Die Frage hinter der Antwort: Was ist die eigentliche Herausforderung?
Ja, es gab einmal eine große Aktion von evangelikalen Christen. Sie haben sich alle irgendwo Aufkleber mit der Aufschrift „Jesus ist die Antwort“ hingeklebt. Bis dann irgendwann Aufkleber auftauchten mit der Frage: „Ja, aber was ist die Frage?“
Und genau das ist die Frage, nicht wahr? Wenn Jesus die Antwort ist, was ist dann eigentlich die Frage? Viele Christen würden wahrscheinlich sagen: „Na ja, die Frage ist, was der Sinn im Leben ist.“ Das ist sicherlich eine gute Frage. Ich habe sie nur in der Bibel noch nicht gefunden. In der Bibel gibt es irgendwie andere Fragen.
Wir haben beim letzten Mal angefangen, richtig Römer 1 zu lesen. Dabei haben wir gesehen, dass es offensichtlich nicht nur darum geht, Gott im Leben zu haben, um irgendeinen Sinn zu bekommen. Gott im Leben zu haben, damit es noch etwas Zusätzliches gibt, damit man jemanden hat, an den man sich wenden kann – das ist alles gut. Aber wir haben beim letzten Mal gesehen, dass Römer Kapitel 1, Vers 18, den Zorn Gottes vom Himmel her offenbart über alle Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit der Menschen.
Die Bibel sagt also: Eigentlich ist das die Frage. Wie kann ich dem Zorn Gottes entkommen? Was ist eigentlich die Frage? Das ist manchmal ein bisschen schwierig, Menschen das spontan auf der Straße in zwei Sätzen zu vermitteln. Vielleicht lässt sich der Sinn des Lebens eher in zwei Sätzen erklären, vor allem wenn die Leute den Eindruck haben, dass sie keinen Sinn im Leben haben. Aber zu vermitteln, dass Jesus die Antwort ist, weil die Frage lautet: Wie kann ich dem Zorn Gottes entkommen? Das ist eigentlich das, was wir im Neuen Testament finden.
Wir haben gesehen, dass der Zorn Gottes über den Menschen kommt wegen der Gottlosigkeit. Weil Menschen Gott wirklich ignorieren. Und wegen der Ungerechtigkeit der Menschen. Das ist irgendwie die automatische Folge von Gottlosigkeit: Ungerechtigkeit. Denn Gottlosigkeit führt beim Menschen ganz automatisch dazu, dass er letzten Endes seinen Egoismus auslebt und versucht, ihn zu befriedigen. Und das geht immer auf Kosten von anderen. Es führt irgendwo immer zu Ungerechtigkeit.
Wir haben auch gesehen, wozu der Zorn Gottes führt. Der Zorn Gottes führt dazu, dass Gott sich von den Menschen abwendet. Dass er die Menschen einfach laufen lässt. Dass er sagt: „Wenn ihr nicht mit mir leben wollt, dann macht doch, was ihr wollt.“
Das ist das, was wir in dieser Welt sehen. Man hat oft den Eindruck, dass diese Frage gestellt wird: „Warum greift Gott nicht ein? Warum handelt Gott nicht? Warum ist Gott in seinem Handeln nicht fassbar?“ Paulus sagt, das ist das erste Zeichen des Zornes Gottes: dass er Menschen dahingegeben hat.
Und all die Dinge, die wir so in unserer Gesellschaft beobachten – sexuelle Freizügigkeit, sexuelle Perversion und all die Habsucht, Bosheit, Ungerechtigkeit, Schlechtigkeit (vgl. Römer 1,29 und folgende) – sind eigentlich schon Folgen davon, dass Gott die Menschen laufen lässt.
Wir würden denken, das sei die Ursache des Zornes Gottes, oder? Aber Paulus sagt: Nein, das ist eigentlich schon eine Folge des Zornes Gottes. Denn wenn Gott die Menschen nicht laufen lassen würde, käme es zu solchen Extremen gar nicht.
Nun, ich vermute, dass das den Zorn Gottes noch verstärkt. Ja, das haben wir in ganz kurzer Zusammenfassung beim letzten Mal angeschaut.
Überblick über die Abschnitte in Römer 2 und 3
Und heute möchte ich mit euch wirklich einen ganz großen Überblick über diesen umfangreichen Abschnitt von Kapitel 2, Vers 1 bis Kapitel 3, ungefähr Vers 20, geben. Zum einen, weil der enge Zeitplan das erfordert, zum anderen, weil es ein Thema ist, das am Ende aufgelöst wird.
Es ist ja ein bisschen schwierig, Bibelstunden so zu gestalten, wie wir oft die Bibel betrachten. Auf der einen Seite haben wir den Anspruch, Dinge wirklich gründlich anzuschauen, und das ist ein sehr guter Anspruch – wirklich genau hinzuschauen. Aber ein Brief ist ursprünglich auch ein bisschen anders geschrieben. Ein Brief ist so verfasst, dass man ihn einfach mal vorliest. Der Brief an die Römer wurde geschrieben und dann in der Gemeinde in Rom sonntags vorgelesen. Oft wurde er noch einmal vorgelesen und auch nachgelesen.
Man musste aber nicht zwei Wochen warten, nachdem man Kapitel 1 gelesen hatte, um zu sehen, wie die Auflösung des Problems in Kapitel 2 oder Kapitel 3 aussieht. Vielmehr kam die Fortsetzung ziemlich direkt, der Gedankengang wurde abgeschlossen. Genau das passiert auch in diesem Abschnitt. Von daher ist es vielleicht auch ein Vorteil, dass der Gedankengang hier in Kapitel 3 zumindest im Hauptgedanken abgeschlossen wird, um den es heute geht.
Darum möchte ich das auch ein bisschen vom Ende her betrachten. Ich lese erst einmal einen oder zwei Verse aus Kapitel 3. Wenn Paulus so argumentiert, kann es passieren, dass wir uns zwischendurch etwas verlaufen, wenn wir seine Schlussfolgerung nicht kennen. Man fragt sich dann: Was will er jetzt eigentlich sagen? Und wenn man ein Kapitel weiterliest, merkt man: Ah, nein, das habe ich offensichtlich falsch verstanden. Seine Schlussfolgerung ist etwas anderes, als ich kurzfristig vermutet hätte.
Deshalb lesen wir vielleicht zuerst seine Schlussfolgerung, und zwar Kapitel 3, Vers 9:
Was nun? Sagen wir, haben wir, die Juden, einen Vorzug? Durchaus nicht! Denn wir haben sowohl Juden als auch Griechen zuvor beschuldigt, dass sie alle unter der Sünde sind. Wie geschrieben steht: Da ist kein Gerechter, auch nicht einer, da ist keiner, der verständig ist, da ist keiner, der Gott sucht.
Vers 20: Darum wird aus Gesetzeswerken kein Mensch vor ihm gerechtfertigt, denn durch das Gesetz kommt Erkenntnis der Sünde.
Das ist etwas, das wir im Kopf behalten müssen, wenn wir den ganzen Abschnitt lesen. Paulus sagt: Meine Quintessenz von dem, was ich sagen möchte, ist, dass alle Menschen unter der Sünde stehen. Und durch gute Werke, durch das Einhalten des Gesetzes oder was auch immer wird kein Mensch vor Gott gerecht. Das ist seine Schlussfolgerung aus all dem, was wir jetzt zwischendurch lesen werden.
Der enthemmte Mensch und der moralische Richter
Okay, jetzt gehen wir zurück zu Kapitel 2, Vers 1. In Kapitel 1 haben wir den Menschen unter dem Zorn Gottes gesehen – den Menschen, wie Gott ihn dahingibt, und die Auswirkungen, die das letzten Endes hat. Diesen Menschentyp, wie er in Kapitel 1 beschrieben wird, nenne ich gerne den enthemmten Menschen. Letzten Endes beschreibt das, was da dargestellt wird, was bei uns Menschen herauskommt, wenn Hemmungen und Hemmschwellen fallen. Wenn Hemmungen fallen, kommt manchmal einfach heraus, was drin ist.
Wenn wir jetzt anfangen, Kapitel 2 zu lesen – oder wenn wir dann weiterschauen, besonders ab Kapitel 2, Vers 17 – sehen wir, dass Paulus hier einen etwas anderen Typ von Menschen anspricht. In Kapitel 2, Vers 1 heißt es: „Deswegen bist du nicht zu entschuldigen, o Mensch, jeder, der da richtet, denn worin du den anderen richtest, verurteilst du dich selbst; denn du, der du richtest, tust dasselbe.“
In Kapitel 1, Vers 32 haben wir Menschen gesehen, die Böses tun und Gefallen an denen haben, die auch Böses tun. Hier wird jetzt ein anderer Menschentyp beschrieben. Es geht um einen Menschen, dem das nicht gefällt, was in der Welt alles passiert. Er fragt sich: Wie tief sind wir als Gesellschaft gesunken? Was sind das für Leute, die so etwas tun? Es ist also ein Mensch, der einen moralischen Maßstab hat und diesen auch anwendet. Er sagt nicht: „Wow, das interessiert mich, was da alles geschieht.“ Sondern er sagt: „Ich finde es böse, ich finde es schlecht, was da alles passiert.“
„Du Mensch, jeder, der da richtet“ – hier in Kapitel 2, zumindest in den ersten acht Versen ungefähr, beschreibt Paulus ganz allgemein Menschen mit einer moralischen Instanz. Menschen, die moralisch die Gesellschaft beurteilen, Menschen, die moralisch andere Menschen beurteilen und die wahrscheinlich viele von ihnen gerne eine bessere, gesündere Gesellschaft hätten.
Solche Menschen gibt es ja. Wenn wir uns in unserer Umgebung umschauen, finden wir nicht nur Menschen, wie sie in Kapitel 1, Verse 18 bis zum Ende beschrieben werden, die einfach alles tun, wie es ihnen gerade über den Weg läuft. Wir wissen, dass es Menschen mit einem moralischen Empfinden gibt. Menschen mit einem solchen Empfinden kennen wir in unserer Umgebung.
Paulus ist realistisch genug – und der Heilige Geist sowieso –, um darauf einzugehen. Es gibt solche Menschen. Es ist also irgendwie der zweite Typ von Mensch, der hier im Römerbrief beschrieben wird.
Die besondere Rolle der Juden und religiöser Gruppen
In Kapitel 2, Vers 17 geht Paulus noch einmal etwas spezieller auf eine andere Gruppe ein. Über diese schreibt er dann in Kapitel 2 und Kapitel 3 relativ ausführlich. Es handelt sich dabei um Juden. Warum gerade Juden? Kapitel 2, Vers 17 sagt: „Wenn du aber Jude genannt wirst und dich auf das Gesetz stützt.“
Paulus betont es immer wieder, sowohl im ersten als auch im zweiten Kapitel. Er spricht zuerst von den Juden und dann auch von den Griechen, mindestens drei- oder viermal in den ersten beiden Kapiteln. Das Evangelium ist für die Juden zuerst und dann auch für die Griechen. Ebenso gilt das Gericht Gottes zuerst für die Juden und dann für die Griechen.
In Kapitel 2, Vers 17 spricht Paulus die Juden direkt an. Warum? Weil es eine ganz besondere Gruppe ist. Wir haben heute wenig direkten Kontakt mit Juden, aber wir kennen ähnliche Gruppen. Zum Beispiel fromme Menschen aus der katholischen Kirche, Zeugen Jehovas auf der Straße oder Muslime. Was haben diese Gruppen gemeinsam?
Zwei Dinge sind typisch für sie. Erstens entsteht oft der Eindruck: Wenn ich zur richtigen Gruppe gehöre, bin ich schon relativ sicher. Zum Beispiel, wenn ich zu den Zeugen Jehovas gehöre, dann bin ich ziemlich sicher, im Reich Gottes auf dieser Erde dabei zu sein. Wenn ich katholisch getauft bin, dann gilt das ähnlich: Ich bin schon mal ziemlich sicher dabei, es sei denn, ich mache etwas sehr Extremes. Und als Muslim fühlt man sich auch auf der richtigen Seite, obwohl Allah unberechenbar sein kann.
Dieses Gefühl, zur richtigen Gruppe zu gehören, vermittelt Sicherheit. Man hat das richtige Etikett – unabhängig davon, was tatsächlich im Inneren ist. Das Etikett allein scheint zu genügen.
Zweitens haben diese Gruppen einen bestimmten Satz von Regeln. Wenn man diese Regeln einhält und abhakt, ist man ebenfalls sicher. Zum Beispiel gibt es bei Muslimen bestimmte Pflichten, die sie erfüllen müssen. Die Zeugen Jehovas müssen eine bestimmte Anzahl von Stunden auf der Straße oder in anderen Diensten leisten. Bei frommen Katholiken gibt es bestimmte Gebete, Rituale und Sakramente, die man befolgen muss.
Wenn man diese Regeln erfüllt, gibt einem das ein zusätzliches Gefühl von Sicherheit, dass man bei Gott ankommt.
Paulus nimmt die Juden als Beispiel, weil es damals noch keine Muslime, Zeugen Jehovas oder die katholische Kirche gab. Die Juden waren die religiöse Gruppe seiner Zeit, die genau dieses Prinzip verkörperte: Sie waren sich sicher, weil sie das Etikett „Jude“ trugen, dass sie zu Gott gehören. Außerdem hatten sie bestimmte äußere Formen und Rituale, die, wenn sie eingehalten wurden, Gott besonders zufrieden machten.
Dasselbe Prinzip gilt heute für viele religiöse Gruppen in unserem Land. Die Anzahl der Juden ist hier nicht mehr so groß, dass sie auffallen würden, aber das Prinzip ist das gleiche.
Das Interessante ist, dass Paulus diese Gruppe der Juden herausgreift. Alle anderen religiösen Gruppen können sich in gewisser Weise dort einordnen. Die Juden haben den großen Vorteil – und das werden wir noch sehen – dass Gott sie tatsächlich ausgesucht hat. Gott hat ihnen wirklich diese Regeln gegeben, nach denen sie leben sollten.
Gott hat in der Vergangenheit gesagt: Wer dieses Etikett trägt, gehört zum Volk Gottes. Und Gott hat auch gesagt: Hier sind die Regeln, wenn ihr sie befolgt, werdet ihr leben.
Das heißt: Alle religiösen Gruppen, die eine Zugehörigkeit und einen Satz von Regeln haben, sind in gewisser Weise vergleichbar. Wenn es für die Juden nicht reicht, reicht es für die anderen religiösen Gruppen erst recht nicht.
Deshalb sind die Juden ein gutes Beispiel. Man muss nicht alle religiösen Gruppen einzeln betrachten, wenn man sieht, was Gott zu den Juden sagt.
Die zwei großen Gruppen, um die es Paulus geht, sind heute: Erstens Menschen, die einen moralischen Maßstab haben – viele davon aus religiösen Gründen, aber auch einige Atheisten, die einen hohen moralischen Maßstab besitzen. Das ist zwar nicht logisch, aber es gibt sie.
Zweitens geht Paulus speziell auf Religion ein. Dieses Thema wird auch in Hauskreisen und auf Arbeitsblättern weiter vertieft.
Die persönliche Ansprache an die moralischen Menschen
Okay, wir fangen noch einmal an. Deshalb, Kapitel 2, Vers 1:
Deshalb bist du nicht zu entschuldigen, o Mensch, jeder, der da richtet. Denn worin du den anderen richtest, verurteilst du dich selbst, denn du, der du richtest, tust es selber.
Wir wissen aber, dass das Gericht Gottes nach der Wahrheit ist über die, die solches tun. Denkst du darüber nach, o Mensch? Ja, du richtest dich – du tust solches und verübst dasselbe – und glaubst, dass du dem Gericht Gottes entfliehen wirst?
Hier sagt Paulus etwas Interessantes. Vielleicht habt ihr das schon bemerkt: Paulus sagt „du“. Wir hatten das letztes Mal schon, oder? Zu den irgendwie enthemmten Menschen in Kapitel 1 sagt er nie „du“. Aber hier, zu den moralischen Menschen und auch später zu den Juden, Kapitel 2, Vers 17, wenn du ein Jude genannt wirst, sagt er „du“. Er spricht sie ganz persönlich an.
Und er sagt: Sei doch mal ehrlich! Du verurteilst das, was passiert an Gottlosigkeit, an Ungerechtigkeit, an Ehebruch, an sexuellen Perversionen, an Bosheit, an Habsucht, an Schlechtigkeit. Irgendwie liest du davon in der Zeitung, du siehst davon in den Nachrichten. Ich meine, nur schlechte Nachrichten sind Nachrichten, die etwas taugen. Und du schüttelst den Kopf und bist irgendwie entsetzt.
Dann sagt Paulus aber: Weißt du, jetzt sei mal ganz ehrlich. Du verurteilst die Dinge in ihren Extremen. Aber eigentlich, ja, ich weiß, weniger extrem, tust du doch genau dasselbe. Du machst es nicht so offensichtlich, du machst es nicht so extrem. Manchmal hast du vielleicht doch einfach nicht den Mut dazu, weil du mehr Angst hast als andere Menschen, die so ein bisschen naiver sind, erwischt zu werden.
Aber eigentlich, tief in dir drin, in deinen Gedanken und manchmal auch in deinen Taten, dort, wo es niemand sieht oder wo du denkst, dass es niemand sieht oder wenige mitbekommen, handelst du nach den gleichen Prinzipien. Den gleichen Prinzipien zum Beispiel von Habsucht: Du suchst doch auch Wege, dich zu bereichern. Auch wenn es vielleicht jemand anders etwas kostet, auch wenn du versuchst, dabei vielleicht die Gesetze nicht direkt zu übertreten.
Interessant wäre es jetzt, ganz ausführlich zu diesem Abschnitt hier die Bergpredigt zu lesen, oder? Wenn Jesus sagt, dass Ehebruch in Gedanken anfängt und nicht erst bei der Ausführung. Wenn er sagt, dass Mord da anfängt, wo ich jemand anderem etwas Schlechtes wünsche und nicht erst, wo ich ihm das Messer in die Rippen renne.
Ich glaube, das sind die Dinge, von denen Paulus hier spricht. Er sagt: Wenn du ehrlich bist, dann wirst du die Dinge, die du bei anderen verurteilst, in irgendeiner Form in deinen eigenen Gedanken, in deinem eigenen Leben wiederfinden. Und du wirst merken, dass du selbst gar nicht so viel besser bist. Du bist nur nicht so enthemmt wie die Menschen, die in der Zeitung stehen.
Paulus sagt: Du richtest andere, aber damit verurteilst du eigentlich dich selbst. Und du weißt, dass das Gericht Gottes gerecht ist über die, die solches tun.
Ich möchte ein paar Verse überspringen, weil wir auf die ganz zum Schluss noch einmal eingehen. Sie kommen auch im Arbeitsblatt noch ziemlich ausführlich vor. Springen wir zu Vers 9:
Dieses Gericht, das nach der Wahrheit ist über die, die solches tun, oder Vers 5 am Ende, die Offenbarung des gerechten Gerichts Gottes, der jedem vergelten wird nach seinen Werken.
Paulus lehnt sich irgendwann zurück, nachdem er die Menschen persönlich angesprochen hat, und sagt: Wie funktioniert denn dieses Gericht? Vers 9:
Drangsal und Angst über jede Seele eines Menschen, der das Böse vollbringt, sowohl des Juden zuerst als auch des Griechen; Herrlichkeit aber und Ehre und Frieden jedem, der das Gute wirkt, sowohl dem Juden zuerst als auch dem Griechen; denn es ist kein Ansehen der Person bei Gott.
Das ist irgendwie die Beschreibung des Gerichts Gottes. Und es gibt ja viele Menschen, die stellen sich das Gericht Gottes so vor, so wie Justitia, ihr kennt das. Gott steht da mit so einer großen Waage, irgendwie. Also, ich meine, wir nehmen jetzt mal diese Handwaage von Justitia, aber es gibt ja noch größere Waagen, wo alle unsere Werke wirklich draufpassen. Aber nehmen wir mal dieses kleine Symbol.
Dann nimmt Gott alle unsere guten Werke und packt sie auf die eine Seite, und dann nimmt Gott alle unsere schlechten Werke und packt sie auf die andere Seite. Und auf welcher Seite die Waage runtergeht – wenn sie bei der guten Seite runtergeht, denken die Leute, dann kommst du in den Himmel. Und wenn sie bei der schlechten Seite runtergeht, dann kommst du in die Hölle.
So eine klassische religiöse Vorstellung. Und es stimmt. Das steht hier, oder? Drangsal und Angst – also das ist, wie Paulus die Hölle beschreibt. Irgendwie so ein Zustand, wo wir uns bedrängt fühlen, wo wir uns fürchten. Drangsal und Angst über jede Seele eines Menschen, der das Böse vollbringt, sowohl dem Juden zuerst als auch dem Griechen.
Herrlichkeit aber und Ehre und Frieden ist irgendwie seine Beschreibung des Himmels. Ehrlichkeit, Ehre – du wirst geehrt –, Frieden, wirklich ein Zustand von Frieden und Zufriedenheit jedem, der das Gute wirkt. Und es ist genau das, wie die Leute sich das vorstellen.
Und dann schreibt Paulus weiterhin, Vers 12:
Denn so viele, die ohne Gesetz gesündigt haben, werden auch ohne Gesetz verloren gehen, und so viele, die unter Gesetz gesündigt haben, werden durch Gesetz gerichtet werden.
Vers 16:
An dem Tag, da Gott das Verborgene des Menschen richten wird, nach meinem Evangelium durch Jesus Christus.
Habt ihr das bemerkt? Paulus macht hier eine für ihn völlig selbstverständliche Annahme. In Vers 9 und 10 stand noch, dass die, die Gutes getan haben, in den Himmel kommen, und die, die Böses getan haben, gerichtet werden.
So. Hier macht Paulus eine Annahme und sagt: Denn so viele, ohne Gesetz gesündigt haben, werden ohne Gesetz verlorengehen; so viele, unter Gesetz gesündigt haben, werden durch das Gesetz gerichtet werden.
Hier kommt niemand von der ersten Kategorie, die in den Himmel kommt, vor. Wir haben das gelesen in Kapitel 3: Der Gott hier in Vers 16, der das Verborgene richtet, nicht nur das Offensichtliche, wie bei den Leuten in Kapitel 1, wo vieles offensichtlich ist, sondern der Gott, der das Verborgene richtet.
Da bleiben die, bei denen die Waage auf der guten Seite nach unten geht, nur Theorie. Die kommen in der Praxis schon gar nicht mehr vor. Paulus sagt, das passiert gar nicht, diese Leute gibt es nicht.
Bei dem Gott, der nicht nur das Offensichtliche sieht, was wir sehen, sondern bei dem Gott, der das Verborgene richtet – was in den Gedanken, was in den Motiven ist –, wird bei jedem Menschen die Waagschale auf der bösen Seite nach unten gehen.
Manche, die das Gesetz Gottes kannten – hier hauptsächlich das alttestamentliche Gesetz –, die seine Maßstäbe wirklich kannten, sagt Paulus, werden durch dieses Gesetz gerichtet werden. Und Leute, die dieses Gesetz nicht kannten, werden ohne dieses Gesetz verloren gehen.
Nochmal Kapitel 3, Vers 9:
Was nun, haben wir einen Vorzug? Durchaus nicht, denn wir haben sowohl Juden als Griechen zuvor beschuldigt, dass sie alle unter der Sünde sind.
Wahrscheinlich würde das Gericht nach unseren Maßstäben, die wir momentan haben, vielleicht nicht ganz so ausgehen, weil wir viele Dinge relativ sehen. Aber bei dem Gott, der das Verborgene richtet und Dinge absolut sieht, geht das Gericht so aus.
Ja, ein bisschen ungerecht denen gegenüber, die das Gesetz Gottes gar nicht kannten. Paulus geht kurz darauf ein, in Vers 13:
Denn nicht die Hörer des Gesetzes sind gerecht vor Gott, sondern die Täter des Gesetzes werden gerechtfertigt werden. Denn wenn Nationen, die kein Gesetz haben, von Natur die Dinge des Gesetzes ausüben, so sind diese, die kein Gesetz haben, sich selbst ein Gesetz; solche, die das Werk des Gesetzes geschrieben zeigen in ihren Herzen, wobei ihr Gewissen mitzeugt und ihre Gedanken sich untereinander anklagen oder auch entschuldigen.
Es ist keine Entschuldigung, sagt Paulus, das Gesetz Gottes nicht zu kennen. Klingt ja erst mal unfair, denn so viele, die ohne Gesetz gesündigt haben, werden auch ohne Gesetz verlorengehen.
Paulus sagt, so ungerecht ist es nicht, weil auch bei diesen Leuten, die nicht irgendwie das Alte Testament kannten, die nicht die Zehn Gebote kennen, die die Bergpredigt nie gelesen haben, wenn man genau hinschaut, dann merkt man, dass sie moralische Maßstäbe haben.
Man sieht es an vielen Stellen in ihrem Handeln, dass sie moralische Maßstäbe haben. Man sieht es in ihrem Reden, wie sie Dinge verurteilen, die sie nicht gut finden, wie sie Dinge entschuldigen, die sie selber tun.
Man merkt in vielem, dass die Moral Gottes irgendwo in den Menschen hineingelegt worden ist, manchmal schon völlig verdeckt. Aber an vielen Stellen, sagt Paulus, kommt es heraus.
Er sagt: Selbst wenn sie das Gesetz Gottes nicht explizit, wörtlich irgendwo nachlesen konnten, selbst wenn man nur den Maßstab ihres eigenen Gewissens und ihrer eigenen Urteile, was moralisch gut und was moralisch nicht gut ist, zugrunde legt, selbst dann, sagt Paulus, geht die Waagschale auf der falschen Seite runter.
Wenn man nicht das absolute Gesetz Gottes als Maßstab nimmt, sondern nur ihr eigenes moralisches Empfinden, geht die Waagschale auf der falschen Seite runter.
Die Quintessenz von Paulus hier in Römer 2 ist: Das Gericht Gottes über alle Menschen ist gerecht.
Die Verantwortung der religiösen Menschen am Beispiel der Juden
Bevor wir noch einmal an den Anfang von Kapitel zwei zurückkehren, möchte ich jetzt kurz all das durchlesen, was Paulus über die religiösen Menschen sagt. Ich weiß nicht, ob hier viele religiöse Menschen sind, aber vielleicht habt ihr mit solchen Menschen zu tun. Wir schauen uns jetzt Stück für Stück an, was das Wort Gottes hier über die Juden sagt.
Kapitel zwei, Vers 17:
„Wenn du aber Jude genannt wirst und dich auf das Gesetz stützt, dich Gottes rühmst und den Willen Gottes kennst und das Verzüglichere unterscheidest, weil du aus dem Gesetz unterrichtet bist, und dich traust, ein Leiter der Blinden zu sein, ein Licht derer, die in Finsternis sind, ein Erzieher der Törichten, ein Lehrer der Unmündigen, der die Form der Erkenntnis und der Wahrheit im Gesetz hat.“
Das war irgendwie das Selbstverständliche der frommen Juden damals. Sie sagten: Wir kennen die Regeln Gottes, wir kennen das Wort Gottes, wir können unterscheiden, was gut und was schlecht ist. Wir sind das Volk Gottes, wir sind unterrichtet aus dem Gesetz, wir wissen, was Gott will. Und Leute, die das nicht wissen, können zu uns kommen, und wir können es ihnen sagen.
Wir gehen zu den Menschen und sagen ihnen, dass es nur einen Gott gibt – nicht diese vielen Götter auf dem Olymp, die alle irgendwelche Affären mit Göttinnen oder Menschen haben. Nicht Götter in Steinen oder an anderen Orten. Wir können ihnen sagen, was wirklich moralische Maßstäbe sind. Wir trauen uns das zu: Erzieher der Törichten zu sein, ein Licht derer, die in Finsternis sind, Leiter der Blinden.
Und Paulus sagt: Aha, ja, aber wie sieht es wirklich aus? Ihr habt eine Form der Erkenntnis und der Wahrheit im Gesetz, aber du lehrst einen anderen und lehrst dich selbst nicht. Du predigst: Man soll nicht stehlen, aber du stiehlst. Du sagst: Man soll nicht Ehebruch begehen, aber du begehst Ehebruch. Du hältst Götzenbilder für Gräuel, aber du begehst Tempelraub.
Das sind ziemlich harte Vorwürfe an so einen frommen Juden, oder? Man kann sich das kaum vorstellen: Da sind Juden, die sagen, wir gehören zu Gott. Sie leben irgendwo in Griechenland oder Rom, aber sagen: Du sollst nicht stehlen. Und Paulus sagt: Aber du stiehlst.
Wahrscheinlich wären sie erst einmal entsetzt und würden aufschreien: Wieso stehle ich? Ich bin ein ehrbarer Händler, ein ehrbarer Handwerker. Und ich glaube auch nicht, dass die Juden damals keinen relativ hohen sozialen Status untereinander hatten und als relativ ehrbar galten. Ich glaube nicht, dass der Durchschnittsjude nachts in Häuser eingebrochen ist, wenn die Besitzer nicht da waren, um die Villa auszuräumen. Das kam, glaube ich, selten vor.
Aber ich glaube auch, dass Juden damals oft Handwerker oder Händler waren, wie wir es aus der Geschichte wissen. Paulus fragt: Wie sieht es denn aus? Wie stellst du deine Rechnungen aus? Wie lieferst du das, was du hergestellt hast? Ist nicht manches davon eigentlich Diebstahl? Nimmst du nicht manchmal mehr Geld, obwohl du weißt, dass das, was du lieferst, das Geld nicht wert ist?
Du verurteilst es, wenn Leute irgendwo einbrechen. Aber du hast einfach elegantere Methoden zu stehlen. Du begehst Ehebruch. Ich glaube, Paulus spielt hier auf die Bergpredigt an, die viele seiner Leser kannten. Wo fängt Ehebruch eigentlich an?
Überleg mal: Heutzutage ist das noch viel komplexer. Stell dir vor, du triffst dich mit einem Freund, und er sagt: Komm mit, wir können uns etwas angucken. Wir klettern ein Stück hoch auf einen Baum, und ich habe hier ein kleines Fernglas. Da gucken wir in das Fenster rein. Immer abends bekommt der Typ Besuch von seiner Freundin, und dann ziehen sie sich aus und liegen nackt auf der Couch. Und wir gucken zu. Das fänden wir wahrscheinlich alle ziemlich komisch. Aber in jedem zweiten oder dritten Film tun wir genau das.
Paulus sagt also: Du verurteilst Ehebruch, aber eigentlich machst du doch genau das Gleiche. Du sagst, du hältst Götzenbilder für Gräuel, aber du begehst Tempelraub. Auch das ist so eine Sache. Welcher Jude wäre schon in einen Artemistempel eingebrochen und hätte dort die Schätze geklaut? Ich vermute, dass Juden oft religiöse Gegenstände aus dem Götzendienst als Pfand genommen haben.
Auf der einen Seite sagten sie, es sei ihnen wichtig, nichts mit den Götzen zu tun zu haben. Aber wenn es plötzlich kulturelle Wertgegenstände waren, dann war das okay. Paulus sagt: Ihr habt eine zweierlei Moral. Und das waren nur ein paar Beispiele, die er wahrscheinlich öfter beobachtet hatte.
Vers 23:
„Der du dich des Gesetzes rühmst, du verunehrst Gott durch die Übertretung des Gesetzes, denn der Name Gottes wird euretwegen unter den Nationen gelästert, wie geschrieben steht.“
Die Leute, die ausgebeutet wurden, haben gesagt: Wenn das das Volk dieses Gottes des Alten Testamentes ist, was muss das für ein Gott sein? Das können wir uns dann in einer ruhigen Minute auch mal fragen, wie das bei uns Christen ist. Aber das ist nicht das Thema hier, nur ein kleiner Nebenaspekt.
Paulus sagt: Ihr bildet euch viel darauf ein, das Wort Gottes zu haben und das Volk Gottes zu sein. Ihr denkt, das bringt euch schon fast allein in den Himmel – das richtige Etikett zu haben. Aber Paulus sagt: Es ist genau umgekehrt. Das erhöht doch nur eure Verantwortung. Und es ist umso schlimmer, wenn ihr es habt und nicht danach lebt.
Es ist nicht so, dass das Haben euch in den Himmel bringt. Wenn ihr danach leben würdet, vielleicht. Aber wenn ihr nicht danach lebt, ist es schlimmer, das Wort Gottes zu haben, als wenn ihr es nicht hättet.
„Der du dich des Gesetzes rühmst, du verunehrst Gott durch die Übertretung des Gesetzes, denn der Name Gottes wird durch euch und die Nationen gelästert, wie geschrieben steht.“
Er sagt: Ihr seid Leute, die sich darauf etwas einbilden, das Volk Gottes zu sein. In Wirklichkeit wird der Name Gottes durch euch mehr beschmutzt als durch andere, weil eure Verantwortung größer ist. Das war schon ziemlich hart.
Die Bedeutung der Beschneidung als inneres Zeichen
Die Juden hatten noch etwas Besonderes: die Beschneidung. Diese stammt aus dem Alten Testament, ganz am Anfang, schon bei Abraham – also eigentlich bevor es das Volk Israel wirklich gab. Gott hatte gesagt, dass bei den Männern die Beschneidung als Zeichen erfolgen soll, dass sie das Volk Gottes sind.
Die Beschneidung war ein Ausdruck dafür, dass die Menschen nicht aus eigener Kraft leben wollten. Sie wollten ein sichtbares Zeichen an ihrem Körper haben, das zeigt, dass sie nicht aus eigener Kraft leben, sondern in Abhängigkeit von Gott. Es war ein Zeichen dafür, dass sie einen Gott haben, dem sie gehorchen, der ihnen hilft, und dass sie bezeugen, für diesen Gott angewiesen zu sein. Deshalb wollten sie diesem Gott loyal sein.
In der Christenheit entspricht das dem Taufschein, der dich – sozusagen als Sakrament – in den Himmel bringt. Die Juden trugen etwas an ihrem Körper oder besser gesagt, sie hatten ein Zeichen an ihrem Körper, nicht nur auf dem Papier, das sie in den Himmel brachte.
Paulus sagt dazu: „Denn die Beschneidung ist zwar von Nutzen, wenn du das Gesetz hältst. Wenn du aber ein Gesetzesübertreter bist, dann ist deine Beschneidung zur Vorhaut geworden. Wenn nun die Vorhaut, also Menschen, die keine Beschneidung haben – also Heiden –, die Rechte des Gesetzes beachten, wird nicht ihre Vorhaut für Beschneidung gerechnet werden? Und die Vorhaut von Natur aus, die das Gesetz erfüllt, wird dir dann als Beschneidung angerechnet?“
Er sagt weiter: „Erfüllst du das Gesetz nicht, indem du nur auf Buchstaben und Beschneidung achtest, dann bist du ein Gesetzesübertreter. Denn nicht der ist ein Jude, der es äußerlich ist, noch ist die äußere Beschneidung im Fleisch echte Beschneidung. Sondern der ist ein Jude, der es innerlich ist, und die Beschneidung ist die des Herzens im Geist, nicht in Buchstaben, dessen Lob nicht von Menschen, sondern von Gott ist. Denn Gott ist es, der das Verborgene richtet.“
Paulus mahnt also: Ihr sollt euch nichts auf dieses äußere Zeichen einbilden. Dieses Zeichen war immer nur als Zeichen gemeint für das, was in eurem Leben sein soll: dass ihr wirklich in Abhängigkeit von Gott lebt und nicht gottlos, dass ihr wirklich für Gott lebt und nicht für euren eigenen Egoismus.
Es kommt auf das an, was innen ist. So macht Paulus am Ende von Vers 29 ein schönes Wortspiel. „Jude“ war damals schon ein gebräuchlicher Begriff, eigentlich nur ein Stamm von Israel, aber der Stamm, der überlebt hat. Der Begriff „Jude“ bedeutet „Lob“ oder „Lob Gottes“.
Paulus sagt am Ende von Vers 29 zu den Juden: Derjenige, der innerlich beschnitten ist, im Herzen, und wirklich Gott dienen will, dessen Lob ist ein Jude. Dieses Lob kommt nicht von Menschen, sondern von Gott. Die Menschen sehen nur das Äußere: ob du äußerlich ein Jude bist, und sie loben dich vielleicht dafür, dass du zum Volk Gottes gehörst – oder eben auch nicht.
Aber diese innerliche Beschneidung sieht Gott. Er sieht, ob du wirklich zum Lob Gottes lebst oder ob wegen deines Verhaltens der Name Gottes unter den Nationen gelästert wird.
Der Nutzen der Zugehörigkeit zum Volk Gottes
Kapitel 3
Was ist nun der Vorteil der Juden oder was der Nutzen der Beschneidung? Hat es überhaupt irgendeinen Sinn, ein Äußerliches zu haben oder zu diesem Volk zu gehören? Viel, sagt Paulus, und zwar in jeder Hinsicht. Denn zuerst einmal sind ihnen die Aussprüche Gottes anvertraut worden. Das ist schon ein großes Vorrecht. Es geht nicht darum, dass Paulus sagt, das sei gar nichts wert. Es ist ein großes Privileg, wenn ihr Juden seid, zu diesem Volk Gottes zu gehören und das Wort Gottes als Erste erhalten zu haben. Das ist schon etwas Besonderes.
Nun folgen einige schwierige Abschnitte, und ich möchte versuchen, kurz einige Prinzipien daraus zu erklären.
Vers 3: Was denn? Wenn einige nicht geglaubt haben, wird etwa ihr Unglaube die Treue Gottes aufheben? Das sei ferne! Gott aber sei wahrhaftig, jeder Mensch aber ein Lügner, wie geschrieben steht: „Damit du gerechtfertigt wirst in deinen Worten und überwindest, wenn du gerichtet wirst.“ Wenn aber unsere Ungerechtigkeit Gottes Gerechtigkeit erweist, was sollen wir sagen?
Warum hat Gott das überhaupt mit den Israeliten, mit den Juden gemacht? Irgendwie ist es ja ein großes Experiment der Weltgeschichte. Und ich glaube, darum geht es hier. Hier steht Gott auf der Anklagebank (Ende von Vers 4: „Damit du gerechtfertigt wirst in deinen Worten und überwindest, wenn du gerichtet wirst.“). Es geht irgendwie darum, ob Gott wirklich gerecht ist.
Das Experiment – ich sage es mal so, obwohl es sehr abfällig klingt und Gottes Verhältnis zu Israel nicht einfach ein Experiment ist, da steckt viel mehr dahinter – soll auch etwas zeigen, eine Demonstration sozusagen. Das Ganze hat zwei Seiten.
Die eine Seite ist die Theorie, dass der Mensch hauptsächlich durch seine Umwelt geprägt wird. Wenn wir in einer atheistischen Gesellschaft aufwachsen, umgeben von Menschen, die so leben wie in Kapitel 1 beschrieben, dann müssen wir uns gerade noch ein bisschen von denen abheben, die völlig enthemmt sind und für die alles ganz normal geworden ist. Wir saugen das von Kindheit an mit der Muttermilch ein. Es ist kein Wunder, dass wir gottlos leben.
Ich glaube, das ist ein Punkt, warum Gott das mit Israel gemacht hat: Jeder Israelit, der in einer halbwegs frommen Familie aufgewachsen ist, ist von Kind an mit dem Wort Gottes und mit moralischen Maßstäben konfrontiert worden. Er konnte nicht sagen: „Durch meine schlechte Umwelt hatte ich ja keine Chance.“ Ich selbst habe erst mit 35 zum ersten Mal gehört, was Gott überhaupt will. Und es ist klar, dass man solche Gewohnheiten dann nicht mehr ganz loswird.
Ein normaler, halbwegs frommer Jude konnte das nicht sagen. Er ist in einer Theokratie groß geworden, in der die religiösen Gesetze die Gesellschaft bestimmten, zumindest äußerlich. Das heißt, er ist in einem quasi idealen Rahmen aufgewachsen. Das ist die eine Seite dieses Experiments: Wie entwickeln sich Menschen, wenn sie äußerlich in einem fast idealen Rahmen groß werden?
Die andere Seite ist, dass Gott es sich nicht leicht macht. Es ist leicht, dem Menschen zu sagen, wie schlecht er in bestimmten Umständen reagiert. Er ist ungebunden, kann sich jederzeit von jemandem abwenden, wenn der ihm zu schwierig wird. Man kann sich in anderen Teilen der Welt tummeln, wo es vielleicht einfacher ist.
Das zweite, was passiert, ist, dass Gott gesagt hat: „Ich binde mich hier an ein Volk und stehe dazu, egal wie schwierig es wird.“ Ich zeige, wie ich mit ihnen umgehe, wie meine Moral ist und wie meine Vorstellungen von Treue sind. Genau diese beiden Dinge sind letztendlich im Verhältnis Gottes zu Israel gezeigt worden.
Vers 3: Was denn, wenn einige nicht geglaubt haben oder untreu waren? Wird etwa ihr Unglaube oder ihre Untreue die Treue Gottes aufheben? Das sei ferne! Gott aber sei wahrhaftig, jeder Mensch aber ein Lügner.
In diesem Verhältnis zwischen Gott und Israel hat sich gezeigt, dass Gott wirklich treu ist, auch in dieser Beziehung. Im Alten Testament wird Gott dargestellt als jemand, der eine Frau geheiratet hat, die immer wieder Ehebruch begeht, und trotzdem treu in seiner Liebe bleibt.
Gott ist wahrhaftig, und jeder Mensch ist ein Lügner. Es hat sich in der Geschichte Israels gezeigt, trotz der Treue Gottes und trotz der fast idealen Umstände, dass Menschen nicht treu waren. Sie fanden immer wieder Wege, diese Beziehung oder ihre Beziehungen zu umgehen. Im Herzen haben sie gelogen, indem sie sagten, sie seien Gott treu, obwohl es nicht stimmte, wenn man ganz tief hineinschaute.
Paulus sagt, diese Demonstration Gottes hat noch einmal deutlich gemacht, wie viel höher Gott moralisch steht als alle Menschen und dass er wirklich das Recht hat zu richten. Nicht, weil er die Macht dazu hat, sondern weil er das moralische Recht hat zu richten.
Vers 5 bringt nun ziemlich schräge philosophische Argumente, mit denen Paulus wahrscheinlich konfrontiert war. „Wenn aber unsere Ungerechtigkeit Gottes Gerechtigkeit erweist, was sollen wir sagen? Ist Gott etwa ungerecht, dass er den Zorn auferlegt? Ich rede nach Menschenweise.“ Das sei ferne! Wie könnte Gott sonst die Welt richten? „Wenn aber die Wahrheit Gottes durch meine Lüge übergeströmt ist zu seiner Herrlichkeit, warum werde ich auch noch als Sünder gerichtet?“
Es gab Menschen, die sagten: „Na ja, das ist doch prima, wenn Gott so eine Demonstration gemacht hat. Dann ist er doch wirklich groß herausgekommen. Dann ist seine Moral jetzt wirklich leuchtend. Überleg mal, wir wären besser gewesen, als wir sind. Wäre ja blöd gewesen, denn dann wäre der Abstand kleiner geworden. Gott hätte ja gar nicht so gut dagestanden.“
Ich meine, warum richtet er uns eigentlich, wenn wir schlecht sind? Er soll doch froh sein. Manche gehen sogar noch einen Schritt weiter (Vers 8): „Ist es etwa so, wie wir gelästert werden und wie einige sagen, dass wir sprechen: Lasst uns das Böse tun, damit das Gute komme.“ Leute haben dann gesagt: „Na ja, eigentlich soll Gott froh sein, dass wir nicht so gut waren. Eigentlich ist es ja ein Anreiz, wir könnten noch ein paar böse Dinge tun, wenn wir noch tiefer sinken und Gott dadurch noch leuchtender wird.“
Manche warfen Paulus und den anderen Predigern des Evangeliums damals vor, sie würden so etwas lehren, wenn sie von Gnade sprechen. Wenn sie sagen, dass es etwas besonders Schönes ist, wenn Gott einen schlimmen Sünder rettet, dann lehren sie doch, man müsse möglichst schlecht sein, damit die Gnade Gottes so richtig golden leuchtet.
Paulus geht auf diese Argumente kaum ein. Er sagt, das ist einfach grotesk. Jeder, der moralisch vernünftig denkt, weiß, dass das grotesk ist. Leute, die so etwas sagen oder uns so etwas unterschieben, zeigen deutlich, dass Gottes Gericht wirklich gerecht ist.
Leute, die sagen: „Wir tun etwas Schlechtes, damit Gott besser dasteht,“ liegen völlig falsch. Das ist ein spitzfindiges philosophisches Argument, sagt Paulus. So ist es nicht. Gott ist wirklich ein moralischer Gott, und sein Gericht über die Bosheit der Menschen ist gerecht.
Vers 9: Was nun, haben wir einen Vorzug, die Juden? Wir haben den Vers schon zweimal gelesen: durchaus nicht! Denn wir haben sowohl Juden als auch Griechen zuvor beschuldigt, dass sie alle unter der Sünde sind.
Paulus zieht den Schlussstrich über das, wie er die Juden beschrieben hat, und über das, wie er alle Menschen am Anfang von Kapitel 2 beschrieben hat. Die Quintessenz ist: Alle sind unter der Sünde.
Jetzt fasst er mit Versen aus dem Alten Testament zusammen, wie es in Israel zum Teil aussah, trotz dieser idealen Umstände:
„Da ist kein Gerechter, auch nicht einer; da ist keiner, der verständig ist; da ist keiner, der Gott sucht. Alle sind abgewichen, sie sind allesamt untauglich geworden; da ist keiner, der Gutes tut, da ist auch nicht einer. Ihr Schlund ist ein offenes Grab.“
Das heißt, wenn man mit ihren Worten oder ihrem Reden direkt oder im Verborgenen konfrontiert wird, ist das in irgendeiner Weise tödlich. „Mit ihren Zungen handeln sie trügerisch; Schlangen gibt es unter ihren Lippen.“ Er sagt, viel passiert nicht mit dem Messer in der Hand, sondern viel passiert mit dem Mund.
„Ihr Mund ist voller Fluchen und Bitterkeit; ihre Füße sind schnell, Blut zu vergießen; Verwüstung und Elend ist auf ihren Wegen, und den Weg des Friedens haben sie nicht erkannt; es ist keine Furcht Gottes vor ihren Augen.“
Am Ende dieser Zitate sagt Paulus: „Wir wissen aber, dass alles, was das Gesetz sagt, zu denen redet, die unter dem Gesetz sind.“ Das sind Auszüge aus dem Alten Testament, und Paulus sagt, sie wurden in erster Linie zu diesen angeblich moralisch so hochstehenden Juden gesprochen.
Die Quintessenz über das Beste, was der Mensch hervorgebracht hat: Das Gesetz spricht zu denen, die unter dem Gesetz sind, damit jeder Mund verstopft werde und die ganze Welt dem Gericht Gottes verfallen sei.
Darum wird durch Gesetzeswerke, durch gute Werke oder das Halten von Geboten kein Mensch vor Gott gerechtfertigt. Das Einzige, was das Gesetz tut, ist, Erkenntnis der Sünde zu bringen. Es macht den Menschen nicht besser, sondern zeigt ihm, wie schlecht er ist.
Diese Frage gehört zur Antwort: Wie kann überhaupt irgendein Mensch zu Gott kommen? Wie kann überhaupt irgendein Mensch in den Himmel kommen? Das ist die Frage nach Römer 2 und 3.
Offensichtlich nicht durch gute Werke und offensichtlich nicht durch die richtige Zugehörigkeit zur richtigen Gruppe oder das richtige Etikett. Aber wodurch dann?
Ich möchte noch einmal kurz zu Kapitel 2 zurückgehen. Die eigentliche Antwort kommt übernächsten Sonntag in Römer 3, Vers 21. Aber wir wollen noch einmal zu Kapitel 2 zurückkehren.
Hier ist der Text, der nirgends so direkt ist wie hier. Er springt einen sozusagen an. Deshalb wirst du nicht entschuldigt, o Mensch! Jeder, der richtet, denn worin du den anderen richtest, verurteilst du dich selbst, denn du, der du richtest, tust dasselbe.
Wir wissen aber, dass das Gericht Gottes nach der Wahrheit ist über die, die solches tun. Denkst du aber dies, o Mensch, der du die richtest, die solches tun, und verübst dasselbe, dass du dem Gericht Gottes entfliehen wirst?
Jetzt kommen interessante Sätze, die zweischneidig sind, darum habe ich sie mir bis zum Schluss aufgehoben. Darum geht es auch im Arbeitsblatt noch einmal.
Denn auf der einen Seite ist es genau die Hauptlinie, die wir gesehen haben: Paulus sagt, alle sind Sünder, alle gehen verloren, keiner kommt in den Himmel. Aber es schwingt etwas mit in diesen Versen, zumindest habe ich den Eindruck, dass etwas mitschwingt:
„Oder verachtest du den Reichtum seiner Güte und Geduld und Langmut und weißt nicht, dass die Güte Gottes dich zur Buße leitet?“
Hier, mitten in diesem ganzen Abschnitt darüber, wie kaputt der Mensch ist, wie aussichtslos es ist, wie kaputt sein Verhältnis zu Gott ist oder eigentlich nicht mehr existent, kommt plötzlich ein Gott, der mit seiner Güte versucht, Menschen zur Umkehr zu bringen.
Wie macht er das? Wo wird sichtbar die Güte, Geduld und Langmut Gottes? Nur darin, dass er wartet?
Wir wissen das besser, und ich glaube, viele wussten das besser. Paulus hat es schon angedeutet in Kapitel 1: Gott redet durch alles, was man sehen kann und was noch nicht kaputt ist von dem, was er gemacht hat. Gott redet durch das Alte Testament, und er hat Jahrhunderte gewartet, ob Menschen darauf reagieren.
Aber hier zu der Zeit und heute noch redet Gott durch das Evangelium. Das Evangelium ist der größte Ausdruck seiner Güte, Geduld und Langmut, mit der er versucht, Menschen zur Umkehr zu bringen. Er spricht Menschen an, gibt ihnen Hinweise und sagt: „Da gibt es einen Gott, und er möchte dich.“
Ich finde es so gewaltig, dass Gott nicht einfach einen Schlussstrich zieht, sondern sagt: „Ich habe einen Weg, ich bin immer noch geduldig und langmütig und versuche immer noch, mit Güte zu den Menschen zu reden, nicht nur in Katastrophen.“
Ich lasse nicht zwei Drittel der Welt untergehen, damit vielleicht das eine Drittel aufwacht, das übrig bleibt. Ich versuche immer noch, Menschen anzusprechen, vielleicht sogar durch die Frage: „Hast du einen Sinn in deinem Leben?“
Aber was haben wir bei den Juden gesehen? Ein höheres Vorrecht bringt eine höhere Verantwortung mit sich. Paulus spricht hier Menschen mit „du“ an, weil er überzeugt ist, dass sie diesen Brief lesen und in diesem Brief das Evangelium Gottes klarer hören als irgendwo sonst auf der Welt.
Er sagt: „Verachtest du den Reichtum seiner Geduld und Langmut und Güte? Weißt du nicht, dass die Güte Gottes dich zur Umkehr leitet?“
Wie gehst du mit dem um, was ich dir sage?
Vers 5: Nach deinem Starrsinn und deinem unbußfertigen Herzen häufst du dir selbst Zorn auf am Tag des Zorns und der Offenbarung des gerechten Gerichts Gottes.
Da ist ein Gott, der seinen Sohn geopfert und umbringen lassen hat. In Kapitel 1, Vers 18 haben wir gelesen, dass der Zorn Gottes offenbar wird über die Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit der Menschen.
Jetzt kommt Gott und sagt: „Ich möchte dich trotzdem, und ich weiß, dass du ein Verbrecher bist, aber ich bestrafe meinen Sohn für deine Verbrechen und biete dir meinen Himmel an.“
Paulus sagt: Was denkst du, wie der Zorn Gottes aussieht, wenn du das ignorierst?
In Kapitel 1, Vers 18 steht: „Der Zorn wird offenbar.“ In Kapitel 2, Vers 5 steht: „Du häufst dir Zorn auf nach deinem Starrsinn und deinem unbußfertigen Herzen.“ Das heißt, du hörst die Wahrheit, aber willst deinen Weg weitergehen, starrsinnig wie ein Maulesel, und willst nicht umkehren in deinem Herzen. So häufst du dir Zorn auf am Tag des Zorns, der Offenbarung des gerechten Gerichts Gottes.
Kapitel 1 beschreibt, wie der Zorn Gottes in dieser Zeit offenbar wird, indem Gott Menschen laufen lässt. Kapitel 2 beschreibt, wie der Zorn Gottes offenbar werden wird, wenn er richtet.
Er wird jedem vergelten nach seinen Werken: denen, die mit Ausharren im guten Werk Herrlichkeit, Ehre und Unvergänglichkeit suchen, ewiges Leben; denen aber, die streitsüchtig und der Wahrheit ungehorsam sind und der Ungerechtigkeit gehorsam, Zorn und Grimm.
Es ist interessant, in Vers 9 und 10 haben wir gesehen, wie einfach gute Werke und schlechte Werke abgewogen werden. Denkt noch einmal in den Hauskreisen darüber nach. Hier ist ein Aspekt enthalten, dass das Gericht danach ist, wie ich auf das Reden Gottes reagiere.
Es wirkt erst wie eine Wiederholung (Vers 7 und 8 und dann noch einmal Vers 9 und 10), aber es ist ein anderer Aspekt. Vers 9 und 10 wiegen einfach gute Werke gegen schlechte Werke ab. Vers 7 und 8 machen sehr deutlich, dass es diejenigen betrifft, die streitsüchtig und der Wahrheit ungehorsam sind. Das sind die, die die Wahrheit gehört haben – wie reagieren sie darauf?
Ich glaube, das ist ein ganz wesentlicher Punkt, und darüber dürft ihr noch ein bisschen nachdenken, zuhause mit den Arbeitsblättern und in den Hauskreisen.
Gott hat geredet, Gott zeigt sich, Gott redet, Gott ist gütig. Aber durch das Halten von Regeln, das richtige Etikett und durch moralische Vorstellungen wird kein Mensch gut genug, um zu Gott zu kommen.
Die Frage, die im Raum steht, ist: Bleibt der Himmel leer? Und Jesus ist die Antwort. Diese Antwort gibt es beim nächsten Mal.
