Einführung in die Geschichte Josefs und seine Träume
Bist du ein Träumer oder ein Realist? Gibst du dich keinen Illusionen hin?
In unserer aktuellen Predigtserie haben wir es mit einem Träumer zu tun. Genau so wird Joseph von seinen Brüdern bezeichnet. Zu Beginn dieser Predigt, in der wir zwei lange Kapitel betrachten wollen, möchte ich einen kurzen Rückblick auf die Ausgangssituation geben, in die der heutige Predigttext eingebettet ist. Vielleicht bekommen wir auch gleich die erste Folie dazu.
Wir sehen zu Beginn, in Kapitel 37, wirklich am Anfang der Josefsgeschichte, dass Joseph zwei seltsame Träume hat. Zuerst träumt er, dass er mit seinen Brüdern Gaben auf dem Feld bindet, also Getreidebüschel. Dann richtet sich sein Getreidebüschel auf, und die elf anderen Gaben verneigen sich vor ihm.
Im zweiten Traum sieht er, wie sich Sonne, Mond und elf Sterne vor ihm verneigen. Beide Träume erzählt er weiter, und beide drücken dasselbe aus: Seine Brüder werden sich eines Tages vor ihm verneigen.
Das war dann doch ein bisschen zu viel des Guten für seine Brüder. Zehn von ihnen waren älter als er. Joseph war wirklich ein bisschen der Nachzügler, aber ganz besonders vom Vater geliebt. Der Vater hatte ihn mit einem bunten Mantel ausgestattet, einem sehr schönen Kleidungsstück.
Joseph war auch so etwas wie der Aufpasser, der Junge, der nachging und schaute, was die großen Brüder taten. Eines Tages kam er zu seinen Brüdern, als sie mit den Herden unterwegs waren. Sie sahen ihn aus der Entfernung kommen und waren voller Zorn und Hass gegen ihn.
Sie machten einen Plan: Diesen Träumer wollten sie aus dem Weg schaffen. Sie spotteten und sagten: „Dann werden wir ja sehen, was aus seinen Träumen wird.“
Dann zogen sie ihm seinen bunten Mantel aus und warfen ihn in eine tiefe Grube. Schließlich entschieden sie sich, ihn nicht direkt zu töten, sondern ihn als Sklaven nach Ägypten zu verkaufen. Hauptsache, Joseph ist weg.
In diesem Moment beginnen die Träume Josephs zu zerplatzen.
Josephs Treue und Versuchungen im Haus Potiphars
Wir haben uns letzte Woche mit Kapitel 39 beschäftigt und betrachtet, wie er als Knecht, als Sklave, in der Fremde in das Haus des einflussreichen Potiphar kommt. Dort kann er sich hocharbeiten und erhält Verantwortung im Haus.
Doch dann wirft die Frau Potiphars lüsterne Blicke auf ihn und versucht, ihn täglich zu verführen. Er widersteht diesen Versuchungen treu, weil er weder gegen seinen Herrn Potiphar noch gegen den Herrn, also Gott, handeln will.
Schließlich bekommt die Frau Potiphars die Gelegenheit, ihn unbeaufsichtigt zu sich zu ziehen. Sie greift nach ihm, ergreift seinen Mantel, zieht ihn aus und läuft davon. Daraufhin beginnt sie zu lügen.
Aus enttäuschten Hoffnungen schlägt das, was vorher Liebe und Begierde war, plötzlich in Zorn und Hass um. Sie behauptet, er hätte versucht, sie zu vergewaltigen. So wird Joseph ins Gefängnis gesteckt.
Was für ein Drama! Doch in all dem hören wir immer wieder die ermutigenden Worte, dass der Herr, dass Gott mit ihm ist – zuerst im Haus Potiphars und dann auch im Gefängnis.
Hoffnung durch die Deutung der Träume im Gefängnis
Und das bringt uns zu unserem heutigen Predigttext, zum 1. Mose, Kapitel 40 und 41. Wir lesen hier von weiteren Träumen.
Eines Tages öffnet sich die Gefängnistür, und zwei bedeutende Gefangene werden hineingeführt: der oberste Mundschenk und der oberste Bäcker des Pharao. Diese beiden gehörten zum engsten Umfeld des Königs, des Pharao. Der Ausländer Joseph erhält die Verantwortung, sich um sie zu kümmern.
Nun sind die beiden eines Tages durch seltsame Träume sehr betrübt und beunruhigt. Sie wissen nicht, was diese Träume bedeuten, ahnen aber, dass eine Botschaft dahintersteckt. Bei den Ägyptern war es durchaus üblich, Träume zu deuten. Oft handelte es sich wahrscheinlich um okkulte Praktiken. Wir wissen, dass Träume meist keine wirkliche Bedeutung haben, aber es war vielleicht ein bisschen wie Horoskoplesen. Die beiden suchten jedenfalls jemanden, der ihnen helfen konnte. Am Hof des Pharao gab es viele Weise, die in solchen Fällen Rat geben konnten. Doch hier im Gefängnis dachten sie, dass niemand da sei, der ihnen helfen könnte.
Joseph belehrt sie und sagt: Gott kann mir die Träume mitteilen, und Gott wird mir die Möglichkeit geben, sie zu deuten. Zuerst wird ihm der Traum des Mundschenks erzählt. Mutig erzählt dieser: „Mir hat geträumt, dass vor mir ein Weinstock stand, der drei Reben hatte. Er grünt und wächst und blüht, und seine Trauben werden reif. Ich hielt den Becher des Pharao in der Hand, nahm die Beeren, zerdrückte sie in den Becher und gab den Becher dem Pharao in die Hand.“
Joseph hört zu, und tatsächlich schenkt Gott ihm die Erkenntnis, was dieser Traum bedeutet. Die Deutung lautet: Drei Reben sind drei Tage. Nach drei Tagen wird der Pharao dein Haupt erheben und dich wieder in dein Amt einsetzen, damit du ihm den Becher in die Hand gibst, wie früher, als du sein Schenk warst.
Doch Joseph belässt es nicht nur bei der Traumdeutung. Er nutzt die Gelegenheit, um diesem bedeutenden Mann zu erklären, wie es um ihn steht, und bittet um Hilfe in der Erwartung, dass er freigelassen wird und sein Amt zurückerhält. Das steht im Zentrum dieses Kapitels, in den Versen 14 und 15. Joseph sagt: „Gedenke meiner, wenn es dir wohlgeht, und tu Barmherzigkeit an mir, dass du dem Pharao von mir sagst und mich so aus diesem Haus bringst. Denn ich bin aus dem Land der Hebräer heimlich gestohlen worden, und auch hier habe ich nichts getan, weswegen sie mich ins Gefängnis setzen durften.“
Man kann sich vorstellen, dass bei Joseph langsam Hoffnung aufkam. Vielleicht könnte der Mundschenk nach all der Zeit im Gefängnis helfen.
Auch der Bäcker fühlt sich ermutigt und erzählt Joseph seinen Traum. Er sieht drei Brotkörbe, auch hier wieder drei Körbe. Joseph erklärt ihm ähnlich, dass die drei Körbe drei Tage bedeuten. Nach drei Tagen wird der Pharao dein Haupt erheben. Doch anders als beim Mundschenk bedeutet dies für den Bäcker, dass er aufgehängt wird.
Diese Nachricht ist keine frohe Botschaft für den Bäcker, doch das ist hier eher nebensächlich.
Drei Tage später öffnet sich tatsächlich die Gefängnistür, beide werden herausgeholt, und es geschieht genau so, wie Joseph es gesagt hat: Der Bäcker wird gehängt, und der Mundschenk wird aus dem Gefängnis entlassen und in seine alte Position eingesetzt.
So schlecht es auch für den Bäcker gewesen sein mag, für Joseph muss das sehr ermutigend gewesen sein.
Könnt ihr euch das vorstellen? Der Träumer, der selbst große Träume für sein Leben hatte, erlebt nun, dass Träume tatsächlich wahr werden. In ihm keimt vielleicht neue Hoffnung auf. Vielleicht gibt es auch für seine Träume noch eine Chance.
Vielleicht würde er eines Tages doch wieder zu seinem Vater und zu seinen Brüdern zurückkehren dürfen. Vielleicht würde Gott ihn wirklich aus dieser Not retten. Und vielleicht würden eines Tages sogar seine bösen Brüder erkennen, was sie getan hatten, und sich vor ihm neigen.
Hoffnung und Enttäuschung im Gefängnis
Kennst du solche Situationen, in denen mitten in der Not wieder Hoffnung aufkeimt? In denen es vielleicht etwas gibt, das dir erneut Hoffnung schenkt? Vielleicht schienen all deine Träume schon zerplatzt zu sein. Du hast vielleicht von einem Ehepartner geträumt, doch es fand sich keiner. Oder du hast von einem wirklich guten Job geträumt, aber du hast keinen bekommen.
Du hattest Träume von einer frohen Zukunft, doch es kam immer nur Leid. Und dann passiert plötzlich etwas. Etwas, das neue Hoffnung weckt, obwohl die Hoffnung eigentlich schon verloren schien und die Träume zerplatzt waren. Vielleicht begegnet dir doch jemand. Da ist die Hoffnung: Vielleicht darf ich doch noch einmal glücklich werden.
Plötzlich gibt es eine tolle Jobmöglichkeit, und du bekommst erste Anzeichen, dass du die Stelle wirklich bekommen könntest. Vielleicht sind es auch andere Träume, die doch noch wahr werden können. Wenn du so etwas schon einmal erlebt hast – nach langer Zeit des Wartens, in der die Träume eigentlich schon zerplatzt schienen, plötzlich neue Träume und neue Hoffnung zu haben –, dann kannst du ein wenig nachvollziehen, wie es Josef im Gefängnis gegangen sein muss.
Jedes Mal, wenn er den Schlüssel in der Gefängnistür hörte, keimte die Hoffnung auf. Vielleicht hatte der Mundschenk nun die Gelegenheit, dem Pharao zu sagen, wie es Josef wirklich geht, und er würde freikommen. Die Tür öffnet sich – aber nicht für Josef. Stattdessen wird jemand anderes entlassen oder neu eingesperrt. Immer wieder wird diese neu geweckte Hoffnung enttäuscht.
Am Ende von Kapitel 40 erfahren wir den Grund dafür. Der oberste Schenk, so heißt es hier ganz sachlich und nüchtern, dachte nicht an Josef, sondern vergaß ihn. Was für ein Drama! Vielleicht hast du so etwas auch schon erlebt: Neue Hoffnung, die wieder enttäuscht wird.
Die scheinbare Hoffnung auf eine Ehe endet in Enttäuschung, weil der vermeintlich tolle Partner sich als eine einzige Enttäuschung erweist. Oder der Job wird jemand anderem gegeben. Oder du bekommst ihn, wirst aber noch vor Ende der Probezeit wieder entlassen. Andere Hoffnungen lösen sich in Luft auf. Wieder heißt es warten, und du fühlst dich verlassen und vergessen – so wie einst Josef im Gefängnis.
Alle Träume, alle Hoffnungen sind dahin. Da ist nur noch Leere. Wenn es dir so geht, wünsche ich dir von Herzen, dass der Herr dir Kraft schenkt, auszuharren und die Hoffnung nicht aufzugeben.
Gemeinschaft und Ermutigung in schwierigen Zeiten
Ich kann mir gut vorstellen, dass es in der aktuellen Corona-Situation manchem so geht: Die Hoffnung, dass es bald vorbei ist – kennen wir das nicht? Erinnern wir uns noch daran, als wir im März hier gesagt haben: Ab nächster Woche können wir leider keine Live-Gottesdienste mehr feiern, nur noch Online-Gottesdienste. Aber an Ostern treffen wir uns wieder.
Doch so war es nicht. Dann, endlich, endlich ging es wieder los. Und dann kamen die Restriktionen zurück. Ich hoffe, es wird nicht so kommen, aber ich halte es für durchaus möglich, dass wir am einunddreißigsten Januar keine Taufe feiern und keinen Gottesdienst abhalten können.
Enttäuschte Hoffnung. Vielleicht ist der Gottesdienst für dich kein so großes Thema – vielleicht ist das die sogenannte Pastorenkrankheit. Aber vielleicht sind es bei dir andere Dinge: Dieses ewige Zuhausehängen, das Abgeschnittensein vom sozialen Leben.
Ich kann mir vorstellen, dass gerade manche Alleinstehende unter uns in besonderer Weise unter dieser Zeit leiden und sich fragen: Wann wird das endlich ein Ende haben?
Aber eines möchte ich dir auch sagen: Du bist nicht allein. Anders als Joseph hast du eine Gemeinschaft. Und selbst wenn du zu Hause sitzt, möchte ich dir sagen: Du hast eine Familie, du hast Gemeinschaft. Wenn du zu dieser Gemeinde gehörst, dann bist du nicht allein.
Und, ihr Lieben, ich möchte uns Mut machen, nicht so zu sein wie der Mundschenk, nämlich andere zu vergessen. Lasst uns die Geschwister anrufen. Lasst uns nah bei denen sein, die vielleicht in besonderer Weise alleine sind.
Ehepaare und Familien, vielleicht schaut ihr mal, wo es Singles in der Gemeinde gibt, die im Moment sehr alleine sind. Wo könnt ihr mal anrufen? Wo könnt ihr euch mal melden? Vielleicht sogar einladen?
Aber noch viel wichtiger: Wer den Herrn an seiner Seite hat, der ist letztendlich nicht allein. Und wer den Herrn an seiner Seite hat, der muss die Hoffnung nicht verlieren.
Die Erfüllung der Träume durch Gottes Führung
Das bringt uns zum 41. Kapitel, denn hier sehen wir, dass durch weitere Träume die alten Träume doch wahr werden.
Zu Beginn von Kapitel 41 lesen wir von neuen Träumen, und zwar von Träumen, die der Pharao hat. Es sind sehr seltsame Träume. Im ersten Traum sieht er sieben schöne, fette Kühe. Man weiß nicht, wie oft man so etwas träumt. Dann sieht er sieben wirklich magere, hässliche Kühe. Diese hässlichen, mageren Kühe fressen die schönen, fetten Kühe. Er wacht auf, erschrocken von diesem seltsamen Traum.
Dann träumt er noch einmal, fällt wieder in Schlaf und sieht sieben volle und dicke Ähren Getreide. Danach sieht er sieben dünne Ähren, die die dicken Ähren verschlingen. Das macht den Pharao unruhig. Deshalb ruft er alle Wahrsager in Ägypten und alle Weisen, die er dort in seinem Palast und darum herum hat, um die Träume deuten zu lassen.
Aber dann heißt es hier, dass keiner von ihnen die Träume dem Pharao deuten konnte. In dieser Situation, die sich sage und schreibe über zwei Jahre nach der Entlassung des Mundschenks abspielt, fällt dem Mundschenk ein, dass es doch einen gab, der Träume auslegen konnte. Dort wurden Träume nicht nur irgendwie zur Ermutigung oder horoskopähnlich gedeutet, sondern es ist wirklich so gekommen.
So erinnert er sich an Joseph und erzählt dem Pharao davon. Dann lesen wir in Vers 14: „Da sandte der Pharao hin und ließ Joseph rufen, und sie ließen ihn eilends aus dem Gefängnis kommen.“ Nach über zwei Jahren wird also wieder der Schlüssel in der Gefängnistür gedreht.
Joseph bewegt sich gar nicht mehr, er steht nicht mehr auf in der Hoffnung, dass das irgendetwas mit ihm zu tun haben könnte. Wahrscheinlich wird wieder jemand anders entlassen, oder es kommt einfach jemand Neues ins Gefängnis. Aber dann hört er plötzlich seinen Namen. Er weiß gar nicht, ob er das richtig hört: „Joseph, komm, der Pharao verlangt nach dir.“
„Habe ich das richtig gehört?“, fragt er sich. „Ja, der Pharao verlangt nach dir.“ Nun wird ihm die Chance gegeben, sich zurechtzumachen, sich zu waschen und zu rasieren. Er wird gekleidet, damit er annehmbar für den Pharao ist. Dann wird er zu ihm gebracht.
Der Pharao spricht zu ihm: „Ich habe einen Traum gehabt, und niemand kann ihn mir auslegen. Aber von dir sagt man, du kannst das.“ Was denkt ihr, was Joseph jetzt sagt? Natürlich: „Ja klar, ich kann das.“ Nein, in Vers 16 antwortet Joseph dem Pharao und spricht: „Das steht nicht bei mir. Gott wird jedoch dem Pharao Gutes verkünden.“
Das ist erstaunlich, oder? Diese Demut. Nachdem der Pharao ihm dann seine beiden Träume erzählt hat – von den Kühen und den Ähren, und wie die hässlichen und dünnen die dicken und schönen verschlungen haben – erklärt Joseph ihm die Bedeutung.
Er sagt, das steht für zweimal sieben Jahre. Das ist wirklich ein Traum. Es werden sieben gute Jahre kommen, gefolgt von sieben schlimmen Jahren. Sieben Jahre großartiger Ernten und sieben Jahre großer Dürre. Die Dürre wird das, was vorher gut war, verschlingen. Es wird eine große Hungersnot kommen.
Abschließend sagt Joseph, dass der Pharao zweimal geträumt hat, was bedeutet, dass Gott dies mit Gewissheit und Eilfertigkeit tun wird. Wie schon zuvor belässt Joseph es nicht dabei, die Träume nur auszulegen und dann zurück ins Gefängnis zu gehen. Nein, er ergreift die Chance, dem Pharao einen Vorschlag zu machen, für den er selbst gut positioniert ist.
Nachdem wir gerade gehört haben, dass die Weisen und fähigen Leute Ägyptens nichts tun konnten, sagt Joseph: „Siehe, der Pharao sehe nach einem verständigen und weisen Mann, den er über das Ägyptenland setzt. Er soll Amtleute ernennen im Land und in den sieben reichen Jahren den Fünftel des Ertrags sammeln. Sie sollen Getreide aufschütten in des Pharao Kornhäusern zum Vorrat in den Städten und es verwahren, damit Nahrung für das Land in den sieben Jahren des Hungers gesichert ist. So soll das Land nicht vor Hunger verderben.“
Hier sind es also nicht drei Tage, und dann wird man sehen, ob der Traum wahr wird. Stattdessen sollen erst sieben gute Jahre kommen. Joseph sagt: „Setz jemanden ein, der diese sieben Jahre nutzt, um vorzubereiten für das, was ich dir gesagt habe, was dann in den darauffolgenden sieben Jahren geschehen wird.“
Und tatsächlich glaubt der Pharao. Es heißt: „Die Rede gefiel dem Pharao und allen seinen Großen gut.“ Der Pharao spricht zu seinen Großen: „Wie könnten wir einen Mann finden, in dem der Geist Gottes ist, wie in diesem?“
Dann spricht er zu Joseph: „Weil dir Gott dies alles kundgetan hat, ist keiner so verständig und weise wie du.“ Das hat Joseph sich vielleicht auch schon gedacht. „Du sollst über mein Haus sein, und dein Wort soll all mein Volk gehorsam sein. Allein um den königlichen Thron will ich höher sein als du.“
Weiter spricht der Pharao zu Joseph: „Siehe, ich habe dich über ganz Ägyptenland gesetzt.“ Er nimmt seinen Ring von der Hand und gibt ihn Joseph an die Hand. Er kleidet ihn mit kostbarer Leinwand und legt ihm eine goldene Kette um den Hals. Dann lässt er ihn auf seinem zweiten Wagen fahren und lässt vor ihm ausrufen: „Der ist des Landes Vater.“ So setzt er ihn über ganz Ägyptenland.
Der Pharao sagt zu Joseph: „Ich bin der Pharao, aber ohne deinen Willen soll niemand seine Hand oder seinen Fuß regen in ganz Ägyptenland.“
Die Erhöhung Josefs und die Erfüllung seiner Träume
Was für eine Wende, was für ein Wandel! Während Joseph vorher als Sklave in Ketten gelegt war, legte der Pharao ihm nun eine Kette um – eine goldene Kette, die ihm Rang verleiht.
Nachdem ihm zuvor zweimal das Gewand ausgezogen worden war – erst von seinen Brüdern böswillig und dann von der Frau Potifars – wird er nun in feine Leinwand gekleidet. Nachdem er zuvor erniedrigt wurde, wird er nun erhöht. Joseph sieht, dass seine Träume anfangen, sich zu erfüllen.
Als zweiter Mann im Staat muss sich jeder vor ihm beugen – selbst Potiphar und seine Frau, der Mundschenk und der Kerkermeister. Eines Tages vielleicht auch noch seine Brüder.
Nun beginnt sein Abend, und es kommt genau so, wie der Pharao es geträumt und Joseph es ausgelegt hatte: sieben Jahre der Fülle, danach beginnt die Dürre. Doch nicht für Joseph, für ihn ist gesorgt. Er hat vorgesorgt durch die Erkenntnis, die Gott ihm geschenkt hat.
Ihm wird auch noch eine Frau gegeben vom Pharao. Dann lesen wir, dass die Frau ihm zwei Söhne schenkt. Die Namen, die Joseph seinen Söhnen gibt, sind dabei sehr vielsagend.
In Vers 51 lesen wir: Er nannte den ersten Mann Manasse, denn Gott sprach er, hat mich vergessen lassen all mein Unglück und mein ganzes Vaterhaus. Den anderen nannte er Ephraim, denn Gott sprach er, hat mich wachsen lassen in dem Lande meines Elends.
Joseph erkannte also, dass Gott ihn nicht vergessen hatte, dass Gott immer da war und für ihn sorgte. Gott hatte ihn durch die Tiefen hindurchgeführt und nun erhöht. Gott brachte ihn dahin, dass er all das Unglück vergessen kann, weil er neues Glück gefunden hat.
Gott erhebt ihn aus den Tiefen und erhöht ihn. Das ist die ermutigende Wendung in unserem Predigttext.
Anwendung: Was können wir aus der Geschichte Josefs lernen?
Nun haben wir diesen Text gehört. Interessant, aber was hat das mit uns zu tun?
Er ist ja gut für Josef, aber bei uns ist es ja nicht unbedingt so, dass wir irgendwelche Träume haben, die dann wahr werden. Sicher nicht.
Also, was können wir aus Gottes heiligem Wort lernen? Die Bibel lehrt ganz klar, dass alle Schrift nützlich ist.
Wie ist diese Schrift für uns nützlich? Ich denke, es gibt drei wesentliche Lehren, die wir aus diesem Predigttext mitnehmen dürfen.
Josef als Vorbild in schweren Zeiten
Das Erste, was wir sehen dürfen, ist, dass Gott uns in seiner großen Gnade mit Joseph wirklich ein Vorbild gibt, wie wir durch schwere Zeiten gehen können. Joseph ist ein Vorbild, an dem wir uns gerade in schwierigen Situationen orientieren dürfen.
Wir haben viel über Joseph gehört und erfahren, dass er nicht klagt, als seine Träume scheinbar zerplatzen. Er tut treu und fleißig, was zu tun ist. Selbst als er ein Trauma erlebt – von seinen Brüdern in die Sklaverei verkauft wird und nun im Haus des Potiphar als Knecht dienen muss – bleibt er treu. Als er ins Gefängnis kommt und alles gegen ihn läuft, handelt er weiterhin treu.
Er erweist sich im Kleinen, in den schwierigen Situationen, als treuer Knecht. Die Bibel sagt uns, dass Menschen, die im Kleinen treu sind, oft Größeres anvertraut bekommen. Joseph zeigt uns das. Das darf uns ermutigen, auch in schwierigen Zeiten treu zu tun, was Gott uns vor die Hände und Füße stellt.
Wir sehen außerdem, dass Joseph demütig ist und sich selbst nicht groß macht. Er tut seinen Dienst, aber als er die Gelegenheit hat, die Träume auszulegen, sagt er nicht: „Ich kann das“ und verweist auf seine Fähigkeiten. Nein, er erkennt offen an – sowohl vor dem Mundschenk im Gefängnis als auch vor dem Pharao –, dass nur Gott es tun kann. Er gibt Gott die Ehre und maßt sich nicht an, selbst etwas zu beherrschen. Er weiß, dass alles, was er vermag, er nur vermag, weil Gott es ihm gibt.
Schließlich sehen wir, dass er in all seiner Not, in diesem nicht enden wollenden Leiden, nicht kapituliert. Ich habe vorhin gefragt: Bist du Träumer oder Realist? Träumer zu sein, ist schwierig. Realist zu sein kann auch schwierig sein, weil der Realist dann aufgibt und denkt: „Okay, das Leben läuft einfach gegen mich, alles ist Mist.“ Und ganz ehrlich, solche Leute gibt es auch unter uns Christen, oder? Die dann Meister darin werden, zu klagen, zu jammern und zu betonen, was sie selbst eigentlich alles richtig machen, aber die ganze Welt ist böse.
Das tut Joseph nicht. Er kapituliert nicht. Er tut treu seinen Dienst und nutzt die Gelegenheit, die Gott ihm gibt. Als der Mundschenk da ist und ermutigt wird durch die Auslegung, bittet Joseph ihn: „Hilf mir.“ Als er vor dem Pharao die Gelegenheit hat, der Macht der Weisen einen Vorschlag zu machen, für den er selbst gut positioniert ist, ergreift er sie.
Ich glaube, wir dürfen von diesem Vorbild Josephs lernen. Wir dürfen uns auch treu weisen in schwierigen Situationen und darauf vertrauen, dass Gott das sieht und ehrt. Auch wir dürfen demütig bleiben und anerkennen, dass wir nichts tun können ohne Gott. Alles, was wir tun können, tun wir, weil Gott uns die Fähigkeiten und Möglichkeiten gibt.
Wir dürfen wissen, dass Gott unser Leben in seiner Hand hat. Deswegen brauchen wir nicht zu klagen und nicht zu kapitulieren, sondern wir dürfen auf Gott vertrauen – so wie Joseph.
Vertrauen auf Gottes Verheißungen
Und das ist wirklich die zweite Lektion: Wir dürfen dem Gott Josefs vertrauen. Durch die Träume, von denen wir lesen, zeigt Gott, was er vorhat.
Unsere Träume sind typischerweise nicht wegweisend für die Zukunft. Vielmehr verarbeiten wir nachts oft auf skurrile Weise Dinge, die wir erlebt haben. Hier jedoch lesen wir, dass Gott Träume schenkt und ankündigt, was er tun wird. Und dann tut er es auch.
In der ganzen Bibel finden wir nur wenige Stellen, in denen Gott durch Träume wirkt. Viel häufiger tut er das durch sein eigenes Wort. Aber er sagt uns, was er tun wird, und er tut es. Das ist wirklich die Botschaft der ganzen Bibel: Gott gibt Verheißungen, und er erfüllt sie. Deshalb dürfen wir auf Gott vertrauen.
Unsere Träume werden manchmal zerplatzen. Aber Gottes Träume werden wahr, denn Gott ist der allmächtige Herr. Er kann alles tun. Selbst die mächtigsten Regenten, die meinen, vollkommene Macht zu haben, müssen vor ihm kapitulieren.
Das sehen wir hier am Pharao. Er ist der Herrscher der Welt. Dann träumt er, und Joseph sagt ihm: Es gibt nichts, was du tun kannst. Der Herr hat es gesagt, und so wird es geschehen. Der Pharao tut das einzig Richtige: Er ist gut beraten, dem zu folgen, was ihm gesagt wird. Er vertraut den Offenbarungen Gottes und handelt entsprechend.
Ganz ehrlich: Dieses Kapitulieren vor Gott – nicht vor den Umständen, sondern vor Gott – ist gut und richtig. Wir haben dieses Jahr gesehen, dass uns oft gar nichts anderes übrigbleibt.
In unserer Hybris haben wir alle möglichen Pläne gemacht, vor einem Jahr. Dabei haben wir wahrscheinlich nicht gesagt, wie Anifo so weise: „So Gott will“, sondern gesagt: „Ich werde, ich mache.“ Dann kam Corona, und wir konnten nichts machen.
In unserer Hybris denken wir aber, wir kriegen das trotzdem irgendwie hin. Ich muss ein bisschen schmunzeln, wenn ich jetzt Berichte lese, im November, Anfang Dezember, davon, wie die menschliche Weisheit Impfstoffe entwickelt hat. Oder war das vielleicht doch Gott? Wer hat dem Menschen die Fähigkeiten dazugegeben? Wer hat sie auf die richtige Spur gebracht?
Gott kann helfen, Gott kann jede Not wenden. Und ihr Lieben, das Großartige ist: Er tut es auch. Dazu sandte Gott viel mehr als nur ein paar Träume. Er sandte seinen eingeborenen Sohn, auf den Joseph auf vielerlei Weise schon hingewiesen hat.
Joseph als Schattenbild auf Jesus Christus
Das ist wirklich der dritte Punkt. Jesus selbst hat gelehrt, dass die ganze Schrift von ihm zeugt. Personen und Ereignisse weisen voraus auf den Retter und Herrn Jesus Christus.
Aus Zeitgründen kann ich jetzt nicht darauf eingehen, wie der gesamte Lebens- und Leidensweg Josephs schattenhaft schon den Weg Jesu vorzeichnet. Das haben wir letzte Woche bereits betrachtet, und in den nächsten Wochen werden wir das sicherlich noch viel intensiver tun.
Aber eines möchte ich mit uns bedenken: Der Weg, den wir heute bei Joseph gesehen haben, ist wirklich ein Schatten von dem Weg, den Jesus geht. Gott lässt es zu, dass Joseph in große Not gerät. Er lässt zu, dass Joseph leiden muss, verlassen und vergessen in den Tiefen eines Kerkers sitzt. Doch Gott bringt ihn aus diesen Tiefen hervor und erhöht ihn zu seiner Zeit.
Viele hundert Jahre später würde Gott seinen eigenen Sohn in diese Welt senden. Auch er würde von seinen Brüdern verraten und verlassen werden, am Kreuz hängen und dann in eine Höhle gelegt werden. Dort schien alle Hoffnung verloren. Doch auch ihn hat Gott erhöht: Am dritten Tag wurde er von den Toten auferweckt und ist in die Herrlichkeit zum Vater aufgefahren.
So wie Joseph und Jesus wird Gott auch uns in unserer Not finden und aus unserer Not befreien. Er wird unserer Not ein Ende machen und auch uns, die wir für eine Zeit erniedrigt sein mögen, erhöhen.
Damals, während der Hungersnot in Ägypten, kamen Menschen in ihrer Not und suchten um Hilfe. Ganz am Ende unseres Predigttextes von heute steht, was der Pharao zu ihnen sagte: 1. Mose 41,55: Der Pharao sprach zu allen: „Geht hin zu Joseph, was er euch sagt, das tut!“
Wenn Joseph in irgendeiner Weise ein Schatten des Herrn Jesus Christus ist, dann möchte ich dir sagen: Geh hin zu Jesus, und was er dir sagt, das tu! Denn er kann helfen – in jeder Not.
Deshalb dürfen wir auch in unserer größten Not, in Phasen von langem Leid, das scheinbar nicht enden will, ihn bestürmen im Gebet. Wir dürfen uns ihm zuwenden und darauf vertrauen, dass er für uns sorgen wird.
So wie einst bei Joseph wird der Herr auch dir die Kraft schenken, in Zeiten des Leidens auszuharren. Er spendet Trost, wenn unsere Träume zerplatzen, und er hat dir versprochen, dass er bessere Träume für dich hat.
Ja, in der Tat sagt er dir zu, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen werden. So weist er uns den Weg – jedem, der sich ihm im Glauben zuwendet.
Wenn du das getan hast, dann darfst du wissen: Deine Not hat ein definitives Ende. Auf die Zeit des Leidens folgt die Zeit der Erhöhung. Vielleicht schon hier und jetzt, aber ganz sicher eines Tages.
Ich kann dir mit der Autorität von Gottes Wort versprechen, dass das, was dann kommt, besser ist als alle deine Träume.
Schlussgebet
Ich bete: Himmlischer Vater, wir wollen Dir danken für Dein heiliges Wort. Wir danken Dir, dass Du ein Gott bist, der uns sieht und uns nicht verlässt, sondern der bei uns ist alle Tage bis an der Weltende.
Du ersparst uns nicht jede Not, aber Du bist bei uns in allen Dingen. Wir bitten Dich, dass Du uns Mut machst, uns in jeder Situation Dir zuzuwenden. Hilf uns, treu das zu tun, was Du uns zu tun gibst, und unsere Hoffnung nicht zu verlieren. Denn bei Dir gibt es Hoffnung über alles Leid, über alle zerstörten Träume und über alle Hoffnung hinweg.
Herr, so bitte ich Dich, dass Du uns auch als Gemeinde hilfst, einander zu ermutigen auf diesem Weg. Lass uns einander anspornen auf dem Weg des Glaubens, einander zur Seite stehen, helfen und trösten.
Und dass wir dann eines Tages miteinander erleben dürfen, dass es Herrlichkeit sein wird, wenn wir bei Dir ankommen. Dafür preisen wir Dich in Jesu Namen. Amen.