Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich möchte mich mit einem anderen, wahrscheinlich ebenso bekannten Bibeltext anschließen – wenn nicht sogar einem noch bekannteren. Nun könnte man raten, welcher das wohl ist. Weiß das jemand hier? „Zehn Gebote“, höre ich da. Das wäre eine Möglichkeit. Gibt es noch andere sehr bekannte Bibelstellen aus dem Neuen Testament? „Johannes“, höre ich, das wäre natürlich super – Johannes 3,16: „Denn so sehr hat Gott die Welt geliebt.“
Ja, ich habe noch einen anderen Text im Sinn. Vielleicht ist der dann doch nicht ganz so bekannt, wie ich dachte. Ich dachte nämlich an das Vaterunser. Das kennt ihr doch auch, oder? So würden wir jetzt in der evangelischen oder katholischen Kirche sein. Dort kennen wir es natürlich alle, denn es wird in jedem Gottesdienst gemeinsam gebetet.
Mir scheint das eine ganz herausfordernde Sache zu sein, denn nach meinem Wissen ist das die einzige Stelle, an der Jesus uns ein Gebet richtig lehrt. Er sagt uns: So sollt ihr beten. Das lässt doch einige Rückschlüsse darauf zu, wie wir mit unserem Gebet umgehen sollten, würde ich sagen.
Auch wenn wir nicht verpflichtet sind, immer nur das Vaterunser zu beten – das ist ja nicht Jesu Forderung – bitten die Jünger Jesus darum, ihnen zu zeigen, wie man betet. Und Jesus gibt ihnen diese Anleitung. Ich glaube, daraus können wir einiges für unser eigenes Gebetsleben mitnehmen.
Unser Leben mit Jesus zeigt sich in der Gemeinschaft, die wir miteinander haben. Das Leben mit Jesus äußert sich darin, dass wir in der Bibel lesen und sagen: Das ist das Wort Gottes. Aber unsere Gemeinschaft mit Jesus zeigt sich auch darin, dass wir mit ihm sprechen – und das nennen wir Gebet.
Manchmal bedeutet das einfach, innerlich ruhig zu sein, Gott zu sagen, was uns auf dem Herzen liegt, und dann zuzuhören. So bekommen wir eine Antwort von Gott. Aber es sind auch diese Formulierungen im Vaterunser, bei denen wir merken, dass viel mehr dahintersteckt als nur eine lange Liste von Anliegen, die wir gerne loswerden wollen, wenn wir das Gebet lesen.
Einleitung zum Gebet und seine Bedeutung
Ich werde zunächst die einleitenden Worte lesen. Dabei werde ich nicht lange verweilen, denn Jesus beginnt ja nicht direkt mit dem Vaterunser. In Matthäus 6, Vers 5 gibt er zunächst eine Einleitung zum Gebet, nämlich wie wir es nicht tun sollen.
Damals war es üblich, auf eine bestimmte Weise zu beten, und ich möchte zumindest ein paar Minuten darauf verwenden, weil es sein könnte, dass Jesus uns damit auch heute etwas sagen will. Es beginnt mit den Worten: „Und wenn du betest, sollst du nicht sein wie die Heuchler, denn sie stellen sich gerne an die Synagogen und an die Straßenecken und beten, um von den Leuten bemerkt zu werden. Wahrlich, ich sage euch, sie haben ihren Lohn schon empfangen.“
Bis dahin, also in Vers 5, wird eine bestimmte Art des Betens von Jesus gerügt. Er sagt, dass das eigentlich nicht in Ordnung ist. Hier betet jemand nicht, um wirklich mit Gott zu sprechen. Derjenige ist sich gar nicht bewusst, dass er in diesem Moment mit Gott spricht, sondern benutzt das Gebet lediglich als Werkzeug, um sich selbst vor den Menschen darzustellen, die ringsherum sind. Der Betende wartet bewusst darauf, dass jemand vorbeikommt.
Zugegebenermaßen wäre dieses Beispiel heute wahrscheinlich sehr seltsam. Wenn ihr zum Beispiel in eine Fußgängerzone geht, sagen wir nach Gelsenkirchen, und euch vor einen Laden stellt, vielleicht vor Karstadt, und dort laut betet und Jesus anruft, würden die Leute euch wahrscheinlich eher bemitleidend anschauen. Einige würden überlegen, ob man die Ambulanz rufen müsse, weil mit dem etwas nicht in Ordnung sei. Andere würden sagen: „Ja, armer Kerl, der begreift nicht ganz, worum es geht.“
Heute würde das wahrscheinlich nicht dieselbe Situation oder Resonanz hervorrufen, was einfach daran liegt, dass wir in einer anderen Zeit leben. Damals waren die Juden durchaus fromm und sahen das als vorbildlich an. „Oh, da ist einer, der sich so Gott hingibt, dass er sogar an der Straße betet.“
Die Gefahr kann aber auch für uns bestehen, nämlich dort, wo wir möglicherweise ein Publikum haben – zu Hause, in der Gemeinde oder anderswo. Auch dort kann die Gefahr bestehen, dass wir beten, ohne uns bewusst zu sein, dass wir vor Gott stehen, sondern eher für andere reden. Das kann so weit gehen, dass wir vielleicht eine Predigt im Gebet halten und eigentlich gar nicht so sehr Gott im Blick haben, sondern den Bruder, die Schwester oder die Besucher, die da sind.
Natürlich hören die ja zu, das ist ja klar, es ist eine Gebetsgemeinschaft. Aber ich glaube, wir müssen uns dabei immer ganz deutlich vor Augen führen: Wir reden hier mit Gott. Das soll auch unsere innere Ausrichtung und Stimmung sein. Wenn ich meinen Bruder ermahnen will, dann soll ich das auch sagen: „Bruder, ich ermahne dich hier“ und nicht so tun, als ob ich zu Gott spreche, obwohl ich in Wirklichkeit jemand anderen meine.
Das ist es, was Jesus hier vor Augen führt: nicht zu anderen sprechen, obwohl ich vor Gott bin. Das ist kein ernsthaftes Gebet.
Die richtige Haltung im Gebet
Und das Zweite, was hier drinsteht: Gebet ist keine fromme Leistung, mit der ich mehr Punkte im Himmel bekomme. Sondern Gebet ist Gespräch mit Gott. Dafür gibt es zunächst keine besonderen Punkte, keine besonderen Kronen oder Ähnliches. Das muss jedem bewusst sein.
Gebet ist keine religiöse Leistung, so soll uns hier gesagt werden. Deshalb muss ich auch nicht so lange und so viel wie möglich beten – das wird später noch einmal behandelt. Auch soll ich nicht vor anderen beten, damit sie sehen, wie fromm ich bin. Vielmehr muss ich mir vor Augen führen, dass ich dabei mit Gott rede.
„Ihr habt euren Lohn schon empfangen. Du aber, wenn du betest, geh in dein Kämmerlein, schließe deine Tür und bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist; denn dein Vater, der ins Verborgene sieht, wird es dir öffentlich vergelten.“ Hier wird also dem öffentlichen Gebet, dem, was sich selbst ausstellt, das persönliche Gebet im Stillen gegenübergestellt.
Wenn du das, was du sagen willst, nicht auch ganz privat in deinem Zimmer zu Gott sagen kannst, dann ist es besser, es gar nicht zu sagen. Und das, was du im privaten Kämmerlein zu Gott sagst, könntest du genauso auch in der Gemeinde vor Gott sagen. Natürlich gibt es manche ganz persönlichen Probleme, die du breit vor Gott ausbreiten kannst, die aber nicht jeder andere mitbekommen muss.
Generell soll das der Maßstab sein: Wie ist meine Beziehung zu Gott? Drücke ich das genauso aus, wenn ich für mich alleine bin, wenn ich abends im Bett liege, wenn ich morgens aus dem Bett aufstehe, wenn ich beim Abwaschen bin, an meiner Werkbank stehe und niemand zuhört, wenn ich meine Mittagspause habe, im Auto sitze oder im Bus zur Arbeit fahre? Bete ich dann? Stehe ich dann vor Gott?
Denn dieses Kämmerlein ist ja nur ein Extrembeispiel. Da wird einmal die große Öffentlichkeit und einmal das kleine Kämmerlein gegenübergestellt. Das ist keine Aufforderung Jesu, wir dürften jetzt wirklich nur bei geschlossener Tür und wenn niemand zuhört beten. Nein, ganz und gar nicht!
Man muss sagen, dass Jesus das auch nicht tut. Jesus betet auch, und die Jünger hören dabei zu. An verschiedenen Stellen, zum Beispiel bei der Speisung der Fünftausenden, bittet er ganz öffentlich den Vater um Segen. An anderen Stellen, wenn Leute geheilt werden, bittet er den Vater ebenfalls öffentlich.
Übrigens ist das Gebet „Vater unser“ im Plural formuliert. Das heißt, es wird auch in Gemeinschaft gebetet. Jesus geht also davon aus, dass dieses Gebet mit mehreren zusammen gesprochen werden kann. Das ist, glaube ich, nicht das, was Jesus hier sagen will.
Vielmehr will er uns gegenüberstellen: Betest du in erster Linie für die anderen statt für Gott? Betest du in erster Linie, um fromme Anerkennung zu bekommen? Das ist falsch. Dann ist es besser, wenn du mal nur für dich im Privaten betest. Denn dann hört keiner zu, du kannst niemandem predigen, und niemand kann dir hinterher auf die Schulter klopfen und sagen: „Bruder, wie toll hast du gebetet!“
Das ist es, was Jesus uns hier erst einmal sagen will: Ein Missbrauch der damaligen Zeit, der auch heute noch vorkommen kann.
Warnung vor leeren Worten und frommer Show
Als nächstes lesen wir: „Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht plappern wie die Heiden, denn sie meinen, sie werden erhört um ihrer vielen Worte willen.“ Darin sollt ihr ihnen nicht gleichen, denn euer Vater weiß, was ihr benötigt, ehe ihr ihn bittet.
Hier zeigt sich wieder ein Missbrauch, nämlich das viele Worte machen. Man könnte auch sagen, manchmal drückt man sich übertrieben fromm aus. Alle frommen Begriffe wie Halleluja, Gloria und Maranatha werden ins Gebet hineingepackt, und das klingt richtig gut. Es gibt ja solche Formeln, die immer wieder vorkommen.
Ich erinnere mich noch, als ich Kind war und zum Glauben gekommen bin. Gott hat mich angesprochen, ich habe meine Sünden bekannt, und dann hatte ich nicht das große Gefühlserlebnis, wie ich es erwartet hatte. Ich dachte, ich hätte nicht die richtige Formel getroffen. Daraufhin habe ich darauf geachtet, was die anderen in unserer Gemeinde, in der Versammlung, gebetet haben. Manche beten immer im Namen Jesu, Amen. Da habe ich mich noch einmal „im Namen Jesu“ bekehrt. Am Ende habe ich noch einmal gesagt: „Im Namen Jesu.“ Das hat allerdings auch kein großes Gefühlserlebnis gebracht.
Das war dann meine Vorstellung: Ich hatte nicht die richtige Formel. Hier soll jedoch gesagt werden: Nein, diese richtige Formel gibt es nicht. Wenn du ehrlich dein Herz vor Jesus, vor Gott ausschüttest, dann hört er zu. Es braucht nicht dieses Plappern. Plappern heißt einfach, so daherzureden, frommes Gerede ohne wirklich dabei zu sein.
Das kann sich einerseits auf die Länge der Gebete beziehen. Da denken wir bestimmt alle an Elia auf dem Berg Karmel und die Baalspriester, die den ganzen Tag um den Altar herumspringen und ihren Gott rufen: „Baal, komm und erhöre uns!“ Dann macht sich Elia sogar noch lustig über sie. Er sagt: „Ihr müsst lauter schreien, und euer Gott ist vielleicht ausgetreten, ist auf Toilette gegangen, er hört euch nicht.“ Es ist eigentlich nur Spott, den er für sie übrig hat.
Aber das ist die typische irdisch-menschliche Frömmigkeit, die versucht, durch lautes Geschrei oder intensive Gefühlsregungen, die ich selbst erzeuge, oder durch besonders fromme Worte Gott zu erweichen. Darum geht es ja gar nicht. Das ist eine magische Vorstellung. Ich könnte durch irgendeine Handlung, sei es auch die Form, wie ich bete, Gott erweichen und dazu bringen, dass er mich erhört und dann das tut, was ich gerne will. Gar nichts.
Wir sind doch, wie Jesus sagt, Kinder Gottes, und er hört uns. Hier wird uns sogar gesagt, dass er uns schon hört, bevor wir gebeten haben. Das heißt nicht, dass wir nicht bitten sollen. Vielmehr soll uns vor Augen geführt werden: Du musst Gott nicht bedrängen, du musst ihn nicht erst durch fromme Worte überzeugen. Er weiß es ja. Drück es einfach aus, sag es ihm, und dann ist Schluss.
So wissen wir, dass Gott zuhört. Hier werden wir zum einfachen und natürlichen Beten angeleitet. Ich habe auch ein bisschen das Bild vom „Plappern wie die Heiden“ vor Augen. Da können wir sagen: Gut, dass wir hier unter uns sind. Man müsste hier Angst haben, wenn ich sage, dass das muslimische Gebet auch ein bisschen in diese Richtung geht. Dort ist alles ganz genau festgelegt. Es sieht sehr fromm aus, wenn bis zur Stirn auf den Boden gebetet wird – und das fünfmal am Tag.
Muslime können uns in der Häufigkeit und Intensität des Betens eine Herausforderung sein. Aber hier wird gesagt, dass es so schnell zum Plappern wie bei den Heiden kommt, dass man es gar nicht mehr bewusst macht. Man sieht nicht mehr wirklich die Verbindung zu Gott, sondern es bleibt nur die äußere Form.
Das gibt es natürlich auch unter Christen. Es kann genauso sein. Wir müssen wahrscheinlich immer wieder unser Gebetsleben daraufhin überprüfen. Kommen wir nicht zu schnell in eigene, selbstgefundene Formeln hinein? Wir fangen an zu beten, und plötzlich sind wir in Gedanken gar nicht mehr dabei. Zack, ist unser Gebet schon vorbei.
Das kann nicht nur Muslimen oder Menschen mit traditionellem Glauben passieren, sondern auch uns als Christen. Deshalb ist es gut, immer wieder bewusst über unsere eigenen Worte nachzudenken, damit es nicht zum Plappern wird.
In manchen Gemeinden ist es auch üblich, Gott durch besonders intensives Gebet zu überzeugen. Ich weiß nicht, ob ihr das kennt: Ich habe Gemeinden besucht, in denen richtig geschrien wird im Gebet, natürlich mit vielen „Halleluja“ dazwischen. Man meint, durch dieses „machtvolle“ Gebet Gott besonders beeindrucken zu können.
Aber Gott ist nicht schwerhörig. Er hört dich genauso, wenn du ganz normal leise sprichst, wie wenn du laut schreist. Umso mehr „Halleluja“ und umso mehr Arme hochreißen – das beeindruckt Gott auch nicht unbedingt.
Das ist ähnlich wie in manchen heidnischen Religionen. Dort werden viele äußere Dinge getan, um Gott zu beeindrucken. Hier wird gesagt: Das ist doch alles gar nicht wichtig. Wir haben keinen Gott, den wir erst lange beeindrucken, wecken oder überreden müssten. Wir haben einen Gott, der unser Bestes will und auf uns hört. Den brauchen wir nicht erst zu nerven – so wie es manche andere tun müssen.
Deshalb wird uns hier entgegengestellt: Er weiß, was wir bitten, und deshalb sollt ihr auch folgendermaßen beten. Dann folgt das Vaterunser. Dabei merken wir, dass es ganz anders ist. Es ist nicht spektakulär, nicht wie Geisterbeschwörung, nicht wie das Reden mit Toten oder die Verwendung glorioser Worte. Vielmehr ist das Vaterunser überraschend schlicht.
Es besteht aus relativ einfachen, schlichten Worten und Gedanken.
Die Bedeutung des Anfangs: Gemeinschaft und Vatersein
Das beginnt mit den Worten „Unser Vater, der du bist im Himmel“ – also mit der Anrede, die wir darin haben. Schon allein diese ersten Worte könnten uns eine ganze Stunde beschäftigen, wenn wir darüber nachdenken.
Ich beginne mit dem ersten Wort: „Unser“. Manche drehen es auch um und sagen zuerst „Vater“. Für mich steht „Unser“ an erster Stelle, und darin steckt schon eine ganze Predigt.
Wenn wir das wirklich ernsthaft aussprechen, drücken wir damit aus, dass wir zusammengehören. Das widerspricht dem modernen Individualismus, der sagt: „Ich und Gott, das ist eine Sache. Die Christen kommen erst viel später.“ Wenn es mir gut geht, meiner Familie gut geht, meinem Job gut geht und ich glücklich bin, dann kommen irgendwann auch die Gemeinde und die Christen dazu. Das ist hier aber gar nicht gemeint.
Dieses „Unser“ heißt, dass wir als Gemeinschaft vor Gott stehen. Ich bin ein Glied am Leib Jesu, ein Glied an der Gemeinde, deren Haupt Jesus ist – so haben wir es heute auch im Kolosserbrief gelesen. Das bedeutet, ich kann nicht als einzelner Finger sagen: „Ach, jetzt laufe ich mal weg, ich brauche den Körper nicht mehr, der kann bleiben, wo er will.“
Hier merken wir, wie sehr wir heute an dieser Stelle angefochten sind, nämlich die verpflichtende Gemeinschaft in der Gemeinde zu üben. Damit meine ich nicht nur den regelmäßigen Besuch von Gottesdienstveranstaltungen, sondern auch die Verbindung, die sich während der Woche zeigt: Wie denke ich an den anderen? Wie bete ich für den anderen? Wie erkundige ich mich bei dem anderen? Wie sehr ist mir dessen Anliegen – sei es Leiden oder Freude – wirklich ein eigenes Anliegen?
Das steckt in dem „Unser“ mit drin. Hier wird bewusst nicht gebetet „Mein Vater“, was man ja auch beten könnte, sondern „Unser“. Wir beten das zusammen, weil wir zusammengehören und ein Leib sind.
Das ist, glaube ich, eine echte Herausforderung. Es gibt ja einige Witze, die ich jetzt nicht erzähle, aber vielleicht kennt ihr solche: Ein Baptiste oder ein Bruder kommt in den Himmel und fragt, wo die anderen sind. Die sind nicht hier. Solche Scherze sollen eigentlich darauf hinweisen, dass es im Himmel keine einzelnen Abteilungen für Brüder, Baptisten, Mennoniten, Methodisten oder Lutheraner gibt. Dort werden wir alle zusammen sein.
Ich will jetzt keine falsche Ökumene fördern und sagen: „Ach, das ist ja alles egal, beten wir heute mal zu Maria und übermorgen zu jemand anderem, und dann machen wir das mal so.“ So ist es auch nicht. Wir müssen einen Unterschied machen zwischen Lehren, die uns wichtig sind und die uns am Herzen liegen, und dem Christsein selbst.
Christsein hängt nicht davon ab, wie man das Abendmahl feiert oder die Taufe vollzieht. Christsein hängt daran, ob ich Vergebung meiner Sünden durch Jesus Christus erfahren habe. Dann ist das ein Bruder oder eine Schwester. Vielleicht ein Bruder oder eine Schwester, die mich manchmal ärgert – aber das gibt es in jeder Familie.
Ich weiß nicht, ob ihr mit Geschwistern aufgewachsen seid. Ich hatte vier Schwestern, mit denen ich aufgewachsen bin, keinen Bruder. Sie haben mich manchmal geärgert, und ich habe sie auch manchmal geärgert – zumindest haben sie mir das gesagt. So ist das als Geschwister, man versteht sich nicht immer perfekt.
Ich vermute, auch wenn ihr nicht die allerheiligste Gemeinde seid, die ich bisher kennengelernt habe, gibt es auch bei euch manchmal Reibereien, wo einer dem anderen auf die Nerven fällt. Aber ihr seid Geschwister. Stellt euch darauf ein: Ihr werdet hier nicht nur ein paar Sonntage gemeinsam Gottesdienst feiern, ihr werdet in der Ewigkeit zusammen sein.
Da müsst ihr euch schon auf die Eigenarten einstellen, die ihr im Himmel miteinander teilen werdet. Dort sind auch noch ein paar Millionen andere dabei, also ist die Gemeinschaft nicht ganz so eng. Und wir werden auch noch gereinigt, wir werden nicht mehr so sündig sein wie auf der Erde. Dann wird auch manches abfallen. Trotzdem lasst uns schon ein bisschen darauf einstellen: Wir gehören zusammen. Das steckt in dem „Unser“ mit drin.
Dann das nächste Wort: „Vater“. Ich glaube, das ist ein ganz besonderer Schwerpunkt dessen, was Jesus sagt. Wir haben uns häufig daran gewöhnt, aber Gott als Vater anzureden, ist etwas ganz Besonderes. Das gibt es so in kaum einer anderen Religion.
Dort ist Gott der Herr, der Schöpfer – das kennen auch viele andere Religionen – und der Richter, der am Ende richtet. Aber Vater meint hier eine innige, persönliche Beziehung. Gleichzeitig drückt es aus: Ich kann zu Gott nur „Vater“ sagen, wenn ich sein Kind geworden bin.
Wenn zum Beispiel ein Kind auf dem Spielplatz zu mir kommt und „Papa“ sagt, schaue ich das Kind erst einmal überrascht an. Dann schaut mich das Kind an und merkt: „Oh nein, der sieht doch nicht aus wie mein Vater“, und läuft wieder weg. Vater kann also nur jemand sagen, der auch Kind von diesem Vater ist.
Hier steckt in diesem Gebet der Schlüssel: Das Vaterunser ist eigentlich nicht für jeden Hans und Franz geschrieben, sondern nur für Menschen, die wirkliche Sündenvergebung erlebt haben, die erfahren haben, dass Gott ihnen neues Leben gegeben hat, die Kinder Gottes geworden sind.
Im Johannesevangelium lesen wir: „Denen gab er Macht, Kinder Gottes zu heißen, denen, die an seinen Namen glauben.“ Das heißt, das Vertrauen auf den Namen Jesu, das Vertrauen darauf, dass Jesus uns neues Leben gegeben hat und dass wir Vergebung der Sünden haben, macht uns erst zu Kindern Gottes.
Weder die Taufe, noch die Mitgliedschaft in einer Gemeinde, noch das fromme Beten im Gottesdienst machen uns zu Kindern Gottes. Sondern diese Hinwendung: „Ich vertraue mit meinem Leben und Sterben auf Jesus, auf seinen Tod, auf seine stellvertretende Sühne, also Erlösung, Sühne für meine Sünden.“ Das macht uns dazu.
Erst dann können wir das Vaterunser richtig beten. Andere können beten: „Schöpfer im Himmel, ewiger Richter, großer Gott.“ Das kann auch jemand beten, der nicht Christ ist, denn er ist ja auch Geschöpf Gottes. Das kann er erkennen (vgl. Römer 1), wenn nicht jeder weiß, dass es einen Gott gibt und dass er Verantwortung vor ihm ablegen muss.
Aber „Vater“ kann wirklich nur der mit Überzeugung sagen, der diese Erlösung hat und der jetzt adoptiert ist von Gott, der neugeboren ist von Gott. Und da merken wir schon bei diesen ersten beiden Worten die Gemeinschaft, die Gemeinde, die Erlösung, unsere innige Beziehung zu Gott, dem Vater, unserem Vater.
Es ist toll, dass wir zu Gott „Vater“ sagen können. Er ist nicht nur eine Wunscherfüllungsmaschine, an die wir uns wenden. Er ist nicht nur der strenge Richter, der im Himmel steht und dann Strafen verteilt für das, was wir falsch gemacht haben.
Natürlich gibt es auch mal einen „Klapsoffenpropo“ – so wie wir das vielleicht bei unseren Kindern getan haben, zumindest früher durften wir das, heute nach dem Gesetz dürfen wir es nicht mehr, und tun es vielleicht trotzdem noch manchmal. Die Bibel verbietet das nicht ausdrücklich, aber wir sind ja nicht bei der Erziehung.
Wir lesen zum Beispiel in Hebräer 12: „Ein Vater, der seinen Sohn liebt, den züchtigt er.“ Dort steht auch, dass Gott uns züchtigt. Und wenn ihr nicht gezüchtigt werdet, dann seid ihr auch nicht Söhne, steht da ganz deutlich.
Das heißt, auch Züchtigung gehört manchmal dazu. Natürlich ist die Frage, wie das aussieht. Aber generell ist Gott unser liebender Vater, der es gut mit uns meint.
Dann lesen wir weiter: „Unser Vater, der du bist im Himmel.“ Ich glaube, das hat zwei wichtige Aussagen.
Was damit nicht gemeint ist: Wir sollen nicht sagen, „Du bist im Himmel“, also weit weg. Manche haben den Eindruck: „Hier auf der Erde haben wir genügend Probleme, aber Gott ist irgendwie ungreifbar, entzieht sich uns, weil er im Himmel ist, und der Himmel ist weit entfernt, damit haben wir nichts zu tun.“
So ist es nicht gemeint. Erstens soll uns hier ausgedrückt werden: Gott ist Vater, aber verwechsel diesen Vater nicht mit deinem irdischen Vater.
Als Christen können wir in die Gefahr kommen, entweder einen besonders strengen Vater gehabt zu haben, sodass unser Bild von Vater der eines sehr strengen Mannes ist. Vielleicht hatten wir auch einen eher „schlaffen“ Vater, der alles durchgehen ließ, immer sagte: „Alles ist in Ordnung, alles ist gut“, und hinterher haben wir von Gott genau denselben Eindruck.
Dann liest man in der Bibel: „Ach, das sollst du nicht tun, und das sollst du machen“, und denkt: „Mein Vater hat ja auch alles durchgehen lassen, ich mache das mal, wie ich will.“ Das ist auch falsch.
Deshalb soll uns hier gesagt werden: Nein, denk jetzt nicht an den irdischen Vater mit seinen Stärken und Schwächen, mit dem, was er gut konnte und dem, was er nicht konnte. Denk daran, Gott ist im Himmel, und das ist eine ganz andere Ebene.
Er ist Vater, aber nicht in der Form, wie dein irdischer Vater es war, sondern natürlich viel vollkommener und viel besser.
Jesus sagt vom Vater: „Von ihm ist alle Vaterschaft im Himmel und auf Erden.“ Gott ist sozusagen der Vater par excellence, der Vater aller anderen Väter, das große Vorbild und die Herausforderung für jeden, der hier Vater ist.
So wie Gott mit Züchtigung, Ermutigung und Liebe umgeht, egal was seine Kinder machen, so ist er unser Vater im Himmel.
Auf der anderen Seite soll uns auch ausgedrückt werden: Der Himmel gibt uns etwas von dem Verhältnis der Ewigkeit wieder.
Das ist also ein Vater für die Ewigkeit, nicht nur für die begrenzten irdischen Zustände. Wir lesen ja in Offenbarung 21, dass Himmel und Erde vergehen, und ein neuer Himmel und eine neue Erde geschaffen werden.
Wenn das alles passiert und unser irdischer Leib verfallen ist und irgendwann im Grab liegt, dann ist der himmlische Vater immer noch da, weil er nicht an das materielle Irdische gebunden ist.
Hier wird also ausgedrückt, dass diese Vaterschaft, diese Position, wo Gott ist, nicht einfach weit entfernt ist, sondern auf einer anderen Ebene. Wir könnten sagen, in einer anderen Dimension, in einer anderen Tiefe, in einer anderen Dauerhaftigkeit als ein irdischer Vater.
Das ist ganz wichtig für uns, damit wir Gott nicht nur ins Diesseits hineinziehen.
Ich glaube, viele Christen und Gemeinden sind in der Gefahr, Gott nur ins Diesseits zu ziehen. Wir haben es gerade gehört im Beispiel von Bruder Fugubia in Brasilien.
Der Inhalt der Predigt dort war: „Dir geht es gut auf der Erde, du bist gesund, du bist reich.“ Das ist das Wohlstandsevangelium.
Das ist die Gefahr für diejenigen, die Gott nur ins Diesseits ziehen wollen. Gott ist nur dafür da, mir hier ein bequemes, angenehmes Leben zu schaffen.
Das ist es gerade nicht. Gott ist im Himmel, und da ist unsere Heimat, wie Paulus im Philipperbrief sagt. Dorthin sollen wir streben.
Ein Versprechen auf ein problemloses Leben hier auf der Erde lesen wir nirgends, weder im Vaterunser noch sonst an einer Stelle.
Jesus sagt: „Mich haben sie verfolgt, euch werden sie auch verfolgen.“ Das ist seine Verheißung.
Er sagt auch: „Die Vögel haben Nester, die Füchse haben Höhlen, aber der Menschensohn hat keinen Platz.“ So wird es euch auch gehen.
Er fordert uns auf: Verlasst alles, wenn ihr ihm nachfolgen wollt.
Das ist es, was uns vor Augen geführt wird, nicht: „Kommt zu mir, und all eure Probleme sind gelöst.“ Er sagt sogar: „Wenn ihr nicht euer Kreuz auf euch nehmen wollt, brauche ich euch nicht.“
Überlegt euch gut die Kosten der Nachfolge.
Da sagt Jesus zu einem: „Ich will noch meinen Vater beerdigen, ich will noch dies und das machen.“ Jesus antwortet: „Gut, mach das, aber ich brauche dich nicht. Bleib zuhause.“
Das ist das, was Jesus sieht. Jesu Versprechen ist keine Rundumversorgung, bis wir einmal schmerzlos in den Himmel kommen.
Sein Versprechen ist das Beistehen gerade in Schwierigkeiten, Problemen, Arbeitslosigkeit, Schmerzen, Krankheit und Verzweiflung.
Das ist es, was Jesus versprochen hat.
Und das steckt auch hier in dem Vertrauen mit drin: „Du bist im Himmel.“ Daher werden wir dorthin gehen und dich als Vater einmal vollkommen erfahren können.
Die Heiligung des Namens Gottes
Als Nächstes haben wir: Geheiligt werde Dein Name. Dieses Heiligen war, wie ihr vielleicht wisst, früher noch viel umfassender gemeint, als wir es heute kennen. Heute ist der Name oft nur noch Schall und Rauch; er bedeutet nichts mehr. Aber in früheren Jahrhunderten war das ganz anders.
Im Namen steckte damals viel von der Person selbst. Zum Beispiel bei Karl dem Kahlen – da musste man sich nicht lange überlegen, wie er ausgesehen hat. Oder August der Starke: Er hat regelmäßig Bodybuilding betrieben. In Schriften ist bekannt, dass er, wenn Gesandte anderer Königreiche kamen, diese beeindruckte, indem ihm ein Diener ein Hufeisen brachte, das er dann verbog. Damit wollte er zeigen, was für ein Herrscher er war. So entstand hinter dem Namen ein Bild: „Ah, das ist August der Starke, König in Sachsen.“ Der Name drückte also etwas aus.
Oder in Schweden, bei Gustavson – der Name bedeutet „Sohn von Gustav“; da steckt viel drin. In der Bibel finden wir das noch viel deutlicher. Menschen erhielten oft einen neuen Namen, wenn sie einen Namenswechsel erlebten. Wir kennen das von Abram und Abraham oder von Saulus und Paulus und vielen anderen mehr.
In der katholischen Kirche ist es bis heute üblich, dass jemand, der in einen Orden eintritt oder Papst wird, einen neuen Namen annimmt. Aus Ratzinger wird dann Benedikt. Das ist ein Programm: Man will damit sagen, dass man ein anderer Mensch ist, einen neuen Lebensabschnitt beginnt und deshalb einen anderen Namen trägt.
Auch hier steckt genau das im Namen Gottes. Der Name Gottes ist nicht einfach nur „Gott“ – es ist ein Programm, das dahintersteht. Wenn wir sagen: „Geheiligt werde Dein Name“, dann steht der Name stellvertretend für die ganze Person, die dahintersteht, und für die besonderen Eigenschaften dieser Person.
Nun können wir uns die Frage stellen: Welcher Name ist hier überhaupt gemeint? Die Zeugen Jehovas würden sagen: Das ist klar, es ist der Name Jehova. Steht das hier? Eigentlich nicht. Im Alten Testament, bei Mose, steht ja: „Ich bin, der ich bin“ oder „Ich bin Yahweh“. Das finden wir dort. Aber im Alten Testament gibt es auch zahlreiche andere Namen, unter denen Gott sich offenbart, wie El, El-Schaddai, Adonai und so weiter. Im Neuen Testament ist Kyrios auch ein Name Gottes.
Hier steht jedoch „Geheiligt werde Dein Name“. Sicherlich ist die ganze Person gemeint, aber ein Name ist hier auch gemeint. Ihr könnt mich gerne korrigieren, aber ich glaube, der Name, der hier gemeint ist, ist „Vater“. Das ist nämlich der Name, der gerade vorher genannt wurde. Wir heiligen Gott als Christen, wie wir es nur als Christen können, indem wir Gott als Vater verkündigen und anerkennen.
Denn das andere ist alles schon vorher bekannt. Ungläubige können Gott als Schöpfer und Richter verehren. Aber wir als Christen haben etwas Besonderes: Wir verehren ihn als Vater. Ich halte das für einen besonderen Namen. Jesus spricht seinen Vater meistens als „Vater im Himmel“ an. Ich glaube, hier steckt etwas von diesem wunderbaren Namen Gottes drin, der seine Persönlichkeit widerspiegelt.
Ich habe gesagt, der Name ist nicht nur eine willkürliche Bezeichnung, sondern Ausdruck der Persönlichkeit. So habe ich den Eindruck, dass hier mit dem Namen auch die Persönlichkeit Gottes gemeint ist.
Natürlich wissen wir, dass im Alten Testament, zum Beispiel im zweiten Buch Mose in den Zehn Geboten, steht: „Du sollst den Namen Gottes nicht unnütz führen“ und „Du sollst den Namen Gottes heiligen“. Dort ist natürlich der Name gemeint, der Israel offenbart wurde. Aber hier würde ich eher sagen, dass der Name gemeint ist, mit dem Gott sich an die Gemeinde offenbart hat, als unser Herr und unser Vater.
Wenn es heißt „heiligen“, dann bedeutet das so viel wie „aussondern“. In der Bibel ist alles, was speziell für den Gebrauch Gottes ausgesondert ist, geheiligt. Wenn wir diesen Begriff auf Gott anwenden, dann heißt das, dass wir nicht einfach so, wie es im Alltag oft geschieht, den Namen Gottes oder Jesu gebrauchen. Oft wird der Name Gottes einfach so gesagt, wenn etwas schiefgeht, ohne darüber nachzudenken. Das sollen wir nicht tun.
Wenn hier steht „Dein Name werde geheiligt“, dann ist das zuerst eine Bitte an Gott. Es heißt nicht: „Ich will das nicht tun“ oder „Du sollst es nicht tun“, sondern „Gott, sorge du dafür, dass dein Name geheiligt wird“. Es ist aber auch klar, dass derjenige, der bittet, sich selbst dafür einsetzt. Sonst ist es keine ehrliche Bitte.
Wenn ich euch zum Beispiel bitten würde: „Vater im Himmel, sorg doch dafür, dass ich aufhöre zu rauchen“ – wenn ich rauchen würde – und ich würde trotzdem jeden Tag eine neue Packung kaufen und weiterrauchen, dann wäre das eine unehrliche Bitte. Eine ehrliche Bitte gegenüber Gott bedeutet auch, dass ich selbst das tue, was ich kann, um das Ziel zu erreichen. Sonst ist es keine ehrliche Bitte, sondern eine billige Ausrede.
Genauso ist es hier: Wenn wir Gott darum bitten, dann wissen wir, dass Gott alles in der Hand hat. Er allein kann verhindern, dass sein Name missbraucht wird. Er allein kann seinen Namen vollkommen heiligen und als Vater der ganzen Welt zeigen, dass die Menschen seine Vaterliebe erkennen.
Aber wir können dazu beitragen. Wie? Indem wir den Namen nicht missbrauchen, sondern indem wir Menschen die Heiligkeit und Herrlichkeit des Namens Gottes verkündigen und predigen. Dadurch wird der Name Gottes geheiligt.
Der Name wird nicht nur geheiligt, wenn wir ihn verschweigen oder nicht gebrauchen. Wir sollen ihn nicht an falscher Stelle verwenden. Aber wir heiligen ihn auch, indem wir den Namen Gottes als Vater vor den Menschen groß machen, damit sie diese Vaterliebe Gottes erfahren und ihn deshalb loben lernen.
Das steckt auch in diesem Gebet mit drin, würde ich sagen.
Das Kommen des Reiches Gottes
Als Nächstes haben wir dann „Dein Reich komme“. Jetzt stellt sich die Frage: Was steckt eigentlich hinter dem Reich Gottes? Hier wird ja Gott angesprochen, und das wird uns in der Bibel ganz häufig erwähnt. Der griechische Begriff dafür ist Basileia Theou, also das Reich Gottes, das Himmelreich Gottes oder das Königreich Gottes, wie wir auch sagen könnten.
Von diesem Reich redet Jesus sehr viel. Fast alle Gleichnisse oder ein großer Teil der Gleichnisse handeln davon. Das Himmelreich wird beispielsweise mit einem Baum verglichen, mit einer Frau oder mit vielen anderen Dingen. So wird uns dieses Himmelreich einmal vor Augen geführt.
Jesus und Johannes der Täufer predigen, dass das Himmelreich Gottes nah herbeigekommen ist. Hier steht eben „Dein Reich komme“, was bedeutet: Aha, es ist nah herbeigekommen, aber es ist noch nicht vollständig da. Wenn wir beten „Dein Reich komme“, drücken wir damit auch aus: Dein Reich komme in seiner ganzen Fülle.
Denn anfangs ist das Reich Gottes ja schon hier unter uns. Das sagt Jesus ganz deutlich, nämlich dort, wo sich ein Mensch Jesus gegenüber öffnet, dort, wo er Sündenvergebung erfährt und sich Gott unterstellt. Dort beginnt das Reich Gottes wie eine kleine Pflanze. Und dann wächst es natürlich und wird immer größer.
Das Reich Gottes wird erst in seiner Herrlichkeit vollständig sein, wenn Jesus das nächste Mal kommt und sein Reich auf der Erde aufrichtet. Dann, wenn das himmlische Jerusalem für uns vorbereitet ist, die Wohnungen, die Jesus vorbereitet hat, dann ist es in der Fülle da.
So müssen wir sagen: Zum Teil beginnt das Reich Gottes hier unter uns, dort, wo wir mit Gott leben. Und da bitten wir Gott: Dein Reich komme. Aber wir sollten es auch weiter beten, wie es gerade in der Offenbarung von Johannes heißt: „Maranatha, Herr Jesus, komm bald!“ So endet das Buch auch.
Wir beten das bewusst, weil wir wissen: Dieses Reich Gottes ist das, wonach wir streben. Dort ist erst das Glück in der Fülle, dort ist Zufriedenheit, dort ist Angenommenheit. Endlich werden Sünde, Leiden, Krankheit und Tod besiegt und am Ende sein.
Denn egal, wie gut es uns auf der Erde geht – und ich freue mich ja auch über viele gute Tage und denke: Wunderbar, Gott hat mir diesen Tag geschenkt – aber ich sage mir immer wieder: Michael, das ist nicht alles. Richte dich nicht zu sehr hier auf der Erde ein. Bei Gott wird es noch viel besser, viel herrlicher sein. Vieles von dem Leiden, das ihr hier in Gelsenkirchen und Umgebung habt, wird dann aufhören.
Schaut euch mal die Leute an, die vielleicht hier und da lächeln. Aber wie viel Leiden gibt es nicht bei den Menschen hier um uns herum! Ich rede gar nicht nur von den 20 Prozent Arbeitslosigkeit in manchen Regionen. Ich rede nicht nur davon, wo der Mann seine Frau quält oder missbraucht. Ich rede nicht nur davon, wo Kinder geschlagen werden, nicht nur davon, wo Leute drogensüchtig sind, nicht nur davon, wo Menschen im Krankenhaus liegen und unter Schmerzen leiden. Ich rede auch von dem ganz normalen Leiden an Sinnlosigkeit und Frustration.
Ich weiß nicht, ob ihr den neuen Trend bei Jugendlichen mitbekommen habt, wie der heißt – ich habe neulich davon gelesen. Es gibt einen Trend, der heißt so ähnlich wie „Trinken, bis du umfällst“. Ja, genau, hier kennen sich noch ein paar Leute aus. Das war es ja, Flatrate-Saufen. Flatrate kennt ihr ja aus dem Internet – du bezahlst einmal und kannst so lange surfen, wie du willst. Jetzt gibt es das Flatrate-Saufen. Das heißt: Du gehst irgendwo hin, bezahlst einmal eine bestimmte Summe, und dann kannst du trinken, was das Zeug hält.
Das ist ein richtiger Trend bei manchen Jugendlichen. Und am nächsten Tag oder nach ein paar Tagen, wenn man wieder normal ist, wird darüber gesprochen, wie viel man denn runterkippen konnte. Ich habe da ein Interview im Radio gehört. Da sagte jemand: „Normalerweise wäre das ja alles so teuer, aber jetzt, wo es umsonst ist, trinke ich noch mehr, weil ich es jetzt richtig tun kann, bis zur Besinnungslosigkeit.“
Man muss mal sagen: Ist das nicht ein armseliges Leben? Ich meine nicht nur, dass du dein Gehirn damit versäufst und vielleicht nach ein paar Mal gar nicht mehr merkst, was du tust. Sondern wie armselig ist es, wenn du morgens mit Kater aufwachst, der Kopf tut weh, alles tut weh, du weißt nicht mehr, was du gemacht hast, hast dich vielleicht noch übergeben und alles liegt in deinem Dreck herum? Was ist das für ein Leben? Das ist doch letztendlich ein elendes Leben.
Und selbst wenn es dir im Moment mal Spaß macht, auf Dauer macht es dich kaputt. Wir haben manche Bibelschüler an der Bibelschule, die so ein Leben hinter sich haben und durch Jesus erneuert wurden. Da sagt keiner: „Ach, wie toll war das damals!“ Sondern alle sagen: „Hätte ich diese Zeit doch nur nicht gehabt! Hätte ich das doch rückgängig machen können!“ Aber das geht eben nicht.
Wenn wir das vor Augen haben, müssten wir doch noch mit mehr Überzeugung beten: „Dein Reich komme, Vater! Richte du dein Reich auf! Mach diesem Negativen, das wir auf der Erde haben, ein Ende! Diesem Leiden, diesem gegenseitigen Quälen, dieser Aussichtslosigkeit mach ein Ende!“
Das steckt ja mit drin. Nicht weil wir böse auf andere Menschen sind, sondern aus Liebe zu ihnen. Wir sagen: Dieses Leiden ist fürchterlich für uns und andere. Gib ihnen noch eine Chance, dass sie umkehren. Aber dann mach dem Leiden ein Ende! Dein Reich komme! Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden.
Übrigens, wenn wir bitten „Dein Reich komme“, dann ist das auch eine Bitte, dass wir dazu beitragen können. Wir können also dazu beitragen, das Evangelium weltweit zu verbreiten.
Genauso ist „Dein Wille geschehe“ wieder eine Bitte an Gott: Gott, mach du, dass dein Wille geschieht. Jetzt könnte man fragen: Passiert das nicht sowieso? Ist Gott nicht allmächtig? Wenn er etwas will, dann geschieht das doch?
Wir haben heute Morgen von der Schöpfung gehört: Gott spricht, gibt einen Befehl, und die Menschen sind da – fertig. So macht er das.
Hier ist aber der Punkt: Gott hat für diese Erde seinen Willen ein Stück weit zurückgestellt, als er sagte, zum Beispiel: „Du sollst nicht lügen“ – die Zehn Gebote. Jetzt versuch mal zu lügen! Ich will euch ja nicht zur Sünde verführen, aber ihr habt vielleicht schon mal probiert und gemerkt: Ihr könnt tatsächlich lügen.
Der Wille Gottes ist aber: „Du sollst nicht lügen.“ Gott sagt: Das ist mein Wille, aber ich lasse dir die Freiheit, diesen Willen zu tun oder nicht.
Deshalb ist die Bitte hier: Lass deinen Willen, so wie er im Himmel schon herrscht – dort, wo nichts Böses ist und kein Teufel Zugang hat – auch auf der Erde durchbrechen.
Warum? Nicht in erster Linie, weil wir dann sagen, „Dann ist alles Schöne vorbei“, sondern weil wir wissen, dass Menschen und auch wir selbst, wenn wir uns nicht nach dem Willen Gottes richten, dass dann alles schiefgeht, nichts klappt und nichts bringt.
Wir sagen: Dein Wille soll in dieser Vollkommenheit auch auf der Erde herrschen. Denn dann wissen wir, dass es den Menschen wirklich gut geht. Dann haben wir Erfüllung. Dann sind Eheprobleme vorbei, Erziehungsprobleme sind vorbei, meine Frustration ist vorbei – wenn dein Wille geschieht.
Denn das meiste Leiden, das wir hier auf der Erde erleben, ist ja selbst zugefügtes Leid, oder? Mann, der Frau kaputt macht, Frau, die Mann kaputt macht, Kinder, die die Eltern kaputt machen, Eltern, die die Kinder kaputt machen, Arbeitnehmer, die Arbeitgeber und Kollegen fertig machen – das ist ein Großteil des Leidens, mit dem wir zu tun haben.
Und das beruht zum größten Teil darauf, dass wir nicht nach dem Willen Gottes handeln. Das ist klar.
Deshalb ist die Bitte hier: Dein Wille geschehe, weil wir wissen, dass das eigentlich das ist, was wir brauchen – was auch die ganze Welt braucht, in meinem Leben und im Leben anderer –, wie im Himmel so auch auf Erden.
Die Bitten für das tägliche Leben und Vergebung
Und jetzt, nachdem diese ganze Sache besprochen wird, die erst mal nur auf Gott ausgerichtet ist, ist das auch eine Lektion für uns fürs Gebet. Wir sollen beim Gebet nicht nur diese endlose Liste von eigenen Gebetsanliegen vortragen, sondern zuerst diese Aufrichtung auf Gott: Gott, mach du! Ich kann es ja auch gar nicht, du musst das in die Hand nehmen!
Dabei sollen wir auch mal an die große Menschheit denken, die da leidet um uns herum, und nicht nur an meine Sorgen. Gott, sorge für die, mach du für sie, dass dein Reich beginnt. Komm du bald wieder! So behalten wir diese heilsgeschichtliche Perspektive auch im Blick im Gebet.
Nach dieser Ausrichtung auf Gott und sein Handeln, wenn ich mich auf Gott ausgerichtet habe und auf das Normalmaß zurückgeschrumpft bin, kommen auch die Bitten, die mich in meinem Leben angehen. Plötzlich merken wir: Gott ist nicht nur ein heiliger Gott, der irgendwo im Jenseits lebt, sondern einer, der sich auch an meine irdischen Bedürfnisse richtet.
Hier sehen wir an die ganz Engsten: Da steht als Erstes dabei: Gib uns unser tägliches Brot heute. Oder Luther sagt: „Unser täglich Brot gib uns heute.“ Luther legt das auch aus, ich glaube, es ist in seinem großen Katechismus. Dort sagt er, was das bedeutet: Essen und Trinken, Haus und Gut, Gemahl und Gut und fromme Nachbarn und all so etwas zählt er dann auf. Er meint also das, was wir unmittelbar zum Leben nötig haben.
Und nicht nur das Brot. Man hätte auch Probleme, wir brauchen auch was zu trinken. Ich sehe nicht mehr drin. Und na ja, nur Brot, gut, wir könnten davon leben, vielleicht so Trockenbrot, aber es ist auch nicht gemeint. Übrigens, ihr wisst ja wahrscheinlich, wo das übersetzt wird, zum Beispiel nach Asien: Da haben die Bibelübersetzer gebetet, ob man das so übersetzen darf. Es ist ja die Frage: „Unsern täglich Reis gib uns heute.“
Oder in Afrika wurde es dann übersetzt: „Unser täglich Maniok gib uns heute.“ Denn die Deutschen verstehen sonst nicht, dass sie sonst kein Brot essen. Früher zumindest aßen sie kein Brot, heute manchmal schon, weil ja McDonald's da ist. Und ich denke, es ist auch Brot. Aber sonst eigentlich eher Maniok oder Reis.
Da merken wir, das ist wahrscheinlich auch damit gemeint: Damit ist nicht nur das Brot gemeint, sondern alles, was wir unbedingt zum Leben brauchen, das Körperliche. Nachdem hier erst mal Gott angesprochen ist, ist es gut, dass wir Gott darauf vertrauen. Sowohl wenn wir einen festen Job haben, dass wir sagen: Gott, du erhältst mir diesen Job.
Wenn wir Rentner sind, sagen wir: Gott, du erhältst diesen Staat, dass er auch regelmäßig meine Rente bezahlen kann. Wenn der Staat pleitegeht und die Rentenkasse pleitegeht, was weiß ich, wo dann Krieg kommt, alles zusammenbricht, Anarchie wie in Somalia, dann ist auch zu Ende damit. Gott, du stehst dahinter.
Wenn ich keine Anstellung habe, Gott, du versorgst mich durch Hartz IV, mehr schlecht als recht, aber na ja, ich darf noch leben, nicht? Dabei ist es wichtig, einfach zu sehen: Gott steht dahinter. Und auch Gott zu bitten: Gib du mir das, auch für morgen, was ich brauche.
Was darin steckt, ist auch: Habt nicht die Sorge, was in zwanzig Jahren stattfinden wird. Ich weiß nicht, ob euch diese Sorge manchmal überkommt. Aber immer wieder, wenn ich jedes Jahr meinen Rentenbescheid bekomme, habe ich schon mal die Sorge und denke mir: Oh, wenn ich jetzt mal in Rentenalter komme, wie werde ich davon leben?
Aber dann muss ich auch hier kommen für den morgigen Tag: Vater, gib uns unser tägliches Brot heute, oder vielleicht für morgen auch noch. Aber was in zwanzig, dreißig, vierzig Jahren sein wird – ich bezahle in die Rentenkasse ein, egal was dabei herauskommt, muss ich ja auch. Ich habe da auch meinen Riester-Vertrag, weil der Staat das empfiehlt. Es sind ja auch noch ein paar Euro jeden Monat, aber letztendlich ist es in der Hand Gottes.
Und das ist dieses Vertrauen: Gott wird dafür sorgen, dass du das hast, was du brauchst. Das steckt hier drin. Darum sollen wir Gott bitten im Vertrauen der ganz alltäglichen Dinge. Und dann natürlich tun, was wir tun können, ist ja klar.
Und dann heißt es: Vergib uns unsere Schulden, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. Hier wird eine Perspektive hineingenommen: Wenn wir erst mal genug zu essen und zu trinken haben, wenn wir da satt sind, denkt daran, dass eigentlich das Wesentliche die Beziehung zu Gott ist.
Diese Reihenfolge kommt wahrscheinlich deshalb zustande, weil es uns schwerfällt, uns auf Gott zu konzentrieren, wenn wir hungern. Das ist ja so: Wenn du irgendjemandem, der gerade beim Verhungern in Afrika ist, das Evangelium predigen willst, kommt das auch schlecht an. Gib ihm lieber erst mal was zu essen, und wenn er dann den Bauch voll hat, hört er auch konzentrierter zu.
Das ist klar, wenn ihr das mal erlebt habt, wenn ihr wirklich mal gehungert habt – ich habe das mal getan, so eine Zeit lang tatsächlich – ist es so, dass sich das Denken fast nur aufs Essen fixiert. Sobald du etwas riechst, sobald du etwas siehst, sobald du es nicht hast, hört das Denken dann auch nicht auf, sondern es beschäftigt dich noch länger.
Dann kommt es auch noch mal wieder, irgendwann. Auf jeden Fall hier erst mal zu essen, zu trinken und jetzt Ausrichtung auf Gott, Schuldvergebung. Und das ist ja das, was die Menschen am dringendsten brauchen. Um uns herum wird auf das meiste Wert gelegt, was Äußerlichkeiten sind: Vergnügungen, Zufriedenheiten, Absicherungen. Für alles gibt es ja in Deutschland Versicherungen.
Oder wie viele Vergnügungen hast du hier in der Umgebung, hier großstädtischer Umgebung? Da hast du ja alle paar hundert Meter Theater und Kino. Du kannst heute Ski fahren, Schlittschuhlaufen, Klettern, Free Climbing, Meditieren oder was weiß ich.
Aber das Wesentlichste, was der Mensch braucht, nämlich Schuldvergebung, das findest du nirgends. Da hast du nur, wie ich gerade gelesen habe, Donald Walsh, ein ganz bekannter Esoterik-Autor mit weltweiter Millionenauflage seiner Bücher. Er sagt: Du kannst dir Schuld selbst vergeben. Das finde ich ja eine tolle Antwort, nicht?
Das heißt, ihr könnt das ja als Ehepartner so machen: Hast du deiner Frau irgendwas Böses gesagt, und dann ist sie hinterher sauer auf dich, dann sagst du: Du brauchst nicht mehr sauer sein, ich habe mir schon vergeben. Wäre eine Variante, nicht? Funktioniert ja nur nicht.
Und da merken wir: Diese Variante entspricht dem modernen Menschen, der nur auf sich ausgerichtet ist. Aber Gott gibt uns die Antwort: Gott, bei dem bekommen wir Vergebung der Sünden.
Dann wird uns allerdings hier auch gesagt: Vergib uns unsere Sünden, wie auch wir vergeben unseren Schuldigen. Hier ist ja noch nicht die Bedingung genannt, später wird dann die Bedingung genannt: Wenn ihr nicht vergebt, wird euch nicht vergeben werden.
Hier ist nur drin, dass wir aus dem, wo wir Vergebung bekommen haben, auch Geschwistern vergeben sollen. Tragt euren Ärger an den Geschwistern, egal wie komisch die sind, nicht euer Leben lang mit euch. Das macht euch kaputt, macht die Gemeinde kaputt und erschwert eure Beziehung zu Gott.
Sondern so, wie Gott immer bedingungslos vergibt, wenn wir ehrlich um Vergebung bitten, so sollen wir das auch untereinander tun. Das steckt hier einfach mit drin.
Und hier steckt auch mit drin, dass wir als Christen bei Gott immer wieder um Vergebung bitten müssen, nicht nur einmal bei der Bekehrung so ein Grundaufwasch gemacht, sondern immer wieder. Zum Beispiel im ersten Johannesbrief, ich glaube 1. Johannes 1,8, da lesen wir: Wenn wir unsere Sünden bekennen, ist er treu und gerecht, dass er uns die Sünden vergibt und reinigt von aller Ungerechtigkeit.
Und das ist ja ein Christengerichtet. Das ist ja kein Vers, der sich in erster Linie an Ungläubige richtet. Oder in Jakobus 5, wo steht, einer bekenne dem anderen seine Schuld. Auch das ist ja für Christen gemeint.
Also heißt das: Wir müssen auch immer wieder einander und Gott Schuld bekennen und um Vergebung bitten. Deshalb kommt das hier im Vaterunser für die, die ja schon lange gerettet sind.
Hier ist also nicht die Schuld gemeint, die uns ursprünglich mal zu Kindern Gottes macht. Die sind ja schon Kinder Gottes, die das beten sollen.
Bitte um Bewahrung und Abschluss des Gebets
Meiner Zukunft – natürlich gehört das auch dazu – aber hier ist auch mitgemeint, dass wir immer wieder Neuvergebung brauchen. Diese Neuvergebung hängt nicht mit der Erlösung zusammen, sondern reinigt einfach die Beziehung zu Gott und dem Nächsten. Das ist auch enthalten, nicht nur, aber auch.
Als Nächstes kommt: „Und führe uns nicht in Versuchung, sondern errette uns von dem Bösen.“ Das mit der Versuchung verstehe ich mit den Jahren, in denen ich Christ bin, immer besser. Früher dachte ich nämlich, als Christ werde ich irgendwann so heilig sein, dass mich keine Versuchung mehr betreffen kann. Ich bin so nah bei Gott, ich verstehe die Bibel so gut, da gibt es keine Versuchung mehr. Das sei doch nur ein Problem für Anfänger. Und jetzt bin ich schon einige Jahre Christ – ich muss mal nachzählen: 27 Jahre. Manche von euch können das sicher noch überbieten.
Ich muss sagen, auch nach 27 Jahren habe ich zwar einiges dazugelernt und Jesus intensiver kennengelernt, aber ich kämpfe immer noch mit Versuchungen. Manche Dinge habe ich überwunden, doch es sind neue dazugekommen. Deshalb kann ich das hier wirklich mit Überzeugung beten: „Führe mich nicht in Versuchung.“ Ich weiß, ich bin nicht der große Glaubensheld, der alle Versuchungen glanzvoll bestehen kann. Im Gegenteil, je älter ich werde, desto mehr merke ich, dass es Gnade Gottes ist, wenn ich Versuchungen widerstehen kann. Wenn eine Versuchung kommt und ich Nein sage, dabei bleibe und sie überwinde, dann ist das wirklich Gnade Gottes.
Das meine ich nicht nur als frommen Ausdruck, sondern ganz ernst. Ich sehe Menschen, die Fehler machen, und wenn ich mich in ihre Situation versetze, merke ich, dass ich genauso hätte handeln können. Ich glaube nicht, dass ich per se besser bin oder bessere Möglichkeiten habe. Manche Geschichten, die ich höre, lassen mich denken: „Wenn ich in dieser Situation wäre, hätte ich wahrscheinlich genauso reagiert.“ Aber ich danke Gott, dass er mich davor bewahrt hat. Er hat mir Kraft gegeben, manchen Versuchungen zu widerstehen. Deshalb beten wir hier wirklich: „Bewahre uns davor.“ Wir sind nicht die großen Helden.
Dann steht hier: „Errette uns vor dem Bösen.“ Das kann bedeuten: Bewahre uns vor dem Bösen in der Welt – vor Kriegen, Betrügern, die an der Haustür lauern, oder vor Gewalt. Aber es kann auch bedeuten: Bewahre uns vor dem Teufel. Im Epheserbrief lesen wir, dass der Teufel umhergeht wie ein brüllender Löwe, der sieht, wen er verschlingen kann. Wir bitten also um Bewahrung vor ihm. Das zeigt uns, dass wir nicht so stark sind. Der Teufel will uns angreifen und zerstören. Deshalb ist es wichtig, dass wir uns an Gott wenden und wissen, dass wir bei ihm geborgen sind.
Ganz am Ende heißt es: „Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.“ Hier wird noch einmal alles zusammengefasst. Am Anfang steht die Konzentration auf Gott, dann die auf unsere Anliegen: unser tägliches Brot und alles, was wir dazu brauchen. Dann die Schuldvergebung und unsere Beziehung zum Nächsten, also wo wir dem Nächsten die Schuld vergeben. Danach die Bewahrung vor Versuchung und die Beziehung zum Übernatürlichen, auch die Bewahrung vor dem Teufel.
Am Ende richten wir den Blick wieder auf Gott: „Dein ist das Reich.“ Das Reich Gottes, worum wir gebeten haben: „Dein Reich komme.“ „Dein ist die Kraft“ – das ist die Kraft Gottes, die hinter allem steht, wo Gott wirken kann. Und „die Herrlichkeit“ meint hier wohl den Namen Gottes, seine Größe und das, was er für uns getan hat. Das gehört ihm.
Ich glaube, hier am Ende wird der Blick noch einmal auf Gott gelenkt. Das sollten wir auch lernen: Erst den Blick auf Gott richten, dann auf die Anliegen der Menschen um uns herum, dann auf das, was wir brauchen – nicht nur materiell, sondern auch geistlich. Und am Ende wieder zu Gott schauen, um zu sehen: Er ist es, der hört und antwortet. Er weiß sogar schon, was wir brauchen, bevor wir es aussprechen. Trotzdem sollen wir es aussprechen.
Und dann am Ende: „Das sei ihm in Ewigkeit, Amen.“ Hier ist die Bestätigung. Auch wenn ihr das Vaterunser betet, denkt daran, was alles darin steckt, damit ihr es bewusst beten könnt. Wenn ihr das Vaterunser nicht betet, denkt zumindest an seine Struktur und Inhalte. Es wäre gut, wenn diese Dinge alle in unseren täglichen Gebeten vorkämen. Denn das hat Jesus uns über das Gebet gelehrt: So sollen wir beten. Das heißt nicht, dass wir immer genau diese Worte sagen müssen, aber vom Inhalt her soll es so sein.
Dann kann es ein ehrliches Gebet sein, das uns die Prioritäten gibt – was im Gebet wirklich wichtig ist.
Zusammenfassung und gemeinsames Gebet
Ich möchte das Ganze jetzt nicht noch einmal wiederholen. Wir haben ja schon einige Dinge kennengelernt, zunächst den Missbrauch, viel Gerede in der Öffentlichkeit und nur für andere.
Dann haben wir auch gesehen, dass es nicht darum geht, Gott mit vielen Worten zu überreden. Stattdessen haben wir das Positive erkannt: Unser, wir gehören alle zusammen, beten zusammen, leben zusammen. Vater – er ist unser Vater, der uns errettet hat und uns zu seinen Kindern gemacht hat.
Wir haben dann seinen Namen betrachtet. Ich deute es auf den Namen Vater. Diesen sollen wir heiligen, aussondern, groß machen und nicht unnütz gebrauchen, wie Luther es sagt. Das Reich Gottes kommt, dann wird es besser werden, dann hat das Leid ein Ende. Das ist das Ziel unseres Lebens.
Der Wille Gottes soll geschehen. Ich will mich nach dem Willen Gottes richten, nach seinen Geboten und nach dem, was er mir sagt, was gut für mich ist. Und ich will das tun, was wir brauchen, damit es uns besser geht.
Dann unser tägliches Brot – das, was wir unbedingt zum Leben brauchen, sollen wir von Gott erwarten. Er vergibt uns unsere Schuld, denn das ist das eigentliche Problem in unserem Leben: einmal am Anfang des Christseins, aber auch später immer wieder.
Wir vergeben dem anderen, weil Schuld die Gemeinschaft kaputt macht. Wir wollen nicht in Versuchung geführt werden, weil wir wissen, dass wir schwach sind und darin selbst nicht bestehen können. Wir brauchen Bewahrung vor dem Teufel, denn wir sind nicht stark genug, ihm zu widerstehen.
Wir richten uns auf Gott aus, denn von ihm kommt das Reich, die Kraft und die Herrlichkeit.
Nun, auch wenn es wahrscheinlich nicht ganz üblich ist bei euch, finde ich es trotzdem gut, wenn wir einmal dieses Gebet zusammen beten. Ich hoffe, ihr seid mir nicht böse, wenn ich das hier sage. Aber wenn Jesus sagt: „So sollt ihr beten“, dürfen wir das ja auch einmal tun.
Deshalb möchte ich euch bitten, aufzustehen. Ich werde es wahrscheinlich nach Luther sagen, so habe ich es mal auswendig gelernt. Betet so, wie ihr möchtet. Aber lasst uns das doch gemeinsam beten!
Vater unser im Himmel, geheiligt werde dein Name, dein Reich komme, dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden. Unser tägliches Brot gib uns heute, und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen, denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.