Gott legt Feuer. Sowie in der Wüste der Busch gebrannt hat und Mose vor diesem Feuerzeichen in die Knie ging, oder so wie auf dem Karmel die Opfertiere in Flammen standen und die Baalspriester vor dieser Feuersbrunst das Weite suchten, so gab es Feuer in Jerusalem. "Es erschienen Zungen, zerteilt wie von Feuer." Gott macht keinen Gasherd an, damit wir unser Süppchen kochen können, und Gott macht kein Öfchen an, damit wir unsere Füße wärmen können, Gott legt Feuer. Und Gott schickt Sturm. So wie auf dem Meer der Wind gepfiffen hat und Jona in seiner Kajüte Schutz suchte, oder so wie auf dem See die Wellen hochgingen und die Jünger vor Angst schrien, so gab es Sturm in Jerusalem: "Es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Wind." Gott macht keinen Föhn an, damit wir unsere nassen Kleider trocknen können, und Gott macht keinen Ventilator an, damit wir unsere Stuben lüften können, Gott schickt Sturm. Wer aber Feuer legt und Sturm schickt, der macht Dampf. An Pfingsten wird Dampf gemacht. Den Jüngern in der Tempelhalle wird es warm. Seit sieben Wochen schnattern sie in ihrer Angst. Den Gläubigen in dem Tempelgebäude wird es sehr warm. Seit fast zwei Monaten frieren sie in ihrer Furcht. Den Jesusanhängern in dem Tempelflügel wird es regelrecht heiß. Was fangen sie an, wenn Gott Dampf macht? Sicher werden sie mit Rufen anfangen; Begeisterte stehen auf, werfen die Arme hoch und rufen: "Halleluja!" Sicher werden sie mit Tanzen anfangen; Geistbegabte fassen sich an, regen ihre Glieder und tanzen ihren Glauben. Sicher werden sie mit Taufen anfangen; Geisterfüllte legen Hände auf, beten und geben den Geist weiter. Echte Pfingstler sagen: "Ihr serviert uns die Botschaft des Evangeliums auf dem Eisblock, wir aber servieren sie in der Bratpfanne." Was fangen sie an, wenn Gott Dampf macht? Lukas sagt: "Sie fingen an zu predigen".
Und wir sind geneigt zu sagen: "Ist das alles?" Die Jünger reden. Ist das alles, was herauskommt? Die Gläubigen predigen. Ist das alles, was zu berichten ist? Die Jesusanhänger halten eine Predigt. Wenn es wenigstens eine vernünftige Predigt wäre, die mit unseren Sinnen zu packen ist, aber sie ist ja höher als alle Vernunft. Wenn es wenigstens eine gerissene Predigt wäre, die einen vom Stuhl reißen würde, aber sie erzählt nur von Unsichtbarem. Wenn es wenigstens eine kurze Predigt wäre, die man ohne Kirchenschlaf überstehen könnte, aber zu allem Unglück dauert sie noch über zwanzig Minuten. Trotzdem fangen sie zu predigen an. Wenn Gott Dampf macht, dann macht er keinen Krampf, sondern eine Predigt. Schauen wir nicht immer dorthin, wo außergewöhnliche Geistakrobaten ihre Seiltänze aufführen! Blicken wir nicht immer dorthin, wo sonderbare Geistesgaben ins Rampenlicht gezerrt werden! Starren wir nicht immer dorthin, wo der angeblich richtig Geist fremde und exotische Blüten treibt! "Heiliger Geist ist nicht wie der Rausch eines Fieberkranken", erklärt Hermann Bezzel, "auch nicht der Taumel der Unordentlichkeit, noch das wilde Aufschreien falscher Geistlichkeit. Heiliger Geist ist die stille, friedsame Entschlossenheit, für Christum zu reden und zu arbeiten."
Also wo Jesu Wort laut wird, zum Beispiel in einem bescheidenen Hauskreis, dort ist Pfingsten. Wo Jesu Wort zur Sprache kommt, zum Beispiel in einem traurigen Sterbezimmer, dort ist Pfingsten. Wo Jesu Wort in die Herzen dringt, zum Beispiel bei einem Gottesdienst, dort ist Pfingsten. Immer wenn die großen Taten Gottes in kleine menschliche Worte gefasst werden, damit sie andere erfassen können, dann hat Gott Dampf gemacht. Das Wunder des Pfingstgeistes ist die Pfingstpredigt. Schauen wir sie uns näher an. Sie ist weltweit, weltfremd und weltnah.
1. Sie ist weltweit
In Jerusalem gab es einen harten Kern von Jüngern. Das waren die elf Apostel, die durch eine Stichwahl wieder den vollen Zwölferkreis hergestellt hatten. Dazu gehörte der unverwüstliche Haudegen Petrus genauso wie der sensible Lieblingsjünger Johannes und der treue Marschierer Markus. Aber die Pfingstbotschaft wurde nicht nur im harten Kern, gleichsam in der Brüderstunde verhandelt. Dann gab es eine treue Kerngemeinde von Nachfolgern. Das waren die Geschwister und Verwandten, die sich dem Jüngerzug angeschlossen hatten. Die Mutter Jesu gehörte genau so dazu wie die Maria Magdalena und die Brüder des Herrn. Aber die Pfingstbotschaft wurde nicht nur in der Kerngemeinde, gleichsam im Mitarbeiterkreis, besprochen. Dann gab es eine stattliche Versammlung von Christen. Das waren die 120 Persönlichkeiten, die den Herrn als Gottes Sohn anerkannten. Dazu gehörte der Ratsherr Nikodemus genauso wie der Grundbesitzer Barnabas oder Josef von Arimathia. Aber die Pfingstbotschaft wurde nicht nur in der Versammlung, gleichsam im Gottesdienst, verkündigt. Da ist von Persern und Medern und Elamitern die Rede. Da ist von Phrygiern und Pamphyliern und Ägyptern die Sprache. Da ist nicht einmal das halbwilde Kretervölkchen keusch verschwiegen. Europäer, Afrikaner, Asiaten hörten die großen Taten Gottes reden. Die ganze Welt kam plötzlich in Sicht.
Warum ist uns nur so wohl in der eigenen Jungenschaft, wo wir uns alle so prächtig verstehen? Warum ist es uns nur so heimelig im eigenen Hauskreis, in dem sich nur Sympathische und Gebildete treffen? Warum ist uns nur so angenehm im eigenen Gotteshaus, als ob die Umfassungsmauern die Grenzmauern des Reiches Gottes wären? Die Pfingstpredigt öffnet Fenster und Türen. Der Pfingstgeist ersetzt den Mief frömmelnder Rechtschaffenheit mit dem Duft der großen, weiten Welt. Das Pfingstwunder schenkt ein Fernweh nach den Brüdern und Schwestern ins Herz, die hinter Grenzen, Gräben und Mauern leben müssen. Als William Carey, der einfache Flickschuster davon gepackt wurde, schob er den Dreifuß beiseite und legte den Hammer aus der Hand. Nicht einmal die oberkirchenrätlichen Herrschaften in London konnten ihn davon befreien. Als sie ihm sagten: "Wenn Gott so etwas Ungeheures wie die Heidenmission gewollt hätte, dann würde er es ohne ihre Hilfe tun!" Er kaufte er eine Schiffspassage nach Indien und reiste nach Kalkutta. Weil alle Völker und Nationen die Jesusbotschaft hören müssen, formulierte er: "The World ist my parish." Die Welt ist meine Parochie. Der Stiftspfarrer sagt: "Der Hauptbahnhof und Tagblattturm markieren meine Parochie." Der Stadtdekan sagt: "Stuttgart gehört zu meiner Parochie." Der Prälat sagt: "Die Landkreise Esslingen, Ludwigsburg und Stuttgart bilden meine Parochie." Wir aber müssen sagen lernen: "The world is my parish." Die kleinen Karos passen nicht mehr in unser Denken. Dem pfingstlichen Feuer und Sturm sind keine Grenzen gesetzt. Seine Leute gehen bis an die Enden der Welt. Die Pfingstpredigt ist weltweit.
2. Sie ist weltfremd
In Jerusalem gab es keinen Beifall. Als die Jünger vom Gekreuzigten reden, der für unsere Schuld sein Leben lassen musste, blieben die Hände in der Tasche. In Jerusalem gab es auch keine Bravorufe. Als die Apostel vom Auferstandenen predigen, der dem Tod den tödlichen Biss genommen habe, knirschten sie mit den Zähnen. In Jerusalem gab es erst recht keine Blumen. Als die Jesusanhänger den Wiederkommenden ankündigten, der jetzt schon den guten Geist vorausschicke, stampften sie mit den Füßen auf den Boden. In Jerusalem gab es etwas ganz anderes. Es gab helles Entsetzen: "Wo will das noch hinaus!" Und es gab beißenden Spott: "Die sind total betrunken!" Und es gab abgrundtiefen Hass: "Weg mit diesen Typen!"
Sagen wir bitte nicht, dies gelte für unser Jahrzehnt und für unsere Breitengrade nicht mehr. Sicher sind die Spielarten des Spottes und die Hitzegrade des Hasses verschieden. Sie richten sich nach der politischen Großwetterlage, die sehr wechselhaft ist. Im sibirischen Arbeitslager und im südkoreanische Gefängnis sieht es in der Tat anders aus als auf dem Killes berg. Trotzdem bleibt es dabei, und junge Christen in der Kasernenstube oder in der Lehrwerkstatt könnten uns ein Lied davon singen: Der Spott und Hass der Welt ist kein Sonderfall, sondern der Normalfall. Wer mit Arbeitszeitverkürzung und Lohnerhöhung kommt, wird gefeiert. Wer aber mit Sündenvergebung und Auferstehung kommt, wird gefeuert: "Die sind doch geistig unterbelichtet! Die sind doch unbequeme Außenseiter! Die sind doch Gottes Befehlen in Richtung Veränderung der Gesellschaft ungehorsam! Die sind doch völlig aufgeblasen, arrogant, intolerant, als ob sie die Wahrheit für sich gepachtet hätten!" Nein, großen Zulauf werden wir mit der Botschaft Jesu nicht bekommen, aber seine Zusage: "Der Knecht ist nicht größer als sein Herr. Der Jünger ist nicht besser als sein Meister. Haben sie den Herrn Teufelskerl geheißen, wieviel mehr werden sie seine Junger so heißen?" Weil die Welt mit Gott prozessiert und ihm das Vertrauen aufgekündigt hat, deshalb prozessiert sie mit seinen Jüngern und will nichts mit ihnen zu tun haben. Weil die Welt nicht im Einklang mit Gott steht, deshalb gibt es keine Harmonie mit seinen Leuten. Weil die Welt Artfremdes abstößt, deshalb ist die Pfingstpredigt weltfremd. Ob wir im Großen mit Verfolgungen zu tun bekommen, oder ob uns im Kleinen der ätzende Zynismus zu schaffen macht, es wird für alle Zeiten dafür gesorgt sein, dass wir uns mit dem Zeugnis von Jesus fremd vorkommen. Aber er selbst wurde fremd in der eigenen Familie. Dann entfremdete er sich von seinem Volk. In der Fremde von Zöllnern und Sündern suchte er nach den Verlorenen. Nicht einmal der Spott und Hass der Menge konnte ihn befremden. Als Fremder starb er schließlich draußen vor der Tür. Aber gerade als solcher ist er zum Freunde derer geworden, die mit dem Psalmisten sagen müssen: "Ich bin fremd geworden unter meinen Brüdern." Die Pfinsgtpredigt ist weltfremd, aber ...
3. Sie ist weltnah
In Jerusalem gab es genug Köpfe, die nach altgriechischem Vorbild dem Geist intensiv nachdachten, denn "Denken ist des Menschen würdigste Beschäftigung" hat der alte Sophokles gesagt. Inmitten von so viel Menschengeist muss doch ein Weltgeist am Werke sein, der alles in die richtige Richtung lenkt. Die Kette derer, die darüber nachdachten, ist im Lauf der Jahrhunderte gar nie abgerissen, bis dann im Jahre 1806 der Tübinger Stiftler Georg Wilhelm Friedrich Hegel seine Fundsache laut proklamierte: Es gibt einen Weltgeist, der die Welt in immer herrlichere Zeiten vorwärtstreibt und schließlich in einer allgemeinen Vergeistigung enden lässt. Der Jubel war groß, aber die Ernüchterung folgte auf dem Fuß. Der Weltgeist entpuppte sich als Irrgeist, der ein paar Vordenker an der Nase herumführte, als Zeitgeist, der modischen Strömungen unterlegen war, als Ungeist, der immer schrecklichere Methoden des Mordens und Tötens erfand, als Lügengeist, der die Wahrheit auf den Kopf stellte. Heute noch von einem guten Weltgeist zu reden, wo wir die Geister nicht mehr herren, die wir riefen, ist doch sträflich weltfern.
Die Pfingstpredigt kündigt den Heiligen Geist an: "Ich will gießen von meinem Geist über alles Fleisch, spricht Gott." Und dieser Geist will zu mir kommen, er will bei mir die Tür öffnen, er will in mir Wohnung nehmen. Der Heilige Geist will also hautnah sein. Wir haben zu viel andere Geister im Haus, die sich bei uns ungebeten einquartiert und unverschämt breit gemacht haben. Bei wem wohnt nicht der Geist der Angst vor dem, was noch über uns hereinbrechen bzw. hereinstrahlen könnte? Bei wem wohnt nicht der Geist der Furcht vor dem, was Menschen an Unmenschlichem auch noch ersinnen könnten? Bei wem wohnt nicht der Geist der Bedrückung vor dem, was man alles an Schuld auf sich geladen hat? Bei wem wohnt nicht der Geist der Verzagtheit vor dem, was an Schmerzen, an Leiden, an Krankheiten noch auf uns wartet? Die Pfingstpredigt sagt, und so steht es in Joh. 14: "Wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen." Dann gilt's: "Weicht ihr Trauergeister, denn mein Freudenmeister Jesu tritt herein." Dann wird's wahr: "Um Trost war mir sehr bange, aber du hast dich meiner Seele herzlich angenommen." Dann steht's fest: "Euer Herz soll sich freuen und eure Freude soll niemand von euch nehmen."
Liebe Freunde, seit Pfingsten sind wir doch nicht mehr von allen guten Geistern verlassen. Die weltweite, wohl weltfremde, aber weltnahe Botschaft gilt: "Ich will meinen Geist in euch geben."
Amen
[Predigtmanuskript; nicht wortidentisch mit der Aufnahme]