spötter haben im Geschichtsunterricht geschlafen. Gott hat schon längst massiv in den Lauf der Dinge eingegriffen. Er erinnert an die Sintflut, die ein brachiales Einbruchsereignis war. Die Spötter verfälschen die Geschichte, wenn sie sagen, es bleibt immer so, wie es immer war. Das stimmt nicht! Denkt nur an die Sintflut.
Dann macht Petrus deutlich: Wir haben den Eindruck, als ob Gott sich verzögern würde. Aber versteht eines: In Vers 8, einem der am meisten missverstandenen Verse der Bibel, sagt Petrus: „Eins aber sei euch nicht verborgen, ihr Lieben, dass ein Tag vor dem Herrn wie tausend Jahre ist und tausend Jahre wie ein Tag.“
Damit sagt Petrus nicht, dass die biblischen Zahlenangaben nicht ernst gemeint sind. Oft wurde das so interpretiert, dass man Millionen von Jahren in die biblischen Schöpfungstage hineininterpretieren könnte. Petrus sagt das aber nicht.
Er sagt vielmehr: „Passt auf, Leute, Gottes Perspektive ist eine andere als unser Zeitgefühl, das uns oft täuscht.“ In Vers 8 macht Petrus keine reale Zahlenangabe, sondern will seinen Zuhörern und uns sagen: Dort, wo Gott uns keine Zahlen offenbart, können wir ihn nicht an unserem Zeitgefühl messen. Dort werden wir uns immer verrechnen. Wir meinen, er müsste längst gekommen sein. Aber Gott entspricht nicht unserem Zeitgefühl.
Dann sagt er: Ihr könnt euch im Grunde genommen freuen und dankbar sein, dass Gott noch wartet. Warum? In Vers 9 erklärt Petrus, dass der Herr die Verheißung nicht verzögert, wie einige denken, sondern Geduld mit euch hat. Er will nicht, dass jemand verloren geht, sondern dass jeder zur Buße findet.
Damit fordert Petrus uns auf, dankbar zu sein. Denkt an die vielen Menschen, die noch nicht bekehrt sind, die neben euch sitzen oder in eurer Familie unter einem Dach leben. Überlegt: Wenn der Herr schon wiedergekommen wäre, hätten sie keine Chance mehr.
Darum habt ihr keinen Grund, dem Herrn zu misstrauen. Er kommt zur rechten Zeit. Im Gegenteil, ihr habt Grund, ihm zu danken, dass es noch die sogenannte Gnadenzeit gibt. Dass ihr noch beten könnt für Menschen, noch missionieren und kämpfen könnt, damit auch sie gerettet werden.
Wir dürfen uns in guter Gesellschaft wissen, wenn wir fragen, warum der Herr noch nicht wiedergekommen ist. Die Bibel nimmt uns in diese Spannung hinein. Einerseits sagt sie, es kann jederzeit und sehr schnell passieren. Andererseits müssen wir uns auf Wartezeit einstellen.
Diese Spannung zieht sich durch die Verse in Lukas 12. Das macht die Schwierigkeit des Wartens aus: Es dauert so lange, der Zeitpunkt ist unbekannt, und wir drohen müde und mutlos zu werden.
Hinzu kommen weitere Ermüdungsfaktoren. Für manche sind es Verfolgung oder Bedrängnis, andere werden durch Krankheit gequält oder trauern über Verluste, die sie im letzten Jahr erlitten haben. All das kommt noch hinzu.
Wir warten, und der Herr kommt noch nicht. Dann kommen diese schweren Dinge hinzu, das Warten wird lang, und wir werden müde und drohen, den Mut zu verlieren. Wie viele Christen haben das erfahren!
Doch wir dürfen wissen, dass Gott immer weiß, was er tut. Er kennt unsere Situation, hat versprochen, uns nicht zu überfordern und kommt nie zu spät.
Ein Christ hat es einmal so schön formuliert: „Gott kommt spätestens pünktlich.“ Er weiß, was er tut.
Darum hat der Herr diese kleine Abhandlung über das Warten seiner Nachfolger in sein Wort eingebaut – über den Sinn und die Schwierigkeit des Wartens. Am Ende finden wir darin sogar die Seligpreisung der Wartenden. Das ist das Letzte.
Die Verheißung der Seligpreisung für die Wartenden
Und zum Schluss wollen wir noch einmal in Vers 37 schauen. Dort sagt unser Herr ausdrücklich: Selig sind die Knechte, die der Herr, wenn er kommt, wachend findet. Denn ich sage euch, er wird sich schürzen und wird sie zu Tisch bitten und kommen und ihnen dienen.
Selig sind die Knechte, die der Herr, wenn er kommt, wachend findet. In Vers 38 wird das noch einmal betont: Selig sind sie. Das ist eine Seligpreisung, Leute! Normalerweise denken wir, die Seligpreisungen stehen nur in der Bergpredigt. Ich muss zugeben, dass es mir beim Studium dieses Textes, den ich schon öfter gelesen habe, zum ersten Mal aufgefallen ist, dass hier eine richtige Seligpreisung steht.
Ja, glücklich zu schätzen sind diejenigen, die gut daran sind. Wir kennen das ja aus der Bergpredigt: die reinen Herzen sind selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit, die geistlich Armen, also die, die ihre Angewiesenheit auf Gottes Gnade verstehen, und so weiter. Und jetzt steht hier: Selig sind die Wachenden, die Wartenden.
Jesus sagt auch, warum sie selig sind. Über das, was jetzt kommt, hat Albrecht Bengel gesagt: Das ist die allergrößte Verheißung in der Schrift. Und das ist großartig, was der Herr uns hier verspricht. Lassen Sie das mal auf der Zunge zergehen, möchte man sagen.
Was wird der Herr denn tun? Selig sind die Knechte, die der Herr, wenn er kommt, wachend findet. Wahrlich, ich sage euch, er wird sich schürzen, also den Schurz umbinden, und wird sie zu Tisch bitten und kommen und ihnen dienen.
Leute, das ist unfassbar. Das heißt: Wer den Gürtel festschnallt, um auf Jesus zu warten, für den wird Jesus einmal in der Herrlichkeit den Gürtel umbinden, um ihn zu bedienen. Und das ist unfassbar. Das sagt Jesus hier von sich.
Das erinnert uns natürlich an die Situation kurz vor der Kreuzigung, als unser Herr den Jüngern die Füße gewaschen hat. Dort steht übrigens auch in Johannes 13,3-4, dass der Herr sich in dieser sehr speziellen Situation die Schürze umgebunden hat. Er hat sich gewissermaßen auch dort geschürzt, um ihnen zu dienen und diese Drecksarbeit für sie zu tun.
In Johannes 13,3-4 heißt es: "Und da wusste Jesus, dass der Vater ihm alles in die Hände gegeben hatte und dass er von Gott ausgegangen war und zu Gott hinging. Und er stand vom Mahl auf, legte sein Obergewand ab, nahm einen Schurz und umgürtete sich und wusch ihnen dann die Füße."
Die Jünger fragten: "Herr, was tust du da?"
Aber Leute, was der Herr Jesus in Vers 37 ankündigt – dass er nämlich für seine Leute ein Essen ausrichtet – wird noch um ein Vielfaches größer, erstaunlicher und herrlicher sein. Denn dann ist es Jesus, der erhöhte Herr.
In Johannes 13 saß er noch in seiner Niedrigkeit gewissermaßen unter ihnen. Derjenige, der das tun wird, was in Vers 37 steht, wird dann der Herr und König sein. Er wird wieder voll eingesetzt sein in seine ganze göttliche Macht und Herrlichkeit.
In diesem Zustand, als König der Könige, wird er sich schürzen, um diejenigen zu bedienen, die sich hier zu ihm bekannt und auf ihn gewartet haben. Leute, das ist unvorstellbar. Ja, das kann man nur so sagen: Das ist wirklich unvorstellbar.
Wir können es nur deshalb glauben, weil der Herr Jesus es hier selbst gesagt hat – die Seligpreisung der Wartenden. Damit will der Herr uns aufrütteln, ganz bewusst und getrost zu warten, ganz gewiss zu warten, voller Spannung und mit Geduld.
In dieser Haltung lasst uns auch jetzt in das neue Jahr hineingehen. Es sendet ja schon als Vorbote dieser Knallerei akustisch in unseren Raum. Lasst uns den Herrn bitten, dass er uns diese innere, gesunde Spannung schenkt.
Dass er uns schenkt, dass wir wirklich ganz bewusst und gezielt auf ihn zugehen. Dass wir nicht auf irgendwelche dunklen Ereignisse zugehen, nicht in dunkle Prüfungen hinein, um zu sehen, wie wir da durchkommen.
Sondern lasst uns in dieses Jahr hineingehen als solche, die dem Herrn entgegengehen und auf ihn warten.
Dietrich Bonhoeffer hat das in einem Gedicht zu unserem Text wunderbar ausgedrückt. Er schrieb:
"Zu warten auf ihn, wenn kein Hund mehr knurrt – also wenn es so spät ist, dass nicht einmal die Hunde mehr knurren, sondern schon wohlig am Kamin liegen und schlafen. Zu warten auf ihn, wenn alles im Schlafe versank, dann brennend die Lampe um die Lenden, den Gurt und die Augen wachend und blank."
"Und dann kommt der Herr. Der Boden dröhnt, er ist nicht mehr fern, er klopft an die Tür, wir öffnen dem Herrn, und er kommt zu uns, und die Quelle quillt, wo man ihn zu erwarten gewillt."
Und, ihr Lieben, das ist so tröstlich: Die Quelle quillt ja schon jetzt. Dort, wo wir auf den Herrn warten, wo wir mit dem Herrn rechnen, ist er schon heute da.
Sein Trost ist schon heute da, seine Geborgenheit ist schon heute da, seine Vergebung ist schon heute da. Wir, die wir zu Jesus gehören, warten nicht nur auf ihn, sondern wir warten mit ihm auf ihn.
Das ist das Wunderbare: Wir müssen diesen Weg nicht allein gehen, wir müssen nicht allein warten. Jesus ist jetzt schon bei uns.
Aber das Beste kommt noch: Er kommt, und dann hat sich alles Warten endgültig gelohnt.
Darum lasst uns so ganz getrost in das neue Jahr gehen. Lasst eure Lenden umgürtet sein und eure Lichter brennen. Seid gleich den Menschen, die auf ihren Herrn warten, wann er von der Hochzeit aufbrechen wird.
Damit, wenn er kommt und anklopft, sie ihm sogleich öffnen.
Selig sind die Knechte, die der Herr, wenn er kommt, wachend findet. Wahrlich, ich sage euch, er wird sich schürzen und wird sie zu Tisch bitten und kommen und ihnen dienen.
Und wenn er kommt, in der zweiten oder in der dritten Nachtwache und euch so findet, selig seid ihr.
Herr Jesus, darum bitten wir dich: Schenke uns diese Haltung, diese innere Wachsamkeit, diese Bereitschaft, dir wirklich entgegenzugehen und mit dir zu rechnen – jede Stunde, jeden Tag.
Du weißt, wie stark die Gewichte sind, die uns an diese Erde so festbinden wollen. Du weißt, wie groß die Gefahr ist, dass wir in dieser Welt zu heimisch werden, dass wir uns in dieser Welt verlieren und vergessen, dass es dem Ziel entgegengeht.
Bitte hilf uns. Bitte schenke uns, dass wir getrost und dankbar hier noch leben, unsere Aufgaben wahrnehmen und uns an all dem freuen, was du uns schenkst.
Gib uns aber auch den Mut, ganz bewusst voranzugehen und mit großer Erwartung dir entgegenzugehen.
Sei uns allzeit nahe, dass wir jede Stunde und jeden Tag nutzen, auskosten und ausschöpfen in der Gewissheit, dass du kommst – und du kommst gewiss.
Schenke uns bitte, dass wir alle, die wir jetzt hier zusammensitzen, dann dabei sein werden.
Und, Herr Jesus Christus, wenn unter uns jemand sein sollte, der noch nicht zu denen gehört, die auf dich warten, der noch nicht mit Gewissheit sagen kann: Ich bin gerettet, ich gehöre zu dir und werde dabei sein, wenn du kommst – dann schenke ihm oder ihr den Mut, sich ganz dir anzuvertrauen.
Schenke ihnen, sich an dich zu wenden, dir zu vertrauen, deiner Vergebung sicher zu sein, dich anzurufen um deine Hilfe und deinen Erbarmen.
Ach, gehe mit uns allen ins neue Jahr, so wie du es versprochen hast.
Herr, dir sei alle Ehre, jetzt und in alle Ewigkeit. Amen.