
Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge von Machbar, dem Podcast für Alltagsmissionen. Schön, dass du mit dabei bist. Mein Name ist Christian Caspari, und heute habe ich Oliver zu Gast. Hallo, Oliver.
Hallo.
Oliver, bei den ganzen Kameras ist es am besten, wenn du einfach mit mir sprichst und dich nicht von ihnen verwirren lässt.
Ja, wir freuen uns, dass du auch heute wieder mit dabei bist und dir gemeinsam mit uns Gedanken machen möchtest, wie wir unseren Nächsten einen Schritt näher zu Jesus Christus bringen können. Dabei geht es darum, unseren Glauben authentisch im Alltag zu teilen und zu leben. So, dass es neugierig macht und Menschen Durst nach diesem Leben bekommen – dass du als Alltagsmissionar genau das lebst.
Heute beschäftigen wir uns mit der Frage, warum es so wichtig ist, nicht nur allgemein eine Beziehung zu unserem Nächsten aufzubauen, sondern ihn auch wirklich zu kennen und zu verstehen.
Das ist unser Anliegen, weil wir glauben, dass dies notwendig ist – man kann sogar sagen, es ist ein Schlüssel, auf dem man aufbauen kann, um wirklich Vertrauen zu schaffen. Nur so öffnet sich jemand auch für das Evangelium.
Warum denkst du, Oliver, dass ich dich so jemanden kennengelernt habe, der wirklich Interesse an Menschen hat und in seinen Beziehungen wissen möchte, mit wem er es zu tun hat? Natürlich spielt dabei auch das Anliegen eine Rolle, Menschen für Christus zu gewinnen.
Was würdest du sagen, warum es wichtig ist, sein Gegenüber wirklich kennenzulernen?
Ich glaube, es ist aus verschiedenen Gründen wichtig. Ein Hauptgrund, der für mich bedeutsam ist, ist, dass es Wertschätzung zeigt. Wenn ich dem anderen Zeit gebe, mir zu erzählen, wer er oder sie ist, zeige ich Respekt und Interesse.
Aber ich denke, es ist auch eine ganz essenziell wichtige Sache. Wenn ich zum Beispiel an den Römerbrief denke und wie er aufgebaut ist, merke ich, dass Paulus großen Wert darauf gelegt hat, unser Leben mit Gott als eine Reise zu sehen – wie nah oder wie entfernt ich von ihm stehe.
Wenn ich jemandem, der noch ganz am Anfang dieser Reise steht, Ratschläge oder Tipps gebe, die erst viel später notwendig sind, helfe ich ihm damit nicht. So wie ein guter Diagnostiker zuerst herausfinden muss, welches Mittel bei den Beschwerden hilft, muss ich auch verstehen, was der Mensch braucht und wo der „Hase im Pfeffer“ liegt.
Bei der geistlichen Not, die Menschen haben, ist es wichtig zu wissen, wie weit oder nah jemand zu Gott steht. Das herauszufinden ist eine große Herausforderung, bei der uns Gott helfen muss.
Wenn ich das schaffen kann, kann ich dem anderen auch adäquat helfen. Ich kann ihm begegnen, so wie es wirklich passt.
Ja, den anderen zu verstehen, bildet die Grundlage für eine Beziehung, in der man irgendwann offen über den Glauben sprechen kann und ein Austausch, ein Dialog darüber entsteht.
Warum denke ich, dass es eine Grundlage ist? Es geht ja darum, dass ich selbst früher oft erlebt habe – und ich weiß es auch von manchen Christen –, dass sie das als eine große Herausforderung sehen. Sie sagen eigentlich: „Ja, ich habe doch meinen Job gemacht, ich habe ihm doch einfach das Evangelium gesagt. Was fehlt da? Was fehlt da?“
Ich möchte vielleicht sogar noch eins vorausschicken: Wenn ich mir Jesus Christus in seinem Wort anschaue, dann merke ich – und auch wenn ich ganz vorne in die Bibel, in die Genesis schaue –, dass Gott wahnsinnig hohe Bedeutsamkeit auf Beziehung legt. Das allein ist schon mal der Grund.
Wenn man Beziehung lebt, merkt man, dass jeder Mensch interessant ist. Jeder Mensch ist ein Original auf seine Art. Das bereichert wahnsinnig. Mich bereichert es, mit einem Menschen in Interaktion zu treten und herauszufinden, warum der so ganz anders tickt als ich. Das bereichert mein Leben.
Genauso denke ich, wenn ein Gegenüber sagt: „Okay, ich lerne den anderen auch kennen, wir treten in Beziehung.“ Das ist wahnsinnig bereichernd. Das ist ein Geschenk, das ich jemandem mache, indem ich mich öffne. Und wenn der andere merkt, dass er geschätzt wird und echtes Interesse an ihm besteht, dann ist das die Voraussetzung dafür, dass er auch mal etwas Persönliches preisgibt.
Es geht nicht nur um ein oberflächliches „Na, wie geht’s?“ – „Ja, eh gut, Basti“, wie wir in Österreich sagen würden. Man hört, dass du aus Österreich kommst. – „Ja, ja, gell.“ – „Aber du bist auch nur zugewandert, oder?“ – „Ich bin seit 33 Jahren in Österreich, also ich bin fast mit den Österreichern mittlerweile ein bisschen besser vertraut.“ – „Aber eigentlich bist du Rheinländer, oder?“ – „Ich bin ein Rheinländer, ja klar, natürlich.“ Da fasse ich mich dann schon an, wenn ich da bin, aber manchmal rutscht es mir raus.
Wenn ich merke, der andere hat echtes Interesse an mir, dann weiß ich: Okay, wenn ich dem jetzt mal was erzähle, dann weiß er das beim nächsten Mal, wenn wir uns treffen, auch noch. Wenn ich zum Beispiel sage: „Du, ich kann dir jetzt im Moment vielleicht bei deiner Not nicht helfen, aber ich teile sie mit dir, ich zeige Mitgefühl. Ich kann als Christ sogar sagen: Ich kann momentan nichts anderes als mit meinem Herrn darüber reden, ich bete für dich.“ Ich habe festgestellt, dass das für die Leute wirklich wertvoll ist. Dann fassen sie Vertrauen zu dir.
Das ist wichtig für ein tiefes Gespräch. Das ist gut, um Beziehung zu bauen, Vertrauen zu fassen und eine Basis zu schaffen, um das Evangelium auch teilen zu können und irgendwie auf ein offenes Ohr zu stoßen. Es soll nicht so abgetan werden als „Ja, der spinnt ja völlig, was will der überhaupt von mir?“
Deshalb ist es total notwendig, Beziehung zu bauen und den anderen zu verstehen.
Ein Punkt geht mir jetzt noch durch den Kopf, wenn wir mit Menschen über das Evangelium sprechen wollen. Wir möchten ja persönlich mit ihnen reden.
Es geht nicht nur darum, irgendwelche Argumente auszutauschen oder auf unpersönlichem Niveau theologische Fragen zu diskutieren, wie es oft der Fall ist. Eigentlich wissen wir, dass es um unsere tiefsten Sehnsüchte geht, um das, was wir uns wirklich wünschen.
In unserer Welt ist es jedoch unüblich, offen darüber zu sprechen. Wenn man sagt: „Ich habe eine unerfüllte Sehnsucht“, erscheint man schnell als schwach. Deshalb lässt man ungern die Verteidigung, die „Firewall“ unseres gelebten Lebens fallen. Man sagt sich: „Ich kann dem anderen meine Schwächen nicht offenbaren.“
Dabei entsteht oft Nähe, wenn man auch über seine Sehnsüchte spricht. Der andere merkt dann: Eigentlich sind wir gar nicht so verschieden. In solchen Momenten kann derjenige sagen: „Okay, bei dem lasse ich mal die Verteidigungswände runter. Ich kann mich wirklich so zeigen, wie ich bin. Ich rede auch über meine Unvollkommenheit und meine Sehnsüchte.“
Damit das möglich ist, muss der andere spüren, dass er nicht einfach weggehen und mit anderen über mich reden wird. Vielmehr muss er echtes Interesse an mir haben. Das glaube ich. Das ist sehr, sehr wertvoll.
Dann entsteht Vertrauen, das wirklich zum Zuhören einlädt. Dieses Vertrauen ist etwas, das geschaffen worden ist.
Ja, in dieser Podcast-Folge wollen wir darüber sprechen, warum es wichtig ist, unseren Nächsten in seiner Lebenswelt zu verstehen. Aber was bedeutet das eigentlich, seine Lebenswelt?
Ihr müsst wissen: Bei uns, bei Heukebach, ist das ein Begriff, den auch die Teams verwenden, die sich mit unterschiedlichen Zielgruppen beschäftigen. Wir sprechen dann von Lebenswelt. Was meinen wir damit?
Du bist ja auch in einem solchen Team. Ihr macht euch Gedanken über die 30- bis 55-Jährigen, ungefähr 50 Jahre im Kern. Diese Zielgruppe heißt bei uns Team Erwachsene. Deshalb reden wir nicht nur von deiner persönlichen Erfahrung, sondern auch von der Beschäftigung mit dieser Zielgruppe, speziell aus der Perspektive von Heukebach.
Erzähl uns ein bisschen, was man sich unter Lebenswelt vorstellen muss.
Lebenswelt ist eigentlich das, was wir oft denken zu kennen. Doch im Gespräch stellen wir dann fest, dass jemand in einer ganz anderen Welt lebt als wir selbst. Gerade wir, die wir vielleicht schon einige Jahrzehnte mit Jesus leben, leben in einer ganz speziellen Lebenswelt. Diese hat oft nichts mehr mit den Alltagssituationen der Menschen zu tun, die wir mit dem Evangelium erreichen wollen.
Ich gebe ein Beispiel: Wir Christen haben zum Beispiel eine Hoffnung, die an Jesus Christus gekoppelt ist. Wir schauen auf die ökologische Zerstörung der Welt oft recht entspannt, weil wir sagen: Jesus kommt sowieso wieder, es gibt eine neue Welt. Wir haben in dieser Hinsicht eine gewisse Komfortzone und keine Angst.
Dann sprichst du mit Menschen, für die es das Wichtigste ist, die Umwelt zu retten. Warum ist das für diese Menschen so wichtig? Wir sollten das nicht einfach abtun, sondern sagen: Okay, in welcher Welt lebt dieser Mensch? Er lebt in einer Welt, die kaputtgeht, und hat keine Hoffnung. Er versucht alles: Er klebt sich auf die Straße, kauft sich ein Elektroauto oder was auch immer. Er investiert viel in dieses Ziel, die Welt zu retten, aus Angst davor, nicht mehr darin leben zu können. Für ihn wird in ein bis zwei Generationen ein lebenswertes Leben gar nicht mehr möglich sein.
Und er investiert alles in dieses höhere Ziel. Wir können das oft nicht nachvollziehen. Wenn wir so jemanden treffen, sagen wir vielleicht: Das ist doch alles Quatsch, der ist durchgeknallt. Wie kann man als junger Mensch solche Angst haben und sich auf die Straße kleben? Aber wenn wir genauer hinsehen, erkennen wir: Da ist jemand engagiert, setzt Prioritäten, hat eine Überzeugung und ein Ziel, das wir nicht nachvollziehen können, und ist total hingegeben.
Das ist nur ein Beispiel von vielen, bei denen ich sage: Warum verstehe ich das so schlecht? Ich muss herausfinden, welche Sehnsucht eigentlich dahintersteckt.
Da sind wir Christen manchmal auf einem anderen Planeten. Wir sagen: Ich verstehe die Welt nicht mehr. Warum ist ihnen das so wichtig? Warum können sie mir nicht mehr zuhören? Warum sind sie nicht mehr so wie ich?
Deshalb haben wir viel Zeit damit verbracht, uns im Team Erwachsene damit zu beschäftigen. Es gibt ja Wissenschaftler, die sich jahrzehntelang damit befassen, herauszufinden, wie Menschen ticken. Es gibt verschiedene Lebenssituationen, in denen unsere Zeitgenossen leben, mit unterschiedlichen Prioritäten und Zielsetzungen.
Es gibt aber auch Strukturen, in denen man sagt: Es gibt gewisse Sehnsüchte oder Lebensziele, die sind irgendwie parallel. Nur versucht man, sie anders zu erreichen. Das ist wahnsinnig erhellend. Man kann ein bisschen besser einschätzen, warum jemand so anders tickt.
Aber wie kann ich da auch eine Verbindung anknüpfen? Wie kann ich sagen: Ich habe eine Alternative für dich, die deiner Sehnsucht entspricht und dir in deiner Lebenssituation hilft, aus der Orientierungslosigkeit herauszufinden?
Das heißt, wenn ich das richtig verstehe, würdest du sagen: Bevor ich nicht weiß, wovon der andere träumt, was ihn erfüllt und was seine tiefsten Sehnsüchte sind, fällt es mir schwer, passgenau mit dem Evangelium anzuknüpfen. Das Evangelium ist uns als universelle Wahrheit und als Rettungsweg klar. Aber wie schaffe ich die Brücke? Wie ermögliche ich es ihm, das Evangelium nicht nur intellektuell zu verstehen, sondern auch wirklich glauben zu wollen und einen Schritt näher zu Jesus zu kommen? Dafür ist es doch notwendig, besser zu verstehen, wie derjenige tickt und die Welt sieht. Ist das so ungefähr?
Ja, ich sehe das genauso und erlebe es auch so. Wenn ich das Neue Testament lese und dem Herrn Jesus begegne, finde ich dieses Prinzip auf Schritt und Tritt. Jesus, der Herr Jesus, hat sich immer in die Lebenswelt der Leute hineingebeben. Er hat sich ein Stück weit in ihre Schuhe gestellt und gesagt: Ich weiß, wie es dir geht. Und tatsächlich wusste er es. Sein Vorteil gegenüber uns war, dass er die Herzen der Menschen kannte. In jeder Situation konnte er genau sagen: Ich komme in deine Lebenswelt hinein, ohne ganz Teil davon zu werden, und biete dir einen Ausweg aus deiner Zwangslage, in der du struggelst und herumruderst. Das sehe ich bei ihm.
Deshalb gibt der Herr Jesus in den Evangelien auch eigentlich nie Standardantworten. Seine Antworten sind immer zugeschnitten auf die Lebenswelt des Menschen, mit dem er gerade an einem Platz zusammen ist. Ein schönes Beispiel dafür ist die Geschichte in Johannes 4 mit der Frau am Brunnen. Wie er dieser Frau begegnet und herausfindet – er weiß es natürlich, er ist klar im Vorteil gegenüber uns – was ihre eigentliche Sehnsucht ist: Beziehungen, Männer, die sie gehabt hat, weil sie in diesen Beziehungen Erfüllung gesucht hat. Und er bietet ihr lebendiges Wasser an.
Und er macht es auf eine Art und Weise, die für sie total überraschend war. Vielleicht erlebt sie zum ersten Mal, dass ein Mann, von dem sie bisher nur Enttäuschung kannte, ein Mann, der weiß, wer sie ist, so einfühlsam mit ihr umgeht. So eine Wertschätzung erfährt sie wahrscheinlich in ihrem ganzen Leben nicht noch einmal. Das öffnet sie. Sie denkt: Dieser Mann könnte die Antworten wissen, die ich suche. Und das in einer Achtung ihr gegenüber.
Er schickt sogar die Jünger weg, damit sie ihm nicht reinquatschen. Allein am Brunnen. Die Frau wäre weggelaufen, wenn sie gesehen hätte, dass da 13 verrückte Juden sitzen. Da gehe ich nicht hin. Einer ist schon schlimm genug, aber das überlebe ich. Weil es sehr, sehr empathisch wird.
Und jetzt auf der anderen Seite: Vielleicht begegnest du auch Christen, die sagen: „Ja, aber das verstehe ich nicht. Das Evangelium muss doch einfach raus. Wir müssen es doch nur sagen, alles andere muss doch der Herr machen. Ich muss mir doch keine Gedanken über meinen Nächsten machen. Der muss einfach das Evangelium hören und Buße tun.“
Was würdest du solchen Menschen sagen? Schade, wenn du so mit Menschen umgehst. Du lebst ein armseliges Leben, denn das, was uns reich macht, ist, Zeit in Begegnung und Beziehung zu investieren. Jedes Gespräch mit jemandem, der dich vielleicht überrascht, weil er anders denkt als du, macht dein Leben reich. Wir sind von Gott so geschaffen, dass wir eigentlich auch Beziehungen brauchen. Sogar schwierige Beziehungen bereichern mich.
Das ist mein erster Punkt: Schade für dich, es geht dir viel durch die Lappen, wenn du mit dieser Einstellung durch die Welt gehst. Natürlich stellt sich auch die Frage: Wie wäre es, wenn jemand so mit dir umgeht? Das führt oft dazu, dass wir uns gekränkt zurückziehen und sagen: „Der andere lädt mich ja sowieso immer nur ab, der macht sich gar keine Mühe, mir zuzuhören.“
Dann sage ich: Moment, da liegt der Ball bei dir. Geh du den ersten Schritt und zeige Wertschätzung. Zeige, dass du sagst: Du bist für mich nicht nur eine Nummer.
Ich glaube, und das ist vielleicht meine Erkenntnis nach meiner Bescheidenheit, diese Haltung „Ich sage dem anderen, was er wissen muss, und habe meine Verantwortung erfüllt“ ist ein sehr ichbezogener Ansatz. Es ist total lieblos. Es geht eigentlich nur um mich. Ich will meinen Job gemacht haben und damit habe ich das abgehakt. Das ist sehr egozentrisch, ja wirklich lieblos und irgendwie gar nicht so wie der Herr Jesus. Denn er hatte wirklich Interesse an dem Menschen.
Wenn wir seine Botschafter sind und das auch so leben, müssen wir doch auch schauen, wie er es gemacht hat. Als Alltagsmissionar kommt es gar nicht gut an, wenn man auf diese Weise mit Menschen umgeht.
Ja, ich muss verstehen, wovon jemand träumt, um besser mit dem Evangelium anknüpfen zu können. Es braucht echtes Interesse am anderen. Wie kann ich da hinkommen? Oliver, was würdest du sagen, auch aus deiner Erfahrung? Wie kann ich es schaffen, den anderen nicht nur als ein Evangelisationsobjekt zu sehen? Selbst wenn ich mich bemühe und sage: „Ja, ich möchte ihn gerne gewinnen, ich möchte das auch empathisch machen, ich möchte ihn auch kennenlernen und verstehen“, hat doch jeder irgendwo seine Grenzen. Trotzdem denke ich: „Jetzt muss er doch mal irgendwie...“ Ich will ihn bekehren und bearbeiten. Wie kann ich für mich selbst verhindern, ihn nur als Evangelisationsobjekt zu sehen und mich daran abzuarbeiten?
Da fällt mir zuerst die goldene Regel ein: Wie würde es mir gehen, wenn ich so unpersönlich behandelt würde? Wenn Jesus sagt: „Behandle die anderen so, wie du selber gerne behandelt werden möchtest“, dann ist das ein erster guter Ansatz. Wenn jemand zu mir kommt und mir eine 08/15-Lösung für mein Problem anbietet und ich merke, dass es ihm gar nicht wirklich darum geht, mir zu helfen, dann zählt das für mich auch nicht. Das gilt natürlich auch in die andere Richtung.
Das ist ein Punkt, an dem ich sage: Aber was mir eigentlich hilft, ist, Menschen durch die Brille von Jesus zu betrachten und zu sagen: Jesus war eigentlich nicht so. Er hat auch mal klarer Post geredet, aber vorher hatte er den Vorteil, das Herz der Leute zu erkennen. Wir haben ja über die Frau am Brunnen gesprochen. Wenn man nur ein Kapitel weiterliest, sieht man, wie er mit dem Theologen Nikodemus redet. Da ist er ihm so richtig in die Parade gefahren. Nikodemus hat ganz blöd aus der Wäsche geschaut. Hinterher könnte man fragen: Warum macht Jesus das? Weil er genau wusste, dass Nikodemus sich aufrütteln muss. Aber Jesus kannte sein Herz. Er wusste, wo er hineinstechen muss. Und das war letztlich auch persönlich.
Hier sehe ich den Punkt, an dem ich mir Zeit nehmen soll und fragen muss: Wo steht der andere? Kann ich das beurteilen, um dann auch wirklich persönlich zu antworten? Den Herrn Jesus anzuschauen ist letztlich ein Ausdruck von Liebe, die ich teile.
Oliver, warum fällt es uns als Christen oft schwer, uns danach auszurichten, die Sehnsüchte unseres Gegenübers herauszufinden, bevor wir anfangen, das Evangelium zu erklären? Du hast gesagt, dass es total wertvoll ist und dass dir etwas entgeht, wenn du nicht in Beziehungen investierst. Gott hat uns schließlich auch auf Beziehungen angelegt. Das ist sehr bereichernd, und trotzdem fällt es uns manchmal schwer.
Wir haben untereinander, also Christen unter Christen, durchaus Fähigkeiten und Interessen füreinander. Aber warum fällt es uns umso schwerer, je andersdenkender der andere ist? Je mehr andere Denkvoraussetzungen er hat, desto schwieriger scheint es, und er wirkt uns weiter entfernt. Warum ist das so?
Sicher liegt es daran, dass es einfach herausfordernd und anstrengend ist. Ich muss mich ein Stück weit zurückstellen, das ist nicht mal eben erledigt. Das fordert mich natürlich heraus. Beziehungen sind einerseits bereichernd und schön, aber sie verlangen auch vollen Einsatz.
Das ist vielleicht ein Grund, warum wir sagen: Gibt es nicht irgendeine Standardlösung? Wir haben oft den Hang, alles zu standardisieren und ökonomischer zu machen. Geht das nicht auch in diesem Bereich? Sagt mir doch, wie ich in fünf Minuten das Evangelium erkläre, dann bin ich fertig.
Ich glaube, das ist auch unser Problem: Wir sagen, es ist einfach herausfordernd, vielleicht sogar anstrengend, das zu tun. Ja, vielleicht ist das eine von mehreren Antworten.
Du bist jetzt schon einige Jahre mit dem Herrn unterwegs, bist viel im Dachraum aktiv, hältst selbst Vorträge und machst Vortragsreisen. Wir führen evangelistische Bibelgesprächsrunden durch, bei denen du mit aufgeschlagener Bibel Fragen zu biblischen Themen stellst, meistens aus einem Buch des Neuen Testaments, oft einem Evangelium.
Was würdest du sagen, wenn du Menschen kennenlernst? Gibt es Überschneidungen bei den Dingen, die Menschen bewegen, die du nicht erwartet hättest? Dabei denke ich an die verschiedenen Regionen und Menschen, denen du begegnest, sei es über räumliche Distanz oder große Altersunterschiede. Ihr habt ja auch gerade, ich glaube, 25- bis 50-Jährige in euren Gruppen – das ist schon eine große Altersspanne. Auf welche Sehnsüchte oder Bedürfnisse stößt du in deinen Beziehungen immer wieder?
Da gibt es natürlich viele Unterschiede, auch gerade in den Altersgruppen. Ich habe in letzter Zeit relativ viel mit Leuten über das Thema Identität gesprochen. Das ist eine Frage, die eigentlich omnipräsent ist. Wir sind ständig damit beschäftigt, an unserer Identität zu arbeiten. Besonders die Generation nach mir ist schon voll in dem Sog, dass sie auch ihre Außenwahrnehmung gestalten muss.
Wir arbeiten ständig an unserer Identität und kommen doch irgendwie nicht zum Ziel. Dabei stelle ich zum Beispiel fest, dass meine Generation und vielleicht noch ein paar Jahre ältere sich sehr stark über Leistung definieren. Wenn du dann die Bibel liest, taucht ganz oft das Thema auf, dass man eine religiöse Leistung erbringen muss, um bei Gott angenehm zu sein.
Für mich ist das ein Stück weit erwartbar, da ich ursprünglich aus dem Katholizismus komme. Es ist dann schön, wenn du die Leute überraschen kannst und sie manchmal auch verunsicherst, indem du zeigst, dass Jesus am Anfang gar nicht so wichtig ist, ob du funktionierst oder nicht. Das entscheidet nicht darüber, ob Gott dich liebt.
Aber dann ist man manchmal ganz erstaunt, wenn dieses Thema, das du vielleicht in deiner Generation gewohnt bist anzusprechen, bei einer jüngeren Generation nicht mehr so verfängt. Denn diese hat diesen leistungsbezogenen Identitätsbegriff nicht mehr. Wenn du davon sprichst, dass wir Gott beeindrucken wollen, indem wir etwas leisten, können sie das nicht mehr so nachvollziehen.
Ich will nicht sagen, dass sie weniger betriebsam oder weniger hingegeben sind als wir, die wir ein paar Jahre älter sind. Aber du merkst, ihre Identität bestimmt sich weniger über das, was ich geleistet habe oder wie fleißig ich bin, sondern mehr über andere Dinge, die uns vielleicht gar nicht so bedeutsam sind. Zum Beispiel über ehrenamtliche Aktivitäten im persönlichen Bereich oder darüber, wie meine Freizeit für mich funktioniert, ob ich in dem Bereich Exzellenz zeige – wo wir vielleicht gesagt hätten, das ist doch Spielerei.
Oder wie ich mich darstelle, ist vielleicht viel bedeutsamer. Aber dann zu sagen: „Okay, es gibt in der Schrift auch Menschen, denen einfach nur die Außenwahrnehmung wichtig war.“ Und man kann dann sagen, dass Jesus auch mit solchen Menschen Kontakt hatte, mit ihnen sprach, ihnen nachging und ihnen wirklich begegnete.
Das ist nur ein Beispiel, wo ich merke, dass wir in den Generationen einfach auch anders ticken. Und dann einfach nur zu sagen: „Ja, die Jungen sind so und so“, das hilft ja nicht. Ich will ja eine Gesprächsbasis finden.
Letztlich sehen wir uns alle danach, dass wir sagen: „Ich habe ein Selbstbild gefunden, mit dem ich gut leben kann, wo ich weiß, wer ich bin.“ Und ich finde das in Jesus. Das ist irgendwo eine Sehnsucht, die wir alle haben. Da suchen wir sie auf verschiedene Art und Weise.
Ich glaube, so eine tiefe Sehnsucht hat jeder Mensch: die Sehnsucht nach Bedeutsamkeit – also auch nach einer Bedeutsamkeit im Leben, aber auch darüber hinaus, über das eigene Leben hinaus irgendwie bedeutsam zu sein.
Ja, ja, natürlich. Die Ansätze sind sicher verschieden. Ihr habt euch als Team viele Gedanken gemacht und ein Buch gelesen, das „Wie Glaube magnetisch wird“ heißt, von Daniel Strange. Damit hast du dich auch beschäftigt. Ihr habt daraus Bedürfnisse oder Sehnsüchte abgeleitet. Magst du ein bisschen darüber erzählen?
Ja, das ist sehr spannend, weil wir uns in unserer Arbeit immer wieder neu an die Grundlagen erinnern müssen. Wir kommen immer wieder zu den Basics zurück und lassen diese auch unsere Arbeit bestimmen. Dabei haben wir herausgefunden, dass es im Grunde vier Hauptsehnsüchte gibt, die wir definiert haben. Diese können natürlich je nach Quelle variieren, aber sie überschneiden sich häufig.
Wir haben dafür ein Akronym verwendet, das wir „SWIM“ genannt haben. Man könnte sagen, wenn man diese vier Sehnsüchte gestillt hat, hält man sich sozusagen über Wasser.
Das S steht für Sinn. Es geht darum, wirklich sagen zu können: Macht mein Leben Sinn? Lebe ich für etwas, das meinem Leben Bedeutsamkeit gibt?
Das W steht für Weisheit. Hier geht es um die Frage, wie ich durch dieses Leben komme und wie ich erfolgreich werde – und zwar nicht nur im monetären Sinne, sondern auch in meinen Beziehungen und anderen Lebensbereichen.
Das I steht für Identität. Wie kann ich herausfinden, wer ich wirklich bin, und wie kann ich das schlüssig verkörpern?
Das M steht für eine höhere Macht – hier gehört eigentlich noch ein kleines H dazu, das muss man erklären. Es geht darum, für etwas Größeres als sich selbst zu leben. Etwas, das meinem Leben Bedeutsamkeit und vielleicht sogar Dauerhaftigkeit über mein biologisches Leben hinaus verleiht.
Man kann erkennen, dass jeder Mensch auf die eine oder andere Weise mehr oder weniger nach diesen Dingen strebt. Bei dem einen ist eine Sehnsucht stärker ausgeprägt, bei dem anderen eine andere.
Alle Trends, die wir heute sehen – ob das das ökologische Desaster ist, von dem wir uns retten wollen, oder nationale Bewegungen, bei denen der eine dagegen ankämpft und der andere dafür ist – sind letztlich Symptome und Ausdrucksformen des Versuchs, diese Grundsehnsüchte zu stillen. Jeder versucht das auf seine Weise.
Ganz spannend ist das auch im Bereich Digitalisierung und künstliche Intelligenz. Dort gibt es verrückte Ideen, wie man über den eigenen Tod hinaus lebendig bleiben kann – zum Beispiel durch eine gebrandete KI, mit der man weiterhin kommunizieren kann, als wäre man noch da, obwohl man nicht mehr lebt.
Das sind ganz verrückte Entwicklungen, aber all das deutet darauf hin, dass diese Sehnsüchte tief in uns verankert sind.
Wenn du von einer höheren Macht sprichst – als Christen wissen wir ja genau, was damit gemeint ist – dann sagst du, dass es irgendwie nur diese Sehnsüchte sind, die du aufgezählt hast. Zum Beispiel die Suche nach Sinn, die Identität oder der Wunsch, Weisheit für das Leben zu haben. Mündet doch irgendwie alles darin oder läuft daraus hinaus, oder?
Ich will dir da nicht widersprechen, aber ob wir Christen wirklich so genau wissen, was eine höhere Macht für andere bedeutet, möchte ich mal in Frage stellen. Denn für den einen kann vielleicht der Fußballverein die höhere Macht sein.
Ich versuche mal ein praktisches Beispiel: Jemand sagt, Fußball ist sein Leben. Er lebt für den Fußball. Du willst ihn kennenlernen und verstehen, wie er tickt. Wie würdest du das interpretieren?
Ich habe gestern ein Beispiel gehört von jemandem, der sich sehr für den christlichen Glauben interessiert hat. Er wollte eigentlich eine Beziehung mit Jesus aufbauen und sprach mit einem Christen. Gleichzeitig war er in einem Fußballverein sehr aktiv. Dieser Christ sagte zu ihm: „Wenn du Christ werden willst, musst du aber aus dem Fußballverein raus.“
Na, echt? Das ist schon ein paar Jahre her, aber für ihn war danach klar: „Ich lasse doch meine Jungs in der Mannschaft nicht im Stich.“ Er war Torwart, und das war für ihn ein Hindernis. Er sagte, das habe auch etwas mit Loyalität zu tun. „Ich gehe doch nicht einfach weg, wir sind ein Team. Ich trage dazu bei, wir wollen die Meisterschaft gewinnen, das ist mein Ziel. Ich bin Teil von etwas Größerem.“
Für ihn wurde das so dargestellt, als wäre das ein Widerspruch. Dabei war es eigentlich nur ein Kommunikationsproblem. Später sprach er mit einem anderen Christen und stellte die Frage: „Darf ich als Christ kein Fußball spielen?“
Sie redeten darüber, und der andere sagte: „Du musst nur deine Prioritäten klarkriegen. Wann willst du Fußball spielen?“ Er antwortete: „Am Samstag.“ Daraufhin sagte der Christ: „Das ist ja kein Problem. Dann kannst du trotzdem am Sonntag Gott in der Gemeinschaft mit anderen Christen begegnen.“
Das wäre vielleicht ein Problem, wenn die Zeiten kollidieren würden. Für ihn war das also ein Kommunikationsproblem. Der Christ, der das vorher gesagt hatte, hatte vielleicht gedacht: „Wenn der immer am Sonntag Fußball spielt, wie soll der dann mit anderen Gläubigen Kontakt haben?“
Das war so ein Missverständnis, bei dem man sagt: „Das geht doch nicht, was hat das eine mit dem anderen zu tun?“ Aber für ihn war das eine Sache, an der er lebte – nicht aus selbstsüchtigen Gründen, sondern weil er Teil des Teams war. Er fühlte sich dort verantwortlich und beteiligt.
Wir Christen könnten einfach fragen: Warum ist denn das Fußballspielen so wichtig? Kann man das vereinbaren? Oder ist es so, dass wenn du die allerhöchste, die wirklich bleibende Erfüllung in Christus gefunden hast, das gar nicht mehr so wichtig ist? Dann klärt sich das mit den Prioritäten eigentlich von selbst.
Manchmal reden wir wirklich aneinander vorbei. Umso wichtiger ist es, wirklich zu verstehen, wie der andere das meint. Lieber einmal mehr fragen, um Verständnis zu bekommen, als einfach nur zu sagen: „So ist das eben, ja gut.“
Nun, wir haben gesagt, dass wir den anderen in seiner Lebenswelt verstehen wollen. Das ist die Basis, um wirklich über den Glauben ins Gespräch zu kommen. Denn das Ziel ist ja immer, dein Gegenüber einen Schritt näher zu Jesus zu bringen.
Jetzt stellt sich die Frage: Wie macht man das ganz konkret? Wenn ich zum Beispiel bei meinem Freund merke, dass er sich nach einem klaren Sinn für sein Leben sehnt, dann hat das sicherlich auch mit seiner eigenen Wahrnehmung zu tun. Wie sieht er seine Identität? Er sucht nach Weisheit und fragt sich, wie er sein Leben leben will. Vor allem aber hat er ein Sinnproblem, denn für ihn macht das Leben keinen Sinn mehr. Vielleicht steckt er in einer Krise oder so. Er fragt und sucht ja nicht bewusst nach Antworten, sehnt sich aber trotzdem danach.
Wie kann ich dann praktisch mit dem Evangelium an seine Lebenswelt anknüpfen? Zuerst muss ich mir als Christ die Frage stellen: Was ist für mich der Sinn des Lebens? Was kann ich sagen, wenn ich eine Lebenserfüllung gefunden habe? Zum Beispiel könnte ich sagen: Der Hauptsinn meines Lebens ist, dass ich in eine Lebensbeziehung mit Jesus Christus, mit Gott, eintrete. Denn das klärt viele andere Fragen. In dieser Beziehung kann ich mich dann für die Ziele Gottes einbringen.
Wenn ich das als mein Lebensziel definiert habe, kann ich mich fragen: Wo gibt es Parallelen bei dem anderen? Gibt es etwas, wo ich anknüpfen kann? Wo merke ich, dass der andere ähnlich „tickt“, aber sein Glück auf einem anderen Gebiet sucht? Dann kann ich vielleicht eine Parallele herstellen und sagen: Schau mal, so und so ist das bei mir, das ist doch eigentlich ähnlich.
Ich habe vor einiger Zeit mit einem Jungunternehmer die Bibel gelesen. Wir haben irgendwann abgebrochen, weil sich herausgestellt hat, und er auch klar verstanden hat, dass der Lebenssinn, den Jesus ihm anbietet, momentan noch nicht mit seiner Sinnsuche übereinstimmt.
Wir sind relativ schnell darauf gekommen, dass sein Sinn im Leben darin besteht, ein erfolgreicher Unternehmer zu sein. Er möchte darüber Anerkennung gewinnen und dass die anderen ihn toll finden.
Irgendwann sind wir zum Beispiel im Markus-Evangelium an die Stelle gekommen, wo Jesus vom vielfältigen Ackerfeld spricht. Da wurde ihm und uns beiden ganz klar, dass er in vielen anderen Bereichen nach Lebenssinn sucht. Ihm wurde bewusst, dass er in seinem jetzigen Weg nicht die Erfüllung findet. Er merkt das auch selbst, dass er damit nicht ans Ziel kommt, sondern eher mehr Probleme hat.
Trotzdem hat er eine Entscheidung getroffen. Er sagte: „Brechen wir hier mit dem Lesen gemeinsam ab. Ich gehe wieder mehr in meine Firma. Ich muss da meine Priorität setzen. Das ist momentan mein Lebenssinn.“
Auf den ersten Blick ist das natürlich traurig. Andererseits bin ich auch dankbar, weil ich gemerkt habe, dass er verstanden hat, was Gott ihm sagt. Gott hat zu ihm gesagt: „Du kannst deine eigenen Wege wählen, um diese Sehnsucht zu stillen, aber das ist nicht kompatibel mit dem Weg, den ich dir zeige.“
Ich finde es gut, dass er die Kosten überschlagen hat. Er hat verstanden, was Jesus ihm eigentlich anbietet, aber er hat gesagt: „Momentan ist das für mich noch nichts.“
Ich habe die Hoffnung, dass sich das noch einmal ändern wird. Vielleicht wird er Frucht bringen, wenn er noch ein bisschen länger versucht, seinen eigenen Weg zum Sinn zu gehen.
Ich glaube, wenn wir mit Menschen die Bibel lesen, ist das das Höchste, was wir erreichen können: dass sie die Herausforderung Gottes verstehen und dann selbst Entscheidungen treffen.
Wollen sie ihre Strategien und ihre Sehnsucht, ihr Leben zu erfüllen, von Jesus bestimmen lassen? Oder wollen sie weitermachen wie bisher?
Ja, sehr gut. Kommen wir noch ein bisschen zu ein paar praktischen Tipps, denn wir müssen bald zum Ende kommen.
Wie lange hörst du zu, bevor du reagierst oder interagierst? Wann knüpfst du inhaltlich an? Ist das sehr individuell, oder gibt es da ein Gefühl, wann der andere so weit ist, dass du ihn verstanden hast und den nächsten Schritt gehen kannst?
Ob ich da der absolute Fachmann bin, will ich nicht behaupten. Aber ich neige dem zu, was du sagst: Es ist total individuell. Eines ist jedoch klar: So etwas erfordert Zeit.
Natürlich gibt es Menschen, die offener sind. Da triffst du dich, und der erzählt dir schon beim ersten Treffen seine ganze Lebensgeschichte – wie er aufgewachsen ist, was ihn geprägt hat. Dann kommst du viel schneller auf den Punkt, an dem du sagst: Aha, ich weiß, warum dir das und das so wichtig ist. Vielleicht, weil du das von zuhause schon so eingeprägt bekommen hast.
Dann gibt es aber auch Leute, bei denen du deinen ganzen Abend verbringen kannst, ohne dass sie drei vernünftige Sätze herausbringen. Sie schweigen viel, was auch okay sein kann. Aber da brauchst du einfach länger.
Deshalb ist es schwierig, ein Zeitlimit zu setzen. Ein Marker kann sein, wenn du wirklich mal fragst: „Wie geht es dir?“ und der andere nicht nur mit einer Plattitüde antwortet wie „Ja, eh gut“ oder „Wir schaffen das schon“, sondern wirklich etwas sagt, das zeigt, dass ihr eine Gesprächsbasis gefunden habt, die über das Alltägliche hinausgeht.
Vor allem, und das ist eigentlich entscheidend, sind wir abhängig von Gott. Wir können beten: „Herr, öffne du eine Tür!“ Dann ist es wichtig, sensibel zu sein – nicht zwanghaft, aber aufmerksam. Zum Beispiel auf Signalworte im Gespräch zu achten.
So wie bei Nikodemus, der zu Jesus kam, und Jesus ihm sofort das Thema vorgab, weil er sein Herz kannte. Manchmal werden Fragen nur vorsichtig gestellt. Dann merkst du: Der andere versucht, das Thema anzusprechen, das ihm wichtig ist, traut sich aber noch nicht so richtig.
Da müssen wir sensibel sein und auf diese Signalworte nicht insistierend, aber natürlich eingehen. Zum Beispiel sagen: „Aha, ist das Thema für dich wichtig? Du hast es jetzt schon das dritte Mal heute Abend angesprochen. Was ist da los? Ist das wirklich interessant für dich?“
Manchmal gibt Gott uns auch solche Beispiele. Bei uns beim Discounter steht vor der Tür ein Mann aus Nigeria, was ich mittlerweile weiß, der Zeitungen verkauft. Ich sehe ihn mehrmals die Woche, wenn ich einkaufen gehe. Ich grüße ihn immer und fertig.
Irgendwann komme ich an ihm vorbei und habe den Eindruck, wir haben schon mal geredet – wo er herkommt, ob er Familie hat, warum er hier ist, also viele Sachen, die man so fragt.
Dann komme ich an ihm vorbei und merke, dass er heute anders aussieht. Er wirkt bedrückt. Beim Rausgehen vom Einkauf gehe ich noch mal zu ihm hin und sage: „Du schaust heute anders aus als sonst. Was ist los?“
Er erzählt mir, dass er gerade mit seiner Familie telefoniert hat und es Probleme gibt. Er hat drei Kinder, und seine Frau hat viele Herausforderungen. Er kann nicht bei ihr sein.
Dann merke ich: Okay, das ist ihm wichtig. Wir reden eine ganze Zeit.
Wenn man sich gut kennt, merkt man solche Unterschiede. Oder man merkt, wenn jemand bewusst ein Thema anspricht.
Das erfordert einfach ein Stück Sensibilität: Achte auf Veränderungen, höre gut zu, und dann merkst du, heute ist irgendwas anders oder das Thema scheint ihm wichtig zu sein.
Dann darfst du nicht sagen: „Über Gefühle redet man als Mann ja nicht.“ Sondern du kannst sagen: „Du, ich habe den Eindruck, es geht dir nicht gut.“
Wenn vorher genug Zeit war und der andere merkt, dass du nicht einfach nur an ihm vorbeigehst, sondern dich auch mal zu ihm setzt, dann öffnet er sich eher.
Das gilt auch im Beruf. Wenn du mit einer Kollegin nur über die Arbeit sprichst, denken die meisten: „Was will der mit mir reden?“ Aber wenn du auch mal fragst: „Wie geht es dir denn so?“ und von dir ein bisschen erzählst, entsteht eine andere Beziehung.
Ich hatte das bei einer Kollegin, die mir von der Krebserkrankung ihres Lebenspartners erzählt hat. Ich habe dann gesagt: „Ich bete für dich.“ Sie hat das als ermutigend aufgenommen. Wir haben immer mal wieder darüber gesprochen. So vertieft sich die Beziehung.
Es liegt viel daran, ob ich auf Empfang bin und merke: Wow, heute ist etwas anders bei dem.
Wenn vorher schon eine freundschaftliche Beziehung da war, öffnen sich Menschen eher.
Oliver, ich bin sicher, du hast auch Fehler gemacht.
Du vermutest richtig – besonders beim Beziehungsaufbau und beim gegenseitigen Kennenlernen. Was würdest du sagen, welcher Fehler dir eingefallen ist, der vielleicht auch unseren Alltagsmissionaren, die hier zuhören oder zuschauen, eine Hilfe sein kann, damit sie nicht denselben Fehler machen?
Also mein Hauptfehler – das ist vielleicht nicht bei jedem gleich – ist, dass ich viel zu viel rede.
Aber es ist angenehm mit dir.
Ja, jetzt ermutigst du mich auch noch.
Nein, aber … ja, es gibt doch Menschen. Ich bin ein Typ, der sagt: Ich verarbeite, was ich denke, auch im Reden. Und dann muss der andere manchmal herhalten und erfährt mehr von mir, als ich von ihm. Also ich muss mich dann auch manchmal zurückhalten und sagen: Mensch, meine Frau ist manchmal dabei und sagt, der weiß jetzt alles Mögliche von dir, aber du hast gar nicht gefragt, wie es dem gehen würde. Und er hat eigentlich recht.
Also das ist aber natürlich auch im geistlichen Umgang so. Das habe ich auch manchmal sicher falsch gemacht. Wenn ich so ein Stichwort bekomme, das der andere mir gegeben hat – das ist die andere Seite – ich warte als Christ auf Stichworte, auf Signalworte. Wenn der andere sagt: „Mensch, die Welt ist doch verrückt“ und so, dann fahre ich sofort los und sage: Und jetzt kriegt er die vier geistlichen Gesetze.
Das ist mein Ansatz. Und besser wäre es, zu fragen: „Ja, was meinst du denn, wenn die Welt jetzt verrückt ist?“ Also der Wert guter Fragen, eher nicht von mir aus reden, sondern mehr Fragen stellen.
Genau, und ich habe dann einfach gesagt: „So, jetzt kriegt er die volle Packung.“ Und dann war ich ganz happy hinterher. Aber in der weiteren Entwicklung hat es überhaupt nichts gebracht.
Besser ist es, dann zu sagen: „Okay“, und auch während des Gesprächs die Neugier aufrechtzuerhalten, indem ich sage: „Ich finde auch, dass die Welt verrückt ist, aber ich weiß auch warum.“ Und einfach mal die Frage zu stellen. Und wenn der dann will, fragt er eh selber nach: „Wie meinst du das jetzt?“
Ich habe das erlebt in einer neuen Arbeitsstelle, wo ich war. Da hat einer mir ein Stichwort gegeben und ich habe die ersten zwei Tage nur Fragen beantwortet – über mich und über meinen Glauben und wie wir über die verrücktesten Themen in der Welt denken.
Dann habe ich zehn Jahre dort gearbeitet und dieser Mann hat nie wieder mit mir über den Glauben geredet, weil er schon alles wusste oder meinte zu wissen über mich. Da habe ich hinterher gedacht, ich hätte ihm eigentlich nur ein paar Häppchen geben sollen und erst mal warten sollen, warum der mich das überhaupt fragt. Erst mal ihn kennenlernen und schauen.
Also mein Problem ist oft, dass ich den Leuten viel zu viele Informationen gebe, die sie eigentlich momentan gar nicht hören wollen.
Die Frage hinter der Frage oder die Frage hinter der Aussage zu verstehen – warum tickt er so, warum fragt er das überhaupt und welche Denkweise steckt dahinter – das ist sicherlich die Herausforderung, um das herauszukriegen: Welche Identität hat denn mein Nächster und welche Sehnsüchte?
Wenn man dann auch wirklich auf das Problem ganz persönlich eingeht und wirklich antwortet, hat Jesus das ja auch gemacht.
Wie vermittelt man seinem Gegenüber echtes Interesse? Es soll nicht der Eindruck entstehen, dass die Fragen nur aus Höflichkeit gestellt werden. Besonders dann, wenn der andere weiß, dass man Christ ist, stellt sich die Frage: Wie kann man zeigen, dass die Meinung des Gegenübers wirklich interessiert? Dabei soll er nicht das Gefühl bekommen, dass man ihm gleich ein Glaubensgespräch aufzwingen will.
Wir haben schon ein wenig darüber gesprochen. Würdest du das noch einmal zusammenfassend sagen?
Ich würde sagen, echte Wertschätzung zeigt sich zum Beispiel darin, dass man sich merkt, was der andere einem in der vergangenen Woche erzählt hat. Wenn man mit jemandem über eine Not, eine Sehnsucht oder ein anderes Anliegen gesprochen hat, kann man eine Woche später nachfragen: „Wie geht es dir heute damit?“ So weiß der andere, dass man wirklich gut zugehört hat und sich an das erinnert, was damals gesagt wurde. Das zeigt Wertschätzung, weil der andere merkt: „Okay, der denkt wirklich mit.“
Das ist ein Beispiel für Wertschätzung. Außerdem ist es wichtig, ganz persönlich auf den anderen einzugehen und nicht mit christlichen Floskeln oder Standardantworten zu reagieren, die man immer wieder hört. Stattdessen sollte man es wirklich persönlich machen.
Wenn man, wie ich, Schwierigkeiten hat, solche Informationen zu behalten, ist es hilfreich, sich Notizen zu machen oder Eselsbrücken zu bauen.
Ich finde das sehr faszinierend. Ich habe einen Nachbarn, der war früher sehr erfolgreicher Vertreter im Großhandel. Was ich an ihm wirklich bewundere, ist, dass er sich nicht nur den Namen eines Menschen merkt, sondern auch seine ganze Geschichte. Er fragt nach und wenn man ihn das nächste Mal trifft, weiß er genau, wovon man gesprochen hat, und knüpft daran an.
Ich finde das sehr wertschätzend. Als ich ihn kennengelernt habe, und wir wohnen noch nicht so lange dort, war ich beeindruckt, wie dieser Mann mit anderen Menschen umgeht. Er signalisiert wirklich: „Boah, der hat wirklich Interesse an mir als seinen Nachbarn.“ Er behält all diese Details und fragt immer wieder nach: „Was macht der Hund? Wie war das damals? Wo warst du im Urlaub? Du wolltest doch dorthin und dorthin.“ Solche Dinge – das ist richtig toll.
Und das Beste: Er will einem nichts verkaufen. Nein, das ist sein ursprüngliches Anliegen. Er will nichts verkaufen. Trotzdem könnte ich mir vorstellen, dass dieser Mann verstanden hat, dass es sein Leben bereichert, wenn er am Leben der anderen Anteil nimmt.
Das war für mich der absolute Schlüssel: Sein echtes Interesse an Menschen. Das ist wirklich gut, davon kann ich viel lernen.
Er ist noch nicht im Glauben, und ich arbeite noch daran. Das weiß er sicher schon. Wir reden öfter darüber.
Ja, wir haben uns heute damit beschäftigt, was es bedeutet, seinen Nächsten in seiner Lebenswelt wirklich zu verstehen und verstehen zu wollen. Außerdem haben wir darüber gesprochen, warum wir als Alltagsmissionare zuerst zuhören und versuchen sollten zu verstehen. Danach geht es darum, zu zeigen, wie wir mit dem Evangelium an die Sehnsüchte der Menschen anknüpfen und Parallelen finden können, um dann einen nächsten Schritt zu gehen.
Einerseits hilft das natürlich, den christlichen Glauben nahbar und konkreter zu machen. Es unterstützt uns auch dabei, den nächsten Schritt zu gehen. Vor allem aber ist es die Art, wie wir mit Menschen umgehen sollten. Du hast oft gesagt, dass das wertschätzend ist – so, wie Jesus es gemacht hat. Und genau dem wollen wir ja nacheifern.
Wenn wir uns Jesus anschauen, sehen wir, dass er genau das getan hat. Er hat Menschen gekannt und ihnen zugehört. Obwohl er wusste, was in ihrem Herzen war, hat er ihnen trotzdem Fragen gestellt. Mit großer Empathie hat er versucht, sie zu gewinnen. Manche Menschen haben sich dennoch abgewendet. Du hast eben das Beispiel von dem Unternehmer genannt, da musste ich an den jungen reichen Mann denken. Auch das war nicht kompatibel – er drehte sich um und ging weg, ließ Jesus stehen. Jesus wusste aber auch: „Okay, das ist jetzt nicht die Zeit, vielleicht später.“
Es geht um echte Beziehung und nicht darum, das Gegenüber als Evangelisationsobjekt zu sehen. Oliver, es hat mir Freude gemacht, mit dir zu sprechen. Vielen Dank für deinen Besuch und deine Zeit hier.
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Bleibt unbedingt dran! Wir wollen das gemeinsam tun. Wir wollen gemeinsam entdecken, was es heißt, als Alltagsmissionare Menschen wirklich zu gewinnen, sie einen Schritt näher zu Jesus Christus zu bringen und dabei auch wirkungsvoller zu werden. Gleichzeitig wollen wir nah an Gott und nah an den Menschen bleiben.
Ich sage Tschüss, bis zum nächsten Mal.