
Es geht um Georg Müller, den Mann, der Gott vertraute. Dazu möchte ich zwei Bibelverse lesen.
Der erste Vers stammt aus Hebräer 13,7: „Gedenkt eurer Führer, die euch das Wort Gottes verkündigt haben, und betrachtet den Ausgang ihres Wandels, und ahmt ihren Glauben nach.“
Ein zweiter Vers kommt aus dem Philipperbrief. Dort sagt der Apostel Paulus in Kapitel 3, Vers 17: „Seid zusammen meine Nachahmer, Brüder, und seht auf die, welche also wandeln, wie ihr uns zum Vorbild habt. Denn viele wandeln, von denen ich euch oft gesagt habe, nun aber auch mit Weinen sage, dass sie Feinde des Kreuzes Christi sind.“
Warum liebe ich Biografien oder Lebensbilder? Zum einen, weil die Bibel voller Lebensbilder ist. Im ersten Buch Mose finden wir ganz ausführliche Lebensbilder. Auch das Buch der Richter enthält viele Lebensbilder, ebenso das Buch Ruth, die Bücher Samuel, Könige und Chronik. Einige Propheten, wie Jona, geben ebenfalls Lebensbilder wieder.
Im Neuen Testament sind es vor allem die Evangelien, die das große Lebensbild unseres Herrn Jesus Christus zeigen. Dieses wird uns sogar viermal vorgestellt.
So meine ich, haben wir einen guten Grund, uns mit den Lebensbildern der Bibel und auch der Kirchengeschichte zu befassen. Zumal wir auch aufgefordert werden, unserer Führer zu gedenken und solche zum Vorbild zu nehmen, wie es der Apostel Paulus beschreibt, die dementsprechend wandeln.
Nun, was ist der Wert von Lebensbildern, sowohl biblischen als auch solchen aus der Kirchengeschichte? Ich denke, sie sind ein Ansporn und eine Herausforderung.
Am 11. September, einem viel zitierten Datum, saß ich mit William McDonald in Bad Reichenhall zusammen. Nachmittags, so ab 15 Uhr, kamen laufend Anrufe, die von den Ereignissen in Manhattan, New York, berichteten. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich gerade ein Interview mit ihm. Ich fragte ihn: Welche Bücher haben dich in der Bibel am meisten geprägt? Ganz spontan antwortete er: Biografien, zum Beispiel die Biografie über Charles Studd und die Biografie von Hudson Taylor.
Auf die Frage, welche Bücher er jungen Christen am meisten empfehlen würde, nannte er einige Bibelauslegungen, aber vor allem Biografien. Ich denke, das ist auch für uns ein wichtiger Ansporn.
Ich höre immer wieder, wenn ich Biografien liebe, Aussagen wie: „Ach, wenn man Biografien liest, bekommt man Depressionen. Wir sind ja ganz anders“ und Ähnliches. Das kann ich nicht verstehen. Für mich sind Biografien immer eine große Herausforderung, aber natürlich auch eine Korrektur und ein Maßstab.
Ich zitiere gerne diesen schönen Satz von Gottfried Daniel Krumacher aus dem 19. Jahrhundert, einem Prediger aus Wuppertal. Er sagte einmal: „Es fliegen heute keine Adler mehr durch den Kirchenhimmel, und deswegen mangelt es dem kleineren Geflügel an einem Maßstab für ihre Größe.“ Ist das nicht gut?
Das finden wir heute besonders in der charismatischen Bewegung. Leider beschäftigen sich wenige mit den Lebensbildern aus der Bibel und der Kirchengeschichte. Viele glauben tatsächlich, dass wir jetzt in der größten Erweckungsbewegung der Weltgeschichte leben. Das kann man aber nur glauben, wenn man die Kirchengeschichte nicht kennt und wenn man Lebensbilder nie studiert hat.
Wenn heute Kreismatiker, aber auch Bill Bright von den Evangelikalen und anderen so etwas behaupten, verweisen sie oft noch auf Whitefield oder auf Jonathan Edwards. Sie berufen sich auf diese Persönlichkeiten und meinen, die Phänomene, die damals oder heute in Toronto zu sehen sind, wären auch schon damals zu beobachten gewesen. Diese hätten die Erweckung im 18. Jahrhundert begleitet. Das ist jedoch ein ganz fataler Irrtum.
Deswegen bin ich froh, bei dieser Gelegenheit gleich das erste Buch kurz vorstellen zu können. Es stammt von Benedikt Peters, einem hier bekannten und beliebten Redner. Er beschäftigt sich mit dem Geist der Erweckung, der großen Erweckung und der charismatischen Bewegung.
In seinem Buch untersucht er, wie Whitfield und Edwards damals das Evangelium gepredigt haben. Er zeigt auf, welche Inhalte vermittelt wurden und wie Gott das klar verkündigte Wort des Evangeliums einfach bestätigt hat. Dabei kamen viele Menschen zum Glauben – und das ganz ohne den Einsatz von Stilmitteln, Motivationen, Gesängen oder Ähnlichem. Es geschah allein durch das gepredigte Wort Gottes.
Man sagt von Jonathan Edwards, dass er seine evangelistischen Predigten abgelesen hat. Diese Predigten waren logisch aufgebaut und rollten das Evangelium Schritt für Schritt auf. Trotzdem hatten sie eine so starke Wirkung, dass viele Menschen tatsächlich umfielen. Nicht, weil sie vom Heiligen Geist erschlagen wurden oder im Geist ruhten, sondern weil sie von ihrer Sünde überführt wurden und sich vor Gott demütigen und beugen mussten.
Benedikt Peters vergleicht in diesem Büchlein diese damalige Verkündigung mit den heutigen Inhalten und auch mit den vielen Beleidigungen, die heute oft vorkommen.
Deshalb möchte ich dieses Büchlein sehr empfehlen. Es ist nicht ganz billig, umfasst aber immerhin 90 Seiten. Statt 7,80 Mark kostet es hier 5 Mark und kann erworben werden.
Ja, warum also heute Abend Georg Müller? Dieser Wunsch kam nicht von mir, sondern von der KfG. Von Georg Müller kann man lernen, Gott im Alltag und in allen Lebensumständen zu vertrauen, die Bibel gründlich zu studieren und die Verheißungen Gottes sehr ernst zu nehmen. Außerdem zeigt er, wie man ein lebendiges Gebetsleben führt und frei wird von der Orientierung auf Geld und menschliche Ehre.
Georg Müller ist besonders ein Vorbild für Brüder und Schwestern, die dem Herrn dienen wollen. Ebenso ist er ein Beispiel für jedes Werk, das sich Glaubenswerk nennt. Ihr wisst ja, dass dieser Begriff heute oft verwendet wird. Dennoch liegt bei vielen Informationen oder Rundbriefen meist ein Zahlschein bei. Von echtem Glauben ist dabei oft wenig die Rede, von den Werken vielleicht etwas mehr. Genau das kann man aber gerade bei Georg Müller sehr gut lernen.
Natürlich können wir in einer Stunde, wenn ihr Geduld habt, nicht das ganze Leben Georg Müllers ausführlich darstellen. Wir müssen auf viele lieb gewordene Anekdoten verzichten. Ich werde mich deshalb ein wenig auf seinen Umgang mit der Bibel, sein Gebetsleben und seinen Umgang mit Geld konzentrieren – das ist besonders wichtig. Auch werde ich darauf eingehen, wie er mit seiner Frau umging. Das sind alles Punkte, bei denen es bei uns oft noch hakt, zumindest wenn ich an mich selbst denke. Von ihm kann man in diesen Bereichen viel lernen.
Daher nur ganz kurz zu seiner Kindheit und Jugend: Wenn wir hier eine Teenager-Freizeit hätten, würde ich viel erzählen, was für ein Halunke er war.
Er kam nicht aus einem gläubigen Elternhaus. George Müller wurde am 27. September 1805 in Kruppenstedt bei Halberstadt, im Gebiet der ehemaligen DDR, geboren. Sein Vater war Steuereinnehmer, ein echter Preuße. Er hatte zwei Söhne und eigenartige Erziehungsmethoden. Er meinte, wenn er seinen Söhnen viel Geld in die Hand geben würde, würden sie lernen, gut mit Geld umzugehen und zu sparen. Das Gegenteil war natürlich der Fall. Sie prassen, sie betrogen, sie logen.
Mit zehn Jahren war George Müller bereits ein Dieb, der die Staatsgelder, die sein Vater verwaltete, gestohlen hatte. Trotzdem, auch wenn der Vater das durchschaute, war es sein Wunsch, dass George Pfarrer werden sollte. Der Vater meinte, das wäre ein guter Beruf, um sein Brot zu verdienen, ein angenehmes Leben zu führen und auch eine gute Rente zu bekommen. Das war in dieser Zeit das Richtige, was man lernen sollte.
Noch war es aber nicht so weit. Mit 14 Jahren lag seine Mutter sehr schwer krank daheim. Doch George war mit ganz anderen Dingen beschäftigt. Er war samstags unterwegs, bis sonntags früh um zwei Uhr morgens spielte er Karten in der Kneipe und torkelte dann am nächsten Morgen betrunken durch die Straßen seiner Stadt.
Als er dann betrunken in seinem Zimmer ankam, wartete sein Vater schon auf ihn und sagte: „Hör mal, Junge, die Mutter ist gestorben. Mach dich zur Beerdigung fertig.“ Das war zunächst ein Schock für ihn, aber nach einigen Tagen oder Wochen war er darüber hinweg.
Mit sechzehn Jahren war er ein Vagabund, ein Zechpreller und musste bereits einige Wochen ins Gefängnis.
Ihr seht also: George Müller hatte alles andere als eine fromme Tradition oder eine gute Erziehung. Das ist Trost für den einen oder anderen von uns, dass Gott gerade aus diesem Material etwas zu seiner Ehre machen kann.
Mit zwanzig Jahren war es dann so weit: Er sollte Theologie in Halle studieren. Wer sich auskennt, weiß, dass in Halle natürlich diese berühmte Universität war, die damals von August Hermann Francke gegründet worden war. Doch inzwischen waren schon einige Generationen vergangen. Dort war nicht mehr allzu viel Geistliches los.
Georg Müller, der nun Theologie studierte, hatte bis dahin etwa 300 Bücher gelesen, aber noch nie in die Bibel geschaut. Damals, so schreibt man, waren von den 900 Theologen vielleicht neun, von denen man annehmen konnte, dass sie gottesfürchtig waren. Man sieht also, wie eine Erweckung sehr schnell verflachen kann. In der zweiten oder dritten Generation ist oft nicht mehr viel davon übrig.
Dann spielte ein ehemaliger Kinderfreund eine Rolle in seinem Leben. Sein Vorname war Beta. Er war ein abgefallener Christ, der sich in jungen Jahren irgendwie bekehrt hatte, vielleicht auch einmal seine Hand erhoben hatte – das war damals aber noch nicht üblich. Als Georg Müller dann einmal in einer Kneipe war und man fünf Liter Bier getrunken hatte, erkannte er diesen Beter aus jungen Jahren wieder. Er frischte die alte Freundschaft auf, was für Georg ziemlich folgenschwer war.
Zunächst planten sie eine Reise in die Schweiz mit einigen anderen Freunden. Georg wusste daraus ein Geschäft zu machen. Er sagte: „Komm, ich übernehme hier alles. Ich werde die Pässe fälschen, denn die waren nicht vorhanden. Ich werde das Geld verwalten. Verkauft nur alle eure Bücher und so weiter, dann finanzieren wir die Reise.“
Sie waren also 33 Tage unterwegs, unter anderem am Luzerner See. Als sie zurückkamen, sagte Georg Müller, ganz beeindruckt von der schönen Natur: „Jetzt habe ich gelebt.“
Was er nicht wusste: Genau auf dieser Schweizer Reise hatte sich der Beter still und heimlich bekehrt. Nicht durch Handaufheben oder Unterschreiben eines Zettels, sondern er wurde in der Stille von der Sünde überführt und übergab sein Leben dem Herrn. Zunächst redete er aber nicht viel davon.
Einige Monate später fragte Georg Müller den Beter: „Hör mal, was machst du heute Abend, Samstag- oder Freitagabend?“ Da sagte dieser ganz verschämt: „Ja, ich gehe in den Hauskreis von Bruder Wagner.“
„Was macht der da?“ – „Ja, wir singen, wir beten und lesen die Bibel.“ Georg erwartete natürlich, dass Müller abwinken würde. Doch das tat er nicht. Er wurde neugierig, was sein Freund Neues sich ausgedacht hatte, und bestand darauf, mitzugehen. Dem Beter war das ganz unheimlich. Er kannte ja den Georg Müller aus Kneipen und so weiter, dort wusste er, wie man sich benimmt. Aber in einem kleinen Hausbibelkreis – was würde das geben?
Ihr könnt es nachvollziehen, wenn jemand zu einem solchen Hauskreis eingeladen hat. Tatsächlich wurde dort ein Choral gesungen. Dann kam es noch viel schlimmer: Der Prediger oder der Bruder, der das Wort führte, ging zum Beten auf die Knie. Nicht zu fassen! Zum ersten Mal sah Georg Müller jemanden kniend beten. Das hat ihn total umgeworfen.
Dann las man aus der Bibel. Weil es damals verboten war, in Preußen außerhalb kirchlicher Räume zu predigen, wurde eine Predigt vorgelesen – so war das damals üblich. Genau diese Versammlung war der Anlass zur Bekehrung von Georg Müller.
Stellt euch das mal vor: Knielles Gebet, vorgelesenes Wort Gottes und eine abgelesene Predigt – gibt es etwas Langweiligeres als so etwas? Aber wie wir heute Nachmittag gehört haben, bekennt sich der Herr dazu, und dieses Wort Gottes wirkte mächtig.
Georg Müller war nun nicht nach sechzig Minuten bekehrt. In der Woche darauf besuchte er Bruder Wagner mehrmals, sprach mit ihm, und dieser erklärte ihm die Bibel. Am Abend sagte Georg zu dem Beter: „Alles, was wir auf unserer Reise in die Schweiz gesehen haben und alle früheren Vergnügungen sind nichts im Vergleich zu diesem Abend, den ich erlebt habe.“
Gott gefiel es, durch diese schlichte, einfache Hausversammlung Georg zu retten. Nun hatte er natürlich neue Ziele und Wünsche. Er begann, die Bibel zu lesen – zunächst verstand er nicht allzu viel davon. Aber ihm war klar, dass er jetzt Missionar werden wollte. Er wollte sein Theologiestudium beenden und sich dann für die Mission ausrichten.
Nun, sein Vater war alles andere als Missionar oder fromm. Nach einigen Monaten besuchte er ihn und hoffte, Verständnis für seine Missionsgedanken zu finden. Er sagte zu seinem Vater: „Ich bin gekommen, um deine Erlaubnis zu erhalten, die die deutsche Missionsgesellschaft haben möchte.“
Sein Vater schrie ihm seine Antwort entgegen: „Ich habe große Summen Geld für deine Ausbildung ausgegeben. Ich hoffe, dass ich meine letzten Tage bei dir in einem Fachhaus verbringen könnte. Und jetzt erzählst du mir, dass aus dieser Erwartung nichts wird. Ich kann dich nicht länger als meinen Sohn betrachten.“
Dann fing der Vater an zu weinen und bat ihn: „Ich bitte dich, es noch einmal zu überlegen.“ Doch Georg Müller war fest entschlossen, auch auf die Unterstützung seines Vaters zu verzichten.
War es Gottes Wille, dass er in die Mission ging? Natürlich stellte er sich diese Frage auch. Er meinte, das könne man ganz gut erkennen, wenn er ein Glücksrad bedienen würde.
Ich weiß gar nicht so richtig, was das ist. Es hat irgendwas mit Losen zu tun, oder so. Wie die Glücksräder ausgesehen haben, weiß ich nicht genau. Auf jeden Fall hatte er so ein Gebet mit Gott abgemacht: Wenn es einen Treffer gibt, also ein Los, das irgendwie positiv ist, dann sollte es ein Jahr Gottes sein. Wenn es eine Niete war, wollte er zu Hause bleiben.
Er zog natürlich einen Treffer, und das war für ihn das Zeichen, dass Gott wollte, dass er in die Mission ging. Nur mit dem Losziehen ist das ja so eine Sache, auch bei den Herrnhutern. Aber ich denke, dass Gott hier oft auf unser Niveau herabsteigt in seiner Gnade. Wir sollten es also nicht nachmachen. Er wusste es nicht besser, und Gott hat ihn auf diesem Weg einfach ein Stückchen geführt.
Dann meldete er sich bei der Berliner Missionsgesellschaft an, doch diese lehnte ihn ab, weil der Vater kein Ja zu seinem Weg hatte. Er nutzte die Zeit, um Traktate zu verteilen und Briefe zu schreiben.
Dann bekam er auch die erste Einladung, eine Predigt zu halten. Der eine oder andere war zum Saum gekommen durch sein Zeugnis. Auch irgendein Pfarrer hatte ihn liebgewonnen. Er wollte Urlaub machen oder hatte keine Lust zu predigen. Jedenfalls fragte er ihn: „Würdest du am Sonntag mal in unserer Kirche predigen? Du hast ja jetzt dein Theologiestudium abgeschlossen.“
Zum ersten Mal in seinem Leben sollte Georg Müller nun predigen. Was macht man dann? Er besorgte sich irgendwoher eine Predigt – ich weiß nicht von wem – und lernte sie eine Woche lang auswendig.
Am Sonntag sollte er zweimal predigen: um acht Uhr in der Filialkirche und um elf Uhr in der Stadt- oder Pfarrkirche. So konnte er die Predigt zweimal halten, was sich wenigstens lohnte.
Nachdem er seine Predigt jedoch ziemlich herzlos und ohne Anteilnahme auswendig vorgetragen hatte, wurde er eingeladen, ein drittes Mal in derselben Kirche zu predigen. Das brachte ihn natürlich in große Verlegenheit, denn er konnte den Leuten nicht zum dritten Mal dieselbe Predigt vorsetzen.
Was tat er also? In den letzten Tagen hatte er viel die Bergpredigt gelesen, Matthäus 5. Er entschloss sich, im Vertrauen auf den Herrn, mit schwerem Herzen und zitternden Knien einige Worte aus der Bergpredigt zu lesen und darüber zu sprechen, was ihm wichtig geworden war.
Und siehe da: Die Leute hörten alle aufmerksam zu. Alle waren gespannt, und offensichtlich hatte Gott diese schlichte, einfache Predigt gesegnet. Für ihn war das auch das Zeichen, zum letzten Mal eine auswendig gelernte Predigt zu halten. Stattdessen wollte er die Bibel studieren und einfach aus der Beschäftigung mit dem Wort Gottes heraus predigen.
Doch es blieb nicht nur bei solchen schönen Erlebnissen. Es kamen auch Probleme, Zweifel und sogar Rückfälle. Er griff wieder zum Alkohol. Auch mit dem Geld klappte es vorne und hinten nicht. Er wusste nicht, wie er sein Dasein finanzieren sollte.
Dann tat er etwas, das heute manche auch machen: Er schrieb frommen, scheinbar bekennenden Christen. Er wandte sich an eine sehr reiche und angeblich freigiebige Dame in Frankfurt am Main. Er bat sie um eine kleine Summe zur Unterstützung eines armen Verwandten und zur Abzahlung des Restes seiner Schulden von einer Schweizer Reise. Außerdem erzählte er, wie er zur Erkenntnis des Heils gekommen war.
Doch die Antwort blieb aus.
Als keine Antwort kam, ging er wieder essen und trinken, verfiel ins Saufen. Dabei merkte er, dass etwas zwischen ihm und dem Herrn stand. Doch dann kam nachmittags ein Paket aus Frankfurt mit der gewünschten Summe – aber nicht von der Dame, sondern von einem anderen Herrn, der sich nicht nannte.
Dieser erklärte, wie er zu seinem Brief gekommen war, und fügte folgende Zeilen hinzu:
"Halten Sie fest an dem Glauben, den Gott Ihnen durch den Heiligen Geist geschenkt hat. Er ist der kostbarste Schatz in diesem Leben und schließt wahres Glück in sich. Suchen Sie nur durch Wachen und Beten, mehr und mehr frei zu werden von aller Eitelkeit und Selbstgefälligkeit, von der auch der wahre Gläubige verstrickt werden kann, wenn er es am wenigsten erwartet.
Lassen Sie es Ihr hauptsächliches Ziel sein, immer demütiger, treuer und stiller zu werden. Mögen wir nicht zu denen gehören, die fortwährend sagen und schreiben: ‚Herr‘, sondern ihn tief im Herzen tragen.
Das Christentum besteht nicht in Worten, sondern in der Kraft. Es muss Leben in uns sein, denn darum hat uns Gott zuerst geliebt, damit wir ihn wieder lieben und durch die Liebe Kraft erhalten, ihm treu zu sein und uns selbst sowie die Welt notgedrungen zu überwinden.
Möge sein Geist Sie desto stärken, dass Sie ein rechter Bote seines Evangeliums werden."
Unterschrieben: "Ein anbetender Verehrer des Heilandes Jesu Christi." Keine Namensnennung, nur diese Bezeichnung.
Dieser Brief beeindruckte Georg Müller ungemein. Er wurde überwältigt von der Gnade und Güte Gottes, der ihm in seinem Zustand diese Gabe zukommen ließ. Die Zeilen sprachen ihn tief ins Gewissen. Sie erinnerten ihn daran, den Herrn vor Augen zu halten und ein anbetender Verehrer des Heilandes Jesu Christi zu sein – welch ein schöner Vorsatz.
Er begann intensiver, in der Bibel zu lesen. Man kann sagen, dass er im Alter von 92 Jahren, wie er selbst bekannte, für jede Seite gewöhnlichen Lesestoffs zehn Seiten Bibel las. Er wurde 93 Jahre alt. Wenn er auf sein Leben zurückblickte, war das sein Maßstab: für jede Seite gewöhnlichen Lesestoffs zehn Seiten Bibel.
Das wäre eine Geschichte, die Alexander Salbe gefallen hätte. Was lesen wir alle? Was ziehen wir uns an Psychologie und okkultem Kram rein? Pro Seite zehn Seiten Bibel – das wäre gut.
In den letzten zwanzig Jahren seines Lebens las er die Bibel vier- bis fünfmal aufmerksam durch. Davon kann man von ihm lernen.
Nun, wir sind noch nicht so weit, wir müssen noch ein bisschen ausharren. Mit 24 Jahren wurde er dann Judenmissionar in London. Das ist auch eine längere Geschichte, aber darauf will ich jetzt nicht näher eingehen. Er versuchte dort, Juden für den Herrn zu gewinnen.
Dann gab ihm ein Freund ein Buch, das eine große Rolle in seinem Leben spielte. Ihr habt das Glück, diesen Mann kennenzulernen, dessen Buch er gelesen hat. Dieser Mann ist euch vielleicht nicht bekannt: Anthony Norris Groves, einer der Väter der Brüderbewegung. Das wusste damals aber noch keiner. Mit zwanzig Jahren war er ein sehr erfolgreicher Zahnarzt. Er hatte eine blühende Praxis, lebte in einer wunderbaren Villa mit Dienern und allem, was man sich vorstellen kann. Sie lebten in Saus und Braus.
Dann kamen beide zum Glauben. Ihm war klar: Wenn ich mich bekehre, werde ich Missionar. Aber ihr war das überhaupt nicht klar. Sie lebte in einem schönen Haus, wurde versorgt und hatte ein schönes Leben. Natürlich war sie errettet, aber sie wollten um keinen Preis auf ihren Luxus verzichten.
Anthony betete nur für sie und wartete. Sie lasen zusammen die Bibel und beschäftigten sich mit dem Evangelium und dem Leben des Herrn. Schließlich entdeckten sie, dass es richtig wäre, zehn Prozent ihres Einkommens dem Herrn zu geben. Das erkannten beide.
Dann ging diese Frau, ich glaube, sie hieß Maria, und nahm den Zehnten. Sie verteilte dieses Geld unter den Armen in der Umgebung und wurde dabei auf ganz andere Dinge gelenkt und gerichtet. Sie lasen weiter im Evangelium und kamen zum Entschluss: Eigentlich sollte der Herr doch ein Viertel bekommen. Zehn Prozent sind eigentlich ein bisschen wenig. Das alttestamentliche Prinzip habe damit nichts zu tun. Ein Viertel wäre schon angemessen.
Die Frau begann mit großer Freude, dann den vierten Teil ihrer monatlichen Einkünfte unter die Armen zu verteilen. Sie gewann diese Arbeit inzwischen sehr lieb und merkte auch, wie hohl ihr eigenes Leben im Grunde war. Sie las weiter und entschloss sich, die Hälfte zu geben.
Ihr könnt die Geschichte zu Ende ahnen: Sie kam schließlich zu dem Schluss, dass dem begehrten Herrn alles gehört, was sie haben. Wir müssen ihn fragen, was wir für uns gebrauchen dürfen. Alles andere gehört ihm.
Als die beiden zu dieser Erkenntnis gekommen waren, war für die Frau klar: Dann kann ich Gott auch mein Leben nicht vorenthalten. Dann gehen wir in die Mission. Sie gaben alles auf. Das ist eine lange, interessante Geschichte.
Damals meinte er noch, man müsse irgendwie eine theologische Ausbildung haben, wenigstens einen Schein, um in die Mission gehen zu können. Er hatte ein Fernstudium in Theologie gemacht. Dann kam der Tag der Prüfung. Er sollte nach Dublin reisen, um geprüft zu werden und sein Examen abzulegen.
Doch Gott sorgte in seiner großen Gnade dafür, dass genau in der Nacht vor der Abreise Diebe in sein Haus kamen und das wenige gesparte Geld für die Reise nach Dublin stahlen. Als er am nächsten Tag seiner Frau davon erzählte, jubelten beide. Sie waren froh, dass Gott ihnen auch dieses Problem weggenommen hatte.
Da wussten sie auf jeden Fall, dass der Herr keine theologischen Papiere oder Bescheinigungen braucht, um ihm zu dienen. Im Vertrauen auf ihn gaben sie alles weg und zogen los.
Vor seiner Ausreise nach Bagdad hinterließ er ein Büchlein mit dem Titel „Christliche Hingabe“. Vor Jahren wurde es mal in Deutsch aufgelegt unter dem Titel „Das Glück eines abhängigen Lebens“. Kaum jemand hatte es gekauft oder gelesen, und später wurde es für eine Mark verschleudert, weil sich kaum jemand dafür interessierte. Es stellte vor, wie biblische Prinzipien der Hingabe, des Umgangs mit Geld und dergleichen aussehen.
Georg Müller hatte dieses Büchlein gelesen. Es beeindruckte ihn so tief, dass er beschloss, nach denselben Grundsätzen zu leben.
Aber noch zurück zu Groves und seiner Frau. Ich zitiere aus diesem schönen Buch:
„Als wir diese große Last des Besitzes erst einmal losgeworden waren, fühlten wir uns anders als zuvor. Wir hatten nun kein anderes Ziel mehr im Leben, als für den Herrn und die Kirche zu leben, und dabei lebten wir tatsächlich für unsere lieben kleinen Kinder zehnmal so wirksam wie durch das Anhäufen verderblichen Goldes.“
An anderer Stelle sagt er einmal: „Geld ist der todbringende Verderber des menschlichen Herzens.“ Das hat ein Mann aus einer tiefen Erfahrung heraus gesprochen.
Nun, sie kam dann nach Bagdad, nach Persien. Die Frau starb dort, aber sehr glücklich im Herrn. Seine ganzen Erfahrungen kann man also in diesem Buch hier nachlesen, das einer seiner Söhne, Anthony Groves, geschrieben hat. Für sechs Mark statt neun Mark bitte ich euch ganz herzlich, es zu lesen – ein sehr, sehr beschämendes, anspornendes Buch.
Nun, das spielte also im Leben von Georg Müller eine ganz große Rolle. Er selbst schreibt in seinem Tagebuch zu dieser Zeit, nachdem er das Buch gelesen hatte:
„Es war wie eine zweite Bekehrung. Anfang November 25 wurde ich an den Herrn Jesus gläubig. In den ersten vier Jahren war es zum großen Teil in großer Schwachheit. Aber im Juli 1929 kam es bei mir zu einer vollkommenen und ganzen Übergabe meines Herzens. Ich übergab mich völlig dem Herrn. Ehre, Vergnügen, Geld, meine körperlichen Kräfte, meine geistigen Kräfte – alles wurde zu den Füßen des Herrn niedergelegt. Ich wurde ein großer Freund des Wortes Gottes, ich fand mein Alles in Gott.“
Dazu war Anthony Groves ihm ein Vorbild und ein Wegweiser.
Nun hatte er den Wunsch, die Bibel zu studieren. Er erkannte dann einfach die wichtige Lehre von der ewigen Erwählung Gottes. Er bekam Heilsgewissheit und entdeckte im Neuen Testament, dass Jesus wiederkommen würde zur Entrückung der Gemeinde. Das war damals auch nicht allen bekannt. Also keine Weltverbesserung, sondern Warten auf den wiederkommenden Herrn.
Er entschloss sich, keine Ehre in der Welt zu suchen, sondern so zu leben wie Jesus selbst: arm, niedrig und gering.
Das wird jedem geschehen, der sich mit dem Leben, mit der Biografie unseres Herrn Jesus beschäftigt. Wenn man ihn lieb gewinnt, hat man keinen anderen Wunsch, als so zu leben wie er.
Und Johannes sagt: Wenn wir uns nach seinem Namen nennen, dann sind wir schuldig, so zu wandeln, wie er gewandelt hat. Also ist sein Leben absoluter Maßstab auch für unser Leben.
Wenn wir uns Christen nennen, dann sollten wir uns danach ausstrecken, so zu leben, wie er in allen Lebensbereichen.
Nun, dass wir alle da leider weit im Abstand hinterherhinken, ist uns ganz klar. Aber das sollte unser Vorbild sein und bleiben.
Mit seinen neuen Grundsätzen kam er bei der Jugendmission zunächst nicht gut an. Er wollte auf sein Gehalt verzichten und frei sein, dem Herrn zu dienen. Die Verantwortlichen der Mission respektierten zwar seine Überzeugungen, erklärten jedoch, dass ein solcher Verzicht in ihrer Gesellschaft nicht üblich sei.
Man teilte ihm mit, dass er, wenn er nicht bereit sei, den üblichen Statuten zu entsprechen, sich einen anderen Weg suchen solle. Er könne jederzeit zurückkehren, wenn er sich den Gepflogenheiten der Mission anpasse. Dies tat er jedoch nicht, sondern trat aus.
Anschließend beschäftigte er sich mit der Taufe. Durch eine Schwester wurde er auf eine interessante Geschichte aufmerksam, die ich hier jedoch auslasse. Diese Anregung führte dazu, dass er über die Taufe nachdachte und die Bibel studierte. Er kam zu der Überzeugung, dass er nicht getauft sei. Die Kindertaufe, die er durch Besprengung erhalten hatte, konnte er nicht als echte Taufe ansehen. Daraufhin ließ er sich taufen.
In den folgenden Monaten wurde er nach und nach eingeladen, hier und dort zu predigen. Schließlich wurde er Prediger einer Baptistengemeinde, die aus 18 Personen bestand. In dieser Zeit, er war inzwischen 25 Jahre alt, gewann er durch das Studium des Wortes Gottes neue Erkenntnisse. Niemand hatte sie ihm zuvor gezeigt. Gross hatte ihm einige Anregungen gegeben, doch sie beschlossen, sich jeden Sonntag zum Brechen des Brotes zu versammeln. Das war ihnen wichtig, da sie in der Apostelgeschichte gelesen hatten, dass dies bei den ersten Christen wohl üblich war. Sie wollten Gott die Ehre geben.
Ich denke, wir haben das in dem Vortrag „Der vergessene Auftrag“ behandelt. Das Brechen des Brotes ist eigentlich der erste Auftrag in unserem Leben, nicht nur eine Erfindung.
Er entdeckte auch das Geheimnis des Leibes Christi und die Gaben, die der Geist Gottes gegeben hat, wie in Römer 12, 1. Korinther 12 und 14 sowie Epheser 4 beschrieben. Er erkannte, dass man Raum schaffen sollte für einen biblisch-charismatischen Gottesdienst, in dem die Charismen und Gaben Gottes frei ausgeübt werden können. Das war damals eine Sensation und verdient eine ausführliche Betrachtung.
Er entschied sich, kein festes Gehalt zu beziehen. Das wurde in der kleinen Gemeinde gerne gewährt. Gleichzeitig sorgte er dafür, dass die Kirchenstühle abgeschafft wurden. Stellt euch vor: Damals war es üblich, das Gehalt des Pfarrers durch die Vermietung der Kirchenstühle zu finanzieren. Die ersten Reihen waren für die vornehmen, besonderen Leute reserviert, die dafür bezahlen mussten, um sitzen zu dürfen. Das empfand er als Gräuel, und diese Praxis wurde abgeschafft.
Er beschloss außerdem, mit keinem Menschen über seine finanziellen Bedürfnisse zu sprechen. Dazu schreibt er in seinem Tagebuch: „Dazu gehörte mehr Gnade, als ein festes Gehalt aufzugeben.“ Ein festes Gehalt aufzugeben, könne man mit dem Hintergedanken tun, das zu publizieren – etwa mit der Aussage: Ich bin jetzt allein von Gott abhängig. Gleichzeitig wolle man aber doch irgendwie deutlich machen, wie viel man monatlich brauche und welche Unkosten anfallen. Natürlich sagt man all das nur dem Herrn und betet darum, dass das Geld zusammenkommt.
Er wusste jedoch: Dazu gehört mehr Gnade, als sein festes Gehalt aufzugeben und mit keinem Menschen über finanzielle Bedürfnisse zu reden. Das hat er sein Leben lang durchgehalten. Er hat nie jemanden um finanzielle Unterstützung gebeten, sondern wollte diese vom Herrn erbitten und auch erwarten.
Er heiratete dann Maria, die Schwester von Antony Gross. Sie wurde ihm eine ganz wertvolle Gehilfin, von der wir noch hören werden. Gemeinsam beschlossen sie, alles zu verkaufen, was sie besaßen, es zu verschenken und in freiwilliger Armut zu leben.
Sie begannen ein intensives Gebetsleben, das damit endete, dass sie am Ende ihres Lebens – Maria verstarb früher als er – 50.000 konkrete Gebetserhörungen erlebt hatten. Jörg Müller führte peinlich genau Tagebuch. Nicht, um sich ein Denkmal zu setzen, sondern um nachzuweisen, dass man Gott vertrauen kann. Er schrieb jedes Anliegen und jede Gebetserhörung auf.
Am Ende seines Lebens sagte er: „Ich bete so lange, bis Gott meine Gebete erhört. Ich habe 52 Jahre lang für zwei Personen gebetet, die bis jetzt noch nicht bekehrt sind. Aber ich bin gewiss, sie werden auch zum Glauben kommen.“ 52 Jahre!
Bei ihrer Eheschließung versprachen sie einander, keine Schulden zu machen. Ich erwähne das nicht, um hier jemanden zu beschämen, und ich sage auch nicht, dass man das unbedingt nachahmen muss. Aber ich empfehle es sehr. Sie beschlossen damals, sich lieber zu verhungern, als etwas zu kaufen, das sie nicht bar bezahlen konnten. Sie wollten ganz abhängig vom Herrn sein und seine Führung erleben.
Ich muss mich schämen, wenn ich so etwas hier vorlese und an manches denke, was ich kaufe, ohne es bar bezahlen zu können. Aber von ihm sollten wir lernen: keine Schulden machen.
Ein weiterer Grundsatz war für ihn, dass anvertraute Spenden unantastbar sind – heiliges Geld. Darauf achtete er streng. Niemals nahm er auch nur einen Cent von dem Geld, das ihm andere anvertrauten, für sich oder in seine Kasse. Dieses Geld gehörte allein dem Herrn.
In seiner Anfangszeit war das manchmal etwas krampfhaft, was auch recht lustig war. Man kann in seiner Biografie nachlesen, dass einige von Müllers fanatischen Grundsätzen bezüglich der Annahme von Geld manchmal zu komischen Situationen führten.
Im März 1931 wurde er zu einer Predigt eingeladen, um dort den Sonntag zu verbringen. Bei solch einer Gelegenheit war er sehr zurückhaltend, Gaben anzunehmen, weil er besorgt war, nicht den Eindruck zu erwecken, er predige für Geld.
Nach einer Predigt gab ihm ein Gemeindeglied Geld, eingewickelt in Papier. Müller nahm es jedoch nicht an. Die Menschen ließen sich aber nicht so schnell entmutigen. Dieser entschlossene Gläubige steckte das Geld mit Gewalt in Müllers Tasche und rannte davon.
Ein anderer Herr aus Tschad zwang ihn sogar, eine Goldmünze anzunehmen – allerdings erst nach einer Rauferei. Wir würden uns alle heimlich die Hände reiben, wenn uns jemand eine Goldmünze in die Tasche schieben würde. Aber Müller floh, weil er Angst hatte, dass das Geld seinen Dienst irgendwie beeinflussen könnte.
Ist das nicht beschämend für uns alle, die wir dem Herrn dienen und noch predigen? Spielt das Geld nicht eine Rolle, wenn wir überlegen, welche Einladung wir annehmen und welche nicht? Hier war ein Mann, der davon völlig frei war. Deshalb war sein Dienst auch sehr kraftvoll.
Jetzt machen wir einen Sprung nach Bristol. Dort war ein Freund von ihm, Henry Craig. Inzwischen war er 27 Jahre alt und bat um Hilfe. Es gab dort eine kleine Erweckung, einige Menschen waren zum Glauben gekommen. Auch eine Baptistengemeinde erzog er zusammen mit seiner jungen Frau. Dieser Craig war ein begabter und beliebter Evangelist und Prediger.
Georg Müller war es damals noch nicht. So kam er dort in eine Schule der Demut. Man kennt hier alle die berühmte Geschichte von Leonard Bernstein, dem berühmten Dirigenten und Geiger. Er wurde gefragt: Welches ist das „schwerste“ Instrument in einem Orchester? Die Antwort lautete: die zweite Geige. Das musste Georg Müller hier lernen – in dieser kleinen Gemeinde die zweite Geige zu spielen. Das war für ihn sehr wichtig.
Dort entstand die Bethesda-Gemeinde, die später sehr berühmt wurde. Man begann mit sieben Geschwistern, ohne Satzungen, mit dem Entschluss, nur dem Licht des Wortes zu folgen. So hat man das damals ausgedrückt. Es gab keine Gemeinderegeln, sondern die Absicht: Wir wollen das tun, was wir durch Gottes Wort im Neuen Testament erkennen, was der Herr über seine Gemeinde gesagt hat. Dem wollten sie folgen.
Drei Jahre später waren es 257 Glieder in dieser Gemeinde, die also recht schnell gewachsen war. 1835, wieder drei Jahre später, sehen wir, welchen Einfluss Biografien haben können. Georg Müller hatte die Biografie von August Hermann Francke gelesen, dem Waisenhausgründer in Halle. Diese Biografie beeindruckte ihn sehr, sodass sein Herz für diese Arbeit gewonnen wurde. Er fragte sich, ob der Herr von ihm vielleicht wünsche, eine ähnliche Arbeit zu beginnen.
Er las auch noch eine zweite Biografie, die über Whitefield von Benedikt Peters. Diese Biografie ist sehr wertvoll. Ich hoffe, ihr habt sie schon gelesen. Ich werde Benedikt lebenslang dankbar sein für dieses Lebensbild. Es ist ganz gewaltig. Diese Biografien prägten Georg Müller stark: Francke in Bezug auf seinen Glauben und die Waisenkinder, Whitefield in Bezug auf Bibelstudium, Gebet und Predigt.
Dann entschloss er sich, sein Glaubenswerk in Bristol zu beginnen. Ich werde jetzt einige Zeilen daraus vorlesen. Sie sind sehr wichtig und wertvoll. Bitte versucht zuzuhören, auch wenn das Deutsch etwas altmodisch ist.
Er schrieb in sein Tagebuch:
„Ich hielt mich verbunden, der Diener der Gemeinde Christi zu sein, besonders in den Punkten, worin ich Gnade empfangen hatte, nämlich darin, Gott bei seinem Wort zu nehmen und mich darauf zu verlassen. Alle Betrübnisse meiner Seele, die daraus entsprangen, dass so viele Gläubige, mit denen ich bekannt geworden war, im Gemüt gedrückt und unruhig waren oder Schuld auf ihr Gewissen luden aus Mangel an Vertrauen auf Gott, wurden Mittel in Gottes Hand, um in mir das Verlangen zu wecken, der ganzen Gemeinde Gottes und der Welt den Tatbeweis zu liefern, dass Gott nicht im Geringsten verändert sei. Dies schien mir aber am besten zu geschehen durch die Errichtung eines Waisenhauses. Es musste etwas sein, das man auch mit natürlichem Auge sehen konnte.
Wenn nun ein armer Mann bloß durch Gebet und Glauben, ohne einen einzigen Menschen darum anzusprechen, die Mittel erhielte, ein Waisenhaus zu gründen, so würde das etwas sein, was unter Gottes Segen dazu dienen könnte, den Glauben der Kinder Gottes zu stärken, würde aber auch dem Gewissen der Unbekehrten die Wirklichkeit der Dinge Gottes bezeugen. Dies war der hauptsächliche Grund, weshalb ich ein Waisenhaus errichten wollte.
Ich begehrte aber auch von Herzen, von Gott gebraucht zu werden, um arme Kinder, welche beider Eltern beraubt waren, leiblich zu versorgen und ihnen für dieses Leben in jeder Hinsicht Gutes zu bereiten. Besonders verlangte mich danach, auch den lieben Waisen in der Furcht Gottes Erziehung zu helfen. Dennoch war und ist der wichtigste Zweck die Verherrlichung Gottes.“
Er gründete dieses Waisenhaus also, um der Christenheit, die nicht mehr Gottes Verheißung vertraute, und der ungläubigen Welt einen sichtbaren Beweis zu liefern, dass man Gott heute auch noch vertrauen kann. Das müssen wir uns gut merken. Natürlich lagen die armen Kinder ihm immer am Herzen, aber der erste Grund war die Verherrlichung Gottes und die Ermutigung der Geschwister, der Christen, die müde geworden waren.
In den nächsten 35 Jahren entstanden fünf riesige Waisenhäuser, in denen 2.000 Kinder Platz hatten, plus Helfer. Alle Helfer kamen auf das Gebet von Georg Müller und seiner Frau. Alle verzichteten auf ein regelmäßiges Gehalt, wollten nur im Glauben leben und waren bereit, alle ihre Besitztümer dem Werk des Herrn zur Verfügung zu stellen, um auch Gebetserhörungen zu erleben.
Dazu möchte ich euch ein paar Erfahrungen im Umgang mit Geld weitergeben, die ich für sehr wichtig halte für unsere Zeit. Natürlich gibt es viele schöne Geschichten zu erzählen, die auch bekannt sind. Zum Beispiel, wie Georg Müller einmal seine zweitausend Waisenkinder morgens versammelte. Der Tisch war gedeckt, aber es war nichts auf den Tellern – sie waren völlig leer. Er hatte gebetet, doch es war nichts da.
Trotzdem entschloss er sich, zu danken im Vertrauen darauf, dass der Herr irgendwie helfen würde. Kaum hatte er Amen gesagt, da klopfte es an der Tür. Ein Bäcker kam mit einer großen Ladung Brot und sagte: „Um zwei Uhr wurde ich wach und konnte nicht wieder einschlafen. Gott hat es mir aufs Herz gelegt, Brot für die Waisenhäuser zu backen. Ich weiß auch nicht warum, aber vielleicht könnt ihr es gebrauchen.“
Natürlich sagten sie Danke und Amen. Kaum hatte der Bäcker seine Brote abgeladen, kam der Nächste, der Milchmann. Sein Wagen war beladen mit Milchkannen, aber eine Achse war gebrochen. Er fragte Georg Müller, ob sie vielleicht so lieb wären und ihm die ganze Milch vom Wagen abnehmen würden. Er könnte sie gut gebrauchen, denn er müsse erst seinen Wagen reparieren und könne die Kannen nicht mehr transportieren.
Auch hier sagte man Danke und Amen. Das ist eine von Tausenden Gebetserhörungen, bei denen Gott zur rechten Zeit geholfen und seine Verheißungen wahrgemacht hat. Davon könnte man viel erzählen, zum Beispiel von den 150 Fasanen, die jemand brachte, damit sie mal ein bisschen Fleisch in der Suppe hatten. Hier gibt es also die tollsten Geschichten.
Aber mir scheint, für uns heute sind einige Dinge im Umgang mit Geld besonders wichtig. Während einer Periode großer Verlegenheit erhielt Georg Müller ein versiegeltes Geldpaket. Er wusste, von wem es kam: eine Frau, die in Schulden steckte und ihre Gläubiger nicht bezahlte. Es war so klar, dass dieses Geld ihr nicht gehörte, dass er es folglich nicht verschenken konnte.
Ohne das Paket zu öffnen, schob er es zurück – und das zu einer Zeit, als nicht viel in der Kasse war, um auch nur die Ausgaben des laufenden Tages zu decken. Das finde ich ganz beeindruckend.
Geld, das als Ertrag eines musikalischen Abends zugunsten der Waisenkinder eingesandt wurde, schlug er höflich aus. Er zweifelte nicht an der freundlichen Absicht derer, die die Sache ins Werk gesetzt hatten, aber er fühlte, dass das Geld für das Werk Gottes nicht auf diese Weise gewonnen werden sollte.
Benefizveranstaltungen, Fußballspiele für die eine oder andere Sache, Konzerte für diese oder jene Geschichte sind bei uns heute üblich. Auch hier wollte Georg Müller das nicht anderen aufdrücken, so müsste er es machen. Aber er war nicht frei, auf diese Weise das Werk Gottes gefördert zu sehen.
Ja, dann gibt es noch einige schöne Geschichten, wie er auch Geld abgewiesen hat, das man bestimmt hatte für seine Rente. Ich habe leider die Geschichte hier vergessen mitzunehmen. Auch dieses Geld hat er zurückgegeben. Er sagte, er hätte in seinem Leben, in seinem Dienst Gott vertraut. Er wollte auch für seine Rente Gott vertrauen und wäre nicht bereit, Geld anzunehmen, das man als Fonds für eine späte Rente anlegen wollte.
Er schickte also das Geld zurück. Allerdings mit dem Ergebnis, dass der Geber das Doppelte schickte für die täglichen Bedürfnisse, die da nötig waren.
Eine letzte schöne Geschichte zu diesem Thema: Im Mai 1942 erhielt er eine goldene Uhr und Kette, die ein kurzes Briefchen begleitete. Sein Inhalt zeigte uns, wie viel mehr wir für Gott dienen könnten, wenn wir unsere künstlichen und eingebildeten Bedürfnisse etwas einschränken.
Der Geber schrieb: „Es kommt ein sehr schöner Spruch.“ Es war eine goldene, kostbare Uhr und Kette. Der Geber schrieb: „Ein Pilger braucht nicht eine Uhr wie diese, um glücklich zu sein. Eine geringere wird genügen, um ihm zu zeigen, wie schnell die Zeit dahinfliegt. Wie schnell er dem Kanaan entgegeneilt, wo es keine Zeit mehr gibt. So können Sie damit tun, was Sie gut dünken. Es ist die letzte Reliquie irdischer Eitelkeit. Möge ich, solange ich im Leibe walle, vor allem Götzendienst bewahrt bleiben.“
Ist das nicht großartig? Ja, das sind so ein paar Geschichten aus seinem Umgang mit Geld und Geben.
Etwas zu seiner Ehe. Es ist unheimlich bewegend zu lesen, wie er seine Ehe führte und wie er auch mit seiner Frau umging. Er schrieb eines Tages in seinem Tagebuch: „Diesen Morgen entehrte ich den Herrn durch Reizbarkeit gegen meine liebe Frau, und zwar unmittelbar danach, nachdem ich von den Knien aufgestanden war und Gott gedankt hatte, dass er mir eine solche Frau gegeben hatte.“
Kennt man so etwas? Da hat man eine schöne Zeit verbracht und gebetet, und dann schreibt er: „Diesen Morgen entehrte ich den Herrn durch Reizbarkeit gegen meine liebe Frau.“ Diese Reizbarkeit, eine Folge seines körperlichen Zustandes, war ihm sonst von Natur aus fremd und hatte etwas von einer satanischen Anfechtung. Dann schreibt er weiter in seinem Tagebuch: „O Herr! Behüte deinen Knecht in Gnaden vor offener Entehrung deines Namens, lieber nimm ich bald heim zu dir. Wer von uns wacht das nachzubeten? Herr, behüte mich vor offener Entehrung deines Namens, lieber nimm ich bald heim zu dir.“
Und das war seine Haltung zum Herrn. In diesem Buch kann man dann schön nachlesen, wie er seine Zeit mit seiner Frau gestaltete. Er schreibt selbst darüber: „Jedes Jahr wurde unser Glück größer und größer. Nie habe ich meine geliebte Frau irgendwo in Bristol unerwartet getroffen, ohne mich darüber zu freuen, sie zu sehen. Auch in den Waisenhäusern sah ich sie nie, ohne dass mein Herz glücklich darüber wurde. Täglich, wenn wir uns in unserem Amtsseitezimmer im Waisenhaus trafen, um unsere Hände vor dem Mittag- oder Abendessen zu waschen, freute ich mich, sie zu sehen, und ihr ging es genauso. Tausendmal sagte ich ihr: ‚Mein Schatz, solange du meine Frau bist, habe ich mich immer gefreut, bei dir zu sein.‘“
Außerdem verbrachte er nach dem Mittagessen zwanzig Minuten oder eine halbe Stunde mit ihr in ihrem Zimmer im Waisenhaus. Sie saßen auf der Couch, die ihnen die Liebe eines christlichen Bruders zusammen mit einem bequemen Sessel hatte zukommen lassen. Er wusste, dass es gut für sie war, wenn ihr kostbarer und aktiver Verstand und ihre Hände Ruhe bekamen. Und er wusste gut, dass nichts daraus werden würde, wenn ihr Ehemann nicht an ihrer Seite war.
Das können wir uns hinter die Ohren schreiben. Er genoss diese kostbaren Augenblicke mit seiner geliebten Frau. Dort saßen sie dicht nebeneinander, ihre Hand lag stets in der seinen. Sie tauschten einige liebliche Worte oder schwiegen, aber immer waren sie sehr glücklich im Herrn und miteinander. Einerlei, ob sie sprachen oder still waren, ihr Glücklichsein in Gott oder miteinander war unbeschreiblich.
Sie hatten nicht nur einige glückliche Tage im Jahr, nicht einen glücklichen Monat, sondern sie hatten zwölf Monate Glück im Jahr – und das Jahr ein, Jahr aus. Oft sagte er: „Mein Schatz, glaubst du, dass es ein Ehepaar in Bristol oder sogar in der ganzen Welt gibt, das glücklicher ist als wir?“ Müller glaubte, dass eines der größten Geheimnisse ihres Ehrglücks darin lag, dass sie neben ihren persönlichen Gebeten und den Gebeten der Familie oft gemeinsam die Hände falteten.
Er schreibt weiter: „Viele Jahre hatten meine wunderbare Frau und ich nach dem Familiengebet am Morgen eine kurze Gebetszeit zusammen, in der die wichtigsten Gebetsanliegen für diesen Tag vor Gott gebracht wurden. Wenn starke Prüfungen länger andauerten oder eine Not besonders groß war, beteten wir nach dem Mittagessen wieder zusammen, wenn ich in das Zimmer kam. In Zeiten ganz außergewöhnlicher Schwierigkeiten oder Nöte wurde das manchmal noch ein- oder zweimal am Nachmittag wiederholt. Und am Abend, während der letzten Stunde unseres Aufenthalts im Waisenhaus, empfanden wir es selbstverständlich, dass diese Stunde dem Gebet gehört, obwohl wir beide sehr viel Arbeit hatten.“
Seine geliebte Frau kam dann in sein Zimmer und bat und fürbittete, gemischt mit Danksagung. Das dauerte im Allgemeinen 40 Minuten, 50 Minuten, manchmal die ganze Stunde. Während dieser Zeiten brachten sie wohl 50 und mehr verschiedene Dinge, Menschen oder Umstände vor Gott. Das hatte Georg Müller gelernt: Je mehr Arbeit ist, desto mehr müssen wir beten. Und das hat er dann auch mit seiner Frau bis an ihr Lebensende durchgezogen.
Liebe Brüder, ich sage das erst einmal zu mir ganz persönlich und zu uns allen, die wir dem Herrn dienen wollen: Wie sieht das aus mit unserem persönlichen Gebet, aber auch mit dem Gebet mit unserer Ehefrau? Ich weiß nicht, ob ihr die Erfahrung gemacht habt, die ich gemacht habe, dass man in den ersten Wochen und Monaten nach der Eheschließung jeden Tag zusammen betet. Dann machen wir es einmal in der Woche. Dann können vielleicht sogar mehrere Wochen vergehen, bis man gemeinsam wieder auf die Knie geht und betet. Und da muss Gott Schwierigkeiten und Nöte schicken, damit man wieder lernt, gemeinsam zu beten.
Wie gut ist es, wenn wir uns das angewöhnen, regelmäßig mit unserer Ehefrau gemeinsam auf die Knie zu gehen, zu beten und dass beide ihre Anliegen vor Gott aussprechen können. Das war eigentlich die Grundlage für diese sehr harmonische und glückliche Ehe.
Die Frau von Georg Müller, Maria, hatte zwei Jahre vor ihrem Tod auf einen Zettel geschrieben und diesen dann versteckt. Er wurde nach ihrem Heimgang gefunden: „Sollte es dem Herrn gefallen, Mary Müller plötzlich wegzunehmen, so möge doch keines der teuren Überlebenden denken, das geschehe zum Gericht für die Hinwegeilenden oder die Zurückbleibenden. Sie hat oft, wenn sie den Herrn näher spürte, gedacht: Wie köstlich wäre es, gerade jetzt abzuschieden und bei dem Herrn zu sein, alle Zeit! Nur der Gedanke, welcher ein Schlag es für den Gatten und die Tochter wäre, hat das Sehnen gebändigt, aus der Vergänglichkeit zum Herrn zu entfliehen. Süßer Heiland, dein Wille soll auch dahin geschehen wie in allem und nicht der ihre oder der meine.“
Es ist eine Frömmigkeit, die heute ein bisschen fern ist: Wie köstlich wäre es, jetzt abzuschieden und bei dem Herrn zu sein. Kann das einer von uns nachsprechen? Bei der vielen Arbeit, bei den vielen Gebetserhöhungen, bei diesem Bekanntheitsgrad nur den einen Wunsch zu haben, beim Herrn zu sein – ich glaube, das kann man nur, wenn man täglich mit dem Herrn lebt, die Bibel liest und diesen Mann, der uns vorgestellt wird, die Evangelien so liebgewonnen hat, dass man keinen anderen Wunsch hat, als in seiner Nähe, in seiner Gemeinschaft zu sein.
Diese Worte waren für Georg Müller ihr letztes Vermächtnis, das ihn mächtig tröstete.
Er hatte nur eine Tochter. Nach zwei Jahren heiratete Georg Müller erneut. Er war zu diesem Zeitpunkt etwa 65 oder 70 Jahre alt, genau weiß man es nicht. Nun begann der letzte Teil seines Dienstes, nämlich die äußere Mission.
Bis dahin hatte er kaum Zeit zum Reisen gehabt. Doch in den verbleibenden Jahren, die ich auf etwa 17 schätze, bereiste er 62 Länder der Welt. Er hielt ungefähr fünf bis sechs Ansprachen und erreichte etwa drei Millionen Zuhörer.
Sein Anliegen war es, ein klares, pflichtbewusstes und einfaches biblisches Evangelium zu predigen. Zweitens wollte er die Gewissheit des Heils vermitteln, was ihm sehr wichtig war. Er legte großen Wert darauf, allen Gläubigen deutlich zu machen, wie sie zum Bibelstudium angeleitet werden konnten.
Viertens förderte er die brüderliche Liebe untereinander, gerade angesichts der vielen Trennungen und Spaltungen. Fünftens wollte er den Glauben an die Verheißungen Gottes wecken. Sechstens lag ihm die Trennung von der Welt und die Entwicklung einer himmlischen Gesinnung am Herzen. Und siebtens war es ihm wichtig, die Wiederkunft des Herrn Jesus und die Entrückung den Gläubigen lieb und wichtig zu machen.
Am Ende seines Lebens konnte er bezeugen, die Bibel zweihundertmal von vorne bis hinten durchgelesen zu haben. Er hatte 10.024 Kinder in seine Waisenhäuser aufgenommen und 80.501 Kinder in Schulen unterrichtet.
Seine Mitarbeiter unterstützte er ebenfalls. Er verschickte 1.989.000 Bibeln und Bibelteile. Dabei führte er genaue Buchführung, denn er war ein guter Haushalter. Im Ausland unterstützte er 115 Missionare, darunter Hudson Taylor. Es ist bewegend, dass Hudson Taylor und Lowart Charles Stud in wichtigen Situationen eine Gabe von Georg Müller erhielten.
Ungefähr 50 Millionen englische Pfund sind durch seine Hände gegangen. Diese Summe entspricht heute einem Wert von etwa zwei bis dreihundert Millionen D-Mark. Gläubige vertrauten ihm ihr Geld an, das er weitergab.
Die Gemeinde war auf 1.200 Gemeindeglieder angewachsen, allerdings aufgeteilt in vier Gemeinden. Aus dieser Gemeinde gingen sechzig Missionare in alle Welt hinaus.
Als Georg Müller starb, gab es ein großes Begräbnis mit hunderten von Kutschen und Glockenläuten. Siebentausend Menschen strömten zum Grab, und alle Zeitungen berichteten darüber. Er hinterließ ein Privatvermögen von etwa drei- bis fünfhundert D-Mark.
Im letzten von ihm herausgegebenen Jahresbericht stellte er fest: Der Hauptzweck, den ich mit diesem Werk Weissenhaus verfolgte, ist zu zeigen, dass Gott im neunzehnten Jahrhundert noch der lebende Gott ist. Dass er heute noch genauso wie vor fast zweitausend Jahren auf die Gebete seiner Kinder hört und denen hilft, die ihm vertrauen.
Damit komme ich zum Schluss. Als ihn jemand nach dem Geheimnis seines Lebens, seines Glaubens fragte, antwortete er: „Es gab einen Tag, an dem ich starb – gänzlich starb.“
Er bückte sich dabei immer tiefer und fuhr fort: „Ich starb – Georg Müller – seinen Meinungen, seinen Liebhabereien, seinem Geschmack, seinem Willen. Ich starb der Welt mit ihrem Beifall oder ihrer Kritik. Ich starb sogar dem Beifall oder Tadel der Brüder und Freunde. Und seit dieser Zeit habe ich nach nichts mehr gestrebt, als dass Gott mein Tun billigt.“
Das war das Geheimnis seines Lebens.
Damit möchte ich schließen. Ich denke, dass wir vor allem von Georg Müller lernen können, sich selbst zu sterben – seinen Wünschen, auch seinem Geschmack, dem Beifall und der Kritik der Welt und auch der Gläubigen. Nur eins zu wollen: „Herr, dein Wille geschehe in meinem Leben.“ Amen.