Welch ein Wort steht über diesem Tag? Der Segen, dein Segen, Herr, komme über dein Volk!
Dabei wollen wir bedenken, dass der Erzvater des Gottesvolkes, Abraham, die Zusage erhalten hat, nicht so sehr auf seine eigene Glaubwürdigkeit zu vertrauen, sondern darauf, dass er gesegnet sein soll und zum Segen werden soll. In ihm sollen alle Nationen der Welt gesegnet werden.
Der Reichtum dessen, was Gott uns schenken möchte, ist so gewaltig groß, dass er sich nicht nur auf das Volk Gottes beschränkt. Wie herrlich, dass wir Segnungen für uns in Anspruch nehmen dürfen! Doch sie reichen weit über das Volk Gottes hinaus – für alle Menschen.
Bevor wir über dieses Thema nachdenken, möchte ich mit uns beten und bitte euch aufzustehen.
Vater im Himmel, ganz herzlichen Dank dafür, dass du ein großzügiger Gott bist und bereit, uns mit deinem Segen zu beschenken. Wir danken dir, dass du ein Gott bist, der es gut meint mit uns, die wir zu deinem Volk gehören. Gleichzeitig hast du ein großes Anliegen für die, die noch draußen sind.
Danke, dass du Menschen liebst. Herr, wir beten jetzt herzlich darum, dass du uns durch dein Wort deinen Willen in Bezug auf sozialdiakonische Arbeit kundmachst. Wir wollen in dein Wort hineinschauen und uns von dir belehren lassen. Öffne unser Ohr dafür.
Wir beten, Herr, dass dies die Auswirkung hat, dass wir tätig werden und das, was du uns deutlich machst, auch wirklich in unseren Gemeinden und an den Orten, wo wir herkommen, umsetzen. Amen!
Wir schreiben den 29. Mai 1989, ein bedeutendes Jahr. Der junge Chinese Kim und sein Freund sind als Demonstranten auf dem Platz des Himmlischen Friedens, um gegen die kommunistische Regierung zu protestieren.
Sie hatten sich die Hände aufgeritzt und Blut herausgepresst, um damit ihre Botschaft auf weiße Binden zu schreiben, die sie auf dem Kopf trugen. Kim hatte auf seine Binde das Wort „Freiheit“ geschrieben. Sein Freund wählte das Wort „Demokratie“.
Sie stellten sich den Soldaten entgegen und blockierten zusammen mit anderen die Zufahrten, sodass die Fahrzeuge der Armee nicht auf den Platz rollen konnten.
Es ist Sommer und sehr heiß. Die Soldaten sind nach 24 Stunden im Dienst hungrig und durstig. Sie hatten weder etwas zu essen noch zu trinken bekommen.
Da sieht Kim eine ältere Frau, eine Professorin der Universität, wie sie zu den Soldaten hingeht und ihnen Brot und Wasser bringt. Er ist schockiert darüber.
Später, bei einer Gelegenheit, fragt er sie, warum sie das getan habe. Sie antwortete: „Die Soldaten wussten nicht, was sie taten, und ich sah es als meine Aufgabe an, die Studenten zu beschützen.“
Kim sagt heute: „Das war meine erste Erfahrung mit Christen. Sie war der bis dahin einzige an Jesus Christus glaubende Mensch, den ich traf. Bis dahin dachte ich, Christentum sei etwas Lächerliches, eine Religion der Ausländer. Aber jetzt dachte ich, das ist eine gutwillige Religion, und der christliche Gott muss ein freundlicher Gott sein.“
Drei Jahre später schloss Kim sein Studium an einer anderen Universität ab. Dort traf er wieder einen Christen, der ihn einlud, zusammen mit anderen das Johannesevangelium zu studieren. Kim war beeindruckt von diesem Freundeskreis und noch mehr von dem Jesus, dem er nun in der Schrift begegnete. Er kam zu der Erkenntnis: Jesus ist freundlich und Jesus ist klug.
Kim kam zum Glauben und ist heute wie eine gute Saat im Boden Chinas.
Die ältere Professorin hatte keine Ahnung davon, welche Bewegung ihr Dienst ausgelöst hatte. Eigentlich hatte sie kaum über mögliche Folgen ihres Handelns nachgedacht. Für sie war es einfach Gehorsam gegenüber dem großen Gebot: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“.
Als ich in diesem Jahr wieder einmal am mobilen Treffpunkt in Karlsruhe mit einigen Studenten über den Glauben an Jesus Christus diskutierte, weiß ich gar nicht mehr genau, was mich dazu veranlasst hat, aber es überkam mich. Ich sagte zu diesen beiden jungen Männern, mit denen ich da saß:
Ich habe manchmal ein schlechtes Gewissen, wenn ich hier am Bus sitze. Die Leute, die uns beobachten, könnten den Eindruck gewinnen, dass Christsein nur aus Worten besteht. Da sitzen wir von vormittags bis spät in den Nachmittag hinein, wir reden und reden. Nicht, dass ich mich meiner Worte schämen würde – ich will da, wo ich Gelegenheiten habe, das Evangelium von Jesus Christus mit meinen Worten bezeugen, ganz ohne Frage.
Das ist unser Auftrag, und davon lassen wir nicht ab. Aber ich frage mich, ob wir damit nicht nur eine Seite der Medaille polieren und die andere Seite tatsächlich in den vergangenen Jahrzehnten etwas matt geworden ist. Der Bruder unseres Herrn jedenfalls schärft es uns massiv ein: Der Glaube ohne Werke ist tot.
Christsein muss auch aus Taten bestehen, sonst glaubt man uns, den Glaubenden, nicht. Darum lasst Taten zu Wort kommen!
Lasst Taten zu Wort kommen – so ist dieses Thema zu verstehen und gemeint.
Ich möchte meine Ausführungen zu diesem Thema in zwei Bereiche einteilen. Zunächst möchte ich etwas zur Begründung von Sozialdiakonie aus der Bibel sagen. Der zweite Bereich betrifft die praktische Betätigung von Sozialdiakonie, zuerst in der Bibel, dann in der Praxis.
Die Begründung möchte ich anhand von drei Begriffen vornehmen. Diese drei Begriffe haben sich mir während der Vorbereitung besonders aufgedrängt. Ihre Bedeutung sollten wir einmal näher betrachten.
Es geht um die Begriffe Mission, Dienst und Liebe. Warum ich gerade den Begriff Mission für sehr wesentlich halte, werde ich noch begründen. Danach wollen wir über den Dienst sprechen und schließlich über die Liebe.
Zunächst einmal zum Thema Mission. Ich habe den Eindruck, dass die Begriffe Mission und Evangelisation häufig als austauschbar verwendet werden. Manche meinen, Mission beziehe sich auf unsere Tätigkeit im Ausland, Evangelisation hingegen auf unseren Dienst und das Zeugnis im Inland. Ich hingegen meine, dass Mission und Evangelisation nicht dasselbe sind, sondern dass Evangelisation Teil der Mission ist. Mission umfasst mehr als Evangelisation.
Der Begriff Mission stammt aus dem Lateinischen und bedeutet Sendung. Damit ist er durchaus ein biblischer Begriff, auch wenn er in der lateinischen Sprache bekannt geworden ist. Es geht hier um die Sendung zu einem besonderen Auftrag.
In Johannes 20 erscheint unser Herr nach der Auferstehung im Kreis der verängstigten Jünger und sagt zweimal „Friede euch“. Das ist zunächst kein ungewöhnlicher Gruß unter den Juden. Das „Shalom Aleichem“ ist die übliche Art, sich gegenseitig zu begrüßen. Aber warum sagte Jesus in diesem Kapitel zweimal „Friede euch“? Man hat den Eindruck, dass die zweite Portion sozusagen zum Weitergeben gedacht ist. Das zweite Mal, in Vers 21, spricht er wieder zu ihnen: „Friede euch! Wie der Vater mich ausgesandt hat, so sende ich auch euch.“
In diesem kurzen Satz finden wir vier wesentliche Aspekte, die für Mission gelten. Der erste ist, dass der Vater der Sendende ist. Mission ist Gottes Mission. Auch hier haben Theologen einen Begriff gefunden: „Missio Dei“ – Gottes Mission. Das Subjekt der Mission ist nicht in erster Linie die Kirche oder die Gemeinde, sondern Gott ist der Sendende.
Der Herr Jesus ist der Missionar, der Gesandte. Er kam, um den großen Auftrag der Erlösung in dieser Welt auszuführen. Gehorsam seinem Vater gegenüber kam er als der Gesandte zu uns. Tiefpunkt und Höhepunkt ist die Kreuzigung, bei der er uns die Erlösung erwarb.
Das dritte, was wir ableiten können, ist, dass jeder, der an ihn glaubt, von ihm gesandt ist. Das ist unserem Herrn so wichtig, dass er es gleich am Auferstehungstag mit aller Deutlichkeit zu seinen Jüngern sagt: „Nun sende ich auch euch.“
Das vierte, was ich ableiten möchte, ist, dass der Herr Jesus seine Sendung mit unserer vergleicht. Wenn wir einen solchen Gedanken anstellen, wären wir sicher bescheiden und zurückhaltend und würden es kaum wagen, eine solche Aussage zu machen oder einen solchen Vergleich zu treffen. Denn die Sendung unseres Herrn in dieser Welt war zunächst einmal, um Menschen zu erretten. Wie können wir das mit unserer Sendung vergleichen? Es war eine einmalige Mission, die unser Herr in dieser Welt vollbracht hat.
Und jetzt sagt er: „So wie der Vater mich gesandt hat, so sende ich auch euch.“ Der Apostel Paulus bestätigt das später im 2. Korintherbrief, wenn er in Bezug auf unseren missionarischen Dienst sagt: „Wir sind nun Gesandte an Christi Statt.“ Wir führen dieses Werk sozusagen fort.
Betrachten wir die Sendung, die Mission unseres Herrn, etwas genauer. Als Schlüsselvers des Markus-Evangeliums gilt bekanntlich Kapitel 10, Vers 45, wo es heißt: „Denn auch der Sohn des Menschen ist nicht gekommen, um bedient zu werden, sondern um zu dienen“ – Diakonesai. Hier kommt der Diakon vor. Jesus kam als ein Diakon in diese Welt, um Menschen zu dienen.
Damit haben wir also den Aspekt des Dienstes.
Das Kapitel 10 des Markus-Evangeliums beginnt mit der Feststellung: „Wieder kommen Volksmengen zu ihm oder bei ihm zusammen, wie er gewohnt war, lehrte er sie wieder.“ Hier sehen wir das, was natürlich zu dieser Mission dazugehört: die Verkündigung. Jesus lehrte die Menschen, er lehrte seine Jünger, aber auch die Volksmengen. Er lehrte sie, das Reich Gottes kennenzulernen und die Absicht Gottes mit dieser Welt zu verstehen.
Und dann haben wir – und diesen Punkt wollen wir nicht unterschlagen – den Abschluss von Markus 10, Vers 45. Denn die Aussage geht ja wesentlich weiter: „Der Sohn des Menschen ist nicht gekommen, um bedient zu werden, sondern um zu dienen und sein Leben zu geben als Lösegeld für viele.“
Hier haben wir es mit der Erlösung zu tun und damit auch mit dem letzten Ziel, dem eigentlichen Ziel der Mission Jesu. Dieses Ziel ist vorrangig. Es ist nicht einmalig und kann in keiner Weise komplettiert werden. Das wollen wir auch nicht, sondern es gilt, es zu verkündigen und anderen Menschen auf eine annehmbare Weise zugänglich zu machen.
Wenn den Jüngern also gesagt wird: „So wie der Vater mich gesandt hat, so sende ich auch euch“, dann kann die Erlösung unmöglich als das große, übergeordnete Ziel gemeint sein.
Für uns bleibt der Auftrag, die Botschaft zu predigen und Menschen zu dienen. Mission heißt verbale Verkündigung und sozial-diakonisches Handeln.
Um Letzteres geht es uns hier. Über Verkündigung können wir sicher bei anderer Gelegenheit sprechen. Es ist gut und wichtig, wenn wir über Evangelisation reden.
Den Schwerpunkt heute Vormittag legen wir aber auf den Aspekt des Dienstes. Wenn wir ganz bewusst zu Beginn auf unseren Herrn schauen, ihn also als den ersten Zeugen sehen, dann heißt Dienst konkret, dass der Herr Jesus etwa Hungernde sättigte. Das gehörte zu seinem Auftrag mit dazu. Er gab sich mit sozialen Randgruppen ab – lest einmal Matthäus 9,11 – und er nahm sich der Kranken und Behinderten an. Das tat er aus Liebe (siehe Matthäus 14 und viele andere Stellen).
Der Herr Jesus war sozial-diakonisch sehr aktiv.
An dieser Stelle möchte ich noch einmal betonen: Ich will in keiner Weise das Wort abwerten. Also: Wort oder Tat, das ist nicht die Frage. Wollte man beides gegeneinander ausspielen, so wäre das, als würde man fragen, welcher Flügel für einen Vogel der wichtigere sei – der linke oder der rechte. Der Vogel braucht selbstverständlich beide zum Fliegen.
Manchmal scheinen wir Schwierigkeiten damit zu haben, beide Flügel gleichzeitig zu gebrauchen.
Abschließend möchte ich zum Begriff Mission noch anmerken, dass dieser Begriff in der evangelischen Kirche in Deutschland zurzeit eine interessante Renaissance erlebt.
In einer der letzten Ausgaben von Ideaspektrum war die Überschrift zu lesen: „Vom Streitbegriff zum Leitbegriff.“ Vor zwanzig Jahren war Mission noch ein schmutziges Wort. Sicherlich ist auch viel Missbrauch mit diesem Wort betrieben worden.
Auch bei der Barmer Zeltmission haben wir irgendwann gesagt, dass das Schild über dem Eingang des Zeltes „Zeltmission“ ausgewechselt werden sollte. Natürlich sagt es mehr aus, wenn dort steht: „Kein Friede ohne Jesus Christus“ oder „Jetzt Leben ist mehr“. Mission war ein beschädigter Begriff.
Vor zehn Jahren gab es allerdings erstmals ein Ja durch die EKD-Synode in Leipzig. Jetzt scheint der Knoten geplatzt zu sein. In den zwanzigtausend evangelischen Kirchengemeinden in Deutschland beginnt gerade ein schlafender Riese zu erwachen.
Das nur am Rande. Ich möchte aber gleich auch noch einmal auf die diakonischen Bemühungen der evangelischen Kirche eingehen. Deshalb habe ich das an dieser Stelle erwähnt.
Zunächst wollen wir uns den zweiten Begriff anschauen, der uns beschäftigen soll: diakonische Arbeit. Damit meinen wir Dienst. Die Schrift sagt nirgendwo, dass wir allein deshalb errettet sind, um in den Himmel zu kommen – auch wenn das so ist. Was die Bibel an verschiedenen Stellen betont, ist, dass wir gerettet sind, um Gott zu dienen.
Ich möchte einige Belege dafür zeigen. Zum Beispiel sagt Zacharias, der Vater von Johannes dem Täufer, bereits in Lukas 1, dass wir aus der Hand unserer Feinde gerettet sind, um ohne Furcht Gott zu dienen – in Heiligkeit und Gerechtigkeit alle unsere Tage. Auch die Stelle aus 1. Thessalonicher 1 ist uns gut bekannt: Diejenigen, die sich von den Götzen abgewandt haben, tun dies, um dem lebendigen und wahren Gott zu dienen. Ebenso bestätigt der Hebräerbrief im neunten Kapitel, dass wir, gereinigt von toten Werken, dem lebendigen Gott dienen sollen.
Mit der Bekehrung ist ein Mensch zum Dienst berufen. Das bedeutet nicht, dass Gott seine Kinder in ein Arbeitslager steckt oder alles aus ihnen herauspressen will. Manche fürchten sich vielleicht vor der Bekehrung, weil sie denken, dann müssten sie nur noch schuften – wie die Schwaben oder so. Die Aufgaben, die Gott uns gibt, machen jedoch Sinn und erfüllen uns mit großer Zufriedenheit. Wir Menschen sind nicht zum Nichtstun geschaffen. Wenn wir eine sinnvolle Aufgabe sehen, dann erfüllt uns das.
„Arbeit ist der Freude Würze, vor dem Festkleid kommt die Schürze“, heißt es in einem Gedicht von Waltraud Putscher. Ole Hallesby schreibt in seinem Buch „Unsere Kraft wächst aus der Stille“ – ein empfehlenswertes Buch: „Wir können keine reinere und tiefere Freude erfahren als die, die uns erfüllt, wenn wir anderen dienen. Es sind nicht nur die frohen Gesichter und dankbaren Blicke der Menschen, denen wir geholfen haben, die unser Leben mit Reichtum und Freude erfüllen. Noch wichtiger ist, was in unseren Seelen geschieht. Dienen zu dürfen ist der natürlichste Ausdruck der Liebe. Darum übertrifft die Freude und tiefe Befriedigung des Dienstes alle anderen Freuden.“
Ich denke gerne an meinen Freund Jens, der schon ein paar Mal hier in Rehe bei Teenager-Freizeiten mitgearbeitet hat. Einmal, als wir nach Hause fuhren, sagte er, er fahre übermüdet, aber auch überglücklich nach Hause. Ich glaube, viele haben das so empfunden, die dem Herrn gedient haben, bis an ihre Grenzen gegangen sind und sich ausgepowert haben – und dennoch diesen tiefen inneren Frieden empfunden haben, dem Herrn gedient zu haben.
Das griechische Wort Diakonos stammt aus dem profanen Sprachgebrauch. Es ist kein rein theologischer Begriff und bedeutet zunächst einmal nicht in erster Linie, aber zunächst einmal den Boten. Damit sind Botschafter gemeint, die unterwegs sind, um eine Nachricht zu verbreiten. Wenn wir von Diakonos sprechen, können wir durchaus auch den Dienst am Wort meinen.
Ich habe vorhin erwähnt, dass der Apostel Paulus in 2. Korinther 5 sagt, dass wir Gesandte an Christi Statt sind. In den Versen zuvor spricht er vom Dienst der Versöhnung. Dieser Dienst der Versöhnung wird sicherlich verbal weitergegeben, insbesondere wenn wir bedenken, dass Paulus davon spricht, dass er ihnen ihre Übertretungen nicht zurechnete und in uns das Wort der Versöhnung legte. Dienst und Wort – einmal ist es der Dienst der Versöhnung, einmal das Wort der Versöhnung. Hier reden wir also schon auch vom Dienst am Wort.
Der Begriff Diakonos meint aber vor allem – das ist die primäre Bedeutung – den, der zu Tisch liegt. Ein Diakonos ist ein Sklave, und zwar einer, der den Mund zu halten hat und zu tun hat, was man ihm aufträgt. Das ist die vorrangige Bedeutung dieses Begriffs.
Die Diener, die bei der Hochzeit zu Kana in Johannes 2 erwähnt werden, haben während der gesamten Handlung nichts gesagt. Im Gegenteil, sie bekommen die Anordnung: „Was er euch sagen wird, das tut.“ Sie setzen sich in Bewegung, setzen es um, tun etwas.
Die offiziell in Apostelgeschichte 6 eingesetzten Diakone hatten den Auftrag, die Bedürftigen zu versorgen. Die Apostel wollten den Dienst am Wort, das Wort Gottes, nicht vernachlässigen, wie sie sagen. Die Witwen der Hellinisten waren der Anlass dafür. Sie haben ja nicht nur die Witwen versorgt, sondern waren auch der Grund, Diakone einzusetzen, die diesen Auftrag für die Gemeinde im Namen der Gemeinde umsetzen: Bedürftige zu versorgen. Das ging auch über die Gemeindegrenzen hinaus.
Wir sind sehr schnell dabei zu sagen, wir dienen Gott am Wort. Wenn ich vom Dienst spreche oder gefragt werde, was Dienst bedeutet, denken viele daran, sonntags auf der Kanzel zu stehen. Doch bei Dienst handelt es sich in erster Linie um Handlungen.
Das ist jetzt so ein Rundum-Argument: Es gibt im ganzen Neuen Testament kein Buch, kein Evangelium, keinen Brief, nicht die Offenbarung, das nicht ausdrücklich die guten Werke betont. Ich habe einige Beispiele einfach mal hier vorne an die Wand projiziert: Im Matthäusevangelium heißt es: „Euer Licht soll leuchten“ – das ist uns ja ein sehr bekannter Vers – „damit sie eure guten Werke sehen, nicht eure Worte hören, eure Werke sehen und euren Vater, der in den Himmeln ist, verherrlichen.“ Es gibt viele, viele andere Stellen.
Würden wir alle auflisten, würde das bei weitem den Rahmen sprengen. Aber es ist eine lohnende Bibelarbeit, die ich euch einfach mal empfehlen möchte: Geht das mal in euren Gremien, in Brüderstunden mit Diakonen in eurer Gemeinde oder auch mit der gesamten Gemeinde durch. Es lohnt sich, das mal ein wenig näher zu untersuchen.
Ich finde es spannend und bezeichnend, dass die Geschichte der Urgemeinde, wie wir sie in der Apostelgeschichte finden – im Griechischen heißt das „Taten der Apostel“, auf Englisch „Acts“ – nicht „Lehren der Apostel“ oder „Wahrheiten der Apostel“. Es sind die Taten der Apostel gewesen.
Jünger sollen an ihrer Liebe erkannt werden, wenn wir von Johannes 13,35 ausgehen, von dieser Begegnung der Jünger bei der Fußwaschung. Wenn man uns an der Liebe erkennt, dann an dem Tuch, das wir um unsere Hüften gebunden haben.
Die Apostel waren ausgebildet worden, dienende Leiter zu sein – das als Ergänzung zu dem gestrigen Thema. Sie sollten von unten her dienen, der Gemeinde dienen, aber auch Menschen allgemein. Du sollst ein Segen sein, auch für andere. Sie leiteten nicht nur, indem sie Gott dienten, sondern indem sie auch dem Nächsten dienten.
Das dritte Stichwort, zu dem ich etwas sagen möchte, ist das Stichwort Liebe. In Lukas 10 steht: Ein Gesetzesgelehrter stand auf, versuchte Jesus und fragte: „Lehrer, was muss ich tun, um ewiges Leben zu erben?“ Das ist wohl die wichtigste Frage, die ein Mensch stellen kann.
Die Motivation dahinter können wir nur vermuten. Wahrscheinlich war dieser Mann ein Spitzel des Hohen Rates, der Jesus bereits seit Kapitel 5 des Lukas-Evangeliums beschattet hatte. Jesus begegnete vielen Fragestellern, die in Wirklichkeit Fallensteller waren.
Jesus antwortet diesem Mann: „Das wolltest du doch eigentlich wissen, mein Freund. Du bist doch ein Schriftgelehrter. Was steht denn in der Schrift? Was liest du?“ Der Mann zitiert sofort auswendig: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen, deiner ganzen Seele, deiner ganzen Kraft und deinem ganzen Verstand und deinen Nächsten wie dich selbst“ (5. Mose 6,5; 3. Mose 19,18).
Das hatte er schon in der Sonntagsschule gelernt, in der Jungschar wiederholt, den biblischen Unterricht durchgenommen, im Teenkreis als Anspiel aufgeführt, in der Jugendgruppe besprochen, im Hauskreis erörtert und an der Bibelschule als Prüfungstext gehabt. Also war er wirklich drin in der Materie – bravo, gut aufgepasst!
Jesus sagt: „Richtige Antwort, Religion eins: Tu dies, und du wirst leben.“ An Wissen, zumindest der wichtigsten biblischen Aussagen, mangelt es uns normalerweise nicht. Dieser Mann konnte die gespeicherten Worte im richtigen Moment abrufen.
Aber allzu oft sind Gottes Worte nur Daten, die wir in unserem Kopf mit uns herumtragen. Ich bete, dass solche Wörter wie „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben“ und „deine Nächsten so wie dich selbst“ eine Seele bekommen. Dass sie anfangen zu atmen, sich zu bewegen, dass so ein Bibelspruch dich anschaut und herausfordert.
Liebe deine Nächsten! Liebe zeigt sich letztendlich im Opfer. Liebe hat mit Dienst zu tun. In Johannes 15 erklärt Jesus, was Liebe praktisch bedeutet. Er sagt: „Größere Liebe hat niemand als die, dass er sein Leben hingibt für seine Freunde.“ Liebe zeigt sich im Opfer.
Natürlich sprach Jesus hier von seinem eigenen Tod. Wir haben gesagt, das ist nicht wiederholbar. Sein Opfer ist der tiefste Ausdruck für Liebe in der Geschichte der Menschheit. Aber wenn wir das einmal vergleichen wollen: Die Gemeinde entstand aus einer Tat der Liebe und besteht weiterhin aus Taten der Liebe.
Jesus sagt: „So wie ich gesandt bin, so sende ich auch euch.“ Die Liebe ist so zentral für Gott und für die neutestamentliche Gemeinde, dass wir ohne sie keinen Anspruch darauf haben, uns überhaupt Jünger Jesu Christi nennen zu dürfen.
Einige der Nächsten dieses Gesetzeslehrers fand er abscheulich. Die Nächsten waren für ihn dumm, dreckig und nicht liebenswürdig. „Nächster“ konnte sich doch nicht auf solche Leute beziehen! Deshalb stellt er die Frage: „Wer ist mein Nächster?“
Jesus erzählt ihm daraufhin eine Räubergeschichte – so einfach, wie man sie im Kindergarten erzählt. Der Gesetzeslehrer hatte sich eigentlich auf eine theologische Diskussion eingestellt. Jesus erzählt: Ein Reisender wird zusammengeschlagen, ausgeraubt und halbtot am Straßenrand liegen gelassen.
Ein Priester eilt einfach vorbei, ohne anzuhalten. Ein Levit tut es ebenso. Schließlich kommt ein Samariter. Genau zu den Menschen, die der Gesetzeslehrer unerträglich fand und als Abschaum einstufte. Und genau so ein Mann hält an und hilft.
Dann fragt Jesus den Gesetzeslehrer: „Wir suchen doch eine Definition für den Begriff Nächster. Wer von diesen dreien ist deiner Meinung nach der Nächste von dem, der unter die Räuber fiel?“ Der Gelehrte antwortet: „Na ja, derjenige, der mit ihm barmherzig war.“
Jesus sagt: „Geh hin und handle ebenso. Geh hin und tu es.“ Liebe schreiben wir zwar groß, und das ist auch gut, weil es ein wichtiges Wort ist – natürlich ist es ein Hauptwort. Aber es ist auch ein Tun-Wort, in dem Sinne, dass es ein Imperativ ist: Tu es! Du sollst lieben, das ist ein Gebot Gottes.
Dieser Imperativ schließt diejenigen ein, die wir als nicht liebenswürdig ausschließen. Schließt die mit ein, an die wir als Letztes denken würden, wenn wir über Nächstenliebe und Dienst nachdenken.
Bis Mitte dieses Jahres eroberte sie, auf einen Stock gestützt, die Dresdner Neustadt: Sabine Ball. Mit vierundachtzig Jahren holte der Herr sie plötzlich am siebten Juli heim – sie, die man die Mutter Theresa von Dresden nannte.
Sabine Ball war bis zuletzt im hohen Alter Gefangenenseelsorgerin. Sie war eine Anlaufstelle für Kinder und Jugendliche, für die sonst niemand Zeit hatte. Regelmäßig sah man, wie sie sich unter eine Gruppe von Punkern mischte und einem jungen Mann mit Irokesenschnitt auf die Schulter klopfte.
Das, was diese Frau antrieb, war die Liebe, die sie selbst von ihrem Herrn empfangen hatte. Wenn wir diesen beiden Geboten gehorchen würden – Gott und den Nächsten zu lieben –, dann würde sich unsere Liebe darin ausdrücken, dass wir unserem Nächsten dienen. Wir würden nach Wegen suchen, wie wir Gutes tun können. Genau dadurch würde auch die Botschaft für die Welt unwiderstehlich werden.
Vielleicht leiden wir manchmal darunter, dass man uns das Wort nicht abnimmt. Manchmal geht es sogar so weit, dass wir uns Feinde machen durch die Verkündigung und Menschen empört sind. Doch mit unserem Dienst können wir uns Freunde machen – auch durch unser Geld, damit wir anderen dienen. „Macht euch Freunde“, so fordert unser Herr sogar auf.
Ich bin überzeugt davon, dass Menschen hören wollen, was Christen zu sagen haben, wenn sie diese als echte Jünger Jesu erlebt haben – die Liebe zeigen und nicht nur davon reden.
Und damit sind wir eigentlich schon mitten im zweiten Bereich. Wir wollen darüber sprechen, wie die Betätigung von Sozialdiakonie in der Praxis aussieht.
Eine ausgeprägte diakonische Gesinnung können wir bereits bei den Gründervätern der Brüderbewegung beobachten. Es gibt ja manche hier, die viel Wert auf Geschichte legen. Die Brüderbewegung in England und in Deutschland entstand in der Epoche der Industriellen Revolution. Dieser Begriff steht im Zusammenhang mit der Französischen Revolution. Es war eine Zeit rasanter Entwicklungen in Technologie, Produktivität und Wissenschaft. Unglaubliche Fortschritte wurden erzielt, doch die schmerzliche Folge dieser Zeit war die Verarmung breiter Volksschichten. Die sozialen Missstände waren enorm.
Dienst am Nächsten nahm Georg Müller in vorbildlicher Weise wahr. Er tat Gutes gerade den letzten Gliedern der Elendskette, nämlich den Kindern. Er ist als Waisenvater von Bristol weltweit bekannt geworden. Im Laufe seines Lebens sorgte er dafür, dass zehntausend Kinder und heranwachsende Jugendliche ein menschenwürdiges Dasein und auch eine Ausbildung erhielten. Sie bekamen eine Perspektive für ihr Leben.
Auf sein junges Glaubensleben zurückblickend, sagte Müller einmal: „Auch wenn ich noch sehr schwach und unwissend war, hatte ich doch durch die Gnade ein gewisses Verlangen danach, anderen Gutes zu tun.“ Er, der einst so treu Satan gedient hatte – man muss ein schlimmer junger Mann gewesen sein, wenn man seine Biografie liest – sagte: „Ich habe treu Satan gedient, jetzt versuchte ich, Menschen für Christus zu gewinnen.“
Auch Karl Brockhaus hatte schon in frühen Jahren einen Blick für die sozialen Nöte von Menschen, etwa derer, die durch die Ausbeutung der Fabrikarbeiter in Wuppertal entstanden waren. 1849 gründete er den Elberfelder Erziehungsverein, der sich um die Unterbringung und Erziehung von verwahrlosten Kindern kümmerte.
Als weitere sozialdiakonische Initiativen in der Brüdergeschichte seien die christlichen Wohnstätten Schmalkalden in Thüringen genannt. Seit 1873 werden dort bis heute Behinderte, Suchtkranke und alte Menschen betreut.
Im Zusammenhang mit Altenpflege erwähne ich nur die Seniorenwohnheime in Wuppertal-Ronsdorf, in Kriwitz oder in Burbach-Lützeln. Im Schwesternmutternhaus Persis wurde 1929 das Anliegen des Hauses so beschrieben: weibliche Personen zur Ausübung christlicher Liebestätigkeit heranzubilden. Dies sollte geschehen, sei es zur Krankenpflege, zur Pflege von Kindern, zur Betreuung von Alten und Gebrechlichen oder zur Ausübung von Diakonie und Fürsorgewesen.
Nun wollen wir uns nicht nur in der Vergangenheit aufhalten. Es ist zwar gut, gelegentlich einen Blick in die Geschichte zu werfen, doch in den Rückspiegel schaut man immer nur kurz. Man sollte also nicht ständig in den Rückspiegel schauen oder sogar den Kopf nach hinten drehen. Sonst fährt man irgendwann gegen den nächsten Baum.
Wir wollen nach vorne schauen und uns die Frage stellen: In welchen Bereichen können wir uns heute sozial engagieren? Welche neuen Wege können wir im Jahr 2019 und in den folgenden Jahren gehen, soweit Gott uns diese Zeit noch schenkt?
Lass mich an dieser Stelle zunächst eine Frage vorausschicken, die wir im theologischen Teil vorhin am Anfang ausgespart hatten, nämlich: Erfordert diakonische Arbeit eine besondere Gnadengabe? Laut Römer 12,7 ist die Antwort eindeutig ja. Dort heißt es, dass wir verschiedene Gnadengaben empfangen haben. Danach folgen die Worte „Dienst“ oder „Dienen im Dienst“ und erst danach der, der lehrt, in der Lehre.
Der Dienst wird unter der Überschrift „Gnadengaben“ eindeutig als solcher von Paulus genannt. Charles Ryrie schreibt in seinem Buch „Ausgewogen statt abgehoben“, dass drei Gaben wahrscheinlich alle Christen haben und gebrauchen könnten. Das ist ein interessanter Gedanke, der mir auch neu gewesen ist.
Diese drei Gaben könnten alle Christen haben und gebrauchen, wenn sie es wollten: dienen, geben und Barmherzigkeit. Damit bestreitet er nicht, dass es sich um eine Gnadengabe handelt, aber er vermutet, dass es Gaben sind, die alle Christen bekommen haben. Seine Begründung ist, dass ein geistlicher Christ solche Dinge tun muss.
Wir haben den Befehl, barmherzig zu sein, den Befehl zu lieben und den Befehl, anderen zu dienen. Darum ist diese geistliche Ausrüstung für jeden Christen nötig. Aber selbst wenn du sagen würdest: „Das ist nicht meine Gabe, ich beschränke mich auf den Dienst am Wort“, dann gehörst du zumindest einer Gemeinde an, in der diese Gabe vorhanden sein dürfte.
Und dann lohnt es sich, sich auf die Suche zu begeben nach Diakonen, die entsprechend mit der Hilfeleistung und diesen Gaben der Barmherzigkeit ausgestattet sind.
Ich möchte zunächst drei allgemeine Bereiche nennen, in denen wir uns engagieren können. Zuerst privat, dann innerhalb eines Berufes und schließlich selbstverständlich auch als Gemeinde oder als Gemeinden.
Wir können uns privat ganz persönlich engagieren und uns um unsere Nächsten kümmern, beispielsweise als Nachbarschaftshilfe. Das sind Hilfeleistungen, die nicht groß an die Glocke gehängt werden. Wenn man den Begriff Diakonie googelt, findet man auf landeskirchlichen Seiten viele Initiativen. Doch das, was wir im persönlichen Rahmen als Gotteskinder unserem Nächsten gegenüber tun, wird meist wenig thematisiert. Darum geht es uns auch gar nicht, denn diese Taten werden oft kaum wahrgenommen.
Am Dienstag, bei unserer Bibelstunde, wurde bekannt gegeben, dass jemand einen völlig durchnässten Obdachlosen aufgenommen hat. Nun wurden Schuhe in Größe 42 gesucht. Ich ging mit einem jungen Bruder zurück, und er sagte: „Ich habe ein paar Schuhe in Größe 42, die ziehe ich nie an. Ich gehe da jetzt gleich hin.“ Solche Kleinigkeiten setzen genau das um, was hier gemeint ist.
In Mettmann, bei dem Life is Mobus-Einsatz, bei dem ich in diesem Jahr dabei sein durfte, war ich bei einer Familie untergebracht. Diese nimmt jeden Tag in der Woche ein Kind bei sich auf, macht mit ihm zusammen Hausaufgaben, weil die Mutter arbeiten gehen muss. Es handelt sich um eine alleinerziehende Mutter. Dieses Mädchen erhält eine christliche Erziehung und wird mit dem Wort Gottes vertraut gemacht. Der Frau wird damit eine große Verantwortung abgenommen oder sie wird darin unterstützt, Geld verdienen zu können.
Bei unserem Sonntagabentreff in Dillenburg haben sich Jonathan, Sven und Benni vorgenommen, Nächstenliebe zu üben. Ihnen wurde deutlich, dass sie etwas für ihren Nächsten tun wollen, doch wie? Sie fuhren einfach mal nach Siegen. Dort angekommen, fragten sie sich erst einmal, was sie tun sollten. Sie stellten fest, dass sie nichts konnten, nichts hatten und nichts waren – das war schon mal gut. Eines hatten sie: zwei Euro. Sie beteten: „Herr, gebrauche uns.“ Nach dem Gebet blickte Jonathan auf und sah gegenüber die Schaufensterscheibe eines Bäckers. Dort standen zwanzig Brötchen für zwei Euro. Sie kauften die Brötchen und suchten nach Leuten, die sich darüber freuen würden.
So trafen sie unter anderem einen Landstreicher. Dieser bekam das Gebäck und ein Gespräch über Jesus – beides gratis. Mit Tränen in den Augen verabschiedete sich der Mann am Ende und sagte: „Ich denke an euch, wenn ich heute Abend mein Brötchen esse.“ Das ist eine einfache Geschichte und eine einfache Idee, so wie die meisten, die aus Liebe geboren sind.
Echte Glaubenserfahrungen im persönlichen, im privaten geistlichen Leben macht man weniger durch das Nachgrübeln über dogmatische Probleme. Wer Jesus Christus ist, erfährt man nach Matthäus 25 an den Gefangenen, an den Hungernden und an den verfolgten Brüdern. In ihnen will er uns begegnen.
Ein weiterer Bereich ist, dass wir innerhalb eines Berufes Gott und dem Nächsten dienen können. Ich nehme an, dass die meisten von euch beruflich festgelegt sind. Ich habe viel mit jungen Leuten zu tun. Dabei sage ich manchmal: Deine Berufung kann etwas mit deinem Beruf zu tun haben.
Viele Teenager, die wir hier auf unseren Freizeiten oder bei unserem Sonntagabend haben, überlegen, was sie einmal machen sollen. Meine Nichte schwankte lange zwischen Sängerin und Unfallärztin. Redest du manchmal mit den Jugendlichen deiner Gemeinde über solche Fragen, die ihnen auf den Nägeln brennen?
Frag doch mal einen von ihnen, was er darüber denkt, dass es viele alte Menschen gibt, die völlig vernachlässigt werden, weil es zu wenig Pflegepersonal gibt. Vielleicht sagt Gott zu dir: Ich brauche dich. Leg deine Berufspläne zum Altpapier und werde Altenpflegerin oder Altenpfleger. Gerade Jungs werden in diesem Bereich gebraucht. Sie müssen auch die Kraft aufbringen, mal so einen Rollstuhl zu schieben.
Viele Mädchen bewerben sich um solche sozial-diakonischen Berufe. Oder vielleicht ruft Gott sogar einen von euch, der heute Vormittag hier sitzt, einen, der schon einen Beruf hat, und sagt: Komm, sattel um. Du hast lange genug unterm Auto gelegen und dich mit Öl beschmiert. Das macht jetzt ein anderer. Ich habe etwas Neues für dich.
Im Alten Testament wurden für neue Aufgaben Menschen gesalbt. Auf das Öl müsstest du also nicht einmal verzichten. Wäre es nicht angebracht, wenn Stellen, an denen man mit Menschen arbeitet – Lehrer, Sozialarbeiter, Pflegeberufe – vorwiegend mit Christen besetzt wären?
Innerhalb eines Berufes können wir dienen. Und nun, das soll uns vor allem beschäftigen: Wir können sozial-diakonisch als Gemeinden dienen. Der diakonische Einsatz der Jerusalemer Gemeinde trug dazu bei, dass die Christen Anerkennung beim ganzen Volk fanden und Menschen zum Glauben an Jesus Christus kamen (Apostelgeschichte 2,47). Sie bekamen Anerkennung.
Falls heute Markus Stäbler vom Verein „Einer für alle“ in Görlitz noch zu Wort kommt, könnte er davon erzählen, dass man miteinander im Gespräch ist mit der Stadtverwaltung. So eine Initiative wird wahrgenommen und gesehen und führt auch zu einer gewissen Anerkennung.
Oder die Wuppertaler, wo Martin Homberg in diesem Jahr wiederum gefragt wurde: „Ihr habt doch schon mal so einen öffentlichen Gottesdienst gemacht, bei dem, ich weiß nicht, tausend Leute oder so gekommen sind. Wollt ihr das nicht in diesem Jahr wieder machen?“ Gefragt wurde von jemandem aus der Stadtverwaltung, der gar nicht gläubig ist und nicht das Evangelium predigen wollte.
Weil man sieht, dass das Leute sind, die sich um Randgruppen kümmern, sich mit ehemaligen Drogenabhängigen abgeben und selbstlos der Stadt, den Menschen dieser Stadt dienen. Da ist eine gewisse Anerkennung zustande gekommen.
Wir haben vorhin gesagt, als wir über die privaten Initiativen gesprochen haben: Wir tun das nicht, damit groß darüber geredet wird. Es geht auch nicht darum, dass wir geehrt werden. Aber ich lese in der Apostelgeschichte, dass die ersten Christen Anerkennung fanden. Und wir wollen gehört werden. Wir werden dann gehört, wenn wir dienen.
Interessanterweise wurde die Straße, in der die CWS Schmalkalden untergebracht ist, nach ihrem Gründer Johannes Saal benannt. Das ist irgendwie auch ein Zeichen dafür, dass in diesem Ort eine Anerkennung stattgefunden hat.
Die Jerusalemer Gemeinde hat gedient. In enger Beziehung zu ihrer Ortsgemeinde stehen solche Arbeiten, wie ich es erwähnt habe: die gefährdeten Hilfekurse im Wuppertal, der Verein „Einer für alle“ in Görlitz oder auch in Basbek der „Hattu“. Das sind Initiativen, bei denen sich Menschen um andere kümmern. Diese Arbeiten haben jeweils überaus belebende Auswirkungen auf die Gemeinden.
Aufgrund meiner Beobachtungen, da ich auch ein bisschen herumkomme, stelle ich fest: Diakonisch aktive Gemeinden sind wachsende Gemeinden. Das möchte ich uneingeschränkt sagen. Auch in Neunkirchen ist das so. Dort gab es eine Gemeinde, auf die man eigentlich, ich sage es mal unter uns, keinen Pfifferling mehr gegeben hätte. Sie war überaltert, viele junge Leute waren weggegangen.
Die Geschwister dort haben vor zwei Jahren angefangen, sich im Verein „Neunkirchener Tafel“ zu engagieren. Mittlerweile versorgen sie zweimal wöchentlich zweihundert Bedürftige, darunter siebzig Kinder, mit Nahrung, Kleidung, Pflegemitteln und Evangelium.
Vor fünf oder sechs Wochen war ich zu einem Dienst dort. Anschließend saß ich bei meinem Onkel Manfred Wesch und Karin, seiner Frau, mit Rudi Stolz und Gattin sowie Jürgen Osenberg am Mittagstisch zusammen. Das Gespräch drehte sich die ganze Zeit um nichts anderes als um die Tafel. Es war eine reine Freude zuzuhören. Ich war völlig außen vor, sie redeten über diese Menschen.
Es ist schön zu sehen, wie diese Geschwister durch diesen Dienst eine echte geistliche Belebung erfahren haben. Viele dieser Menschen kommen zu ihren Gottesdiensten, und es kommen Menschen zum Glauben in dieser Gemeinde, weil man plötzlich diesen Aspekt noch in den Blick bekommen hat, den wir so lange aus den Augen verloren hatten.
Liebe sollte auch bewirken, dass wir den Ort, die Region, in die Gott uns jeweils als Gemeinde gestellt hat, mit offenen Augen sehen. Diese Beobachtung: Wenn wir schauen, wo wir etwas tun können, mag nicht an jedem Ort zeigen, dass Armenspeisung oder Migrantenhilfe angesagt ist.
Ich kann euch jetzt hier nicht einfach fünf Punkte nennen, aus denen ihr etwas auswählen und umsetzen könnt. Vielleicht sind es einfach Besuchsdienste, die ihr machen könnt, weil es viele einsame Menschen in eurer Region gibt. Vielleicht eine Familienhilfe, wie ich es von der Familie Mettmann erzählt habe. Vielleicht häusliche Krankenpflege oder Randgruppenarbeit.
Es gibt wohl an die sieben Milliarden Wege, Güte zu vermehren, weil es so viele Menschen gibt – sieben Milliarden. Dabei ist ein bisschen unsere Kreativität gefragt. Deshalb möchte ich ganz bewusst nicht sagen: „Jetzt schaut mal, oder wir könnten natürlich einige Leute auf die Bühne holen, erzählt mal von euch, und dann könntet ihr versuchen, das bei euch umzusetzen.“
Liebe heißt auch, dass wir kreativ werden und eigene Ideen entwickeln. Ich wünsche mir so sehr, dass ihr in euren Brüderstunden mal diese vielen kleinkarierten Themen von der Tagesordnung räumt. Ihr habt ja schon Brüderstunden miterlebt, und ich habe von Brüderstunden gehört, bei denen man sich manchmal fragt: Worüber reden die eigentlich?
Überlegt doch einmal, was ihr als Gemeinde für das Gemeinwohl tun könnt. Das sind wichtige Themen. Das ist der vorrangige Auftrag der Mission, die in Jesus Christus angefangen hat. Das ist unser Auftrag: dass wir diese Dinge mal zumindest hinten anstellen. Dann stellt sie hinten an, aber tut das, was Jesus sagt.
Meine Befürchtung bei diesem Thema ist auch ein wenig, dass wir jetzt wieder anfangen, Seminare zu veranstalten oder Bücher zu diesem Thema zu lesen. Tut es einfach, um Himmels Willen! Denkt darüber nach und macht es nicht so kompliziert. Fangt privat an oder überlegt, was ihr als Gemeinde tun könnt, wie ihr eure Räume nutzen könnt, um Menschen Obdach zu bieten – und tut es.
Natürlich sprechen wir über Mission im Sinne von Evangelisation. Die Brüderbewegung war immer eine evangelistisch aktive Bewegung, und ich bin sehr dankbar, da zu Hause zu sein. Aber Mission ist mehr als alle zwei Jahre jemanden einzuladen, der eine fünftägige Vortragsreihe hält. Ohne Tat ist Evangelisation herzlose Propaganda.
Und dann sagt keiner, es mangele an Gelegenheiten. "Wer ist mein Nächster?" – das war die Ausrede dieses Gesetzesgelehrten. Viele Menschen sitzen im Wohnzimmer ihres Lebens wie im Wartezimmer. Sie beurteilen jeden, der hereinkommt, und warten darauf, dass vielleicht jemand hereinkommt, der ihr Nächster sein könnte. Es gibt aber reichlich Gelegenheiten.
Im Blick auf unsere gegenwärtige Situation, in der wir uns befinden – in unserer Gesellschaft, in unserem Land – möchte ich zwei Stichworte nennen. Wie gesagt, das sind keine Lösungen, die ich hier nenne, ganz bewusst nicht. Aber ich möchte etwas sagen zur Kinderarmut in Deutschland.
Außerdem möchte ich kurz ins Bewusstsein rufen, dass es viele alte Menschen gibt, besonders in den neuen Bundesländern. Diese älteren Menschen sollten wir im Blick haben.
Reden wir kurz über Kinderarmut. In Deutschland gibt es für Armut zwei Hauptursachen: Erstens Arbeitslosigkeit und zweitens viele Kinder. Von Armut betroffen sind Familien oder Alleinerziehende, die Arbeit und Kinder nicht unter einen Hut bringen können.
Auch wenn die Eltern eine Arbeit haben, ist oft nicht genügend Geld vorhanden. Das Einkommen der ärmsten Deutschen ist seit den Neunzigerjahren um dreizehn Prozent gesunken. In den vergangenen gut zehn Jahren ist es ebenfalls um 13 Prozent gesunken. Das bedeutet, dass auch Nicht-Hartz-IV-Empfänger sehr schlimm dastehen können – unter uns, in deinem Ort.
Die Wirtschaftskrise zeigt, dass die Ursache der Armut auch globaler Natur sein kann. Länder wie China und Indien drängen immer mehr auf den Markt der Weltwirtschaft und bringen damit auch immer mehr gering qualifizierte Arbeiter hervor. Das Angebot an Arbeitsplätzen kann die entsprechende Nachfrage nicht mehr befriedigen. Alle Prognosen sagen das voraus: Arbeit wird immer knapper, die Arbeitslosigkeit wird steigen.
Man möchte in der Politik und anderswo nicht zu pessimistisch sein, aber ein bisschen realistisch sollte man schon sein. Armut breitet sich immer mehr aus, und darauf sollten wir eingestellt sein. Das ist ein Problem, das nicht nur die Kinder betrifft, sondern auch die alten Menschen in unserer Gesellschaft.
Wenn die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen, droht die Opakalypse, wie sich Markus Spieker in seinem Buch Mehrwert ausdrückt. Die Opakalypse bedeutet, dass Wohnsilos von Millionen alter, armer Menschen bevölkert sein werden, die sich nicht mehr in die Gesellschaft einbringen können. Sie haben kaum das Geld für warme Mahlzeiten, geschweige denn für neue Hüftgelenke.
Und da trifft es sich doch gut, liebe Brüder, dass Christen ohnehin mehr in Suppenküchen in ihrem Element sein sollten als in Kongresszentren oder Ballsälen. Wir haben einen klaren Auftrag, und es gibt einen klaren Bedarf. Was...
Was hält uns eigentlich vom sozialdiakonischen Dienst ab? Darüber sollten wir noch einmal nachdenken, besonders wenn Andreas sagte, dass in der Geschichte der Kirche Spuren der Liebe hinterlassen wurden. Warum ist davon in vielen unserer Versammlungen so wenig zu spüren?
Mir sind fünf Faktoren aufgefallen. Zwei davon hängen mit der deutschen Geschichte zusammen, drei weitere haben mit unserer Herzenshaltung zu tun.
Historisch gesehen sind Christen immer dem Weg Jesu gefolgt. Sie haben die Botschaft der Liebe nicht nur engagiert verkündet, sondern auch in ihrem sozialen Handeln demonstriert. Diesen ersten Bereich hat Andreas vorhin schon angedeutet. Von der Antike bis ins Mittelalter wurden zahlreiche diakonische Dienste von der Kirche getragen. Dazu gehörten die Gründung und Führung von Hospizen, Armenhäusern und Waisenheimen.
Mit der industriellen Revolution, die wir vorhin angesprochen haben, ergab sich plötzlich die soziale Frage. Die genannten Probleme traten auf, man stand vor ihnen und begann zumindest zu versuchen, die akute Not zu lindern und die Ursachen zu bekämpfen. Dieses Engagement weitete sich immer mehr aus, sodass wir heute von einem Sozialstaat sprechen können.
Ich werte die sozialen Hilfen keineswegs ab, stelle aber fest, dass ehrenamtliches Engagement seit der Zeit von Karl Brockhaus mit den Angeboten des Sozialstaates deutlich zurückgegangen ist. Soziales Engagement – wer macht das heute noch?
Kann die Gemeinde Jesu den diakonischen Auftrag ganz an staatliche Institutionen delegieren? Niemals! Denn damit würden wir ausdrücken, dass alles, was der Mensch zum Leben braucht – ein Obdach, Kleidung und Nahrung – ist. Das Wichtigste, nämlich das Angebot der Errettung durch Jesus Christus, können notleidende Menschen von professionellen staatlichen Institutionen nicht erwarten. Wir sind als Gotteskinder tätig gefragt. Daran führt kein Weg vorbei.
Doch der Sozialstaat ist nicht der einzige Grund, warum wir entscheidend wichtige Aufgaben anderen überlassen haben. Ein weiterer interessanter Punkt ist die liberale Theologie.
Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts, nach dem Übergang vom achtzehnten zum neunzehnten Jahrhundert und der industriellen Revolution, gab es noch einmal einen besonderen Einschnitt. Viele Gemeinden verloren ihr soziales Gewissen. Dies lag an einer Gegenbewegung zum theologischen Liberalismus. Das biblische Konzept von Schuld und Erlösung wurde plötzlich als vernachlässigbar eingestuft. Die Bibel wurde entwertet und reduziert. Die Bedeutung von sozialem Handeln wurde dafür stark von der Kirche hervorgehoben.
Ich wage zu behaupten, dass viele bibeltreue Christen nicht nur einen Teil des theologischen Liberalismus ablehnten – nämlich die Entwertung der Bibel – sondern alle seine Einsichten ablehnten, und damit auch das soziale Handeln. Hier besteht eine Gefahr. Es entsteht ein Feindbild, obwohl in allem irgendwo etwas Wahres steckt – gerade wenn es um Theologie geht.
Es wäre besser gewesen, nicht das Kind mit dem Bade auszuschütten, also das Kind des sozialen Handelns nicht mit dem Bade der Bibelkritik.
Nebenbei bemerkt gefällt mir ausgesprochen gut, was man in der Präambel der Satzung des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche formuliert hat – und zwar schon lange vor der EKD-Synode in Leipzig, von der wir sprachen, bei der Mission plötzlich ganz anders eingestuft wurde.
Dort heißt es: Die Kirche hat den Auftrag, Gottes Liebe zur Welt in Jesus Christus allen Menschen zu bezeugen. Amen! Diakonie ist eine Gestalt dieses Zeugnisses und nimmt sich besonders der Menschen in leiblicher Not, in seelischer Bedrängnis und sozial ungerechten Verhältnissen an.
„Da die Entfremdung von Gott die tiefste Not des Menschen ist“, sagt die Evangelische Kirche in Deutschland. Und Heil und Wohl gehören untrennbar zusammen. Das ist vielleicht das Einzige, woran ich ein kleines Fragezeichen setzen würde – ob Heil und Wohl tatsächlich untrennbar zusammengehören. Aber das ist nur eine Nebenbemerkung.
Diakonie vollzieht sich in Wort und Tat als ganzheitlicher Dienst am Menschen. Das kann man inhaltlich zu großen Teilen oder insgesamt bejahen. Und wenn wir meinen, dieses Anliegen optimieren zu können, dann lasst es uns tun.
Die drei anderen Steine, die aus dem Weg geräumt werden müssen, haben mit unserem alten Adam zu tun, mit unserer Herzenshaltung. Ich glaube, es liegt zum Teil auch einfach an unserer reservierten Haltung gegenüber Menschen. Nächstenliebe, so meinen wir vielleicht, beziehe sich allenfalls auf unsere Glaubensgeschwister.
Galater 6,10 sagt: Lasst uns nun allen gegenüber das Gute wirken, am meisten aber gegenüber den Hausgenossen des Glaubens. Liebe Geschwister, hier steht „am meisten aber“ nicht ausschließlich den Hausgenossen des Glaubens gegenüber. Zuvor heißt es: „Lasst uns allen gegenüber das Gute wirken.“ Hier wird also gerade gesagt, dass dieses Argument nicht greift.
Manche sagen, Gläubige hätten mit Ungläubigen nicht genug gemeinsam, um wirklich Freunde sein zu können. Diese Denkweise leugnet das größte Gebot und raubt der Gemeinde die Kraft, die sie braucht, um ihrer Berufung nachzukommen, in die Welt zu gehen. Wir reden uns heraus.
Das nächste Problem an dieser Stelle ist unsere Gleichgültigkeit. Ich sehe die Gefahr, dass uns das, was sich hinter den Kulissen abspielt, gar nicht interessiert: das Leid in der Welt, den vielen Schmerz von Verfolgten, Hinterbliebenen und Armen, ebenso wie von Kranken, Sterbenden und Behinderten. Sie leben hinter den Kulissen, ohne Lobby.
Manchmal werden sie vereinzelt zu Repräsentationszwecken kurz auf die Bühne geholt, dürfen sich artig verbeugen und nach einer gelungenen Vorstellung geräuschlos wieder abtreten. Wir entrichten vielleicht noch einen Obolus, feiern uns dafür ein bisschen, und danach verhalten wir uns wieder genauso wie vorher.
Was wir nicht sehen wollen, das sehen wir nicht. Was wir nicht wissen wollen, das wissen wir nicht. Ab sofort sage ich: Ich will es wissen, ich will es wissen! Mein aufrichtiger Wunsch – nehmt mir das bitte ab – mein Gebet ist, dass wir diese eingefahrenen Gleise verlassen. Dass wirklich eine neue Bewegung in unseren Versammlungen aufkommt und wir plötzlich bekannt werden als Menschen der Liebe.
Dass wir nicht nur die eigenen Ansprüche sehen, auch als Gemeinden nicht nur die eigenen Ansprüche, und damit Teil einer kalten, entfremdeten und lieblosen Gesellschaft sind.
Gibt es bei euch in der Straße, wo du wohnst oder wo eure Gemeinde ist, eine Familie, die den Anforderungen des Lebens nicht mehr gewachsen ist, die auf der Strecke geblieben ist? Das erkennst du am leeren Blick oder am verwahrlosten Haus, in dem sie wohnen. An dem Menschen, der mit dem Trinken angefangen hat und bei dem der Absturz vorprogrammiert ist.
Sieh hin und sieh nicht einfach nur zu! Hör in die Nacht hinein, ob da jemand schreit oder wimmert.
Lasst mich auch etwas über Geiz sagen. Das sind ein paar unangenehme Punkte, aber ich glaube, sie müssen genannt werden.
Apostel Paulus stellt eine Verbindung zwischen Geld und Liebe her. 1. Johannes 3 sagt: Wer aber irdischen Besitz hat und sieht, dass sein Bruder Mangel leidet, und verschließt sein Herz vor ihm, wie bleibt die Liebe Gottes in ihm?
Das Neue Testament behandelt das Thema des Gebens ausführlich und unverblümt, und zwar an vielen Stellen. Es gibt Gebote, praktische Vorschläge, Warnungen, Beispiele und Aufforderungen, die diesen wichtigen Dienst des Gebens betonen.
Wenn wir solche Abschnitte in der Bibel lesen, denken wir oft an jemanden mit höherem Einkommen und ziehen für ihn solche Lehren daraus. Dabei vergessen wir, dass es auch Menschen gibt, die weniger Einkommen haben als wir und die bei der Anwendung solcher Lehren an uns denken.
Ich glaube, wir haben genug. Wenn wir geben, tut es uns nicht so weh, wie es denen wehtut, die es wirklich brauchen, wenn wir nichts geben.
Nochmal: Mit unseren Worten machen wir uns vielleicht manchmal Feinde, aber es nützt nichts. Wir müssen die Wahrheit sagen. Die tut manchmal weh, aber mit unserem Geld können wir uns Freunde machen.
In diesen Tagen fiel im Blick auf dieses Thema die Aussage: Diakonie als Türöffner. Ich glaube, das stimmt. Mit der Liebe können wir die Tür für das Evangelium öffnen.
Aber solange wir uns von Gott nicht von Geiz, Egoismus und Lieblosigkeit befreien lassen, bleibt unser Glaube nur ein Lippenbekenntnis. Wir klappern wie Mühlen, ohne Mehl zu produzieren.
Nachdem wir das alles gesehen und vielleicht auch eingesehen haben, möchte ich am Ende noch auf eine Gefahr hinweisen.
Lassen Sie mich bitte noch etwas über die Motivation unserer guten Werke sagen. Wir müssen aufpassen, dass wir keine eigennützigen Beweggründe haben, die uns hier antreiben. Dostojewski erzählte die Geschichte einer Frau, die starb und in die Hölle kam. Aufgebracht darüber, dass das für sie die Endstation sein sollte, forderte sie den Himmel heraus, ihr einen Grund zu nennen, warum sie nicht dort oben im Himmel sei.
Als Petrus ihr Geschrei über die vermeintliche Ungerechtigkeit hörte, sprach er sie an und sagte: Nenne du mir einen Grund, warum du im Himmel sein solltest. Sie hielt inne, überlegte gründlich und sagte dann: Einmal habe ich einem Bettler eine Karotte gegeben. Petrus sah in seinem Buch nach und stellte fest, dass das tatsächlich stimmte. Es war zwar eine ziemlich magere, alte Karotte, aber die hatte sie einem Bettler gegeben.
Petrus sagte ihr, sie sollten einen Moment warten, sie würden ihr raufhelfen. Dann nahm er eine lange Schnur, band eine Karotte ans Ende und ließ sie in die Hölle, damit sie sich daran festhalten könne. Sie klammerte sich daran, und man fing an, sie daran hochzuziehen. Andere in der Hölle sahen, wie sie allmählich aus ihrer Mitte verschwand. Dann hielten sie sich an ihren Knöcheln fest, um auch mitzukommen.
Als immer mehr von ihnen sich an sie klammerten, fing die Schnur an nachzugeben. Sie schrie aus Leibeskräften: Lasst mich los, das ist meine Karotte, nicht eure! Kaum hatte sie das gesagt, brach die Karotte. Selbst die besten Taten können eigennützig sein.
Wir alle brauchen die Gnade Gottes, um in seine Gegenwart einzutreten – nicht aus Werken, darum geht es hier nicht. Nicht aus Werken, damit niemand sich rühme.
Was meinst du, Herr Gesetzeslehrer, wer von diesen dreien der Nächste dessen gewesen ist, der unter die Räuber gefallen ist? Er aber sprach: Der Barmherzigkeit an ihm übte. Jesus sprach zu ihm: Rechne so, geh hin und handle ebenso.
Der Gelehrte wollte wissen: Wer ist mein Nächster? Vordergründig könnte man ja meinen, der Nächste sei so ein armer Kerl am Wegesrand. Wer ist mein Nächster? Dann schauen wir jetzt, wo kann also irgendwo jemand sein. Aber das stimmt ja gar nicht. Daher fragt Jesus: Wer von diesen dreien war der Nächste? Das heißt, dieser arme Kerl am Wegesrand steht gar nicht zur Debatte.
„Von diesen dreien“ – damit sind der Priester, der Levit und der Samariter gemeint. Wer von diesen dreien ist der Nächste? Mit dieser Geschichte drehte Jesus auf einmal den Spieß herum. Dann reißt er die Tür zum Wartezimmer deines Lebens auf und sagt: „Der Nächste bitte! Der ist nicht irgendwo draußen, der Nächste, das bist du.“
Damit meint er dich und erwartet, dass du aufstehst, dass du losgehst und dass du handelst.
Liebe Brüder, ich würde euch einfach gern mal fragen: Wem ist das heute Morgen irgendwie bewusst geworden, dass wir hier ein Feld lange Zeit vernachlässigt haben? Und wer hat sich in seinem Herzen vorgenommen, hier muss etwas unternommen werden – ob ich es persönlich mache oder ob ich Brüder in meiner Versammlung finde, Brüder und Schwestern, Jugendgruppen, die hier mitmachen, sodass wir da einen neuen Blick bekommen?
Bekennt das doch einfach mal durch ein Handzeichen. Ich meine, dass wir mal Dinge auch festmachen müssten. Wenn ihr das gesehen habt, lasst ruhig oben die Hände sehen, die sich schon mal getraut haben. Wer sieht das als einen echten Bedarf? Bekennt euch doch einfach mal zu so einer Sache, dass wir sagen: Hier müssen wir einen neuen Blick bekommen, hier muss etwas passieren, und wir möchten etwas tun.
Ja, ich sehe, es fällt ein bisschen schwer, aber einige haben den Mut, und andere haben sich innerlich gemeldet, vielleicht oder so. Mir ist wichtig, dass wir uns nicht wieder nur einen weiteren Vortrag anhören oder irgendwie zustimmen: „Eigentlich hat er Recht, eigentlich hat er Recht.“ Hier geht es darum: Geh hin und handle ebenso, so sagt unser Herr.
Ich würde gerne dabei sein, wenn die ältere chinesische Dame vor Gott tritt und erkennt, wie Gott die Wirkung ihrer Tat vervielfacht hat. Dabei hat sie nur einigen Soldaten etwas Brot und Wasser gegeben.