Eröffnung und Gebet zum Beginn
Lassen wir uns betend an den Vater wenden. Wir danken dir an diesem Abend, dass du mit uns gegangen bist und weiterhin mit uns gehst.
Wenn wir uns heute Abend hier über dein Wort versammeln und unsere Köpfe hängen lassen, weil es nicht mehr so recht weitergeht, dürfen wir dich bitten, Herr: Erhebe unsere Augen.
Gib uns neue Kraft in unsere Glieder, damit wir uns aufmachen und vorwärtsstürmen zu dem uns vorgesteckten Ziel.
Herr, rede jetzt mit uns. Amen.
Einführung in den Text: Das Streben nach Vollkommenheit
Philipper 3, heute die Verse zwölf bis zum Schluss des Kapitels: Philipper 3,12 folgende.
Nicht, dass ich es schon ergriffen habe oder schon vollkommen sei, aber ich jage ihm nach, ob ich es wohl ergreifen möchte, nachdem ich von Jesus Christus ergriffen bin.
Meine Brüder, ich schätze mich selbst noch nicht so ein, dass ich es ergriffen habe. Eins aber sage ich: Ich vergesse, was da hinten ist, und strecke mich nach dem, was da vorne ist. Ich jage nach dem vorgesteckten Ziel, nach dem Kleinod der himmlischen Berufung Gottes in Christus Jesus.
Wie viele nun unter uns vollkommen sind, so lasst uns so gesinnt sein. Und solltet ihr in einem Stück anders denken, so wird euch Gott auch das offenbaren. Nur was wir schon erreicht haben, darin lasst uns auch wandeln.
Folgt mir, liebe Brüder, und seht auf die, die so wandeln, wie ihr uns habt zum Vorbild. Denn viele wandeln, von welchen ich euch oft gesagt habe, nun aber sage ich es auch unter Tränen: Sie sind die Feinde des Kreuzes Christi.
Ihr Ende ist die Verdammnis, ihr Gott ist ihr Bauch, und ihre Ehre ist in ihrer Schande. Sie sind irdisch gesinnt, unsere Heimat aber ist im Himmel, von dannen wir auch warten des Heilandes Jesus Christus, des Herrn, welcher unseren nichtigen Leib verklären wird.
Er wird ihn gleichmachen seinem verklärten Leibe nach der Wirkung seiner Kraft, mit der er auch alle Dinge sich untertan machen kann.
Das Bild des Lebenslaufs und seine Bedeutung
Eigentlich schade, dass dieser Begriff „Lebenslauf“ heute nur durch eine Parteizeitung weithin bekannt ist. Dabei wäre das der richtige Titel für eine Kirchenzeitung, passend für einen Gemeindebrief oder am allerbesten die Überschrift über einen Lebenslauf.
Menschen, die bald einen Beruf beginnen wollen, die sich vorstellen oder sich irgendwo bewerben, müssen immer einen Lebenslauf beifügen. Am besten einen handgeschriebenen Lebenslauf, nicht so kurz wie der damals im Jugendgefängnis, das bei uns am Amtsgericht angegliedert war.
Wenn dort jemand ins Gefängnis kam, musste er immer zuerst einen Lebenslauf schreiben, so zu Beginn seiner Haftzeit. Wir haben diese Lebensläufe dann mit großem Vergnügen gelesen. Einer, wahrscheinlich nicht der Begabteste und vielleicht auch nicht der beste Schreiber, schrieb: „Ich habe es nicht mehr vergessen. Über diesen Lebenslauf: Ich bin am so und so fehlenden Tag in so und so geboren, vor acht Tagen wurde ich verhaftet. Jetzt ist mein Lebenslauf beendet.“
Das ist auch ein Lebenslauf, mit nur drei Sätzen beendet. Sicher ein schlechter Lebenslauf, aber auch wenn wir ihn selbst schon einmal geschrieben haben oder wenn Sie einen schreiben müssen oder noch schreiben werden, stellt sich doch die Frage: War das, was Sie bisher gelebt haben, wirklich ein Lebenslauf, ein Lauf?
War es vielleicht nur ein Versteckspiel, bei dem man dauernd versucht hat, jemandem aus den Augen zu kommen? Oder war es ein einziges Abenteuer, bei dem man sich immer ins nächste gestürzt hat? Oder, liebe Freunde, war Ihr Leben bisher eine Hetzjagd? Wäre es nicht besser gewesen, darüber zu schreiben: eine Hetzjagd statt eines Lebenslaufs? Einem zum anderen hinterher?
Oder war es eine Kreuzfahrt – kreuz und quer, vor und zurück? Großartiges erlebt und Erschütterndes gesehen, und am Schluss wieder am Ausgangspunkt, wo man eigentlich gestartet war. Ein Leben so wie eine Kreuzfahrt.
Dann kenne ich solche, bei denen es wie ein Glücksspiel war. Sie setzen viel ein und hoffen, das große Los gewonnen zu haben. Wenn man genau hinsah, war es aber eine Niederlage, eine einzige Niederlage.
Oder war Ihr Leben überhaupt nur ein Schlendrian? Man hat sich treiben lassen, sich gehen lassen. Oder müssten Sie darüber schreiben: Enttäuschung, eine einzige Enttäuschung, was ich erlebt habe?
War es ein Lebenslauf, liebe Freunde?
Das Leben als zielgerichteter Lauf
Zu einem Lauf gehört, dass das Leben keinesfalls mit einem Kreisel vergleichbar ist. Ein Kreisel wird mit einer Peitsche geschlagen, läuft dann eine Zeit lang, wird immer wackeliger und fällt schließlich um. Es ist kein modernes Spiel mehr. Heute lässt man Kreisel mit Batterien laufen.
Früher, bei uns, hieß das „Topfen“. Man hat diese Kreisel auf der Straße geschlagen. Heute kommen die Autos und machen alles kaputt. Damals konnte man noch Topfen auf der Straße. Unser Leben war einmal geschlagen, und dann blieb man schließlich irgendwo liegen, weil man keine Kraft mehr hatte, sich zu drehen.
Ein Lauf ist auf ein Ziel ausgerichtet. Das wissen wir ja schon. Dieses Bild benutzt Paulus öfter. Er spricht oft vom Lauf. Die Olympischen Spiele müssen ihn damals fasziniert haben. Olympia, wo noch die ganze damalige Welt zusammenkam und nicht immer die Hälfte wegblieb. Das war damals so. Dieses Olympia hat ihn fasziniert. Wahrscheinlich hat er es auch irgendwann einmal besucht (1. Korinther 9,2; 2. Timotheus 4).
Dort sieht er jenen Läufer am Startblock stehen. Der Läufer hockt zusammengekauert, völlig wartend und gespannt auf den Schuss, das Startsignal. Dann kommt er aus seinen Startlöchern und hat nichts anderes im Kopf. Man sieht ihm an, wie er über die Strecke rast, um das Ziel zu erreichen.
Paulus hat genau so ein Ziel vor Augen, seit Jesus ihn ergriffen hat. Darauf läuft er zu, darauf geht er zu, darauf ist er absolut gespannt. Er ist noch nicht vollkommen. Der Begriff „telaios“ bedeutet vollkommen, voll erwachsen, im Gegensatz zum Kind, das noch nicht erwachsen ist. Oder es meint die mittlere Reife im Gegensatz zur Vollreife eines Professors. Es kann auch im Opferbetrieb bedeuten: vollkommen, ein Tier ohne irgendwelche Fehler – im Gegensatz zu solchen, die hinken oder sonst einen Fehler am Fell haben.
Paulus sagt: „Ich habe noch nicht die letzte Reife, ich habe noch nicht die Reifeprüfung bei diesem Herrn erlangt. Ich bin noch nicht vollkommen, ich bin noch nicht am Ziel, aber ich bin auf der Strecke. Mein ganzes Sehnen ist danach ausgerichtet, einmal an dieses Ziel zu kommen.“ Sein Lebenslauf ist zu einem Glaubenslauf geworden.
Liebe Freunde, darauf kommt es an, und das ist das, was eigentlich in diesen Versen ausgedrückt ist. Euer Glaube, euer Lebenslauf kann sehr verschieden aussehen. Wenn wir unsere Lebensläufe nebeneinanderlegen würden, hätten sie die verschiedensten Bilder. Aber in einem einzigen müssten sie uns gleichen: dass es tatsächlich Läufe sind.
Es muss uns spätestens heute Abend aufgegangen sein, dass wir nicht stehenbleiben können. Dass wir nicht einfach so weitermachen, mal links, mal rechts, mal rückwärts. Sondern dass alles darauf ankommt, dass wir ans Ziel kommen, dass wir uns nach vorne ausstrecken.
Getrieben werden wir nicht. Ein Treibholz kommt auch einmal irgendwohin. Wir sind kein Treibholz. Wir werden höchstens abgetrieben. Es bedarf jeder Anstrengung, es bedarf aller Kräfte des Glaubens und des Lebens, um unseren Lebenslauf zu einem Glaubenslauf zu machen und dort vorne anzukommen.
Deshalb hat Paulus jene drei Imperative in diesem Text: Vergesse, jage, folge. So könnte man es sich merken.
Die Bedeutung des Vergessens im Glaubenslauf
Zum Ersten: Vergesse nicht, was dieses Ziel ist, was der Apostel hier im Auge hat. Was meint er eigentlich mit dem Begriff "Kampfpreis", nachdem er sich ausstreckt?
Es ist nicht die Seligkeit, liebe Freunde. Es ist nicht die Errettung aus Angst und Sünde, Welt und Tod. Es ist nicht der Eingang ins Himmelreich. All das hat uns Jesus nämlich geschenkt. All das will Jesus für uns erwerben.
Dass wir dorthin kommen, wo wir Gott von Angesicht zu Angesicht sehen und ihn erkennen in seiner Größe und Allmacht, das liegt nicht in unserem Wollen und in unserer Anstrengung, sondern allein an Gottes Erbarmen. Wir dürfen das nicht verwechseln. Man muss dazu Philipper 2,13 oder Römer 9,16 lesen. Die himmlische Berufung steht fest.
Was der Apostel aber will, ist dies: dass er dieser Berufung von oben – so heißt es wörtlich – Folge leistet, sie einübt und auslebt. Dies ist ein so hohes Ziel, dass es nur mit Anspannung aller Kräfte erreicht werden kann. Keiner hat es hinter sich, solange er hier lebt.
Dieses "noch nicht" könnte man vielleicht am besten an einem Bild verdeutlichen: Einer brennt zuhause durch und landet schließlich im Gefängnis. Dort gehört er zu den wenigen Glücklichen, die den Kontakt zu ihrem Elternhaus aufrechterhalten können. Leider ist es oft so, dass viele Eltern den Kontakt abbrechen, wenn einer im Knast landet: "Mit dem Lump wollen wir nichts mehr zu tun haben."
Er hatte das Glück, verständige Eltern zu haben. Sie schreiben ihm: "Lieber Sohn, wenn du entlassen wirst, dann darfst du nach Hause kommen. Dann nehmen wir dich herzlich auf. Komm nach Hause!" Nach Ableistung seiner Strafe legt er die Häftlingskleider ab. Es kommt der Tag, an dem er seinen Straßenanzug wieder ausgehändigt bekommt. Dann öffnet sich das Tor – eine neue Zukunft liegt vor ihm.
Aber jetzt stellt sich die Frage: Wird er wirklich nach Hause kommen? Gleich um die Ecke ist die Kneipe, die er von früher kannte. Ein paar Straßen weiter wohnt jene schlechte Freundin, mit der er zusammen in jenen Sumpf geriet. Und gleich im nächsten Ort sind die alten Versuchungen und die alten Kumpels.
Wird er es schaffen, durch all das hindurch nach Hause zu kommen? Er muss sich anstrengen. Er muss alle Kräfte zusammennehmen. Er muss angespannt sein auf dieses Ziel hin, um die Einladung der Eltern verwirklichen zu können.
Liebe Freunde, dass wir aus dem Schuldgefängnis freikommen, ist nicht unser Wollen und nicht unser Verdienst. Von Natur aus sitzen wir alle in Haft – in Haft der Schuld und der Sünde, jeder, ob wir es wollen oder nicht.
Nun kommt dieser Herr und sagt: "Die Tür ist offen, du hast eine neue Zukunft vor dir, du darfst nach Hause kommen." Und jetzt die Frage: Gleich draußen ist eben jene Versuchung, die uns morgen wieder zu schaffen macht. Gleich draußen sind wieder die alten Freunde, mit denen ich nicht weiterkomme. Dort hinten sind jene Versuchungen, die schon früher Fallstricke für mein Leben waren.
Wir sind gerettet, liebe Freunde, ganz bestimmt – jedoch auf Hoffnung. So meint dieser Text es auch, ebenso Römer 8,24. Wir sind begnadigt und heimgerufen, aber noch nicht zuhause.
Und jetzt ist es wichtig, dass wir laufen und diese Zukunft ergreifen, bis wir nach Hause kommen.
Die anhaltende Berufung und das Streben im Glauben
Meine Brüder, ich schätze mich selbst nicht so ein, als hätte ich es ergriffen, schrieb Paulus. Er denkt dabei nicht nur an die Wegstrecke, die er zurückzulegen hat, sondern auch an die Aufgaben, die in dieser Berufung Gottes liegen.
Wir haben auf diesem Weg etwas zu tun, und darin hinkt mein Vergleich mit dem Mann, der aus dem Gefängnis entlassen wurde. Reich ist der Herr, der nach unserem Leben greift, und überreich ist die Fülle der Gaben und Aufgaben, die wir von ihm empfangen. Wer kann behaupten, damit am Ziel und am Ende zu sein?
Wenn einer zu dieser Selbsteinschätzung Grund gehabt hätte, dann Paulus. Er wurde ja in Damaskus ergriffen – besser gesagt, er wurde von diesem Herrn herumgedreht, bekehrt und hat ihn genutzt, um Gemeinden rund um das Mittelmeer zu bauen. Sein Lebenswerk hätte sich sehen lassen können. Paulus hätte sich in den Liegestuhl legen, sich aufs Ruhibänklein setzen und sich besinnlich anschauen können, was ihm alles gelungen ist.
Doch er sagt: Vergiss, vergiss, was da hinten ist! Ich denke nicht daran, auf irgendwelchen Lorbeeren auszuruhen, als ob mein Dienst jetzt zu Ende sei, mein Werk für Christus vollbracht sei. Sage nicht, mein Soll sei erfüllt! Paulus ist im Gefängnis, am Rande des Todes, und doch noch von der heiligen Unruhe erfüllt, etwas für diesen Herrn zu tun.
Seine eigentlichen Gegner hier in diesem Text sind die sogenannten Antinomisten. Sie leugneten, dass es im Christentum überhaupt Gesetze gibt. Sie behaupteten, wer die Gnade Gottes empfangen und der Gnade Gottes gewiss sei, könne tun, was er wolle. Er brauche keine Anstrengung und keine Zucht.
Vielleicht gibt es in unseren Reihen auch solche Antinomisten. Man ist getauft, konfirmiert, hat eine Bibel zu Hause und ein Gesangbuch. Von was reden die denn eigentlich immer? Was wollen die mehr? Ich bin doch so, wie es eigentlich gewünscht wird. Nun kann ich tun, was ich will. Ruhe sei das beste Gut.
Doch Paulus sagt: Vergiss das! Vergiss solche Stimmen. Ruhe ist kein möglicher Stand des Christen. Ruhestand ist überhaupt kein möglicher Stand der Christen. Sicher darf sich keiner für überflüssig halten, und niemand soll an seinen Ämtern kleben oder meinen, ohne ihn gehe die Geschichte nicht weiter.
Es gibt Zeiten, in denen man sich aus der Verantwortung lösen muss. Das sage ich besonders den Eltern, die heranwachsende, verheiratete Kinder haben. Es gibt Zeiten, in denen man seine Hände weglassen, Verantwortungen abgeben und nichts mehr damit zu tun haben sollte.
Aber Hände in den Schoß legen – das gibt es nicht. Luther, der ja immer die schönsten Auslegungen beigesteuert hat, sagte: Man darf die himmlische Berufung, die man hat, nicht in den Rauch hängen. Sie kennen das vom Schwarzwald, dort hängt man den Speck in den Rauch. Man soll es nicht in den Rauch hängen, da wird es nur frommer Speck.
Solange uns Jesus Leben gibt, gibt er uns auch eine Aufgabe. Als eine alte Dame mich am Samstag anrief, fast zitternd, und fragte, wie es am Freitagabend in der Schleierhalle verlaufen sei, war sie überglücklich. Sie erzählte, sie habe jeden Abend von acht bis neun mit einer Freundin zusammen die Hände gefaltet, um für diese Sache zu beten und sie mitzutragen.
Sie hat es begriffen: eine Berufung bis zum Schluss. Berufen, auf diesem Weg zu bleiben. Da bleibt keiner übrig, nicht jeder kann im Großen wirken, und nicht jeder muss im Großen wirken. Das soll uns nicht bekümmern. Nicht die Reichweite unseres Dienstes ist gefragt, nicht das Erfolgsziel, sondern die Mühe und Treue, die wir an die Sache Jesu hängen.
Ich werde nicht gefragt, was ich alles einmal getan habe. Sie werden nicht gefragt nach Zahlen und großartigen Tabellen. Aber sie werden gefragt nach ihrer Treue, nach der Mühe, die Sie an die Sache gehängt haben. Wichtig ist, dass wir uns nicht selbstzufrieden zurückziehen in irgendeinen Winkel, sondern dass wir am Laufen bleiben – den Blick auf die Zukunft gewandt.
So sagt Paulus es noch einmal sehr direkt und eigentlich sehr einfach: Vergiss, vergiss, was gestern war. Vergiss auch, was heute gewesen ist, was dir heute so schwer geworden ist. Vergiss das! Vergiss, was vorgestern war, vergiss, was im letzten Jahr und vor zehn Jahren gewesen ist.
Es ist entsetzlich, was wir alles mit uns herumschleppen und innerlich letztlich gegen andere auspacken. Vergiss das! Vergiss auch, was du Gutes getan hast. Vergiss das, wenn du einen Zehnten gegeben hast. Vergiss das! Was du an Medaillen errungen hast – sie sind alle nur vergänglich. Vergiss deine Fehltritte und vergiss deine Erfolge. Vergiss das alles. Lass es zurück.
Das unermüdliche Jagen nach dem Ziel
Zweitens: Jage, jage! Das ist dieses Nein zu aller Sattheit, nein zum landläufigen Begriff von Christentum, der meint, mit Taufe oder Bekehrung sei das Ziel bereits erreicht. Nein, da fängt es ja erst an. Schwierigkeiten beginnen dort, wo jemand mit diesem Herrn Ernst macht.
Paulus hat sich bekehrt – oder besser gesagt, er wurde bekehrt. Er drehte sich um hundertachtzig Grad, aus einem ehemaligen Verfolger wurde ein Leibeigener. Aber gerade deshalb kann er nicht stehenbleiben. Es ist nicht damit getan, dass ich damals oder vorgestern zum Glauben kam, als Gott seinen Sohn mir offenbarte. Heute und morgen will die Kraft Jesu in meiner Schwachheit wirksam werden.
Es ist ein Anfang, den ich tun durfte. Unerschöpflich und herrlich ist der Beruf, den ich durch seine Berufung erhielt. Aber ich jage nach, ob ich ihn wohl ergreifen werde. Berufung will ergriffen sein – so wie die Schatzgräber in den goldenen Zwanzigerjahren, als sie von diesem Ruf ergriffen wurden: Im Westen gibt es Gold! Dann jenes „Let's go West!“. Dann jenes „Lasst uns nach Westen sehen!“. Sie waren durch nichts mehr aufzuhalten, durch keine Schwierigkeiten.
Sie nahmen die größten Hindernisse auf sich, die größten Demütigungen und Hungerszeiten, Hitze, um durch die Wüste zu kommen – bis dorthin, wo Gold gegraben werden konnte. Gejagt, let's go West! Jagen, dass wir das werden, was wir nach Gottes Ruf und Vorsatz sind: seine Kinder, Zeugen, Erben seiner Herrlichkeit.
Danach jagen, nicht schleichen, nicht trotteln, nicht im Schneckentempo vorankommen, so dass der Landsturm noch nachkommen kann. In der Albrecht-Übersetzung heißt es: „Was vor mir liegt, dem eile ich wie ein Wettkämpfer mit vorgebeugtem Haupte zu.“ So jage ich dem Ziel entgegen, um jenen Kampfreiß zu erlangen, den Gott mir in der Gemeinschaft Jesu Christi verheißen hat.
Verheißen, liebe Freunde, nicht in diesem Leben, nicht in der vergehenden Welt. Damit sind wir eigentlich schon beim Thema des Himmelfahrtsfestes. Suchet, was Verheißen ist! Das ist eine Absage an all die Lebensversuche, die wir in diesem Leben kennen, die nur die Steigerung des irdischen Wohlbehagens oder dessen Sicherung im Auge haben.
Und hier wieder diese Rückfrage des Paulus an uns: Nach was jagen wir? Am Anfang wurde die Frage nach dem Lebenslauf gestellt, und nun noch einmal die Frage: Diese Jahre, die vor uns liegen – mögen es fünfzig, vierzig oder nur zwei Jahre sein, ich weiß es nicht – nach was jagen wir in diesen Jahren? Nach Glück? Sicher, keiner kann letztlich ohne Glück leben, aber jagen Sie danach?
Oder sind Sie immer noch dran, nach Anerkennung zu jagen? Die Leute anerkennen Sie nicht? Oder jagen Sie danach, die Gunst Ihrer verlorengegangenen Kinder zu gewinnen? Jagen Sie letztlich Ihren Kindern nach? Ich verstehe das. Aber jagen Sie ihnen nach? Oder jagen Sie nach einer besseren Stellung, einer Stufe weiter im Betrieb? Wenn der in den Ruhestand tritt – hoffentlich mit 63 –, dann komme ich dran? Jagen Sie dem nach?
Alle miteinander haben wir ganz bestimmte Ziele, die wir zu erreichen suchen. Und ihr, Freunde, diese Ziele – wenn ihr sie kennt – dann hört den Paulus, der sagt: Tu das alles weg! Das ist zweit- oder drittklassig. Jage doch nach dem vorgesteckten Ziel!
Was ist denn eigentlich der höhere Posten im Betrieb? Was ist denn eigentlich die Anerkennung bei deinen Nachbarn? Was ist das alles, wenn du noch ein paar Tausender auf der Kante hast? Was ist das? Jage nach diesem anderen Ziel!
Unser Leben wird total umgekrempelt, es wird neu, es hat ein neues Ziel! Ich bin nicht mehr ausgerichtet auf kurzfristige Ziele, sondern langfristig auf diesen Herrn. Jage danach – eine herrliche Jagd!
Jage nach dem, was droben ist! Welt, du bist uns zu klein! Das ist’s: Du bist uns zu klein! Wir gehen durch Jesuleiden hin zu den Herrlichkeiten, zu den Ewigkeiten. Eh soll nur Jesus sein, eh soll nur Jesus sein! Jage!
Nachfolge und das Vorbild des Apostels
Und noch dieses letzte: Folge meinem Beispiel nach. Paulus meint, ihr könnt in diesem oder jenem Punkt anders denken. Wir haben viele Möglichkeiten, über Politik oder über Kunst und Literatur verschieden zu denken.
In der Zielsetzung unseres Christenlebens könnt ihr jedoch von meinem Vorbild nicht abweichen. Jeder, der die Berufung empfing, ist auf der Laufbahn und muss diesen Lauf antreten. Keiner kann sich freundlich auf die Zuschauertribüne zurückziehen – weder auf den dritten noch auf den vierten Rang.
Es gibt in Philippi Leute, deren Leben grundverschieden von dieser Lebensführung des Paulus war. Feinde des Kreuzes Christi – was sind das? Feinde des Kreuzes Christi sind diejenigen, deren Gott der Bauch ist. Sie sind irdisch gesinnt und mehr noch Feinde Jesu Christi.
Man vermutet, dass es damals Leute gab, die Gnostiker genannt wurden. Sie teilten die Welt in Geist und Materie ein. Der Geist ist gut und die Materie ist böse. Die Welt ist Materie und deshalb böse, und unser Leib ist auch Materie und somit böse. In ihm ist nur ein Stück guter Geist gefangen.
Das bedeutet: Wenn ich auch Materie bin, dann kann ich tun und lassen, was ich will. Schlecht bleibt schlecht. Welche Forderungen lege ich mir eigentlich auf? Welche Gesetze? Lasst uns essen und trinken, lasst uns durch die Pfützen dieser Welt gehen. Schlecht bleibt schlecht. Einmal wird der Geist befreit, und dann ist alles gut.
Das sind die einen, die Feinde Christi des Kreuzes. Die anderen sind diejenigen, die sagen – und das gab es damals in großer Zahl – der Mensch habe die Pflicht, alle Tiefen der Sünde zu ergründen. Die Erfahrung der Sünde braucht der Mensch zur Vervollständigung seiner Erfahrungen.
Ich kenne das heute auch. Paulus geht gegen sie alle vor, die ihr sündliches Leben noch rechtfertigen wollen – Feinde des Kreuzes Jesu. Jesus ist für die Sünde gestorben, und deshalb habt ihr nichts mehr damit zu schaffen. Folgt mir in einer anderen Richtung nach, meinem Beispiel.
Die himmlische Heimat als Ziel des Glaubenslaufs
Und nun sagt er es zum Schluss noch einmal: Unsere Heimat ist im Himmel. Dieses Bild verstanden die Philippa.
Wir hatten es schon einmal: Philippi war ja eine römische Kolonie. Die jungen Römer dort mussten zum großen Teil nicht nur zwei Jahre dienen oder sechzehn Monate, sondern einundzwanzig Jahre. Man stellt sich vor: einundzwanzig Jahre Militärdienst. Wenn sie dann entlassen wurden, bekamen sie in irgendeiner Provinzstadt dieses römischen Reiches ein Stück Land, ein Häuschen und ihr Auskommen.
Dort, ob in Philippi oder anderswo, sprachen sie römisch, lebten römisch und hatten römische Gesetze. Sie wussten selbstverständlich: Auch wenn wir in Philippi wohnen, ist unsere eigentliche Heimat Rom. Jeder, der sie anschaute, wusste, das sind Römer, und sie leben römisch.
Mit diesem Ausdruck sagt der Apostel: Wir leben weit weg vom Himmel, weit, sehr weit sogar. Trotzdem ist das unsere Heimat. Dorthin gehören wir, dorthin gehen wir zu. Man muss es uns ansehen und abspüren, dass das unsere Heimat ist.
Christen müssten einen Geruch der Ewigkeit ausstrahlen, etwas widerspiegeln von unserer Heimat. So wie man es den Menschen in Philippi ansah, dass sie Römer sind und nicht irgendein Jude, so müsste man uns ansehen als Christen, deren Heimat hier nicht ist, sondern im Himmel. Wir sind durchwirkt von jener Heimat.
Liebe Freunde, einmal werden wir dort hinkommen. Einmal werden wir diesen sterblichen Leib ablegen. Und einmal werden wir Gott loben von Ewigkeit zu Ewigkeit.
Gott tut nichts Halbes. Den ganzen Menschen will er für sich retten. Darum kommt die Erlösung, die uns in Jesus gegeben ist, nicht nur der Seele, sondern auch dem ganzen Leib zugute. Unser nichtiger Leib wird umgewandelt und gleichgestaltet der Herrlichkeit, so wie es ausführlich in 1. Korinther 15 dargestellt ist.
Wichtig ist, wie hoch und groß dieses Ziel ist. Noch sind wir aufs Warten und Hoffen festgenagelt. Aber Christen sind Leute, die sich hier nicht behaglich und für immer einrichten. Nein, sie sind es nicht.
Man hat mir damals gesagt, als ich als Pfarrer in meiner ersten Gemeinde anfing: Ein Kollege rief mich an und sagte, ich solle meine Nägel in der Wand nur halb einschlagen, denn ich müsse weiterziehen. Christen sind Menschen, die Nägel nur halb einschlagen. Sie wissen, dass sie selbst im Eigenheim nicht ewig bleiben können.
Sie sind auf der Reise, sie sind auf der Durchfahrt. Wenn ich selbst an mir leide, an den Gebrechen, die sich bei mir einstellen, weiß ich: Es kommt der Augenblick, wo ich das ausziehen werde, so wie eine Soldatenrüstung.
Und wenn ich auf der Intensivstation liege, ein Mensch, der nur noch ein Wrack ist, der nicht mehr zu heilen, sondern immer mehr zerfällt, dann kommt der Augenblick, wo ich das alles ablegen werde. Ich werde vor meinem Herrn stehen, so wie er es eigentlich in seinem Bilde gewollt hat.
Das sind jene alten Menschen, die sich selbst nicht mehr im Spiegel sehen können und Angst vor dem neuen Morgen haben, weil neue Leiden und Schmerzen aufkommen. Das alles dürfen wir ablegen. Unsere Heimat ist im Himmel, wo wir frei sind von den Gebrechen und diesen Herrn von Herzen loben.
Das ist kein untätiges, kein passives Erwarten, sondern ein Ausstrecken, um ihm ähnlich zu werden, Christus Jesus. Da bleibt weder Zeit noch Raum, um an eine möglichst vorteilhafte Position in dieser Welt zu verschwenden oder in sich selbst verliebt zu sein oder irgendetwas zu ergattern, das auch dem Vergänglichen unterworfen ist.
Da wird das Leben zur Laufstrecke, zur Laufbahn, deren Kampfpreis im Himmel ist. Deshalb: vorwärts, vorwärts, vorwärts diesem Ziel entgegen. Amen.
Abschlussgebet und Verabschiedung
Wir wollen beten: Vater im Himmel, du kennst unsere Ziele, nach denen wir jagen. Dabei werden wir müde, matt und kaputt und können nicht mehr.
So bitten wir dich an diesem Abend: Lass uns dieses große und neue Ziel hell vor Augen stehen, die himmlische Berufung. Du hast sie uns gezeigt und auch ermöglicht. Es gibt einen Weg dorthin.
Mach unseren Lebenslauf zu einem Jagen nach diesem Ziel. Gib, dass wir alles andere zurücklassen können. Mach uns frei von dem, was uns heute Abend so drückt und belastet.
Herr, wir bitten dich besonders an diesem Abend auch für unsere Kranken und unsere alten Menschen. Für die, die nicht kommen konnten, schenke auch ihnen eine ruhige Nacht. Begleite uns auf unserem Weg. Bleibe bei uns, denn es will Abend werden, und der Tag hat sich geneigt. Amen.
Ich möchte Ihnen noch sagen, dass hinten der neue Gemeindebrief liegt, den Sie mitnehmen können. Wer sich dennoch für das Essen anmelden möchte, kann dies gerne tun. Wir setzen auch den zweiten Bus gerne wieder ein.
Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht und schon heute ein gesegnetes Himmelfahrtsfest. Auf Wiedersehen!